Zum Inhalt der Seite

Force of Nature

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Mit ein bisschen Verspätung, hier nun der neue Teil. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen. :) Wichtige Dinge werfen ihre Schatten voraus, Dinge werden angesprochen, genauso wie Dinge passieren. Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Erkenntnisse

Sechs Kilometer wurde Jeremy weichgekocht, bis der große, schweigsame, grauäugige Diktator an seiner Seite beschloss, dass es fürs Erste genug der Qualen sein würde.
 

Wortlos stand Jean an seiner Seite, den Blick gnadenlos prüfend und zu einem Quantum auch verurteilend auf Jeremy gerichtet. Er selbst keuchte, als wäre er einen Marathon gelaufen, wobei Keuchen nicht das richtige Wort war. Er pfiff aus dem letzten Loch, kurz davor, das Zeitliche zu segnen, falls Jean keine Gnade mit ihm kannte und ihn weiterlaufen ließ.

Was bisher nicht der Fall war und anscheinend büßte er jede Sekunde seines Schlafes in fremden Betten mit einem Meter am Strand. Er hatte sich nicht getraut, sich dem zu verweigern, nicht, nachdem er sich so selbstverständlich in Jeans Bett gelegt und sein Kissen vollgesabbert hatte. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn Jean bereits in seinem Bett gelegen hätte.
 

Jeremy versuchte für die nächsten Minuten Luft in seine Lungen zu pressen und trank gierig seine Flasche Wasser leer, die er mitgebracht hatte. Seine Kopfschmerzen pochten noch ordentlich hinter seinen Schläfen, aber wenigstens konnte er seit dem Mittag wieder gerade gehen. Vorher wäre auch nicht daran zu denken gewesen, sich sportlich zu betätigen. Jean hatte das mit seiner durchdringenden Aufmerksamkeit beobachtet, wie er Jeremy schon den ganzen Tag beobachtete, immer auf der Suche nach etwas, das Jeremy verborgen blieb.
 

So auch jetzt. Nur, dass der nachdenkliche Zug um die schmalen Lippen herum nun eine Erklärung bekam.

„Fahima“, warf Jean schließlich das gefürchtete Stichwort in die Runde und Jeremy schluckte. Da war er wieder, der Name, den er sich selbst eingebrockt hatte. Das kommende Gespräch, an dem er selbst Schuld trug. Was fiel ihm auch im betrunkenen Kopf nichts Besseres ein als Jean nach dem Wort Eifersucht zu fragen und dann auch noch in Verbindung mit Fahimas Namen.
 

„Ja?“, krächzte Jeremy hervor, den Blick auf das aufgewühlte Meer gerichtet. Er traute sich nicht, Jean in die Augen zu sehen, weil er befürchtete, dass der andere Junge die Wahrheit in seinem eigenen, verräterisch offenen Gesicht sehen würde.

„Warum bist du eifersüchtig?“
 

Uff.

Für einen Moment überlegte Jeremy, offen und ehrlich zu antworten. Ich bin eifersüchtig auf die Art, wie du sie und nicht mich ansiehst. Wie du sie und nicht mich anlächelst. Ich bin eifersüchtig auf die Art, wie du dabei bist, dich in sie zu verlieben.
 

Jean hatte in den letzten Monaten damit begonnen, ihm zu vertrauen. Ihm diese Wahrheit jetzt um die Ohren zu hauen, würde alles zerstören, was zwischen ihnen gewachsen war. Die Schäden für Jean waren nicht absehbar und so blieb ihm nichts Anderes übrig als zu lügen. Um Jeans Willen und um seinen eigenen.
 

Jeremy drehte sich um und lächelte entschlossen. So gerne er auch die Wahrheit gesagt hätte, so wenig durfte er es und das gab ihm die Kraft, überzeugend zu sein. Hoffte er zumindest.

„Ich bin manchmal eifersüchtig auf die leichte Art, wie Fahima ihren Glauben und die damit verbundenen Nachteile für sie meistert. Sie hat viel mit Intoleranz und Diskriminierung zu kämpfen und sie lässt sich davon nicht unterkriegen. Und ich…manchmal wirft mich ein einziger Spruch aus der Bahn. Ihr Mut und ihre Ruhe machen mich da geradezu eifersüchtig.“
 

Soweit war das alles richtig, bis auf die Tatsache, dass er deswegen eifersüchtig auf sie war. Im Gegenteil, er bewunderte sie für ihre Anmut, mit der sie allen rassistischen Arschlöchern begegnete, die meinten, sie wegen ihrem Kopftuch anzupöbeln, sie in Geschäften zu ignorieren oder am Flughafen regelmäßig zur Kontrolle herausziehen zu müssen.

Trotzdem kam Jeremy sich schlecht vor, Jean gerade jetzt in die Augen zu sehen und zu wissen, dass er nicht hundert Prozent ehrlich zu ihm gewesen war.
 

In Jeans Mimik sah er das Wissen um diese Lüge. Streng wurde Jeremy gemustert und die schmalen Lippen öffneten sich, sicherlich, um nachzubohren. Jeremy lächelte und spielte mit der leeren Wasserflasche.
 

„Das ist alles. Nichts Großartiges, wie du siehst. Der Rest war das Resultat von viel zu viel Alkohol.“ Er sollte aufhören zu reden. Wirklich. Je mehr er sagte, desto mehr Grund gab er Jean, an ihm zu zweifeln. Das sah er an der Stirn des größeren Jungen, die sich kritisch runzelte. Also verstummte er und wartete auf das Urteil des Backliners.
 

„Das ist alles“, echote Jean langsam. Es war Zustimmung, allerdings nur zu seinen Worten, nicht zum Inhalt dieser. Kurz huschte verwirrte Unsicherheit über Jeans Gesicht, dann wandte er sich ebenfalls zum Meer.

„Dir scheint es heute nicht gut zu gehen. Ich denke, wir sollten wieder zurücklaufen“, lenkte er vom Thema ab und Jeremy hob spielerisch seine Augenbrauen.

„Wer bist du und was hast du mit Jean gemacht?“, grinste er und rempelte den Backliner vorsichtig mit seiner Schulter an.
 

Beinahe schon nachsichtig atmete Jean tief durch. „Ich habe nur keinen Bedarf, dich zurück zu tragen.“

Gespielt enttäuscht griff sich Jeremy an die Brust. „Das würdest du nicht für mich tun?“

„Nein.“
 

Jeremy war nicht gut darin zu lügen. Lügen zu erkennen hingegen war eine seiner Stärken.
 

~~**~~
 

„Hmm.“

„In dem Alter konnte ich das noch nicht.“

„Und dieser realitätsgetreue Maßstab.“

„Fick dich.“

„Brauche ich nicht, Cap, Laila und ich hatten Sex, bevor wir zu euch gekommen sind.“
 

Jean rümpfte die Nase und grollte in Richtung Alvarez, die zusammen mit Knox und Laila über den hohen Küchentisch gebeugt stand und die Zeichnung, die dort lag, studierte.

„Wäre es möglich, dass wir in Verbindung mit dieser Zeichnung nicht über solche Dinge sprechen?“, fragte er unerfreut und Alvarez musterte ihn amüsiert.

„Solche Dinge?“

„Eurer Bettbeschäftigung.“

„Sex ist das Wort, was du suchst“, berichtigte sie ihn und Jean rollte mit den Augen.

„Wenn du das, was ihr macht, so benennen willst, dann ja“, konterte er, ganz zu Alvarez‘ Empörung und zu Knox‘ Amüsement. Sein Kapitän lachte, während er mit seinen Fingern erneut zärtlich über das Bild vor sich strich.
 

„Ich finde es schön“, sagte er und Jean war sich dessen nicht so sicher. Es ähnelte den Kinderzeichnungen, die er in François‘ Haus gesehen hatte. Seine eigenen und die seines Bruders, wenngleich Louis schon jetzt besser war als er es jemals sein würde.

Jean zweifelte auch nicht wegen des Zeichenstils, sondern wegen der Bedeutung dessen. Louis hatte es sicherlich nur gut gemeint, jedoch verunsicherte Jean das, was das Bild zeigte: Louis, wie er rechts seinen Vater an den Händen hielt, links Jean und neben ihm Knox. Ihre Proportionen waren etwas aus der Fassung geraten, wobei Jean das als Untertreibung des Jahres bezeichnen würde. Knox war erheblich kleiner als er, wenngleich auch knapp größer als Louis. Jean und sein Vater waren beide riesig und trugen ernste Gesichter, während Louis und Knox um die Wette grinsten.
 

Er hatte es heute Morgen bekommen und schlich seitdem um die Zeichnung herum, im Widerstreit mit der berührten Zärtlichkeit, die in ihm tobte, und der irritierten Vorsicht, die immer noch Mühe hatte zu begreifen, was die offensichtliche Zuneigung seines jüngeren Bruders für ihn bedeutete und ob er sie überhaupt richtig erwidern konnte ohne Louis zu verletzen.
 

Ein erster Schritt war sicherlich, Louis anzurufen und sich für das Bild zu bedanken. Sicherlich war sein kleiner Bruder schon aus der Schule zurück, außerdem war es nicht so, als hätte Jean nicht die Telefonnummer ihres Vaters, über die er Louis erreichen könnte. Eigentlich stand dem nichts entgegen. Uneigentlich…war es das erste Mal, dass er von sich aus seinen Vater anrief und vieles in ihm sträubte sich dagegen. Es kam ihm wie eine Niederlage vor, auch wenn Jean wusste, dass das Gefühl fehlgeleitet war. Da war das Gefühl der Unsicherheit viel präsenter. Mit seinem Vater zu sprechen machte ihn unsicher und warf Emotionen in ihm auf, denen er sich noch nicht final gestellt hatte.
 

Wenn er es denn jemals konnte.
 

„Ihr hättet auch Händchen halten können“, durchbrach Alvarez seine Überlegungen.

„Ey!“, beschwerte sich Knox empört und irritiert sah Jean hoch. Was meinte sie? Louis hatte seine Hand doch umschlungen, das sah man auf dem Bild. Erneut ließ er den Blick dorthin schweifen und blinzelte, als er erkannte, dass es gar nicht um seinen Bruder und ihn ging, sondern um Knox und ihn. Wohl damit auf dem Bild alle Händchen hielten.

Jean schnaubte und wandte sich an seinen Kapitän, dessen Augen vernichtend böse auf Alvarez lagen. Auch der Grund dafür war ihm ein Rätsel.
 

„Das ist nicht die richtige Gelegenheit, sich an den Händen zu berühren“, sagte er eingedenk der Male, in denen Knox seine Hände umfasst hatte. Es waren sehr emotionale Momente gewesen, in denen es um Unterstützung gegangen war. Um Versicherungen. Das hier war das Bild eines Zusammentreffens. Sicherlich auch emotional, aber auf eine andere Art und Weise.

„Sondern?“, fragte Alvarez mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, der Jean seltsam vorkam.

„Alvarez!“, zischte Knox und Jean legte den Kopf schief. Ihm entging etwas, aber er hatte keine Ahnung was.
 

„In emotionalen Momenten“, erläuterte er daher stirnrunzelnd. „Wie du sicherlich weißt, schließlich befindest du dich in einer Beziehung.“

„Immer mal wieder“, warf Laila ein und trank augenzwinkernd ihren Kaffee.

„Gab es zwischen euch noch keine emotionalen Momente?“, fragte Alvarez ungeachtet dessen.
 

„Sicherlich“, erwiderte Jean und Knox‘ Aufmerksamkeit ruckte zu ihm. „Aber auf dem Bild ist kein solcher zu sehen.“

Wenn er gewusst hätte, dass er durch diese schlichte Antwort in den vollständigen Fokus des braunhaarigen Mädchens geraten würde, dann hätte er sie sich zweimal überlegt. Der hungrige Ausdruck in Alvarez‘ Augen irritierte Jean, ebenso wie ihr nachdenkliches Streichen über den seitlich geflochtenen Zopf. Sie maß ihn wie ein Raubtier seine Beute maß und Jean schulte sein Gesicht auf sorgsame Neutralität.
 

„Al, lass ihn in Ruhe“, mischte Knox sich ein, doch wie so oft kannte seine Vize keine Grenze, wenn sie etwas wissen wollte.

„Also habt ihr schon Händchen gehalten“, hakte sie nach und Jean zuckte mit den Schultern. Das gesamte Team fasste sich an und berührte sich ständig. Sie umarmten sich auch und küssten sich sogar auf die Wange und auf den Mund. Bis auf Alvarez und Laila sowie Valentine und Logan war – soweit Jean wusste – niemand liiert. Wieso also war das, was Knox und er getan hatten, so besonders?
 

Vielleicht war es das auch gar nicht und sie wollte nur eine Versicherung.

Langsam nickte Jean. „Ja, wir haben uns bereits an den Händen berührt“, sagte er neutral und Knox starrte ihn mit geweiteten Augen und leicht geröteten Wangen an.

Das war jedoch nicht so seltsam wie der begeisterte Laut, der Alvarez‘ Lippen verließ. Nur Laila verhielt sich weiterhin normal und lächelte ihn an, Verständnis auf ihrem Gesicht. Jean war unwillkürlich dankbar darum, wenn sich schon sein Kapitän und dessen Vize so verhielten.

„Das freut mich für euch beide“, sagte sie sanft.
 

„Es war okay“, erwiderte Jean und das war es auch. Es war okay. Die Angst, die er am Anfang davor gehabt hatte – die Sorge, dass Knox ihm seine Finger brechen würde – war verschwunden. Er fühlte sich nicht mehr unsicher damit. Doch anscheinend war auch das das Falsche, denn Alvarez brach in haltloses Gelächter aus. Sie lachte so heftig, dass sie sich über den Tresen krümmte und Jean zog vorsorglich die Zeichnung seines kleinen Bruders zu sich, bevor irgendetwas mit dem Bild passierte. Er legte sie auf die Wohnzimmeranrichte und besah sich das seltsame Trio.

„Wieso lacht sie?“, fragte er Knox, als Alvarez sich gar nicht mehr beruhigte und dieser seufzte tief.

„Weil sie doof ist“, erwiderte er grollend und das war keine solche Lüge wie die am Strand, auch wenn Jean wusste, dass es nicht die Wahrheit war. Das machte es nicht besser und Jean fragte sich, welchen Grund es haben mochte, dass sein Kapitän ihn nun zum zweiten Mal belog und die Wahrheit vor ihm geheim hielt.
 

Und warum ihn das nicht derart in Angst und Schrecken versetzte, wie es in Evermore passiert wäre, sondern ihn mit einer subtilen Unzufriedenheit beschenkte, die er nicht wollte. Schließlich hatte er Knox am Anfang doch auch angelogen. Aus Angst heraus. Hieß das, dass Knox Angst hatte, ihm die Wahrheit zu sagen?
 

Aber wenn ja, warum?
 

~~**~~
 

„Jean.“
 

Seine gekrümmten und falsch geheilten Finger strichen über sein Buch der ersten Male. Er hielt sein Telefon an sein Ohr gepresst und schluckte ob der Emotionen, die dem einfachen Wort – seinem Namen – lagen, den sein Vater mit soviel Zuneigung und Vorsicht aussprach.

„Ja.“

Etwas Besseres fiel ihm nicht ein, obwohl er derjenige gewesen war, der angerufen hatte. Was auch schon im Buch stand. Wie so vieles, was ihm in letzter Zeit passiert war. Das Buch war beinahe schon voll. Ein Viertel hatte er noch, um neue Dinge einzutragen und sie zu erläutern. Niemals hatte Jean gedacht, dass er soweit kommen würde und dennoch.
 

Hier war er.
 

Er räusperte sich. „Ich würde gerne Louis sprechen.“

Eine Sekunde herrschte Schweigen in der Leitung. „Natürlich“, sagte François dann ruhig. „Warte bitte einen Moment.“

Jean folgte dem schweigend und lauschte mit klopfendem Herzen, als sein Vater Louis rief. Nicht Louis, Lou.

Es dauerte nicht lange, da polterte es die Treppe hinunter.

Jean!

Er lächelte ob der Begeisterung, die er hörte. „Hallo.“

„Hast du mein Bild bekommen?“, fragte Louis aufgeregt und Jean konnte sich bildlich vorstellen, die der Junge hibbelte, während er auf eine Antwort wartete.

„Ja, das habe ich“, sagte er und lehnte sich an das Kopfteil seines Bettes. „Es ist ein tolles Bild und ich freue mich sehr darüber.“
 

Louis kicherte und ließ sich anscheinend mit ihm auf die Couch fallen. „Machst du das Video an?“, fragte er und Jean tat ihm den Gefallen. Überrascht hob er die Augenbraue, als er das Gesicht seines Bruders sah.

„Du hast Farbe im Gesicht.“

Louis kicherte und rieb sich über die rechte, nicht mit Farbkleksen übersäte Wange. „Ich male ja auch gerade“, erklärte er stolz und Jeans vernarbte Wangen schmerzten beinahe schon von dem Dauerlächeln auf seinen Lippen.

„Wie geht es dir?“, fragte er und sein kleiner Bruder fing an zu erzählen. Ausführlich ließ er Jean teilhaben an den letzten Tagen und Wochen, überschwemmte ihn mit Namen und Informationen, die Jean sich alle gar nicht so schnell merken konnte. Doch es machte Jean nichts aus, den Schulgeschichten seines Bruders zuzuhören, den unbeschwerten Erzählungen aus dessem Leben.
 

„Kommst du zu Thanksgiving?“, schloss Louis seine Erzählungen und Jean blinzelte überrascht. Thanksgiving? Darüber hatte er sich keinerlei Gedanken gemacht. Bisher war er immer noch in eben jenem Stadium des Unbegreifens, dass er fünf Tage frei hatte. Keine Vorlesungen, kein Training, einfach frei.
 

Ferien.
 

Dieses Konzept war absolut unbegreiflich, immer noch.
 

Knox hatte ihm mittlerweile mehrfach angeboten, dass er mit zu seinen Eltern kam, auf die Farm nicht ganz eine Tagesreise von hier entfernt mit dem Auto. Jedes Mal, wenn sein Kapitän es vorgeschlagen hatte, war Jean von einer seltsamen Mischung aus Freude und Angst erfüllt gewesen. Ja, er würde gerne mit Knox dorthin reisen und diese Weite mit eigenen Augen sehen wollen. Oder die Tiere, die der andere Junge ihm auf Fotos gezeigt hatte. Doch er hatte Angst, weil er nicht wusste, ob das Angebot wirklich auch ehrlich gemeint war. Jetzt war er sich unsicherer denn je. Vielleicht machte Knox es nur aus Mitleid oder aus Pflichtbewusstsein.
 

Was es auch war, es trug nichts zu der Antwort auf Louis‘ Frage bei. Würde er Thanksgiving bei ihrem Vater verbringen wollen? Womöglich gleich noch ein paar Tage? Nein, das konnte er nicht. Das würde er nicht durchstehen.

Also schüttelte Jean den Kopf und räusperte sich. „Nein, das kann ich leider nicht“, sagte er wahrheitsgemäß und die durch die Enttäuschung nach unten gezogenen Mundwinkel seines Bruders schmerzten ihn unerwartet stark.

Jean seufzte. „Vielleicht…an einem anderen Tag oder Nachmittag, für ein paar Stunden, das würde gehen“, bot er an, auch wenn er noch nicht sicher war, wie er das anstellte. Vielleicht sollte er sich nun endlich ein Auto kaufen, anstelle im Internet nur nach Modellen zu suchen.
 

Anscheinend war sein Angebot für Louis okay, denn nach einem kurzen Moment des Schweigens nickte der Junge begeistert. „Bringst du dann auch deinen blonden Freund mit? Also den Kapitän der Trojans, nicht den Torhüter der Foxes. Mr. Jeremy meine ich“, erläuterte er und Jean schmunzelte. Der Gedanke, dass er Minyard fragen würde, ob dieser mit ihm seine Familie besuchte, war absurd. Amüsant, aber absurd.
 

Auf den zweiten Blick aber gar nicht mal mehr so amüsant. Das letzte Mal, als Andrew seine eigene Familie besucht hatte, war er direkt in Rikos Falle gelaufen. Es war eine Katastrophe für ihn gewesen und hatte Wochen der Qual für ihn bedeutet, die auch jetzt noch nachwirken würden.
 

„Wenn er möchte, bringe ich ihn gerne mit“, bejahte Jean schließlich und das Handy wackelte unter der Wucht der Begeisterung des Jungen.

„Ich habe dich so lieb, großer Bruder!“, grinste er dann und etwas Warmes erfasste Jean. Zärtlichkeit durchflutete ihn, erfasste ihn in einer Welle des puren Glücks, die ihn beinahe atemlos machte. Er wusste nicht, wann er das letzte Mal so glücklich gewesen war wie in diesem Moment.

Jean lächelte, auch wenn er kein Wort herausbrachte. Er lächelte so sehr, dass ihm seine Wangen wehtaten und Louis beobachtete ihn mit leuchtenden Augen dabei.
 

Schließlich nickte der Junge gewichtig. „Du brauchst nichts sagen, Jean. Papa meinte, dass du manche Dinge nicht aussprichst, aber fühlst. Er hat gesagt, dass sie dir das in Evermore nicht gezeigt haben, also das Gefühle zeigen. Das finde ich schade, aber ich weiß, dass du auch fröhlich bist, auch wenn du nicht fröhlich guckst.“
 

Es sollte Jean nicht wundern, dass sein Vater mit seinem Bruder über ihn sprach. Dass er in dieser Weise über ihn sprach, irritierte Jean doch schon und überrascht weiteten sich seine Augen. „Ich…“, begann er, wusste aber nicht recht, was er dazu sagen sollte. Er wusste nicht, was er bei den Worten seines Vaters fühlen sollte, die treffend zusammenfassten, was ihm geschehen war.

„Ist okay, großer Bruder“, grinste Louis. „Ich weiß, was du sagen willst, ich kann Augenlesen!“
 

Augenlesen? Jean blinzelte. Was sollte denn in seinen Augen stehen, was nicht auch auf seinem Gesicht stand?

„Und wenn ich sie zumache?“, fragte er aus einer spontanen Laune heraus und Louis quietschte empört.

„Das darfst du nicht! Dann kann ich dich nicht mehr augenlesen!“
 

Jean war zwar manchmal in der englischen Sprache nicht so firm, aber er war sich sicher, dass er diesen Begriff noch nie gehört hatte und dass es ihn auch gar nicht gab.

Um seine Lippen zuckte es verdächtig. „Dann wäre ich inkognito“, erwiderte Jean und hob herausfordernd die Augenbrauen. Kritisch musterte Louis ihn.

„Was heißt dieses Wort?“

„Inkognito?“

„Ja. In-kog-ni-to“, wiederholte Louis langsam und Jean nickte anerkennend.

„Unerkannt heißt das. Also eigentlich „unter falschem Namen““.

Louis nickte eifrig und das Bild wackelte erneut, als er sich anscheinend irgendetwas heranzog. „Das ist ein tolles Wort! Buchstabiere es!“
 

Jean tat, wie ihm befohlen und sah Louis dabei zu, wie dieser angestrengt jeden einzelnen Buchstaben auf das Blatt Papier schrieb, was er dann schließlich in die Kamera hielt.

„Genauso“, lobte Jean zur Freude seines Bruders.

„Das klebe ich auch in mein Buch! In-kog-ni-to. Jeans Wort.“
 

Jean labte sich an dem offensichtlichen und puren Glück seines Bruders, an der Freude, die dieser an so einfachen Dingen hatte. Sie erinnerte ihn an sich selbst und an seine eigenen Gefühle, als er noch jung war. In solchen Momenten sah Jean die Verwandtschaft zwischen ihnen beiden deutlicher als je zuvor und er spürte den Drang in sich, alles dafür zu tun, dass es Louis gut ging. Besser, als es ihm jemals gehen würde.
 

Und da war Liebe. Bedingungslose, vorsichtige Liebe, die alleine schon in ihrer subtilen Form Jean Angst machte, die er aber nicht mehr verneinen konnte.
 

~~**~~
 

„Ummpf!“
 

Erneut landete Jeremy rücklings auf dem Linoleum des Stadionbodens. Sein Schläger entglitt seinen Händen, was auch daran lag, dass er seinen Drillpartner mit sich zu Boden gezogen hatte, als dieser ihn wiederholt mit der von ihm vorgeschlagenen Raven-Abwehrtaktik daran hinderte, durchzubrechen. Seit Jean den Spielzug vorgestellt hatte, probierten die Trojans ihn aus…mehr oder minder erfolgreich unter Rhemanns strenger Aufsicht. Selbst Jeremy hatte es kein einziges Mal geschafft, Jean zu umlaufen oder den Ball zu behalten. Anstelle dessen wurde er einfach beiseite geschoben, des Balls beraubt, seines Schlägers beraubt, zu Boden gerungen…kurz und gut kompetent und entschlossen abgefertigt. Wieder und wieder und wieder, immer mit dem Blick auf graue Augen, die jede seiner Bewegungen vorher zu sehen schienen.
 

Daher war es auch eher ein unbedachter Reflex gewesen, dass Jeremy aus Eifer Jean einfach mit sich zu Boden gezogen hatte, die Arme um die Körpermitte des anderen Jungen. Er hatte dafür gesorgt, dass dieser auf ihm landete, was ihm nun alle Luft aus den Lungen presste, während er seine Hände abrupt zu sich zog um Jean nicht zu erschrecken und keine schlechten Erinnerungen zu wecken.
 

Dieser war natürlich auch schwerer als er, insbesondere, nachdem die Trojans mit vereinten Kräften dafür gesorgt hatten, dass Jean über die letzten Monate hinweg Gramm um Gramm zugenommen hatte. Er war nicht mehr so dünn wie vorher, sondern hatte noch mehr Muskelmasse zugelegt, die nun vollkommen auf Jeremy lastete.
 

Nicht, dass er sich beschwerte. Nicht, dass er sich vorher über Jeans rüde Behandlung beschwert hätte.
 

Eben jener rollte von ihm herunter und sah ihm verwundert in die Augen. „Das ist ein Foul und wird dir eine rote Karte verschaffen, Knox“, sagte er neutral, aber nicht ängstlich und Jeremy schnaubte.

„Aber wenigstens liegen wir beide jetzt mal am Boden!“

Kritisch wurde Jeremy beäugt und er lächelte gewinnend, während er sich seine verschwitzten Haarsträhnen zurückstrich.

„Was denn? Ich bin schließlich die letzte halbe Stunde nicht an dir vorbeigekommen!“

„Und dann ist das dein Mittel der Wahl, wenn dir nichts einfällt, meine Verteidigung zu durchbrechen?“

„Ich kann dich auch bei meinen Eltern so kugelrund füttern, dass du alleine dadurch schon träge wirst!“, machte Jeremy einen Gegenvorschlag und dieser stieß auf Unsicherheit. Das sah Jeremy und es passte zu Jeans Zögern der letzten Tage, wann immer er das Thema andeutete.
 

~~**~~
 

Jean fiel es mit jedem Mal leichter, sich in den Gemeinschaftsduschen zu duschen. Wenn er alleine war, dann schaffte er es, auch wenn die Angst in ihm immer darauf lauschte, ob sich nicht vielleicht doch jemand zu ihm stahl und sich ihm in einer der Kabinen aufzwang.

Der rationale Teil in ihm wusste, dass das nicht passieren würde, auch wenn er just in diesem Augenblick brachial zusammenzuckte, als es aus der angrenzenden Umkleide polterte und sein Kapitän fluchte wie der letzte Hafenarbeiter aus Marseilles.
 

Mit klopfendem Herzen schlang Jean das Handtuch um sich und lugte vorsichtig um die Ecke in den anderen Raum hinein.

Knox und er hatten noch etwas trainiert und waren mit Rhemanns Segen länger geblieben. Dementsprechend waren sie alleine hier und Jean hatte nun den vollen Einblick auf Knox‘ auf und ab hüpfendes, vor allem aber nacktes Hinterteil. Jean starrte und ein eiskalter Schock durchfuhr ihn. Beinahe schon panisch verschwand er wieder hinter der Wand zwischen Umkleide und Dusche und lehnte sich an die kühlen Fliesen, während Knox fluchte und fluchte und gar nicht mehr aufhörte.
 

Die Frage nach dem Warum ließ Jean nach ein paar Sekunden ein zweites Mal spinxen und das machte es wieder nicht besser, ganz im Gegenteil. Dieses Mal hüpfte der nackte Hintern zwar nicht auf und ab, aber er wurde ihm trotzdem entgegengestreckt und Jean schluckte.
 

Trotz des Schocks in ihm versuchte er herauszufinden, was das Problem war, was sich als schwieriger herausstellte als gedacht. Jean glaubte, dass es der Zeh war, aber je tiefer er starrte, desto mehr sah er…

Vielleicht, nein, ganz sicher, sollte er auch gar nicht starren. Knox würde das sicherlich nicht wollen, dass er beobachtet würde. Schon gar nicht, wenn er sich verarztete, immer noch leise vor sich hinmurmelnd.
 

Auch wenn er sich sagte, dass es besser wäre, nicht hinzuschauen, tat Jean es trotzdem, plötzlich und abrupt in der Frage gefangen, die ihm vor ein paar Wochen gestellt worden war. Wen fand er attraktiv? Männer oder Frauen? Jean war sich nicht sicher und beinahe empfand er Scham darüber, auf welchem Weg er es gerade herausfinden wollte. Seinen Kapitän so anzustarren, gehörte sich nicht. Ganz und gar nicht. Es war respektlos ihm gegenüber.

Und es beantwortete seine Frage nicht.
 

Knox‘ Körper war schmaler als sein eigener, aber auch muskulös. Insbesondere seine Schultern und Waden zeigten, was ihr Sport aus ihren Körpern machte, ganz zu schweigen von den Oberarmen. Wenn er es sich ehrlich eingestand, so sah man das ebenfalls an den Muskeln des Hinterns. Ungebeten überkamen Jean Erinnerungen an den Moment zwischen Knox und dem Reporter, ihrem Sex, den er gestört hatte. Da hatte Knox sich in einer ähnlichen Position befunden. Wie es sich wohl für den Reporter angefühlt haben musste, sich ihm zu befinden, Mit nichts zwischen ihnen außer ihrer Haut?
 

Als Jean sich seines Gedankens bewusst wurde, durchfuhr ihn ein Schrecken, der eiskalter nicht hätte sein können. Er warf sich beinahe zurück hinter die schützende Wand und lehnte sich an die kühlen Fliesen, presste seine Hand vor die Lippen, als könnte er so verhindern, dass er die fürchterlichen Gedanken dachte, die er dachte.

Wieso kam er überhaupt auf so etwas? In einer solchen Situation? Und wieso rief der Gedanke keine Ablehnung in ihm hervor?
 

Jean schluckte panisch und sah nach seinem Duschgel. Er sollte die Dusche abstellen und hinausgehen…vorher auf sich aufmerksam machen, damit Knox sich bedecken konnte. Und dann sollte er gehen.

Jean trat einen Schritt in den noch warmen Wasserstrahl und schaltete ihn aus. Er befürchtete, dass das nicht ausreichte um Knox auf sich aufmerksam zu machen und warf einen Blick auf das Duschgel. Türkis mit einem frischen Duft, den Jean von allen Düften am Liebsten mochte. Er seufzte stumm und schubste es von der Anrichte, ließ es laut über die Fliesen schlittern.

„Verdammt!“, schickte er ebenfalls laut genug für Knox hinterher und das leise Fluchen verstummte.

„Alles in Ordnung, Jean?“, rief sein Kapitän, kam jedoch nicht in die Dusche. So wie er es nie tat, wenn Jean hier duschte.
 

Und das, obwohl Jean ihm beim Training derart hart angefasst hatte.
 

Jean starrte auf seine Hände. Er hatte es genossen, Knox daran zu hindern, durchzukommen, Diese Übung war nicht so wie ein Evermore gewesen, nicht mit Angst durchsetzt, dass er versagte. Er hatte auf Knox gewartet und ihn gelockt, dass dieser seiner Herausforderung annehmen würde. Und wie sein Kapitän ihr gefolgt war. Gnadenlos, auf seine ganz eigene Art und Weise und Jean hatte es genossen. Jedes einzelne Mal.
 

„Monsieur Exy!“
 

Schaudernd zuckte Jean zusammen, als Knox ihn erneut rief und aus seinen Gedanken riss. Knox‘ Akzent war fürchterlich, so fürchterlich, dass er ihn final aus der Dusche trieb.

Grollend begegnete er seinem nun bedeckten Kapitän und maß ihn mit hoch erhobener Augenbraue, wohlweislich nicht weiter nach unten schauend als bis zum Hals.

„Alles gut?“, wiederholte der blonde Junge und Jean nickte.

„Nur das Duschgel“…und dein Hintern, ergänzten seine überhaupt gar nicht hilfreichen Gedanken und Jean sah innerlich beschämt zur Seite. Er ging an Knox vorbei zu seiner Tasche und setzte sich auf die Bank.
 

„Jean?“

Der blonde Junge und seine verdammte Empathie. „Es geht mir gut, Knox“, wiederholte er und sah kurz hoch. Jean sah das Zögern auf dem sommersprossigen Gesicht und fing sich in den blonden Augen, die ihn zunächst schweigend musterten.

„Darum geht es nicht. Ich frage mich…schon seit einiger Zeit, möchtest du überhaupt mitkommen in ein paar Tagen?“ Knox drehte den Knoten seines Handtuches in den Händen. „Du bist so zögerlich.“
 

Jean mochte die Stille, die zwischen ihnen eintrat, nicht wirklich, doch er fand nicht die richtigen Worte auf diese Frage. Zumindest zunächst nicht. Nachdenklich sah er auf seine Hände und kämpfte um eine Antwort, die soviel mehr sein würde als eine reine Beantwortung auf die Frage nach dem Ob.

Unwohl schluckte er den Kloß in seinem Hals hinunter und neben ihm gab Knox einen undefinierbaren Laut von sich, der Jean aufsehen ließ.
 

„Entschuldige, ich habe nicht mitgedacht. Möchtest du dich vielleicht erst anziehen? Ich möchte nicht, dass du dich unwohl fühlst.“

Knox‘ Worte rührten ihn mehr, als dass er es zuzugeben bereit war und Jean schüttelte den Kopf. „Es ist okay“, erwiderte er. Er hatte mit Brian darüber gesprochen, dass er kein Gefühl für seinen Körper hatte und Brian hatte ihm geraten, sich das Fleisch, was ihn umgab, öfter und genauer zu betrachten. Natürlich nicht in diesen Worten, aber der Sinn war der Gleiche gewesen vor drei Wochen. Seitdem versuchte Jean seine Angst zu überwinden, seinen Oberkörper zu zeigen. Er versuchte, seine Scheu davor zu überwinden, sich selbst und seine Narben zu berühren. Er war nicht immer erfolgreich und richtig wohl damit fühlte er sich immer noch nicht, allerdings hatte er am wenigsten Angst bei Knox selbst.
 

Sein Kapitän nickte und drehte sich ihm auf der Bank zu. Unwillkürlich huschte Jeans Blick über die Muskeln seines Gegenübers und über die nackte Haut, bevor er wieder auf seine Hände sah. Es brauchte etwas, bis er schlussendlich den Mut fand, Knox‘ Augen zu begegnen.

„Ich habe das Gefühl, dass du nicht ehrlich zu mir bist“, sagte er dann und atmete langsam aus. Da war es, was ihn schon länger beschäftigte. Anspannung machte sich auf Knox‘ Gesicht breit und die Finger konnten gar nicht aufhören, das Handtuch zu kneten.
 

„Nicht ehrlich?“, echote der blonde Junge und Jean nickte zögernd, sich seiner Sache plötzlich nicht mehr so sicher. Was, wenn Knox nicht gelogen hatte und nun enttäuscht von ihm war? Dann würde sein Kapitän ihm das sagen. Das hatte er bisher immer getan. Oder?

„Als wir joggen waren“, begann Jean und versuchte, seine chaotischen Gedanken zu ordnen, die ihm das Formulieren schwer machten. „Da habe ich dich auf Fahima angesprochen und die Antwort, die du mir gegeben hast, sie schien mir nicht ganz korrekt zu sein. Das gleiche Gefühl hatte ich, als es um das Hände berühren ging.“
 

„Oh.“

Jean schluckte. Dieses Oh konnte vieles bedeuten und er war nicht firm genug darin, normale, menschliche Reaktionen zu lesen um die Nuancen herauszufinden, die dahinter lagen.

„Oh?“, wiederholte er deswegen fragend und Knox seufzte. Sichtlich fiel dieser in sich zusammen und die sonst so ausgeprägten Bauchmuskeln bildeten kleine Röllchen, die Jean fasziniert anstarrte, bevor er sich bewusst wurde, was er da tat. Er sah wieder hoch, in Knox‘ abgewandtes Gesicht, das von einem gequälten zu einem noch viel gequälterem Ausdruck wechselte.
 

Die Sekunden, die still zwischen ihnen verstrichen, kamen Jean vor wie eine Ewigkeit. Dann straffte der andere Junge seine Schultern und sah ihm offen und direkt in die Augen.
 

„Du hast Recht, ich war nicht ganz ehrlich zu dir. Das, was ich über Fahima sagte, war richtig. Ich bewundere sie für das, was sie ist und wie sie mit dem Hass umgeht, der ihr stellenweise entgegenschlägt, aber das war nicht der Grund, warum ich eifersüchtig bin.“

Jean hob die Augenbraue. „Sondern?“

„Du lächelst mehr in ihrer Gegenwart. Das ist es.“

Es dauerte etwas, bis Jean den Worten folgen konnte und sich bewusst wurde, was Knox gerade gesagt hatte.

„Darauf bist du eifersüchtig? Dass ich sie anlächle?“, hakte er noch einmal nach und Knox nickte.
 

Dieses Mal meinte sein Kapitän es ernst, das sah Jean, auch wenn der Grund wirklich abstrus war. Die Tatsache, dass er überhaupt oft genug lächelte, dass es jemandem auffallen konnte, war erschreckend und einen Moment lang fiel Jean in sein altes Ich zurück, das Angst davor hatte, Emotionen zu zeigen, weil Gefühle eine Angriffsfläche boten.

Dem war hier nicht so, hielt er sich vor Augen. Nicht zum ersten Mal und sicherlich auch nicht zum letzten.
 

„Das ist mir nicht aufgefallen“, erwiderte er entsprechend nachdenklich. „Das tut mir leid. Ich kann es jedoch ändern, wenn es dich stört.“

Das Angebot war ernst gemeint und er hatte auch kein Problem damit, entweder Fahima gegenüber weniger oder Knox gegenüber mehr zu lächeln. Wohl eher ersteres, denn er wollte seinen Kapitän nicht hinten anstellen. Konnte es auch gar nicht. Durfte es auch nicht.
 

Die Eifersucht seines Kapitäns war ein Thema, das Jean unruhig machte. Riko hatte aus Eifersucht schlimme Dinge getan und ganz konnte Jean sich nicht davon lösen, auch wenn er Knox mittlerweile bei vielen Dingen vertraute. Doch dieses negative Gefühl, das ihm soviel Schmerz eingebracht hatte dämpfte sein Vertrauen und Jean schluckte.

„Ich werde sie nicht mehr anlächeln“, schob er nach, nur um sicher zu gehen, dass er auch das Richtige tat.
 

Ein Blick in das Gesicht seines jetzigen Kapitäns sagte ihm, dass er damit nicht mehr hätte danebenliegen können. Die blauen Augen waren weit vor Entsetzen und die Hände zuckten, als würden sie ihn greifen wollen.

„Nein, bitte, das meinte ich nicht damit, Jean! Oh mein Gott, das meinte ich wirklich nicht, bitte mach das nicht!“, trafen ihn flehende Worte und Jean schluckte.

„In Ordnung…“, beeilte er sich mit seiner Zustimmung, doch auch das schien nicht gut zu sein.

„Nichts ist in Ordnung“, grimmte Knox und Jean hob fragend die Augenbraue. Unsicher nestelte er an seinem eigenen Handtuch.

„Du musst dich doch wegen meinem dummen Gefühl nicht einschränken. Bitte, Jean, bitte mach das nicht. Du musst nichts von mir befürchten, ich werde dir keinen Strick daraus drehen. In keiner Form. Mach das nicht, du hast jedes Recht, das zu tun. Bitte, du…“
 

Jean hielt Knox mit dem Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand den Mund zu. Es hatte sich in der Vergangenheit bewährt, also tat er es auch jetzt, um den schieren Strom der Worte aufzuhalten, die immer und immer panischer wurden.

Sein Kapitän verstummte augenblicklich, doch nun war es an Jean, nach seinen eigenen Formulierungen zu haschen, die so verräterisch in seiner Kehle steckten und nicht herauswollten.
 

„Ich verstehe“, sagte er schlicht und lächelte, ganz zu Knox‘ Erstaunen, dessen Augen sich an ihm festgesaugt zu haben schienen.

Jean behielt seine Finger noch etwas länger auf den Lippen, nur um sicher zu gehen, dass Knox auch wirklich nicht mehr nachsetzte und löste sie dann vorsichtig.
 

Als sein Kapitän dazu ansetzte, etwas zu sagen, befürchtete Jean das Schlimmste. Doch weit gefehlt.

„Und deswegen warst du dir unsicher, ob du mitkommen sollst?“, fragte er und Jean nickte schließlich.

„Ich war mir nicht sicher, ob du es überhaupt willst oder ob du mich einfach fragst, weil es mir schwer fällt, alleine zu sein.“ Was immer noch ein Problem war, denn auch wenn er alleine in ihrem Apartment bleiben konnte, so war Jean nicht dazu in der Lage, das Gebäude geschweige denn den Campus ohne Begleitung zu verlassen.

„Jean, ich verspreche dir, ich meine es so, wie ich es sage. Ich würde mich sehr freuen, wenn du mit zu meiner Familie kommen und die Tage dort verbringen würdest! Das habe ich ernst gemeint, als ich es dir das erste Mal angeboten habe und das meine ich auch jetzt noch ernst. Wirklich!“
 

„Ich glaube dir“, entgegnete Jean, bevor Knox wieder in heilloses Gebrabbel ausbrechen konnte. „Und ich würde gerne mitkommen.“ Tatsächlich war das nicht gelogen. Seine Unsicherheit hatte sich einzig und alleine auf Knox augenscheinliche Unwahrheit bezogen. „Aber nur, wenn du mir sagst, warum Alvarez nun gelacht hat, als es um die Berührung der Hände ging“, schob er hinterher und ertappt zuckte Knox zusammen.

Unsicher fuhr er sich über die nassen Haare im Nacken und schnaubte schließlich verlegen.
 

„Die Berührung an den Händen ist freundschaftlich sehr intim. Und dein „es ist okay“ war so selbstverständlich, dass es eigentlich schon wieder witzig war. In Alvarez‘ Augen richtig witzig.“

Nachdenklich schürzte Jean seine Lippen und kaute auf der Innenseite seiner Wange. Er hatte sich das als Kompensation angewöhnt, wann immer ihm etwas menschlich unklar war.

„Wieso war das witzig?“, fragte er kritisch nach und Knox zuckte mit den Schultern. Er lehnte sich auf der Bank zurück und entzerrte damit die kleinen Röllchen, die in der Zwischenzeit Falten gebildet hatten.
 

„Weil Humor.“

„Das ist keine valide Begründung.“

„Selber!“

„Das ist keine…“

„….valide Diskussionsweise, jaa, ich weiß, Monsieur Exy.“
 

Jean schnaubte ob der hanebüchenen Begründung, rollte mit den Augen und freute sich auf die kommenden Tage bei Knox, auch wenn er jetzt schon nervös war, was ihn dort erwarten würde.
 

~~~~~~~~~~~~~

Wird fortgesetzt.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück