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Angelo

von

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Himmelsmacht

Langsam schloss Alejandro Knopf für Knopf des schwarzen Hemdes, das er sich für heute herausgesucht hatte. Es war das beste, das er besaß. Mit jedem Knopf begab er sich einen Schritt zurück auf dem Pfad, auf dem er in dieser Nacht gescheitert war. Er war … abgestürzt. Er wusste es. Nachdem er seinen Herrn zusammen mit dem Nephilim erleben musste, gesehen hatte, wie dieser bekam, was er sich schon so lange wünschte, und wie glücklich seinen Herrn das gemacht hatte, war er schwach geworden. Ganz zu Anfang der Prozedur hatte er fliehen wollen, aber sein Herr hatte ihn gezwungen zu bleiben. Hatte ihn gezwungen zuzusehen, während er sich mit den vielen Willigen und weniger Willigen vergnügte, die ihm zur Verfügung standen. Ein Schicksal, dass Alejandro ironischerweise mit dem Nephilim geteilt hatte. Der hatte auch nicht hinsehen wollen und war ebenso wie er dazu gezwungen worden. Doch während das teilweise grausame Schauspiel bei dem Halbengel nur Ekel und Abscheu hervorgerufen hatte, hatte es Alejandro erregt. Mehr als er gedacht hatte. Mehr, als er seinen Herrn hatte bemerken lassen. Kein sehnsüchtiger Blick hatte ihn verraten, kein Laut war über seine Lippen gekommen. Er war gut gewesen, sehr gut sogar. Und er hatte eine Belohnung bekommen. Einen Blick, in dem eine gewisse Anerkennung gelegen hatte, und eine flüchtige Berührung, fast schon ein Streicheln von den blutbesudelten Fingern seines Herrn, die rote Striemen auf seiner Wange hinterlassen hatten. Danach hatte er es noch geschafft, in sein Quartier zurückzutaumeln, aber als er im Spiegel die Male auf seinem Gesicht gesehen hatte, das Zeugnis, dass er sich die beinahe zärtliche Berührung nicht nur eingebildet hatte, dass sie nicht nur ein Traum gewesen war, war er zusammengebrochen. Er hatte sich selbst angefasst immer und immer wieder. Jedes Mal, wenn er kam, hatte er den Namen seines Herrn geflüstert und er hatte geweint. Heiße Tränen, die zu seinem Glück niemand gesehen hatte, da er vollkommen allein gewesen war in den schmutzigen Laken, dem kleinen Loch, das er sein eigen nannte. Es waren Tränen der Sehnsucht gewesen und Tränen der Scham. Er hatte sich geschämt, dass er nicht genug war. Dass sein Herr ihn so abstoßend fand. Dass er hässlich war und schwach und dass er niemals derjenige sein würde, den sein Herr …

 

Alejandro atmete ein letztes Mal tief durch und verbannte die düsteren Gedanken mit dem Schließen des letzten Knopfes in den hintersten Winkel seines Bewusstseins. Niemand durfte davon wissen, niemand es jemals erfahren, wie schwach er wirklich war. Er hatte eine Aufgabe, die es zu erledigen galt. Sein Herr wollte immer noch den Engel und inzwischen sollte Victor so weit sein, dass er ihn festgesetzt und dessen menschliche Begleiter unschädlich gemacht hatte. Erst hatte Alejandro ihn gar nicht fragen wollen, aber ihm war klar gewesen, dass er mit roher Gewalt nicht weit kommen würde. Er musste klug und gerissen vorgehen und darin war der Inkubus nun einmal um Einiges besser als er. Aber schließlich war es dann doch sein Plan gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass der Engel endlich in greifbare Nähe gerückt war. Jetzt musste er ihn nur noch einsammeln.

Er straffte sich und warf einen Blick in den Spiegel. Das Blut hatte er mittlerweile zusammen mit den anderen Spuren seiner Schwäche fortgewaschen. Was ihm jetzt entgegensah, war sein gewöhnliches, braunes Gesicht mit den strohigen schwarzen Haaren, den zu schmalen Lippen und dem Goldzahn, der aufblinkte, als er die Zähne fletschte.

„Sie werden mich nicht kleinkriegen. Ich werde diesen Engel hierher bringen und ich werde die Belohnung dafür erhalten, die mir zusteht. Ich werde es ihnen allen beweisen.“

 

Als er vor die Tür seines Quartiers trat, standen Hugo, Paco und Luis schon bereit. Er hatte sie warten lassen. Es mochte sein, dass sie ihm körperlich überlegen waren, aber er war derjenige, der ein menschliches Quartier bekommen hatte statt eines Haufens Stroh im Stall. Er war es, der die Befehle erteilte. Er war es, der die Fäden in der Hand hielt.

„Los, gehen wir“, knurrte er und setzte sich selbst an die Spitze der kleinen Gruppe, die durch die große Halle dem Ausgang entgegenstrebte. Ihr Weg würde sie aus der Festung hinaus auf die sandigen Minenfelder und schließlich zum Tor bringen, wo die Wirklichkeit durchlässig genug war, um eine Verbindung zwischen dieser Ebene und der der Menschen zu erschaffen.

Er wollte gerade die schwere Eingangstür öffnen, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Er fuhr herum und sah sich Delilah gegenüber, die in der Mitte der großen Treppe stand. Neben ihr ein maskierter Sklave in einem Pferdekostüm. Ein armseliger Versuch, eine tatsächliche Verwandlung nachzuahmen. Geradezu lächerlich. Er ließ einen abschätzigen Blick über den Menschen in der schwarzen, enganliegenden Hose gleiten, dessen Maskierung erhebliche Mängel aufwies. Die Handschuhe fehlten und auch an den Füßen trug er nur normales Schuhwerk. Nicht einmal einen Schwanz hatte er. Lediglich von der schwarzen Vollmaske mit der langen Schnauze, fiel eine glatte, schwarze Mähne bis zu seinen Schultern, die ebenso bloß lagen wie der Rest des Oberkörpers. Ein Neuling, wie es schien. Anders konnte er sich auch dessen Haltung nicht erklären, die so gar nicht zu einem gut dressierten Sklaven passen wollte. Daran änderte auch das dünne, schwarze Seil nichts, das an dem Halfter an seinem Kopf angebracht war und dessen Ende Delilah in Händen hielt.

Als der Mann seinen Blick bemerkte, meinte Alejandro in den Augen hinter der Maske etwas aufblitzen zu sehen. Misstrauisch kam er näher.

„Wo willst du hin?“, fragte er Delilah, die sich anschickte, die Treppe wieder emporzuklettern, die sie doch gerade erst herabgestiegen war.

„Hab was vergessen“, erwiderte sie unwirsch und wollte sich abwenden. Dabei bemerkte er die Karaffe, die sie geschickt vor ihm zu verstecken versuchte. Seine Augen wurden schmal.

„Ist das der Samen, den du bisher gesammelt hast?“

Die Worte des Nephilim gingen ihm durch den Kopf. Er wird dich ersetzen, sobald er von mir bekommen hat, was er will. In diesem Gefäß befand sich der Grundstein für seinen Untergang. Seine Finger zuckten. Wie leicht wäre es gewesen, dafür zu sorgen, dass Delilah ausrutschte und die Karaffe auf den Stufen zerschellte. Er würde ihr die Schuld in die Schuhe schieben. Niemand würde ihn verdächtigen.

Unwirsch schüttelte er den Kopf. Nein. Das wäre einem Verrat gleichgekommen. Er würde seinen Herrn niemals verraten.

„Wohin willst du damit? Ich dachte …“

„Keller“, nuschelte Delilah und wollte sich jetzt auf einmal an ihm vorbeidrängen. Auf einen Wink von ihm hin stellten sich Luis und Hugo in ihren Weg.

„Was du da hast, ist kostbar. Dahingehend hat sich unser Herr doch klar ausgedrückt. Wieso schickt er dich jetzt damit los und das so ganz ohne Sicherheitsvorkehrungen?“

„Er wollte nicht mehr warten“, antwortete Delilah und rückte die spitzenbesetzte Maske auf ihrem Gesicht zurecht. „Außerdem: Willst du wirklich eine von Belials Anweisungen infrage stellen? Wenn ja, bitte, nur zu. Ich werde dann allerdings zusehen, dass ich ein ganzes Stück von dir entfernt stehe.“

Der Sukkubus warf sich in die Brust und stemmte die Hand in die Hüfte. Eine Geste, die typisch war für Delilah. Sie war eine stolze Kreatur. Ein wenig zu stolz für seinen Geschmack. Aber da war noch etwas anderes.

„Was ist mit deiner Stimme?“ Er kannte Delilahs immer leicht kreischenden Tonfall. Jetzt jedoch war ihre Stimme dunkler und rauchiger.

„Die, äh ...“ Delilah druckste ein wenig herum. „Hab mich überanstrengt. Dieser Nephilim ist wirklich eine ziemlich harte Nuss. Muss gleich wieder ran, aber vorher muss ich das hier wegbringen. Wenn du mich also entschuldigen würdest?“

Alejandros Nasenflügel bebten. Was bildete sich dieser Sukkubus eigentlich ein? Sie mochte vielleicht die Lieblings-Konkubine seines Herrn sein, aber er war immer noch seine rechte Hand. Oder vielleicht die linke, wenn man Victor in die Rechnung mit einbezog. Fakt war jedoch, dass er über ihr in der Befehlskette stand. Außerdem war da noch etwas, das sie nicht zu wissen schien. Er lächelte übertrieben freundlich.

„Nun, wenn das so ist, werden wir dich mit Freuden begleiten. Wir wollen doch nicht, dass deiner wertvollen Fracht etwas passiert.“

„Danke, aber das ist nicht notwendig. Ich kann selbst darauf aufpassen.“ Delilahs Ton war schnippisch geworden.

„Ach, ich weiß nicht“, meinte Alejandro lächelnd. „Euch Sukkubi sollte man mit dieser edlen Flüssigkeit vielleicht nicht unbedingt allein lassen. Wer weiß, was ihr damit macht.“

Delilah holte noch einmal kurz Luft, um ihm einen Konter an den Kopf zu werfen, doch dann verzogen sich ihre roten Lippen zu einem breiten Lächeln.

„Natürlich, du hast recht. Wie dumm von mir, dass wir hier so streiten. Also los, wir sollten Belial nicht warten lassen. Je eher wir seinen Auftrag ausführen, desto schneller wird er zufriedengestellt sein. Und das ist es doch, was wir alle möchten, nicht wahr?“

„Natürlich“, gab Alejandro zurück und schnippte mit den Fingern. Sofort nahmen Hugo und Luis an den Seiten des Sukkubus Aufstellung, während Paco sich hinter sie setzte.

Immer noch lächelnd streckte Alejandro die Hand aus. „Vielleicht gibst du mir lieber die Karaffe? Nicht, das sie dir noch aus der Hand rutscht. Mir scheint, dass dein Sklave noch nicht ganz gelernt hat, wo sein Platz ist. Was, wenn er stolpert oder versucht sich loszureißen? Das wäre doch wirklich dumm.“

Die dunklen Augen unter der Pferdemaske funkelten ihn böse an.

„Oder du gibst mir das Seil, dann kann ich ihn führen. Ganz wie du möchtest. Allerdings wäre das schade. Er steht dir wirklich gut.“

Delilah rang sich sichtbar ein Lächeln ab, bevor sie ihm die Karaffe reichte.

„Natürlich, du hast recht. Wie leicht könnte doch ein Unfall passieren.“

„Nicht wahr? Also … bitte nach euch.“

 

Delilah setzte ungeachtet der nicht ganz freiwilligen Eskorte ihren Weg in den Keller fort bis zu der Stelle, an der die Barriere errichtet worden war, die den Zugang zu den dahinterliegenden Hallen beschränkte. Mit einem boshaften Lächeln beobachtete Alejandro, der ein Stück hinter der Gruppe ging, wie Delilah direkt davor stehenblieb. Langsam kam er näher.

„So“, sagte er. „Du kennst dich also tatsächlich hier aus.“

„Natürlich“, antwortete Delilah und warf die roten Haare in den Nacken. „Belial hat mir gesagt, wo ich hinmuss.“

Alejandros Lächeln wurde eine Spur breiter.

„Hat er dir denn auch gesagt, dass du diesen Teil des Kellers nur betreten kannst, wenn er höchstpersönlich deinen Namen auf dem Schutzwall eingetragen hat? Wenn nicht, wirst du in einem magischen Stasisfeld gefangen und ich habe mir sagen lassen, dass das höchst unangenehm sein soll. Die Schmerzen sind angeblich kaum auszuhalten.“

Delilah sah zunächst noch siegessicher drein, doch dann schienen seine Worte endlich zu ihr durchzusickern. Ihre Hände schlossen sich enger um die Leine des Sklaven.

„Belial hat das bestimmt bedacht. Er macht doch keine Fehler.“

„Dessen bin ich mir sicher. Es sei denn natürlich, dass du gar nicht auf seinen Befehl hin hier bist, sondern aus eigenem Ermessen handelst. In dem Fall wäre es höchst leichtsinnig, sich in Gefahr zu begeben.“

Delilah richtete sich auf und funkelte ihn an. „Ich darf da rein, ob du’s nun glauben willst oder nicht.“

„Oh gut“, erwiderte er immer noch mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen. „Dann werden wir so lange auf dein Pony aufpassen. Du wirst mir doch zustimmen, dass es höchst unangemessen wäre, einen einfachen Sklaven in diesen so sensiblen Bereich mitzunehmen. Er würde zwar, da er ein Mensch ist, nicht von den Zaubern zurückgehalten, aber trotzdem würde das, was er dort drinnen zu Gesicht bekommt, dazu führen, dass wir uns seiner entledigen müssen. Das möchtest du doch nicht, oder?“

Wieder die Geste an der Leine. Alejandro ballte innerlich triumphierend die Hand zur Faust. Er hatte es gewusst. Ihr lag etwas an diesem Kerl mit der Maske. Wäre es nicht so gewesen, hätte sie ihn kaum der Karaffe vorgezogen. Diese unbedachte Entscheidung hatte ihm deutlich gezeigt, wo ihre Prioritäten lagen. Alejandro beschloss, sich das für später zu merken. Wer Schwäche zeigte, wurde angreifbar. Delilah in der Hand zu haben und sei es nur dadurch, dass er ihr Fickspielzeug bedrohte, konnte sich als äußerst nützlich erweisen.

„Ich werde die Karaffe jetzt an Hugo übergeben. Er wird sie sicher in die Labore bringen und du kannst wieder an deine Arbeit zurückkehren.“

„Äh, ja, natürlich.“ Sie wollte sich schon zum Gehen wenden, als sie noch einmal stehenblieb. Ihre grünen Augen funkelten angriffslustig.

„Sag mal, wenn dieses Zeug so wichtig ist, warum bringst du es dann nicht persönlich hinein?“

Alejandro knurrte und wollte sie schon anblaffen, dass sie das gar nichts anginge, als ihm bewusst wurde, dass er ihr mit der Wahrheit noch eine viel größere Demütigung zufügen konnte.

Er grinste.

„Weil ich Besseres zu tun habe, als für Belial Botengänge zu übernehmen. Ich werde jetzt einen Engel fangen. Einen richtigen und nicht nur so einen unnützen Bastard.“

Siegessicher drehte er sich auf dem Absatz herum und wollte sie einfach stehenlassen, als er sie hinter sich belustigt schnauben hörte.

„Also wenn mich nicht alles täuscht, warst du doch derjenige, der diesen billigen Engelabklatsch hier angeschleppt hat, oder nicht? Du schneidest dir also damit nur ins eigene Fleisch, mein lieber Alejandro.“

Er fuhr herum und wollte sich auf sie stürzen, ihr das süffisante Lächeln aus dem Gesicht wischen, aber er beherrschte sich im letzten Moment. Selbst als sie ihm noch einmal huldvoll zuwinkte und sich dann nebst ihrem störrischen Sklaven hüftschwingend von dannen machte, widerstand er dem Drang, einfach die anderen beiden Cadejos auf sie zu hetzen und sie in Stücke reißen zu lassen. Die Strafe, die er für den Verlust eines Sukkubus würde auf sich nehmen müssen, war den schalen Triumph nicht wert. Zumal er keine Zeit hatte, sich an ihren Schreien zu ergötzen. Er musste los und den Engel holen, bevor noch etwas schiefging.

„Kommt“, knurrte er die beiden verbleibenden Mitglieder seines Teams an. „Wir haben Besseres zu tun, als uns mit diesem Weibsstück herumzuärgern.

Er überlegte, Luis das dumme Grinsen zu verbieten, aber er hielt sich auch hier im Zaum. Wenn er erst den Engel hatte, würden sie nicht mehr lachen. Nicht einer von ihnen.

 

 

 

Marcus hielt es kaum aus, bis sie endlich außer Hörweite der Cadejos waren. Dann jedoch riss er sich, so schnell er konnte, die nach Schweiß und anderen Körperflüssigkeiten stinkende Maske vom Kopf.

„Das war ja ein toller Plan“, fauchte er Crystal an, die in ihrer neuen Gestalt mehr als unangenehme Assoziationen in ihm weckte. Das Gesicht dieses rothaarigen Sukkubus würde ihn bestimmt noch eine ganze Zeit lang in seinen Träumen verfolgen.

„Ja kann ich denn ahnen, dass der Köter und seine Gang ausgerechnet in dem Moment auftauchen, wo ich dich in Sicherheit bringen will?“

„In Sicherheit?“ Markus fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Hast du ihm überhaupt zugehört? Wenn du durch das Tor gegangen wärst, wärst du gefangen worden. Und ich vermutlich gleich mit. Immerhin bin ich kein Mensch.“

Crystal brachte es fertig, gleichzeitig zerknirscht und aufmüpfig auszusehen.

„Ich hab doch nicht ahnen können, dass die da so schwere Geschütze aufgefahren haben. Außerdem wäre mir nichts passiert. Ich war schließlich schon mal da drinnen.“

Jetzt war es an Marcus verblüfft auszusehen.

„Du warst …?“

„Ja. Da drinnen steht dieses Folterwerkzeug, mit dem sie die Sukkubus-Essenz gewinnen und wer weiß was noch.“

Marcus runzelte die Stirn und überlegte.

„Alejandro hat etwas von einem Labor gesagt. Wenn er und die anderen Cadejos dort hinein können, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass sich dort auch die Zuchtstation befindet, wo Belial diese Dinger entwickelt hat.“

Er warf Crystal einen Blick zu. „Wir sollten … wir sollten da reingehen und sie zerstören.“

„Was?“ Ihre Augenbrauen rasten dem roten Haaransatz entgegen. „Bist du irre? Gerade hast du noch gesagt, dass du da nicht durchkannst, und jetzt willst du da rein und alles in die Luft jagen? Könntest du dich mal entscheiden? Also nicht, dass gegen so ein bisschen Rein-und-Raus was zu sagen wäre …“, sie grinste anzüglich, woraufhin Marcus die Augen verdrehte, „aber in dem Fall würde ich von rein wirklich ganz dringend abraten. Da drin könnte es gefährlich werden.“

Er lachte auf.

„Gefährlich? Und was ist dann das hier bitte?“ Er wies mit einer unbestimmten Geste um sich herum. „Ich stecke in der schwerbewachten Festung eines Dämonenfürsten fest, der mich am liebsten 24/7 an eine Melkmaschine anschließen würde, ganz zu schweigen von …“

Marcus unterbrach sich, als er Crystals leicht glasigen Blick bemerkte. Er räusperte sich lautstark, woraufhin sie aus ihrer Starre erwachte und ihn anstrahlte.

„Sorry, ich hab grad nicht zugehört. Als du so von Maschinen geredet hast, musste ich daran denken, dass ich immer schon mal ausprobieren wollte, wie es eigentlich ist, von einer gef…“

Marcus hob die Hand und schnitt ihr damit das Wort ab. „Verschone mich bitte, ich will es nicht wissen.“

Was er in dieser Nacht an Perversionen und Grausamkeiten zu sehen bekommen hatte, reichte ihm für den Rest seines Lebens. Maschinen mussten darin nicht auch noch eine Rolle spielen.

Crystal zuckte mit den Schultern. „Na gut, wenn du meinst. Obwohl ich mir das schon interessant vorstelle, so …“

„Crystal!“

„Ja ja, schon gut. Also schön, wie lautet der Plan?“

Marcus sah zurück in den düsteren Gang, aus dem sie gerade gekommen waren.

„Ich weiß es nicht“, sagte er leise. „Ich … um da reinzukommen, müsste ich mich in einen Menschen verwandeln, so wie Alejandro es kann. Ich …“

Er verstummte, als ihn die Erkenntnis mit der Wucht eines Vorschlaghammers traf.

„Angelo!“, keuchte er schließlich. Natürlich! Warum waren ihm diese Parallelen zwischen den beiden nicht schon früher aufgefallen?

Crystal sah ihn nur verständnislos an. „Was soll mit dem Engelchen sein?“

„Er kann es. Er kann dort hinein, weil er seine Kräfte abschalten kann. Es hört sich zwar verrückt an, aber das könnte funktionieren. Wir müssen ihn nur irgendwie hierher kriegen.“

Crystal runzelte verwirrt die Stirn. „Also weißt du, jetzt gerade frage ich mich, ob zu viel Sex nicht vielleicht doch doof macht. Erst sagst du, dass die Welt untergeht, wenn er hier eintrifft – was mich übrigens daran erinnert, dass er auch so was erwähnt hat. Also das mit dem Ende der Welt. Er klang ziemlich aufgeregt am Telefon. Hat irgendwas von einem Auftrag gefaselt, um Armageddon zu verhindern oder so. Und jetzt willst du, dass wir ihn …“

Marcus ließ sie nicht ausreden. „Angelo soll Armageddon verhindern?“

„Äh, ja?“

„Und das sagst du erst jetzt?“

Sie schob die Unterlippe vor. „Du hast ja nicht gefragt.“

Marcus stieß ein frustriertes Knurren aus und hätte am liebsten auf die steinerne Wand neben sich eingeschlagen. Dieser Sukkubus hatte wirklich nichts Gescheites im Kopf, wenn es nicht gerade ums Vögeln ging. Er mochte sie. Er mochte sie wirklich, aber … Moment, er mochte sie?

Ganz kurz ließ ihn die Erkenntnis gedanklich straucheln, bevor er sich wieder zur Ordnung rief. Darüber, ob und wie er Crystal mochte, konnte er sich später noch den Kopf zerbrechen. Jetzt zählte erst mal nur eines.

„Wir müssen dafür sorgen, dass Angelo von dieser Maschine erfährt und …“

„Oh, er weiß es“, gab Crystal zur Auskunft.

Marcus starrte sie fassungslos an. „Er weiß es?“

„Ja. Das ist mit ein Grund, warum er auf dem Weg hierher ist. Ach ja und natürlich, um dich zu retten, aber ich würde sagen, da war ich jetzt irgendwie schneller.“

Marcus hätte ihr in diesem Moment gerne ein ganz kleines bisschen den Hals umgedreht, aber er hielt sich zurück. Ein toter Sukkubus würde ihm gerade noch weniger nutzen als einer, der immer nur die Hälfte von dem preisgab, was er wissen musste. Zumal er sich nicht sicher war, ob er in dem Kampf nicht vielleicht doch den Kürzeren gezogen hätte.

„Okay“, sagte er langsam und möglichst gefasst. „Am besten erzählst du mir jetzt mal die ganze Geschichte, bevor ich mich hier wieder in irgendetwas verrenne.“

Sie seufzte. „Na gut, wenn du meinst, dass das hilft.“

 

Als sie geendet hatte, starrte Marcus für einen Augenblick ins Leere. Auf einmal ergaben so viele Dinge einen Sinn. Angefangen von Angelos rätselhaftem Auftauchen bis hin zu der Tatsache, dass er gerade auf dem Weg zu dem einzigen Ort war, von dem es essentiell schien, dass er ihm fernblieb.

„Das Einzige, was ich nicht verstehe, ist, warum er die Thompsons in die Sache verwickelt hat.“ Er sah Crystal an. „Sie sind ihm doch von keinem Nutzen.“

Der Sukkubus zuckte mit den Achseln. „Wer weiß, vielleicht reist er einfach nicht gern allein.“

Marcus schnaubte nur. Der Gedanke war so absurd, dass er nicht weiter darüber nachdachte. Wichtig war, dass sie Angelo ermöglichen mussten, sich unbemerkt Zugang zu den geheimen Hallen verschaffen. Etwas, dass besonders dann schwierig werden würde, wenn Belial demnächst Wind davon bekam, dass Marcus geflohen war. Sie mussten den Dämon irgendwie ablenken und beschäftigen, damit Angelo Gelegenheit bekam, seinen Auftrag auszuführen.

Marcus’ Blick glitt zu der Leine, die jetzt nicht mehr in Crystals Hand lag. Er hatte sich anfangs wie ein Löwe dagegen gewehrt, sich von ihr herumführen zu lassen, aber sie hatte ihn davon überzeugt, dass das die einzige Möglichkeit war, wie er sich hier einigermaßen frei bewegen konnte. Die Idee, die ihm bei der Erinnerung an diese Diskussion kam, ließ seinen Magen unschön rebellieren.

Er atmete noch einmal tief durch. „Du wirst mich zurückbringen müssen.“

Was?“ Crystals Augen wurden groß wie Suppentassen. „Also wenn es einen Beweis dafür gebraucht hätte, dass du nicht mehr alle Nadeln an der Tanne hast, dann wäre der hiermit erbracht. Warum bei Belphegors stinkendem Schandmaul sollte ich das tun?“

„Weil ich Belial einen Vorschlag unterbreiten will. Er bekommt … mich. Ich werde ihm anbieten, ihm freiwillig zu dienen. Das sollte ihn lange genug beschäftigen, um den Plan durchzuziehen.“

Crystal bewegte den Kopf so heftig hin und her, als wollte sie ihn von ihren Schultern schütteln. „Nein. Niemals. Kommt gar nicht in Frage.

Er seufzte. „Crystal, bitte. Wenn ich Belial nicht ablenke, wird er Angelo gefangennehmen und dann ist alles zu spät. Du musst nur dafür sorgen, dass er freikommt, wenn Alejandro ihn hierher gebracht hat. Schaffst du das?“

Sie zog geräuschvoll die Nase hoch. „Der Köter? Auf den spucke ich doch. Aber Belial wird dich durchschauen. Du kannst ihn nie im Leben davon überzeugen, dass du auf seiner Seite stehst.“

„Wenn ich mich ihm hingebe, vielleicht schon.“

Marcus hatte nicht gedacht, dass ihre Augen noch größer werden konnten.

„Du willst … oh.“

Er sah, wie sie sich auf die Lippen biss in dem Versuch nicht zu grinsen.

„Darf ich fragen, was daran so witzig ist?“

„Ach … äh … na ja. Die Vorstellung von euch beiden zusammen ist schon ziemlich heiß.“

„Ich kann darüber nicht lachen“, grollte er. Allein der Gedanke, die Hände des Dämons auf seiner Haut zu spüren – schon wieder – bereitete ihm Übelkeit.

Entsprechend stark schrak er zusammen, als Crystal sich plötzlich an ihn schmiegte.

„Also schön“, sagte sie. „Dein Plan ist vollkommen bekloppt, aber ich helfe dir. Vor allem dabei, Belial eine gute Show zu liefern.“

Er atmete ein und roch ihren süßlichen Duft. „Und wie willst du das anstellen?“

„Na so, wie ich allen Männern helfe, die ihren kleinen Freund nicht hochkriegen. Belial muss doch schließlich denken, dass du auf ihn stehst. Und dieses Mal dulde ich keine Widerrede.“

Marcus sah ihr in die Augen, die momentan seegrün waren.

„Dann verwandle dich vorher wenigstens zurück“, bat er. „Ich will die echte Crystal küssen.“

Er spürte, wie sich der Körper unter seinen Händen veränderte. Knochen verschoben sich unter ihrer Haut, ihre Gesichtszüge wandelten und verformten sich und im nächsten Augenblick hielt er den stupsnasigen Dämon im Arm.

„Besser so?“, fragte sie und grinste, sodass er ihre spitzen Eckzähne sehen konnte.

„Ja“, bestätigte er, während er sich zu dem verhängnisvollen Kuss herabbeugte. „Viel besser.“

 

 

 

Michael beobachtete Angelo, dessen Blick auf die dunkle Ebene gerichtet war, die vor ihnen lag. Belials dunkles Domizil war nicht besonders weit entfernt. Trotzdem hatte Angelo gezögert, sich dorthin zu begeben. Er hatte seine Kräfte aktiviert und starrte nun schon seit mehreren Minuten mit unbewegtem Gesicht nach vorn. Man hätte ihn für eine leuchtende Statue halten können.

„Und? Was siehst du?“, wollte nun auch Gabriella wissen.

„Ich mache mir viel eher Sorgen um das, was ich nicht sehe“, antwortete Angelo kryptisch. Wieder verfiel er in Schweigen.

Michael bemühte sich ruhig zu bleiben, doch diese unnatürliche Stille, die hier auf der anderen Seite noch viel drückender schien, machte ihn halb wahnsinnig. Es fühlte sich falsch an hier zu sein. Das hier war keine Welt, die für Menschen gemacht war. Sie gehörte zu einer anderen Realität, die der Dämonenfürst wie auch immer errichtet hatte. Alles in Michael drängte ihn, sich wieder auf die helle Seite zu begeben. Den knappen Meter zurück durch das Tor zu gehen, um dort wieder freier atmen zu können. Doch er blieb an Angelos Seite und wartete.

Endlich begann Angelo wieder zu sprechen.

„Es gibt Fallen. Unendlich viele. Ihnen allen auszuweichen dürfte ziemlich schwierig werden.“

„Dann lass deine Kräfte doch einfach aus, bis wir da sind.“

„Dann würde ich die Wächter nicht sehen. Sie sind ohnehin nur schwer erkennbar. Ich bin mir nicht ganz sicher, was sie sind oder ob sie nicht eigens von Belial ersonnen wurden, um sein Anwesen zu schützen. Sie sind nahezu unsichtbar und nur, wenn sie sich bewegen, kann man ihre Konturen erkennen. Sie ähneln riesigen, fliegenden Quallen oder Tintenfischen mit langen Tentakeln, die den Erdboden unter ihnen abtasten. Ich nehme an, das, was immer diese Tentakel berührt, von ihnen eingefangen und festgehalten wird. Möglicherweise könnte ich sie in dem Fall unschädlich machen, indem ich die Tentakel kappe, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie nicht eventuell eine Art Nervengift einsetzen, um ihre Opfer zu lähmen. In dem Fall wärt ihr in Gefahr. Außerdem werden diese Wächterquallen mit Sicherheit einen Alarm auslösen, der uns vor neue Probleme stellen würde. Ich kann es nicht allein mit ihnen allen aufnehmen.“

 

Michael schluckte. Das hörte sich nicht besonders gut an. Zumal er das Gefühl hatte, dass sein Bewusstsein immer noch leicht benebelt war von was auch immer ihm dieser Inkubus verabreicht hatte. Als er zu sich gekommen war, hatten Gabriella und Angelo an seiner Seite gekniet. In ihren Gesichtern hatte tiefe Besorgnis gestanden, die ehrlicher Erleichterung gewichen war, als sie sahen, dass er wieder erwacht war. Ein Teil von ihm schämte sich immer noch dafür, dass er Rafaels hübschem Gesicht so auf den Leim gegangen war, auch wenn er inzwischen wusste, dass er nicht der Einzige gewesen war.

„Es gibt also keinen Weg da durch?“, wollte er wissen.

„Das versuche ich gerade herauszufinden. Es erscheint mir möglich, dass es einen Pfad gibt, auf dem man gehen kann, aber ihn mir zu merken ist ein Ding der Unmöglichkeit. Zumal auf dem Weg die Fallen angebracht sind. Es ist, als würde man versuchen über Wasser zu laufen.“

„Soll ja Leute geben, die das hingekriegt haben“, witzelte Gabriella und seufzte. „Und was jetzt?“

Angelo setzte gerade zu einer Antwort an, als er plötzlich verstummte und sein Gesicht höchste Alarmbereitschaft verriet.

„Da kommt jemand. Schnell. Wir müssen hier weg.“

Michael und Gabriella fragten nicht lange. Angelo wies sie an, sich in dem Verschlag zu verstecken, in dem er zuvor mit Rafael … Victor gewesen war. Dort hing immer noch dieser penetrante Blumengeruch in der Luft, aber Angelo erstickte jeden Protest im Keim und Michael gehorchte. Er drückte sich gegen die raue Wand, Gabriella an seiner Seite, und lauschte.

 

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er endlich etwas hörte. Es klang wie ein Hecheln und das Klappern von schmalen Hufen auf hartem Sandboden. Ohne auf Gabriellas lautlose Aufforderung, sich ruhig zu verhalten, einzugehen, schob sich Michael zur Türöffnung und spähte hinaus. Was er draußen sah, ließ seinen Atem stocken.

Da waren zwei riesige, schwarze Bestien. So groß, das Michael sie schon gar nicht mehr Hunde nennen mochte. Ihre Augen glühten rot und um ihre Hälse wanden sich flammende Ketten. Statt normaler Pfoten hatten sie gespaltene Hufe und auf ihren Köpfen konnte Michael zwischen den Ohren tatsächlich kleine Hörner erkennen. Das erstaunlichste war jedoch, dass diese riesigen Teufelshunde von einem Tier begleitet wurden, das Michael sofort wieder erkannte.

„Spike“, flüsterte er und korrigierte sich in Gedanken. Das war nicht „Spike“, sondern Alejandro, der Anführer der Bande von Strauchdieben, die in Belials Diensten standen.

Kaum hatte er das gedacht, verwandelte sich der verwahrloste Hund in einen fast ebenso verwahrlost wirkenden Menschen zurück. Der Mexikaner mit dem Goldzahn ging neben Victors Leiche in die Knie. Michael hörte ihn leise fluchen. Mit gefletschten Zähnen wandte er sich an die zwei schwarzen Hunde.

„Búsquenlos! Deben de estar por aquí.“

Die zwei Bestien schwärmten daraufhin aus, sodass Michael sich schnell zurückzog. Viel zu schnell näherte sich Hufgetrappel ihrem Versteck. Er hörte ein Schnüffeln, das von einem Grollen abgelöst würde. Ein riesiger, schwarzer Kopf schob sich durch die helle Türöffnung und glühend rote Augen richteten sich auf ihn und Gabriella. Sie sog erschrocken die Luft ein und krallte ihre Hand in Michaels Arm. Er packte die Eisenstange in seiner Hand fester und machte sich auf einen Angriff befasst.

Der Hund entblößte eine ganze Reihe scharf aussehender Zähne und der Pestgestank, der das Untier umwehte, vertrieb auch die letzte Spur des süßlichen Blumendufts. Michael glaubte, seine Nase tief in einen Ziegenstall gesteckt zu haben, der gleich neben einer öffentlichen Toilette lag. Er versuchte flacher zu atmen und hob gleichzeitig seine improvisierte Waffe. Der Dämonenhund knurrte warnend.

„Verschwinde, du Bestie“, rief Michael und hieb nach der Schnauze des schwarzen Hundes. Der wich aus und schnappte nach der Stange, verfehlte sie aber um Haaresbreite. Im gleichen Augenblick sprang er vor und zielte dieses Mal auf Michaels Arm. Der reagierte sofort und stieß mit der Spitze der Stange nach dem Brustkorb des Dämons. Getroffen jaulte dieser auf und prallte zurück. Er gab ein kurzes Bellen von sich und schon waren der zweite Hund und Alejandro ebenfalls heran.

Schon von weitem konnte Michael den dürren Mexikaner grinsen sehen.

„Ah, sieh an, wir haben ein Rattennest gefunden.“

„Die Ratte hier bist ja wohl du“, knurrte Michael und wollte sich auf die zähnefletschenden Hunde stürzen, als Gabriella ihn zurückhielt.

„Nicht“, flüsterte sie. „Sieh doch.“

Michael wusste zunächst nicht, was sie meinte, doch dann bemerkte er die Bewegung in den Dachbalken über Alejandro. Er realisierte zu spät, dass sein Blick ihre Gegner vorgewarnt hatte.

Alejandro stieß erneut einen Fluch aus, warf sich zur Seite und entging so im letzten Moment Angelo, der sich von oben mitten unter die Cadejos fallen ließ. Sein Schwert beschrieb einen leuchtenden, silbernen Kreis und im nächsten Augenblick jaulte einer der riesigen Hunde getroffen auf. Er brach in die Knie und eine Blutlache begann sich um ihn herum auszubreiten, bevor der große, schwarze Körper plötzlich in sich zusammenfiel. Binnen Sekunden vergingen Haut, Haare und Knochen und nur eine stinkende, schwarze Lache blieb von dem Dämon zurück. Sein Kumpan jaulte auf, als habe man ihm das Schwert durch den Leib gerammt.

„Paco!“, schrie Alejandro und wandte sich mit einem grimmigen Zähnefletschen an Angelo. „Das wirst du mir büßen!“

Angelo hob das Schwert und verzog den Mund zu einem kleinen Lächeln. „Du kannst es gerne versuchen.“

„Arrogantes Arschloch!“ Alejandro hatte sich auf den freien Platz zurückgezogen, von dem Michael wusste, dass dort die Engelsfalle lauerte. Zu Alejandros Pech hatte Angelo seine Kräfte jedoch nicht aktiviert. Die Falle blieb unausgelöst.

Die Augen des schäbigen Mexikaners wurden schmal.

„Was ist das? Warum …?“ Er knurrte etwas Unverständliches. Sofort begann, der zweite Hund, sich von hinten auf Angelo zuzuschleichen. Michael wollte ihm zur Hilfe eilen, aber es war bereits zu spät. Das Untier nahm Anlauf, sprang auf Angelo zu und wurde noch im Flug von der silbernen Schwertklinge durchbohrt. Sein Körper fiel mit einem schweren Schlag zu Boden und verging ebenso wie der erste zu einer stinkenden Pfütze. Wieder ließ Angelo sein Schwert beinahe spielerisch durch die Luft kreisen.

„So“, sagte er. „Nun sind nur noch wir beide übrig.“

Alejandro hatte begonnen, rückwärts zu gehen. Als er gegen einen der Balken stieß, die das Dachgebilde trugen, schrak er zusammen, strauchelte und kam nur mühsam wieder ins Gleichgewicht. Angelo folgte ihm unbarmherzig, das Schwert in der Hand.

Als Alejandro schließlich die Scheunenwand erreichte, hetzte sein Blick zwischen Angelo und dem Tor zu Belials Festung hin und her. Er schien abzuwägen, wie groß seine Chancen waren, ihnen auf diesem Weg zu entkommen.

„Nicht mit mir, mein Freund“, knurrte Michael und nahm mit der Eisenstange Aufstellung. An ihm würde dieser Köter zunächst vorbei müssen, wenn er mit dem Schwanz zwischen den Beinen zu seinem Herrn zurückeilen wollte.

Alejandro sah das und wollte wohl gerade sein Heil in der Flucht in die entgegengesetzte Richtung suchen, als ihm Gabriella von dort entgegen trat. Sie hielt eine rostige Harke in ihrer Hand.

„Endstation“, sagte sie und Michael kam nicht umhin, seine Mafioso-Piraten-Braut ein ganz kleines bisschen sexy zu finden. Jetzt jedoch hatten sie zunächst einmal einen Dämon zu besiegen.

„Ihr könnt nicht … ich …“, stammelte Alejandro und drückte sich noch enger gegen die Holzwand in seinem Rücken. Ihm schien aufgegangen zu sein, dass das hier sein letztes Abenteuer sein würde.

„Was wollt ihr von mir?“, stieß er schließlich hervor, als Angelo ihm nach einer ganzen Weile immer noch nur gegenüberstand und ihn musterte.

„Du bist anders“, murmelte Angelo. „Anders als deine Brüder.“

„Komm schon, Angelo“, sagte Michael. „Erledige ihn und dann kümmern wir uns um diese Quallen.“

Angelos Blick traf ihn und Michael erschauerte. In den blauen Augen lag ein stummer Vorwurf.

„Ich würde niemals sinnlos ein Leben nehmen.“

„Sinnlos? Nach all dem, was er dir angetan hat? Die anderen hast du doch auch getötet.“

„Sie haben mich angegriffen, ich habe mich verteidigt. Das ist ein Unterschied. Das hier wäre eine Hinrichtung und das steht mir nicht zu. Nicht in diesem Fall.“

Er wandte sich wieder Alejandro zu. Der hatte die Zähne gebleckt und lachte. Michael glaubte zunächst, sich verhört zu haben, aber der Kerl lachte tatsächlich.

„Ihr werdet es niemals auf die andere Seite schaffen. Die Medusen werden euch nicht durchlassen. Wenn ihr ihnen zu nahe kommt, fangen sie euch und halten euch fest, bis die Wachen euch holen kommen.“

Angelo legte den Kopf ein wenig schief. „Du und deine Freunde, ihr seid hier unbeschadet hergekommen. Es gibt also einen Weg.“

„Oh ja, den gibt es, aber ihr werdet ihn niemals finden.“

„Dann hilf uns.“

Dieses Mal war Michael sich sicher, dass er sich verhört hatte. Hatte Angelo tatsächlich gerade diesen Köter um Hilfe gebeten?

„Was soll das, Angelo? Er wird uns nicht helfen. Und wenn, dann wird er uns bei der erstbesten Gelegenheit in den Rücken fallen. Den Fehler mache ich bestimmt nicht noch einmal. Schlimm genug, dass ich das erste Mal auf ihn und seinen Kumpan hereingefallen bin.“

Gabriella nickte. „Ich muss Michael recht geben. Dieser Dämon hat uns schon einmal belogen und er wird es wieder tun.“

„Nein, wird er nicht.“ Angelo senkte plötzlich das Schwert. „Er wird uns helfen, weil ich der Einzige bin, der ihm geben kann, wonach es ihm am meisten verlangt.“

„Was?“ Michael begann langsam ernsthaft an Angelos Verstand zu zweifeln. „Du willst dich auf einen Handel mit ihm einlassen?“

„Vergiss es, Engel“, fauchte jetzt auch Alejandro. „Ich handle nicht mit dir. Ich würde meinen Herrn niemals verraten. Eher sterbe ich.“

„Ich weiß.“ Angelos Stimme war jetzt sanft und Michael wurde sich bewusst, dass er irgendwann seine Engelskräfte aktiviert haben musste. Da sie außerhalb des Wirkungsbereichs der Falle standen, hatte er es nicht bemerkt.

Ein trauriges Lächeln glitt über Angelos Gesicht.

„Er weiß es nicht, oder?“, fragte er Alejandro. „Er hat es nicht bemerkt. Über die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg ist er zu blind geworden, um es zu erkennen.“

„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst“, knurrte Alejandro, doch etwas an der Art, wie er das sagte, ließ Michael aufhorchen. Es war nicht direkt eine Lüge. Eher etwas, dass er sich selbst und Angelo einzureden versuchte. Etwas, dass er selbst nicht wahrhaben wollte.

„Oh doch, das weißt du“, erwiderte Angelo. Er schenkte Alejandro noch einen letzten, freundlichen Blick, dann legte er das Schwert auf den Boden. „Ich werde nicht gegen dich kämpfen.“

„Was?“ Der Ausruf kam aus drei erstaunten Mündern zugleich.

„Aber Angelo …“, versuchte Gabriella ihr Glück, doch auch sie kam nicht besonders weit, denn Angelo hob sacht die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Er schickte ihr ein entschuldigendes Lächeln.

„Es tut mir leid, aber dies ist ein Kampf, den Alejandro ganz mit sich allein auszutragen hat.“

„Was soll die Scheiße?“, bellte der Cadejo. Mitten in der Verzweiflung, die sich in seinen Augen spiegelte, glomm mit einem Mal ein Funke der Wut. „Was treibst du hier für ein perverses Spiel? Willst du, dass ich renne, damit du mich dann von hinten erschlagen kannst?“

„Nein. Ich will, dass du lebst. Und ich will, dass du uns auf die andere Seite führst. Warum also sollte ich dich töten wollen? Ein toter Führer ist kein guter Führer.“

Alejandro schnaubte trotzig. „Ich sagte doch schon, ich werde meinen Herrn nicht verraten.“

„Und warum nicht?“

„Weil …“ Alejandro unterbrach sich. Er begann hektischer zu atmen. Seine schmale Brust hob und senkte sich unter seinem schwarzen Hemd, das inzwischen voller Staubspuren war.

„Warum würdest du immer zu deinem Herrn stehen, selbst wenn es deinen Tod bedeutet?“ Angelos Stimme war jetzt dringlicher, schärfer geworden. „Antworte mir, Alejandro! Warum würdest du ihn niemals verraten?“

Die Hände des Mexikaners krallten sich in die Stallwand. Auf seinem Gesicht stand pure Agonie. „Ich kann nicht“, wimmerte er. „Ich kann es dir nicht sagen.“

„Warum nicht?“

„Ich … ich habe Angst.“

Er sank an der Wand herab. Sein Körper zitterte ebenso wie sein Unterkiefer. Er schien kurz davor vollkommen zusammenzubrechen. Was immer Angelo mit ihm tat, schien für ihn ebenso schlimm wie Folter zu sein. Michael begann fast, Mitleid mit dieser Kreatur zu bekommen, und wie es schien hatte auch Angelo begriffen, dass er so nicht weiterkam. Er trat einen Schritt auf den zusammengekauerten Mann zu und ging in die Hocke. Langsam streckte er die Hand nach ihm aus.

„Du brauchst dich nicht zu fürchten. Niemand von uns wird dich dafür verurteilen.“ Als er keine Reaktion bekam, seufzte er leise. „Alejandro. Du bist doch mit uns zusammen gewesen. Du hast es gesehen. Warum macht es dir solche Angst?“

Ein Schluchzen antwortete ihm. „Weil … weil ich es niemals haben werde. Niemals.“

„Und wenn ich dir helfen würde? Wenn ich dir helfen würde zu bekommen, was du dir schon so lange wünschst? Was, wenn es wahr sein könnte?“

Tränenverschleierte Augen richteten sich auf Angelo. „Das vermagst du nicht. Niemand kann das.“

„Und wenn doch? Was, wenn ich es zumindest versuchen würde? Was, wenn er es endlich sehen könnte?“

„Er würde mich in der Luft zerfetzen.“

„Nicht, wenn ich ihn vorher besiege. Wenn ich ihm alles nehme, was ihn über dich erhebt und ihn dir ebenbürtig mache.“

„Er würde trotzdem nicht …“

„Er könnte es lernen. Es wird dauern, vielleicht ein Leben lang, aber er könnte es wieder lernen.“

Michael wollte etwas sagen, aber Gabriella war schneller. Sie trat hinzu, sah Angelo an und fragte: „Worum geht es hier?“

Ein feines Lächeln umspielte Angelos Lippen.

„Um Liebe, Gabriella. Um Liebe.“

„Was?“

Auf Gabriellas Gesicht war das gleiche Unverständnis zu sehen, das auch Michael erfasst hatte. Er versuchte einen Sinn in das zu bekommen, was Angelo gesagt und der Cadejo erwidert hatte und plötzlich ergab alles einen Sinn. Sein Blick richtete sich auf Angelo.

„Willst du damit sagen …?“
 

Angelo stand auf und holte tief Luft, bevor er zu sprechen begann.

„Wenn ein Engel fällt, verliert er einen großen Teil seiner Kraft. Dieser Verlust ist schwer zu ertragen, aber noch viel schwerer ist der Verlust der Liebe Gottes auszuhalten. Ein Engel, der sich von ihm abgewandt hat, verliert all die Wärme und Zuneigung, die ihn sein Leben lang begleitet haben, die Teil seines Wesens sind. Es ist schwer zu erklären, sodass ihr es auch versteht, aber es fühlt sich ein wenig so an, als würde einem bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust geschnitten. Es ist furchtbar, es tut weh und es hinterlässt eine Leere, die nichts und niemand zu füllen vermag. Die meisten Gefallenen wurden mit Gewalt aus dem Himmel geworfen. Durch die Zurückweisung wurde es leicht für sie, ihre Herzen zu kitten. Sie stopften sie voll mit Wut und Hass und Eifersucht, bis sie schwarz und verdorben waren und endlich die allumfassende Liebe vergessen konnten, die ihnen entrissen worden war. Ihr Gefühl der Sehnsucht und des Verlusts wurde in das pure Gegenteil verkehrt und sie verachten dieses Gefühl inzwischen zutiefst, sehen es als Schwäche an, als Krankheit, die es auszumerzen gilt auch in den Herzen der Menschen, damit auch diese sich von Gott abwenden.“

Angelos Augen schlossen sich und sein Gesicht zuckte, als würde er erneut die Schmerzen durchleben, die er erlitten hatte, als er zur Erde gestürzt war.

„Als ich ankam, war ich ebenso wie sie einst. Ich war verletzt und einsam, mein Herz war gebrochen. Ich sehnte mich so verzweifelt danach, geliebt zu werden, dass ich jedem gefolgt wäre, der mir nur irgendeinen Ersatz dafür anbot.“

Angelos Augen öffneten sich wieder. „Und deshalb, Michael, bin ich zu dir geschickt worden. Du hast mir geholfen, mich angenommen und schließlich … geliebt. Ohne etwas dafür zu verlangen und ohne Hintergedanken. Du warst einer der guten Menschen, die die Engel damals in Sodom und Gomorrha zu finden gehofft haben. Und wo du zweifeltest, hat mich Gabriella aufgefangen und gehalten. Sie war mir eine große Stütze und ich empfinde tiefen Respekt ihr gegenüber. Mit eurer Hilfe konnte ich den Schmerz überwinden oder zumindest aushaltbar machen. Ich konnte leben, ohne dem Hass und dem Wahnsinn zu verfallen, den bisher alle anderen Gefallenen ereilt hat. Durch eure Liebe habt ihr mich gerettet.“

Er wandte sich jetzt wieder Alejandro zu. „Dein Herr, Belial, ist schon seit Äonen hier und der Schmerz so tief in sein Herz eingegraben, dass er ihn kaum noch spüren kann. Er hat anderes, in seinen Augen Besseres, gefunden, um die Leere in seinem Inneren zu füllen. Und du hast Recht, er würde sich niemals darauf einlassen, sich von dir lieben zu lassen. Doch wenn ich es schaffe, ihn zu besiegen, dann kann es wahr werden. Dann können wir gemeinsam Belial vielleicht vor der Ewigen Verdammnis retten. Doch dazu muss ich auf die andere Seite. Von daher frage ich dich noch einmal: Wirst du uns helfen?“

Alejandro blickte zu Boden. Michael konnte die Emotionen, die in seinem Inneren miteinander rangen, nur erahnen, aber ihm war klar, dass dieser Dämon gerade die schwerste Entscheidung seines bisherigen Lebens zu fällen hatte.

Schließlich sah Alejandro auf.

„Versprich mir etwas“, sagte er mit brüchiger Stimme zu Angelo. „Meinem … Belial darf nichts geschehen.“

Angelos Gesicht war eine ausdruckslose Maske. „Ich verspreche dir, dass ich ihn nicht töten werde. Aber wenn es zu einem Kampf kommt, werde ich ihn nicht schonen. Nicht, bis ich das Leben bis auf den allerletzten Tropfen aus ihm herausgepresst habe. Denn erst dann wird er in der Lage sein, sich in deine Arme zu begeben. In die Arme desjenigen, der ihn wirklich und aufrichtig liebt.“

Alejandro hielt den Blick weiter gesenkt.

„Also schön“, sagte er leise. „Ich helfe euch. Aber wir werden nicht einfach so dort drüben reinspazieren können. Es gibt Wächter und wachsame Spitzel, die unsere Ankunft melden werden.“

„Wenn das so ist …“, Angelo streckte die Hände vor und hielt sie Alejandro mit gekreuzten Handgelenken entgegen, „Solltest du vielleicht tun, was dein Herr dir aufgetragen hat. Bring ihm einen gefangenen Engel.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Búsquenlos! Deben de estar por aquí. - Sucht sie! Sie müssne hier irgendwo sein.

Belphegor – Hochrangiger Dämon, der für Entdeckungen und hilfreiche Erfindungen steht, aber auch für die Todsünde der Faulheit. Seine Anhänger, die er oft mit großen reichtümern beschenkte, brachten ihm als Opfergabe Fäkalien dar, die sie durch Erdspalten und Luftschächte direkt in sein immer offenstehendes Maul warfen. Komplett anzeigen

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