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Liebe, Lüge, Wahrheit

von

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Zu lieben und geliebt zu werden

Am nächsten Tag schien wieder die Sonne. Kaum zu glauben, dass es gestern so viel geregnet hatte. François hatte bereits den schlechten Traum vergessen und beobachtete mit seinem Ziehvater am Brunnen im Garten, wie seine Ziehmutter mit einem Grafen focht. Das war nicht sein Patenonkel, Graf de Girodel, sondern ein anderer, dessen Namen er sich nicht merken konnte. Das lag daran, weil dieser Graf hauptsächlich seine Ziehmutter besuchte und wenn er da war, beliebte sie meistens alleine mit ihm zu bleiben. Sein Ziehvater blieb entweder in der Nähe oder ging traurig in den Stall und kümmerte sich um die Pferde. François hatte immer das Gefühl, dass dieser Graf der Auslöser war, warum sein Ziehvater traurig aussah und seine Ziehmutter ihn deshalb mied. Jedoch war es jedes Mal faszinierend zuzusehen, wie sie den Degen führten und sich gegenseitig mit geschickten Hieben abwehrten. Irgendwann einmal würde er genauso fechten können!

 

Im Gegensatz zu seinem Sohn, betrachtete André das Fechten zwischen Oscar und Graf von Fersen mit besorgten Blicken. Er saß neben François am Rand des Brunnen und aß gedankenverloren einen Apfel. Eifersucht war nur der geringe Anteil von dem, was er noch zusätzlich empfand. Oscar schien sich ganz von ihm abgewendet zu haben und nur ihr gemeinsamer Sohn hielt sie in seiner Nähe. Das war mehr als qualvoll zu ertragen, aber was konnte er schon dagegen tun? Oscar, seine noch immer über alles geliebte Oscar, hatte bereits ihr Herz an den schwedischen Grafen verloren und er konnte das nicht verhindern. Aber warum sagte sie ihm das nicht ins Gesicht, dass sie ihn nicht mehr liebte? Aus Angst, ihm weh zu tun? Aber das tat sie doch schon bereits mit ihrem Schweigen, ihrer abweisenden Haltung und Distanzierung!

 

Graf von Fersen war heute erneut nach dem heimlichen Treffen mit Marie Antoinette zu ihr gekommen, um sich abzulenken und nicht mehr an die verbotene Liebe zu der Königin zu denken. Das wusste Oscar und gaukelte dem Grafen eine verständnisvolle Freundin vor. Von Fersen dagegen ahnte nichts von ihren Gefühlen zu ihm und vertraute ihr all seinen Kummer und Sorgen an. Was würde wohl passieren, wenn er davon erführe? Würde er Oscars Gefühle erwidern und würde sie dann mit ihm zusammen sein? Oder würde er Oscar nie mehr besuchen?

 

Egal was passieren würde, Oscar würde den letzten Tropfen der Hoffnung und Liebe zu ihrem einst geliebten André vernichten. Und was würde dann aus François? Es war ein Wunder, dass der Junge nichts mitbekam, was zwischen seinen Eltern passierte. Nun ja, er betrachtete sie als seine Zieheltern und vielleicht war das auch der Grund für seine Unbekümmertheit und Sorglosigkeit. Bis auf diesen bösen Traum und Nasenbluten von gestern, aber das hatte er gut überwunden und vergessen.

 

André hörte Schritte hinter sich, aber schaute nicht hin. Er wollte kein einziges Detail beim Fechten zwischen Oscar und Graf von Fersen auslassen. Rosalie blieb am Brunnen stehen und wartete, bis Lady Oscar sie bemerkte. Diese hörte sogleich mit dem Fechten auf und kam zu ihr.

 

„Lady Oscar, der Tee ist angerichtet.“, teilte Rosalie ihr mit.

 

„Danke Rosalie.“ Oscar schaute direkt von ihr zu dem Jungen. „Du kannst mit ihr gehen.“

 

François gefiel das nicht so recht, aber er folgte Rosalie wortlos. Wenn seine Mutter ihn fortschickte, dann würde es ein wichtiges Gespräch mit diesem Grafen geben, wo er nicht dabei sein durfte.

 

 

 

In dem großen Treppenhaus, unweit von der Treppe, saß Oscar am Tisch und beobachtete Graf von Fersen, der am Fenster stand und ihr die Gründe seines Besuches erklärte. „Ich wollte nichts Besonderes. Eigentlich nur mit Euch sprechen und mit Euch ein wenig fechten, um in Übung zu bleiben.“, beendete der Graf und schaute zu André, der auf der Treppe saß und wieder einen Apfel aß. „Hey, André, habt Ihr mir nicht gesagt, Ihr könnt mir einen billigen Gasthof in Paris empfehlen?“

 

André schüttelte nur mit dem Kopf und deutete damit an, dass sein Mund zu voll war, um etwas empfehlen zu können. Oscar war da aber gesprächiger. „Graf von Fersen, wieso wollt Ihr nicht zum Essen bleiben? Ich habe bereits alles herrichten lassen.“

 

Das ein wenig distanzierte Verhalten zwischen Oscar und André fiel dem Grafen schon auf, aber er machte sich keine Gedanken darüber. „Tut mir leid, Oscar, ein anderes Mal vielleicht.“, lehnte er die Einladung ab und verabschiedete sich. Dann würde er selber nach einem billigen Gasthof suchen und seinen Liebeskummer mit einem oder zwei Krüge Bier ertränken.

