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Liebe, Lüge, Wahrheit

von

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Das Kind

Schnee lag überall wie eine weiße Decke und die Reiter hüllten sich in ihre warmen Wollmäntel ein. Wenigstens wehte kein heftiger Wind und die Sonne lugte hin und wieder hinter den Wolken hervor. Allerdings wärmten ihre Strahlen kein bisschen und der Frost zwickte erbarmungslos die unbedeckten Gesichter. Im langsamen Tempo passierten die drei ein kleines Dorf, als Oscar heftige Schmerzen erfassten und sie sich im Sattel krümmte. Sofort wurde sie von beiden Seiten flankiert und spürte stützende Hände. „Machen wir eine Rast.“, empfahl André und Girodel stimmte ihm zu. „Ihr seht nicht gut aus, Kapitän.“

 

Oscar protestierte nicht, ihr ging es wirklich nicht gut. Vielleicht war es mit dem Kind soweit? „Sucht nach einem Gasthof.“, zischte sie mit zusammengepressten Zähnen und unterdrückte einen Schmerzenslaut. Die Männer schauten sich um. Das Dorf bestand aus etwa fünf Häusern, einer Kirche und einem Gasthof, der sich nur wenige Schritte entfernt von ihnen befand.

 

Girodel lenkte die Pferde, während André Oscar im Sattel mit einem Arm stützte und mit der freien Hand sein Pferd dirigierte. Die Packpferde waren an den Sattel gebunden und torkelten hinter ihnen her. Direkt vor dem genannten Gasthof zügelten sie die Tiere. Girodel stieg eilends aus dem Sattel und verschwand dann unverzüglich in dem Haus. André spürte das gesamte Gewicht von Oscar auf sich und versuchte krampfhaft ihr nicht zu zeigen, wie sehr er sich um sie sorgte. Das würde Oscar nicht wollen.

 

Girodel kehrte sehr schnell mit dem Wirt und dessen Frau zurück. Er hatte ihnen den Umstand von seinem Kapitän erklärt und das Ehepaar war sofort bereit, der werdenden Mutter zu helfen. Sie stellten sich kurz mit den Namen Hamo und Adaliz vor und halfen Oscar aus dem Sattel herabzusteigen. Sobald Oscar auf dem sicheren Boden stand, stieg auch André von seinem Pferd herab und gab seiner Geliebten die nötige Stütze. Der Wirt und seine Frau merkten sofort die nasse Kleidung und auch André und Girodel fiel ein dunkler Fleck auf dem unteren Bereich des Wollmantels von Oscar auf, was sie zu tiefst erschreckte.

„Die Wehen haben eingesetzt!“, sagte Adaliz bestimmt und zeigte den drei jungen Menschen den Weg in ein Zimmer im Gasthof. André und Victor, die Oscar von beiden Seiten stützten, folgten der Frau durch die Gaststube und dann in ein Zimmer, während der Wirt sich um die Pferde der Gäste kümmerte. Zwei Jungen, etwa zehn und acht Jahre alt, kreuzten ihnen den Weg. „Holt Melisende, sofort!“, befahl ihnen Adaliz und die Jungen verschwanden augenblicklich. „Melisende ist unsere Heilkundige und Hebamme im Dorf. Meine Cousine hatte vor ein paar Tagen eine Tochter zur Welt gebracht und dank Melisende ist alles gut verlaufen.“, meinte Adaliz kurz angebunden zu den drei hinter ihr und erreichte mit ihnen das Zimmer. Dort wurde Oscar aufs Bett vorsichtig abgesetzt und die Frau des Wirtes scheuchte André und Girodel sogleich hinaus, als wäre das eine Selbstverständlichkeit. „Männer haben bei einer Geburt nichts zu suchen.“, erklärte sie und half Oscar schon den Mantel und die Stiefel auszuziehen.

 

Dann war es also mit dem Kind soweit, begriffen André und Victor und verließen ungewollt das Zimmer. Vor allem André wollte bei Oscar bleiben, aber konnte nichts ändern. Hoffentlich würde Oscar nicht so sehr leiden, betete er insgeheim. Vom Hören wusste André bereits, wie schmerzhaft eine Geburt für die werdenden Mütter war und manches Mal gab es sogar Todesfälle. André versuchte den grässlichen Gedanken zu verdrängen. Seine Oscar durfte nicht sterben! Sie und ihr gemeinsames Kind mussten leben!

 

Girodel beobachtete ihn genau und seine ruhige Haltung missfiel ihm. Wie konnte ausgerechnet er, der Vater des Kindes, so ruhig bleiben, während Lady Oscar gerade eine Tortur durchmachte? Victor hielt nicht länger aus und packte André unvermittelt am Kragen. „Wenn Lady Oscar etwas passiert, dann werde ich dich dafür verantwortlich machen und dich vors Gericht stellen!“

 

Wie? André starrte ihn irritiert an. Er hatte ihn zwar deutlich gehört, aber nicht so richtig verstanden. Denn sein ganzes Denken galt nur Oscar und dem ungeborenen Wesen. Was wollte der Graf von ihm, besagte sein überraschter Gesichtsausdruck. Und wieso war er so aufgebracht? André wollte gerade etwas erwidern, als die Tür des Zimmers, wo Oscar in den Wehen lag, sich öffnete und Adaliz kurzzeitig rauskam. „Wer von Euch ist André?“, fragte sie und Girodel ließ André los.

 

„Das bin ich.“, stotterte André und wappnete sich auf eine schlimme Nachricht. Bitte sag nicht, dass mit Oscar oder unserem Kind etwas passiert ist, flehte er in Gedanken und seine Sehnen spannten sich am ganzen Körper an. Auch Girodel hatte den gleichen Gedanken und schielte zu André – bereit, seine Warnung in die Tat umzusetzen.

 

Adaliz aber winkte André zu sich. „Kommt schnell herein, Eure Frau wünscht, dass Ihr während der Geburt bei ihr seid.“

 

André hörte die Frau des Wirtes nicht einmal zu Ende und hastete sofort ins Zimmer. Oscar lag nur im Hemd, das von ihren aufgestellten Beinen bis zum fassrunden Bauch hochgeschoben war, und stöhnte seinen Namen heraus. André schaute nicht auf ihre Blöße und eilte sofort zu ihr an das Kopfende des Bettes. „Ich bin hier, Liebste.“ Fürsorglich nahm er ihre Hand und kniete zu ihr.

 

„Gott sei Dank.“ Oscar schaute ihn an und allen Schmerzen zum Trotz lächelte sie zu ihm. Der sanfte Blick seiner grünen Augen beruhigte sie, seine haltende Hand gab ihr die Kraft und Beistand, die Geburt ohne Angst zu überstehen. Ja, mit ihm würde sie das schaffen. „Ich liebe dich.“, flüsterte sie und in dem Moment kam eine ältere Frau ins Zimmer.

 

„Das ist Melisende.“, sagte Adaliz und bevor die Hebamme sich über die Anwesenheit von André sich wunderte, klärte Adaliz sie auf. „Dieser Monsieur ist der Vater des Kindes und Madame wünschte seine Gegenwart so sehr, dass ich nachgegeben habe. Ich habe bereits erfahren, dass es ihr erstes Kind ist und aus dem Grund dem Monsieur erlaubt, bei ihr zu sein.“

 

Die Hebamme sagte nichts und grüßte das Paar mit einem freundlichen Nicken. Aber sie merkte an denen zärtlichen Blicken sofort, dass die zwei sich sehr liebten und übernahm sogleich fachmännisch ihr Werk. Sie untersuchte Oscars Bauch mit sanften Händen und erklärte dabei der werdenden Mutter, was sie während Geburt tun sollte und wann sie pressen musste. Dann verschwand sie zwischen ihren Schenkeln und Oscar tat alles, was Melisende zu ihr sagte. Adaliz währenddessen bereitete alles Nötige vor: Warmes Wasser mit bestimmten, eingetrockneten Kräutern, Tücher zum Abtrocknen und Lacken zum Einwickeln.

 

André flüsterte seiner Oscar immer wieder Liebesworte zu, hielt fest ihre Hand und mit der anderen strich er ihre blonden Locken von der verschwitzten Stirn. Damit beruhigte er nicht nur sie, sondern auch sich selbst. „Ich liebe dich … Es wird alles gut... Du hast es gleich geschafft ...“ Das waren die meisten Worten, die Oscar von ihm hörte, während sie auf ein Zeichen der Hebamme presste und dabei einen Schmerzenslaut unterdrückte.

 

„Das Kind ist fast da, ich sehe schon den Kopf!“, rief schon bald die Hebamme und es dauerte nicht mehr lange, bis das Kind ganz draußen war. „Es ist ein Junge!“, gratulierte Melisende und das Neugeborene begrüßte die Welt mit lauthalsigem Geschrei. Adaliz säuberte es schnell und legte ihn an die Brust der Mutter. Sofort wurde es still und Oscar und André betrachteten ihn fasziniert und ungläubig zugleich.

 

Oscar hielt vorsichtig das kleine Wesen an sich, damit er nicht runterfiel und vergaß dabei alle Schmerzen, die sie während der Geburt durchstanden hatte. Da war plötzlich ein Kind, das durch die Liebe zwischen ihr und ihrem André entstanden war und das sie neun Monate lang unter ihrem Herzen getragen hatte. „Er ist so winzig.“, murmelte sie hingerissen und von der Geburt erschöpft.

 

„Ja, das stimmt.“, André war nicht minder angetan von seinem Sohn wie seine Geliebte. Das war also das Ergebnis seiner Zeugung. Vorsichtig strich er an dem kleinen Köpfchen des Kindes und in dem Moment spannte sich Oscar wieder an. „Was ist das?“, zischte sie und André musste das Kind halten, weil es vom Oscars angespannten Körper zu rutschen drohte.

 

„Das ist die Nachgeburt.“, meinte die Hebamme, die noch immer zwischen ihren Schenkeln saß. „Ihr müsst noch einmal pressen, Madame.“

 

Oscar tat es. Es war nicht mehr so schmerzhaft wie beim Kind und sie entspannte sich in wenigen Augenblicken wieder, als die Nachgeburt nachließ. Sie schaute ihren Geliebten an, hielt ihr Kind wieder behutsam an der Brust und ihr traten beinahe Freudentränen in die Augen. Als hätte sie ihren André angesteckt, glänzten auch seine Wimpern feucht. „Du hast es überstanden, Oscar, meine Liebe.“ Er neigte sich sogleich zu ihr und berührte zärtlich ihre Lippen mit den seinen.

 

„Wir haben es geschafft.“, korrigierte ihn Oscar und empfing seinen sanften Kuss mit all ihrer Liebe und Zuneigung.

 

Die Hebamme befand sich noch immer zwischen Oscars Schenkeln und betrachtete äußerst besorgt ein blasses und kaum atmendes Bündel in ihren Armen. Das war keine Nachgeburt, sondern ein zweiter Junge. Adaliz kniete sich zu ihr und auch in ihrem Gesicht stand die gleiche Besorgnis geschrieben. „Es wird nicht lange leben. Höchstens ein oder zwei Stunden, bis sein Herz aufhört zu schlagen.“, meinte Melisende sehr leise.

 

Adaliz nickte zustimmend, dass sie verstanden hatte und warf einen Blick auf das Paar. Oscar und André begutachteten jetzt glückselig ihren Sohn und sprachen miteinander im flüsternden Ton. Dabei lächelten sie und schenkten sich gegenseitig kleine Küsse. „Dann sollten wir ihr es nicht sagen.“, schlug Adaliz kaum hörbar vor und schaute wieder die Hebamme an. „Sie hat doch schon ein gesundes Kind zur Welt gebracht und der Verlust des anderen wird sie bestimmt hart treffen. Das könnte ihrem geschwächten Körper schaden, stärkere Blutungen auslösen und im schlimmsten Fall würde sie Fieber bekommen. Kindbettfieber ist sehr gefährlich und könnte zum Tode führen.“

 

Melisende stimmte ihr zu. Für das Wohl der Mutter würde es wohl besser sein, wenn sie von ihrem zweiten Kind, das sowieso stirbt, nie erfahren würde. „Bring mir eine Wolldecke und schaff ihn zu deiner Cousine. Vielleicht wird er noch etwas trinken, bevor er für immer entschläft.“

 

„In Ordnung.“ Adaliz erhob sich, holte schnell eine Decke aus Schafsfell, wickelte darin das sterbende Bündel und verließ eilends das Zimmer. Melisende bekreuzigte sich für die arme Seele und warf einen Blick auf das Paar. Sie sprachen noch immer miteinander, liebkosten sich gegenseitig mit ihren Blicken, bewunderten liebevoll ihren Sohn und schienen nichts bemerkt zu haben. Die Hebamme bat noch stumm Gott um Vergebung für die Sünde und sagte dann etwas lauter zu der jungen Mutter: „Ihr müsst noch einmal leicht pressen, Madame. Die Nachgeburt ist noch nicht vorbei.“

 

Oscar tat es und erneut hielt André das Kind. Jetzt kam wirklich die Nachgeburt und Melisende begutachtete den Mutterkuchen. Es war alles in Ordnung und sie wickelte ihn in anderes Laken, um ihn später zu entsorgen. Dann erhob sie sich, schaute die kleine Familie gerührt an und kam an die andere Seite des schmalen Bettes. „Wie fühlt Ihr Euch?“, erkundigte sie sich und erntete sogleich die Aufmerksamkeit der beiden.

 

„Danke, ich fühle mich bestens.“ Oscar schenkte ihr ein Lächeln und ihr Blick wanderte sogleich zurück auf ihren Geliebten. „André, du weißt, wo mein Geldbeutel ist?“

 

„Ja, natürlich.“ André verstand und holte es. „Wie viel soll ich geben?“

 

„Gib ein Goldstück der Hebamme und ein Goldstück der Frau des Wirtes.“, entschied Oscar und überlegte, ob sie nicht doch etwas mehr geben sollte. Immerhin hatten die beiden Frauen ihr sehr geholfen und ihr Bestes getan, damit sie die Geburt unbeschadet überstand und dass sie ihr Kind ohne Komplikationen auf die Welt gebracht hatte.

 

„In Ordnung, Oscar.“ André bezahlte die Hebamme und Oscar beschloss, ihr später mehr Geld zu geben.

 

Melisende nahm das Goldstück mit einem schlechten Gewissen entgegen, aber lächelte trotzdem dankbar. Sie zeigte Oscar, wie sie das Kind richtig an der Brust hielt und ihm die Milch gab. Beinahe gierig saugte der Kleine an der Brust und Oscar hätte fast gelacht, weil es kitzelte. André war bei dem Bild von Oscar und wie sie ihren gemeinsamen Sohn stillte, noch mehr in sie verliebt. Zusammen mit ihr beobachtete er fasziniert, wie der Kleine an der Brust saugte und dabei schmatzende Geräusche verursachte. „Er ist wundervoll.“, schwärmte André und streichelte ihm vorsichtig an der Wange, ohne ihn dabei beim Trinken zu stören. Oscar gab ihm recht. Der kleine Junge in ihrem Arm war das wundervollste Geschöpf, das sie jemals gesehen hatte. Sie schwor sich, ihn zu beschützen und niemals zulassen, dass weder ihm noch ihrem André jemals ein Leid zugefügt würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  selina-rose
2019-05-06T20:54:16+00:00 06.05.2019 22:54
Hallo Ira,
Ich freue mich sehr das es so eine lange Geschichte wird.
Meine Vermutung ist ja das der zweite Junge überlebt, das aber erst nach Jahren raus kommt.
Neugierig bin ich auf den Namen des Kleinen.
LG Selina
Antwort von:  Saph_ira
10.05.2019 19:31
Hallo Selina und danke dir sehr für deinen Kommentar.
Ich glaube, das wird die längste Geschichte sein.
Das ist eine interessante Vermutung, aber mal sehen ob es stimmt.
Im nächsten Kapitel wird der Name für den Kleinen bekannt gegeben.
Liebe Grüße Ira
Von: GLaDo
2019-05-01T18:04:04+00:00 01.05.2019 20:04
Oh ich hoffe doch der zweite Junge überlebt. Er darf nicht sterben. Das wäre schrecklich und ich hoffe für Girodelle, dass er dicht hält.
Antwort von:  Saph_ira
01.05.2019 20:47
Hoffnung ist gut, weil das Schicksal viele Überraschungen parat hält und die Geschichte heißt aus diesem Grund "Liebe, Lüge, Wahrheit". Ich denke, wenn Girodel Oscar wirklich liebt, dann wird er dicht halten. Danke dir für deinen Kommentar, das bedeutet mir viel.


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