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Im Fluss der Zeit

von

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Ungewissheit

Vorerst war mein Plan, den Tag in meinem eigenen Zelt zu verbringen, um eine Zeichnung des Armbands anzufertigen. Ich wollte diese dem Brief beilegen, damit Dolris auch ein Bild von dem gefragten Gegenstand hatte. In der Hoffnung, dass sie damit etwas anfangen konnte. Um mich vollkommen darauf konzentrieren zu können, hatte ich Sivila die Leitung übertragen, nachdem ich die Aufgaben für heute im Team verteilt hatte.

Eine grobe Skizze war bereits angefertigt. Ich trank einen Schluck Kaffee und betrachtete das bisherige Werk. Zwar zeichnete ich sehr gerne, es gehörte zu meinen liebsten Freizeitbeschäftigungen, trotzdem wünschte ich mir sehr, dass die mit Shiekah-Steinen angefertigten Fotokopien irgendwann auf Papier übertragen werden könnten. Das würde mir so viel Arbeit ersparen.

Ich wollte gerade zum Weiterzeichnen ansetzen, als ich hörte, dass jemand die Plane zu meinem Zelt beiseiteschob. Es war Manori.

 

Er sagte: „Hallo Thefa, störe ich gerade oder kann ich reinkommen?“

„Nein, nein“, meinte ich. „Komm gerne rein. Willst du auch Kaffee? Ich hab mir gerade eine Kanne gemacht.“

„Danke, aber ich hab vorhin schon einen getrunken.“

Ich sagte: „Und, gibt es irgendwas worüber du reden willst? Ich weiß, dass du dich vermutlich langweilst, weil ich dir für heute frei von der Arbeit gegeben habe. Aber es wäre eigentlich ganz schön, wenn du mir etwas Gesellschaft leisten könntest. Sonst vereinsame ich hier noch.“

Er sagte: „Eigentlich bin ich wegen diesem Armband hier.“

„Ach ja?“, fragte ich und warf intuitiv einen Blick auf den besagten Gegenstand. „Hast du irgendwas herausgefunden oder worum geht’s?“

„Nicht ganz“, erwiderte er.

„Okay?“

 

Mir fiel auf, dass er um seine Hüften seine Schwertscheide trug, mit der Waffe darin. Verwirrt legte ich meine Stirn in Falten und fragte ihn: „Wozu hast du denn dein Schwert dabei?“

„Ach, weißt du, ich…“ Während er vor sich her stammelte und scheinbar versuchte die richtigen Worte zu finden, zog er die Klinge langsam aus der Scheide heraus. Ich bekam ein ganz ungutes Gefühl.

„Manori? Was hast du vor?“, fragte ich. Da ich nicht wirklich glaubte, dass er irgendetwas gefährliches vorhaben könnte, lachte ich bei meiner Frage leicht überfordert.

Noch immer hatte er Schwierigkeiten damit passende Worte zu finden. Schließlich stieß er einen langen, gequälten Seufzer aus und sagte: „Ich wünschte wirklich, es hätte nicht so kommen müssen.“

 

„Ähm…“, machte ich. Ich war sprachlos. Was sollte ich darauf entgegnen? Also sagte ich erstmal nichts. Manori bedachte mich mit erwartungsvollen Augen, aber als nichts von mir kam machte er selbst den nächsten Schritt. Langsam ging er auf mich zu, mit erhobener Waffe, die Spitze auf mich gerichtet. Instinktiv sprang ich von meinem Stuhl auf und wich zurück, ähnlich langsam.

Die Absurdität dieser Situation lockerte dann doch meine Zunge. Ich fragte: „Was wird das? Ist das irgendein Streich oder so?“

Manori hielt inne. „Streich?“, fragte er und lachte verhalten. „Wenn es doch nur einer wäre.“

 

Er ließ die Waffe ein wenig sinken und sagte: „Thefa, hör mal… bitte, nimm das nicht persönlich, okay? Ich hab dich wirklich gern und… ich hab einfach keine andere Wahl.“

„Wovon redest du da eigentlich? Manori, was ist mit dir los?“

Er stammelte erneut: „Ich, also… oder vielmehr WIR brauchen das Band. Ich meine…“ Überfordert schrie er auf, ruckartig streckte er mir die Waffe gezielt entgegen. „Warum musste es hier sein? Warum musstest du es finden?!“

