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Liebe, Lüge, Wahrheit

von

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François

Juni 1775. Die Krönung von Ludwig XVI in Reims war vorüber. Die Menschen schöpften neue Hoffnung auf bessere Zeiten und bejubelten das neue Königspaar. Wenig später wurden auch die Steuern und die Preise für Lebensmittel gesenkt, was den Menschen noch mehr gute Laune brachte. Nach der Krönungszeremonie und der Feier freute sich Oscar auf ein paar freie Tage, die sie auch bekam. Und noch mehr freute sie sich, zusammen mit ihrem André ihren gemeinsamen Sohn wiederzusehen. In den fünf Monaten nach der Rückkehr von der Reise gewöhnten sie sich daran, ihn nicht so oft zu sehen und als Findelkind zu betrachten. Die ersten Wochen waren am schwierigsten. Ihre Herzen schmerzten und bluteten, aber die Zeit heilte die Wunden. Denn Hauptsache ihrem Sohn ging es gut und er wuchs bei ihnen auf. Oscar hatte sogar angeordnet, dass André die weitere Erziehung des Kindes übernehmen sollte, sobald es älter werden würde. Zum äußeren Schein, versteht sich. In Wirklichkeit jedoch, um ihrem Sohn wenigstens im Verborgenen das Gefühl zu geben, dass er von ihnen geliebt würde und damit er sie wie seine Eltern ansah. Und das schien zu funktionieren.

 

André fing gleich nach Oscars sogenannter Anordnung an, das angebliche Findelkind an sich zu gewöhnen. In ständiger Begleitung von der Amme nahm er ihn überall mit – in den Stall, wenn er sich um die Pferde kümmerte oder in die Küche, wenn er seiner Großmutter half und das Essen oder einfach den Tee zu Oscar in den Salon brachte. Auch Oscar selbst hielt den Kleinen das eine oder andere Mal auf den Armen und unterstrich damit den Bediensteten und auch für ihre Eltern, dass sie die Verantwortung über ihn sehr ernst nahm. Deswegen wunderte es auch niemanden, wenn Lady Oscar beim Anblick des Kindes lächelte und ihre so oft verhärmten Gesichtszüge weicher wurden. Besonders Sophie erfreute sich daran, weil ihr Schützling nicht wie ein hartherziger Soldat auftrat, sondern ihre weiblichen Gefühle endlich zum Vorschein kamen. Sei es nur bei diesem kleinen Jungen, den sie mit André und Graf de Girodel im Januar gefunden hatte. Sophie wünschte sich sehr, dass Oscar durch das Findelkind einen Sinneswandel in ihrer mannhaften Erziehung bekommen, das Soldatenleben aufgeben und das Leben einer Frau führen würde. Vielleicht deshalb achtete sie sorgsam darauf, dass der Junge sofort zu Lady Oscar gebracht wurde und so viel wie möglich Zeit in ihrer Nähe verbrachte. So ähnlich wie heute. Sobald Lady Oscar aus Versailles zurückkam, suchte sie die Amme auf und schickte sie unverzüglich mit dem Kind in ihre Gemächer.

 

Oscar fragte sich manchmal, ob ihr einstiges Kindermädchen Gedanken lesen konnte. Denn kurz nach einer Begrüßung eilte Sophie sogleich in das Zimmer der Amme und schickte sie zusammen mit dem Kind zu ihr. So auch heute. Schon wenige Augenblicke später, nachdem Oscar mit André ihr Salon betrat, kam die Amme mit dem Findelkind. Der Junge begann heftig zu zappeln, sobald er seine Zieheltern sah. Das war seine Art anzudeuten, dass er sie begrüßen wollte. Seine Amme ließ ihn auf den Boden und François krabbelte auf allen vier zu ihnen. „Er wird mit jedem Tag schneller.“, sagte die Amme gerührt.

 

André hob ihn auf die Arme und wirbelte ihn durch die Luft. „Du wirst auch größer und schwerer!“ Er lachte und obwohl er ihn nicht seinen Sohn nennen durfte, war er trotzdem glücklich, ihn auf diese Weise bei sich zu haben. Das Gleiche galt bestimmt auch für Oscar, die neben ihm stand und mit einem heimlichen Glücksgefühl sein Tun beobachtete.

 

Der Kleine jauchzte, als er in die Höhe gehoben wurde und rief aus lautem Vergnügen: „Pa!“, als er wieder in die Arme seines Ziehvaters versank.

 

Das war das erste Wort von ihm. Zwar nicht ganz ausgesprochen, aber er verblüffte damit nicht nur André und die Amme. Oscar kam sogar näher an ihn heran. „Was hast du gesagt? Sag es noch einmal!“

 

François streckte nach ihr seine witzigen Ärmchen aus und seine grünblauen Augen leuchteten entzückend. „Ma!“, rief er dabei und Oscar kamen beinahe die Freudentränen. Krampfhaft versuchte sie ihre Muttergefühle niederzuringen und nahm ihn vorsichtig an sich. „Du nennst uns Papa und Mama?“, fragte sie und konnte das Lächeln aus Stolz und verborgener Freude nicht verbergen, während sie ihr Kind an sich nahm.

 

Der Junge lachte und zappelte - er wollte wieder auf den Boden. Oscar tat es und er krabbelte zurück zu seiner Amme. Aber als sie sich beugte, um ihn hochzunehmen, nahm er eine andere Richtung und krabbelte den ganzen Salon durch.

 

Oscar tauschte mit André verwunderte Blicke, verständigte sich stumm mit ihm und meinte dann zu der Amme: „Sag Sophie Bescheid, dass der Tisch gedeckt werden kann und wir passen derzeit auf den Kleinen auf.“

 

„Wünscht Ihr, dass er auch heute mit Euch speist?“, fragte die Amme bevor sie ging. Seit sie anfing François von der Brust abzugewöhnen und ihm stattdessen abwechselnd zu Brei verarbeitete Mahlzeiten zu geben, wünschte Lady Oscar öfters, dass er zusammen mit ihr und André speiste.

 

„Natürlich.“, bekräftigte Oscar ihren Wunsch und ordnete sogleich an: „Beim nächsten Mal brauchst du nicht mehr nachfragen, denn es wird ab nun immer so sein, wenn wir auf dem Anwesen sind.“

 

„Jawohl, Lady Oscar.“ Die Amme verstand. Lady Oscar nahm nun mal die Verantwortung sehr ernst, auch wenn das nur ein Findelkind war.

 

Als die Amme weg war, schnappte sich André erneut den Jungen, hob ihn auf den Arm und ging zu Oscar. Bei ihm zappelte François ausnahmsweise nicht. André übte auf ihn eine beruhigende Wirkung aus, so ähnlich wie auf Oscar, als er sie zusammen mit ihm umarmte. „Er hat uns wirklich Papa und Mama genannt.“, sagte er und küsste sie flüchtig auf den Mund.

 

„Wenn er wüsste, dass wir das wirklich sind ...“ Oscar gab nach André ihrem gemeinsamen Sohn einen Kuss auf die Wange, strich ihm durch das lockige, hellbraune Haar und entschwand aus der Umarmung ihrer Geliebten. Die Amme müsste bald wiederkommen und niemand durfte sie in ihrem Familienglück entdecken. Das war bitter und traurig, aber auch besser für sie alle.

 

André folgte seiner geliebten Oscar bis zum Klavier und blieb dort mit François auf dem Arm stehen. „Irgendwann wird er das erfahren und uns bestimmt verstehen.“

 

„Das hoffe ich, Geliebter.“ Oscar setzte sich ans Klavier und begann eine sanfte Melodie zu spielen. François klatschte zwei Mal in seine Hände, was gar nicht durch das Klimpern zu hören war und wurde sogleich still, als die Musik höhere Töne einschlug. Er lehnte sich an Andrés Brustkorb und hörte entspannt zu, wie auch sein Vater. Beide liebten den sanften Klang des Klavierspiels, das Oscar jedes Mal spielte, wenn sie auf dem Anwesen war. Ein sinnliches Bild einer Familie, die den Umständen entsprechend ihr Glück nur im Verborgenen miteinander teilen konnte.

 

Mitten im Spiel kamen die Amme und Sophie in den Salon herein. Sie deckten wortlos den Tisch mit Speisen und lauschten dann auch der Musik, bis Oscar aufhörte. „Danke, Sophie.“, sagte sie, stand auf und ging mit André zum Tisch.

 

„Jetzt ist er ruhig.“, scherzte André und gab mit Bedauern seinen Sohn an die Amme zurück, um Oscar und für sich den Tee in Tassen einzuschenken.

 

„Ich hörte, er hat euch Papa und Mama genannt.“, meinte Sophie und tätschelte dem Jungen die Wange. François schüttelte vehement mit Kopf und quengelte, woraufhin seine Amme ihn mit an den Tisch nahm und ihm sein Holzpferd in die Hand drückte. Der Junge ließ sich sofort vom Spielzeug ablenken und spielte damit am Tisch, während die Amme ihm den noch warmen und mit etwas Zucker bestreuten Brei in der kleinen Schale rührte.

 

„Ja.“, bestätigte Oscar die Aussage von Sophie, während auch sie am Tisch Platz nahm. „Er kann uns weiter so nennen, das macht uns nichts aus.“

 

Sophie faltete gerührt ihre Hände vor der Brust, als sie das hörte. Wenn das weiter so gehen würde, dann würde Oscar irgendwann sich endlich wie eine Frau verhalten, heiraten und selbst eigene Kinder haben. Dass sie eine gute Mutter sein könnte, sah man doch schon bei ihrem Adoptivsohn. „Natürlich, Ihr habt ihn ja gefunden und seid mit André seine Zieheltern.“

 

„Ganz recht, Großmutter und er ist noch so klein.“, hörte sie ihren Enkel sagen und zog sogleich ein verärgertes Gesicht in seine Richtung. „Du frecher Bengel sollst vielleicht schon mit der Gedanke spielen, dir selbst eine Braut zu finden und sesshaft zu werden!“, brummte sie, aber wurde nicht einmal ernst genommen.

 

„Das eilt nicht, Großmutter.“ André winkte ab und setzte sich neben der Amme, die bereits Versuche unternahm, den Kleinen mit Brei zu füttern. François machte zwar den Mund auf, aber sobald er den Löffel spürte und den Brei schmeckte, drehte er den Kopf plötzlich weg und die klebrige Maße verteilte sich auf seine Wange.

 

„Aber warte nicht so lange, sonnst wird es irgendwann zu spät, mein Junge.“, ermahnte Sophie ihren Enkel, aber auch da wurde sie von ihm überhört.

 

„Das wird nicht passieren, das verspreche ich Euch, Großmutter.“ André nahm eine Serviette, machte ein kleines Stück in der Fingerschale nass und wusch damit den Mund und die Wangen seines bekleckerten Sohnes ab.

 

Sophie seufzte entrüstet. Was würde nur aus ihrem Enkel werden? Nun gut, er erfüllte seine Aufgaben pflichtbewusst, aber das war es auch schon. Manchmal kam es ihr so vor, als hätte er sein Leben ganz an der Seite von Oscar verschrieben und deshalb interessierte er sich für nichts anderes mehr, außer ihr Freund zu sein und ihr treu zu folgen. „Wenn du meinst, André. Du bringst nachher das Tablett und das Geschirr wieder in die Küche.“, ordnete sie an und verließ den Salon. Immerhin hatte sie in der Küche zu tun, wie den Küchenmädchen auf die Finger zu schauen und dafür zu sorgen, dass alles nach ihren Anweisungen befolgt wurde.

 

„Ja, Großmutter, mach ich.“ André merkte nicht einmal, wie sie ging und beschäftigte sich weiter mit François, der nicht mehr essen wollte und sich stattdessen müde die Augen rieb.

 

„Ich bringe ihn lieber ins Bett.“, sagte die Amme und erhob sich zusammen mit dem Jungen auf dem Arm. Sie schaute zu Oscar und als diese zustimmend nickte, verließ auch sie den Salon und brachte ihn ins Bett.

 

„Unser Kleiner macht sich gut, das freut mich.“, seufzte Oscar ein wenig bedauernd, dass François nicht mehr bei ihr im Zimmer war. Sie hatte ihn und André während des Essens beobachtet und dabei innerlich vor Stolz geglüht. André war ein sehr guter Vater und bei dem liebevollen Umgang mit ihren gemeinsamen Sohn glaubte sie ihn noch mehr zu lieben.

 

„Er lernt schnell.“, erwiderte André und lächelte seine Geliebte an.

 

Oscar verlor sich in seinem sanften Blick und ihr Körper durchströmte eine Sehnsucht nach ihm und seiner Liebe, die sie schon seit vielen Monaten auf der Reise durch Frankreich und nach der Geburt ihres Kindes vernachlässigt hatte. Wenn sie auf dem Anwesen waren, kam André nach ihrem Wunsch zwar nachts zu ihr, aber außer leidenschaftlicher Küsse und Umarmungen geschah zwischen ihnen nichts mehr – aus Vorsicht, kein weiteres Kind zu zeugen. „Wollen wir ein wenig noch durch Paris fahren?“, schlug Oscar unvermittelt vor, um sich von ihren Sehnsüchten und Gelüsten abzulenken. „Es ist doch noch nicht so spät draußen.“, fügte sie hinzu und hörte schon seine Zustimmung. „Natürlich, meine Liebste, warum auch nicht?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  dana140
2019-07-13T01:35:34+00:00 13.07.2019 03:35
hola
me alegra enormemente ver actualización... el ambiente entre oscar y andre se siente muy triste.. y me pregunto que paso con el otro bebe
Antwort von:  Saph_ira
17.07.2019 15:00
Hello dear Dana and thank you very much for your comment. You know it well, the atmosphere between the two will be sad for a while, and what happens to the second child will be known about ten chapters later.


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