Zum Inhalt der Seite

Angelo

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hey ihr Lieben!

Heute wieder mal ein Vorwort. Wie ihr vielleicht gemerkt habt, hat das mit dem Update ein wenig gedauert. Das neue Kapitel wollte einfach nicht so, wie ich das wollte. Irgendwann habe ich dann die liebe Pimiento um Hilfe gebeten, damit sie mir das Brett vom Kopf entfernt. Hat sie dann gemacht. ^_~ Allerdings musste ich daraufhin noch eine kleine Änderung am Ende des letzten Kapitels vornehmen. Damit ihr nicht so viel blättern müsst, habe ich den geänderten Teil hier noch einmal eingefügt. Sollte jemand die Geschichte ganz neu lesen, kann er somit gleich zur fettgedruckten Überschrift springen.

Ansonsten viel Vergnügen.
Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ein letzter Gefallen

Ein urtümlicher Schrei erschütterte die Halle, die sie gerade betreten hatten. Um sie herum suchten unzählige Dämonen ihr Heil in der Flucht und achteten gar nicht auf die zwei Menschen und den Engel, an denen sie vorbeistürzten. Am oberen Ende der großen Treppe jedoch, die in das über ihnen liegende Geschoss führte, tauchte in diesem Moment ein Mann auf, der genau in die entgegengesetzte Richtung lief.

Gabriella atmete hörbar ein.

„Das ist Belial“, flüsterte sie und deutete auf den Neuankömmling.

„Wo ist er?“, fauchte der gerade und hielt einen der vorbeieilenden Dämonen an einem ihrer vier Arme fest. Die Kreatur, deren Erscheinung Michael an einen behaarten Frosch erinnerte, jaulte auf und erbrach einen Redeschwall, den Michael nicht verstand. Es war jedoch unübersehbar, dass das Gesagte Belial missfiel. Es war nur eine Frage der Zeit, bevor er sie entdeckte.

„Ich werde ihn aufhalten“, erklärte Michael. „Ihr seht zu, dass ihr hier rauskommt.“

Gabriella schüttelte entschieden den Kopf.

„Das wirst du nicht tun. Es ist Wahnsinn. Er wird dich umbringen.“

„Aber wenn ich es nicht tue, wird er uns alle töten. Bitte, Baby, diskutier das jetzt nicht mit mir. Schaff Angelo hier raus und dann …“

Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte keine Ahnung, was sie dann machen sollten. Sein Blick fiel auf Crystal, die inzwischen unsicher blinzelte und zu testen schien, ob sie ihren Augen inzwischen wieder trauen konnte.

„Hey. Du kennst dich doch hier aus, oder? Gibt es einen Weg, wie du die beiden hier rausschaffen kannst?“

Crystal sah mit zusammengekniffenen Lidern zu ihm auf.

„Es gäbe vielleicht eine Möglichkeit. Aber erst mal müssen wir Marcus holen und da steht leider ein gewisser Jemand im Weg.“

Sie deutete mit einem krallenbewehrten Finger auf Belial.

Michael nickte. „Okay. Dann holt ihr eben erst Marcus und dann bringst du sie alle hier raus. Kriegst du das hin?“

Der Sukkubus blies die Backen auf. „Na ich kann’s probieren. Aber nur, wenn uns vorher nicht die Decke auf den Kopf fällt.“

Michael sah noch einmal zu dem Mann, der jetzt Befehle in alle Richtungen bellte. Er hatte zwar keine Ahnung, wie er den Dämon aufhalten konnte, aber irgendetwas würde ihm dazu hoffentlich noch einfallen, wenn er erst einmal vor ihm stand.

Vorsichtig setzte er Angelo auf den Boden.

„Kannst du laufen?“

Angelo schüttelte den Kopf. „Geh nicht.“

„Ich muss. Und auch mit dir werde ich das nicht diskutieren.“

Er drückte Angelo einen schnellen Kuss auf den Mund, bevor er ihn an Gabriella übergab. Auch sie küsste er zum Abschied.

„Ich liebe dich, Baby. Pass auf dich auf.“

„Und was ist mit mir?“, maulte Crystal und schob die Unterlippe vor. „Wer knutscht mich?“

„Du kriegst einen Kuss, wenn du die beiden heil nach Hause bringst.“

„Uh ja, aber mit Zunge“ Der Sukkubus grinste und zwinkerte ihm zu, bevor sie die andere Seite von Angelo übernahm, um ihn zu stützen.

„Na los, beeilt euch. Und seht zu, dass er euch nicht sieht.“

Michael beobachtete, wie die drei sich langsam am Rand der Halle in Bewegung setzten. Wenn er es schlau anfing, würde Belial sie vielleicht nicht bemerken.
 


 


 

Ein letzter Gefallen
 

Michael atmete tief durch.

Das ist wie bei einem Football-Spiel, versuchte er sich zu sagen. Wenn ich ihn ablenke und er nicht mitbekommt, dass sich die eigentliche Action ganz woanders abspielt, haben wir vielleicht eine Chance.

Das einzige Problem dabei war, dass das normalerweise nicht seine Aufgabe war. Für so etwas war der Quarterback zuständig. Jeff war ein Meister des Trickspiels gewesen und er lediglich dafür da, ihm den Rücken freizuhalten.

Na gut alter Freund. Dann tun wir mal so, als wenn ich in Ballbesitz wäre.

Er straffte sich und rief, so laut er konnte: „Hey! Hey du! Bist du hier der Boss?“

Der Kopf des Mannes ruckte herum. Dunkle Augen taxierten Michael. Bei dem Anblick richteten sich seine Nackenhaare auf. Sein Gegenüber war ohne Zweifel sehr attraktiv und wäre selbst mit mehr Oberbekleidung auf jeder Party das Zentrum weiblicher Aufmerksamkeit gewesen, aber der Blick, mit dem er Michael maß, war kalt und berechnend.

Er sieht aus wie ein Anwalt, schoss es Michael durch den Kopf, während sein Gegenüber begann, die Treppenstufen hinabzusteigen.

„Wer bist du?“ Die Stimme des Mannes passte zu seinem Äußeren. Sie war angenehm und volltönend, wie geschaffen um die Massen damit einzulullen und ihnen Märchen ins Ohr zu flüstern. „Was tust du hier?“

Michael nahm all seinen Mut zusammen. „Das Spiel ist aus, du hast verloren. Ich hab deine Maschine zerstört. Den Engelsbrecher, dein Labor, einfach alles.“

Einige Augenblicke lang musterte Belial ihn schweigend, bevor er schlussendlich ein amüsiertes Schnauben von sich gab.

„Ich kann mich nicht entscheiden. Soll ich dir zu dieser infamen Lüge gratulieren oder dir für deine Unverschämtheit einfach den Kopf abschlagen lassen. Zufälligerweise weiß ich nämlich genau, dass sich ein Engel in diesen Hallen befindet. Wenn ich raten müsste, würde ich vermuten, dass du der Mensch bist, der ihn bei sich aufgenommen hat.“

Michaels Gedanken überschlugen sich förmlich, während er über seinen nächsten Schritt nachdachte. Belial hatte inzwischen das Ende der Treppe erreicht, aber wenn er dort blieb, würden die anderen nicht ungesehen an ihm vorbei kommen. Er musste ihn noch weiter provozieren.

„Genau der bin ich“, verkündete er daher und versuchte, dabei möglichst gelassen zu wirken. „Wenn du ihn haben willst, musst du zuerst an mir vorbei. Also … warum zeigst du mir nicht, was du draufhast? Nur wir beide. Mann gegen Mann.“

Belials Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln.

„Du hast Mut, Mensch. Es wäre wirklich eine Verschwendung, jemanden wie dich einfach so umzubringen. Ich könnte mir vorstellen, dass ich an anderer Stelle weit bessere Verwendung für dich hätte.“

Michael sah den Blick des Dämons über seinen Körper gleiten. Die Musterung war so intensiv, dass er fast meinte, sie körperlich spüren zu können. Das Gefühl verursachte ihm eine Gänsehaut.

Das Lächeln seines Gegenübers wurde anzüglich.

