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Force of Nature

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, hier ist es nun... der erste Showdown! :) Ich habe mich dazu entschlossen, diese Geschichte als eines fortzuführen. Ich bin faul... Komplett anzeigen

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Der letzte Tag

Knox sprach schon wieder im Schlaf.

Er lag auf dem Rücken und grimmte just in diesem Moment unzufrieden, murmelte ein entschlossenes „Nein.“ Unruhig bewegte er sich und seine Hände, als würde er nach etwas greifen wollen.
 

Jean kniete seit geraumer Zeit in der Nähe seines Kapitäns und beobachtete diesen stumm. Er hatte latente Angst, dass der andere Junge aufwachen würde, dennoch wollte er sich das Gesicht desjenigen einprägen, der ihm nur Gutes getan hatte, obwohl er ein Kapitän eines hochbegabten Exyteams – mit Disziplinschwierigkeiten – war. Er wollte nicht mit der Erinnerung an Riko sterben, sondern an Knox.
 

„Jeremy“, korrigierte Jean sich selbst beinahe lautlos, leise genug, damit sein Kapitän nicht aufwachte. Wie schon bei der Möwe auf dem Dach fühlte sich der Name komisch in seinem Mund an, so freiwillig ausgesprochen.

Auch das, seinen Wunsch nach Distanz, hatte Knox ohne zu zögern anerkannt und ihn kein einziges Mal korrigiert. Jean versuchte sich an einem Lächeln. Es wollte nicht so wie er, dafür war es zu ungewohnt, aber seine Mundwinkel hoben sich leicht.

„Danke für alles“, murmelte er in gleicher Lautstärke und erhob sich.
 

Hinter ihm leuchtete sein Handy auf und Jean erstarrte für einen Augenblick. Langsam ging er zu seinem Bett und nahm es hoch, öffnete seine Nachrichten. Minyard hatte ihm geschrieben, mehr als eine Zahl und doch nur zwei Worte, die alles beenden würden.
 

~Bin da.~
 

Jean wusste, was er zu tun hatte und wo er Minyard finden würde. Der Torhüter der Foxes benötigte keine Antwort, so öffnete Jean das Chatfenster mit Renee. Er wollte nicht einfach so gehen ohne ihr ein letztes Mal geschrieben zu haben. Alles in ihm sträubte sich gegen den Gedanken. Noch würde sie schlafen, zumindest hoffte Jean das für drei Uhr nachts.
 

Doch was er ihr schreiben sollte, wusste er nicht. Er wünschte ihr das Beste. Er wünschte ihr alles Gute der Welt. Er wünschte ihr, dass sie glücklich wurde. Er wünschte ihr so viel, was er nicht hier schreiben konnte, ohne dass er sich und damit auch Minyard verdächtig machte.

Jean runzelte die Stirn und wechselte auf die Smileys. Er tippte auf eine Tulpe – ihre Lieblingsblume – und einen Regenbogen und schickte ihr beides, dann steckte er das Handy in seine Tasche und warf einen letzten Blick auf Knox, der wieder ruhig schlief.
 

Würde sein Kapitän traurig sein, wenn er nicht mehr da wäre? Jean glaubte es nicht. Würde er um seine Startaufstellung besorgt sein? Das glaubte er ebenso wenig. Wenn die Trojans weiterhin verstärkt trainierten, dann wären sie in der Lage, die Meisterschaft zu erringen und sicherlich würde es zumindest Knox auch in die Nationalmannschaft schaffen.
 

Jean drehte sich abrupt weg und verließ leise das Apartment. Seinen Schlüssel ließ er dort, er würde ihn nicht brauchen. Ebenso wie er Renees Pullover sorgsam gefaltet unter Eva gelegt hatte. Er wollte nicht, dass dieses wundervolle Geschenk mit seinem Blut beschmutzt wurde.
 

Seine Schuhe zog er erst im Gang an und verließ nach einem letzten Blick die sonst hellen und lichtdurchfluteten, von unzähligen Studenten gekennzeichneten Flure, die nur so vor Leben strotzten. Die kühlere Nachtluft schlug ihm entgegen, als er heraustrat und Jean schauderte kurz.

Natürlich erwartete Minyard ihn nicht direkt vor der Tür und natürlich musste er alleine bis zum Parkplatz gehen. Selbst das war schon eine Herausforderung für ihn und Jean schluckte mühevoll.

Ihr Deal war es, der seine Füße in Bewegung setzte. Immer noch, nachdem er schon Monate aus Evermore entkommen war, konnte er immer noch nicht alleine sein. Für jeden Weg hatte er Begleitung gehabt, auch hier und nun musste er alleine vorwärts kommen.

Jean schnaubte. Wie ging das Sprichwort? Den letzten Weg ging man immer alleine? So war es wohl, egal, wie kitschig das klang.
 

Als er den Parkplatz erreichte, sah er, wie Minyard aufblinkte und langsam begab er sich zu dem Wagen, der so anders aussah als die sonstige Luxusschüssel, die der blonde Junge fuhr.

Jean öffnete die Tür und setzte sich hinein. Desinteressiert starrte Minyard geradeaus, das Sinnbild an Langeweile und Teilnahmslosigkeit, das er nach außen hin war.

„Neuer Wagen?“, hakte Jean spöttisch nach, als er die schmucklose Inneneinrichtung begutachtete. „War der Alte nicht mehr bezahlbar?“

Ein geisterhaftes Lächeln huschte über die schmalen Lippen. „Nicht jeder lässt sich von den Moriyamas um seine Einnahmen erpressen, also nein. Ich bin geflogen.“

Jean rollte mit den Augen und lehnte sich zurück. Mit zittrigen Fingern schnallte er sich an.
 

Das war sicherlich der Schlafmangel der letzten Tage.
 

~~**~~
 

Seine Hände zitterten, als er die zweite Flasche Whiskey zu öffnen versuchte. Billiges Zeug, nichts Teures, das hatte er nicht verdient. Wirklich nicht. Nicht, wenn er trank, um zu vergessen, dass Andrew seit ein paar Stunden mit seinem Auto weg war, in Richtung Los Angeles. Fünfundreißig Stunden fuhr man mit dem Wagen nach L.A., einmal quer durch die Staaten. Mit dem Flugzeug wäre es bedeutend schneller.
 

Aber Andrew hasste fliegen.
 

Andrew würde niemals fliegen. Also hatte er noch Stunden Zeit um eine Entscheidung zu treffen, die er nicht treffen konnte. Seine Karriere oder Jean? Jean oder seine Karriere? Beides? Ging nicht. Keins von beidem? Stand außer Frage. Er war nicht gut darin, Entscheidungen zu treffen. Er kannte nur einen Weg, seine Straße war gerade, keine zwei Richtungen. Kreuzungen oder Gabelungen waren scheiße.
 

Wirklich. Scheiße.
 

Der Verschluss der Flasche löste sich und Kevin trank drei große, gierige Schlucke um den brutalen Schmerz in sich zu betäuben und um überhaupt atmen zu können. Andrew hatte nichts gesagt. Ausgeschwiegen hatte er sich zu all seinen Fragen. Kevin hatte es nicht gewagt, jemandem davon zu erzählen, bis heute nicht. Jean würde Wind davon bekommen und dann würde er ihren Sport an den Nagel hängen müssen.
 

Kevin nahm vier weitere, kräftige Schlucke.
 

In einer perfekten Welt würde er sich in einem Team mit Thea, Neil, Andrew, Jean und Jeremy befinden. In einer perfekten, utopischen Welt würde Jean ihm irgendwann seine Feigheit vergeben. Irgendwann würden die grauen Augen ihn sogar mit einem Lächeln ansehen. Irgendwann würde er kein Leid mehr hinter ihnen lauern sehen. Ja, das wäre eine perfekte Welt.
 

Eine perfekte Welt, die er gar nicht erst soweit kommen ließ, indem er nichts sagte, lieber trank und sich anschließend übergeben würde.
 

Oh Gott.
 

~~**~~
 

Jean sah aus dem Fenster hinaus in die dunkle Stadt, die von gelben Straßenlaternen unwirklich erleuchtet wurde. Es sah trostlos aus, heruntergekommen. „Wo fahren wir hin?“, fragte er über das einlullende Rauschen des Autos hinweg.

„Kennst du dich hier aus?“

„Nein.“

„Was willst du dann mit der Antwort?“

Er zuckte mit den Schultern. Nichts eigentlich. Selbst wenn Minyard ihm sagen würde, wo er mit ihm hinfuhr, dann würde er nicht wissen, wo es war. Er kannte nichts in diesem Land außer Evermore, Los Angeles und die Stadien, in denen er gespielt hatte.

Das, was er gesehen hatte, auch auf seinem Flug hierhin, war so weitläufig gewesen. Stundenlang nichts als Landschaft, ohne einen Menschen zu sehen. Wege ins Nirgendwo, die in die Wüste führten oder in die Wälder.
 

Minyard deutete auf den Thermosbecher neben sich. „Trink das.“

Jean folgte dem Fingerzeig und runzelte die Stirn. „Was ist das?“

„Kaffee, schwarz.“

„Und?“

„Was und?“

„Und was sonst noch?“

„Beruhigungsmittel.“

Er schnaubte. „Das brauche ich nicht.“

„Glaubst du.“

„Siehst du mich in Panik ausbrechen?“

Dieses Mal nicht.“
 

Das letzte Mal, als sie alleine in einem Wagen gesessen hatten, war er tatsächlich in Panik ausgebrochen und nur Minyards abfällige Ruhe hatte ihn an einen Punkt zurückgebracht, der Basis für ihren jetzigen Handel gewesen war.
 

„Ich will das nicht“, nickte Jean in Richtung des Bechers und Minyard zuckte mit den Schultern.

„Deine Sache. Wenn du irgendwelche Stunts wagst, breche ich dir die Nase.“

„Wie innovativ, hatte ich ja noch nie“, schnarrte Jean, während sie die Straßen der Stadt hinter sich ließen, die auch jetzt noch bunt angeleuchteten Geschäfte in der Ecke, die Frauen, die am Straßenrand ihr Geld verdienten. Anderthalb Stunden waren es noch bis zum letzten Sonnenaufgang.
 

Schweigen beherrschte die nächsten Kilometer, bevor Jean seinen Gedanken erlaubte, sich zu vokalisieren. „Hast du jemals darüber nachgedacht, dich umzubringen?“

Minyard schnaubte verächtlich. „Keine Rührseligkeiten, Moreau.“

„Ich habe Interesse an der Antwort.“

„Klar.“

Jean wandte sich zur Seite und starrte den blonden Jungen schweigend an. Sekunden wurden zu Minuten, dann wurde es dem Torhüter zu bunt.

„Du starrst.“

„Ich höre damit auf, wenn ich eine Antwort erhalte.“

„Wenn ich dich am Highway aussetze, hörst du auch damit auf.“

„Dann erfährt Renee, welchen Handel wir abgeschlossen haben.“

„Sie wird es verstehen.“
 

Jean rollte mit den Augen und lehnte sich im Sitz zurück. Er verschränkte locker die Arme und streckte seine Beine aus. „Also?“

Minyard gab einen verächtlichen Laut von sich und Jean wusste, dass er gewonnen hatte. „Ja, habe ich.“

Er nickte nachdenklich. „Aber du lebst noch“, stellte er in den Raum zwischen ihnen, nicht wirklich eine Frage und auch nicht dazu gedacht, eine Antwort zu erhalten.

„Mit einem Blister Aspirin kann man sich nicht umbringen. Mit neun weiß man das noch nicht.“

Jean blinzelte. Soviel zu der Antwort, die er nicht erwartet hatte.
 

Er gab einen nichtssagenden Laut von sich und richtete seine Aufmerksamkeit auf die spärlich bewohnte Umgebung und die schlechten Straßen.
 

~~**~~
 

Kevin starrte auf sein Handy, das auf der Anrichte lag, ein flaches, schwarzes Ding neuester Generation, tolle Kamera, viel Speicherplatz und schnellem Internet. Er hatte es sich vor einem Monat gekauft, eigentlich viel zu teuer, aber das war es ihm wert gewesen. Seine Nummer hatte er beibehalten, für den Fall, dass Jean ihn erreichen wollte.
 

Dass das nicht der Fall sein würde, war spätestens seit letzter Woche klar. Jean war durch mit ihm, für immer.
 

Kevin stierte das Handy an und erhob sich schwankend. Der Raum inklusive dem Telefon verschwamm vor seinen Augen und er musste sich an der Wand festhalten. Einmal im Leben so wenig Angst haben, dass er mutig genug sein würde, etwas für andere zu tun, nicht nur für sich und seine tote Mutter. Einmal im Leben die Größe besitzen, das Richtige zu tun.
 

Mit Mühe entsperrte er das teure Ding und ging seine Anrufliste durch. Fluchend versuchte er, den richtigen Namen zu treffen und hatte nach vier Anläufen Glück damit. Mühsam presste er sein Handy an sein Ohr und wartete, dass der andere Teilnehmer des Gespräches auch abnahm. Ungeduldig grollte Kevin, bevor er sich bewusst wurde, dass vielleicht nicht jeder um drei Uhr nachts noch wach war. Oder wie spät auch immer es sein mochte. Er konnte ja nachgucken, aber das war zuviel gerade.
 

„Ja?“, grollte es missgelaunt in den Hörer und Kevin seufzte erleichtert auf.

„Dad?“, lallte er und war froh, dass er wenigstens ein Wort gerade herausbringen konnte.

Einen Moment herrschte Stille in der Leitung. „Kevin?!“, schnaufte Wymack dann ungläubig ins Telefon. „Bist du betrunken?“

Kevin brummte zustimmend und starrte blind auf die Wand vor sich, während er nach Formulierungen suchte.

„Ja“, fiel ihm schließlich ein.

„Steckst du in Schwierigkeiten?“

„Nein“, presste er mit Mühe hervor und überlegte es sich dann anders. „Ja, doch, irgendwie schon.“
 

Wymack grollte und Kevin hörte, wie er aufstand. Natürlich hatte er geschlafen. Jeder schlief, außer ihm, Andrew und Jean.

„Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, Kevin, was ist los?“

„Hast du irgendwann mal eine schwierige Entscheidung treffen müssen?“, fragte er und runzelte die Stirn. „Also so richtig schwierig?“

„Schonmal geschaut, welches Team ich trainiere? Ich treffe ständig irgendwelche schwierigen Entscheidungen“, brummte er und Kevin tat es ihm gleich.

„Hast du dich schonmal für einen Menschen und nicht für deine Karriere entschieden?“, fragte er mit Mühe verständlich artikuliert und schloss für einen Moment die Augen, damit die Welt aufhörte, sich zu drehen.
 

Tat sie nicht, ganz und gar nicht, so riss Kevin sie wieder auf und starrte auf seine Wand mit Ansichtskarten. Er hatte eine neue Wand aufgebaut, nachdem er die alten Karten nicht hatte mitnehmen können. Sie war schön, aber nicht das Gleiche, was er in Evermore gehabt hatte…wie Jean auch. Unter all dem Gift, den Verleugnungen, die er sich aufgebaut hatte, war Jean sein Bruder. Er liebte ihn wie einen Bruder, das wusste Kevin. Hier bei den Foxes war alles, was er sich jemals aufgebaut hatte, nur eine Kopie davon gewesen.
 

Die Erkenntnis war bitter, insbesondere die letzten Tage über.
 

„Ich entscheide mich ständig für Menschen und nicht für die Karriere, falls du es noch nicht gemerkt hast.“

Kevin schluckte. „Ist das schwer?“

„Was soll daran schwer sein?“

„Sich für andere Menschen zu entscheiden?“

„Klar ist es das. Ich möchte euch ständig aussetzen, in einen Sack stopfen, euch gefesselt und geknebelt in einen Keller sperren und euch nie wieder herauslassen, ich verfluche jeden zweiten Tag, an dem bei mir eingebrochen wird und Minyard mir meine verfluchten Alkoholvorräte leersäuft.“

„Warum ist es dann wert?“
 

Sein Vater schnaubte. „Weil ich sehe, wie ich euch, trotz aller Scheiße, mit der das Leben euch bewirft, die Basis bieten kann, dass ihr Glück und Zufriedenheit findet, auf die eine oder andere Art und Weise.“

Würde es für Jean auch möglich sein, Glück und Zufriedenheit zu finden, nach all dem, was geschehen war?

„Klar wird es das“, antwortete der Mann am anderen Ende der Leitung und Kevin wurde sich bewusst, dass er seine Frage laut ausgesprochen hatte. Elendig zuckte er zusammen, doch sein Vater würde von Jeans Absichten nichts wissen, oder?

„Jean wird auch seinen Weg finden. Mit der Zeit und langsam und mit der Hilfe von Mr. Sunshine-“

„Captain Sunshine“, verbesserte Kevin ihn instinktiv und Wymack grollte unerfreut.

„…aber er wird wieder. Und er hat alles Glück auf der Welt verdient, was ihm entgegengebracht werden kann, nachdem, was Moriyama und diese Arschlöcher ihm angetan haben“, schloss Wymack wütend, wie immer, wenn es um Leid und Gewalt ging.

„Ich war ihm kein guter Freund“, gestand Kevin ein und befühlte seine Wangen, stellte mit Erstaunen fest, dass sie nass waren.

„Kann ich nicht beurteilen, Kev. Aber du hast alle Möglichkeiten, ihm jetzt einer zu sein.“
 

Es klang so simpel aus dem Mund seines Vaters und vielleicht war es das auch. Kevin schluckte.

„Danke“, murmelte er.

„Immer. Also, steckst du in Schwierigkeiten?“

Kevin schüttelte den Kopf, bevor er merkte, dass sein Vater das nicht sehen konnte.

„Nein.“ Das an sich war gelogen. Noch nicht, wäre die richtigere Antwort.

„Sicher?“

„Ja, Dad.“

„Hör auf damit. Das macht mich alt.“

Kevin lächelte. „Ja, Vater.“

Ein Grollen antwortete ihm. „Schlaf jetzt endlich und lass mich in Ruhe, du Satansbraten.“
 

Bevor Kevin etwas antworten konnte, hatte der andere Mann aufgelegt und nachdenklich starrte er seinen schwarz werdenden Bildschirm an. Nüchterner als noch vor dem Telefonat, zumindest bildete er sich das ein, erweckte er es wieder zum Leben und ging erneut seine Kontaktliste durch. Sie war lang genug, dass er ein paar Sekunden hatte um bis zu Jeremy zu kommen und ebenso lange verharrten seine Finger über dem Namen des Trojankapitäns. Er tippte auf das Bild des Jungen und schaffte es im zweiten Versuch. Zitternd presste er sich das Handy an sein Ohr.
 

~~**~~
 

Jeremy war sich nicht sicher, was er geträumt hatte. Er wusste nur, dass es gut gewesen und er entsprechend genervt davon war, dass ihn sein blödes Handy aus dem Schlaf riss. Vielmehr der Klingelton, den er für Kevin genommen hatte. Das wurde ihm aber erst spät bewusst, erst, als er sich schon im Automatikmodus hingesetzt hatte und nach seinem Telefon gegriffen hatte. Um Jean nicht aufzuwecken war er gleichzeitig aufgestanden und in die Küche gewankt, wo er ein schläfriges „Ja, hallo?“ herauspresste, während er versuchte, seinen Magen zu beruhigen, der aufgrund des abrupten Wachwerdens mit Übelkeit reagierte. Ganz zu schweigen von seinem viel zu schnell schlagenden Herzen.
 

„Jer?“

Jeremy blinzelte und versuchte, den Schlaf aus seinen Gedanken zu vertreiben, der ihm komische Dinge einflüsterte, so zum Beispiel die Angst in der Stimme des anderen Jungen.

„Kev?“

„Jeremy. Ich…“

Kevin verstummte und Jeremy erkannte, was ihm komisch vorkam. Er lachte.

„Allen Ernstes, Kev? Du rufst mich an, während du betrunken bist? Und das auch noch unter der Woche mitten in der Nacht?“

„Ja, ich habe etwas getrunken“, gab Kevin zu und Jeremy schüttelte amüsiert den Kopf.

„Was kann ich denn für dich tun? Außer, dir eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen, damit du besser einschläfst?“
 

Wieder schwieg Kevin und Jeremy fröstelte. Es war noch kühl, obwohl die Dunkelheit der Nacht bereits dem ersten, seichteren Grau wich. Das Ganze würde bald in einen wunderschönen Sonnenaufgang münden, den Jeremy mit Sicherheit verschlafen würde, wenn er erst einmal wieder zurück ins Bett kriechen konnte. Sie hatten heute um sieben Training, das hieße, er könnte bis um halb sieben schlafen. Zwei Stunden mehr als das unchristliche halb fünf, das sie gerade vermutlich hatten. Oder so.
 

„Jean wird sich heute umbringen.“
 

Das war ein Satz, der so keinen Sinn ergab. Absolut und überhaupt gar nicht. Jeremy runzelte die Stirn.

„Kevin, das ist nicht witzig. Noch nicht einmal im betrunkenen Zustand“, hielt er mit einem Mal wach und streng dagegen. Er erntete einen Laut, der mehr verzweifelt als alles andere war.

„Nein...das ist auch kein Spaß. Hör mir zu, Jer! Jean hat mit Andrew einen Deal und einen Countdown laufen. Der Countdown endet heute mit Tag null. Der Deal besagt, dass Andrew Jean dabei hilft, sich umzubringen.“

Jeremy wollte noch einmal sagen, wie wenig witzig er die verzweifelt dahingelallten Worte fand und ging ein paar Schritte zurück in die Wohnung, um einen Blick auf Jeans Bett zu werfen, auf dem der andere Junge schlafen würde, wenn er ihn nicht geweckt hatte.
 

„Das kann nicht sein, er ist hier und…“, erwiderte Jeremy und hielt abrupt inne, als er sah, dass das Bett ihm gegenüber leer war. Leer, ordentlich gemacht, der Lieblingshoodie sauber gefaltet unter Eva, die ihn über die Dunkelheit hinweg ansah. Panisch schlug Jeremy auf den Lichtschalter und noch viel panischer klopfte er an die Badezimmertür, nur um sie einen Moment später aufzureißen.
 

„Jean?“, rief er, doch niemand antwortete ihm. Da war nur Stille.

Abrupte Panik hielt Jeremy im eisernen Griff, als er mit einem Mal den ganzen Sinn von Kevins Worten begriff und es Angst war, die ihn nicht klar denken ließ. „Kevin, er ist nicht hier, er ist weg… sein Bett ist gemacht und er hat…“, Jeremy stoppte sich, als er merkte, wie er unnütz brabbelte.

Kevin keuchte am anderen Ende der Leitung erstickt.

„Seit wann, Jeremy?“

Ich weiß es nicht! Du hast mich gerade geweckt, ich habe bis gerade eben geschlafen!“, sagte er lauter, als er es eigentlich wollte, in den Hörer und lief panisch umher.
 

„Kevin, erklär mir das! Wo ist Jean? Wo ist Andrew?“, forderte er schließlich und schaltete das Handy auf laut, zog sich währenddessen an. Er musste die Polizei informieren. Er musste Alvarez aufwecken. Sie mussten Jean suchen, Jean und Andrew, damit…damit…

Jeremy schluckte, auch wenn ihm das beinahe unmöglich schien. Oh Gott, warum hatte er nichts gemerkt? Nichts hatte sich Jean anmerken lassen, rein gar nichts, auch wenn er in sich zurückgezogener gewesen war nach dem Spiel am Wochenende. War es das? Hatte Exy diese Gedanken ausgelöst? Oder etwa er? Warum hatte er nicht besser aufgepasst? Warum hatte er nicht auf die Anzeichen geachtet?
 

Weil es keine gegeben hatte, flüsterte ihm eine Stimme zu, die Jeremy in diesem Moment nicht hören wollte.
 

„Jeremy…ich…“ Mehr war aus dem anderen Jungen nicht herauszubekommen und Jeremy versuchte, seine Ruhe zurück zu gewinnen.

„Ich werde jetzt versuchen, Jean anzurufen. Dann werde ich die Polizei informieren und Alvarez und Laila aufwecken, um mit ihnen nach Jean zu suchen.“

„Nein! Keine Polizei! Jeremy, alles, nur das nicht! Du darfst die Polizei nicht rufen, hörst du mich!“

Jeremy blinzelte. „Wieso nicht, Kevin? Sie können helfen. Sie müssen helfen! Ohne sie schaffen wir es nicht.“

„Die Moriyamas werden uns alle töten, wenn die Polizei anfängt, sich da einzumischen. Außerdem werden die Bullen Andrew mitnehmen und er… er darf nicht… er ist…“
 

Wieder stockte Kevin und nur langsam begriff Jeremy.
 

„Er ist auf Bewährung“, vollendete er den Satz und Kevin entwich ein Laut der Verzweiflung. Wortgewaltig fluchte Jeremy und holte seine Schuhe aus dem Flur.

„Sie werden ihn für eine lange Zeit hinter Gittern stecken, wenn sie mitbekommen, was er tut, Jer. Bitte mach es nicht. Bitte nicht!“

Jeremy schluckte. „Aber er bringt Jean um.“

„Weil Jean ihn darum gebeten hat!“
 

Die Wahrheit war so schrecklich wie sie unbegreiflich war. „Warum?“

„Weil Jean durch ist mit diesem Leben und glaubt, dass es nichts mehr für ihn bereithält!“

Die simplen, immer wieder ineinanderlaufenden Worte trafen mühelos Jeremys Innerstes und ließen nur Fassungslosigkeit zurück. Das stimmte doch nicht, wieso sollte das Leben nichts mehr für Jean bereithalten? Er war doch auf einem guten Weg. Er war doch dabei, sich dem Team zu öffnen und Jeremy hatte doch gesehen, dass er entspannter wurde, dass er sich öffnete…warum?
 

„Dein weiblicher Backliner hat mich angerufen und erzählte etwas von einem Countdown“, fuhr Kevin fort und Jeremy zuckte so gewaltig zusammen, dass ihm das Handy aus den Fingern glitt, welches er gerade wieder aufgenommen hatte. Mühevoll fing er es auf. Kevin hatte Recht. Ja, sie hatte auch ihn nach dem Countdown gefragt.
 

Und er hatte es abgetan. Er hatte dem keine Beachtung geschenkt. Schon damals nicht, vor… oh Gott. Das war vor Wochen gewesen!
 

„Vielleicht weiß sie mehr“, mutmaßte Jeremy, auch wenn die Hoffnung verschwindend gering darauf war, nicht mehr als ein Strohhalm, dazu gedacht, mit ihm einzuknicken.

„Ist sie in der Nähe?“

„Klar.“

„Bitte frag sie. Bitte, Jeremy. Bitte!“

„Ja doch! Ich wecke sie auf und melde mich bei dir!“ Jeremy legte auf und riss die Wohnungstür auf. Er schlitterte über den Flur zu Alvarez und Laila, öffnete ihre Apartmenttür mit einer solchen Wucht, dass sie gegen die Wand knallte und schaltete sämtliche Lichter an.

„Sara!“, rief er und stürmte in das Schlafzimmer der Beiden. Verzweifelt schüttelte Jeremy seinen Vizekapitän wach und kassierte im ersten Moment einen unkoordinierten Schlag gegen seine Nase, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Aufstöhnend hielt er sich die Nase.
 

„Jer? JER? Was zur Hölle?!“, fluchte Alvarez und schraubte sich in die Höhe. Wild starrte sie ihn an, während hinter ihm Laila ebenfalls abrupt hochschoss.

„Der Countdown, den du auf Jeans Handy gesehen hast…hast du da noch etwas Anderes gesehen? Eine Uhrzeit, einen Ort, irgendetwas?“

Verwirrt starrte sie ihn an und verschwendete wertvolle Zeit mit ihrer Nichtantwort.

„Nein, habe ich nicht. Da war nur der Countdown, der heute endet. Wieso?“
 

Jeremy setzte sich auf ihr Bett und sah zuerst sie, dann Laila verzweifelt an. „Kevin hat mich gerade angerufen. Er sagt, dass Jean plant, sich heute umzubringen und Minyard ihm dabei helfen wird, das ist anscheinend der Grund für den Countdown. Und er ist weg, er ist nicht mehr in seinem Bett. Das ist ordentlich gemacht und leer.“ Jeremy schossen vor Verzweiflung Tränen in die Augen. Was, wenn Jean bereits tot war?
 

Es brauchte seine Zeit, bis seine Worte auch wirklich Gehör fanden und Alvarez begriff, was er damit sagte. Als sie es tat, schlug sie wütend mit der Faust auf ihre Matratze. „Ich werde Day umbringen, Jeremy. Wenn Jean stirbt, werde ich ihn umbringen! Dieses gottverdammte Arschloch!“ Fragend sah er auf sie herunter.
 

Unwirsch schälte sie sich aus dem Bett und ging zu ihrem Laptop, ließ ihn hochfahren, während sie aus ihrem gemeinsamen Kleiderschrank sich etwas zum Anziehen nahm und Laila ebenfalls Klamotten zuwarf.

„Was machst du?“, fragte Jeremy und deutete auf den Computer. Alvarez lächelte grimmig.

„Was ich dir nicht erzählt habe, Cap, ist, dass ich, als ich das Handy unseres Backliners in den Fingern hatte, ihm nicht nur Spaßzeug draufgezogen habe, sondern auch einen Tracker.“

Jeremys Augen weiteten sich wenig amüsiert darüber. „Du hast was?“

Sie rollte mit den Augen. „Verklag mich nachher und beschwer dich nicht. Ich habe es wegen der Ravensscheiße gemacht, falls sie ihn entführen oder sonstwas. Und das wird uns jetzt hoffentlich verraten, wo Moreau sich befindet, also klemm dir deine Vorwürfe, Cap!“
 

Mühevoll schluckte Jeremy. Natürlich hatte sie recht mit dem, was sie sagte. Vielleicht war das ihre Chance, Jean noch zu retten. Stumm nickte er und stand wie angewurzelt in dem Apartment, wartete angespannt, bis sie soweit waren, dass Alvarez die entsprechende Website aufrufen und Jeans Nummer eingeben konnte.

Das war jedoch nichts im Vergleich zu den Sekunden, die sie alle Drei auf die Suche starrten und hofften, dass sie ein Ergebnis bringen würde. Panisch knetete Jeremy seine Finger, Alvarez zischte ein Gebet zwischen ihren Zähnen hervor und Laila zog sich im Hintergrund schweigend an.
 

Als die Website einen Treffer anzeigte, stöhnte Jeremy erleichtert auf. Das hielt jedoch nicht lange an, als er sah, wo sich der Punkt befand und wie weit er entfernt war. Entsetzt sah Jeremy hoch und begegnete Saras und Lailas bleichen Gesichtern.

„Jer…“

„Ich versuche, Jean zu erreichen!“ Zittrig rief Jeremy den Kontakt und wählte Jeans Nummer. Es klingelte und klingelte, doch der andere Junge nahm nicht ab. Panisch schluckte Jeremy. Nahm er nicht ab, weil…?

„Der Punkt bewegt sich, Jer! Schau hin!“ Jeremys Augen ruckten zurück zum Bildschirm und er keuchte erleichtert auf.

„Lebt er noch?“

Sara starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. „Keine Ahnung, aber wir bewegen jetzt unsere Ärsche in Richtung dieses Punktes.“
 

Saras Entschlossenheit war wie Balsam in Jeremys verzweifelter und aufgewühlter Seele. Er nickte stumm und starrte für einen Moment blind auf den Bildschirm des Laptops, bevor er erneut Kevins Nummer wählte.

„Wir wissen, wo er ist und versuchen, ihn zu erreichen, Kev“, sagte er, kam aber gar nicht bis zu Kevins Antwort, als ihm das Telefon aus der Hand gerissen wurde. Es war Alvarez, die warnend ihren Zeigefinger erhoben hatte.

„Hallo Arschloch, Alvarez hier, du erinnerst dich?“, zischte sie so wütend, wie Jeremy sie selten gesehen hatte und er zuckte unwillkürlich zusammen. „Du blöder Wichser hast davon gewusst, als ich dich gefragt habe, was es mit dem Countdown auf sich hat, denn dein Torhüter will jetzt unseren Backliner umbringen und du hast nichts gesagt. Gar nichts. Wenn ich dich das nächste Mal sehe, dann…“

Alvarez verstummte, als Kevin ihr etwas antwortete, das er nicht verstand. Es machte ihre Wut nicht besser, ganz und gar nicht.

„Dann wirst du dich in den nächsten Flieger setzen, Day, und wag es nicht, das nicht zu tun. Denn sonst komme ich nach Columbia und dann unterhalten wir beide uns unter vier Augen, bevor ich dir deine Eier abreiße und sie deinem arroganten Maul zu fressen gebe. Ist das klar?“
 

Sie legte auf, bevor Kevin etwas erwidern konnte und warf Jeremy das Handy zu.
 

„Los, wir fahren mit meinem Wagen.“
 

Erleichtert nickte Jeremy. „Ich hole noch kurz etwas aus unserem Apartment, dann können wir los.“
 

~~**~~
 

Der Sonnenaufgang war in der Tat wunderschön.
 

Das dunkle Blau der Nacht bereitete den Weg für ein sachtes Babyblau und Rosa, welche sich in ein glühendes Rot ergaben, als der Feuerball der frühen Sonne am Himmel emporstieg. Die Umgebung hier war geprägt von Büscheln, bodennahen Pflanzen und Hügeln, die sich sanft ineinanderschlangen und die Jean so noch nie gesehen hatte.
 

Los Angeles hatten sie schon vor einer halben Stunde hinter sich gelassen und waren in die Berge gefahren, die die Stadt umgaben. Jean hatte sie von weitem gesehen und sich mehr als einmal gefragt, wie sie wohl von nahem aussehen mussten. Diese Antwort hatte er jetzt und er war fasziniert von der Landschaft, die in ihren wenigen Farben so reichhaltig war, dass er nicht wusste, wo er zuerst hinsehen sollte.
 

Die Luft, die durch sein geöffnetes Fenster hereinkam, war frisch und roch nach einem noch kühlen Morgen voller Tau der vergangenen Nacht.
 

„Du wirst rührselig.“ Minyard, dessen Apathie so viele Schattierungen hatte, dass Jean mit den Augen rollte über die resignierte Genervtheit, die er dort heraushörte.

„Hast du das auch über dich selbst gesagt, als du Rikos Arm gebrochen hast, um Josten zu retten?“

Spöttisch maß Jean den Fahrer des Wagens, der es vorzog, darauf nicht zu antworten und sie sicher durch die Serpentinen in den Bergen brachte.

„Zweifel?“ Minyard stellte das Wort als Frage in den Raum und Jean schwieg einen Moment lang.

„Nein“, sagte er schließlich und wandte sich wieder der Landschaft zu. Das stimmte nicht, warum log er Minyard an? Weil er Angst hatte vor den Konsequenzen, die er nicht abschätzen konnte. Weil er Angst hatte vor dem, was das für ihn bedeuten konnte.
 

In Evermore war der Gedanke eine Erlösung gewesen, weil es das Ende seines Leides bedeutet hatte. Nun gab es dieses Leid nicht mehr und der Gedanke an ein Weiterleben machte ihm Angst, weil er keine Ahnung hatte, was das Leben noch für ihn bereithielt…gute Dinge, schlechte Dinge…einen weiteren Verrat oder Schmerzen, die er nicht mehr ertragen konnte.

„Lügner.“

Wie nichts durchdrang Minyards ruhige Stimme seine Gedanken und Jean verzog bitter die Lippen.

„Wir haben einen Deal.“ Als wenn das irgendetwas außer seiner Flucht begründen würde.
 

Minyard selbst ließ sich nicht dazu aus, sondern bog in eine der Nebenstraßen ab. Er verlangsamte den Wagen und brachte sie schließlich auf einem schmalen Parkstreifen am Rand zum Stehen. Stumm bedeutete er Jean, auszusteigen und zündete sich selbst eine Zigarette an, rauchte sie, während er am Wagen lehnte.
 

Jean warf währenddessen einen Blick auf den Canyon, der sich vor ihnen erstreckte. Von der Sommersonne verbranntes Grün schimmerte im Licht der aufgehenden Sonne rötlich und erstreckte auf einer ganzen Ebene aus Büschen, Bäumen und Gras. Die Weite raubte Jean den Atem.

„Es ist schön hier“, sagte er, doch Minyard zuckte mit den Schultern.

Jean starrte in die teilnahmslosen, braunen Augen. „Was findet Josten eigentlich an dir?“, fragte er zynisch. „Deine Leidenschaft kann es nicht sein.“

„Und du verstehst was genau von Leidenschaft?“

„Mehr als du.“

„Denkst du?“

„Weiß ich. Ich habe deine Krankenakten gelesen.“
 

Schweigend kam der blonde Junge zu ihm und zog den letzten Zug seiner Zigarette. Angewidert zuckte Jean zurück, als Minyard ihm den Rauch ins Gesicht blies. „Du weißt gar nichts, Whipping Boy“, schnarrte er und verzog die schmalen Lippen zu einem abfälligen Lächeln. Jean ballte die Hände zu Fäusten und starrte auf ihn hinunter. Er rief sich ins Gedächtnis, dass er etwas von Minyard wollte und es ihm überhaupt nicht half, den Jungen zu verärgern, der ihn umbringen würde.

„Ich weiß das, was ich gesehen habe“, sagte er ohne den beißenden Unterton von vorher.
 

Was das war, wussten sie beide.
 

„Wir gehen zu Fuß weiter“, lenkte Minyard auf ein anderes Thema und nahm einen Rucksack aus dem Auto. Jean schätzte, dass sich darin die Waffe befand, mit der er ihn töten würde.

Das war seine Bedingung gewesen. Kein Messer. Nie wieder wollte er das Gefühl einer Klinge auf seiner Haut spüren. Nie wieder kalten Stahl. Eine schnelle, einfache Kugel, die durch sein Hirn dringen und alle lebenswichtigen Funktionen ausschalten würde. Eine Sekundensache.
 

Jean folgte Minyard in den Canyon hinein, der sich vor ihnen erstreckte. Langsam verschwand die Straße hinter ihnen und langsam wich die Kühle des Morgens der Hitze des letzten Tages.
 

~~**~~
 

Jeremy war kotzübel.
 

Er wünschte sich, dass es nur an Saras Fahrstil läge, mit dem sie durch die Straßen schoss, konstant alle Regeln der Geschwindigkeit und vor allen Dingen Vorfahrt ignorierend, doch dem war nicht so. Entsetzen und Fassungslosigkeit hatten seinen Magen fest im Griff und machten ihm das Atmen zur Qual. Kilometer um Kilometer flog an ihm vorbei und beantwortete doch keine seiner Fragen. Was hatte er übersehen, was hatte er falsch gemacht? Hatte er nicht genau genug aufgepasst, war ihm etwas entgangen, hatte er etwas überhört? Es hatte doch sicherlich Anzeichen gegeben, die er übersehen hatte in seiner naiv-blinden Annahme, dass alles wieder gut werden würde mit Jean.
 

Anders konnte er es sich nicht erklären, wie er nachts durch Kevin aus dem Bett geklingelt werden konnte, völlig betrunken und panisch mit schrecklichen Worten, die Jeremy immer noch nicht begreifen konnte.
 

Sein positives Denken verbot ihm auch nur einen Moment darüber nachzudenken, was passieren würde, wenn sie zu spät kämen. Mitnichten wollte er sich vorstellen, wie es wäre, wenn sie ankommen und nur noch Jeans toten Körper finden würden.
 

In dem Wagen herrschte gespenstische Stille. Noch nicht einmal das Radio war an und weder Alvarez noch Laila sagten einen Ton, während Alvarez sie hinaus zum Tujunga Canyon fuhr. Sie alle kannten das Gebiet nur zu gut, machten regelmäßige Wanderausflüge in der überirdisch schönen und kargen Landschaft. Vielleicht war das ein Vorteil, vielleicht verschaffte es ihnen die Zeit, die sie brauchten, um Jean und anscheinend auch Andrew einzuholen.
 

Die Rolle des blonden Torhüters in dem Ganzen war Jeremy nach wie vor ein Rätsel. Wieso hatte sich Andrew bereiterklärt, Jean umzubringen? Wieso hatte er sich überhaupt dazu bereiterklärt, irgendjemanden umzubringen? Jeremy begriff es nicht. Wie konnte ein Mensch das tun? Warum?

„Wir müssen direkt zum Canyon“, gab er tonlos das wieder, was er auf dem Bildschirm des Laptops sah und Laila zuckte zusammen. Verdenken konnte er es ihr nicht.

„Der Punkt bewegt sich langsamer“, sprach sie aus, was er nicht hatte wahrhaben wollen und Alvarez‘ Finger krampften sich um das Lenkgrad.

„Wir sind gleich da. Eine Viertelstunde noch“, sagte sie gepresst und Jeremy schloss die Augen. Er flehte, dass sie rechtzeitig kamen.
 

„Der Punkt ist stehen geblieben“, sagte Laila und Jeremy riss die Augen auf. Nein… nein…

„Fahr schneller. Ich zahle dir jedes Ticket, das du bekommen solltest“, wisperte er und sie erhöhte ihre Geschwindigkeit auf das Anderthalbfache.
 

Noch während Alvarez auf einem Parkplatz ausrollte, auf dem ein Mietwagen aus Los Angeles stand, sprang Jeremy aus dem Wagen, den Laptop und auch Eva fest in den Händen.

„Ich laufe vor!“, rief er und hörte, wie hinter ihm Laila ebenso aus dem Fahrzeug stieg. Gemeinsam sprinteten sie in den Canyon hinein, die Wanderwege entlang, die in die Mitte des Canyons führten.
 

~~**~~
 

„Hier.“
 

Jean sah sich um und nickte stumm. Sie waren umgeben von Büschen, die ihnen Sichtschutz vor etwaigen, neugierigen Augen boten. Die Nervosität, die er auf der Autofahrt vermisst hatte, war während ihres Spaziergangs um ein Vielfaches zurückgekehrt. Seine Hände zitterten wie Espenlaub und sein Rachen war trotz des Wassers, das Minyard ihm gegeben hatte, wie ausgedörrt.
 

Es roch nach Sommer und Sand und das trockene Gras knirschte unter seinen Schuhen. Weite umfing ihn und ließ ihn unwillkürlich lächeln.

„In Evermore wäre es das Badezimmer gewesen“, sagte er zu niemand Speziellem. Ein kleines, fensterloses, dunkles Badezimmer in den Tiefen der Unterkünfte. Er wäre alleine gewesen, mit sich, seinen Erinnerungen und der Gewissheit, dass die Folter nach einem Jahrzehnt ein Ende hatte.
 

Minyard erwiderte erwartungsgemäß nichts. Jean war sich noch nicht einmal sicher, ob der andere Junge ihm zugehört hatte, während er den Rucksack absetzte und die Waffe aus dem Fach nahm, mit der er ihn umbringen würde.

Jean runzelte die Stirn. Als sie ihren Deal gemacht hatten, hatte er die Anwesenheit eines anderen Menschen als positiv angesehen. Er würde nicht alleine sterben und er würde sich nicht umbringen. Er konnte also nicht im letzten Moment einen Rückzieher machen. Nun war er sich nicht mehr sicher.
 

Doch jemand anderen zu fragen, hätte sich nicht angeboten. Minyard hatte bereits einmal getötet und war entsprechend skrupellos. Dass er keine Empathie zeigen würde, hätte Jean klar sein müssen.

„Evermore ist tot“, überraschte Minyard ihn dann doch mit einer Antwort. „Sie sind nicht mehr als Schatten eines Kults, der sich verzweifelt am alten Ruhm festkrallt.“

Jean musterte das engelsgleiche Gesicht, hinter dem soviel Dunkelheit lauerte.

„Es wäre beinahe auch dein Kult geworden.“ Der Herr hatte zumindest Andrew haben wollen, doch dieser hatte zugunsten der Foxes abgelehnt. Etwas, das ihm Riko nie verziehen hatte.
 

Minyard schnaubte und deutete auf die Freifläche vor sich. „Wenn du so weit bist, knie dich dahin. Ich werde die Waffe an deinen Hinterkopf ansetzen und abdrücken.“

Jean schauderte ob der schlichten Sachlichkeit. „Macht dir das gar nichts aus?“, fragte er stirnrunzelnd und Minyard sah hoch. In seiner ganz eigenen Art und Weise legte er prüfend den Kopf schief.

