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Liebe, Lüge, Wahrheit

von

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Verplappert

Oscar befand sich zusammen mit André schon seit einer Woche im Dienst am Hofe von Versailles wieder, als General Reynier de Jarjayes auf sein Anwesen zurückkehrte. Er wollte sich nur von seinen Pflichten ein wenig entspannen und seine dienstfreien Tage im getrauten Heim genießen. Dabei merkte er nicht, wie die Bediensteten zu ihm vorsichtig schauten und begab sich wie gewöhnlich in sein Kontor, um ein paar Dokumente zu überprüfen. Diese Dokumente waren zwar nicht wichtig, aber tatenlos wollte er wiederum auch nicht sitzen. Die Haushälterin Sophie kam ihm sogleich hinterher und begrüßte ihn wie immer freundlich. „Willkommen zuhause, Monsieur. Wünscht Ihr gleich zu speisen?“

 

„Nein, ein Glas Wein wird mir reichen.“ Reynier kam an seinen Tisch und holte die Dokumente aus einer Schublade heraus.

 

„Das werde ich gleich erledigen.“ Sophie wollte schon gehen, als der General sie kurz aufhielt. „Ich will, dass François das für dich erledigt und mir den Wein bringt.“ Er merkte nicht, dass sie ein wenig nervös war.

 

„Jawohl, Monsieur.“ Sophie überlegte, ob sie ihn über das ausgesetzte Kind einweihen sollte, aber entschied sich dagegen. Der General war gerade erst heimgekehrt und sollte sich erst einmal ausruhen. Sonst könnte er schlechte Laune bekommen und die kleine Marguerite sofort ins Waisenhaus schicken lassen. Das würde Lady Oscar sicherlich nicht gefallen, denn sie hatte das Mädchen bereits als ihr zweites Ziehkind adoptiert und wollte es genauso behalten wie François vor sieben Jahren. Mehr und mehr bewies sie damit, wie gutherzig sie war und es wäre schön, wenn sie ihre weiblichen Gefühle durch das zweite Findelkind noch mehr zur Geltung bringen würde, anstelle sie durch die hartherzige Disziplin eines Mannes zu verdrängen.

 

Reynier setzte sich an den Tisch und nahm ein Blatt, ohne richtig darin zu lesen. Seine Gedanken schweiften zu Augustin, den er auf seinem Heimweg in Paris besucht hatte und schmunzelte. Der Junge entwickelte sich prächtig und konnte bereits sehr gut sein Übungsschwert führen. Er war sehr lerneifrig und auch begabt. Seine Entwicklung erfüllte Reynier mit Stolz und erinnerte ihn immer mehr an Oscar in dem Alter. Nicht mehr lange und dann würde er bereit sein für die Aufgabe, die er, sein Großvater, für ihn vorbereitet hatte.

 

An der Tür wurde bald geklopft, einen Spaltbreit geöffnet und das runde Gesicht der Haushälterin lugte herein. „Monsieur, François ist hier und bringt Euch den Wein.“

 

Der General zog sogleich sein strenges Gesicht, um die Gedanken an Augustin zu verdrängen. „Lass ihn eintreten.“, sagte er und Sophie ließ den Jungen vor. Er trug eine Schale mit Äpfeln und stellte sie auf den Tisch ab. Sophie folgte ihm mit einem Tablett, worauf eine Flasche Wein und ein Glas standen. Reynier zog eine Augenbraue nach oben. Eigentlich hatte er aufgetragen, dass François den Wein bringen sollte und nicht die Haushälterin. Aber was soll´s, Hauptsache er war hier. „Du kannst gehen, Sophie.“, ordnete er an, als sie das Tablett neben der Schale mit den Äpfeln abgestellt hatte. Sophie nickte und verließ sein Kontor. Reynier öffnete die Flasche und schenkte sich selbst ein. Wenn er schon dabei war, dann konnte er das selbst erledigen. Für François hatte er eine andere Aufgabe. „Such mir einen Apfel aus, mein Junge.“

 

François wählte ihm wortlos die größte von den gelbroten Früchten und reichte sie ihm. „Das ist der Schönste.“

 

General stellte die Flasche ab, nahm die Frucht an sich und biss hinein. „Hmmm... der schmeckt gut. Danke mein Junge.“

 

François grinste breit und errötete etwas. Ein Lob von dem General zu bekommen war etwas ganz Besonderes. Das bedeutete auch, dass er gute Laune hatte und demzufolge durfte man ihm alles Mögliche erzählen, ohne dass er böse oder verstimmt sein würde. „Ich habe eine gefundene Schwester bekommen.“

 

„Eine gefundene... Was?“ Der General verstand ihn vorerst nicht. „Kannst du dich deutlicher ausdrücken, mein Junge?“

 

François überlegte, wie er das richtig sagen sollte und ahnte nicht im Geringsten, was er damit anrichten würde. „Ein Mädchen wurde im Korb gefunden und Mama sagte, sie darf bleiben.“

 

Wie bitte? Was sollte das heißen? Das Gesicht des Generals verfinsterte sich. „Noch ein Findelkind?“ Ein unwohles Gefühl stieg in ihm hoch und er musste unwillkürlich an den Tag denken, an dem er François zum ersten Mal gesehen hatte. Angeblich wurde der Junge auch gefunden, aber die Wahrheit erwies sich viel schlimmer. Oscar! Hatte sie ihn etwa wieder betrogen? Er musste dieses Findelkind unbedingt sehen!

 

François wurde bei dem zornigen Gesichtsausdruck des Generals unsicher, aber nickte zustimmend. Reynier beachtete ihn nicht mehr weiter und verließ überstürzt das Zimmer. „Sophie!“, brüllte er bereits auf dem Weg zu der Küche.

 

Die alte Haushälterin kam ihm entgegen. „Ich bin hier, Monsieur.“

 

„Wann wolltet ihr mir sagen, dass Oscar noch ein Findelkind gebracht hat?!“, schnaufte General außer sich vor Wut.

 

„Das war nicht Lady Oscar...“ Sophie begriff schnell, dass der General über Marguerite höchstwahrscheinlich von François gerade erfahren hatte. Sie war dem Jungen nicht böse, denn der General hätte von dem Mädchen irgendwann erfahren. „Das Kind wurde vor der Haustür in der Nacht abgestellt. Eure Tochter kam viel später und...“, versuchte sie mit leicht zittriger Stimme zu erklären, aber Reynier ließ sie nicht zu Ende sprechen. „Wo ist der Balg jetzt?!“, schnitt er ihr das Wort ab und bemühte sich, nicht das ganze Haus zusammen zu schreien. Die Haushälterin konnte nichts dafür. Die alleinige Schuld lag bei Oscar. Aber seine Tochter war nicht auf dem Anwesen und deswegen brächte es nichts, wenn er seine Wut an anderen auslassen würde.

 

Sophie senkte den Kopf. „Folgt mir...“, murmelte sie und ging vor.

 

Einige der Bediensteten, darunter Rosalie und François, hatten seinen Wutausbruch mitbekommen und fürchteten um das Seelenheil des kleinen Mädchens. Sie versammelten sich in der Nähe und schauten dem General mit besorgten Blicken nach. „Das wollte ich nicht...“, brachte François kleinlaut und mit Schuldgefühlen von sich. Er stand neben Rosalie und biss sich auf die Lippe. Seine Zieheltern würden bestimmt böse auf ihn sein, weil er sich verplappert hatte.

 

„Was wolltest du nicht?“, fragte Rosalie leicht verwundert.

 

„Ich habe dem General von Marguerite erzählt...“, offenbarte er ihr leise. „Ich wusste nicht, dass er böse wird... Es tut mir leid...“

 

„Das ist nicht deine Schuld.“ Rosalie legte tröstend um ihn ihren Arm. „Früher oder später hätten wir ihm es sagen müssen.“

 

Reynier erreichte mit Sophie das Zimmer der Bediensteten, wo Marguerite beherbergt wurde und wo das Dienstmädchen Marie sie meistens stillte. Jetzt lag das Kind in der Wiege und Marie sang ihr leise ein Lied. Sofort verstummte der Gesang, als General de Jarjayes in das Zimmer hereinstürme. „Willkommen zurück, Monsieur...“, säuselte Marie erschrocken die Begrüßung und trat mit gesenktem Haupt von der Wiege zurück. Sie wurde aber nicht weiter beachtet. Reynier betrachtete das Kind in der Wiege und glühte vor Wut noch mehr als zuvor. Oscar hatte ihn also erneut an der Nase herumgeführt! Seine Haushälterin mochte vielleicht die Wahrheit sagen, wie das Kind gefunden wurde, aber er glaubte nicht mehr daran, dass es von jemandem ausgesetzt wurde! Das war bestimmt Oscars Idee und deshalb war sie drei Monate beurlaubt! Er musste sofort in die Normandie und wenn es stimmen sollte, dass es ihr Kind war, dann Gnade ihr Gott!



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Tito
2020-07-26T18:08:20+00:00 26.07.2020 20:08
Na da werden Oskar und André Augen machen.Wenn sie das erfahren.Bin gespannt wie es weiter geht.
Antwort von:  Saph_ira
28.07.2020 08:15
Wir werden sehen, wie es weiter geht. Dankeschön :-)
Von:  dreamfighter
2020-07-24T20:32:10+00:00 24.07.2020 22:32
Kindermund tut Wahrheit kund...
Der arme Francois. Er hat es doch nicht bös gemeint.

Ich bin gespannt, was Reynier jetzt macht und ob es zur Eskalation kommt.
Antwort von:  Saph_ira
28.07.2020 08:15
Wie wahr, der Spruch passt sehr gut, die kleine Kinder können nicht lügen...

Dankeschön, das nächste Kapitel ist schon unterwegs.


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