„Ja, ich denke, wir wären in der Lage eine Position zu finden, die deinen Fähigkeiten angemessen ist.“

Michael brauchte einen Augenblick, um die Doppeldeutigkeit dieser Aussage zu begreifen.

„Nein danke, kein Interesse“, entfuhr es ihm, bevor er darüber nachgedacht hatte.

„Ach nein? Wie schade. Ich mag Menschen. Einige von ihnen geben eine wirklich amüsante Gesellschaft ab.“

Michael schnaubte verächtlich. „Oh ja, du bist ein ganz großer Menschenfreund. Fragt sich nur, warum du uns dann alle aus dem Weg räumen willst.“

Der Dämon blinzelte überrascht. „Aus dem Weg räumen? Wovon sprichst du?“

„Na deine Zuchtstation, diese Halbdämonen. Das alles dient doch dazu, die Menschen durch deine Kreaturen zu ersetzen. Um eine Armee zu errichten, die den Himmel erstürmen kann.“

Belials Kehle entkam ein Lachen. „Wer hat dir denn diesen Unsinn erzählt? Eine Armee? Sehe ich etwa aus wie ein Feldheer? Nein. Ich bevorzuge eine subtilere Vorgehensweise. Der einzige Zweck meiner Kreaturen ist es, die Engel zu jagen. Euch Menschen soll dabei kein Haar gekrümmt werden. Im Gegenteil. Ihr sollt endlich wahre Freiheit erlangen. Die Freiheit zu tun, was immer ihr wollt. All eure Wünsche, eure Begierden, sie wären so leicht zu stillen, wenn wir nur endlich diese dummen Regeln abschaffen würden, um deren Aufrechterhaltung sich diese gefiederten Bastarde kümmern. Nur zu diesem Zweck habe ich vor, meine Krieger in die Welt zu entlassen.“

„Aber …“ Michael wusste nicht, was er darauf sagen sollte.

Belial unterbrach ihn mit einem Lächeln.

„Ich verstehe schon. Du hast Angst um deinen kleinen Freund, nicht wahr? Aber wir müssen doch deswegen nicht streiten. Wenn es deine Entscheidung leichter macht, können wir sicherlich einen Handel ausmachen. Ich könnte den Engel, an dem dir so viel liegt, verschonen. Bestimmt findet sich ein anderer, den ich für meine Zwecke nutzen kann.“

„Das könnte allerdings schwierig werden.“

Michael und der Dämon zuckten zusammen. Beinahe gleichzeitig wirbelten sie zu der schmalen Gestalt herum, die ein wenig schwankend zwischen ihnen stand.

Angelo lächelte leicht.

„Hallo Belial.“

„Du?“, keuchte der Dämon und sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Hasses.

„Natürlich. Ich hätte es wissen müssen, dass …“

Er stockte und nahm Angelo genauer in Augenschein. Auch Michael sah die feinen Schweißperlen auf dessen Stirn, die dunklen Ringe unter seinen Augen, das leichte Zittern, das bei jedem Atemzug durch seinen Körper lief. Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch stehen konnte.

„Du bist … kein Engel“, murmelte Belial misstrauisch. „Und doch … du musst es sein. Allein die Narben auf deiner Brust. Ich kenne nur einen, der dieses spezielle Zeichen trägt. Eine Erinnerung an die Schlacht. Weißt du noch, wie er deinen Namen geflüstert hat, bevor er fiel? Er hat dich geliebt. Wir alle haben das. Und doch hast du uns verraten.“

Angelo war nicht anzusehen, ob er wusste, wovon Belial sprach.

„Du musst das hier beenden“, sagte er. „Gib auf und stell dich. Vielleicht können wir es so noch aufhalten.“

„Aufhalten? Was denn aufhalten?“

„Armageddon.“

„Wie bitte?“ Zum ersten Mal konnte Michael wirklich Verblüffung auf Belials Gesicht erkennen. Er machte sich nicht einmal die Mühe, sie hinter einem nichtssagenden Lächeln zu verbergen. „Was soll das heißen?“

„Das was ich vorhin schon sagte. Du wirst keinen anderen Engel mehr finden. Sie sind alle fort. Zurückgerufen, um sich für die letzte Schlacht zu sammeln. Es kann jeden Moment beginnen.“

„Aber …“ Belial sah zu Boden und Angelo wartet ab, während Michaels sich nach Gabriella und Crystal umsah. Die beiden versteckten sich in der Nähe des Treppenaufgangs hinter einer umgefallenen Säule. Unter ihnen rumorte es, als abermals Explosionen das Erdinnere erschütterten.
 

„Du lügst“, verkündete Belial plötzlich. Er hob den Kopf und seine Augen sprühten dunkles Feuer. „Das ist ein billiger Trick, um mich zu übertölpeln. Wenn das die Wahrheit wäre, würdest du jetzt dort oben die Truppen befehligen und nicht hier unten herumkriechen, kaum ein Schatten deiner selbst, als hättest du nie göttliche Kräfte besessen. Als wärst du nicht mehr als ein gewöhnlicher Sterblicher. Das …“

Er stockte, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. Seine Augen weiteten sich.

„Das ist es, nicht wahr? Du bist ihretwegen hier? Du willst sie retten. Und das sogar gegen Seinen Willen. Deswegen diese Scharade. Weil du Angst um deine kleinen Freunde hast. Hast du wirklich so einen Narren an ihnen gefressen, dass du sogar bereit bist, dich selbst aufzugeben, nur um sie zu retten?“

Er knurrte und der Laut ließ einen Schauer Michaels Rücken hinablaufen.

„Ja, natürlich würdest du das. Du hast sie ja schon immer gemocht. Hast wieder und wieder für sie eingestanden und dich mit ihnen sogar gegen deine eigenen Brüder verbündet. Erinnerst du dich an die Geschichte in Sodom? Einen einzigen von ihnen hast du dem Sumpf der Verderbtheit entreißen können und selbst der hat sich versündigt, kaum dass du ihm den Rücken zugedreht hattest. Oder nimm diesen Salomon. Welche Macht hast du ihm in die Hände gelegt, indem du ihm diesen elenden Ring gabst. Und doch konnte er am Ende seine menschlichen Schwächen nicht überwinden. Aber anstatt irgendwann mal zu kapieren, dass sie nicht die niedlichen Schoßhündchen sind, für die du sie hältst, kommst du wieder und wieder auf die Erde, um ihnen beizustehen. Du bist so naiv.“

Michael sah zu Angelo hinüber. Dessen Blick hatte angefangen zu flackern.

„Wovon spricht er, Angelo?“

Belial lachte nur. „Angelo? So nennst du dich jetzt?“

„Es ist der Name, den Michael mir gegeben hat.“ Angelos Stimme war nur noch ein Flüstern.

Belials Augenbrauen hoben sich ein Stück, als sein Blick zu Michael huschte. „Das ist interessant. Hattest du das geplant oder ist dir das zufällig in den Sinn gekommen? Was für eine Farce. Du hast alles aufgegeben und wofür? Dafür, dass du mit deinen teuren Menschen zusammen untergehen wirst. Ist dir das eigentlich klar?“

„Aber … wenn ich dich aufhalte, dann wird es vorbei sein. Dann wird Er nicht …“

„Wird Er nicht?“ Belial lachte bitter auf. „Das glaubst du? Nach allem, was wir bisher von ihm erlebt haben, würde ich nicht davon ausgehen, dass er seinen Plan jetzt noch einmal ändert. Er ist ein alter, sturer, nachtragender Esel. Oh, und ich weiß, warum er jetzt schon den Weltuntergang angesetzt hat, obwohl es noch gar nicht an der Zeit ist. Weil er nicht verlieren kann. Ja, mein Lieber, Gott mogelt. Er hat gemerkt, dass wir dabei waren aufzuholen. Doch anstatt die Partie zu Ende zu spielen, fegt er jetzt einfach die Figuren vom Brett und erklärt sich selbst zum Sieger. Und du hast das auch erkannt. Deswegen bist du nämlich hier. Ich weiß genau, was passiert ist. Du hast endlich eingesehen, dass unser liebender Vater nicht mehr als ein selbstgerechtes Arschloch ist und hast dich von ihm abgewandt.“

Er seufzte.