 

Als Oscar mit André alleine blieb, stand sie von ihrem Stuhl auf und ging ans Fenster, um zu sehen, wie Graf von Fersen fortritt. Wie lange würde das noch gehen? Wann würde sie endlich die Antworten auf ihre seltsamen Gefühle zu Graf von Fersen finden? Sie hörte, wie André an den Tisch kam und womöglich sich auf ihren Platz hinsetzte. „Es wird nicht lange dauern, bis unser Graf aus gewissem Gasthof rausgeworfen wird, falls er wirklich vor hat, dort einzukehren.“, begann er, als er tatsächlich den Platz am Tisch nahm, wo Oscar zuvor gesessen hatte. „In Paris kursieren Gerüchte, dass die Königin und ihr schwedischer Liebhaber sich jede Nacht treffen. So ergibt ein Gerücht das andere, bis jeder daran glaubt. Hast du gesehen, wie der Graf gelitten hat? In so einem Zustand hat ihn noch niemand gesehen. Wenn ihm die Liebe so schmerzt, weshalb lässt er sich überhaupt darauf ein? Zu lieben und geliebt zu werden, das sind doch zwei völlig verschiedene Dinge.“

 

Warum sagte er ihr das? Als hätte sie nicht schon schwer genug mit sich selbst zu tun. „Nein, das stimmt nicht.“, unterbrach Oscar ihn und drehte sich zu ihm um. Nur flüchtig sah sie ihn an, dann senkte sie ihren Blick zur Seite und verschränkte ihre Arme vor sich. Das, was er gerade gesagt hatte, konnte in dem Fall des Grafen stimmen, aber nicht in ihrem. Denn sie liebte André genauso wie er sie und wurde von ihm genauso geliebt wie er von ihr. Nur aber musste sie diese verdammten und hartnäckigen Gefühle loswerden, die sie zu dem Grafen empfand! Aber nur wie? Und was waren das überhaupt für Gefühle? Sie musste das unbedingt herausfinden, sonst konnte sie André ihre Liebe nicht geben, die er verdiente!

 

Rosalie kam erneut zu ihnen. „Verzeiht, Lady Oscar, aber Graf de Girodel wünscht Euch zu sprechen.“, teilte sie mit und sogleich trat Girodel in Erscheinung. „Seid gegrüßt, Kommandant.“

 

„Was ist passiert?“, wollte Oscar nach der Begrüßung wissen.

 

Graf de Girodel überbrachte strammstehend sein Anliegen wie eine Berichtserstattung. „Ihre Majestät, die Königin, wünscht Euch zu sprechen, Lady Oscar.“

 

Oscar entriss sich unverzüglich von dem Fenster und bewegte schnell ihre Füße. „Ich komme sofort, ich ziehe nur noch meine Uniform an.“

 

„Als ich auf dem Weg zu euch war, begegnete mir Graf von Fersen und er sah mir genauso niedergeschlagen aus, wie Lady Oscar.“, sagte Girodel und entspannte seine Haltung, nachdem Oscar im oberen Stockwerk verschwunden war. „Ich lasse die Königin wissen, dass Lady Oscar nachkommt.“, verabschiedete er sich und Rosalie geleitete ihn nach draußen zu seinem Pferd. Ein Stalljunge hielt es bei den Zügeln und François wagte das Tier mit großen, begeisterten Augen zu streicheln. Das Pferd ließ das zu und rührte sich nicht einmal vom Fleck. François winkte seinem Patenonkel zu, als er ihn aus dem Haus gehen sah. Graf de Girodel hatte es ihm erlaubt, auf das graue Pferd aufzupassen, solange er Lady Oscar eine Nachricht überbrachte. Victor kam näher und lächelte den Jungen an. „Wenn du groß bist, bekommst du auch ein Pferd.“

 

„Wirklich?“ François schenkte seinem Patenonkel ein strahlendes Lächeln und Victor strich ihm durch das Haar. Jedes Mal, wenn er auf das Anwesen der de Jarjayes kam, stellte er sich vor, François wäre sein Sohn. Wie bedauerlich, dass dem nicht so war. Genauso bedauerte er schon seit Jahren, dass André ihm zuvor gekommen war und das Herz von Lady Oscar erobert hatte. Jetzt jedoch litt auch André, weil seine Geliebte sich von ihm abwandte und ihr Herz einem anderen Mann schenkte. Das traurigste an dieser Sache war, dass dieser Mann nicht er, Graf Victor de Girodel war, sondern der Liebhaber der Königin. Victor hatte schon genug Lady Oscar in Versailles unterschwellig beobachtet und bitter festgestellt, dass seine unerwiderte Liebe jetzt ganz verloren war. Denn gegen Graf von Fersen konnte er nichts ausrichten. André hätte er noch ausspielen können, weil er zum einfachen Volk gehörte. Von Fersen dagegen gehörte dem Adel an und war ihm somit im Rang und Titel ebenbürtig. Was fand Lady Oscar nur an diesem Grafen? Jeder Mensch am Hofe und sogar außerhalb von Versailles wusste, dass von Fersen eine Liebesaffäre mit der Königin betrieb und trotzdem verlor Lady Oscar an ihn ihr Herz. Was würde dann aus François? War Lady Oscar etwa bereit, durch ihre Zuneigung zu dem schwedischen Grafen, auch die Wahrheit über André und ihren Sohn zu erzählen? Victor wollte nicht daran glauben, dass es zu so etwas kommen würde. Irgendwo im tiefsten Winkel seines Herzens hoffte er, dass es eine vorübergehende Phase der Gefühle von Lady Oscar war und dass sie bald den Grafen von Fersen vergessen würde. Denn François dürfte nichts von dem Zerwürfnis zwischen seinen Eltern merken. Das würde dem Jungen zusetzen und sein sonniges Gemüt verderben. „Ja, wirklich.“, meinte Victor auf die Frage seines Patenkindes und schob schon seinen Fuß in den Steigbügel. Galant stieg er in den Sattel und nahm die Zügel an sich. „Also dann, bis zum nächsten Mal, mein junger Freund.“ Er salutierte im Sattel und als François ihm den Gruß zum Abschied erwiderte, ritt er davon.

 

François wartete, bis sein Patenonkel aus der Sicht auf seinem prächtigen, grauen Pferd verschwand und ging wieder in Richtung Haus. Er wollte zu seinen Zieheltern und sie fragen, ob er irgendwann auch ein Pferd bekommen durfte. Aber wen konnte er zuerst fragen? Seine Ziehmutter oder seinen Ziehvater?

 

Diese Entscheidung nahm ihm André ab. Er hatte sich in seinem Zimmer umgezogen und als er rauskam, lief sein Sohn ins Haus rein. „Wohin so eilig, mein Junge?“

 

François blieb auf der Stelle stehen. Wenn sein Ziehvater schon hier war, dann könnte er bei ihm beginnen. „Ich wünsche mir ein Pferd.“

 

André musste schmunzeln. Wenigstens sein Sohn war hier noch glücklich und verlor nicht die Freude am Leben. „Wenn du etwas älter bist und das Reiten gelernt hast, dann bekommst du selbstverständlich ein Pferd.“, versprach André ihm und strich ihm über die hellbraunen Locken im Vorbeigehen. „Ich werde jetzt die Pferde satteln. Willst du mir dabei helfen?“

 

François nickte heftig und strahlte übers ganze Gesicht. Er würde ein eigenes Pferd haben! Zwar wusste er noch nicht, wie lange er darauf würde warten müssen, aber die Vorfreude war schon immer die beste Freude. „Muss Mama wieder nach Versailles?“, fragte er, als er mit seinem Ziehvater draußen in Richtung Stall ging.

 

André nickte ihm zustimmend zu. „Ja, mein Junge und ich werde sie natürlich begleiten.“

 

„Kommt ihr bald wieder?“, hakte François nach. Er wollte doch noch mit seinen Zieheltern ausreiten und sie dabei mehr über die Pferde ausfragen. Wenn er schon eins irgendwann bekäme, dann sollte er über sie viel wissen.

 

„Ich weiß nicht, wann wir zurück sind.“ Besser gesagt, es hing davon ab, was die Königin von Oscar wollte und André ließ nicht das erdrückende Gefühl los, dass es um Graf von Fersen dabei gehen würde...

 

„Ich werde warten!“, sagte François mit Inbrunst und brachte seinen Ziehvater wieder zum Lächeln.

 

Obwohl André die Seele wegen Oscar und ihren abgekühlten Gefühlen zu ihm schmerzte, war das unbeschwerte und fröhliche Wesen seines Sohnes wie Balsam für ihn. „Das ist gut, mein Junge, aber warte nicht zu lange. Wenn es draußen dunkel wird und wir noch nicht zurück sind, dann gehst du ins Bett.“

 

„Mach ich!“, versprach François und erreichte mit seinem Ziehvater den Stall, um ihm beim Satteln zu helfen. Er konnte zwar mit fünf Jahren noch keine schwierigen Aufgaben verrichten, aber Satteldecke und Zaumzeug zu den Pferden zu bringen, war bereits ein Leichtes für ihn.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Tito
2020-02-05T20:22:35+00:00 05.02.2020 21:22
Faszinierend wie du dich an der Anime vorlage hältst.Und die spannung immer weiter aufbaut.
Antwort von:  Saph_ira
10.02.2020 17:56
Herzlichen Dank für das Kompliment. :-)


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