Der gehobene Ton, die Bewegung mit der Waffe, dass ich mit dem Rücken gegen ein Regal stieß… all dies im selben Moment bescherte mir ein grausiges Zucken durch meinen ganzen Körper. Mein verstohlener Blick wanderte zum Ausgang. Sollte ich diesen erreichen, konnte ich vielleicht entkommen. Dakehro, Sivila und bestimmt auch die anderen Goronen würden mir helfen Manori wieder Verstand einzuprügeln. Ich musste nur irgendwie dorthin gelangen…

 

So verstohlen schien mein Blick aber doch nicht gewesen zu sein, denn Manori sagte: „Du willst wohl abhauen. Du hast Angst, klar. Warum solltest du auch keine Angst haben, ich bedrohe dich hier gerade mit einer Waffe…

Folgender Vorschlag“, sagte er. „Ich stecke das Schwert weg, wenn du dich ohne Widerstand von mir fesseln lässt. Und ich verspreche dir, ich werde alles erklären, obwohl ich das eigentlich gar nicht darf. Ich mache das, weil ich dich mag Thefa, wirklich, glaub mir das bitte.“

Zögerlich nickte ich. Welche Wahl hatte ich denn? Schwerfällig, mit leicht zitternder Stimme brachte ich hervor: „Na schön.“

 

Er packte mich erstaunlich grob an, als er meine Hände hinter meinem Rücken zusammenband, obwohl er eigentlich nur einen Arm frei bewegen konnte. Dabei schien er jedoch darauf zu achten, meine Fesseln nicht allzu fest zusammenzubinden. Nur fest genug, dass ich sie nicht selbst lockern und mich befreien könnte.

Ich traute mich gar nicht weiteres zu erfragen, aber das war auch gar nicht nötig, denn er begann von selbst zu erzählen. Er sagte: „Gestern habe ich dir doch gesagt, dass die Entdeckung dieses Heiligtums eine besondere Bedeutung für mich hat. Nun, wo fange ich an… dieser Klan, der die Nayru Temporis anbetet, der auch diesen Tempel hier erbaut hat, vor langer Zeit. Ich bin ein direkter Nachkomme.“

„Was?“, fragte ich verwirrt. „Du bist ein Shiekah? Wirklich?“

„Nicht direkt“, meinte er. Langsam stellte er sich wieder vor mich, wandte aber das Gesicht von mir ab. Er sagte: „Du hast es doch selbst herausgefunden. Mein Klan, oder eher meine Vorfahren wurden von den Shiekah ausgeschlossen. Sie waren geächtet, verhasst. Und warum? Weil die anderen Shiekah Angst vor ihnen hatten. Angst vor dem, wozu sie im Stande waren.“

Vorsichtig fragte ich: „Meinst du Manipulation von Zeit?“

Er nickte. „Sie fanden Möglichkeiten direkten Einfluss auf den Fluss der Zeit zu nehmen, konnten genaue Zeitpunkte bestimmen, zu denen sie reisen wollten. Zumindest in der Theorie. Sie erschufen Artefakte, Gegenstände, die dieses direkte Zeitreisen ermöglichen sollten, untersuchten wie die Harfe und die Okarina der Zeit funktionierten, um ähnliches selbst zu erschaffen. Erste Versuche gingen allerdings schief. Nicht wenige gingen für immer im Zeitverlauf verloren. Aber die Versuche hörten da noch nicht auf und letztlich wurden diese Unternehmungen für zu gefährlich befunden.“

Ich wagte es erneut eine Frage einzuwerfen: „Und deshalb wurden sie von den Shiekah ausgeschlossen, richtig?“

 

Kurz reagierte er nicht darauf. Er wirkte nachdenklich, wie er seine Arme verschränkte und ins Leere zu starren schien. Schließlich sagte er plump: „Ausgeschlossen, ja?“ Er lachte leise, so wie jemand lachte, wenn er eine absurde Tatsache nicht zu glauben vermochte. „Sie wurden nicht nur ausgeschlossen, sondern brutal niedergemetzelt. Es war ein einziges Massaker. Die Geschichte schweigt darüber, weil die Shiekah das Ereignis gut zu verschleiern wussten. Bloß wenige kennen die Wahrheit.“

Ich hatte keine Ahnung, wie ich das zu kommentieren hatte. Verschleierungen geschichtlicher Ereignisse waren keine Seltenheit und eine Möglichkeit, mit der Historiker und eben auch ich als Archäologin immer zu rechnen hatten. Daher erschütterte mich diese Aussage nicht.

Stattdessen sagte ich: „Ich schätze dazu gehören die Nachkommen. Du eben. Mündliche Überlieferung nehme ich an?“

„Zum Teil mündlich, ja“, sagte er. „Manches wurde niedergeschrieben und in geheimen Archiven verwahrt. Zugänglich sind sie nur der Gruppierung, zu der die Überlebenden damals übergelaufen sind.“

„Und ich nehme mal an ihr Nachkommen seid noch heute Teil dieser ‚Gruppierung‘, ja?“

Er nickte bloß. Genaueres dazu wollte er wohl nicht sagen und ich wollte ihn auch nicht provozieren.

 

Ich spürte, wie meine hinter meinem Rücken gefesselten Hände zitterten, auch die Knie schlotterten mir. Ich hatte wahnsinnige Angst, war verwirrt, ratlos, hilflos und fühlte mich vor allem von einem Freund verraten. Bald konnte ich die Frage, die mir schon länger auf der Zunge brannte, nicht mehr zurückhalten.

Mit zittriger Stimme fragte ich: „Ist das der einzige Grund, warum du bei meiner Ausgrabung bist? Hat deine Organisation dich dazu angestiftet?“

Manori schwieg noch immer und das war mir eigentlich genug der Antwort. Nichts wäre mir im Moment lieber gewesen, als in Tränen auszubrechen und ihn anzuschreien, aber diese Blöße wollte ich mir nicht geben. Stattdessen schluckte ich dieses Bedürfnis herunter. Doch ich brachte nicht die Kraft dazu auf ihn wütend anzuschauen, weshalb mein Blick nun gen Boden gerichtet war. Ich hoffte, dass er meine zitternden Lippen nicht bemerkte. Ich fühlte mich so verletzt, so hintergangen. Ich hatte ihn wirklich für meinen Freund gehalten. Er hatte zwar immer wieder betont, dass ich ihm wichtig sei, doch konnte ich das wirklich glauben? Angesichts der Tatsache, dass er mich mit einer Waffe bedroht und gefesselt hatte? Wohl kaum.

 

Bald sagte er: „Ich habe mich für die Ausgrabung angemeldet, weil ich interessiert an deiner Forschung war. Meine Organisation kam erst ins Spiel, als klar wurde, um was für ein Heiligtum es sich handelt. Nayru Temporis, das musste ich melden. Auch um meinetwillen!“

Dazu wollte ich gar nichts mehr hinzufügen. Mit aller Macht spielte ich meine zittrige Stimme herunter und sagte: „Du hast gesagt, du seist wegen des Armbands hier. Ist es eins dieser Experimente, dieser Artefakte deiner Vorfahren?“

„Ja“, antwortete er knapp.

„Dann nimm es dir doch!“ Nun kam ich doch an dem Punkt an, an dem ich meine Stimme unweigerlich erhob. „Wozu brauchst du mich noch?! Ich will es gar nicht! Nimm es und verschwinde!“

„Das ist… leider nicht so einfach.“

 

Es wirkte, als wolle er sich überlegen, wie er das Problem am besten erklären konnte, jedoch kam er nicht mehr dazu. Genau in diesem Moment drangen zwei weitere in mein Zelt ein, mit erhobenen Waffen. Der eine führte einen Bogen beladen mit gleich zwei Pfeilen, der andere eine sichelförmige Klinge. Sie waren in roten und engen Ganzkörperanzügen eingekleidet, ihre Gesichter vollkommen von Masken bedeckt. Schockiert schnappte ich nach Luft, als ich das Symbol darauf erkannte. Ein umgedrehtes Shiekah-Auge.

 

„Du gehörst zu den Yiga?“, fragte ich bestürzt, aber leise. Manori antwortete nicht. Sein Blick ruhte kurz auf mir, ausdruckslos, bevor er sich den Neuankömmlingen zuwandte.

Derjenige mit dem Bogen sprach: „Warum dauert das denn so lange, hä?“ Der Stimme nach zu urteilen handelte es sich bei ihm um einen älteren Mann. Sie war rau und tief.

Manori sagte: „Ich bin ja schon fertig. Wir können gehen.“

 

Und die Panik in mir wuchs und wuchs. Gehen?, fragte ich mich. Wohin wollten sie mit mir?

 

Die zweite Person meldete sich: „Ich hoffe doch, du hast dich nicht schon wieder verplappert? Diesmal wird der Chef nicht nachsichtig mit dir sein.“ Scheinbar handelte es sich hierbei um eine Frau, ebenfalls eher im älteren Alter.

Manori schaute mich an, als er sagte: „Ich habe nur gesagt, was nötig ist.“

„Gut“, meinte die Frau. „Dann Abmarsch. Wir haben genug Zeit vertrödelt.“

 

Manori packte mich überraschend sanft, als er mich nach draußen eskortierte. Die anderen beiden führten uns an. Es war kühl und windig, meine braunen Locken peitschten vor meinem Gesicht umher. Recht bald fröstelte es mir. Kein Wunder, mir blieb es schließlich nicht vergönnt meinen Mantel anzuziehen. Glücklicherweise hatte ich mich dagegen entschieden meine Stiefel auszuziehen, sodass ich zumindest geeignetes Schuhwerk trug.

Ich wollte fragen, wohin sie uns brachten, ich wollte schreien und hoffen, dass mich jemand hörte. Aber meine Zunge blieb mir vor Angst im Hals stecken. Außerdem bezweifelte ich, dass jemand in hörbarer Reichweite war. Gemäß meinen Anweisungen sollte mein Team im Tempel in der Arbeit vertieft sein.

 

Der Mann mit dem Bogen sagte: „Ich hoffe echt dieses Armband ist das, was dein alter Zeit-Klan verspricht, Manori. Ich habe nämlich echt kein Bock darauf dieses Mädel zu uns zu führen, wenn das umsonst ist…“

Mädel? Ich bin Mitte 30!, wollte ich rufen, aber ich hielt mich zurück.

Die Frau meldete sich dreckig lachend: „Du hast doch sowieso nichts Besseres zu tun, du Idiot! Hör auf dich zu beschweren und mach, was man dir sagt.“

Er grummelte ziemlich laut und erwiderte: „Pah, ich hatte sogar etwas vor, ob du es glaubst oder nicht, also laber nicht so daher!“

„Aha, was denn bitte, hm?“

„Erzähl ich dir doch nicht, du Ratte.“

Sie schnaubte und sagte: „Warum steckt mich der Chef IMMER mit dir zusammen? Du Mistkerl, du-“

 

Sie hielt inne, gab ein stummes Zeichen, das wir stehen bleiben sollten.

„Was ist denn jetzt wieder?“, fragte der Mann genervt.

Sie zischte ihn an und sagte: „Sei still du Alter! Jemand hat uns gesehen.“

Und tatsächlich war dort jemand, in relativ großem Abstand zu uns. Er hatte keinen Laut von sich gegeben. Ich war wirklich erstaunt darüber, dass sie ihn bemerkt hatte.

 

Der Beobachter war Lakus. Mein Herz rutschte mir in die Hose. Von allen Leuten, die uns hätten bemerken können, musste es unbedingt der junge Student sein? Ehe ich reagieren konnte, verschwand die Yiga aus meinem Augenwinkel und tauchte urplötzlich an Lakus Seite wieder auf. Sie hatte ihn gepackt und hielt ihm ihre Sichel an den Hals. Grob schleppte sie ihn zu uns. Die Überforderung und die Angst waren ihm ins Gesicht geschrieben.

 

In mittlerweile hörbarer Reichweite zischte sie dem Orni-Jungen ins Ohr: „Wenn du auch nur einen Laut von dir gibst, war‘s das mit dir, Orni.“

Lakus wimmerte. Ich konnte es nicht mit ansehen. Trotz meiner eigenen Angst erhob ich das Wort und flehte sie an: „Lasst ihn gehen, er hat damit nichts zu tun. Bitte!“

Ohne, dass ich mitbekommen hätte wie er sich bewegte, stand plötzlich der Mann an meiner Seite und keifte: „Hat jemand erlaubt, dass du redest, hä? Halts Maul, oder ihr geht beide drauf!“

Bei den Göttinnen, das meinte er doch nicht ernst?!

 

Zu meiner Verwunderung ergriff Manori, der bisher kein einziges Wort gesagt hatte, Partei für mich. Er sagte: „Das werde ich nicht zu lassen. Du rührst sie nicht an.“ Sein Ton war ungewohnt bedrohlich und kalt.

„Du gibst mir keine Befehle, Kleiner“, gab der Mann verärgert zurück.

Man konnte die angefeindete Stimmung regelrecht in der Luft spüren. Eine Weile lang starrten sie sich nur an und auch wenn ich Manoris Gesichtsausdruck nicht sehen konnte, da er mich nach wie vor gepackt hatte und hinter mir stand, war ich mir sicher, dass er genauso bedrohlich schaute, wie er klang. Es konnte nur eine Frage der Zeit sein, bis einer der beiden seine Waffe zog und den anderen attackierte. Und ich war genau zwischen ihnen, mitten in der Gefahrenzone, ohne eine Fluchtmöglichkeit. Mein Kopf glühte mittlerweile regelrecht vor Aufregung und Panik.

 

Die Yiga, die Lakus in Gewahrsam hielt, seufzte entnervt aus und sagte: „Hört auf zu streiten ihr Kinder, jedes Mal das gleiche.“ Sie senkte ihre Waffe. Lakus stieß erleichtert Luft aus und begann beinahe augenblicklich zu zittern. Scheinbar hatte er aus Furcht ziemlich lange den Atem angehalten. Das konnte ich nur nachvollziehen.

Sie holte ein Seil hervor. Während sie ihn fesselte, sagte sie: „Wir nehmen diesen Orni mit. Der Chef wird entscheiden, was mit ihm passiert, klar?“

„Na schön, von mir aus“, willigte der Mann ein.

 

Wir setzten uns wieder in Bewegung. Dennoch wollte er es sich nicht nehmen lassen, weiterhin seinen Senf zu der Sache beizulegen. Er sagte: „Trotzdem wär’s doch einfacher, wenn wir sie einfach beide umbringen, ihr das Armband abknöpfen und dann verschwinden.“

„Nein“, meinte Manori entschieden.

„Und wieso nicht? Erklär’s doch endlich und tu nicht so auf mysteriös“, sagte der Yiga.

Die Frau klinkte sich ein und sagte: „Langsam ist’s wirklich mal Zeit uns ein bisschen was zu erzählen, hm? Ich würde auch gerne mal wissen, wozu ich mir hier den Arsch aufreiße, anstatt sie gemütlich zu töten.“

 

Sie sprachen vom Töten, als wäre es eine alltägliche Tätigkeit, das normalste der Welt. Diese Leichtigkeit zu diesem grausigen Thema stieß mir sauer auf. Was waren das nur für Leute? Doch noch schlimmer war, dass ich dadurch auf einen Gedanken kam, der mein Herz erschweren ließ. Ich fragte mich, ob Manori schonmal jemanden ermordet hatte. Hatte ich einen Mörder meinen Freund genannt? Auf einmal wurde mir ein wenig schlecht.

 

Manori seufzte hinter mir, er klang stark genervt. Sein Atem streifte meinen Nacken, worauf sich sofort sämtliche meiner Haare aufstellten.

Er sagte: „Ich weiß doch selbst nicht genau, wie diese Geräte funktionieren. Ich will einfach nur Vorsicht walten lassen. Aber was ich weiß ist, dass das Armband nun mit ihrer Lebensenergie verbunden ist. Sollte sie sterben, hört es auf zu funktionieren. Und dann war wirklich alles umsonst.“

 

Verteidigte er mich also nur, weil er die Funktionstüchtigkeit des Armbands aufrechterhalten wollte? Die kleine Hoffnung, dass er auf meiner Seite war, weil ihm wirklich etwas an mir lag, verschwand immer mehr. Und zu wissen, dass das Armband scheinbar mit meinem Leben verbunden war, war ebenfalls keine Neuigkeit, die ich einfach verkraften konnte.

 

Der Yiga-Trupp führte mich und Lakus gezielt den Berg herab. Ich wollte mich so gerne vergewissern, ob es Lakus einigermaßen gut ging, aber er ging mir voraus. Bisher hatte er noch keinen Mucks von sich gegeben. Daher konnte ich mir nur denken, wie er sich fühlen musste. Vermutlich war er noch verängstigter als ich, schließlich hatte er keine Ahnung, was vor sich ging. Er war zufällig in diese Angelegenheit hineingerutscht. Ich wollte etwas tun, ihm helfen zu entkommen, aber wie nur? Noch nie hatte ich mich so hilflos gefühlt, es war die reinste Qual.

 

Nach einem langen Marsch hatten wir den Fuß des Berges erreicht. Brav erwarteten uns drei Pferde, die gemütlich grasten.

„Also“, sagte der Mann, „Manori, das Mädel reitet dann mit dir, ne? Und der Orni?“

„Wohl oder übel mit mir“, meldete sich die Frau, die so klang, als würde ihr der Gedanke überhaupt nicht gefallen.

 

Manori führte mich zu einem schwarzen Hengst und schickte sich an, mir beim Aufsteigen zu helfen, als er wie aus dem Nichts aufschrie: „Nein!“

„Was is‘?“, fragten die beiden Yiga nahezu aus einem Mund.

„Das Armband“, sagte er knapp, voll Unglaube. „Es hat sich aktiviert!“

„Du verarschst uns, oder?“, fragte der Mann.

 

„Manori, was ist los?“, fragte ich vorsichtig. Ich wusste nicht, ob er mich gehört hatte, denn er stieß mich wortlos von sich weg. Wütend und ratlos starrte er mich an.

Die Frau schrie: „Du hast uns nicht gesagt, dass das passieren kann!“

Manori schrie zurück: „Das wusste ich doch selbst nicht, verdammt nochmal!“

 

In absoluter Verwirrung warf ich meinen Blick zwischen Manori und der Frau hin und her.

„Aktiviert?“, fragte ich und vergaß kurz meine Angst vor den Yiga. Nun machte mir eher das Armband Sorgen.

Manori presste angespannt seine Lippen aufeinander. „Das sollte nicht passieren“, murmelte er.

Hilfesuchend blickte ich zu Lakus, der mich aus großen Augen heraus anstarrte. „Thefa, du“, stammelte er.

Die Frau gab ihm einen Schlag auf den Hinterkopf, er ließ ein Winseln vernehmen. „Die Klappe halten sollst du“, sagte sie.

Wütend biss ich meine Zähne aufeinander. Am liebsten hätte ich mich nun auf sie gestürzt, aber was konnte ich schon anrichten? Gefesselt, unbewaffnet und voller Panik?

 

Der Mann meldete sich. Er fragte: „Ja, was stehen wir denn so blöd rum, hä? Mach doch etwas Manori, ja?“

„Was denn?“, keifte gefragter zurück. „Ich kann da nichts machen, versteh doch!“

„Wie du kannst nichts machen?!“, schrie der Mann zurück. „Das kann nicht dein Ernst sein!“

 

Entsetzt stellte ich fest, dass ich ihre Stimmen immer dumpfer wahrnahm. Bald klang es eher wie ein fernes Rauschen. Ich fühlte mich zunehmend, als wäre ich unter Wasser, alle Geräusche klangen so weit entfernt.

„Was geschieht mit mir?!“, schrie ich aus Leibeskräften, konnte mich dabei selbst kaum hören. „Manori, was passiert hier?!“

Doch war das scheinbar noch nicht genug, denn hinzukam, dass mein Sichtfeld allmählich verschwamm. Ich konnte kaum noch verstehen, was Manori antwortete. Nahezu kraftlos taumelte ich nach hinten, als mich eine eigenartige Leichtigkeit einnahm. Das Rauschen in meinen Ohren verklang immer mehr, meine Umgebung nahm ich zunehmend schlechter wahr. Um mich herum wurde es heller und heller. Ungläubig presste ich meine Augen mehrmals aufeinander, aber mit jedem Mal, dass ich sie wieder öffnete sah ich schlechter. Jedoch angemessen reagieren konnte ich darauf auch nicht. Ich fühlte mich nicht mehr als die Herrin meiner selbst. Letztlich konnte ich bloß noch erahnen, wie Manori auf mich zugestürzt kam, bevor alles um mich herum in weißem Nichts verschwand.

 

Urplötzlich stand ich auf einer Wiese. Es war scheinbar Abend, die Sonne stand tief, der Himmel war in tiefes Orange getaucht. Die Luft war kühl, aber angenehmer als zuvor, ohne den lästigen Wind. Die Wiese befand sich auf einer weiten Ebene, weit und breit war nichts zu sehen außer Bäumen und einem Feldweg. Wie war ich hier gelandet?

 

Kraftlos sank ich auf die Knie. Mit einem Mal überrollte mich alles, was ich an dem Tag hatte ertragen müssen. Ich zitterte und weinte, schaffte es gerade so das laute Schluchzen zu unterdrücken, Tränen liefen dabei in Strömen über mein erhitztes Gesicht.

 

Ich fühlte mich so erbärmlich, so hilflos. Mit aller Macht versuchte ich mich dem Verlangen nach Tränen ob meines Schmerzes zu verwehren, aber… sie mussten einfach ausbrechen. Schon lange hatte ich nicht mehr so sehr geweint. Die Todesangst, Angst vor der Ungewissheit, was die Yiga mit mir anstellen würden, Angst um Lakus… Am schlimmsten schmerzte jedoch, dass Manori in die Angelegenheit verwickelt war. Ich fühlte mich von ihm verraten, hintergangen, dabei hatte ich ihm vertraut, mir in den letzten Tagen so oft Sorgen um ihn gemacht! Wie konnte das nur passieren?



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