„Wenn ich das nur früher gewusst hätte. Ich hätte dich doch gebührend in Empfang genommen, dich gehegt und gepflegt. Du hättest es gut hier gehabt. Wir müssen doch keine Feinde sein. Immerhin stehen wir auf derselben Seite. Auf der Seite der Gefallenen. Oder glaubst du etwa, er nimmt dich wieder zurück. Nach all dem, was du getan hast? Du hast dich versündigt, Angelo. Ich sehe es genau. Hochmut, Jähzorn, Neid, Völlerei und insbesondere die Wollust. Ich kann sie alle an dir sehen. Und jetzt gerade gibst du dich der Sünde der Trägheit hin, indem du zauderst und herumstehst, statt dich endlich für das einzig Richtige zu entscheiden. Schließ dich mir an und wir werden als Sieger aus dieser ganzen Sache hervorgehen.“

„Wie?“, flüsterte Angelo.

Michael fuhr herum. „Was? Nein! Du darfst ihm nicht zuhören. Er lügt. Das kann alles nicht stimmen.“

Angelos sah ihn an und in seinen sonst so strahlend blauen Augen lag eine tiefe Traurigkeit.

„Ich fürchte doch. Ich kann es spüren. All das, was er gesagt hat, ist die Wahrheit.“

„Aber dann … dann wird die Erde untergehen?“

Angelo hob die Schultern. „Ich weiß nicht. Es ist möglich, dass … dass ich mich geirrt habe. Vielleicht sollten wir doch …“
 

In diesem Moment öffnete sich die Tür, die in das obere Geschoss führte. Eine kleine Gestalt drängte sich hindurch und schoss auf vier Pfoten die Stufen der großen Treppe hinab. Kaum, dass der Hund unten angekommen war, verwandelte er sich zurück.

„Herr!“ Alejandro schnappte nach Luft. Seine schmale Brust hob und senkte sich und er schien kurz davor zusammenzubrechen. „Herr, ihr müsst vorsichtig sein. Der Engel, er wird …“

Angelo, ist unser Gast. Du wirst dich entsprechend verhalten.“

„Herr?“ Unsicherheit kroch auf Alejandros Gesicht. Er sah von einem zum anderen.

„Ich sagte, Angelo ist unser Gast. Er hätte es viel früher sein können, wenn du nichtsnutziger Schwachkopf die dir übertragene Aufgabe besser erledigt hättest. Du solltest ihn finden und hierher bringen, aber hast du das getan? Nein. Stattdessen …“

„Doch, das habe ich.“ Alejandro richtete sich auf und in seiner Haltung lag fast so etwas wie Stolz. „Ich habe Euch den Engel gebracht, wie Ihr es verlangt habt. Ja, es hat lange gedauert und ich mag zwischendurch vom Weg abgekommen sein, aber …“

„Schweig!“ Das Wort rollte wie ein Gewitterschlag durch die Halle und übertönte selbst das dunkle Grollen, das in diesem Moment durch die Grundfesten des Gebäudes lief. Schmutz und kleine Steine rieselten von der Decke der Halle herab und trübten Michaels Sicht. Trotzdem konnte er die Abscheu, mit der Belial seinen Untergebenen musterte, deutlich erkennen.

„Aber Herr …“ Alejandro war zusammengezuckt, wich jedoch keinen Millimeter zurück. Seine Augen waren weit aufgerissen. „Bitte, seid vorsichtig. Der Engel ist gefährlich. Ich habe gesehen, wie er den Engelsbrecher in Flammen aufgehen ließ.“

„Ach, hast du das?“ Belials Stimme hatte einen lauernden Unterton angenommen. „Aber wie kann es sein, dass du dann noch hier stehst? Hättest du dich ihm nicht mit Leib und Leben entgegenwerfen müssen, um das zu verhindern? Oder mich wenigstens so schnell wie möglich informieren? Außerdem frage ich mich schon die ganze Zeit, wie er überhaupt dorthin gelangen konnte. Selbst mit diesem kleinen Trick, mit dem er sich in einen Menschen verwandelt, hätte er trotzdem Hilfe gebraucht, um die Hindernisse und Fallen zu umgehen, die ich auf dem Weg hierher aufgestellt habe. Wie also konnte er ungehindert bis in das Allerheiligste gelangen, ohne dass ihn jemand aufgehalten hat?“

„Nun, ich …“ Alejandro wand sich unter dem vernichtenden Blick seines Herrn und Meisters, der jetzt einen Schritt auf ihn zumachte.

„Ich hatte … Ich wollte doch nur … Er hat mir versprochen, dass er … dass Ihr …“

„Er hat dir … versprochen? Willst du damit sagen, dass du mich hintergangen hast? Dass du einen Handel mit dem Feind eingegangen bist?“

„Ja, aber doch nur um Euch zu retten, Herr. Er hat gesagt …“

„Mich retten?“ Belial stieß ein abfälliges Geräusch aus. „Sehe ich so aus, als wenn ich vor etwas anderem gerettet werden müsste als vor der Dummheit meiner Untergebenen? Du hast alles vernichtet, was ich aufgebaut habe. Alles! Ist dir das eigentlich klar?“

Alejandros Augen begannen verdächtig zu glitzern. Er zitterte. „Aber ich … ich wollte … ich dachte …“

„Ich, ich, ich“, äffte Belial den winselnden Tonfall nach. „Alles, was ich von dir zu hören bekomme, sind Ausflüchte und Entschuldigungen. Aber weißt du was? Ich habe genug von dir. Geh mir aus den Augen und komm nie wieder zurück.“

„Aber Herr!“ Alejandro sah aus, als wäre er geschlagen worden. „Ihr könnt mich nicht fortschicken. Bitte! Ich war Euch immer treu ergeben.“

„Ja, das warst du. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem du einen Engel in meinem Zuhause hast herumwüten lassen. So einen Diener kann ich nicht brauchen. Verschwinde!“

„Nein, Herr. Bitte! Ich flehe Euch an.“

Die Tränen, die schon so lange in Alejandros Augen gelauert hatten, rannen ihm jetzt über das Gesicht. Blind gegenüber Belials Wut wagte er sich noch weiter vor, streckte die Arme aus und wollte seinen Meister berühren, doch der war schneller. Mit einer Hand holte er aus und verpasste dem schmalen Mexikaner eine Schelle, die ihn mehrere Meter durch die Luft schleuderte. Michael wollte auffahren und auch Angelo gab einen warnenden Laut von sich, aber Belial beachtete sie nicht. Mit drei gewaltigen Schritten war er heran und klaubte seinen Diener vom Boden auf, als wäre er lediglich eine übergroße Stoffpuppe.

„Ich habe dich erschaffen“, donnerte er, „Ich habe dich genährt und aufgezogen und du dankst es mir, indem du mich verrätst?“

„Halte ein!“ Angelos Stimme zitterte, als er sich bemühte, den tobenden Dämon sowie das immer lauter werdende Grollen, das unter der Erde wütete, zu übertönen. „Er hat dir nichts getan. Im Gegenteil. Er ist deine Rettung.“

„Meine was?“ Belial wandte den Kopf und Michael erschauerte. Für einen Augenblick meinte er unter dem engelhaften Gesicht etwas anderes, sehr viel Bösartigeres erkennen zu können.

„Sieh genau hin“, sagte Angelo und in seiner Bitte lag so viel Schmerz, dass es Michael fast das Herz abdrückte. „Erkennst du es nicht? Erkennst du nicht, was du geschaffen hast?“

Die kalten Augen des Dämons legten sich auf Alejandros zerstörte Gestalt.

Blut lief aus einer Schürfwunde auf seiner Stirn und aus seinem Mund. Er hatte einen weiteren Zahn verloren, ein Arm schien gebrochen und auch sein rechter Fuß stand in einem Winkel ab, der Michael unwillkürlich das Gesicht verziehen ließ. Trotzdem versuchte Alejandro den Kopf zu heben, um Belial anzusehen.

„Herr“, flüsterte er, „es tut mir so leid.“

„Kannst du es nicht sehen?“, wiederholte Angelo. Er schien am Ende seiner Kräfte. Als er einen weiteren Schritt in Belials Richtung machte, strauchelte er und brach in die Knie.

Michael ließ alle Vorsicht fahren und sprang ihm bei. Gerade noch rechtzeitig griff er ihm unter die Arme.

„Du musst …“

Angelo ließ ihn nicht ausreden.

„Nein“, krächzte er. „Halte ihn auf. Er darf nicht …“

Belial stand immer noch da, den halb bewusstlosen Alejandro in die Luft gehoben, als würde er nicht das Geringste wiegen.

„Was plappert ihr da herum. Sag endlich, was du zu sagen hast. Was ist mit diesem wertlosen Haufen Dreck, dass du dich so für ihn einsetzt?“

Angelo schüttelte leicht den Kopf. „Du kannst es tatsächlich nicht sehen, nicht wahr? Du bist so blind, dass du die Liebe nicht einmal mehr erkennen kannst, selbst wenn sie direkt vor dir steht.“

„Liebe?“, höhnte Belial und hob Alejandro noch ein Stück höher. „Du musst dir deinen Kopf stärker gestoßen haben, als ich dachte. Er ist ein Dämon. Ein Dämon kann nicht lieben.“

„Und doch tut er es. Er ist wahrscheinlich das einzige Wesen auf dieser Welt, dass dich je aus tiefstem Herzen lieben wird. Denn das ist es, was ihn so besonders macht. Er ist keine reine Kreatur der Finsternis, sondern verfügt ebenso wie alle Menschen über einen freien Willen. Und er liebt dich.“

Für einen Moment schwieg Belial. Es schien, als hätten Angelos Worte ihn tief beeindruckt. Michael wollte gerade aufatmen, als Belials Mundwinkel zu zucken begannen. Erst nur ein wenig, doch dann brach mit einem Mal ein ohrenbetäubendes Gelächter aus ihm heraus.

„Er liebt mich?“, japste er. „So ein Unsinn. Er ist dazu gar nicht fähig und selbst wenn. Soll ich dir zeigen, wie sehr mich das interessiert?“

Er grinste noch einmal, packte dann unvermittelt mit beiden Händen zu und vollführte eine schnelle Drehung. Alejandros Genick brach mit einem ekelerregenden Knacken. Im nächsten Augenblick ließ Belial ihn fallen. Als der leblose Körper auf dem Boden aufschlug, hörte Michael Gabriella aufschreien.

Der Dämon hingegen blieb vollkommen ungerührt. Er lächelte immer noch, während sein Blick unverwandt auf Angelo lag.

„Siehst du? So viel halte ich von deiner sogenannten Liebe. Sie ist eine dumme Erfindung der Menschen, die es nicht ertragen haben, dass sie aus dem Paradies geworfen worden sind. Ein billiger Abklatsch dessen, was wahre Vollkommenheit bedeutet. Alles, was geringer ist als das, ist wertlos.“

Michael spürte den Ruck, der durch Angelos Körper lief. Es war, als habe man im Inneren einen Schalter umgelegt. Äußerlich blieb Angelo vollkommen ruhig, doch Michael konnte fühlen, wie die schmale Gestalt unter seinen Händen erbebte.

„Du hast ihn umgebracht.“

Angelos Flüstern war wie ein Windhauch, der durch die Baumkronen fuhr, kurz bevor ein Sturm losbrach. Seine Finger klammerten sich um Michaels Hand, während er sich Stück für Stück nach oben kämpfte. Als er den Kopf hob, war da etwas in seinem Blick, das Michael frösteln ließ.

„Du hast ein Wesen, das dich geliebt und dir vertraut hat, einfach kaltblütig ermordet. Nicht etwa, weil es dir etwas zuleide getan hat, sondern weil es dir egal war.“

Belial gab sich unbeeindruckt. „Ja und? Was kümmert es dich? War er nicht ohnehin eine Sünde gegen die Natur? Du solltest froh sein, dass er dich nicht mehr mit seiner Anwesenheit belästigt.“

Ein trauriges Lächeln legte sich auf Angelos Gesicht.

„Ja, aber du solltest trauern. Um das einzige Geschöpf, dass in der Lage gewesen wäre, dich zu retten. Denn jetzt, da er tot ist, erlischt mein Versprechen ihm gegenüber und ich habe keinen Grund mehr, dein Leben zu verschonen.“

„Mein Leben?“ Belial lachte auf. „Das ist lächerlich. Du kannst ja kaum stehen.“

„Das ist richtig. Vielleicht gibst du mir einen Moment, um mich zu sammeln und mich zu verabschieden? Um der alten Zeiten willen?“

Belial nickte knapp.

„Ich danke dir.“
 

Mit diesen Worten drehte Angelo sich zu Michael um. Kristallblaue Augen blickten ihn an und plötzlich hatte Michael das Gefühl, dass die Zeit stehenblieb, nur um dann mit irrwitziger Geschwindigkeit rückwärts zu laufen zu dem Punkt, an dem alles angefangen hatte. Auf einmal war er wieder in diesem Hinterhof, in dem Angelo ihn zum ersten Mal angesehen hatte, als würde er bis auf den Grund seiner Seele hinab blicken. Er wagte kaum zu atmen.

„Michael.“ Angelos Stimme war so leise, das er ihn kaum verstand. „Ich fürchte, ich muss dich noch einmal um Hilfe bitten. Einen letzten Gefallen, bevor …“

„Einen letzten Gefallen? Aber was …?“

„Sch, lass mich ausreden. Belial hat recht, wenn er sagt, dass ich nicht gegen ihn kämpfen kann. Aber du kannst es. Du kannst ihn besiegen, wenn ich dir helfe.“

Michael glaubte sich verhört zu haben. „Aber wie soll ich das anstellen? Er ist ein Dämon, Angelo. Ein mächtiger noch dazu. Er ist mir körperlich haushoch überlegen. Du hast gesehen, was er mit Alejandro gemacht hat. Mich zu töten wird ihn kaum mehr Mühe kosten.“

„Und doch bist du es, auf den es ankommt. Erinnerst du dich, dass ich dir sagte, dass ich mit einem Auftrag hierher gekommen bin? Meine Anweisung lautete ganz klar 'Finde Michael'. Das war das Einzige, an das ich mich noch erinnern konnte, als ich auf der Erde zu mir kam. Der Gedanke dich zu finden hat mich aufrecht erhalten, selbst als die Lage hoffnungslos schien. Er hat mich alles ertragen und erdulden lassen. Weil ich wusste, dass alles gut enden wird, solange wir beide zusammen sind.“

Michael lächelte, obwohl da ein Kloß in seinem Hals saß, der einfach nicht weggehen wollte. Hinter Angelos Worten lauerte eine Wahrheit, die seine Kehle eng werden ließ. Er schluckte.

„Das klingt furchtbar kitschig.“

Angelos Mundwinkel hoben sich ein Stück weit.

„Das stimmt wohl. Und ich fürchte, es wird noch kitschiger, denn um Belial zu besiegen, müssen wir beide eins werden.“

„Eins werden? Wie meinst du das?“

Angelo sah an sich herab. „Ich werde diesen Körper aufgeben und alles, was darin an Energie enthalten ist, auf dich übertragen. Nur so wirst du eine Chance haben, ihn zu bezwingen.“

„Aber, dann wirst du …“

„Ja. Angelo wird aufhören zu existieren. Aber er ist es nicht, auf den es ankommt. Michael ist derjenige, der sich Belial in den Weg stellen muss, um die Wahrheit über die Lüge siegen zu lassen. Obwohl …“

„Ja?“ Michael hielt gebannt den Atem an.

„Ich kann dich nicht zwingen. Nur, wenn du dieser Vereinigung wirklich zustimmst, wird sie funktionieren.“

Michael versuchte, das Stechen in seinen Augen zu ignorieren.

„Ich will nicht, dass du gehst. Gibt es denn keinen anderen Weg? Vielleicht können wir Belial doch überreden. Ihn irgendwie überlisten, damit er …“

Dass er Unsinn redete, wusste Michael in dem Augenblick, als Angelo ihn ansah. Ein melancholisches Lächeln begleitete seinen Blick.

„Ein Kampf ist unausweichlich. Ich wünschte, ich könnte mich Belial selbst entgegenstellen, aber ich fürchte, ich hätte keine Chance. Nur du wirst ihn aufhalten können. Mit meiner Hilfe.“

Michael fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Das war alles so irre.

„Jetzt sagst du bestimmt gleich so was wie 'ich werde immer bei dir sein' und diese ganze Scheiße, die man halt so sagt, damit es sich nicht nach einem Abschied anfühlt, obwohl es verdammt nochmal einer ist.“

Angelo hob die Hand und strich sanft über seine Wange.

„Würde das helfen?“, fragte er.

Michael wusste keine Antwort darauf.

„Also eins sage ich dir“, knurrte er stattdessen und versuchte, sich ein bisschen an der aufkommenden Wut festzuhalten. „Wer immer für diesen bescheuerten Plan verantwortlich ist, sollte sich besser warm anziehen, wenn ich ihn erwische. Er hat dich in den Tod geschickt.“

Angelos Lächeln wurde freundlicher. „Ich glaube, er war ziemlich verzweifelt.“

„Woher weißt du das?“

„Ich habe inzwischen so eine Ahnung, wer es war.“

„Und wer?“

Angelo schüttelte den Kopf. „Das kann ich dir nicht sagen. Wenn alles gut geht, wirst du es selbst herausfinden.“

Michael atmete tief durch. Wie es aussah, gab es keinerlei Möglichkeit, Angelo zu retten.

„Also schön“, sagte er langsam. „Ich mache es. Wir machen es. Aber wenn das nicht klappt, dann finde ich dich irgendwo in deiner komischen Ewigkeit und versohle dir ganz gewaltig den Hintern.“

Angelos Mundwinkel zuckten und auch Michael musste lächeln.

„Na komm her, du verrückter Engel. Lass mich dich wenigstens noch einmal umarmen, bevor ich dich nie mehr wiedersehe.“

Er presste Angelo so stark an sich, dass er glaubte, dessen Rippen knacken zu hören. Gleichzeitig fanden sich ihre Lippen zu einem Kuss, indem so viel mehr lag als nur ein Abschied. Es war ein Dankeschön, ein Versprechen, eine Entschuldigung und noch viel mehr, für das Michael keine Worte fand.

„Ich werde dich vermissen“, flüsterte er, als der Kuss irgendwann endete.

„Und ich werde immer bei dir sein.“
 

Im nächsten Augenblick war Angelo verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. Michael starrte auf die Stelle, an der er gerade noch gestanden hatte, aber der Platz war und blieb leer. Für einen Moment wollte Verzweiflung ihn übermannen, als sich plötzlich ein fremdes Bewusstsein wie Balsam über seine Seele legte. Es hinterließ eine tröstliche Wärme, die auch nicht verging, als das Gefühl langsam abebbte. Michael begann zu lächeln.
 

„Wo ist er hin?“ Belials Stimme riss ihn aus seiner friedlichen Stimmung. Der Dämon schäumte vor Wut.

„Wo ist er?“, brüllte er erneut.

„Wer?“

„Du weißt genau, von wem ich rede. Du …“ Belial stockte und musterte ihn misstrauisch. „Was ist hier los? Was hast du getan?“

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“

Etwas berührte Michaels Fingern. Es fühlte sich an, als würde ihm jemand etwas dazwischen schieben. Als ihm klar wurde, was es war, wurde sein Lächeln breiter.

„Wage es nicht, mich zu verhöhnen“, grollte Belial. „Das könnte dir schlecht bekommen.“

Michael machte ein abfälliges Geräusch. „Willst du nur reden oder lässt du auch Taten folgen?“

Der Dämon nickte langsam. „Nun gut. Du hast es nicht anders gewollt.“

Mit einem Fingerschnippen von ihm stürmte von irgendwo her ein ganzer Trupp schwarzer, gehörnter Gestalten. Sie nahmen hinter Belial Aufstellung, auf dessen Gesicht ein überhebliches Lächeln lag.

„Dann wollen wir doch mal sehen, wie viel dein Mut wirklich zählt, Michael.“

„Ich kann es kaum erwarten“, erwiderte er und ging leicht in die Knie, um sich auf den ersten Angriff vorzubereiten.
 


 

„Heilige … Michael!“ Gabriella wollte aufspringen, aber Crystal hielt sie im letzten Moment zurück und zog sie kurzerhand zurück in ihr Versteck.

„Glaub mir, Schwester, da willst du dich jetzt nicht einmischen. Zu viel Testosteron, zu viele Muskeln und viel zu wenig Hirn.“

Gabriella versuchte sich loszumachen. „Aber ich muss ihm helfen.“

Der Sukkubus schnaubte nur. „Und wie? Indem du dich ausziehst und nackt für sie tanzt? Also nicht, dass ich nicht schon Situationen erlebt hätte, in denen das tatsächlich funktioniert hat. Du glaubst ja nicht, wie viele Diskussionen man einfach so abkürzen kann, indem man sein Oberteil auszieht. Aber diese Viecher da sind einfach zu dumm, um mit den Reizen einer Frau irgendwas anfangen zu können. Da zählt nur rohe Gewalt und die kann dein Kerl eher aufbringen als du.“

Gabriella sah zu Michael hinüber, der gerade dem Angriff eines der gehörnten Riesen auswich. Er entging nur haarscharf dem Hieb der riesigen Axt, rollte sich ab und stand gleich darauf wieder auf den Füßen. Allerdings schien es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis ihnen einer der finsteren Streiter erwischte.

„Aber … er hat keine Chance gegen diese Biester. Es sind einfach zu viele. Und wo ist überhaupt Angelo? Gerade war er doch noch da.“

Crystal zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid, das kann ich dir nicht sagen. Engelsmagie ist nicht mein Spezialgebiet. Keine Ahnung, ob die Kerle unsichtbar werden können oder grün anlaufen, wenn man sie in warmes Wasser hält. Aber ich kenne jemanden, der das vielleicht weiß.“

„Marcus?“

„Exakt der.“

Gabriella sah zu der Treppe, die jetzt frei und unbewacht vor ihnen lag. Die Gelegenheit war günstig und vermutlich sollten sie die Zeit nutzen, die Michael ihnen verschaffte. Aber die Entscheidung, ihn wirklich hier zurückzulassen, fiel ihr unglaublich schwer.

„Na komm“, drängte Crystal, „wir müssen los. Marcus wartet sicherlich schon auf uns.“

Gabriella zögerte immer noch. „Würdest du ihn zurücklassen, wenn er an Michaels Stelle wäre?“

Der Sukkubus legte die Stirn in Falten. „Wahrscheinlich wäre ich nicht begeistert. Aber wenn ich wüsste, dass ich ihm eh nicht helfen kann und er gerade sein Leben riskiert, um mich zu retten, würde ich ihn vermutlich machen lassen und mich hinterher an einen sehr klugen Rat halten, den ich mal im Fernsehen gehört habe.“

„Der da lautet?“

Du bist eine Frau, du kannst es ihm jederzeit wieder vorhalten.

Gabriella glaubte, sich verhört zu haben. „Von wem stammt denn diese Weisheit? Hillary Clinton?“

„Wenn ich mich richtig erinnere, war ihr Name Marge Simpson. Ich mochte ihre Haare.“

Für einen Moment überlegte Gabriella, ob Crystal sie veralbern wollte, aber der Sukkubus schien das vollkommen ernst zu meinen. Noch einmal sah sie zu Michael, der gerade mit gleich zwei der schwarzen Ungetüme rang. Für einen Moment sah es aus, als wenn sie ihn überwältigen würden, doch dann schaffte er es, sich aus dem Griff des einen zu befreien und ihn gegen seine Kameraden zu schleudern. Kaum lagen die beiden am Boden, war bereits der nächste Gegner heran.

'Vertrau mir', hatte Angelo zu ihr gesagt, bevor er sich von ihr losgemacht hatte und langsam auf die beiden Kontrahenten zugewankt war. 'Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um ihn zu dir zurückzubringen.'

Sie dachte an das Bild des Engels, das früher über ihrem Bett gehangen hatte. Vielleicht … vielleicht war es an der Zeit, wieder an Wunder zu glauben. Denn nur ein Wunder würde ihnen jetzt noch helfen.

„Gut“, sagte sie und wandte sich entschieden ab. „Gehen wir und finden Marcus. Vielleicht hat der ja ein bisschen mehr Grips im Kopf als diese Idioten, die diese Körperteile anscheinend nur besitzen, damit sie sie sich gegenseitig einschlagen können.“

„Die Einstellung mag ich.“
 

Ohne die Kämpfer noch eines weiteren Blickes zu würdigen, eilten sie die Treppe hinauf und schlüpften durch die Tür in den oberen Teil des Hauses. Hier hatte das Erdbeben ungleich größeren Schaden angerichtet. Möbel waren umgestürzt, Bilder von den Wänden gefallen. Risse zierten überall den einst so makellosen Marmor. Ein Teil der Galerie war eingestürzt und hatte die Hälfte der Halle unter sich begraben. Eine in Tränen aufgelöste Frau zerrte an einem Arm, der unter einem der Trümmerstücke hervorragte. Gabriella stockte der Atem, als sie sah, dass die Frau mit einer Kette an genau diesem Arm festgemacht war. Sie wollte gerade hinzueilen, als eine keifende Stimme das Wehgeschrei unterbrach.

„Sei endlich still, du blöde Kuh!“

Im nächsten Moment sackte die weinende Frau leblos in sich zusammen. In ihrer Stirn steckte ein nadelspitzer, schwarzer Dolch. Eine Gestalt kletterte über die Trümmer, griff nach der Waffe und zog sie rücksichtslos aus der Leiche. Als sie sich aufrichtete, erkannte Gabriella die rothaarige Frau wieder, auch wenn diese inzwischen Hufe, Hörner und einen Schhwanz hatte.

„Ist das etwa …?“, flüsterte sie und Crystal nickte.

„Das ist die echte Delilah. Und irgendwie scheint sie nicht gerade bester Laune zu sein.“

Der andere Sukkubus, dessen knappes Outfit in Fetzen hing, entdeckte sie und ihre Augen wurden zu wütenden Schlitzen. Es hätte Gabriela nicht gewundert, wenn sich ihre Frisur, die ohnehin nicht mehr die ordentlichste war, wie bei einer Katze in alle Richtungen gesträubt hätte.

Du!“, fauchte sie und meinte damit ohne Zweifel Crystal. „Du hast mich betrogen.“

Der Sukkubus an Gabriellas Seite hob gleichgültig die Schultern. „Ja sorry, dass ich unsere Verabredung nicht einhalten konnte. Mir ist da ein hübscher Kerl dazwischen gekommen. Du weißt, dass ich da einfach nicht widerstehen kann.“

„Du hast unseren Meister hintergangen.“

„Ach, jetzt hör schon auf. Der Typ ist ein Arschloch. Wenn du ehrlich bist, weinst du dem doch keine Träne nach.“

Delilah antwortete nicht mehr darauf. Ein Beben erfasste die Halle und riss Gabriella beinahe von den Füßen. Eilig klammerte sie sich an das nahe Treppengeländer, während um sie herum die Welt aus den Fugen geriet. Mit Getöse brach ein Teil des Daches ein. Die donnernde Last aus Steinen und Ziegeln stürzte herab und begrub den fremden Sukkubus unter sich. Gabriella schrie und hörte auch Crystal etwas rufen, das jedoch im Lärm des Erdbebens unterging.

Die Erschütterungen ebbten ab und Gabriella hätte beinahe noch einmal aufgeschrien, als plötzlich eine finstere Gestalt neben ihr stand und die Hand nach ihr ausstreckte. Ein fieser Gestank ging von dem Wesen aus und es fragte besorgt:

„Geht es dir gut? Bist du verletzt?“

Gabriella blinzelte überrascht.

„Marcus?“, fragte sie und das stinkende Etwas gab einen knurrenden Laut der Zustimmung von sich. „Was von mir übrig ist. Wo sind die anderen?“

„Ich bin hier, Schnuckiputzi. Hast du dir etwa Sorgen gemacht?“

Crystal stand am Fuß der Treppe und grinste zu ihnen herauf. Für einen Moment glaubte Gabriella ein Lächeln über Marcus verschmiertes und staubbedecktes Gesicht huschen zu sehen, bevor er sich wieder in die steinerne Miene rettete, die Gabriella schon von ihm kannte. Sie musste unwillkürlich ein wenig schmunzeln.

„Also“, verkündete Crystal, während sie sich in der jetzt fast völlig zerstörten Halle umsah, „da wir jetzt ja alle verlorenen Schäfchen wieder beisammen haben, habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute ist, dass wir Delilah los sind. Die hätte es bestimmt noch fertiggebracht, mich zu einem Vick'o-Gar herauszufordern.“

„Einem was?“, fragte Marcus nach.

„Einem Sukkubus- Duell. Dabei befummeln wir uns gegenseitig und wer als erstes kommt, hat verloren. Wenn du Interesse hast, kann ich dich mal zu einem mitnehmen. Ist so ne Art Sport bei uns.“

„Äh, ja, danke, ich überleg’s mir“, murmelte Marcus und räusperte sich. „Und was ist die schlechte Nachricht?“

„Dass der Weg nach unten versperrt ist. Ich wollte euch eigentlich zur Beschwörungshalle bringen. In dem Chaos hätte ich euch da bestimmt irgendwie rausschmuggeln können. Aber der einzige Weg, der jetzt noch dorthin führt, geht direkt unter Belials Nase entlang. Das heißt, entweder wagen wir uns jetzt zurück in die Höhle des Löwen …“ Ihr Blick glitt zur Vordertür, die inzwischen nur noch schief in den Angeln hing. „Oder wir versuchen es da draußen. Hier können wir auf jeden Fall nicht bleiben. Was immer Angelo da in den Tiefen geweckt hat, es ist definitiv nicht gut drauf.“

Wie um ihre Argumentation zu unterstützen, grollte die Erde erneut und Gabriella hatte das Gefühl, dass zwischen den Geräuschen auch etwas anderes, weitaus Böseres lag. Crystal hatte recht. Hier konnten sie nicht bleiben.

„Fein“, knurrte sie. „Wir gehen raus. Schnappt euch irgendeine Waffe, denn ich bin mir sicher, dass wir sie brauchen werden.

„Oh ja, so gefällt mir das.“ Crystal legte die Hand an die Stirn, als würde sie salutieren, bevor sie nach einem mannslangen Speer griff, den sie mühelos herumwirbelte.

Marcus nickte ebenfalls und nahm einen Morgenstern an sich, der zu einer Rüstung gehört haben mochte, von der inzwischen nur noch ein verbeulter Blechhaufen übrig war. Gabriella sah sich um und ihr Blick fiel auf den Dolch, den Delilah fallengelassen hatte. Sie zögerte. Irgendetwas in ihr weigerte sich, diese Mordwaffe an sich zu nehmen.

„Nimm die hier.“ Crystal reichte ihr eine Holzlatte, die sie irgendwo aus den Überresten der Galerie gezogen haben musste. „Es geht nichts über einen Schlag auf den Kopf mit einem stumpfen Gegenstand. Immer feste druff, verstanden?“

Gabriella nickte gehorsam und gemeinsam machten sie sich auf den Weg über die Trümmerberge. Marcus schob den zerstörten Türflügel aus dem Weg und ließ sie und Crystal hindurchklettern, bevor er ihnen folgte.
 

Draußen angekommen richtete Gabriella sich auf und erstarrte. Von dem friedhofsgleichen Garten war nur noch ein Schlachtfeld übrig. In der Erde hatten sich tiefe Gräben gebildet. Bäume waren umgekippt, Büsche entwurzelt oder abrasiert. Auf den ehemals gepflegten Rasenflächen lagen verschiedene Körper, von denen die wenigsten menschlich waren. Anscheinend hatten hier noch mehr Bewohner der Residenz ihr Heil in der Flucht gesucht. Es war Gabriella jedoch nicht vergönnt, sich lange mit ihrem Anblick zu beschäftigen. Ihre Aufmerksamkeit wurde vielmehr von der Schlacht angezogen, die am Himmel in Gange war. Dort schwirrten unzählige, geflügelte Gestalten herum, die wieder und wieder abtauchten, um sich kurz darauf mit einem schreienden Opfer in die Lüfte zu erheben. Manchmal konnte das anvisierte Ziel sich zwar erfolgreich zu Wehr setzen und den Gargoyle in seine steinernen Einzelteile zerlegen, doch oft genug attackierten im nächsten Augenblick zwei oder drei der Steinmonster den Unglücklichen, um ihn dann doch seinem bestürzenden Schicksal zuzuführen. Das, was Gabriella jedoch wirklich Angst machte, waren die gigantischen, glühenden Kuppeln, die sich mit pendelnden Fangarmen gemächlich aber unaufhaltsam auf das Anwesen zubewegten. Sie wusste nicht, warum sie diese riesigen, quallenartigen Wesen so abschreckten. Als jedoch im nächsten Moment Crystal erschrocken die Luft einsog, wusste sie, dass ihr Gefühl sie nicht getäuscht hatte.

„Scheiße“, fluchte der Sukkubus, den Blick ebenfalls auf die leuchtenden Riesenquallen gerichtet. „Irgendwer hat die Medusen aktiviert.“

„Und das ist schlecht?“, fragte Marcus.

„Schlecht ist gar kein Ausdruck“, murmelte Crystal. „Die Dinger sind … Sie sind wie Haie. Der Blutgeruch der vielen Leichen lockt sie her. Doch Haie oder sogar diese tumben, gehörnten Gesellen, die Belial als Wachen eingestellt hat, sind wahre Intelligenzbestien gegen diese Ungetüme, deren einzige Aufgabe es ist zu fressen. Und wenn ich fressen sage, dann sprechen wir hier davon, etwa hundert Jahre lang langsam in einer gallertartigen Suppe herumzuschwimmen und sich dabei langsam Fetzchen für Fetzchen aufzulösen. Bei vollem Bewusstsein. Es gibt kein Entkommen aus diesen Dingern.“

Gabriella sah auf die Ebene hinaus, wo mehr und mehr der gewaltigen Quallen zum Leben erwachten. Es schien, als laufe eine regelrechte Welle durch ihre Reihen, die sich zwischen ihnen und dem Gebäude erstreckten, das nur mehrere hundert Meter von hier und gleichzeitig in unerreichbarer Ferne den Ausgang in die Wirklichkeit markierte.

„Na fein“, sagte sie und packte ihre Holzlatte fester. „Zuerst kümmern wir uns um die Gargoyles und dann werden wir irgendwie einen Weg an diesen Dingern vorbei finden. Und wenn es das letzte ist, was wir tun.“

„Die Ansprache hätte mir ohne den letzten Satz besser gefallen“, witzelte Crystal und griff nach ihrem Speer. „Aber gut, probieren wir es. Ich wollte schon immer mal kochen lernen und heute scheint Schisch Kepab auf dem Speiseplan zu stehen.“

Mit gerunzelter Stirn und weichen Knie folgte Gabriella dem Sukkubus, der sich mit wahrem Freudengeheul auf einen vorbeifliegenden Gargoyle stürzte und ihn mit einem gezielten Speerstoß vom Himmel holte. Als sie unten ankam, zerbarst die Figur in tausend Stücke.

„Na immerhin kein neues Futter für die Medusen“, murmelte Gabriella, bevor auch sie eines der fliegenden Scheusale aufs Korn nahm.
 


 

Als der Kopf der gehörnten Kreatur zu Boden fiel, schoss ein Schwall schwarzen Dämonenblutes aus ihrem Halsstumpf empor und tränkte den Fußboden in widerliche Schmiere. Angewidert wich Michael zurück und ließ die Axt fallen, die er kurz zuvor noch den Händen des jetzt toten Dämons entrissen hatte, um ihm dann im nächsten Moment den Kopf von den Schultern zu schlagen.

Schwer atmend drehte er sich zu dem einzigen, noch stehenden Gegner herum.

„War das alles oder hast du noch mehr auf Lager?“

Belials Gesicht zuckte, als würde etwas daraus hervorbrechen wollen.

„Du hast sie alle geschlagen“, zischte er wütend. „Und das ohne einen einzigen Kratzer davonzutragen. Wie kann das sein? Was für eine Art Zauber liegt auf dir?“

„Einer, der du nicht verstehst“, gab Michael zurück. Er war froh, dass Belial nicht bemerkt hatte, dass einige der Wachen ihn durchaus getroffen hatten. Doch wann immer er eine Verletzung davongetragen hatte, war diese auf wundersame Weise fast ebenso schnell wieder verheilt, wie sie ihm zugefügt worden war.

„Wie meinst du das?“, wollte Belial misstrauisch wissen.

Michael spürte, wie sich sein Gesicht zu einem Lächeln verzog.

„Es ist etwas, dass du nicht verstehst und auch nie verstehen wirst. Weil du dein Herz verschließt, Bruder. Weil du nicht sehen willst, was direkt vor deiner Nase ist.“

„Michael.“

Belial klang so hasserfüllt, dass Michael instinktiv zurückweichen wollte, als ihm mit einem Mal aufging, dass der Dämon nicht von ihm sprach.

Langsam nickte er.

„Das war es doch, was du wolltest. Der Kampf, der von Anbeginn der Zeiten geschrieben steht. Der Kampf des Lichts gegen die Dunkelheit. Der Wahrheit gegen die Lüge. Michael gegen Belial.“

„Aber du bist nicht …“

Er lächelte wieder. „Ich bin Michael.“
 

Belial stieß einen lauten Schrei aus und spannte sich.

Michael erwartete, dass er sich ohne weitere Verzögerung auf ihn stürzen würde, doch stattdessen ging eine furchtbare Veränderung mit dem Mann vor sich. Sein wunderschönes Gesicht zerfloss und aus der eben noch makellosen Haut formten sich graue Schuppen. Seine Haare wichen zurück und aus dem kahlen Schädel schossen vier gekrümmte Hörner hervor. Sein Mund wurde zu einem klaffenden Maul, das vor spitzen Zähnen nur so strotzte. Eine gespaltene Zunge schoss dazwischen hervor, als die Kreatur, zu der Belial geworden war, zischend fauchte.

„Dasss Sspiel issst ausss“, zischelte sie. „Jetzzt wirsst du ssterben.“

Mit unmenschlicher Geschwindigkeit schoss das groteske Halbwesen auf ihn zu und dieses Mal war Michael zu langsam. Belials inzwischen mit langen Klauen besetzte Hand schloss sich um seinen Hals. Erbarmungslos pressten sich die Krallen in die empfindliche Haut seiner Kehle. Er spürte warmes Blut daran entlang fließen.

„Ich werde dich töten“, versprach der Dämon und erhöhte den Druck.

Bunte Punkte erschienen vor Michaels Augen.

„Nein, wirst du nicht“, würgte er mühsam hervor. Seine Finger schlossen sich um den Griff von Angelos Schwert, den er schon die ganze Zeit gespürt hatte.

Nein, nicht Angelos Schwert. Michaels Schwert, verstand er plötzlich und wusste, was er zu tun hatte.

Mit einer präzisen Bewegung zog er die blitzende Klinge hervor und bohrte sie an die Stelle von Belials Brustkorb, an der sein Herz sitzen musste.

Der Dämon lachte nur.

„Dein lächerlichess Sspielzzeug kann mich nicht verletzzen.“

„Das vielleicht nicht. Aber es kann dich trotzdem töten. Denn wisse, dass das hier das Schwert ist, das den Drachen vom Himmel holte.“

Die Erkenntnis, die auf Belials Gesicht erschien, kam Bruchteile von Sekunden zu spät. Die Waffe in Michaels Hand hatte bereits zu glühen begonnen. Eine blauweiße Flamme sprang über das silberne Metall direkt in den Körper des Dämons, der gequält aufjaulte. Er öffnete den Mund zu einem tonlosen Schrei, während mehr und mehr des Engelsfeuers in seinen Körper floss, ihn von innen heraus zerfraß und schließlich explodieren ließ.
 

Geblendet schloss Michael die Augen, als die freiwerdende Energie in einer gewaltigen Welle durch die gesamte Halle raste. Die ohnehin schon instabilen Wände begannen zu schwanken, als die Explosion ihr Echo in den Tiefen der Erde fand. Der Boden unter ihm bäumte sich auf, Steine fielen von der Decke. Dieses Mal waren auch größeren Brocken darunter. Einer von ihnen stürzte zu Boden und ließ Michael die Vibrationen des Aufpralls spüren. Was immer auch das Gebäude bisher intakt gehalten hatte, war offenbar endgültig zusammen gebrochen. Er musste hier so schnell wie möglich raus.

Sein Blick fiel auf den schmalen Körper, der ein Stück weit von ihm auf dem Boden lag. Ein Schmerz, so heftig, das Michael es sich nicht erklären konnte, raste durch seine Brust.

Nimm ihn mit, flüsterte eine Stimme in seinem Inneren. Er hat Besseres verdient als das hier.

Ein Teil von ihm bezweifelte das, aber ein anderer übernahm einfach die Kontrolle, ging zu Alejandros Leichnam und hob ihn auf.

„Wenigstens wiegt der Kerl nichts“, knurrte er, bevor er die Treppe hinaufeilte, die vor ihm schon Gabriella und Crystal genommen hatte. Seine größte Sorge galt jetzt seiner Frau, die hoffentlich mehr Glück gehabt hatte auf ihrem Weg nach draußen. Immer wieder musste er sein Gleichgewicht ausbalancieren, wenn die zunehmenden Bodenbewegungen ihn erneut von den Füßen reißen wollten. Selbst das geringe Gewicht auf seinen Armen begann an ihm zu zerren, als würde es mit jedem Schritt schwerer werden.

Komm schon, nicht schlappmachen, spornte er sich selber an und sprang über einen tiefen Riss, der mitten durch die in Trümmern liegende Eingangshalle verlief. Darin konnte er ein unheimliches Leuchten sehen, das näher und näher kam. Gleichzeitig stieg die Temperatur stetig an. Er wartete jedoch nicht ab, was der glühenden Klauenhand aus flüssigem Stein und Lava folgen mochte, die sich jetzt über den Rand schob. Was immer da auch aus der Erde hervorgekrochen kam, er wollte es nicht kennenlernen.
 

Eilig stieß er die ramponierte Vordertür auf und stolperte ins Freie. Dort herrschte immer noch dasselbe, eigenartige Zwielicht wie zuvor, doch etwas hatte sich daran verändert. Sturmwolken jagten über den Himmel und Blitze zuckten dazwischen heraus. Das alles geschah vollkommen lautlos und ließ Michael nur umso mehr erschauern.

Hier bricht alles zusammen.

Er konnte nur vermuten, dass das mit Belials Tod zusammenhing. Die Macht des Zaubers, mit dem er diesen Ort erschaffen hatte, schwand. Schon stürzten die ersten Erker des Hauses vom Dach und bohrten sich nur wenige Meter neben Michael in den Sand.

„Gabriella!“

Er hatte das Gefühl, dass seine Stimme von der unwirklichen Luft verschluckt und fortgerissen wurde, noch bevor sie seinen Mund verlassen hatte.

„Wo bist du?“

Unversehens bebte die Erde wieder und brachte ihn beinahe dazu, in die Knie zu gehen. Ein weiterer Erdspalt tat sich auf und der gezackte Riss lief weiter und weiter, bis er kurz vor Michaels Füßen endete.

„Das war knapp“, murmelte er und mochte sich nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn er sich wohl hätte auf das verfluchte Gras retten müssen, dass nur wenige Zentimeter hinter ihm begann und scheinbar gierig die Halme nach ihm ausstreckte.

Er hatte jedoch keine Zeit mehr, sich darüber Gedanken zu machen, denn plötzlich sah er seine Frau verstrickt in einen Kampf mit diesen widerlichen Kreaturen, die Angelo „Gargoyles“ genannt hatte. Sie wehrte gerade eines der fliegenden Wesen mit einem Holzstück ab, das sie schließlich auf dessen steinernem Kopf zertrümmerte. Der Gargoyle stürzte ab, nur um gleich darauf von einem weiteren ersetzt zu werden. Jetzt jedoch war Gabriella waffenlos.

„Nimm deine dreckigen Pfoten von ihr!“

Michael überlegte nicht lange, bevor er den Leichnam aus seinen Armen zu Boden gleiten ließ, ein weiteres Mal das Schwert hervorzog und sich auf die geflügelten Angreifer stürzte. Ein gezielter Streich beraubte einen von ihnen ihrer Schwingen, woraufhin er wie ein sprichwörtlicher Stein vom Himmel fiel und in tausend Stücke zerbarst, während er dem anderen einfach den hässlichen Kopf abschnitt. Auch er stürzte zu Boden und zersplitterte.

„Na endlich, die Kavallerie. Wurde aber auch Zeit.“ Crystal grinste ihn an und stach mit einer Art Lanze nach dem Gargoyle, der gerade versuchte, sie zu packen und in die Luft zu heben. Direkt hinter ihr stand ein ziemlich verschmiert aussehender Marcus, der sich mit einer stachelbewehrten Keule gegen die fliegenden Biester zur Wehr setzte. Als er Michael sah und was er in Händen hielt, wurden seine Augen groß.

„Das ist Angelos Schwert.“

„Er hat’s mir ausgeliehen“, erwiderte Michael und erlöste zwei weitere Gargoyles von ihrem Schicksal.

„Wo ist er?“

„Längere Geschichte. Erst mal sollten wir hier weg.“

„Ach echt?“, schnaufte Crystal und wischte sich ihre reichlich zerzauste, violette Strähne aus dem Gesicht. „So weit waren wir auch schon. Aber wir haben da ein kleines Problem. Oder auch ein größeres. Und zwar viele davon.“

Sie wies hinter sich.

Michaels Blick folgte ihrer Geste und erschrak. Vor ihm wogte ein Meer aus tentakelbesetzten Riesenquallen, die sich einer lebendigen Mauer gleich auf sie zuschoben. Doch das war noch nicht alles. Am Himmel über den leuchtenden Kreaturen war schlichtweg die Hölle los. Immer mehr und mehr Blitze zuckten über die unveränderliche graue Fläche und mehr als einmal schien einer von ihnen plötzlich in der Luft stehen zu bleiben. Es sah aus wie …

„Risse.“

Er blinzelte und sah noch einmal genau hin, aber der Eindruck blieb. Der Himmel war kurz davor zu kollabieren. Er sah zurück und wurde gerade noch Zeuge, wie das einst so prächtige Herrenhaus in sich zusammenfiel. Die Überreste verschwanden in einem riesigen, glühenden Schlund, an dessen Rand reptilienartige Wesen aus flüssigem Stein herumkrochen.

Sie waren gefangen zwischen den Kreaturen des Himmels und der Erde.

Jetzt konnte ihnen nur noch ein Wunder helfen.

„Schnell, zu mir!“, rief Michael einem plötzlichen Einfall folgend und hob das Schwert in die Luft.

Bitte mach, dass das funktioniert.

Er betete und schloss die Augen. Ein Krachen ertönte. Das Zerbrechen dieser Welt stand kurz bevor.

Ich muss sie beschützen.

Das Bild des leuchtenden Schildes, den Angelo beschworen hatte, entstand vor seinem inneren Auge. Genau das brauchte er jetzt. Einen Schild, das sie alle davor bewahrte, mit in den Abgrund gerissen zu werden. Einen Schild.

„Hilf mir“, flüsterte er und spürte, wie seine Bitte erhört wurde.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück