Zum Inhalt der Seite

Cursed

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die fabelhafte Welt des Aiden

„Und was machen wir heute?“, fragte Aiden und Reel lächelte ihn wissend an.

„Naja was heute Nacht passiert, ist ja klar.“ Reel setzte sich wieder dicht neben Aiden auf das Bett und lehnte sich zu ihm hinüber während er sprach. Lasziv ließ er dabei seine Finger über Aidens empfindlichen Hals gleiten, was diesem einen Schauer über den Rücken und Angst in die Augen jagte. Reel lachte auf.

„Du wirst für mich Klavier spielen. Oder hast du unseren Deal schon vergessen?“ Aiden stockte. Natürlich. Aiden hatte es ihm versprochen. Was sonst hätte Reel auch meinen können? Der Dämon erfasste Aidens Gedanken sofort und grinste ihn wissend an, was Aiden eine leichte Röte ins Gesicht trieb.

„Ach, du bist doof.“ Doch Reel grinste ihn nur weiter an.

„Und bis dahin können wir ja mal ausspannen. Ich hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet in meinem Leben mal Schulprüfungen ablegen zu müssen und heute ist schließlich der erste Tag, an dem wir wieder frei haben.“

„Du willst 'Tintenherz' weiterlesen, oder?“ Ertappt ließ sein Dämon seine Reißzähne in einem frechen Grinsen aufblitzen. Aiden musste lachen und war ein wenig stolz darauf Reel mittlerweile so gut einschätzen zu können. Dieser griff nach dem Gummiband auf dem Nachtschrank, band sich die Haare zurück und nahm sein Buch zur Hand.

Aiden schnappte sich seinerseits seine PS Vita und setzte sich mit dem Rücken gegen die Wand aufs Bett. Auf Reels auffordernden Blick hin streckte er seine Beine aus und ermöglichte ihm so seinen Kopf auf Aidens Schoß zu legen.
 

So verbrachten sie mehrere Stunden, bis Aiden Reel wieder aufscheuchen musste.

„Reel, meine Beine sind eingeschlafen.“ Widerwillig setzte sich der Angesprochene auf und sah ihn an. Dieses flammende Rot fing Aidens Blick einfach jedes Mal.

Bis Aiden seine Beine endlich wieder spüren konnte, hatte sich Reel bereits auf den Bauch gelegt und las weiter.

Aiden betrachtete ihn eine kurze Weile, konnte dem Drang jedoch nicht widerstehen. Vorsichtig zog er an dem dünnen Gummiband, welches Reels lange Haare notdürftig zusammenhielt. Der Dämon bemerkte das zwar sofort, ließ ihn jedoch gewähren. Aiden öffnete den Zopf und ließ erneut die schwarzen Strähnen zwischen seine Finger gleiten.

Ein Grinsen unterdrückend fing er an sie zu verflechten. Als er noch zuhause gewohnt hatte, hatte Aiden oft die Haare seiner Schwester geflochten. Mellie war traurig gewesen, weil die anderen Mädchen in ihrer Klasse so tolle Frisuren trugen, also hatte sich Aiden mit ihr hingesetzt und es geübt. Ihre Mutter verließ das Haus immer schon vor ihnen und hatte keine Zeit um Mellie die Haare zu machen und um sie selbst zu flechten war sie damals noch zu jung gewesen.

Nun flocht er Reel einen filigranen Kranz, der seine Haare zurückhielt.

Nur noch mit dem Gummiband fixieren und ... ein leises Schnalzen ertönte. Unglücklich sah Aiden das zerrissene Band an und Reel rollte nur mit den Augen.

„Entschuldigung.“ Ohne Halt durch das Gummiband oder Aidens Finger fielen ihm die Haare wieder ins Gesicht zurück.

„Schon gut, Sunshine. Ich bin ja vorher auch ohne ausgekommen.“ Mit einem Seufzer setzte er sich wieder auf und fuhr seinerseits Aiden durch die Haare. „Mach dir nichts draus.“ Den Rest des Tages strich sich Reel immer und immer wieder die Haare zurück und Aiden fühlte sich jedes Mal schlecht dabei.

Zwischendurch verwandelte Reel sich auch ab und an mal in seine menschliche Gestalt und nach einiger Zeit wieder zurück. Er schien das morgen wirklich unbedingt mal in der Öffentlichkeit ausprobieren zu wollen, daher übte er nun fleißig.
 

Es war Mitternacht – Nachtruhe. Alle Schüler, die das Internat nicht gleich am ersten Ferientag verlassen hatten, befanden sich seit mindestens zwei Stunden auf ihren Zimmern. Ungeduldig saß Reel auf dem Schreibtisch und ließ die Beine baumeln, während Aiden in seine dunkle Jeans und ein schwarzes Shirt schlüpfte. Noch die schwarzen Turnschuhe dazu und er war fertig. Ein Deal ist ein Deal, also würde er heute Nacht für Reel Klavier spielen.

Der Dämon sprang vom Tisch auf und stellte sich neben ihn an die Tür.

„Nur keine Angst, Sunshine. Das wird lustig, glaub mir.“ Reel schien sich tatsächlich richtig auf ihre Nacht-und-Nebel-Aktion zu freuen und Aiden ließ sich ein wenig davon anstecken. Nachts durch das Internat zu schleichen war eine typische Mutprobe, die innerhalb der Ferien auch weniger schwer bestraft wurde. Er wartete darauf, dass Reel in seinen Körper überging, doch stattdessen schloss dieser die Augen und nahm seine menschliche Form an – abgesehen von den Augen, was Aiden auf eine gewisse Art freute.

Auf Aidens fragenden Blick hin antwortete Reel nur: „Ich will ja auch was von dem Spaß haben“, und zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
 

Nachdem er kurz an der Tür gelauscht hatte, ergriff er Aidens Hand und zog ihn mit sich in den Flur. Nahezu lautlos schlich er voran und Aiden versuchte es ihm gleichzutun – mit mäßigem Erfolg. Aiden konnte ohne die Lichter in dem fensterlosen Flur kaum etwas erkennen und ließ sich quasi blind von Reel durch die Gänge führen.

Vor der Treppe blieb Reel stehen und legte Aidens freie Hand auf das Geländer. Die andere hielt er weiterhin fest und führte ihn hinunter. Langsam durchquerten sie die Eingangshalle in der jedes noch so leise Geräusch laut widerhallte und Aiden einen Schauer über den Rücken jagte.

Vorsichtig tastete er sich vor und verließ sich darauf, dass Reel ihn in die richtige Richtung navigierte. Die Echos seiner Schritte wurden leiser, woraus Aiden schlussfolgerte, dass sie die Halle hinter sich gelassen und den vorderen Teil des Unterrichtstrakts „Süd“ betreten hatten.

Ihr Ziel – die Musikräume – lagen ganz hinten in diesem Trakt.

Ab jetzt wurde es etwas knifflig. In diesen Fluren gab es Bewegungsmelder für die Deckenbeleuchtung und wenn sie einen von denen auslösten, würde der gesamte Flur und die Eingangshalle in Flutlicht getaucht werden, was dann schwer nicht zu bemerken wäre.

Reel hatte Aiden versichert sich die Position jedes Melders gemerkt zu haben und auch Aiden selbst kramte angestrengt in seinem Gedächtnis und versuchte sich an die kleinen weißen Kästchen an den Wänden zu erinnern.

Mit bedachten Bewegungen schlichen sie langsam an der Wand entlang und duckten sich unter den Meldern hinweg. Zu ihrem Glück hatte man sie nur im vorderen Trakt verbaut und so konnten sie im hinteren Trakt wieder nochmal laufen. Sehen konnte Aiden zwar immer noch nichts, aber Reel führte ihn zielsicher durch die Flure.

Der Weg zu den Musikräumen war Aiden noch nie so lang vorgekommen, doch endlich legte Reel Aidens Hand auf eine Türklinke. Vorsichtig drückte er sie runter und musste feststellen, dass sie verschlossen war. Natürlich. Seit wann ließen die Lehrer auch bitte Ihre Fachräume unverschlossen? Vor allem während der Ferien.
 

Aiden spürte wie Reel seine Hand losließ und neben ihm in die Hocke ging, dann hörte er einige sehr leise metallische Geräusche und schließlich ein etwas lauteres Klicken.

Ein Druck auf die Klinke und die schwere schalldichte Tür schwang auf. Reel hatte das Schloss mühelos geknackt und so konnten sie nun den Raum betreten. Sorgfältig schloss Aiden die Tür hinter ihnen. Der Raum war zwar schalldicht, aber dass galt nur solange auch alle Türen und Fenster geschlossen waren.

Durch die mehrfach-verglasten Fenster fiel das Mondlicht und ermöglichte es Aiden endlich wieder etwas zu sehen. Schnell gewöhnten sich seine Augen an das schwache Licht und er steuerte zielsicher auf den großen Flügel in der Ecke das Raumes zu. Er war so ausgerichtet, dass der Mondes direkt die Tasten beschien, doch Aiden hätte diese zur Not sogar blind gefunden.

Die Jahre in denen er Klavier gelernt hatte, hatte er quasi seine gesamte Freizeit an dem Instrument verbracht und es fühlte sich erstaunlich gut an jetzt wieder hier zu sitzen.

Sanft strich er über die elfenbeinfarbenen Tasten und ließ mit einem gefühlvollen Anschlag einen zarten Ton erklingen. 'Na dann hoffen wir mal, dass dieser Raum wirklich schalldicht ist' dachte er bei sich, atmete einmal tief durch und begann dann sein Lieblingsstück zu spielen.
 

Reel beobachtete wie Aiden Platz nahm und seine Finger routiniert über die Tasten gleiten ließ. Es hatte etwas magisches wie sein Lieblingsspielzeug im fahlen Mondlicht vor dem Instrument saß. Schweigend nahm Reel wieder seine dämonische Gestalt an. Mit eingeschränkten Sinnen und Fähigkeiten durch die Flure zu schleichen hatte ihm Spaß gemacht und ihn an früher erinnert, doch Aidens Klavierspiel wollte er im Vollbesitz seiner dämonischen Sinne wahrnehmen.

Die ersten Töne erklangen und zauberten Reel unverwandt ein Lächeln auf die Lippen. Das Hauptthema aus 'Die fabelhafte Welt der Amelie' gehörte zu seinen absoluten Favoriten. Der Pianist, der einst mit Reel verflucht worden war, hatte das Stück oft für ihn gespielt um sich mehr Lebenszeit zu erkaufen. Der Dämon hatte eine Schwäche für Musik und das hatte jenes Opfer gut auszunutzen gewusst.

Doch Aiden spielte nicht um sein Leben. Er spielte auch nicht wirklich für Reel. Er spielte für sich selbst. Reel konnte deutlich sehen, wie sehr Aiden im Spiel aufging und alles um sich herum vergaß. Andächtig schloss er die Augen und lauschte der verführerischen Melodie.
 

„Warum hast du damals wirklich mit dem Klavierspielen aufgehört?“, fragte er nachdem der letzte Ton verklungen war.

Aiden sah auf die elfenbeinfarbenen Tasten hinunter und seufzte leise.

„Mein Onkel. Ich habe angefangen Klavier zu spielen und bin ziemlich schnell richtig gut darin geworden. Damit war ich der einzige in der Familie der ein Instrument spielte. Bei einer Familienfeier erzählte dann mein Onkel stolz, dass er vor einigen Wochen auch angefangen hätte Klavier-Unterricht zu nehmen.

Natürlich haben ihn alle gedrängt etwas vorzuspielen. Er setzte sich an mein Klavier und begann ohne Noten Stücke zu spielen, die ich erst nach monatelangem Üben beherrscht habe.

Er lernte es viel schneller als ich. Ich war nichts Besonderes mehr. Ich hatte schon viel länger Unterricht, hatte in jungem Alter damit angefangen und übte täglich, und trotzdem überflügelte mich mein Onkel ziemlich schnell. Das hat mir die Freude am Spiel kaputt gemacht und ich hab einfach aufgehört.

Dann konnte mich keiner mehr mit ihm vergleichen. Seitdem habe ich kein Klavier mehr angefasst.“ Niedergeschlagen blickte Aiden zu Boden.

„Du bist ein absoluter Idiot, Sunshine.“ Aiden war irritiert. Er hatte sich Trost von Reel erhofft, doch stattdessen schien er sogar sauer auf ihn zu sein und wurde beim Sprechen immer lauter.

„Wie kann man nur ein so erbärmlich kleines Selbstvertrauen haben? Du liebst das Klavierspiel – das sieht man dir an und du bist verdammt gut darin.

Du hast Jahre lang kein Klavier angefasst und spielst hier 'Die fabelhafte Welt der Amelie' nahezu fehlerfrei und ohne Noten. Warum lässt du dir das von deinen Minderwertigkeitskomplexen kaputt machen?“ Überrascht sah Aiden zu ihm auf. Die roten Augen loderten wütend.

„Aber...“

„Kein 'aber'! Wenn einem etwas wichtig ist, dann muss man darum kämpfen und es nicht einfach so aufgeben! Außerdem ist es doch völlig egal ob er besser ist als du oder nicht. Es wird immer jemanden geben der besser ist. So ist das Leben – mal gewinnt man und mal verliert man alles. Wichtig ist, dass man sich nicht kampflos ergibt. Aber du hast einfach aufgegeben und dich von anderen definieren lassen.“ Aiden verstand nicht, warum das Reel so viel bedeutete, doch Unrecht hatte er nicht. Aiden hatte es noch nie aus dieser Perspektive betrachtet und nun kam er sich furchtbar schwach und erbärmlich vor.

Reel hockte sich vor ihm auf den Boden und sah ihn von unten an. Sein Blick und auch seine Stimme waren weich und er sprach nun wieder leiser.

„Tut mit leid, dass ich grade so aus der Haut gefahren bin, aber so was macht mich einfach wütend. Warum machst du deine Leidenschaft an Anderen fest? Reicht es nicht, dass es dir Spaß macht? Klar ist es cool, wenn man der Beste ist oder der Einzige der etwas kann, aber um Erfolg geht es dir beim Spielen doch eigentlich gar nicht, oder?“ Schuldbewusst schüttelte Aiden den Kopf.

Er liebte es am Flügel zu sitzen und zu spielen, und er war oft traurig darüber gewesen es nicht mehr zu tun. Er hatte es sich selbst verboten und das alles nur aus gekränktem Stolz und seiner eigenen Minderwertigkeitskomplexe.

„Na na. Kein Grund zu weinen.“ Sanft strichen Reels Finger über seine Wange.

Aiden hatte gar nicht bemerkt, wie sich die Tränen ihren Weg gebahnt hatten, doch nun saß er da und weinte. Schon wieder.

Behutsam nahm Reel ihn in den Arm und strich ihm zärtlich über den Kopf. Innerlich ohrfeigte er sich dafür Aiden schon wieder zum weinen gebracht zu haben.

„Tut mir leid, Sunshine. Ich hab mich in Rage geredet. Du hast wirklich wunderschön gespielt.“ Aiden schüttelte den Kopf.

„Du hast ja recht“, gab er mit versucht beherrschter Stimme zurück und löste sich wieder von Reel. Mit dem Handrücken wischte er seine Tränen weg und sah ihn direkt an.

„Danke, Reel.“ Dieser seufzte nur und strich Aiden noch einmal liebevoll über den Kopf.

„Du bist schon seltsam.“
 

Nachdem Aiden sich wieder im Griff hatte, machten sie sich auf den Rückweg.

Reel verriegelte die Tür hinter ihnen wieder und navigierte Aiden sicher durch die Flure.

Allerdings schienen die häufigen Verwandlungen ihren Tribut zu fordern. Reel war erschöpft, wurde unkonzentriert und bemerkte seinen Fehler zu spät.

Der Gang wurde in plötzliches Flutlicht getaucht, was sowohl ihn als auch Aiden für einige Augenblicke blendete. Nun blieb ihnen nur noch die Flucht nach vorn.

Schnell zog Reel Aiden hinter sich her in die Haupthalle und die Marmorstufen hoch zum Wohntrakt der Jungen.

In der Ferne konnte er hören, wie eine Tür schwungvoll aufgeschlagen wurde und eine strenge Stimme durch den Gang hallte. Fluchtartig stürzten sie durch den dunklen Flur von dem die Zimmer abgingen und erreichten endlich ihre Tür. Kaum war diese hinter ihnen ins Schloss gefallen, sahen sie einander an und mussten unwillkürlich lachen.

„So viel zu 'Ich hab mir das alles gemerkt'“, kam es frech von Aiden. Reel ließ sich – noch immer lachend – mit dem Rücken gegen die Tür sinken.

„Ich bin müde, okay?“ Ihr kleiner Ausflug war etwas anders verlaufen als geplant, aber erfolgreich war er dennoch gewesen.

Aiden zog sich sein Schlafzeug an und ging sich die Zähne putzen. Glücklicherweise konnte er morgen ausschlafen, denn es war schon weit nach Mitternacht.

Als er das Bad wieder verließ, lag Reel zusammengerollt auf seinem Bett. Aiden musste schmunzeln und betrachtete eine Weile das Gesicht seines schlafenden Dämons. Einzelne Strähnen seines schwarzen Haares fielen ihm ins Gesicht und Aiden strich sie behutsam zurück. Reel wirkte nun erstaunlich jung – nur wenig älter als Aiden selbst – höchsten 20 vielleicht 21.

Sanft rüttelte er an seiner Schulter, erhielt jedoch keine Reaktion. Nach kurzem Zögern legte er sich einfach zu ihm ins Bett und schlüpfte unter die Decke, was sich als recht schwierig herausstellte, da Reel auf dieser eingeschlafen war. Eine Zeit lang beobachtete Aiden ihn noch, dann schlief auch er endlich ein.
 

Sie schliefen bis mittags und Aiden war der erste, der die Augen wieder aufschlug.

Reel hatte sich im Schlaf nicht nur an ihn gekuschelt, sondern ihn vollkommen vereinnahmt. Sein Kopf lag auf Aidens Schulter, seine Arme umklammerten eisern seinen Oberkörper und eins seiner Beine lag quer über Aidens Hüfte. Aber eigentlich wunderte ihn das schon gar nicht mehr.

Zärtlich fuhr er Reel durch die Haare bis auch dieser endlich seine roten Augen öffnete und Aiden ansah.

„Guten Morgen, Reel.“

„Morgen, Sunshine.“ Schlaftrunken kuschelte er sich an Aiden und wartete darauf, dass dieser ihm den Nacken kraulte. Mit einem Schmunzeln gab der dem stummen Wunsch nach.

„Die Verwandlung muss ja wirklich anstrengend sein. Du bist sofort eingeschlafen.“ Verschlafen nuschelte Reel seine Antwort in Aidens Shirt.

„Dich will ich mal sehen, wie du das Erscheinungsbild deines Körpers nur durch Willenskraft änderst.“

„Ich sag ja schon gar nichts mehr.“ Nach einer Weile versuchte er Reel zum Aufstehen zu bewegen, was dieser solange mit einem unterschwelligen Knurren quittierte, bis Aiden ihn daran erinnerte, dass sie heute in die Stadt gehen und Reels neue Fähigkeit ausprobieren wollten.

Endlich konnte sich Aiden aus der Umklammerung befreien und ins Bad verschwinden. Nach einem kurzen Abstecher in den Speisesaal, ging es dann zur Bushaltestelle und in die Innenstadt.
 

Dort suchte sich Aiden eine verlassene Seitengasse und Reel löste sich von ihm. Langsam nahm er wieder seine menschliche Gestalt an und die falschen Augen rückten an die Stelle der glühend-roten.

Reel war aufgeregt. Endlich konnte er sich mal wieder – mehr oder weniger – frei unter Menschen bewegen, also griff er eilig nach Aidens Hand und zog ihn mit sich. Sein Ziel war der Laden für Künstlerbedarf, in den er Aiden schon einmal geschickt hatte.

Er brauchte nichts Neues, aber er wollte einfach einmal selbst in den Laden gehen. So richtig als Mensch und nicht nur als Aidens ungesehener Begleiter.

Aiden kannte diese Art von Verhalten von seinem Dämon nur zu gut und eigentlich machte es ihm inzwischen auch nicht mehr viel aus, aber die irritierten Blicke der Passanten erinnerten ihn wieder daran, dass es für zwei Jungs nicht unbedingt üblich war händchenhaltend durch die Stadt zu laufen. Kurz überlegte er sich von Reel loszureißen, aber dafür kannte er ihn einfach viel zu gut.

Aidens Widerstand würde ihn nur umso mehr beflügeln und dann konnte er sich auf was gefasst machen. Also ertrug er das unbehagliche Gefühl von allen angestarrt zu werden und achtete darauf niemandem in die Augen zu sehen.

Der Laden war zu Aidens Erleichterung recht leer und Reel löste sich auch bald freiwillig von ihm um beide Hände frei zu haben. Eifrig untersuchte er verschiedene Produkte und probierte einige Stifte aus. Mit seinem begeisterten Gesichtsausdruck erinnerte er Aiden an ein Kind im Spielzeugladen und so verbrachten sie eine ganze Weile in dem Laden ohne etwas zu kaufen. Für Reel war es eine Erfahrung, die er so nie hatte sammeln können.

Die Fähigkeit sich unter Menschen bewegen zu können, eröffnete ganz neue Möglichkeiten für ihn, von denen er niemals gedacht hatte, sie noch zu bekommen. Aiden ertrug das Spiel ohne ein Anzeichen von Unmut. Er konnte es Reel nicht verübeln und seinen Dämon so zu sehen, hatte schon etwas unterhaltsames für ihn.
 

Irgendwann konnte Aiden dessen Erschöpfung immer deutlicher spüren und er begann sich Sorgen um ihn zu machen.

„Reel, du hältst die Verwandlung jetzt schon seit über drei Stunden aufrecht. Du solltest langsam Schluss machen.“

„Aber...“ Reels Unterlippe bebte leicht und seine viel zu dunklen Augen blickten Aiden unglücklich an. Er wollte dieses Stück Freiheit nicht schon wieder aufgeben müssen, aber er wusste selbst, dass Aiden recht hatte.

„Okay, Sunshine.“ Wieder ergriff er Aidens Hand und ließ sich von ihm aus dem Laden führen. Auf dem Rückweg hielt Aiden noch an einem Drogeriemarkt und kaufte eine Packung schwarzer Haargummis.

„Als Entschädigung für das, was ich zerrissen hab.“ Reel lachte leise auf und drückte dankbar seine Hand.

Noch immer verfolgten sie überall die argwöhnischen Blicke. Reel allein wäre mit seinem unkonventionellen Erscheinungsbild schon ein Blickfang gewesen, aber die Tatsache, dass er auch noch dauerhaft Aidens Hand hielt und ihn 'Sunshine' nannte, brachte ihnen eine Menge ungewollter Aufmerksamkeit ein und Aiden betete inständig, dass niemand aus dem Internat ihn so sah.

An einer Fußgängerampel mussten sie warten und Reel stützte erschöpft seinen Kopf an dem von Aiden ab. Unauffällig rückte die Frau, die bis eben noch direkt neben ihnen gestanden hatte, einige Schritte zur Seite und auch ein junger Mann hinter ihnen nahm etwas Abstand.

Aiden lief genauso rot an wie das Ampelmännchen vor ihm, zwang sich jedoch dazu Reel nicht von sich zu stoßen. Zum einen wäre das mehr als unfair ihm gegenüber gewesen und zum anderen genoss er dessen Nähe ja für gewöhnlich auch.

Endlich wechselte die Ampel auf Grün und die Menschentraube setzte sich in Bewegung.

Nur noch hier um die Ecke und dann konnte Reel sich endlich in seinem Körper ausruhen. Schwungvoll bog Aiden mit Reel an der Hand rechts ein – und prallte zurück.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück