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Angelo

von

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Suchen und Finden

Raue Lippen legten sich auf seine und etwas Festes, Schleimiges drückte sich dazwischen.

„Mpmf“, machte Marcus und versuchte, den Dämon von sich runterzuschieben. Seine Hände glitten über Stoff, Haut, raues Fell. Ein süßlicher und irgendwie vertrauter Geruch hüllte ihn ein. Faule Eier und exotische Blüten. Ein Sukkubus!

Der Kuss wurde dringlicher, die fremde Zunge wütete in seinem Mund und dem Dämon entwich ein Knurren, das irgendwie frustriert klang. Marcus zögerte nicht. Er stieß sich vom Boden ab, nutzte den Bewegungsmoment um sie beide herumzudrehen, und brachte seinen überraschten Gegner unter sich. Die Beine des Sukkubus strampelten, versuchten ihn mit den schweren Hufen zu treffen oder ihm ein Knie in die Weichteile zu rammen. Eilig brachte er seinen Unterkörper aus der Gefahrenzone und konzentrierte sich darauf, den Dämon mit den Schulterblättern auf den Boden zu drücken, während er sich die Handgelenke schnappte, um die Krallen von seinem Gesicht fernzuhalten.

„Hör auf!“, herrschte er den sich wie toll gebärdenden Sukkubus an. „Ich tu dir nichts, wenn du endlich stillhältst.“

Eigentlich hatte er nicht geglaubt, mit dieser Aufforderung irgendeinen Erfolg zu haben, aber zu seinem größten Erstaunen erlahmten die Versuche des Dämons sich zu befreien tatsächlich. Stattdessen gab er einen seltsam klingenden Laut von sich, der fast wie ein Winseln klang. Seine Brust hob und senkte sich unter hektischen Atemzügen und Marcus konnte den entstehenden Luftzug auf seinem Gesicht spüren. In der vollkommenen Dunkelheit war es schwer auszumachen, aber er konnte erahnen, dass sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberliegen mussten. Der Körper unter ihm bebte.

„Hunger!“, quetschte der Dämon plötzlich hervor. Seine Stimme war rau und wenig verführerisch. Eher so als hätte er mit Reißnägeln gegurgelt.

Marcus war so überrascht, dass er seinen Griff lockerte. Gerade noch rechtzeitig bemerkte er, dass sich der Sukkubus von ihm losmachen wollte, und fasste umso stärker nach. Seine Fingerknöchel schabten über den steinernen Untergrund, als er ihre Hände wieder nach unten drückte.

„Lieg still!“, raunzte er noch einmal, während sich seine Gedanken förmlich überschlugen. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht. Der Sukkubus hatte ihn geküsst und doch war er noch bei Bewusstsein und hatte auch nicht den unwiderstehlichen Drang, sich sofort die Kleider vom Leib zu reißen.

Erneut presste sich der Dämon gegen ihn, doch dieses Mal war die Berührung weniger kämpferischer Natur. Ein heiseres Gurren begleitete die schlangengleichen Windungen. Es klang irgendwie bittend.

„Hunger!“, wiederholte die raue Stimme. „Kleiner … Cop.“

Marcus verlor beinahe den Halt, als er die Worte vernahm. Was zum …?

„Crystal?“

Statt einer Antwort hob der Sukkubus den Kopf und wieder streiften ihre Lippen Marcus’ Mund. Er wich instinktiv zurück.

„Kein Gift …“, versprach sie heiser. „Bitte … Hunger!“

Marcus keuchte, als ihm klarwurde, dass das hier tatsächlich Crystal war. Der Sukkubus, mit dem er vor zwei Tagen noch … Er schüttelte den Kopf. Das war vollkommen verrückt. Wie kam sie hierher? Warum war sie eingesperrt worden? Und warum war sie so vollkommen ausgehungert?

Er merkte, wie sie unter ihm zu zittern begann. Ihr Körper, das fiel ihm jetzt erst auf, war unnatürlich warm. Fast so, als habe sie Fieber. Ob sie krank war?

„Wer hat das getan?“

„Vi…“ Ihre Stimme versagte. Wieder versuchte sie, ihn zu küssen. Er merkte, wie sich ihre Hände in seinem Griff kraftlos öffneten und schlossen. Sie war anscheinend vollkommen am Ende. So würde er keine Antworten bekommen. Zuerst musste sie ihren Hunger stillen, aber dafür gab es nur eine Möglichkeit. Marcus schluckte langsam.

„Hunger“, winselte Crystal erneut und das Beben ihres Körpers wurde stärker. Gleichzeitig erschlafften ihre Hände jetzt vollkommen. Er glaubte, ihren Blick auf sich zu spüren. Hörte ihre Atemzüge, die flach und flacher wurden. Spürte, wie sie zunehmend schwächer wurde. Wie das Leben aus ihr wich.

„Hey, ich … Du kannst doch nicht … Crystal!“

Marcus ließ ihre Hände los und fuhr sich über das Gesicht. Er konnte doch nicht … Wirklich nicht. Er wusste, dass das Einzige, was sie retten würde, ein kräftiger Energieschub war. Und er wusste auch, wie sie den bekommen konnte. Aber dazu würde er … mit ihr … Unmöglich! Nicht hier, nicht in seinem Zustand.

Plötzlich fühlte er etwas an seiner Wange. Es waren Crystals Krallen, die beinahe zärtlich über die Stelle strichen, an der sie ihn zuvor gekratzt hatte.

Marcus presste die Kiefer aufeinander. „Ich … Es tut mir leid, aber ich kann nicht.“

Irrte er sich oder war das ein Grinsen, was er da spürte? Wie konnte sie in so einer Situation nur lachen? Fast glaubte er ihre Stimme zu hören, die sich schnippisch erkundigte, ob er etwa nicht Manns genug war, um sie zu befriedigen. Meinte sie vor sich sehen zu können, wie sie mit einer spöttisch gelupften Augenbraue fragte, ob er den kleinen Marcus etwa nicht hochbekam. Und ob sie ihm vielleicht dabei behilflich sein sollte.

Behilflich … das ist vielleicht die Lösung.

Er musste vollkommen verrückt sein, dass er das in Erwägung zog, aber realistisch betrachtet war Crystal seine beste Chance, hier rauszukommen oder zumindest ein paar Antworten zu erhalten. Wenn sie hier eingesperrt war, war sie sicherlich auf denjenigen, der dafür verantwortlich war, nicht unbedingt gut zu sprechen. Vielleicht – und das war ein sehr großes Vielleicht – würde sie ihm ja helfen. Wenn nicht, würde irgendwann der Wärter wiederkommen und ihn hier zusammen mit einem toten Sukkubus finden. In dem Fall wäre sein Schicksal ohnehin besiegelt. Er würde es einfach versuchen müssen.

„Also schön, hör zu, wir versuchen es. Aber du … du musst mich ein bisschen unterstützen. Ich meine, die Umstände sind nicht unbedingt ideal. Ich hab wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung und jede Menge Prellungen und …“

Der Rest seiner Ausrede ging in einem erneuten Kuss unter. Ihre Hände schlangen sich um seinen Nacken und zogen ihn an sich. Mit einem letzten Durchatmen öffnete er den Mund und hieß ihre Zunge dieses Mal willkommen. Ihr Mund war trocken, der Kuss klebrig. Er schloss die Augen, versuchte sich auf das Kommende zu konzentrieren und seine Umgebung auszublenden. Was gar nicht so einfach war, da alles ihn plötzlich daran zu erinnern schien, wo er war und in welcher Gefahr er schwebte. Das hier war Wahnsinn. Vollkommener Wahn…

Etwas prickelte auf seiner Zunge wie Brausepulver. Kleine Funken schienen sich plötzlich in seinem Mund auszubreiten, als hätte er eine Wunderkerze verschluckt. Es biss und stach und eine prickelnde Hitze eroberte seinen Mund, seine Kehle, seinen Brustkorb. Sein Herz begann schneller zu schlagen, während Crystals Magie kleine Feuer auf ihrem Weg nach unten entfachte. Leben kam in seinen Körper an einer Stelle, an der bis gerade eben noch peinlich berührte Stille geherrscht hatte. Doch plötzlich versiegte der Nachschub. Das Gefühl in seinem Mund verschwand und nur die leichte Wärme, die schon durch seinen Körper kreiste, blieb ihm erhalten. Irritiert unterbrach er den Kuss.

„Was ist los?“

„Alle“, war alles, was sie sagte. Auch ihr Atem ging jetzt schneller, doch im Gegensatz zu ihm waren die rasselnden Atemzüge wohl eher ein Anzeichen von Erschöpfung. Und er verstand. Sie hatte ihm alles gegeben, was sie hatte. Den Rest musste er allein schaffen.

Marcus schluckte. Es ging ihm … gut. Besser als gerade noch. Er fühlte sich wohl und der Gedanke, mit Crystal Sex zu haben, erschien ihm lange nicht so abwegig wie gerade noch. Allerdings …

Nicht nachdenken, schnauzte er sich selbst an. Wenn er damit anfing, wäre es gleich ganz schnell vorbei mit irgendwelchen Anwandlungen. Komm schon, du bist ein Mann. Eine dieser primitiven Kreaturen, die Weibern in den Ausschnitt starren, zu allen unpassenden Gelegenheiten anzügliche Witze machen und statistisch gesehen alle halbe Stunde an Sex denken.

Es half nichts. Seine Erregung schwand und mit ihr die Wärme in ihm. Er hätte heulen können. Sein Kopf sank auf ihre Brust herab und er spürte den Stoff ihres Tops auf seinem Gesicht. Ob es noch immer das rote war? In der Dunkelheit ließ sich das nicht feststellen. Er lächelte gegen die aufkommenden Tränen. Was für eine verrückte Geschichte. Der Bastard eines Engels versuchte Sex mit einem Dämon zu haben, um dessen Leben zu retten. Das war doch Irrsinn. Er sollte froh sein, wenn es eine weniger von diesen gottverdammten Kreaturen gab. Er sollte von hier fliehen und auf seinem Weg nach draußen noch ein paar von ihnen mit in den Tod reißen, bevor er selbst draufging. Stattdessen lag er hier an diesen vorwitzigen Sukkubus gelehnt, während ihre Krallen durch sein Haar fuhren, als hätten sie es bereits hinter sich und würden gerade gemeinsam in postkoitaler Lethargie versinken.

„Du kannst jetzt anfangen zu lachen“, sagte er, während er sich neben sie auf den Boden gleiten ließ. „Ich bring’s heute nicht.“

„Macht nichts“, krächzte sie heiser. „Versucht …“

„Oh ja, im Versuchen bin ich prima.“

Er hob den Kopf und sah in die Richtung, in der er ihr Gesicht vermutete. „Mein Name ist übrigens Marcus. Ich dachte, das solltest du wissen, bevor …“

Er beendete den Satz nicht. Es hatte ohnehin keinen Sinn.

„Marcus.“ Seine Namen aus ihrem Mund zu hören war eigenartig. Es lag kein Spott darin, wie zuvor als sie ihn noch „kleiner Cop“ genannt hatte. Eher so etwas wie Zuneigung. Natürlich war das Unsinn, denn ein Dämon wie sie war zu keinen Gefühlen fähig. Für sie zählte nur der Hunger und dessen Befriedigung. Alles andere war nur seine Interpretation einer Imitation menschlichen Verhaltens. Mimikry, nichts weiter. Trotzdem hätte er gerade viel dafür gegeben, sie noch ein bisschen bei dem Spiel zu beobachten. Der Gedanke, dass sie bald nicht mehr sein würde, ließ seine Brust irgendwie eng werden.
 

Er überlegte gerade, ob er noch irgendetwas sagen oder tun konnte, um ihr ihr Ableben zu erleichtern, als er plötzlich ein Geräusch aus Richtung der Tür hörte. Sofort war er in Alarmbereitschaft. Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Jemand kam herein.

„Verstecken“, flüsterte Crystal. Er hörte, wie sie sich bewegte. Ihre Hufe schabten über den Boden, ihre Krallen kratzten über den Stein, während sie in Richtung Ausgang kroch.

Marcus reagierte ohne Verzögerung. So weit er konnte zog er sich von der Tür zurück und hielt dort den Atem an. Ein schmaler Lichtschein erschien, wurde zunehmend heller und schließlich zu einer Fackel in der Hand eines hochgewachsenen Mannes. Er trug einen Anzug und hatte ein äußerst gepflegtes Äußeres. Unter der polierten Fassade konnte Marcus jedoch den Gestank eines Dämons erahnen. Er ähnelte Crystals auf eine Weise, die Marcus vermuten ließ, dass es sich dabei um einen Inkubus handelte. Diese Dämonen waren ihm bei seinen Studien über gestaltwandelnde Dämonen ins Auge gefallen, da sie über eine beachtliche Anzahl an verschiedenen Formen verfügten. Mehr als jede andere Art.

„Ah, ich sehe, du bist wach“, säuselte der mutmaßliche Inkubus. „Das ist gut. Ich habe dir etwas mitgebracht.“

Er befestigte die Fackel in einer Halterung an der Wand und trat zu Crystal, die immer noch am Boden lag. Selbst im schwachen Licht konnte Marcus erkennen, dass sie nicht gut aussah. Ihr Fell wirkte stumpf, die Haut fahl. Sie hielt den Kopf gesenkt und schien kurz davor zusammenzubrechhen.

Mit wenig sanften Bewegungen drehte der Inkubus sie auf den Rücken und schnalzte mit der Zunge. „Nun sieh dich an. Du bist ja vollkommen ausgedörrt. Nichts mehr übrig von deiner früheren Schönheit. Ein Jammer. Aber wenn du jetzt brav den Mund aufmachst, könnte das bald wieder anders werden. Na los, auf das Schnäbelchen. Dann gibt es auch einen Leckerbissen.“

Marcus ballte in seinem Versteck die Hand zur Faust. Er hätte diesem Inkubus am liebsten das süffisante Grinsen aus dem Gesicht gewischt. Der hatte jetzt Crystals Kinn mit einer Hand gepackt, während er mit der anderen eine Phiole entkorkte, in der eine weiße Flüssigkeit schimmerte. Marcus unterdrückte ein Würgen, als ihm klar wurde, worum es sich handelte. In Crystal hingegen kam plötzlich Leben. Sie hatte den Inhalt wohl gewittert und öffnete jetzt tatsächlich den Mund.

„Ah, so ist es brav. Schön schlucken.“

Der Inkubus schüttete den Inhalt der kleinen Glasflasche zwischen Crystals begierige Lippen. Sie schluckte und fast erwartete Marcus wieder zu sehen, wie ihr Körper unter dem unheimlichen Licht erglühte, aber der Effekt blieb aus. Stattdessen knurrte sie unwillig und schloss mit einem Mal ihre krallenbewehrte Hand um den Arm des Inkubus.

„Na na, schön brav bleiben“, tadelte der in sanftem Tonfall. „Du weißt, dass die Portion nicht ausreicht, um dich für einen Kampf zu rüsten. Du sollst lediglich wieder arbeitsfähig werden. Unser Herr wünscht dich bald wieder in so einem fabelhaften Zustand wie zuvor bewundern zu dürfen. Er war wirklich beeindruckt.“

Unser Herr kann mich mal.“

„Soll ich ihm das von dir ausrichten?“ Das Lächeln des Inkubus schwankte keinen Augenblick.

„Meinetwegen kannst du ihm das auch vorstöhnen, während er dich fickt. Ist mir so was von Rille. Und jetzt nimm deine Griffel von mir.“

Der Inkubus trat tatsächlich einen Schritt zurück. Crystal kämpfte sich auf alle Viere und erhob sich dann schwankend, bis sie wieder aufrecht vor dem Inkubus stand. Marcus meinte, ihre gelben Augen im Dunkeln aufblitzen zu sehen.

„Wenn du mir nicht mehr gibst, kann ich nicht rausgehen. Eine Verwandlung und ich lieg wieder im Dreck.“

„Dann verwandle dich nicht“, schlug der Inkubus vor.

„Haha, sehr witzig. Und die Menschen? Meinst du vielleicht, die lassen mir das hier als Halloween-Kostüm durchgehen?“ Sie wies an sich herab.

Der Inkubus legte einen Zeigefinger an den Mund. „Mhm, dafür ist vielleicht ein wenig die falsche Jahreszeit.“

„Sag ich ja“, fauchte Crystal und stemmte die Hand in die Hüfte. „Also los, ich will noch eine Portion. Danach geh ich meinetwegen wieder auf Melktour. Den Scheiß, den ihr danach mit mir abgezogen habt, mach ich aber nicht nochmal mit. Ich wäre fast verreckt.“

„Aber nur fast.“ Wieder dieses enervierende Lächeln. „Also schön, ich hole dir noch was. Aber du bleibst so lange hier. Nicht, dass du uns noch verloren gehst. Hier unten kann man sich leicht verirren.“
 

Der Inkubus verschwand durch die Tür und ließ sogar die Fackel in der Zelle. Kaum, dass er weg war, wirbelte Crystal zu Marcus herum und funkelte ihn wütend an.

„Sag mal, hast du sie noch alle? Ich hab doch gesagt, du sollst dich von hier fernhalten.“

Marcus schnappte erst ein paar Mal nach Luft, bevor er endlich antworten konnte.

„Ich bin nicht ganz freiwillig hier, falls ich dich daran erinnern darf.“

Er klimperte vielsagend mit der Kette um seinen Fuß.

„Weil du dich zu dämlich angestellt hast! Wer hat dich hier eingesperrt?“

Als er nicht antwortete, schnaubte sie nur. „Sag bloß, du hast dich von dem Köter austricksen lassen. Hab ich nicht gesagt, du sollst ihm einfach den Schädel einschlagen?“

„Das muss wohl gewesen sein, nachdem du mich außer Gefecht gesetzt hattest.“

„Du hast zu viele Fragen gestellt.“

„Ich hatte dafür bezahlt!“

Crystal begann plötzlich zu grinsen. „Stimmt. Hattest du. Schade eigentlich, dass du das gerade nicht nochmal hingekriegt hast. Dann hätte ich Victor in der Luft zerfetzt.“

„Victor? Ist das der Inkubus?“

Sie gab ein Schnurren von sich. „Immer noch der gleiche, kluge Kopf unter der hübschen Schale. Ja, Victor ist das neue Schätzchen von unserem Boss. Hat sich sozusagen hochgeschlafen.“

Sie grinste anzüglich.

Marcus atmete tief durch. „Verrätst du mir jetzt, für wen du arbeitest? Ich meine, ich komme hier doch eh nicht mehr lebend raus.“

Statt zu antworten trat sie einen Schritt vor und schnippte ihm mit dem Finger gegen die Stirn.

„Au! Das tat weh!“ Marcus rieb sich die malträtierte Stelle.

„Wirst es überleben. Aufgeben gilt nicht.“

Jetzt war es an Marcus zu schnauben. „Ach ja? Dann verrat mir doch mal, wie ich hier wegkommen soll. Ich weiß ja noch nicht mal, wo hier eigentlich ist. Wo sind wir? Amazonas? Ägypten? Russland?“

„Mexiko.“

Marcus zog die Augenbrauen nach oben. „Im Ernst? Nur in Mexiko?“

„Jupp. Könnte dir erklären wo, aber das würde dir ja auch nichts nützen. Du kannst hier nicht raus.“

„Das ist mir auch klar.“

„Nein, du verstehst nicht. Ich meine, dass du, sobald du einen Fuß auf das Außengelände setzt, geht hier ein Alarm los. Hier kommt kein himmlisches Wesen rein oder aus, ohne von einer Horde Dämonen umzingelt zu werden. Der Meister war da ziemlich gründlich. Vermutlich taucht der Ort hier nicht mal auf irgendwelchen himmlischen Landkarten auf. Luftabwehr und so. Alles superstreng geheim.“

Misstrauisch runzelte Marcus die Stirn. „Und woher weißt du das alles?“

„Weil ich gut Freund mit Ernie bin. Ernie ist hier der Sicherheitschef und zuständig für alles, was rein oder rausgeht oder eben auch nicht. Hab ihn ein bisschen ausgequetscht wegen meiner Schuhe.“

„Schuhe?“ Marcus verstand immer weniger.

Sie winkte ab. „Nicht so wichtig. Tatsache ist, dass du hier festsitzt. Da bräuchte es schon ne ziemliche Armee, um das hier plattzumachen. Du hast nicht zufällig eine dabei?“

Er schüttelte den Kopf.

„Das dachte ich mir. Tja, und da du auch nicht in meine Handtasche passt … war schön dich gekannt zu haben.“

„Was?“ Entgeistert sah Marcus sie an. Meinte sie das ernst?

„Nun guck nicht so, kleiner Cop. Gerade eben hast du noch vom Sterben geredet, aber wenn ich das tue, ist das auf einmal ein Verbrechen? Ich bitte dich. Was soll ich denn tun? Die Kavallerie rufen?“

Marcus sah sie einen Augenblick lang unbewegt an. Dann begann er zu grinsen.

„Crystal, du bist genial.“

„Ach echt?“ Sie zog verwundert die Augenbrauen nach oben. „Das hat mir auch noch keiner gesagt. Eher so was wie 'Ich steh auf deine Titten' oder so.“

Er seufzte. „Du bist … nicht so wichtig. Kannst du mir einen Gefallen tun?“

„Also wenn du jetzt noch einen geblasen haben willst, müssen wir uns aber beeilen.“

Marcus verzog das Gesicht. „Nein, nicht so einen Gefallen. Ich meinte, ob du jemanden für mich anrufen kannst.“

Ihre Augen wurden schmal.

„Wen?“

„Meinen Vater.“

„Was?“ Einen Augenblick lang stand ihr Mund sperrangelweit offen, bevor sie erneut begann loszuzetern. „Kommt gar nicht in die Tüte! Ich ruf doch keinen Engel an. Der vierteilt mich, wenn er rausfindet, wer ich bin.“

„Das musst du ihm ja nicht auf die Nase binden. Du sollst ihm nur sagen, wo ich bin.“

Crystal sagte nichts dazu und starrte ihn nur an, als wäre er verrückt geworden. Hinter ihrer Stirn konnte Marcus die Zahnräder rattern hören.

„Aber dann weiß er auch, wo mein Chef zu finden ist“, sagte sie schließlich mit leichtem Schmollen.

„Der dich fast hat verrecken lassen?“ Er hob abwehrend die Hände, als sie anhob zu protestieren. „Deine eigenen Worte. Ich dachte mir, du würdest ihm vielleicht gerne einen Denkzettel verpassen. Wenn hier ein paar Engel anrücken, wer würde auf die Idee kommen, dass du daran Schuld bist?“

Ihre Augen wurden schmal. „Bist du sicher, dass du ein reinrassiger Nephilim bist? Nicht doch irgendwelche Dämonen in deinem Stammbaum? Ein Trickster vielleicht?“

„Nicht, dass ich wüsste.“

Sie biss sich mit den Reißzähnen auf die Unterlippe, während sie begann, in der Zelle hin und herzu laufen wie ein Tiger im Käfig. Ihr Schwanz schlug unruhig hin und her.

„Es könnte funktionieren. Vielleicht zerstören sie dabei auch gleich diese Höllenmaschine, in der sie mich gefesselt hatten. Da will ich bestimmt nie wieder hin.“

„Maschine?“

„Keine Zeit, dir das zu erklären. Victor wird gleich wieder hier sein und dann muss ich zusehen, dass ich ihn hier rausbringe, bevor er dich noch entdeckt. Kannst von Glück sagen, dass er den Saft dabei hatte, sonst hätte er dich bestimmt gerochen.“

Es lag Marcus auf der Zunge zu sagen, dass sie auch nicht gerade nach Rosen duftete, aber er schluckte die Bemerkung herunter. Das hier war zu wichtig, um noch weiter Zeit mit Geplänkel zu vergeuden.

„Also was nun? Rufst du ihn an?“

Sie blieb stehen und musterte ihn einen Augenblick lang. „Also schön, ich mach's. Aber ich kann nicht garantieren, dass dein Daddy dich retten kommt. Ich mache den Anruf und dann bin ich raus aus der Geschichte. Alles klar?“

Er lächelte schief. „Klar.“ Was hatte er auch sonst erwartet.

„Na gut, dann sag mir die Nummer, ich versuche sie mir zu merken.“

Er sah sie zweifelnd an, aber sie rollte nur mit den Augen. „Ein Scherz. Nummern konnte ich mir immer schon gut merken. Ich steh auf die 69.“

Marcus ging nicht auf die Andeutung ein, während er ihr die Telefonnummer diktierte. Crystal wiederholte sie noch einmal und nickte dann.

„Alles klar, ist so gut wie erledigt Wenn ich wieder in Vegas bin, ruf ich diesen Engel an und sag ihm, wo er dich findet.“ Sie schürzte die Lippen. „Na gut, das war's dann wohl. Zeit Abschied zu nehmen. War nett mit dir, kleiner Cop.“

Sie beugte sich vor und bevor er es verhindern konnte, hatten sich ihre Lippen auf seine gelegt. Fast erwartete er, wieder ihre Magie zu spüren zu bekommen, aber es war tatsächlich nur ein Kuss. Verwundert sah er sie an. Sie leckte sich über die Lippen und grinste.

„Ich muss mir doch merken, wie du schmeckst. Schließlich sieht man sich immer zweimal im Leben.“

„Wir sehen uns gerade zum zweiten Mal.“

Ihr Grinsen wurde breiter. „Vielleicht ist uns ja ein drittes Mal vergönnt … Marcus.“

Er wollte noch etwas erwidern, aber in diesem Moment hörte er den Inkubus auf dem Gang wiederkommen und drückte sich so eng er konnte an die Wand, während Crystal wieder an der Tür Aufstellung nahm. Sie ließ sich nichts anmerken, nahm die zweite Phiole von Victor entgegen und stürzte den Inhalt herunter, bevor sie mit keckem Hüftschwung und zuckendem Schwanz die Zelle verließ. Der Inkubus nahm noch die Fackel an sich und ließ Marcus somit im Dunkeln zurück.

Sobald die beiden draußen waren, sank er an der Wand herab und atmete tief durch. Nun hieß es warten und hoffen, dass Crystal sich an ihr Versprechen hielt. Denn wenn nicht … Nun das würde er wohl herausfinden, wenn Alejandro von wo auch immer zurückkam.
 


 

Einen Augenblick lang schwebte seine Faust noch unschlüssig über dem schwammigen Holz der Tür, bevor Alejandro endlich den Mut fasste anzuklopfen. In der Hütte der Cuca war nichts zu hören. Wahrscheinlich schlief sie noch. Sie zu wecken war vermutlich die dümmste Idee, die er seit langem gehabt hatte, aber er war verzweifelt! Schon wieder war fast ein ganzer Tag verstrichen und er hatte noch keine Spur von diesem Engel. Dafür fristete jetzt ein Nephilim im Kerker der Festung sein Dasein. Er hatte ihn mitgenommen in der Hoffnung, seinen Herrn notfalls mit der Kreatur besänftigen zu können, wenn er sie ihm zum Geschenk machte. So ein Halbengel hielt sicher eine Menge aus und sein Herr liebte raue Spielchen. Wenn das Opfer hübsch war, war das noch ein Bonus, und soweit Alejandro das beurteilen konnte, würde der Nephilim seinem Herrn gefallen. Der weitaus größere Triumph wäre es jedoch, ihm tatsächlich den Engel zu präsentieren. Zuerst einmal musste er den jedoch finden und dazu brauchte er die Cuca. So einfach war das. Alles andere wie die Doppelreihe scharfer Zähne in ihrem Maul und die Tatsache, dass sie ihm körperlich weit überlegen war, blendete er einfach aus. Das war ohnehin so gut wie jeder Dämon, den er kannte.
 

Immer noch regte sich nichts in der schimmeligen Hütte, die jetzt im nachmittäglichen Sonnenschein einfach nur schäbig und weit weniger gruselig wirkte als bei seinem letzten Besuch. Was sollte er jetzt tun? Einfach weiter klopfen, bis sie irgendwann öffnete? Oder warten, bis es dunkel wurde? So viel Zeit hatte er nicht. Er hatte sich doch nicht so beeilt, nur um jetzt hier vor verschlossenen Türen zu vermodern. So leicht würde er sich nicht abwimmeln lassen. Entschlossen klopfte er noch einmal.

„Hey!“, rief er so laut, dass die Grillen und alles andere Getier um ihn herum für einen Augenblick in ihrem Konzert verstummten. „Ich weiß, dass du da bist. Also schwing deinen fetten Arsch aus dem Bett. Ich hab gebracht, was du wolltest.“

Das hatte er tatsächlich. Als die Cuca persönliche Gegenstände gefordert hatte, hatte er sofort an den Koffer dieses Menschen denken müssen, den der Nephilim in seiner Wohnung aufbewahrte. Darin hatte sich, wie er gehofft hatte, tatsächlich etwas beschmutzte Kleidung befunden. Er konnte zwar nicht mit Sicherheit sagen, ob das T-Shirt, das er jetzt bei sich trug, wirklich von dem Engel oder von seinem menschlichen Begleiter stammte, aber das war im Grunde genommen auch egal. Wenn er den einen fand, würde er auch den anderen finden. Er konnte nur hoffen, dass das Shirt ausreichte. Das erste, was ihm in die Hände gefallen war, war getragene Unterwäsche gewesen, und auch wenn diese Sachen sicherlich als „persönlicher“ anzusehen waren, hatte er sich nicht überwinden können, etwas davon einzustecken. Nicht, dass es ihm etwas ausgemacht hätte, die Sachen am Körper zu tragen, aber er hatte sich in dem Moment den Gesichtsausdruck der Cuca vorgestellt, wenn er mit der Unterhose eines fremden Mannes bei ihr auftauchte. Das hatte er sich dann doch lieber ersparen wollen. Sie nahm ihn ohnehin nicht ernst genug, was man schon daran merkte, dass er immer noch vor dieser verdammten Scheißtür stand!
 

„Mach endlich auf!“, brüllte er und trat mit dem Fuß gegen das morsche Holz, das unter der Behandlung protestierend ächzte. Vielleicht sollte er einfach versuchen, die Tür einzutreten und sie an ihrem Schwanz aus dem Bett schleifen. Ja, das würde ihm gefallen. Dann könnte er …

In diesem Moment öffnete sich die Tür und die riesige Schnauze der Cuca schnappte nur Millimeter vor seinem Gesicht zusammen. Gelbe Alligatoraugen funkelten ihn darüber hinweg wütend an.

„Was?“, blaffte sie und sah aus wie die personifizierte schlechte Laune. „Du bist wohl lebensmüde. Weißt du eigentlich, wie spät es ist?“

Alejandro schluckte jede Erwiderung, die ihm dabei in den Sinn kam, mit Müh und Not wieder herunter. Er war immerhin gekommen, weil er etwas von ihr wollte. Da war es sicher nicht klug, wenn er sie jetzt noch weiter verärgerte.

„Hier“, knurrte er deshalb nur und hielt ihr das Shirt unter die Nase. „Reicht das für den Zauber?“

Sie blinzelte ein paar Mal, bevor sie sich herabließ, das Stück Stoff in seinen Händen zu begutachten.

„Ist das von dem Engel?“

„Eher von seinem Begleiter. Ein Mensch. Ist das ein Problem?“

„Nein, kein Problem“, antwortete sie und trat von der Tür zurück. „Komm rein.“

Drinnen herrschte ein muffiges Halbdunkel, das jetzt, da die Sonne hoch am Himmel stand, erdrückend schwül war. Alejandro spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Eine der Nebenwirkungen seiner menschlichen Gestalt. Er konnte schwitzen, weinen, war empfindlicher gegen Hitze und Kälte und hatte manchmal diese … Gefühle. Er hätte es nie offen zugegeben, aber manchmal kam er sich einfach schwach vor. Schwächer als die anderen, die diese Bedenken nicht zu teilen schienen. Er war zwar nicht unbedingt die hellste Kerze auf dem Kuchen, so viel war ihm auch klar, aber wenn er sich andere, niedere Dämonen so ansah, kamen sie ihm manchmal so eindimensional vor. Es war nicht so, dass er keine Freude daran hatte, zu rauben, foltern oder morden. Im Gegenteil. Es verlieh ihm eine Art von Macht, die nur durch wenig anderes übertroffen wurde. Er genoss es, wenn die Menschen Angst vor ihm hatten. Es war wie eine Art Rausch, ein Höhenflug, der seine Sinne beflügelte und ihn sich einfach gut fühlen ließ. Aber wenn er dann unter seinesgleichen war, verschwand dieses Gefühl recht schnell. Bei den Dämonen musste er sich ständig behaupten, musste immer auf der Hut sein, um nicht plötzlich als Opfer mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Das war anstrengend und manchmal … manchmal wünschte er sich, gar nicht mehr zurückkehren zu müssen. Wenn da nicht sein Herr gewesen wäre, hätte er sich vermutlich bereits aus dem Staub gemacht und wäre irgendwo untergetaucht. Irgendwo, wo ihn diese stinkende Bande nicht wiederfand.

„Was guckst du so kariert aus der Wäsche? Los, hilf mir den Tisch freizuräumen. Ich brauche Platz.“

Alejandro schüttelte den Kopf und stopfte die dummen Gedanken ganz tief zurück in die Ecke seines Kopfes, aus der sie unerlaubt gekrochen waren. Er war hier mit einem Plan und den würde er jetzt auch durchziehen. Den anderen Cadejos hatte er nichts davon erzählt. Auch nicht von dem Nephilim, der jetzt im Keller schmorte, oder davon, dass er heimlich in die Ausstellung des Herrn geschlichen war, um dort dem ausgestopften Bukavac die Zunge herauszuschneiden.

Die Zunge sowie einige andere Zutaten, die die Cuca von ihm verlangt hatte, lagerten jetzt in einem Sack ein Stück weit entfernt von der Hütte gut versteckt in einem hohlen Baumstumpf. Hätte er sie gleich mitgebracht, hätte er riskiert, dass sie ihm die Beute einfach abnahm und ihm den Kopf abbiss, ohne sich weiter um den vereinbarten Handel zu kümmern.
 

Mit gerunzelter Stirn beobachtete er, wie die Cuca begann, allerlei Utensilien auf dem Tisch auszubreiten. Einiges davon konnte er erraten. Das rote Büschel waren mit Sicherheit Haare von einem Curupira und die glühenden Schuppen, die die Cuca vorsorglich in einem feuerfesten Glasgefäß aufbewahrte, stammten vermutlich von einer Boitata. Der Rest jedoch entzog sich seinen Kenntnissen. Es war ihm auch vollkommen egal, solange der Zauber nur funktionierte.

„Hast du an die Bezahlung gedacht?“ Misstrauisch nahmen ihn die stechenden Augen der Cuca ins Visier.

„Natürlich. Kriegst alles, wenn das hier fertig ist.“

Sie knurrte unwillig, fragte aber nicht weiter nach. „Na fein. Dann pflanz deinen Hintern dort hinten hin und stör mich nicht.“

Alejandro vermied es, allzu offensichtlich mit den Augen zu rollen, und zog sich einen wackeligen Schemel heran, um darauf Platz zu nehmen. Wie viele Stunden hatte er wohl schon auf diesem Ding zugebracht? Vermutlich mehr als er zählen konnte. Das Ganze hatte allerdings den Vorteil, dass er gut darin geworden war zu warten. Außerdem konnte er sich so schon mal in den schönsten Farben ausmalen, wie es sein würde, wenn er den Engel endlich einfing. Dann würde sein Herr erkennen, dass …

Seine Gedankens stockten, als ihm auffiel, dass sein toller Plan ein ganz entscheidendes Loch hatte. Wenn er den Engel fand, war er zwar schon ein gutes Stück weiter, aber wie sollte er ihn einfangen? Zumal dieser blonde Bastard inzwischen ja seinen persönlichen Leibwächter hatte, wie Alejandro bereits beim ersten Zusammentreffen hatte feststellen müssen. Der dumme Mensch hatte ihn einfach niedergeschlagen. Diese körperliche Unterlegenheit würde ihn beim zweiten Mal sicherlich erneut vor ein Problem stellen. Es sei denn, er fand einen Weg, den Menschen und den Engel gleichzeitig auszuschalten.

Aber eins nach dem anderen. Erst mal muss ich ihn ausfindig machen und dann werde ich mir wohl Hilfe holen müssen. Vielleicht kann ich ihnen eine Falle stellen. Einen Hinterhalt. Irgendwas, bei dem ich nicht kämpfen muss.Wenn ich sie eine Weile beobachte, wird sich schon eine Schwachstelle offenbaren, die sich nutzen lässt. Eine Schwachstelle hat schließlich jeder, auch Engel.

Er grinste, während er sich vorstellte, wie er das blonde Englein vor den Thron seines Meisters schleifte, und der ihn dafür fürstlich belohnte. Vielleicht sogar mit einem Platz in seinem Bett. Allein der Gedanke daran ließ einen angenehmen Schauer seinen Rücken hinabrieseln. Die Vorstellung, den perfekten Körper seines Meisters berühren zu dürfen, ihn zu küssen, zu kosten, sich von ihm benutzen zu lassen …
 

„Ich hoffe, deine Latte kommt nicht davon, dass du mir die ganze Zeit auf den Hintern geglotzt hast.“

Alejandro schreckte hoch und blickte in das schadenfrohe Gesicht der Cuca. Ihr Blick wanderte vielsagend zwischen seine Beine, die er sogleich zusammenkniff und sich abwandte. Verdammt, das hätte sie nicht sehen sollen. Ihm wurde heiß.

„Keine Bange, ich verrat’s keinem, dass du auf deine Mama stehst“, grinste sie und hielt ihm etwas unter die Nase. Es war ein Anhänger, der an einem schwarzen Lederband baumelte. Der größte Teil bestand aus einem Vogelschädel, in dessen Augenhöhlen die Schuppen der Boitata eingelassen waren. Die roten Haare waren ebenfalls an dem Schädel befestigt worden und wirkten wie ein zerzaustes Federkleid. Als sie den Anhänger bewegte, glommen die Augen des Vogels unheilvoll auf.

„Hier, dein Aufspürzauber ist fertig. Ich erkläre dir jetzt noch, wie er funktioniert. Also sperr die Ohren auf und hör zu. Ich hasse es mich zu wiederholen.“

Die Cuca drückte ihm den Anhänger in die Hand. Er strich mit den Fingern darüber und meinte eine schwache Wärme unter seinen Fingern pulsieren zu fühlen. Fast so, als habe er einen lebendigen Vogel in der Hand.

„Der Anhänger weist dir den Weg zu dem Engel oder vielmehr zum Besitzer des Kleidungsstücks. Wenn du in die richtige Richtung gehst, leuchten die Augen des Vogels rot, wenn du falsch bist, werden sie blau. Je heller der Schein, desto näher bist du dran. Alles klar?“

„Rot ist richtig, blau ist falsch, je heller, desto näher.“ Er sah sie herausfordernd an. „Hab ich was vergessen?“

Ihr Gesicht zog sich zu einem zähnestrotzenden Grinsen in die Breite. „Nein, mein Kleiner. Hast dir alles brav gemerkt. Ich wusste doch, dass du nicht ganz so dumm bist, wie du aussiehst. Irgendwas muss dein Herr an dir ja finden, sonst würde er dich nicht hiermit betrauen. Ich gehe davon aus, dass du die Sache mit dem Verwandeln inzwischen auch besser draufhast. Wenn ich da an das eine Mal denke, als du erkältet warst …“

„Jaja“, versuchte er sie zu unterbrechen, aber sie redete unerbittlich weiter.

„Hast dich bei jedem Niesen von der einen in die andere Form verwandelt. Es war zum Schießen. Im einen Augenblick ein rotznasiger Bengel, im nächsten ein Welpe, dessen dürre Beine vom Stuhl gerutscht sind, sodass er mit einem Jaulen auf dem Hosenboden landete. Hab dich danach nur noch aus einem Napf vom Fußboden fressen lassen. Das passte für beide Formen und …“

„Genug!“, fauchte er und erhob sich weniger würde voll von seinem Schemel, als ihm lieb gewesen wäre. „So gerne ich noch mit dir plaudern würde, ich hab da einen Engel zu fangen.“

Sie grinste immer noch. „Dann mal viel Glück dabei, kleiner Alejandro. Und falls du ihn tatsächlich in die Finger kriegst, darfst du mir gerne eine von seinen Federn mitbringen. Wer weiß, vielleicht habe ich dann auch was Schönes für dich. Etwas, dass dir gefallen wird.“

Es juckte ihn, sie zu fragen, was sie damit meinte, aber er beherrschte sich. Wenn er allzu viel Interesse zeigte, würde das nur den Preis nach oben treiben.

„Wir werden sehen“, brummte er daher nur, hängte sich den Anhänger um den Hals und verließ, so schnell er konnte, die Hütte der Cuca, um endlich den Engel für seinen Herrn ausfindig zu machen.

„Und vergiss nicht, mir meine Bezahlung zu bringen“, rief sie ihm noch nach, als er bereits zur Tür hinaus war.

„Hol sie dir selber, alte Vettel“, knurrte er wütend, machte sich dann aber doch auf den Weg, um ihr den Sack zu bringen. Sich mit der Cuca anzulegen, war sicherlich keine gute Idee, denn wer wusste schon, wann er ihre Dienste noch einmal brauchen würde.
 


 

Die richtige Autovermietung zu finden war nicht weiter schwer. Es war eine der kleineren Firmen, die hier in der Stadt nur eine Filiale hatten. Somit hatte sich Erithriel zielstrebig dorthin begeben, um sich nach dem Verbleib des von Thompson gemieteten Wagens zu erkundigen. Es hatte nur seine Marke und ein bestimmtes Auftreten verlangt, bis er erfuhr, was es zu wissen gab. Das war unerfreulich wenig, aber besser als nichts.

Er wusste jetzt, dass heute Morgen eine dunkelhaarige Frau den gesuchten Mietwagen zurückgebracht, jedoch keinen neuen Vertrag abgeschlossen hatte. Der Name, auf den der Vertrag gelaufen war, lautete Perriconti. Ziemlich wahrscheinlich italienischer Herkunft und somit allem Anschein nach der Mädchenname von Thompsons Frau. Er hatte sie also gefunden und im nächsten Moment wieder verloren.

Nicht ganz sicher, wie er jetzt weiter vorgehen sollte, verließ er die Autovermietung und sah sich um. Der Mann hinter dem Tresen hatte ihm bestätigt, dass sie allein gekommen war. Kein zweiter Wagen. Wie also war sie von hier weggekommen? Mit einem Taxi? Irgendwie bezweifelte Erithriel das.

Er ging ein paar Schritte und nahm dabei die Umgebung in Augenschein. Als sein Blick an einem Schild hängenblieb, wurden seine Augen schmal. Sollte er wirklich so viel Glück haben? Schnell ging er auf das ausgewiesene Geschäft zu und betrat es. Die Augen einer bemühten Mitarbeiterin richteten sich sogleich auf ihn.

„Willkommen bei Rent-A-Car. Kann ich Ihnen helfen?“

Mit einer routinierten Bewegung zog er seine Dienstmarke aus der Tasche. „Hawthorne, FBI. Ich würde gerne wissen, ob eine gewisse Gabriella Perriconti bei Ihnen ein Auto gemietet hat.“

Die blonde Frau sah ihn ein wenig erstaunt an, nickte aber zu seiner Erleichterung.

„Gut“, erwiderte er und trat näher. „Ich brauche die Daten des Fahrzeugs, um eine Fahndung nach ihr rausgeben zu können.“

Wieder nickte die junge Frau hinter dem Tresen, bevor sie plötzlich stoppte und zu ihm aufsah. „Ich könnte Ihnen auch die Tracker-Daten geben. Unsere Wagen haben alle ein GPS-Gerät eingebaut.“

Beinahe hätte Erithriel gelächelt. „Tun Sie das.“

Heute musste wirklich sein Tag sein.

„Haben Sie denn einen Durchsuchungsbefehl?“

„Wie bitte?“

Die junge Frau hinter dem Tresen sah ihn zerknirscht an. „Einen Durchsuchungsbefehl. Ich kann Ihnen schließlich nicht einfach auf Zuruf irgendwelche Kundendaten rausgeben. Damit mache ich mich strafbar.“ Sie zog ein wenig die Schultern hoch. „Sorry, ich arbeite erst seit drei Wochen hier. Wenn ich was falsch mache, fliege ich raus.“
 

Erithriel nahm sich einen Augenblick um betont langsam ein- und auszuatmen. Er war sich ziemlich sicher, dass er den Geschäftsführer davon hätte überzeugen können, ihm die Daten auch so zu geben. Notfalls hätte er ihm erzählt, dass die Sicherheit des Fahrzeugs auf dem Spiel stand. Das würde den Mann sicherlich zur Herausgabe des GPS-Zugangs bewegen. Es gab allerdings noch ein Problem, das er bisher nicht gelöst hatte. Wenn er den Gefallenen tatsächlich ausfindig gemacht hatte, musste er ihn auch festsetzen. Dazu würde er vermutlich Unterstützung brauchen. Sich ihm allein entgegenzustellen, wäre unklug. Inzwischen war er immerhin schon ein paar Tage auf der Erde und hatte vermutlich einen Gutteil seiner Kräfte wieder erlangt. Erithriel brauchte somit mindestens einen oder zwei weitere Kollegen, die ihm dabei zur Seite standen. Und genau die schienen momentan nicht greifbar. Auf dem Weg hatte er noch ein paar Mal versucht, Melanthiel ans Telefon zu bekommen, war aber immer nur bei der automatischen Bandansage gelandet, die ihm mitteilte, dass der Gesprächspartner zurzeit nicht erreichbar sei und über seinen Anruf informiert werden würde.

Erithriel sah noch einmal zu der jungen Frau, die ihn immer noch musterte. Er verhielt sich definitiv zu auffällig. Das musste er ändern.

„Ich komme wieder“, verkündete er und wartete nicht ab, ob sie etwas dazu zu sagen hatte. Draußen ging er zügig die Straße entlang. Bewegung würde ihm vielleicht helfen, seine Gedanken zu ordnen.

Er war sich ziemlich sicher, dass Thompson und die anderen noch in der Stadt waren. Was sie hier wollten, war ihm jedoch schleierhaft. Auch der Ausflug nach Las Vegas schien nicht wirklich Sinn zu machen. Was planten sie? Oder gab es vielleicht gar keinen Plan? War Chaos das einzige Ziel?

Ich werde mir einen Durchsuchungsbefehl besorgen. Das sollte bei der aktuell ausstehenden Fahndung kein Problem sein. Und während ich darauf warte, kann ich noch ein paar Anrufe machen. Irgendwo wird doch ein weiterer Engel zu finden sein.

Mit grimmigem Gesicht machte er sich daran, eine neue Nummer einzutippen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Bukavac – dämonisches Fabelwesen, mit sechs Beinen und gekrümmten Hörnern, das einen sehr lauten Schrei von sich gibt. Es lebt in Tümpeln und kleinen Seen und hat die Angewohnheit, seine Opfer anzuspringen und zu erwürgen, bevor es sie frisst.

Curupira – rothaariger Beschützer der Wälder des Amazonas; eine kleine, menschenartige Gestalt, feuerrote Haare und Füße, die in die falsche Richtung weisen, damit seine Feinde ihn nicht so leicht aufspüren können. Menschen, die die Natur nicht ehren, sollten sich vor ihm in Acht nehmen.

Boitata – riesige Feuerschlange, die tagsüber rot brennt und verirrten Wanderern den Weg durch den Dschungel weist, nachts jedoch in blaues Feuer gehüllt ist und Jagd auf menschliche Beute macht, die sie dann verbrennt und auffrisst. Komplett anzeigen

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