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Liebe, Lüge, Wahrheit

von

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Findelkind

Versailles. Vor sieben Monaten waren sie mit dem Auftrag aufgebrochen, die Lage in Frankreich auszukundschaften und nach ihrer Rückkehr zu berichten, wie es den Menschen im Land ging. Aber wie sollten sie einen Bericht erstatten, wenn sie seit Nizza keine Städte mehr erkundet hatten? Oscars Schwangerschaft und die Geburt des Kindes war ihnen viel wichtiger – sodass sie ihrem eigentlichen Auftrag nicht mehr pflichtbewusst nachgegangen waren. Sie hatten sich nur das gemerkt, was ihnen in den Wirtshäusern, in denen sie auf ihrer Reise sich aufhielten, erzählt wurde. Hoffentlich würde das wenige Wissen ausreichen und das Königspaar keine Einzelheiten nachfragen.

 

Während André sich um die Pferde in den königlichen Ställen kümmerte, ging Oscar mit Girodel geradewegs zum königlichen Ehepaar und bat um eine Audienz. Die staunenden und ein wenig verwunderten Gesichter der Höflinge auf dem Weg zu dem Thron im großen Saal ignorierten sie. Außerdem konnten sie sich schon denken, warum sie so merkwürdig angeschaut wurden: Sie trugen noch immer ihre Zivilkleidung, was in ihrer Position in Versailles eigentlich unangebracht war. Einzig dem König und der Königin schien deren unangemessene Kleidung nicht zu stören, als sie den Audienzsaal betraten und das Knie vor ihnen beugten. Viele Höflinge versammelten sich ebenfalls im Saal und spitzten neugierig ihre Ohren.

 

Emilie und der General de Jarjayes, die an der Seite des neuen Königspaares auch anwesend waren, wären am liebsten selbst zu Oscar vorgedrungen und sie bezüglich ihrer Reise ausgefragt. Aber das durften sie nicht, weil die höfische Etikette und Anstand vor den Majestäten dies nicht zuließen. Also würden sie das später machen können, Hauptsache ihr Kind war endlich wieder zurück.

 

„Erhebt euch, Lady Oscar und Graf de Girodel.“, bat der König und wartete, bis die zwei vor ihm standen. „Wir sind überaus erfreut, Euch gesund und wohlauf nach der Reise wiederzusehen. Jetzt berichtet uns alles was ihr gesehen und erfahren habt.“

 

„Die Menschen sind voller Hoffnung auf neue Zeiten, Eure Majestät.“, begann Oscar die Eindrücke zu schildern, die sie am Anfang der Reise gesehen hatte. Sie konnte doch nicht sagen, dass der Rest ihr deshalb entgangen war, weil sie die meiste Zeit nur darauf konzentriert war, ihr Kind auszutragen und in irgendeinem namenlosen Dorf zur Welt zu bringen. Bei dem Gedanken an Jean zog sich ihr mütterliches Herz wehmütig zusammen. „Jedoch ist Frankreich weiterhin nicht sehr wohlhabend und deswegen hoffen viele Menschen sehr, dass mit Euch und Eurer Königin alles besser wird.“, beendete sie und versuchte krampfhaft ihre Mutterinstinkte zu verdrängen. Sie würde gleich um Urlaub für ein paar Tage bitten und dann würde sie ihn wiedersehen.

 

„Ich kann Lady Oscar nur zustimmen, Eure Majestäten.“ Girodel warf einen kurzen Blick zu ihr und spürte förmlich, dass ihr die Trennung von Jean zu schaffen machte. Wobei sie vor den Augen von allen Anwesenden ihre gewöhnliche Haltung eines undurchschaubaren Soldaten trug, ahnte er, dass sie im Inneren an ihren Sohn dachte und ihn vermisste. „Die Armut an manchen Orten in Frankreich treibt einige Menschen sogar dazu, eigene Kinder auszusetzen. Als Beweis haben wir auf dem Heimweg ein Neugeborenes mutterseelenallein im Wald gefunden und ihn natürlich mitgenommen. Jetzt befindet es sich auf dem Anwesen der de Jarjayes und wird von Bediensteten des Hauses versorgt.“, ergänzte er genauer und schaute stur das Königspaar wieder an. Erneut hatte er Lady Oscar empfindlich getroffen und wusste, dass er später von ihr einiges zu hören bekommen würde. Aber das hatte er für sie getan und würde das auch erklären. Nur nicht jetzt, wo das Königspaar und alle anderen Höflinge ihn mit fassungslosen Gesichtern anstarrten. Auch Oscar, bei der zusätzlich auch der Zorn in den Augen aufflammte. Warum machte Girodel das? Jetzt wusste auch ganz Versailles von dem kleinen Jean und das missfiel ihr sehr. Wenn sie hier rauskamen, dann würde Girodel sich vor ihr verantworten müssen! Es war ihr schon schwer genug ums Herz und jetzt fügte ihr Untergebener noch eine Wunde dazu! Was ging nur in seinem Kopf vor?

 

„Das ist doch schrecklich!“, hörte Oscar die entsetzte Stimme von Marie Antoinette, schluckte ihren Ärger über Girodel herunter und richtete ihr Augenmerk wieder auf das Königspaar. Die Augen der Königin waren weit aufgerissen und eine Hand bedeckte leicht ihren Mund. „Gut, dass Ihr in der Nähe wart und das kleine Kind gefunden habt!“

 

„Dem stimme ich zu.“, äußerte sich auch Ludwig zu der Neuigkeit des Grafen de Girodel. „Ein Kind ist ein Geschenk Gottes und ihn auszusetzen zählt zu einer großen Sünde. Da Ihr ihn gefunden habt, Lady Oscar, seid Ihr ab nun für ihn verantwortlich.“

 

„Jawohl, Eure Majestät.“ Oscar wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte oder nicht. Aber der letzte Satz seiner Majestät munterte sie auf jeden Fall auf: „Er wird ab nun an bei uns wohnen und bekommt auch eine gute Erziehung. Es wird ihm an nichts mangeln und ich werde höchstpersönlich für sein Wohl sorgen.“, beendete Oscar selbstsicher.

 

„So sei es, Lady Oscar.“ Der König wollte sich schon bei dem Kapitän des königlichen Garderegiments bedanken und ihn zusammen mit Graf de Girodel entlassen, als General de Jarjayes vortrat und sich vor seiner Majestät verneigte. „Entschuldigt, wenn ich mich einmische, Eure Majestät, aber ich würde gerne mir das Kind anschauen, das meine Tochter gefunden hat.“ Und dann entscheiden, ob es in seinem Haus überhaupt bleiben würde, dachte sich Reynier, aber verkniff sich vor dem Königspaar dies zu sagen. Als Oberhaupt der Familie de Jarjayes hatte er natürlich das Sagen und das verstand auch Ludwig. „Natürlich, General de Jarjayes. Ihr könnt auch Eure Frau mitnehmen. Ich denke, Madame Emilie würde das Findelkind auch sehen wollen.“, beendete der König und entließ die gesamte Familie de Jarjayes für heute. Zusätzlich beurlaubte er Kapitän Oscar und Graf de Girodel, ohne dass sie darum bitten brauchten, für zwei Tage, damit sie sich von der bestimmt anstrengenden und langen Reise erholen konnten.

 

 

 

Das Anwesen der de Jarjayes. Der kleine Jean öffnete nur ganz kurz seine Äuglein, um sie aber gleich zu schließen und weiter zu schlafen. Hatte er etwa die viele Menschen um seine Wiege gespürt und wollte sie auf diese Weise begrüßen? Konnte er überhaupt schon etwas spüren oder bemerken, was um ihn herum geschah? Diese Fragen gingen Oscar nur ganz kurz durch den Kopf. Die größte Frage, oder besser gesagt Besorgnis, war, wie ihre Eltern auf das angebliche Findelkind reagieren würden. Jede Sehne in ihrem Körper war angespannt und der Drang, ihr Kind an sich zu nehmen und ihn vor den musternden Augen zu verstecken, wurde immer größer. Aber sie musste es aushalten und ihre Muttergefühle im Keim ersticken. Sonst würden ihre Eltern ihr unangenehme Fragen stellen und bezüglich Jean misstrauisch werden. Das durfte auf kein Fall passieren! Oscar wagte sich nicht einmal zu rühren oder gar ihre Hände zu Fäuste zu ballen. Zusammen mit André und Girodel stand sie nicht allzu nahe bei der Wiege und spürte auch deren Anspannung. Sie hatte ihren Untergebenen noch nicht zur Rede stellen können, aber das würde sie noch tun, sobald eine günstigere Möglichkeit dazu entstand und bis auf André sie keine weiteren Zuhörer in der Nähe haben würden. Jetzt galt es jedoch etwas anderes zu überstehen. Ihr Blick ruhte auf ihren Eltern – darauf wartend, was sie über Jean sagten.

 

General de Jarjayes sagte lange nichts und inspizierte streng das Findelkind in der Wiege. Wenn es nach ihm ginge, hätte er das Kind sofort ins Waisenhaus wegbringen lassen, aber etwas störte ihn dabei. Vielleicht, weil der König die Verantwortung schon Oscar übergeben hatte und er deshalb dessen Anordnung nicht missachten wollte. Zusätzlich erinnerte der Bengel ihn merkwürdigerweise an Oscar. Aber womöglich bildete er sich das nur ein und als Sophie sagte, dass es ein Junge war, betrachtete er das Wesen genauer: rosige Wangen, ein kleiner Körper, winzige Fäustchen, für kurz geöffnete Augen und hellbraune Härchen auf dem Kopf. Ein Kind wie jedes andere und dazu auch noch aus der niederen Herkunft. Was sollte er mit ihm machen? Ihn ohne Gegenleistung in seinem Hause aufwachsen lassen und ihn umsonst durchfüttern?

 

„Er ist bestimmt nur wenige Tage alt, so klein wie er ist!“, hörte Reynier die herzerweichende Stimme von seiner Frau und verdrehte die Augen. Es fehlte noch, dass Emilie das Kind aus der Wiege nahm und ihn auch noch bemutterte, als wäre es ihr eigener. Das musste er unterbinden, sonst würde sie ganz rührselig! Allerdings noch bevor er seinen Mund öffnen konnte, fasste seine Frau ihn am Arm und schaute ihn herzzerreißend an. „Reynier, der Junge wird bei uns gut aufgehoben und später sehr nützlich im Haushalt sein, nicht wahr?“ Ähnlich wie bei ihrem Gemahl, erinnerte das elternlose Geschöpf in der Wiege auch Emilie an ihre Tochter Oscar. Warum das so war, wusste sie ebenfalls nicht und schob das einfach auf das niedliche Aussehen des Kindes und weil sie selbst eine sechsfache Mutter war.

 

Wie sollte Reynier diesen warmherzigen Blicken von ihr nur widerstehen? Seine Frau wusste einfach, wie sie seine harte Schale durchbrechen konnte. „Natürlich wird er das.“, gab er nach und schaute sich nach seiner Tochter um. „Da du ihn gefunden hast, Oscar, soll er ein Teil deines Namens tragen.“, ordnete er an. „Das heißt, er wird François heißen.“

 

Damit konnte Oscar leben. „In Ordnung, Vater.“, mehr sagte sie nicht und konnte das steigende Glücksgefühl in ihr kaum noch zügeln. Ihr Sohn würde bei ihr bleiben können und sie und André durften seine Zieheltern sein! Das hieß, seine Erziehung lag ganz alleine in ihren und Andrés Händen. Sie würden zwar ihn weiterhin verleugnen müssen, aber Zieheltern waren auch Eltern und hatten das Recht, ihren Schutzbefohlenen wie ein eigenes Kind zu erziehen. Das war ein befreiendes Gefühl und viel mehr als Oscar erhofft hatte. Denn es war alles gut gegangen und nicht einmal ihre Eltern hatten irgendein Verdacht geschöpft.

 

„Dann ist alles geklärt.“ Der General wunderte sich einerseits ein wenig, dass Oscar ihm nicht widersprach, aber andererseits war er mit ihrer Gehorsamkeit zufrieden. Er wollte keine Debatten mit ihr austragen und kehrte mit seiner Frau deshalb nach Versailles zurück.

 

Graf de Girodel blieb allerdings noch auf eine Tasse Tee bei Oscar. „Das ist gut gegangen und niemand hat Verdacht geschöpft.“, meinte er, als er in ihrem Salon war und das aromatische Getränk, das André gerade brachte, genoss.

 

Oscar ergriff gleich die Möglichkeit, ihn zur Rede zu stellen. „Warum habt Ihr vor dem ganzen Hofstaat überhaupt gesagt, dass wir ein Kind gefunden haben?“

 

„Versteht mich nicht falsch, Lady Oscar, aber früher oder später wäre es bekannt geworden.“, erklärte Girodel und stellte seine ausgetrunkene Tasse auf den Unterteller. „Ich dachte, lieber jetzt sollte jeder davon erfahren, als später. So werdet Ihr wenigen Gerüchten ausgesetzt. Ihr wisst doch, wie intrigant der Hof ist.“

 

„Ihr habt recht, Graf.“, stimmte André ihm unvermittelt zu. „Jetzt wird es eher geglaubt, dass er ein Findelkind ist, als wenn wir es später offenbaren.“

 

„Ja, allerdings.“, gab auch Oscar nach genauem Überlegen zu. „Wie dem auch sei. Er ist jetzt hier und niemand wird ihn uns wegnehmen können.“

 

André wollte dem Grafen noch Tee in die Tasse gießen, aber Victor lehnte es ab. „Ich muss dann sowieso gehen und meine Reisesachen wegbringen.“ Er hatte ja ein Haus in Paris und wollte sich ebenfalls von der Reise erholen wie sein Kapitän. „Aber ich komme gerne wieder und wenn Ihr erlaubt, Lady Oscar, würde ich François öfters besuchen kommen.“

 

„Natürlich, Graf, könnt Ihr ihn besuchen kommen, wenn Ihr möchtet.“, sagte Oscar und Girodel verabschiedete sich. „Ich danke Euch, Lady Oscar. Ich werde morgen vorbeikommen.“

 

„Bis morgen, Graf.“, verabschiedete ihn Oscar und blieb mit André dann alleine. Ihr Geliebter begann das Geschirr abzuräumen, als Oscar von ihrem Platz aufstand und ihn davon abhielt. André ließ alles stehen und zog seine Liebste in seine Arme. Endlich hatten sie ein paar Minuten für ihre Zweisamkeit. Oscar schmiegte sich an ihn und genoss die zärtliche Umarmung mit ihm. „Wir werden wohl in Zukunft vorsichtig sein müssen.“, flüsterte sie bedächtig in seine Kleidung: „Noch ein Kind kann unser Geheimnis auffliegen lassen und ich glaube nicht, dass uns bei einem zweiten Mal die Geschichte mit dem Findelkind abgenommen wird.“

 

Ja, das würde wohl das Beste sein und ihnen würde schon etwas einfallen. Es gab viele Möglichkeiten, die Liebe und Leidenschaft zu genießen, ohne dabei ein Kind zu zeugen. „Du hast natürlich recht, Liebes.“, murmelte André in ihr Haar und hauchte einen kleinen Kuss auf ihren Scheitel. „Ab nun werden wir vorsichtiger sein. Das heißt aber nicht, dass unsere Liebe dadurch erlöschen wird.“

 

„Ja...“ Oscar schob sich etwas von ihm, ließ sich von seinem sanften Blick bezaubern und erwiderte ihm hingebungsvoll den innigen Kuss, den er ihr sogleich schenkte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  dana140
2019-06-22T23:20:23+00:00 23.06.2019 01:20
Hola
Por dios me tienes con el corazón en la garganta... que desgarrador .. el segundo bebe se salvo verdad y sera la manzana de la discordia algo me lo dice .... no me confió de víctor
gracias por el fic espero actualices pronto
Antwort von:  Saph_ira
11.07.2019 14:07
Hello dear Dana and thank you very much for your comment. Your feeling is right, the second child will have a special meaning in this story ... and the next chapter I will publish today. ;-)


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