„Dich zu töten?“

„Ja“, grollte Jean und war versucht, den anderen Jungen zu schütteln, als dieser mit den Schultern zuckte.

„Warum sollte es?“

„Weil jeder normale Mensch irgendwie reagieren würde“, platzte es nervös aus Jean heraus und er rollte mit den Augen. Er brauchte Reibungsfläche, er brauchte Emotion, er brauchte irgendetwas Menschliches in diesem Moment.

„Ich habe aufgehört, ein normaler Mensch zu sein, als ich meinen siebten Geburtstag gefeiert habe.
 

Jean verstummte. Er brauchte etwas, dann nickte er in Anerkennung der warnenden Worte. „Josten wird dir gut tun“, lenkte er ab von diesem dunklen Thema und Minyard schnaubte.

„Moreau, der Amor spielt, dass ich das noch erleben darf.“

„Habe ich nicht Recht?“

„Da ist nichts.“

Nun war es an Jean zu lachen. „Klar. Dass da nichts ist, sieht man sogar, wenn man ganz Amerika zwischen Josten und dich packt und die Scheiße aus ihm herausprügelt.“

„Er war dumm genug zu gehen.“

„Da widerspreche ich dir nicht.“

„Da ist nichts.“

„Hmmh.“ Jean hob die Augenbraue und machte sehr deutlich, dass er überhaupt nichts von der Verneinung des Anderen hielt.

„Bist du soweit?“
 

Jean seufzte und warf einen Blick auf den Flecken Erde, auf den er sich knien würde. „Würdest du auf Renee achten?“

„Das kann sie alleine.“

„Falls sie wütend werden sollte, wenn sie erfährt, dass ihre Bemühungen umsonst gewesen sind“, spezifizierte Jean und Minyard brummte. Schweigend sah er zur Seite und Jean nahm das als Zeichen, dass es nun soweit sein würde.
 

„Danke für alles.“ Ohne auf die Antwort des blonden Jungen zu warten, kniete sich Jean auf den Boden und legte seine Hände auf die Oberschenkel. Kleine Steine bohrten sich in seine Knie und die Sonne brannte unangenehm auf seinem Nacken. Er hatte die Sonnencreme vergessen, wieder einmal. Wichtig war das jedoch nicht. Jean ließ seinen Blick in die Weite der Natur schweifen und zuckte zusammen, als er hörte, wie Minyard das Magazin in die Waffe steckte und durchlud.

Das Geräusch erinnerte ihn an das Schlagen der Tür im Stadion der Trojans und er fragte sich, ob er es nicht wirklich hätte versuchen sollen. Vielleicht wäre es ja gut gegangen. Vielleicht hätten sie ihn nicht verraten und alleine gelassen. Vielleicht hätte er zumindest erahnen können, was Glück bedeutete.
 

Der mutigere Teil in ihm bejahte diesen Wunsch mit aller Macht und Jean schluckte.
 

„Minyard, ich…“, begann er, kam er jedoch nicht soweit, seine Worte zu formulieren, als er hinter sich Geschrei hörte. Erschrocken fuhr er herum und sah zu Minyard hoch, der in die gleiche Richtung starrte, dann seufzte und in aller Ruhe die Waffe sicherte, sie zurück in den Rucksack steckte.
 

„Wer ist da?“, fragte Jean verwirrt und versuchte, etwas zu erkennen, konnte jedoch aus seiner Position heraus nichts sehen. Langsam erhob er sich und blinzelte, als das Geschrei mit einem Mal einen Namen bekam.
 

Seinen.
 

Die zwei Personen, die auf Minyard und ihn zusprinteten, riefen seinen Namen. Dass sie überhaupt hier waren, war ein Ding der Unmöglichkeit und eine Tatsache, die Jeans Hirn einfach nicht begreifen wollte. Da war sein Kapitän mit einem Laptop und etwas Anderem in der Hand, das Jean nicht identifizieren konnte, direkt hinter ihm Laila. Sie schrien seinen Namen und Jean blinzelte.
 

Verständnislos wandte er sich an Minyard. „Hast du ihnen Bescheid gesagt?“, fragte er.

„Ist das eine ernstgemeinte Frage?“, entgegnete sein Gegenüber mit eben jenem genervten Unterton, den er oftmals im Haus der Krankenschwester innegehabt hatte.

„Wieso sind sie dann hier?“, fragte Jean mit klopfendem Herzen und Minyard neben ihm grollte, während sie die Beiden anstarrten, die immer und immer näher kamen.

„Gib mir dein Handy“, forderte der blonde Junge und Jean gehorchte automatisch. Zitternd förderte er sein Telefon zur Tage und reichte es dem Anderen, der nach kurzer Suche das fand, was er anscheinend gesucht hatte und zischte.

„Tracker“, spuckte Minyard das Wort aus wie einen Fluch. „Du hast einen Tracker auf deinem Telefon.“

Jean runzelte die Stirn. „Ich… weiß nicht, was das ist.“
 

Bevor Minyard seine deutlich sichtbare Ablehnung in Worte fassen konnten, hatten Knox und Laila sie erreicht und sein Kapitän stockte abrupt. Sacht setzte er den Laptop neben auf den Sand und kam zu ihnen. Schwer atmend starrte er Jean an, die Augen schreckensgeweitet, das Gesicht bleich und verstört. In seiner anderen Hand befand sich Eva, wie Jean nun sah und wie betäubt starrte er auf das Kuscheltier, während sich Knox Meter um Meter an ihn annäherte. Mit Gewalt hielt sich Jean davon an, zurück zu weichen.
 

„Jean bitte, du musst das nicht tun. Bitte, lass uns darüber sprechen, was dich bedrückt. Du musst dich nicht umbringen.“ Knox schnaufte. „…also dich umbringen lassen…“, korrigierte er sich und Minyard neben ihm steckte die Hände in die Hosentaschen, während er mit den Augen rollte.

„Kevin war’s“, sagte der Torhüter scheinbar ohne Zusammenhang und Jean zuckte zusammen. Er wagte es nicht, sich zu ihm umzudrehen, aus Angst, dass er damit seinen Kapitän aus den Augen lassen würde, der gerade jetzt wieder einen Schritt näher an ihn herangetreten war und somit auf eine Armlänge herangekommen war.
 

Unsicher schwankte Knox Aufmerksamkeit zwischen ihnen beiden, während Laila wie eine schweigende Statue hinter ihm stand und sie beide maß. Hinter ihr sah Jean, wie Alvarez ebenfalls kam.

„Ja, Kevin hat angerufen. Er war vollkommen verzweifelt und zu gleichen Teilen betrunken. Er hat gesagt, dass du planst, dich heute…umzubringen.“
 

Das letzte Wort kam als nicht mehr als ein Flüstern heraus und Knox‘ Stimme brach unter der Wucht der Bedeutung. Tränen traten in seine blauen Augen, die er so freigiebig und ohne Angst zeigte.
 

Jean stand wie vom Donner gerührt da, als sein Kapitän, der gar nicht hier sein durfte, vor ihm stand und weinte. Er wusste nicht, was er machen sollte, wusste nicht, wie es von hier aus weitergehen sollte. So war es nicht geplant gewesen, sie waren doch extra weit weggefahren, damit niemand kam und sie daran hinderte.

Aber wollte er überhaupt, dass Minyard ihren Deal vollendete? Wollte er es im Angesicht von Knox, der Sinnbild eben jener Verzweiflung war, die Jean über Jahre hinweg so fest im Griff gehalten hatte?
 

„Ich…ja, es war geplant“, gab Jean zu und senkte den Blick zu Boden, weil er nicht ertrug, in Knox‘ verzweifelte Augen zu sehen. „Für heute. Ich habe Andrew darum gebeten, ihn trifft keine Schuld.“

„Aber warum?“

Jean hielt inne. Seine Hände ballten sich zu eisernen Fäusten. In Evermore hätte eine wahrheitsgetreue Antwort auf die Frage weiteres Leiden bedeutet. Mehr, als er sich vorgestellt hätte. Nicht hier.

„Dafür gibt es viele Gründe“, erwiderte er ausweichend.

„Was habe ich falsch gemacht?“
 

Die Frage ließ Jeans Blick hochschnellen. Wieso sollte Knox etwas falsch gemacht haben? Wieso sollte es überhaupt auch nur in Ansätzen seine Schuld sein?

„Habe ich dir mit irgendetwas wehgetan? Habe ich etwas übersehen? Hätte ich etwas besser machen sollen?“

Fragen wie Pistolenschüsse, von denen jede einzelne zielsicher in Jeans Herz traf.

„Nein, du hast nichts gemacht“, erwiderte er verwirrt. „Es liegt nicht an dir.“
 

Knox verstummte und sah hilfesuchend zu Laila. Sie trat langsam einen Schritt vor und lächelte minimal.

„Jean?“

Er sah zu ihr.

„Dir ist klar, dass weder Jer, noch Sara oder ich es zulassen werden, dass du dir hier und jetzt das Leben nimmst, oder?“, sagte sie ruhig und Widerstand regte sich in Jean. Verzweiflung anhand des Gedankens, dass er keine Wahl hatte und gezwungen war, schlussendlich ein Leben zu führen, das er nicht führen konnte.

„Laila, das…“, begann er, doch sie brachte ihn mit einer sanften Geste zum Schweigen.

„Du gehörst zu uns, bist Teil unseres Teams. Du bist ein Trojan und Trojans schaffen das gemeinsam. Wir sind füreinander da, in guten wie in schlechten Zeiten. Gerade auch in schlechten Zeiten, denn wir stehen füreinander ein. Wenn es dir schlecht geht, dann lass uns dir helfen. Wir kriegen das gemeinsam hin, Jean, du musst das nicht alleine mit dir ausmachen.“
 

Hinter ihm hörte er, wie sich Minyard eine Zigarette anzündete und ungläubig drehte sich Jean um. Der blonde Junge zuckte mit den Schultern.

„Was? Das hier dauert sowieso noch länger.“ Er schnaubte und Jean tat es ihm gleich. Er wusste, dass er den Beiden sagen sollte, dass sie gehen sollten. Er wusste ebenso, dass es vergebens sein würde, zumal er sich nicht mehr sicher war, was er wirklich wollte.
 

Fassungslos fixierte Knox Minyard. „Wie kannst du so abfällig darüber sprechen?“, fragte sein Kapitän erstickt und Minyard musterte ihn von oben bis unten.

„Er hat darum gebeten. Ich erfülle ihm seinen Wunsch. Mehr nicht.“

„Und was, wenn wir das nicht zulassen?“

Minyard seufzte. „Dann fahre ich.“

„Nein!“, begehrte Jean auf, plötzlich voller Angst vor dieser Möglichkeit. Wenn Andrew fuhr, dann würde er auch die Möglichkeit mit sich nehmen, dass er dem ein Ende setzte.
 

Knox‘ Hand auf seinem Arm erschreckte ihn mehr als dass er es zuzugeben bereit war und Jean konzentrierte sich auf die blauen Augen, die ihn verzweifelt maßen.

„Jean, warum?“, fragte Knox leise und er schwieg einen Moment.

„Weil die Nacht meines Abschlusses in Evermore sowieso die letzte Nacht gewesen wäre. Ich habe den Deal mit Minyard gemacht, weil ich keinen weiteren Kapitän habe wollte, der mich quält. Ich wollte kein Leben mehr, das nur Leid und Verrat für mich bereithält. Ich wollte selbstbestimmt sterben und nicht zu den Konditionen anderer. Also haben wir einen Handel über zwei Monate abgeschlossen und der endet heute.“
 

Knox schluckte schwer. „Aber du weißt doch gar nicht, was das Leben für dich bereithält.“

„Ich weiß, was es mir die letzten zehn Jahre angetan hat“, schnaubte Jean.

„Und was, wenn ich dir verspreche, dass auch noch weitere, schöne Jahre mit den Trojans kommen werden? Ich…nein wir können deine Vergangenheit nicht ungeschehen machen, Jean, aber wir können dir eine schöne Zukunft bereiten.“

Der Teil in Jean, der bereits seit Tagen an seinem Plan zweifelte, stürzte sich natürlich auf das Versprechen und klammerte sich an die Worte seines Kapitäns. Er ließ Jean sprachlos zurück, gefangen in seinem inneren Kampf um einen leichten Ausweg oder eben ein wagemutiges Leben.
 

„Ich war nie dazu bestimmt, eine eigene Zukunft zu haben“, murmelte er, doch Knox schüttelte vehement den Kopf.

„Du warst seit deiner Geburt dazu bestimmt. Nur weil sie es dir genommen haben, heißt das nicht, dass du es dir nicht zurückholen kannst und sollst.“

„Ich werde wieder alleine zurückbleiben“, begehrte Jean ein letztes Mal auf, verzweifelt beinahe und scheiterte an der Entschlossenheit seines Kapitäns.

„Niemals wirst du das, das schwöre ich dir. Die Ravens mit ihrem Sekten-Bullshit und jeder muss das machen, was die Anderen machen? Die sind ein Dreck gegen unsere lebenslangen Freundschaftsbande, Jean Moreau, das verspreche ich dir.“
 

„Hört noch jemand, das Pathos triefen?“, mischte sich Minyard erneut in das Gespräch ein und starrte zu ihnen dreien empor. „Also, bezaubernde Jeannie, du hast sie gehört. Für welches Tor entscheidest du dich? Und du wirst die Entscheidung hier und jetzt treffen. Ja oder nein?“
 

Jean starrte Minyard in die hellbraunen Augen, deren Farbe eigentlich so warm gewesen wäre, hätte die Kälte in ihnen nicht alles vernichtet, was den Anschein zulassen würde. Er versuchte dort eine Antwort zu finden, ein Gegengewicht zu Knox‘ blauen Augen, die nur ein Ziel kannten: ihn am Leben zu halten. Mühevoll schluckte er. Er wusste, dass ein Handel alles für Andrew war. So tickte der andere Junge, er schloss Deals ab, die er einhielt, er band sich nicht emotional. Nicht nach seiner Vergangenheit. Doch in diesem Moment las er genau das nicht in Minyards Augen. Die kalte Teilnahmslosigkeit beinhaltete eine weitere Facette, die Jean schwer benennen konnte.
 

Er öffnete den Mund, doch nichts kam heraus. Konnte er das Leben wagen, selbst mit allem, was kommen würde? Konnte er das Sterben wagen, mit allem, was er vielleicht verpassen würde?
 

„Ich…“
 

~~~~~~~
 

Wird fortgesetzt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Erinnert ihr euch noch an die Cliffhangergeschichte vom letzten Mal, wo ich ihn euch erspart habe? Jetzt wisst ihr warum :D (ja, ich gehe dann mal, also ich sprinte ans andere Ende der Welt. Da solls auch schön sein, Südpol vielleicht...)

*hust*

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