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Desaster

von

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Vier Stufen auf einmal nehmend, rannte Steve die Treppen hinunter. Jarvis hatte ihm mitgeteilt, dass Loki auf seiner eigenen Etage ausgestiegen war. Das bedeutete zwar sicher, dass er alleine sein wollte, aber ehrlich gesagt war das dem Soldaten ziemlich egal. Er wollte Loki in eine Umarmung ziehen und zumindest die nächsten Stunden damit verbringen ihn zu halten, mit seiner Nase in den schwarzen Strähnen versenkt, um seinen Geruch einatmen zu können.

Andererseits hatte er Bedenken. Loki hatte deutlich gemacht, dass er auch von ihm - vielleicht auch gerade von ihm - momentan nicht angefasst werden wollte. Am Anfang hatte noch alles in Ordnung ausgesehen, doch als Clint den Mund aufgemacht hatte, war alles bergab gegangen. Loki hatte ihn von sich geschoben und auf Abstand gehalten. Das hatte ganz schön weh getan. Tat es immer noch.

Steve wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste, dass er Loki auf keinen Fall alleine lassen wollte, dass er ihn zumindest sehen wollte. Und sollte seine Anwesenheit ihm nicht helfen? Waren Partner nicht auch für solche Sachen da? Um zu helfen, wenn es einem nicht gut ging? Um füreinander da zu sein?

Was wenn Loki ihn wieder ablehnte? Wenn Loki ihn nicht bei sich haben wollte? Wenn er ihn lediglich störte?

Steve hatte keinen Schimmer, wie sein Freund reagieren würde. Nicht nur, dass sie erst drei Wochen ein Paar waren, eine davon, war Loki ja auch noch zusammen mit Pepper verschwunden gewesen. Außerdem hatte der Asgardier bislang äußerst wenig über sich gesprochen. Generell hatten sie eher wenig miteinander geredet. Sobald sie alleine gewesen sind, ist praktisch einer sofort über den anderen hergefallen.

Tief durchatmend betrat der Soldat die betreffende Etage. Tony hatte sich hier genauso ausgetobt, wie bei jedem anderen. Der Flur war in verschiedenen Grüntönen angestrichen - aus einem nicht ersichtlichen Grund war am Ende des Flurs ein Rentier mit einer roten Nase an die Wand gemalt - und der Boden sah aus, als wäre er aus Gold. Steve dachte besser nicht nach, ob der Milliardär tatsächlich echtes Gold in irgendeiner Form verwendet hatte.

Etwas nervös, blieb er vor der Tür stehen. Jarvis öffnete sie nicht einfach kommentarlos wie üblich. Das machte Sinn. Schließlich war Loki jetzt genauso berechtigt sie an der Tür abzuweisen, wie jeder andere. Zumindest entnahm Steve das Tonys Aussage ihm Avengers Status zu verleihen. Allerdings bedeutete das auch, dass Jarvis dem Asgardier bereits mitgeteilt hatte, dass Steve vor der Tür stand. Würde er ihn hier direkt abweisen? Ohne ihn auch nur zu sehen? Ohne auch nur ein Wort mit ihm gesprochen zu haben? Und warum sagte Jarvis nichts? Er würde ihm doch zumindest mitteilen, dass Loki ihn nicht sehen wollte.

Doch bevor Steve es schaffte sich in einen panikhaften Zustand hineinzudenken, glitt die Tür zu Seite und gab die Sicht in das Appartement frei. Er konnte den Wohnzimmerbereich überblicken. Loki stand mit dem Rücken zu ihm an den riesigen Panoramafenstern. Das Glas war an der Stelle, an der er stand, in den Boden zurückgeglitten und Steve war auf einmal äußerst dankbar für die Geländer, die davor angebracht waren, damit niemand einfach herausfallen konnte. Seiner Körperhaltung nach zu urteilen, stützte Loki sich an diesem ab. Das offene Fenster erklärte die Zugluft, in der Steve stand. Sie ließ die schwarzen Strähnen seines Freundes tanzen, zerrte an seiner Kleidung. Die Sonne schien hinein, an der Stelle, an der Loki stand. Sein Gesicht war nach oben geneigt, der Sonne zugewendet. Es erinnerte den Soldaten an die Situation, in der er verstanden hatte, was mit ihm los war.

Etwas zögerlich trat Steve ein. Er näherte sich seinem Freund nur langsam, wollte ihm genug Zeit lassen, um auf ihn zu reagieren. Andererseits machte er sich lediglich was vor, wenn er glaubte, Loki würde nicht ganz genau wissen wo er war und was er tat. Immerhin hatte er ihn reingelassen.

„Zu Beginn sagte ich, ich wolle dir solange gehören, wie du mich willst.“, ergriff der Asgardier das Wort, als Steve nur noch zwei Meter von ihm entfernt war. Er nahm seine Hände vom Geländer und ließ seine Arme einfach an seine Seiten fallen, blieb mit dem Rücken aber zu ihm gedreht. Seine Stimme klang sachlich, neutral, emotionslos. Sie wurzelte Steve am Boden fest. Hatte er ihn reingelassen, um mit ihm Schluss zu machen?

Doch Loki schwieg danach. Als hätte er ihn nur daran erinnern wollen. Wozu?

„Loki…“, fing Steve an. Er löste sich aus seiner eigenen Starre und überwand die knappe Distanz zwischen ihnen. Ihn anzurühren, traute er sich aber nicht. Hatte Angst, Loki könne ihn wieder abweisen. Stattdessen stellte er sich etwa zwei Meter neben ihn ans Fenster. Er betrachtete seinen Freund, wie er dastand, sein Gesicht in Sonnenlicht getaucht, Augen geschlossen. Wunderschön. „Ich erinnere mich.“, sagte Steve lediglich. Wie könnte er das auch jemals vergessen? Es würde ewig in seinen Verstand eingebrannt bleiben. Steves Blick fiel auf das Geländer vor Loki. Das Metall direkt vor ihm war verbogen und zusammengepresst. An einer Stelle war es vom Rest abgebrochen und schaukelte im seichten Wind leicht hin und her, immer wieder ein metallenes Knarzen verursachend, wenn die beiden Enden aneinanderstießen.

„Ich verstehe es, wenn du mich nicht mehr willst.“, sagte Loki dann.

„Was?“, entglitt es Steve und er sah wieder hoch. Ungläubig starrte er den anderen Mann an, der sich noch immer nicht rührte. Hatte er das gerade wirklich gesagt? „Wovon redest du?“, wollte er dann wissen. Es juckte ihn in den Fingern nach Loki zu greifen und ihn wenigstens dazu zu bringen ihn anzusehen. Seine Worte allerdings schienen genauso wirkungsvoll gewesen zu sein, denn der Asgardier öffnete seine Augen und drehte den Kopf zur Seite, betrachtete ihn. Steve konnte keinerlei Emotionen in dem Gesicht lesen. Nichts.

„Loki…“ Steve trat auf seinen Freund zu, doch der wich sofort zurück. Ein Blick voller Angst traf ihn und der Soldat spürte, wie sich sein Magen zu verknoten schien. Es hatte nur den Bruchteil einer Sekunde gedauert. Gleich darauf waren die Emotionen aus dem Gesicht des Asgardiers wieder verschwunden. Als wäre nichts gewesen.

Unschlüssig blieb Steve wieder stehen. Er wusste nicht, was er tun sollte. Loki hatte Angst vor ihm. Es tat weh. Aber verstehen konnte er es dennoch. Was auch immer SHIELD genau mit ihm gemacht hatte, das alles hatte Steve vorhin wieder hervorgeholt. Es war kein Wunder, dass Loki seine Nähe gerade nicht ertrug. Es schmerzte trotzdem.

„Was kann ich tun?“, fragte er also. Denn er musste irgendetwas tun. Er hatte das alles angerichtet. Wie war er auch nur auf den dämlichen Gedanken gekommen, dass es eine gute Idee wäre jemanden der über ein Jahr lang an irgendwelche OP-Tische gefesselt gewesen war, nach unten gegen die Matratze zu pinnen? Das hätte er doch wissen müssen, dass das schief gehen könnte! Andererseits war er ja auch überzeugt gewesen, dass Loki keine Probleme hätte sich zu befreien, wenn er das wirklich wollte. Anscheinend hatte er falsch gelegen. „Ich weiß, das ist meine Schuld.“, begann er. „Ich habe nicht nachgedacht. Ich würde dir nie absichtlich weh tun.“ Steve hatte das Bedürfnis das erneut zu erwähnen. Er war sich auf einmal nicht mehr so sicher, ob das dem Asgardier so klar war. Immerhin war die Angst vor ihm nicht wirklich neu. Zu Beginn hatte er vor Jedem Angst gehabt. Dann waren ihre beiden Agenten weg gewesen und in der Zeit in der er sich mit Tony, Pepper und Bruce anfreundete und ihre Nähe akzeptierte, hatte er um den Soldaten weiterhin einen Bogen gemacht. Ihn immer wieder seltsam angesehen, war ihm ausgewichen. Hatte sich nie in seiner Reichweite aufgehalten. Damals hatte der Soldat sich nicht so einen Kopf darum gemacht. Zumindest nicht bewusst. Es hatte eine Weile gedauert, bis er überhaupt gemerkt hatte, dass es ihn störte.

„Ich weiß.“, stimmte Loki etwas irritiert wirkend zu. Die grünen Augen musterten ihn. „Ich wollte dir keine Absicht unterstellen.“ Der Asgardier seufzte leicht und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Obwohl er gerade erst so viel geschlafen hatte, wirkte er sofort müde. „Noch nicht einmal mir war klar, was das hervorrufen würde.“. gab er zu. „Ich sehe nicht, wie du dir die Schuld daran geben kannst.“ Sein Gesicht wandte sich wieder nach draußen. Sonnenstrahlen gaben der blassen Haut einen gelben Stich. Als würde sich Gold in seinem Gesicht spiegeln. Er wirkte fast wie ein Gemälde.

„Trotzdem hast du jetzt wieder Angst vor mir.“, gab Steve zu bedenken. Überrascht sah Loki ihn wieder an und der Soldat verwarf, was auch immer er als nächstes sagen wollte. „Nicht?“, fragte er stattdessen etwas verwirrt.

„Ich fürchte mich keineswegs vor dir. Seit längerem nicht mehr.“, antwortete sein Freund. Er legte den Kopf schief, und betrachtete ihn, als würde er allein dadurch eine Erklärung erhalten.

„Aber…“, fing Steve an. Er verstummte wieder. Das bildete er sich doch nicht ein, oder?

„Die Situation vorhin, das lag nicht an dir. Oder eher, nicht an dir persönlich.“, ergriff Loki das Wort. Seine Augenbrauen schoben sich zusammen und er wandte den Blick wieder ab, sah hinunter. Zu Boden. „Als ich die Kontrolle verloren habe, wusste ich nicht, wer du bist. In meinem Kopf… war ich zurück bei SHIELD. Die Gestallt über mir… das warst nicht du.“ Es war nicht leicht herauszuhören, aber Steve bemerkte, wie die Stimme seines Freundes zwischendurch brach. Es war schwer für ihn darüber zu sprechen.

Der Soldat spürte wie sein Brustkorb sich zusammenzog. Eine Art von Verzweiflung nistete sich ein. Er konnte Loki nicht vor dem schützen, was ihm bereits zugestoßen war. Er konnte es nicht rückgängig machen. Er konnte nicht einmal die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Nichts konnte er tun, was das wieder gut machen würde. Der Asgardier würde diese Erinnerungen sein ganzes Leben mit sich tragen. Ein sehr langes Leben.

„Und was ist jetzt? Du weichst vor mir zurück und schiebst mich weg.“ Steve spürte den Stich in seinem Herzen. Die Erinnerung schmerzte. Die Erinnerung daran, wie diese großen grünen Augen ihn angesehen hatten. Es brachte nichts, wenn er das ignorierte. Wollte Loki so tun, als sei es nicht da? Bemerkte er es selbst nicht? Ignorierte er es? Das war nicht in Ordnung. Es schien nicht so als wollte er mit ihm Schluss machen. Das hätte er bereits. Wenn sie ein Paar bleiben wollten, und Steve wollte das definitiv, dann mussten sie das irgendwie aus der Welt schaffen. Es ging nicht, dass in einer Beziehung einer vor dem Anderen Angst hatte! Es ging nicht, dass er Loki tröstend in die Arme ziehen wollte und dieser vor ihm zurückwich. Zumindest nicht aus Furcht.

„Ich habe dich verletzt.“, sagte Loki dann. Er sah wieder zu ihm hoch. Sein Gesichtsausdruck war fast emotionslos, als er das aussprach. „Jeden anderen Midgardier hätte ich damit umgebracht.“, murmelte er noch hinterher. Seine Stimme klang etwas erstickt. Als hätte er Mühe den Satz überhaupt über die Lippen zu bringen. Sie war so emotionsbeladen, dass es Steve aus lauter Mitgefühl beinahe die Tränen in die Augen trieb. Lokis Blick fiel wieder zu Boden. „Ich habe die Kontrolle verloren. Ich wusste nicht, dass das geschehen würde. Was wenn es wieder passiert? Wenn du etwas tust, das mich erneut die Kontrolle verlieren lässt. Was, wenn es dann schlimmer ist?“, fing er an herunterzubeten. Er sah wieder hoch. Sein Blick war voller Angst, Panik spiegelte sich in seinem Gesicht. „Wenn ich dich ernsthaft verletzte.“

Steve starrte seinen Freund an. Das war das Problem? Er hatte keine Angst davor, was Steve ihm antun könnte, sondern was er Steve antun könnte?

„Nein.“, sagte der Soldat bestimmt und trat auf Loki zu, der sofort wieder nach hinten zurückwich. Jedoch schien ihn diese Aktion etwas zu überraschen, die Reaktion kam verzögert. Zu spät. „Hör auf damit.“, verlangte Steve und schaffte er ihn am Oberarm zu packen, bevor er wieder außer Reichweite gelangen konnte. Ohne weiter darüber nachzudenken, zog er Loki an sich. Die Gegenwehr ignorierte er einfach und schlang seine Arme um den schmalen Körper, drückte ihn an sich. Jegliche Resistenz erstarb fast sofort und Loki ergab sich einfach in sein Schicksal.

„Du kannst das nicht einfach ignorieren.“, murmelte er jedoch gegen Steves Schulter an der er sein Gesicht vergrub.

„Wir werden es nicht ignorieren.“, versprach der Soldat. Er drückte einen Kuss auf Lokis Ohr und nestelte seine Nase zwischen die schwarzen Strähnen dahinter. „Aber wir lassen uns auch nicht davon beherrschen.“ Es klang wie ein Versprechen. Ein Schwur. Und Steve meinte jedes einzelne Wort davon. Er wusste jetzt von dieser Problematik und er war sich sicher, dass da noch einiges mehr war, das er noch nicht bemerkt hatte. Das anscheinend noch nicht einmal sein Freund selbst komplett bisher entdeckt hatte.

„Lass mich deinen Rücken sehen.“, verlangte Loki auf einmal, schob seine Hände zwischen sich und Steve und drückte ihn von sich. Allerdings nur soweit, dass sie sich gegenseitig ansehen konnten. Die Panik war wieder verschwunden. Dafür wirkte er jetzt unsicher. Es war seltsam. Steve könnte schwören sein Shirt fühlte sich feucht an an der Stelle, wo Loki sein Gesicht dagegen gedrückt hatte. Aber er konnte nichts erkennen. Loki sah ihn mit seinen unglaublichen, grünen Augen schon fast etwas trotzig an. Seine hohen Wangenknochen fügten sich nun inzwischen fast normal in sein Aussehen ein, ohne ihn skelettartig aussehen zu lassen. Die Haut hatte ihren Grauton verloren, er war zwar weiterhin blass, aber es hatte inzwischen eher etwas von Adelsblässe. Die Lippen unterschieden sich farblich deutlich davon und wiesen keinen Makel mehr auf. Sie waren nirgendwo mehr aufgesprungen oder eingerissen. Wenn seine Wangen sich noch ein kleines Bisschen füllen würden, könnte man ihn für gesund halten. Er sah inzwischen besser aus, als bei seinem Angriff auf New York. Gesünder. Stabiler.

Steves Brustkorb zog sich wieder schmerzhaft zusammen, als ihn eine Befürchtung traf. Es passte nicht. Vorsichtig hob er eine Hand an und legte sie dem Asgardier an die Wange. Diesmal zuckte er nicht zurück, sah ihn aber fragend an. Behutsam fuhr Steve mit dem Daumen unter seinem Auge über die Wange. Er spürte die Feuchtigkeit dort. Auch wenn seine Augen ihm weiß machen wollten, dass es nichts zu sehen gab. Und wieder spürte er die kleinen Stiche, die in seiner Herzgegend zustießen und sich schmerzhaft hineinbohrten.

„Wenn du deine Illusion fallen lässt.“, antwortete der Soldat schließlich.

Ertappt schloss Loki kurz die Augen und atmete ein. Als er den Mund öffnete und seinen Blick erwiderte, wusste Steve sofort, dass irgendein Gegenargument kommen würde. „Ich will nichts hören.“, schnitt er ihm direkt das Wort ab und verhinderte, dass Loki sich von ihm entfernte, indem er beide seine Hände ergriff. Zwar ließ er zu, dass er einen Schritt zurücktrat, aber mehr Distanz akzeptierte er nicht. Er wusste nicht, was in Lokis Kopf vor sich ging. Wahrscheinlich war sein eigenes Gehirn viel zu einfach gestrickt, um nachvollziehen zu können, was bei ihm los war. Die Tatsache, dass er fast gar nichts über ihn wusste, machte es auch nicht wirklich leichter. Doch er konnte nicht leugnen, dass es weh tat, dass Loki es offenbar für nötig hielt ihm etwas vorzuspielen. Immer noch.

Minuten verstrichen, bevor der Asgardier wieder hochsah. Er wirkte unsicher.

„Loki, bitte.“, flehte Steve schon fast.

Resignierend atmete der Asgardier aus. Sein Blick fiel wieder nach unten, doch sein Griff um Steves Hände wurde fester. Das war doch gut, oder? Es war wahrscheinlich weniger gut, dass er ein leichtes Zittern spüren konnte.

Wenige Sekunden später sah Loki wieder hoch. Steve zog die Luft scharf zwischen seinen Zähnen ein. Seine eigenen Hände schlossen sich fester um die seines Freundes. Die rot unterlaufenen, aufgequollenen Augen in dunklen Augenhöhlen waren das Erste, das Steve ins Gesicht sprang. Doch dann fielen ihm die eingerissenen Mundwinkel auf, an den fast weißen Lippen. Seine Adelsblässe verlor ihren edlen Hauch und wirkte einfach nur noch ungesund. Die nun noch mehr eingefallenen Wangen schienen auf einmal wie das geringste Problem.

Wann hatte Loki zuletzt so schlimm ausgesehen? Das war ungefähr zu der Zeit gewesen, als sie damals zum ersten Mal einen Bildband gemeinsam angesehen hatten. Wie lange war das her? Drei Monate?

„Aber…“, fing der Soldat irritiert an. Er ließ eine Hand los und zog mit der anderen seinen Freund wieder näher an sich heran. Vorsichtig fuhr er mit den Fingerspitzen über die eingerissenen Mundwinkel. Er konnte die Unregelmäßigkeiten unter seinen Fingern spüren, wenn auch nicht gut. Es war echt. „Wieso?“, fragte er dann äußert wortgewandt. Aber ihm fiel nichts anderes ein.

„Tony und die Lady Virginia haben mich immer so verzweifelt angesehen. Und Dum-E hat nicht aufgehört mir Süßigkeiten hinzuhalten.“, erklärte Loki schließlich.

„Okay.“, sagte Steve. „Okay. Das verstehe ich.”, gab er zu und zog ihn noch ein kleines bisschen näher an sich heran. Sein Beschützerinstinkt hatte sich gerade in die erste Reihe vorgekämpft. Wieso dauerte die Genesung so lange? Loki war ein Asgardier. Die brauchten nicht so lange um sich zu erholen. Zumindest nicht diejenigen, die er kannte. Hatte das alles wieder mit den Flüchen zu tun? Immerhin sah er besser aus, als in der Militärbasis. Ungesund, aber lebensfähig. Das hieß, dass er zumindest langsam stärker wurde. „Kannst du darüber reden?“, fragte er.

Daraufhin wandte Loki lediglich den Blick ab.

Ehrlich gesagt erklärte das auch, warum sich sein Körper unter Steves Fingern noch immer so dünn angefühlt hatte, auch wenn ihm das im Gesicht kaum noch anzusehen gewesen war. Es erklärte sogar, warum Loki sich geweigert hatte sich unter der Kleidung anfassen zu lassen. Dann wäre es nur noch deutlicher geworden. „Ich will, dass du das sein lässt.“, verlangte er dann.

„Ja, natürlich.“, seufzte Loki und Steve musste verhindern, dass er ihm seine Hand wegzog. Etwas irritiert sah der Asgardier wieder hoch.

„Du verstehst aber schon, warum ich das will?“, hakte Steve also nach. Doch es kam keine Antwort. Es sah aus, als traute Loki sich nicht etwas zu sagen, obwohl er einen Gedanken dazu hatte. Also nahm Steve das Gesicht seines Freundes zwischen seine Hände und zwang ihn dazu ihn anzusehen. „Du bist hier unter Freunden. Du musst und sollst dich nicht vor uns verstecken.“ Dann beugte er sich nach vorne und drückte einen Kuss auf die blassen Lippen. „Wir sind diejenigen, bei denen du dich vor anderen versteckst, wenn das notwendig ist.“ Eine Weile sahen sie sich gegenseitig wortlos an. Loki schien noch nicht ganz begriffen zu haben was vor sich ging. Zumindest wirkte er verwirrt.

„Willst du mich hier ablenken?“, fragte der Asgardier schließlich. „Zeig mir deinen Rücken.“

Seufzend und wirklich widerwillig ließ Steve seine Hände wieder sinken, allerdings nicht, bevor er ihm noch einen weiteren Kuss gestohlen hatte, umfasste den Saum seines T-Shirts und zog es sich über den Kopf. Er drehte sich, sodass Loki freie Sicht hatte. Kaum einen Augenblick später spürte er kühle Luft an der vom Riesenpflaster bedeckten Wunde und ihm war klar, dass sein Freund es wahrscheinlich mit einer kaum wahrnehmbaren Geste einfach hatte verschwinden lassen. In letzter Zeit hatte er diese Fähigkeit häufiger beobachtet. Loki zog sich auf diese Weise um. Seine Nachtgarderobe verwandelte sich mit einem Schlenker seines Handgelenks in seine gewöhnliche Kleidung. Ihm wurde bereits erklärt, dass er sie lediglich tauschte und nicht umwandelte. Ganz so als wäre das eine Erklärung dafür, warum es kein allzu spektakulärer Trick war. Es war dennoch jeden Morgen und Abend erstaunlich das zu beobachten. Leider verhinderte das aber auch jeglichen Blick auf Lokis Körper für ihn. Was ihn nun aus deutlich mehr Gründen störte als vorher.

„Setz dich.“, befahl Loki und dirigierte ihn zur Couch. Widerstandslos folgte er der Anweisung. Er wusste, was passieren würde. Sobald er saß, spürte er auch schon die Hände seines Freundes auf seiner aufgerissenen Haut. Gleich darauf breitete sich angenehme Wärme dort aus. Am liebsten würde er es aufhalten. Loki sollte seine Kraft für sich behalten, anstatt eine Verletzung zu heilen, die von sich aus in zwei bis drei Tagen kaum noch zu sehen sein würde. Andererseits verstand er das Verlangen ihn heilen zu wollen. Erst recht, wenn er sich irgendwie dafür verantwortlich fühlte.

Also hielt Steve den Mund. Außer zu einem Streit würde es ohnehin nirgendwo hinführen.

„Was ist mit deinem Rücken?“, wollte er schließlich wissen. „Ist deine Wunde weg? Oder war das auch nur eine Illusion?“

„Meine Wunde ist verheilt.“, beruhigte Loki ihn und rutschte etwas näher an ihn heran, sodass Steve die Körperwärme des anderen Mannes fühlen konnte.

„Was war es? Bruce meinte unsere Bakterien schaden euch Asgardiern nicht.“, hakte er nach.

„Etwas von Außerhalb. Es nutzte meinen geschwächten Zustand um sich auszubreiten.“, erklärte Loki und bestätigte damit nur die Theorie, die Bruce damals schon aufgestellt hatte.

„Und du hast keine Angst vor mir?“, wollte er noch einmal wissen.

„Nein. Nicht mehr.“, bestätigte der Asgardier und rückte noch etwas näher heran, sodass er schließlich gegen ihn lehnte. Seine Stirn legte er auf seiner Schulter ab. Ganz so, als wolle er ihm beweisen, dass es stimmte.

„Wann hat es aufgehört?“, wollte der Soldat wissen. Er drehte den Kopf zur Seite. Aber Lokis Gesicht war nicht zu sehen, es war nach unten gerichtet. Nur einige der schwarzen Strähnen fielen über seine Schulter.

„Schwer zu sagen. Du warst das größte Risiko. Ich schätze, irgendwann nach der Renaissance.“, antwortete Loki. Steve spürte die schlanken Finger über seinen Rücken zu einer anderen Position gleiten.

„Wieso war ich das größte Risiko?“ Er wäre definitiv in einer direkten Konfrontation nicht Lokis größtes Problem.

„Du bist unberechenbar.“

Okay. Das machte für den Soldaten nicht unbedingt mehr Sinn.

„Was meinst du damit?“

„Bei dir gibt es keine Voraussetzungen. Deine Stärke steht in keiner weiteren Abhängigkeit.“, erklärte Loki. „Tony müsste seinen Anzug anziehen. Bruce müsste zum Hulk werden. Ich würde sehen, dass ich in Schwierigkeiten bin, bevor ich mitten drinstecke. Bei dir ist das anders.“

Steve dachte einen Moment darüber nach. Natascha und Clint waren zwar nicht zu vergessen, aber für jemanden wie Loki wohl nicht allzu gefährlich, auch wenn Clint deutlich bewiesen hatte, dass man ihn nicht unterschätzen sollte. Doch auch er brauchte seinen Bogen oder sonst irgendeine Waffe. Und mit Tony und Bruce hatte er Recht. Iron Man war gefährlich, ebenso wie der Hulk. Aber Tony und Bruce? Für einen Asgardier? Wahrscheinlich eher weniger. Auch wenn nie so richtig klar war, was der Milliardär per Sprachbefehl alles anrichten konnte. Erst recht innerhalb seines eigenen Towers. Das Supersoldat Serum in Steves Körper war immer aktiv. Er konnte es nicht ein- und ausschalten.

Er verkniff sich die Frage danach, ob ihm wirklich klar war, dass Steve ihm niemals weh tun würde. Das Verlangen danach unterdrückte er, es kam ihm irgendwie dämlich vor das noch immer klarstellen zu wollen. Loki wusste das.

„Als du nach Amora aufgewacht bist. Du hast mich erkannt. Wieso hattest du da Angst?“, wollte er dennoch wissen. Er erinnerte sich daran, wie sehr ihm das zugesetzt hatte. Wie er Tony am liebsten angefallen hätte, als Loki seine Nähe sofort akzeptiert, ja sogar begrüßt hatte, während er vor ihm zurückgewichen war. Wie es sich angefühlt hatte.

Lokis Hände arrangierten sich erneut auf Steves Rücken um. Es dauerte einen Moment, bis er antwortete. „Das hat an dem Traum, aus dem ich erwacht war, gelegen. Die Umstände waren vergleichbar und es gelang mir nicht die Erinnerung abzuschütteln.“

Und wieder spürte Steve Eifersucht in sich emporsteigen. „Aber Tonys Anblick hat dir dabei geholfen?“, fragte er bevor er sich davon abhalten konnte. Er klang deutlich genervter, als er wollte. Wieso regte es ihn überhaupt so auf? Da waren sie noch nicht einmal ein Paar gewesen.

Diese Reaktion schien auch Loki zu überraschen, denn er hob den Kopf wieder an und Steve stellte mir Bedauern fest, dass der angenehme Geruch sich verflüchtigte. Doch zumindest blieben die Hände seines Freundes genau dort, wo sie waren.

„Tony kam in dem Traum nicht vor.“, sagte er schließlich. „Das hat mir klar gemacht, dass es nichts weiter als eben das gewesen ist. Ein Traum.“

„Was habe ich darin getan?“, hakte der Soldat weiter nach.

Nun glitten Lokis Hände an seinem Rücken herunter, bis sie keinen Kontakt mehr hatten. „Du bist gestorben.“, antwortete Loki leise. „Ich hatte dich umgebracht.“, fügte er hinzu. Es klang als würde ihn der bloße Gedanke anwidern.

Überrascht drehte Steve sich um. Der Asgardier sah ihn nicht an. Mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte er hinunter auf die Couch, bevor er die Augen schloss und mit einer Hand über sein Gesicht fuhr.

Kurzentschlossen griff der Soldat nach seinem Freund und zog ihn zu sich heran. Er spürte ihn sich anspannen, doch es kam keine Gegenwehr. Mit dem Asgardier in seinen Armen lehnte er sich nach hinten, schwang seine Beine hoch und legte sich auf den Rücken, mit ein paar Kissen unter sich, sodass er in einer leichten Schräge lag. Loki lag auf ihm. Einen Moment wirkte es, als wolle er sich wieder aufraffen, doch letztendlich ließ er sich einfach gegen Steve sinken und legte den Kopf auf seiner Brust ab. Es kam keine Beschwerde.

Dieser Gedanke beschäftigte den Asgardier also schon seit längerem. Der Gedanke daran jemand anderem weh zu tun. Die Befürchtung jemanden zu verletzten, aus welchen seltsamen Gründen auch immer. Wie viele von seinen Albträumen hatten davon gehandelt, dass er das tat? Es hatte ihm offenbar einen gehörigen Schrecken versetzt.

„Was noch?“, wollte Steve dann wissen. Eine einer Hand strich beruhigend über Lokis Rücken, während seine andere eine Hand seines Freundes ertastet und ihre Finger ineinander verschlungen hatte. „Ich überlasse dir komplett die Oberhand in… intimen Situationen.“ Es klang komisch, wie er das so sagte. „Gibt es noch etwas anderes?“, fragte er schließlich. Auch wenn er nicht einmal im Entferntesten daran dachte den Zwischenfall in irgendeiner Weise ihre Beziehung belasten zu lassen, er hatte nicht wirklich Lust auf eine Wiederholung. Er war nicht ignorant genug, um nicht zu verstehen, dass sich daraus wirklich gefährliche Situationen ergeben könnten.

„Das ist unnötig.“, antwortete der Asgardier ohne ihn anzusehen. Er blieb einfach mit seinem Gesicht, seitlich auf Steves Brust liegen. „Es war eher die Erkenntnis erneut an eine Unterlage gefesselt zu sein. Als ich merkte, dass ich trotz aller Macht nicht freikam, hat das unangenehme Erinnerungen geweckt. Es ist ausreichend, dies zu vermeiden.“

Ohne es wirklich zu wollen sah er erneut vor seinem inneren Auge, wie sie Loki in der Militärbasis vorgefunden hatten. An einen OP-Tisch geschnallt. Skelettartig. Die Haut an den Stellen wo Metallfesseln ihn unten hielten aufgerissen. Geruch von Infektion und Krankheit in der Luft. Der Rücken fast komplett offen und eiternd. Steve kannte solche Wunden. Er hatte sie im Krieg immer wieder gesehen. Sie entstanden, wenn man zu lange unbeweglich auf der gleichen Stelle lag. Wie lange musste ein Asgardier so daliegen, bis sich so etwas bildete? Wie lange hatten diese Unmenschen ihn in dieser Position gehalten? Untersucht? Angefasst? Aufgeschnitten? Und was immer noch sie mit ihm getan hatten, während er wehrlos alles hatte über sich ergehen lassen müssen?

Steve spürte wie sich ihm der Magen wieder einmal umdrehte bei dem Gedanken und er schob ihn so schnell von sich, wie ihm möglich war, während sein Griff um seinen Freund fester wurde. Und dann sofort wieder lockerer, als er erkannte, was er da tat. Nicht festhalten! Nicht klammern!

„Du überdenkst die Situation.“, kommentierte Loki nach einigen Sekunden. Er richtete sich etwas auf, stützte sich mit seiner freien Hand auf der Couch ab und sah zu Steve hoch. Grüne Augen musterten ihn. Diese unglaublichen, grünen Augen. „Deine Dominanz war bisher kein Problem. Erst als du mich unter dir fixiert hast.“

„Ich will nicht, dass es unangenehm für dich ist.“ Steve strich eine schwarze Strähne aus dem blassen Gesicht seines Freundes. Wie oft hatte er Loki seit sie ein Paar waren einfach an sich gezogen, ihn festgehalten, gegen eine Wand gedrängt? Hatte das jedes Mal ein Ausschlag in eine solche Panikattacke gegeben, die nur nicht ausgebrochen war, weil er schnell genug die Oberhand gewonnen hatte? Riss er sich nur zusammen, um ihn nicht jedes Mal von sich zu schieben, wenn nach ihm gegriffen wurde? „Du hättest mir etwas sagen sollen. Du musst mir so etwas sagen.“

„Es ist nicht unangenehm. Eher das Gegenteil.“, sagte Loki und setzte sich auf. Kam aber nicht weit, weil Steve sich nicht seine Hand entziehen ließ. Also nahm er rittlings auf Steves Hüften Platz. „Ich sagte bereits, meine Reaktion kam selbst für mich unvorhergesehen.“ Dann schlich sich ein leichtes Grinsen auf die blassen Lippen. „Deine Dominanz ist sehr willkommen, Steve. Komm bloß nicht auf den dummen Gedanken sie zurückzuhalten.“

War das wirklich so? Oder wollte er ihn hier nur beruhigen? Steve löste seine Hand von Lokis und legte sie auf seinem Oberschenkel ab. Seine Finger tasteten vorsichtig über die Oberfläche. Er war so dünn. So wie er aussah, wunderte der Soldat sich, dass er ihm nicht bereits das eine oder andere Mal etwas gebrochen hatte, so ungestüm, wie er mit ihm teils umgegangen war.

„Wieso dauert das so lange bei dir?“, fragte Steve aus dem Zusammenhang gerissen und legte seine zweite Hand auf den anderen Oberschenkel. „Du bist jetzt schon so lange hier. Brauchst du andere Nahrung? Irgendetwas?“

Loki zog skeptisch die Augenbrauen zusammen. „Ich bin nicht schwach, Steve.“, kommentierte er nur und der Soldat war sich sicher, dass er sah, wie der Asgardier kurz unzufrieden die Nase rümpfte.

„Für deine Verhältnisse schon.“, konterte dieser und griff sofort nach seinen Armen, als sein Freund Anstalten machte aufzustehen. Er bekam die Unterarme zu fassen und hielt ihn an Ort und Stelle fest. „Ich sollte nicht in der Lage sein dich einfach so unter mir zu fixieren. Aber offenbar kann ich das.“ Und zwar ohne Weiteres. Jedenfalls in Situationen in denen seine eigene Erregung ihm nicht komplett den Verstand vernebelte.

Nun deutlich sauer, zog Loki an seinen Armen, ohne Erfolg. Steve beobachtete genau was in dem blassen Gesicht über ihm vor sich ging. Er sah Wut und Loki machte kein Geheimnis daraus, dass er genervt war. Aber damit konnte der Soldat umgehen solange Angst nicht hinzukam.

„Lass los!“, verlangte Loki deutlich sauer, richtete seinen Blick nun direkt auf Steve und stellte seine Gegenwehr ein um ihn intensiv auffordernd ansehen zu können. Er bekam ein schlechtes Gewissen dafür, dass ihn das Verlangen packte hier und jetzt über Loki herzufallen. Das war kein geeigneter Zeitpunkt. Doch dieses Bedürfnis verflüchtigte sich wieder, als ihm erneut bewusst wurde, wie dünn die Arme waren, die er da festhielt. Die weiten Ärmel kaschierten es hervorragend. Aber wenn Steve seine Hand um Lokis Arm schloss, berührten sich seine Finger und sein Daumen problemlos auf der anderen Seite. Das war nicht in Ordnung. Das war zu wenig Durchmesser. Sein Verlangen über den Mann herzufallen verwandelte sich in das Verlangen ihm ein Sandwich zu holen.

„Loki, bitte.“, versuchte er es erneut. Irgendetwas in seiner Stimme schien den Asgardier zu erreichen, denn der wütende, abweisende Blick verlor an Schärfe. „Ich mache mir Sorgen.“, erklärte der Soldat weiter. „Erklär es mir.“

Nun ausdruckslos starrte der Asgardier auf ihn hinunter. Langsam, ließ er seine Arme sinken und legte seine Hände flach auf dem Brustkorb des Soldaten ab, bevor er die Augen schloss und leise seufzte. Steve lockerte den Griff um die dürren Arme. Er schielte in ihre Richtung und spielte mit dem Gedanken einen Ärmel hochzuschieben und sich anzusehen, wie schlimm es wirklich war, aber er wollte nicht riskieren, dass sein Freund gleich wieder wütend wurde, wo er sich gerade etwas beruhigt zu haben schien.

„Eure Nahrung ist nicht das Problem.“, ergriff dieser dann das Wort und sah wieder auf. „Ich müsste allerdings deutlich mehr davon zu mir nehmen, um meinen laufenden Energiebedarf so weit zu decken, damit mein Körper Masse schneller wiederaufbauen kann.“

„Aber Essen ist nicht das Problem. Du kannst haben was und soviel du willst.“ Zugegeben, auch Steve hatte sich an diese Tatsache nach dem Krieg erst einmal gewöhnen müssen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es auf Asgard Lebensmittelknappheiten gab. Allerdings hätte er von alleine auf die Idee kommen können, dass es zu wenig war, was Loki aß. Ihre gewöhnlichen asgardischen Gäste waren nicht mal ansatzweise mit der Menge an Nahrung zufrieden zu stellen, die er zu sich nahm. Wieso fiel ihm das jetzt erst auf? Wahrscheinlich, weil diese Dumme Illusion ihm vorgegaukelt hatte, dass es ausreichte. Selbst Sif aß locker das Dreifache!

„Ich kann nicht noch größere Mengen zu mir nehmen.“, entgegnete Loki. „Mein Magieeinsatz verschlingt einen Großteil der Energie, die ich über die Nahrung gewinne. Gleichzeitig ist mein Körper aber noch im Wiederaufbau und benötigt um seine Funktonalität nicht zu verlieren selbst ein erhöhtes Maß an Energie. Derweil ist er aber soweit noch beeinträchtigt, dass die Energiegewinnung aus den aufgenommenen Substanzen selbst nicht reibungslos funktioniert. Es wird sich wieder regeln. Aber es braucht noch Zeit. Um es zu beschleunigen, bräuchte ich eine Energiequelle, die ich über mein Seidr transformieren kann. Die mir hier aber nicht zu Verfügung steht.“

Okay… das bedeutete also seine kleinen Tricks, die Steve immer wieder sah, wenn Loki sich anzog, oder wenn er ihren Tee wieder aufwärmte mit einer bloßen Berührung der Tasse, damit sie aus ihrer eingekuschelten Position auf der Couch nicht wieder aufstehen mussten, oder Emma, oder diese falsche Version seiner selbst, die er ja nun seit Monaten aufrecht gehalten hatte, kosteten ihn so viel Kraft? Es hatte immer so einfach gewirkt. Als sei es kaum was anderes für ihn, als für jeden anderen einen Wasserkocher anzuschalten. Aber hatte Loki nicht selbst gesagt, dass eine Illusion ziemlich simpel war? Aber hieß denn simpel gleich energiearm? Konnte es dennoch viel Energie kosten auch wenn es nicht kompliziert war?

„Kannst du die Magiesachen nicht sein lassen, bis du dich erholt hast?“, fragte er also. Immerhin würde er ab jetzt die eine Illusion sein lassen und keiner würde sich wundern, wenn Emma in nächster Zeit nicht in der Öffentlichkeit auftauchte.

Loki lachte leise. Offenbar war seine Stimmung wieder besser. Also lockerte Steve seinen Griff um die dünnen Unterarme noch weiter und strich diese entlang weiter nach unten, zu Lokis Händen auf denen er seine eigenen ablegte.

„Ich nutze aktiv bereits so wenig wie möglich. Eine weitere Reduktion ist zu gegebenem Zeitpunkt nicht möglich.“, erklärte er und strich mit einer seiner Hände Steves Brust entlang weiter nach oben. „Es würde meine Bemühungen lediglich zurückwerfen. Und es genügt unter den gegebenen Umständen, um sich dennoch, wenn auch langsam, zu regenerieren.“ Lokis Finger geisterten Steves Hals entlang und zu seinen Lippen, wo sie hauchfein darüber glitten.

„Welche Bemühungen?“, wollte der Soldat wissen. Er griff nach Lokis Hand und umfasste sie. Einem Impuls folgend platzierte er einen Kuss auf die Handinnenfläche seines Freundes, bevor er seine Hand zurück auf seine Brust legte. Was sollte es in seinem Zustand für größere Ziele geben, als sich zu erholen? Hatte die Infektion auf seinem Rücken deshalb so furchtbar sein können, weil Loki sie als nicht wichtig genug erachtet hatte? Offenbar war sein körperlicher Zustand ja noch immer nicht das wichtigste Problem für ihn. „Was ist wichtiger, als deine Gesundheit?“, hakte er also nach und hoffte inständig nicht so verzweifelt zu klingen, wie es in seinen eigenen Ohren klang.

Loki sah einen Moment nur auf ihn herab. Seufzend schloss er kurz die Augen, atmete tief ein und richtete seinen Blick erst dann wieder auf seinen Freund. „Ich kann es momentan nicht erklären.“, antwortete er letztendlich. Ein etwas gequält wirkendes Lächeln breitete sich auf den blassen Lippen aus.

„Es ist nicht nötig uns alles erklären zu können. Das kannst du tun, wenn du wieder bei Kräften bist.“, versuchte Steve es erneut. Er brannte darauf zu erfahren, was passiert war. Was Loki dazu gebracht hatte New York anzugreifen. Oder wer ihm die Narben zugefügt hatte. Er wollte wissen, was mit dem Asgardier passiert war. Wer fähig war ihn derartig zu verdrehen. Aber was er noch viel dringender wollte, war dass er gesund wurde. Wenn das bedeutete, er musste sich länger gedulden, dann war das eben so.

Doch er hatte auch gerade erst gesehen, wie wichtig es für Loki selbst war sich mittzuteilen. Er konnte es sich nicht einmal vorstellen, wie unerträglich es sein musste, noch nicht einmal die Freiheit über seine eigenen Worte zu haben. War das alles was die Flüche taten? Ihn daran hindern etwas auszuplaudern? Gab es da mehr? Flüche, die weitere Wirkung auf ihn hatten? Immerhin nutzte er die ganze Zeit die Mehrzahl. Flüche, nicht Fluch. Oder waren es mehrere, die das gleiche bewirkten?

Loki lächelte. Nun war es ein warmes Lächeln. Das hatte er noch nie bei ihm in dieser Form gesehen. Noch nicht einmal an Tony gewandt. Steve spürte, wie ihm warm wurde. Zusammen mit diesen grünen Augen, machte es den Asgardier unbeschreiblich schön. Die dunklen Augenringe, oder die blasse Haut, oder die eingerissenen Mundwinkel taten dem keinen Abbruch.

Loki war die schönste Person, die er je gesehen hatte.

Ohne ein weiteres Wort beugte der Asgardier sich wieder vor und legte sich erneut hin. Sein Kopf kam auf Steves Schulter zum Ruhen. „Meinst du, du schaffst es mich nicht dauernd so mitleidig anzusehen?“, murmelte er gegen seine Brust. „Ich weiß es ist momentan ein starker Kontrast zu dem, was du gewohnt bist. Aber es geht mir gut. Mein Äußeres braucht lediglich etwas länger, um das zu zeigen.“

Automatisch schlang der Soldat einen Arm um seinen Freund und drückte ihn etwas mehr an sich. Seine Nase versenkte er wieder in den schwarzen Strähnen.

„Hast du Schmerzen?“, fragte er als nächstes, denn ihm war klar, dass die andere Unterhaltung keine wirklichen Ergebnisse mit sich bringen würde. Schließlich würde er ihn wohl kaum über die Flüche ausfragen können, wenn sie ja nun vorgeführt bekommen haben, dass es offenbar einen gab, der Loki daran hinderte darüber zu sprechen.

Doch sein Freund schwieg. Steve spürte seine eigene Nervosität. Es hatte sich schon so angehört, als Loki gesagt hatte sein Körper sei noch im Wiederaufbau. Im Wiederaufbau nachdem man ihn aufgeschnitten hatte.

Er würde nie wieder zulassen, dass jemand Loki weh tat! Diesen Gedankengang laut auszusprechen, verkniff er sich jedoch. Loki war nicht schutzlos. Er war eine äußerst mächtige Person. Erst recht, wenn er irgendwann wieder zu seiner vollen Stärke zurückfinden würde. Und der Soldat fragte sich, was sein innerlicher Schwur wert war, wenn er wusste, dass Leute wie Amora es auf ihn abgesehen haben könnten. Wie um alles in der Welt würde er gegen so jemanden ankommen? Wie könnte er da mithalten? Wie würde er nicht irgendwann kaum etwas anderes als ein Klotz am Bein sein? Vielleicht sogar eine Schwachstelle.

Wortlos lagen sie eine Weile so zusammen. Irgendwann schien Loki eingeschlafen zu sein, sein Gesicht an Steves Schulter verborgen, eine Hand an seiner Seite liegend, die andere mit einer von Steves verschlungen. Sein Atem ging ruhig. Er war entspannt.
 

Unter der ihm bekannten Geräuschkulisse schreckte Steve aus seinem eigenen Traum wieder hoch.

„Loki!“, sprach er seinen Freund an, der noch immer auf ihm lag, sich aber nun unruhig hin und her drehte. „Wach auf.“ Damit packte er ihn an den Oberarmen und schüttelte ihn leicht.

Fast sofort riss der Asgardier seine Augen auf. Automatisch richtete er sich auf, Panik allzu deutlich in seinem Gesicht erkennbar. Heftig atmend starrte er auf den Soldaten herab.

„Es war nur ein Albtraum.“, versuchte Steve ihn zu beruhigen. Einer der gewöhnlichen Albträume, die immer wieder auftraten. Es war in letzter Zeit deutlich weniger geworden. Aber es wunderte ihn nicht, dass es ausgerechnet jetzt wieder angefangen hatte. Er rechnete damit, dass die nächsten Nächte wieder voll davon sein würden. Bis Loki endlich darüber hinwegkommen würde, was passiert war. Als der Soldat nun wieder nach seinem Freund greifen wollte, zuckte dieser zurück und sprang von der Couch auf. Langsam setzte Steve sich auf, während Loki weiter zurückwich. Es war also einer der schlimmeren gewöhnlichen Albträume. Wie schon so oft beobachtete er wie der Asgardier sich ans Fenster zurückzog, hinter dem die Sonne schon deutlich weitergezogen war. Anscheinend hatten sie einige Zeit geschlafen.

Loki wandte ihm den Rücken zu, ließ das Fensterglas an einer Stelle von Jarivs zurück in den Boden gleiten und stützte sich dort am Geländer ab. Die kühle Luft der Abenddämmerung durchflutete das Zimmer.

Wortlos folgte Steve ihm. Er positionierte sich etwa einen halben Meter neben Loki, so wie sie es vereinbart hatten. Nachdem diese furchtbaren Panikattacken ausgeblieben waren, wenn Steve bei ihm war, hatten diese normalen Albträume angefangen. Einige waren schlimmer als andere. So wie dieser anscheinend. In solchen Fällen hatte Loki ihn darum gebeten ihn nicht anzufassen, sondern zu warten, bis er den ersten Schritt auf ihn zu machte. Genau umgekehrt zu seiner angewiesenen Verhaltensweise bei den Panikattacken. Und natürlich auch abweichend zu dem, was er zu Beginn auf Tonys Anweisung hin getan hatte. Seine direkte Nähe half Loki deutlich mehr, auch wenn er selbst das in seinem geistig umnachteten Zustand nicht verstand. Zumindest hatte sein Freund ihm das so erklärt. Als Steve angesprochen hatte, dass das überhaupt keinen Sinn machte, hatte der Asgardier ihm zugestimmt, war aber nicht von seinem Sandpunkt abgewichen. Aber es war eh nicht wichtig. Diese heftigen Panikattacken passierten nicht, wenn Steve da war. Und es gab keinen Grund, warum Steve nicht da sein sollte.

Der Soldat lehnte sich gegen die Fensterscheibe neben sich und beobachtete, wie sein Freund mit starrem Blick über New York hinwegsah. Er hatte nie so richtig den Eindruck, dass Loki dabei wirklich die Stadt beobachtete. Es wirkte auf ihn immer irgendwie, als würde er etwas beobachten, das für niemanden sonst mit bloßem Auge sichtbar war.

Er hatte auch nie mit ihm über diese Albträume gesprochen. Das erste Mal vorhin, als er ihm gestanden hatte, dass der Albtraum nach Amora davon gehandelt hatte, ihn zu töten. Oder zumindest ein Teil davon war. Ein anscheinend beträchtlicher Teil, wenn man seine Reaktion darauf bedachte. Ohnehin war Steve davon ausgegangen, dass der Inhalt sich hauptsächlich um seinen Aufenthalt bei SHIELD drehte. Möglicherweise war auch der Prozess in dem er seine Narben bekommen hatte ein wiederkehrendes Thema. Und anscheinend, vielleicht, möglicherweise Steve selbst? Nur eben anders als er ursprünglich gedacht hatte.

Es dauerte ein paar Minuten, bis Loki seinen Blick von draußen wieder abwandte. Erschöpft wirkend fuhr er sich mit einer Hand über das Gesicht, bevor er sich Steve zuwandte. Er wirkte ausgelaugt. Erschöpft. Krank. Sein Aussehen hatte sich nicht wieder verändert. Ungesund blasse Haut, eingefallene Augen und Wangen, farblose Lippen an den Winkeln eingerissen. Offenbar respektierte er Steves Wunsch ihm keine Illusionen zu zeigen.

Steve versuchte seine Mimik bei dem Anblick unter Kontrolle zu halten. Wie gut ihm das gelang, wusste er nicht. Zumindest gab es keine Kommentare dies betreffend.

Schweigend machte Loki mit seiner rechten Hand einen Schlenker in der Luft und hielt sie ihm dann entgegen. Doch sie war nicht mehr leer. Ein glänzend schwarzer Dolch lag in seiner Handfläche. Die Spiegelungen auf dem Material ließen ihn fast wie aus Glas erscheinen. Es war ohne Zweifel die dunkle Version von Sleipnir, von der auch schon Clint erzählt hatte. Loki hielt Steve die Waffe mit dem Heft voran entgegen. Skeptisch zog der Soldat seine Augenbrauen zusammen.

„Fenrir.“, meldete Loki sich zu Wort. Der Name war Steve inzwischen nicht unbekannt. Er hatte ein bisschen gelesen. Ebenso wie Sleipnir war das der Name eines Kindes, das Loki laut menschlichen Sagen hatte. War das der Name dieses Dolches? Und wie er so darüber nachdachte, hatte Loki vielleicht wirklich Kinder? Immerhin war er ein paar hundert Jahre alt. Mindestens. Und laut den nordischen Sagen, hatte er einige davon.

Nicht minder skeptisch, richtete er seinen Blick auf den Asgardier. Die grünen Augen sahen ihn auffordernd an. Es war ziemlich klar, was Loki von ihm wollte. Steve fragte sich zwangsläufig, ob sein Freund versuchte ihn zu veräppeln. Wie um alles in der Welt sollte er diese Waffe anfassen können. Sleipnir hatte ihm einen Schlag versetzt, der es in sich gehabt hatte. Er hatte mit Tony gerade erst über die hohen Ansprüche der Waffe gescherzt. Und Steve war sich ziemlich sicher, dass er nicht plötzlich über Nacht einen IQ auch nur entfernt in der Größenordnung bekommen hatte, der das ändern würde. Und er war sich sehr sicher, dass Loki das auch wusste. Steve war zu dumm.

„Sleipnirs Schwester. Ebenso wirksam.“, erklärte Loki kurz, als der Soldat sich nicht rührte.

Steve verzog den Mund unzufrieden, als er die Waffe erneut beäugte. „Was ist damit?“, fragte er schließlich.

„Ich will, dass du sie hast.“

Irritiert erwiderte Steve Lokis Blick. Wie sollte das gehen? Er würde den Dolch nicht anrühren können. War seinem Freund das doch nicht klar? Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo die Schwelle bei der Intelligenz lag ab der Fenrir die Berührung einer Person akzeptieren würde. War sie niedriger als bei Sleipnir? Und dachte Loki, er lag da drüber?

Nervosität breitete sich in ihm aus. Was wenn es so war? Was wenn der Asgardier ihn in der Hinsicht überschätzte? Was wenn er jetzt erst erkannte, wie dämlich Steve wirklich war? Wenn ihm dadurch plötzlich klar wurde, wie wenig er ihm bieten konnte?

„Steve?“, hakte Loki mit fragendem Gesichtsausdruck nach. Natürlich bemerkte er seine Nervosität.

„Ich kann ihn nicht anfassen.“, spuckte er es also aus. Es brachte ja nichts drum herum zu reden.

Verwirrt sah Loki zu Fenrir, dann zurück zu ihm. „Du hast es nicht einmal versucht.“

„Doch.“, gab er zu. Das Verlangen nach seinem Freund zu greifen stieg in ihm auf. Als würde er plötzlich verschwinden, wenn das nicht aktiv verhindert wurde. „Als du und Pepper weg wart. Nur Tony und Bruce können Sleipnir anfassen.“

Noch verwirrter starrte Loki ihn nun an. Jedoch nur wenige Sekunden, bevor er verstand, was gesagt worden war und ein leichtes Lächeln sich auf seine Lippen legte. Das konnte doch gar nicht gut sein.

„Fenrir wählt nach einer anderen Eigenschaft aus.“, informierte Loki ihn. „Sie präferiert Stärke. Sie wird dich akzeptieren.“

Stärke? War das Lokis Ernst? Das war doch genauso schlimm! Dachte er wirklich, Steve würde an die Stärke eines Asgardiers herankommen? Auf der Erde war er ja möglicherweise eine Sensation in dem Bereich, aber er brauchte es gegen Thor gar nicht ernsthaft zu versuchen. Er würde sich mit ihm niemals in reiner Muskelkraft messen können. Und irgendwo dort würde ja wohl auch die Akzeptanzschwelle liegen. Irgendwo bei göttlich. Das musste Loki doch wissen!

„Du grübelst.“, wies dieser ihn darauf hin. „Warum?“

„Das ist doch lächerlich.“, sagte er schließlich. „Ich könnte es nie mit jemandem wie Thor aufnehmen.“

„Wovon redest du?“, wollte Loki irritiert wissen. Also erklärte Steve ihm seine Bedenken.

„Sie akzeptiert Thor nicht.“, sagte Loki ohne eine Miene zu verziehen. Das war keine Information, die Steve in irgendeiner Form weiterbrachte. Das verdeutlichte nur noch mehr, wie aussichtlos es war. Auch wenn es ihn verwirrte. Schließlich war Thor der stärkste Krieger Asgards. Oder nicht? Wenn Thor zu schwach war, dann kannte Steve nicht eine einzige Person, die es schaffen würde diese Waffe aufzuheben. Vielleicht den Hulk. Und warum konnte es Loki dann? Oder galten für ihn andere Regeln, weil er der Besitzer war?

„Offenbar hat Fenrir sich ein Beispiel an ihrem Bruder genommen. Sie hat zumindest einen geringen Anspruch an die Intelligenz, bevor sie jemandem ihre Kraft zur Verfügung stellt.“, fügte der Asgardier dann hinzu mit einem Gesichtsausdruck, als wäre damit alles geklärt. Es fühlte sich an wie ein weiterer Schlag in die Magengegend. Ein Stärke- und ein Intelligenztest gleichzeitig. Da waren ja nun zwei Gebiete auf denen er vollkommen versagen würde.

„Ich…“, fing er an, verstummte dann aber direkt. Genervt von sich selbst, schloss er die Augen und versuchte sich geistig zu sammeln. So faszinierend er diese Art von Auswahl fand, die asgardische Waffen offenbar durchführten, er wollte diese Waffe überhaupt nicht. Es war nach dem Geschehenen nicht schwer zu verstehen, woher Lokis Beweggrund kam sie ihm zu geben. Als würde Steve jemals wirklich versuchen ihm ernsthaft zu schaden. „Ich will sie nicht.“, sagte er also. Vielleicht war der Dolch gut dafür geeignet um ihren Gegnern Schaden zuzufügen. Doch das war nicht Lokis Beweggrund dafür ihn auszuhändigen.

Eine Weile blieb es still. Loki ließ ihn nicht aus den Augen und Steve starrte auf den ihm dargebotenen Dolch herab. „Warum?“, fragte der Asgardier schließlich.

Schon fast wütend sah Steve auf. „Ich weiß, weshalb du sie mir geben willst. Glaubst du wirklich ich oder Tony würden diese Waffen jemals nutzen um dich zu verletzen?“, wollte er wissen. Er hörte seiner eigenen Stimme seine Wut an.

„Ich denke, das ist eine Frage der Motivation.“, antwortete Loki sachlich.

Steve spürte, wie er kurz davor war, dass ihm der Kragen platzte. Es war bereits ein Unding so etwas Tony zu geben. Ein Instrument mit dem bloßen Ziel Loki umzubringen. Es war noch deutlich aufwühlender das seinem Partner zu geben! Oder? Sie waren ein Paar! Fest! Exklusiv! Nur sie beide! Was dachte Loki sich nur dabei? Am liebsten hätte er das jetzt direkt ausdiskutiert. Aber er war zu wütend. Lokis komplette Ruhe, als würde diese Thematik ihn gar nicht betreffen, als wäre er lediglich ein unbeteiligter Zuschauer, machte ihn nur noch wütender. Also wandte er sich ab, drehte sich um und entfernte sich zwei Schritte. Nicht jetzt. Er musste sich erst beruhigen, bevor er darüber sprach.

„Ich kann auch Fenrir mit einem Heilzauber belegen.“, erklang dann wieder die ruhige Stimme seines Freundes und ließ Steve erstarren. Der Heilzauber! Eine Möglichkeit für sie wenigstens sicherzustellen, dass ihr Asgardier nicht sterben würde. Eine Möglichkeit irgendetwas zu tun, anstatt einfach nur dazusitzen und ihn anzustarren, ohne zu wissen, ob er je wieder aufwachen würde. Und zwei verzauberte Dolche waren besser als einer.

Steve machte sich nichts vor. Und Loki wäre sicher ein eleganterer Weg eingefallen, wenn er es nicht hätte derart offensichtlich machen wollen. Er erpresste ihn und machte keinen Hehl daraus.

Nicht minder wütend, drehte der Soldat sich wieder um. Sein Freund stand noch immer unverändert und völlig ungerührt da. Die grünen Augen auf ihn gerichtet, die Hand weiterhin erhoben, ihm Fenrir in der offenen Handfläche darbietend. Für einige Sekunden starrten sie sich lediglich gegenseitig an. Dann gab Steve sich einen Ruck. Er konnte diese Waffe ohnehin nicht berühren!

Entschlossen ging er also wieder auf Loki zu und streckte die Hand nach Fenrir aus. Innerlich rüstete er sich dafür erneut einen Schlag zu bekommen. Wenn diese Angelegenheit vom Tisch war, könnte er mit seinem Freund vielleicht ein ernsthaftes Wörtchen reden!

Als seine Fingerspitzen mit dem glänzenden Metall in Kontakt kamen, konnte er eine seltsame Art von Wärme spüren, die über seine Finger in seinen gesamten Körper wanderte und sich dort ausbreitete. Es war nicht unangenehm. Es fühlte sich nach Geborgenheit an. Nach Sicherheit und Vertrautheit. Als würde man mit einer Tasse heißem Kakao an einem gemütlichen Abend am Kamin sitzen. Und für einen Moment, spürte der Soldat die Anwesenheit einer weiteren Präsenz im Raum, nahm einen Schatten in seinen Augenwinkeln wahr, doch als er hinsah, war dort nichts.

Irritiert drehte er den Kopf noch etwas weiter. Es war niemand außer ihm und Loki hier. Und dann spürte er ein Pulsieren an seiner Hand. Automatisch senkte er den Blick und hob seine Hand an. Er hielt Fenrir am Heft umschlossen. Rotglühende Fäden wanden sich um die Waffe, wie ein Netz aus Adern. Sie schienen ihren Ursprung dort zu haben, wo seine Haut in Kontakt mit dem merkwürdigen Metall war und pulsierten im gleichen Takt mit seinem eigenen Herzschlag.

„Was zum…“, murmelte er und starrte die Waffe an. Wann hatte er sie Loki überhaupt aus der Hand genommen? Er hatte noch nicht einmal vorgehabt das zu tun, sondern war darauf vorbereitet gewesen, seine Hand sofort wieder zurückzuziehen, sobald sie ihn ablehnte. Er hatte Loki lediglich zeigen wollen, dass er nicht würdig war. Damit sie das Thema beenden konnten. Und jetzt fühlte es sich an, als wäre er schon immer mit ihr vertraut gewesen. Sie lag geradezu perfekt in seiner Hand. Als wäre sie eigens für ihn gemacht worden.

„Sie mag dich.“, riss ihn Lokis Stimme plötzlich aus den Gedanken und er zuckte zusammen und fuhr herum. Der Asgardier hatte sich weiterhin keinen Millimeter gerührt. Nur die Hand hatte er jetzt wieder heruntergenommen. Seine grünen Augen bohrten sich geradezu in Steves und der Soldat suchte nach Worten, die ihm nicht einfallen wollten. Er versuchte sich noch einmal auf dieses warme Gefühl zu konzentrieren, doch es war verschwunden. Mit einem Blick auf den Dolch sah er, dass auch die rotglühenden Adern nicht mehr zu sehen waren. Aber das Metall fühlte sich in seiner Hand noch immer angenehm warm an und der Pulsschlag war weiterhin vernehmbar. Er konnte diese Waffe spüren. Als wäre sie ein lebendes Wesen.

„Sie hat dir Zugriff auf ihre Kräfte gewährt.“, ergriff Loki erneut das Wort und lenkte somit Steves Aufmerksamkeit wieder von dem Dolch weg und auf sich selbst. Mit zwei Schritten überwand er die Distanz zwischen ihnen und drückte einen Kuss auf Steves Lippen, der ihn nur verdattert anstarrte. Ein Grinsen stahl sich auf die blassen Lippen. Doch er sagte nichts weiter. Als würde er einen Scherz genießen, den niemand außer ihm verstand. Als er sich wegdrehen wollte, löste Steve sich schließlich aus seiner Starre und hielt ihn fest.

„Erklär mir das.“, verlangte er.

„In groben Zügen funktioniert es wie bei Mjölnir. Nur weniger selektiv.“ Als wäre damit alles geklärt, machte der Asgardier erneut Anstalten sich zu entfernen.

„Das reicht nicht.“, bestand Steve und zog seinen Freund wieder zurück. „Was ist dieses Gefühl? Als würde er leben, denken.“

Erstaunt hob Loki die Augenbrauen an. „Das ist bemerkenswert.“, gab er dann zu. „Offenbar habe ich dich sogar noch unterschätzt.“

„Was meinst du?“, wollte Steve wissen. Er war unsicher, was er mit dem Dolch nun tun sollte. Loki würde ihn nicht wieder an sich nehmen. Und jetzt war es ziemlich offensichtlich, dass Steve doch irgendwie würdig war. Wie auch immer das hatte passieren können.

„Was du da spürst, ist das in den Dolch gebannte Wesen. Der Fenriswolf.“

„Aber… das…“, stotterte Steve. Der Fenriswolf? Laut Legenden der Sohn Lokis und einer Riesin namens Angroba, ein Wesen, das Asgard den Untergang bringen würde. Zugegeben, es war inzwischen sehr offensichtlich, dass die menschlichen Legenden nur ansatzweise mit den echten Zusammenhängen zu tun hatten, aber dennoch war das beunruhigend. Es war ein Unterschied, ob Loki seine Waffe lediglich so nannte, oder ob da tatsächlich, wie auch immer das möglich war, ein Wesen drinsteckte.

Loki lachte leise. Steve konnte sich nicht entschieden, ob er sich über der Situation oder ihn amüsierte. Doch nun stellte der Asardier sich wieder näher an ihn heran, legte seine Hände auf Steves Hüften ab und sah ihn direkt an. „Fenrir ist nur gefährlich, wenn du sie gegen deine Gegner führst.“, sagte er und drückte ihm erneut einen Kuss auf die Lippen. Diesmal erwiderte der Soldat den Kuss.

„Wer oder was ist oder war sie?“, wollte er dennoch wissen.

„Eine Gefangene.“, antwortete Loki. „Gebunden von Gleipnir, um in der Dunkelheit zu verrotten. Bis Ragnarök.“, erklärte er und lehnte sich wieder etwas weiter hinein, so weit, dass Steve seinen Atem an seinen Lippen spüren konnte. Der Soldat konnte sich kaum beherrschen als Lokis Geruch ihn wieder überflutete. „Sie war eine loyale Gefährtin der Göttin des Todes.“, hauchte der Asgardier ihm entgegen. Steve versuchte wirklich sich auf seine Fragen zu konzentrieren. Erst recht wo jetzt Bezeichnungen wie Ragnarök und Göttin des Todes fielen, aber Lokis Nähe machte es ihm schwer zu denken. Er spürte die schlanken Finger an seinen Seiten, fühlte ein paar der schwarzen Haare gegen seine Haut streichen, vernahm den süßen Atem seines Freundes und konnte seinen eigenen Blick nicht von diesem unglaublichen Grün direkt vor sich abwenden, welches ihm immer wieder die Sprache verschlug. Jedes Mal, wenn er dieses unbeschreibliche Farbenspiel in den Iriden sah. Sein Verlangen nach Antworten wich dem Verlangen Loki gegen das Fenster zu drücken und sich über ihn herzumachen. Irgendwo in seinem Hinterkopf kam schwach und unbedeutend die Idee auf, dass das vielleicht gar nicht so ungewollt passierte. Schließlich war, seit sie ein Paar waren, ziemlich offensichtlich gewesen, dass Steve sich in so unmittelbarer Nähe zu seinem Freund kaum beherrschen konnte. Loki wusste das. Natürlich wusste er das.

„Steve?“, schnurrte Loki ihm entgegen und trieb damit einen wohligen Schauer seine Wirbelsäule entlang.

Ohne weiter nachzudenken, oder nachdenken zu können, ließ der Soldat, was auch immer er da noch in der Hand hielt einfach zu Boden fallen, packte seinen Freund an den Oberarmen, drehte ihn um 90 Grad und presste ihn dann mit mehr Wucht als nötig gewesen wäre, mit dem Rücken gegen die Fensterscheibe. Aus den Augenwinkeln bekam er noch mit, wie Jarvis den offenen Fensterabschnitt wieder verschloss, doch bevor das vollendet war, stand er bereits gegen Loki gedrängt und sie Kämpften um die Oberhand bei dem tiefen Kuss in den Steve ihn verwickelte. Als mitten drin vor Steves innerem Auge Lokis von Angst erfüllten Augen auftauchten, zuckte er zurück. Atemlos lehnte er sich nach hinten, ließ ihn los und wäre einen Schritt zurückgetreten, wenn Lokis Hände an seiner Hüfte und seinem Rücken ihn nicht davon abgehalten hätten.

Unsicher betrachtete der Soldat den Mann vor sich. Da war keine Angst. Die von Lust erfüllten grünen Iriden erwiderten seinen Blick. Sein Atem ging heftig. „Es ist okay.“, murmelte Loki leise. „Ich will das.“ Damit schloss er den Abstand zwischen ihnen wieder. Doch dieser Kuss war nicht unkontrolliert und wild. Er war sanft und süß, voller Zuversicht und Vertrauen.

Steve beruhigte sich wieder. Loki zeigte keinerlei Anzeichen für Ablehnung. Er machte ihm keine Angst. Nicht in dieser Position. So, wie er es ihm bereits gesagt hatte. Also ließ Steve sich wieder darauf ein und erwiderte den Kuss.

„Willst du nicht darüber reden?“, fragte er zwischen zwei sanften Küssen. Er wusste, sein Hirn würde sich jeden Moment wieder ausklinken. Etwas überrascht stellte er fest, dass seine Bemerkung nicht komplett unbeachtet blieb, wie er es eigentlich erwartet hatte. Bei ihrer nächsten Kusspause, drehte Loki den Kopf weg und verwehrte Steve so den Zugang. Also hielt auch er inne und sah seinen Freund nur an. Dieser unbeteiligte, emotionslose Ausdruck hatte sich wieder über Lokis Gesicht gelegt. Inzwischen fragte Steve sich, ob das auch nur eine Illusion war. Doch eigentlich hatten sie erst vor wenigen Stunden ausgemacht, das Loki sich nicht vor ihm versteckte, oder?

„Die Dolche waren ein Geschenk von Frigga und Odin nachdem ich den Kriegsmeister Asgards zum ersten Mal im direkten Nahkampf besiegt hatte.“, ergriff Loki das Wort. „Sie wurden in den Feuern Nidavellirs geschmiedet. Doch ich neidete Thor Mjölnirs Akzeptanz und suchte nach einem Weg etwas zumindest Vergleichbares zu erlangen.“, fuhr er fort und lehnte sich nun zurück gegen die Fensterscheibe in seinem Rücken. Er sah wieder auf und Steve direkt an. „Ich hatte schon vorher in alten, längst vergessenen Büchern und Pergamenten Hinweise auf Fenrirs Existenz gefunden. Doch niemand anderes schien davon zu wissen. Und einige der Gelehrten, die ich darauf ansprach, schienen ihr Wissen darüber aktiv zu verschweigen. Als hätten sie alle Angst vor irgendetwas.“

„Das hat deine Neugier nur weiter angestachelt.“, schloss Steve. Er konnte sich richtig vorstellen, wie sein Freund sich an diesem Mysterium festgebissen und nicht wieder losgelassen hatte.

„Natürlich.“, stimmte Loki zu und ein Grinsen huschte über seine Lippen. „Irgendjemand verriet mich schließlich und Odin verbat mir ohne jegliche Erklärung mich weiterhin damit zu beschäftigen. Alle Pergamente und Bücher, die auch nur im Entferntesten mit dieser Thematik zu tun hatten, verschwanden über Nacht aus den Bibliotheken. Ich stand plötzlich völlig ohne Quellen da.“

„Offenbar hat dich das nicht aufgehalten.“ Immerhin hatte er ja jetzt den Fenriswolf. Steve fragte sich, wie Odin nicht hatte voraussehen können, dass sein Sohn das nicht einfach vergessen würde. Loki war definitiv der Typ, der erst recht etwas tat, wenn man es ihm klar verboten hatte. Und dann auch noch ohne jegliche Erklärung. Oder hatte der Göttervater angenommen, dass er jegliche Information so gut entsorgt hatte, dass Loki keine Anhaltspunkte finden würde? Hatte er die Bücher überhaupt nur deshalb entsorgt, weil er wusste, dass sein Sohn sich nicht an das Verbot halten würde?

„Es hat einige Zeit gedauert, aber ich fand vereinzelt Quellen außerhalb von Asgard.“, bestätigte Loki. „Quellen, die von einer Schlacht gegen die Göttin des Todes sprachen, von dem Untergang der Walküren. Jedoch waren die Informationen unvollständig, teils widersprüchlich und teils offensichtlicher Unfug.“

„Aber es reichte, um Fenrir zu finden.“

„Odin war außer sich.“, grinste Loki. Die Erinnerung amüsierte ihn offensichtlich. „Er nahm mir meine Stimme als Bestrafung.“ Jetzt lachte er auf, als würde er sich an schöne alte Zeiten erinnern. „Als ich sie zurückerlangte, bannte ich sein geliebtes Schlachtross Sleipnir in den zweiten Dolch. Ich werde nie vergessen, wie er mich angesehen hat, als er begriff, was ich getan hatte. Und ich erinnere mich immer wieder gerne an den Ausdruck in seinen Augen, als er verstand, dass er nicht vermochte es rückgängig zu machen.“

Ungläubig starrte Steve den Asgardier an. Er verstand zum Teil, warum Loki bei Fenrir nicht einfach nachgegeben hatte, auch wenn er nicht verstand, wie sein Freund es für eine gute Idee halten konnte dieses mächtige Wesen von seinen Fesseln zu lösen. Oder zumindest nahm Steve an, dass die Fesseln irgendwie gelöst worden sind. Hätte das nicht auch komplett schief gehen können? Wusste Steve überhaupt genug, um irgendeine Art von Beurteilung darüber abgeben zu können?

Aber Odins Schlachtross in den zweiten Dolch zu sperren, das war nichts weiter als der Versuch ihm weh zu tun, sich zu rächen. Mit der puren Absicht Odin zu reizen. „Was hat er mit dir getan?“, fragte Steve.

„Ich wurde verbannt.“, antwortete Loki mit einem Grinsen auf den Lippen. „Das ist etwas, das ich tatsächlich vor Thor geschafft habe.“ Lachend lehnte er den Kopf nach hinten gegen die Fensterscheibe. Er klang nicht wirklich erfreut. Das Lachen war leer und hohl. Fast als wäre es ein Lückenfüller, weil ihm nichts anderes einfiel.

„Wie lange?“, wollte Steve wissen und fuhr mit seiner rechten Hand über Lokis Seite nach unten, wo er seine Hand Ergriff und ihre Finger ineinander verflocht. Er lehnte sich etwas zurück. So sehr er das auch bedauerte, aber sein Freund erzählte ihm hier tatsächlich etwas über seine Vergangenheit. Offensichtlich fühlte er sich nicht glücklich dabei, aber er tat es. Er öffnete sich ihm. Er wusste nicht, wie im gefiel, was er hörte, aber hatte er denn nun wirklich großartig etwas anderes erwartet? Loki folgte seinen eigenen Regeln. Steve machte sich da keinerlei Illusionen.

„Ein paar Jahre.“, kam auch schon die Antwort nebensächlich. „Frigga zwang Odin mich rechtzeitig zu meiner Volljährigkeitsfeier zurückkehren zu lassen.“

„Was?!“, entfuhr es Steve und er löste sich nun komplett von seinem Freund, auch wenn er seine Hand nicht losließ. „Odin hat seinen nicht erwachsenen Sohn verbannt?“, hakte er nach. Wie konnte das sein? Sicher, was Loki getan hatte, war offensichtlich schlecht gewesen, aber kannte Asgard nicht so etwas wie Hausarrest? Welcher Vater schmiss seinen Sohn im teenageralter heraus? Von einem ganzen Planten auch noch?

„Ich bin nicht sein Sohn.“, zischte Loki ihm als Antwort entgegen. Er entriss ihm seine Hand und schob ihn damit an der Schulter zur Seite, als er wieder ein paar Schritte vom Fenster weg und ins Zimmer machte. Mitten im Raum blieb er stehen. Steve konnte ohne weiteres die Anspannung sehen, die seinen gesamten Körper ergriffen hatte. „Ich denke, es war eine Enttäuschung für ihn, dass ich mich dennoch behaupten konnte und er gezwungen war mir wieder Einlass in sein Reich zu gewähren. Es wäre ansonsten eine elegante Lösung für sein Problem gewesen.“, fuhr der Asgardier fort.

„Was für ein Problem? Loki, wovon redest du?“, fragte Steve und trat wieder an ihn heran.

„Mich wieder loszuwerden.“, antwortete er und drehte sich zu dem Soldaten um. „Immerhin hat er da bereits verstanden, was für ein Fehler es war jemanden von fremden Blute aufzunehmen. Wie es ihn gegrämt haben muss, als er verstand, dass ich offensichtlich nicht so leicht starb, wie er es sich erhofft hatte!“, gab er zu und Steve sah, wie sein Freund die Wut, die ihn ergriffen hatte versuchte unter Kontrolle zu bekommen. Doch diese Unterstellung war ziemlich schwerwiegend. Hatte Odin wirklich versucht ihn so loszuwerden? Es war kaum zu glauben, dass ein Vater, der einen Sohn wie Thor großgezogen hatte, eine Person, die stets grinste, lachte und fröhlich und freundlich, ja sogar naiv war, etwas Derartiges tun könnte. Irgendwie passte es nicht. Sicherlich hatte Thor großen Respekt vor seinem Vater, das war stets herauszuhören bei seinen Geschichten, aber man verstand auch, wie sehr er gefestigt war, wie sehr er auf Asgard und seine Eltern vertraute, sie liebte. So wie Loki von seinem Vater sprach, könnte man meinen, das wäre eine völlig andere Person.

„Nur weil du adoptiert bist, heißt das nicht, dass er dich tot sehen wollte!“, widersprach Steve. Es konnte einfach nicht die Absicht Odins gewesen sein! Niemand blieb ungerührt einer Person gegenüber, die er seit sie ein Baby gewesen war, aufgezogen hatte!

Skeptisch betrachtete Loki den Soldaten. Er legte den Kopf zur Seite und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich finde es ziemlich anmaßend, mir in diesem Punkt zu widersprechen. Soweit meine Informationen stimmen, war es niemandem von euch bisher vergönnt Odin selbst kennenzulernen. Ich sollte mich wohl glücklich schätzen, dass er nicht gewillt war meine wahre Herkunft öffentlich zu machen, sodass er mich für meine Vergehen einfach hinrichten könnte, anstatt öffentlich weiterhin einen derart missratenen Sohn zu haben. Und er würde einen Fehler eingestehen! Noch viel weniger öffentlich!“

Steve starrte seinen Freund an. Ihn hinrichten? Ihn hinrichten!? Glaubte Loki etwa wirklich, dass sein Vater etwas Derartiges tun würde? Oder dass er ihn nicht mehr als seinen Sohn haben wollte? Jede Menge Widersprüche lagen ihm auf der Zunge, doch er presste die Lippen aufeinander. Loki hatte nicht ganz Unrecht. Sein Wissen über Odin war begrenz, widersprüchlich und bisher sehr einseitig gewesen. Er war noch nie auf Asgard gewesen. Er wusste nicht, wie dort Erziehung stattfand oder was von Kindern erwartet wurde, welche Erwartungen man an Eltern hatte, wie es im Allgemeinen dort zuging. Dennoch zweifelte er daran, dass Lokis Sichtweise Wort für Wort der Wahrheit entsprach, doch es brachte ihn dazu Thors Erzählungen in Zweifel zu ziehen. Vermutlich lag die Wahrheit irgendwo dazwischen.

Loki starrte einen Moment wütend vor sich hin, bevor er die Augen schloss und ausatmete. „Ich verstehe, wie Thors infantiles Wesen einen falschen Eindruck erwecken kann.“, gestand der Asgardier dann ein und fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht. Die Anspannung in seinem Körper lockerte sich etwas. „Es spiegelt in keinster Weise Odin oder überhaupt Asgard wider.“

„Okay.“ Langsam, um seinem Freund die Chance zur Reaktion zu geben, hob Steve seine Hände an und legte sie ihm vorsichtig an die Wangen. Seine Finger glitten zwischen die schwarzen Strähnen. Er musste das Thema wechseln. Er wollte nicht über etwas streiten, von dem er im Grunde keine Ahnung hatte. „Erzähl mir davon. Wie ist es da draußen? Nicht nur Asgard. Auch die anderen Orte, an denen du warst.“ Seine Hände glitten zu Lokis Schultern herab, knochigen Schultern.

„Ich hoffe, es dir zeigen zu können. Es gibt Orte in diesem Universum, für die es an Worten fehlt, um ihrer Schönheit gerecht zu werden.“ So wie er das sagte, klang es nach einem süßen Versprechen. Und der Blick mit dem Loki ihn dabei ansah, war so voller Zuneigung, dass er fast meinte sie mit Händen fassen zu können, wenn er es versuchen würde.

„Du musst deine Kräfte sparen.“, antwortete Steve jedoch mit etwas trockener Kehle, denn eigentlich wollte er nichts lieber in diesem Moment, als mit seinem Freund einen Planten aufsuchen, der diesen beeindruckt hatte. Er wollte sehen, was da draußen war, die Orte an denen Loki gewesen ist. Die schönen, aber auch die nicht schönen Orte. Alles davon würde sie beide näher zusammenbringen. Und Steve wollte nichts lieber als das! Mit Loki zusammen sein.

Seine Reaktion entlockte dem Asgardier ein dezentes Lachen. „Es ist ohnehin noch nicht möglich. Mein Seidr braucht noch Zeit, bevor es dich als zugehörig akzeptiert. Abgesehen davon, steht mir nicht einmal für mich alleine genug davon zur Verfügung momentan.“

„Dein Seidr?“ Schnell überschlug Steve noch einmal das eben gesagte. Nein. Er hatte keine Ahnung was Loki ihm genau damit sagen wollte. Er wusste, dass selbst Tony und Bruce nicht ganz hinter das Konzept der Magie gestiegen waren. Zwar schienen sie nicht ganz so hoffnungslos verloren mehr auf dem Gebiet, wie zu Beginn, aber sie waren noch weit davon entfernt zu verstehen wie es funktionierte oder was es überhaupt war. Es machte die Situation für Steve zumindest angenehmer, wenn er wusste, dass selbst ihre hauseigenen Genies da nicht weiterkamen. „Was bedeutet das?“, wollte er also wissen.

„Seidr ist wandelbar. Anpassungsfähig. Individuell. In gewisser Weise macht es sich mit der Umgebung vertraut und breitet sich aus. Hinterlässt Spuren. Irgendwann wird es dich als zugehörig ansehen und mir die Möglichkeit bieten leichter Zauber auf dich anzuwenden. So zum Beispiel auch die Translokation.“, erklärte der Asgardier ruhig und trat wieder den halben Schritt zwischen ihnen heran. Steves Hände glitten von den dürren Schultern herunter und er ergriff Lokis Hände stattdessen.

„Das heißt, du kannst irgendwann mit jedem von uns…?“ ihm fiel kein passendes Verb für Translokation ein.

„Nein.“, unterbrach Loki ihn jedoch wieder, bevor er es schaffte sich zu blamieren, indem er irgendeine eigene Version für dieses Wort erfand, die ohne Zweifel falsch wäre. „Es ist mein Seidr. Ich erwarte nicht, dass eine Anpassung bei den anderen stattfinden wird, die ausreichend wäre, um eine sichere Translokation zu gewährleisten.“ Loki lehnte sich etwas nach vorne, sodass ihre Oberkörper sich berührten. „Die Geschwindigkeit dieser Anpassung ist nicht nur von Zeit, sondern auch von magischer Affinität, aber vor allem von meiner emotionalen Disposition gegenüber der betreffenden Person abhängig.“

Steve spürte, wie ihm warm wurde. Sagte Loki ihm da gerade, dass er ihn am liebsten mochte? War die Aussage hierbei, dass er die anderen nicht genug mochte, damit seine Magie sich genug an sie anpasste, um so eine Translokation zu ermöglichen? Nicht mal Tony? Er verkniff es sich danach zu fragen.

„Wie lange wird das dauern?“, hakte er also stattdessen nach.

„Ich weiß nicht. Meine Anzahl solcher Personen ist zu begrenzt für mich, als dass ich eine fundierte Aussage darüber treffen könnte.“

„Wie viele?“, fragte Steve nach, bevor er es schaffte sich davon abzuhalten. So wie Loki die Funktionsweise erklärt hatte, war das eine ziemlich persönliche Frage. Andererseits, sie waren ein Paar. Wer sonst sollte die Erlaubnis haben persönliche Fragen zu stellen?

Loki schien tatsächlich zu überlegen, ob er ihm darauf antworten sollte. „Drei.“, antwortete er schließlich.

„Deine Familie?“, hakte Steve nach. Wieder bevor er den Gedanken zu Ende gedacht hatte. So wie sein Freund gerade erst reagiert hatte, war es ein dummer Fehler Odin, Frigga und Thor sofort wieder als seine Familie zu bezeichnen. Es würde Loki nur wieder aufregen.

Doch es passierte nichts. Er zuckte nicht mal mit einer Augenbraue.

„Thor und Frigga.“, bestätigte er stattdessen. „Odin und ich waren uns nie nahe genug, dass es möglich gewesen wäre. Zumindest nicht mehr, als ich die Fähigkeit erwarb.“

„Wer ist also die dritte Person?“

Loki atmete einmal tief ein und aus, schloss kurz die Augen, suchte dann aber wieder Blickkontakt, bevor er auf die Frage antwortete. „Ihr Name ist Sygin.“

„Deine Frau.“, polterte es aus Steves Mund ohne zu überlegen. Es war keine Frage. Natürlich hatte er von ihr gelesen. Doch Thor hatte sie nie erwähnt. Thor hatte nie irgendjemanden in dieser Richtung erwähnt.

„Meine ehemalige Verlobte.“, korrigierte Loki. „Du solltest den abstrusen Legenden dieser Welt über mich keinen allzu großen Glauben schenken.“

„Also… bist du nicht verheiratet?“, wollte er ganz sicher gehen.

„Nein.“, bestätigte sein Freund. „Es wäre äußerst pietätlos einer exklusiven Beziehung mit dir zuzustimmen, wenn dem so wäre, nicht? Es gibt niemanden außer dir, Steve.“

Unwillkürlich breitete sich ein Lächeln auf Steves Lippen aus bei Lokis Worten. Er gehörte also wirklich ausschließlich ihm?

„Hat dich das wirklich beschäftigt?“, wollte der Asgardier wissen.

„Du bist ein paar Jahrhunderte alt.“, fing Steve an. „Die Legenden über dich… nach allem was ich wusste, hättest du eine ganze eigene Familie irgendwo haben können.“ Oder mehrere.

„Da ist niemand. Du brauchst dich nicht zu sorgen, dass jemand unvorhergesehen Anspruch auf mich erheben könnte.“

Lächelnd drückte Steve seinem Freund einen Kuss auf die Lippen. Er spürte Erleichterung. Ihm war gar nicht klar, dass er sich offenbar doch irgendwie Gedanken darüber gemacht hatte. Allerdings musste er zugeben, dass er des Öfteren über seine angebliche Ehefrau nachgedacht hatte. Doch Loki war immer so verschlossen was seine eigene Person anbelangte, dass es nie so weit gekommen war, dass Steve seine Bedenken hätte äußern können.

„Wer war sie?“, fragte Steve dann. Offensichtlich war diese Sygin ihm sehr nahegekommen und wichtig gewesen. Und er hatte ihm ja auch von Peggy erzählt.

„Eine Vanir.“, antwortete Loki, als würde das schon einiges klarstellen. Zwar war diese Bezeichnung keinesfalls fremd, aber sie hatten ja gerade erst festgestellt, wie sehr man sich auf die menschlichen Legenden verlassen konnte. „Eine Trickbetrügerin. Als ich ihr zum ersten Mal begegnete, war sie gerade dabei Asgards Palast um einige Schätze zu erleichtern.“, sprach der Asgardier weiter.

Irritiert starrte Steve seinen Freund an. „Sie hat euch beklaut?“, wollte er sicherstellen, dass er die Situation nicht falsch verstand.

„Bereits seit einiger Zeit, bevor ich sie bemerkte. Sie war so gerissen und dreist, anpassungsfähig. Sie hatte es geschafft das Personal davon zu überzeugen, dass sie dazugehörte, gelangte so überall hin und wurde auch noch wie die anderen entlohnt.“

Diese Information half Steve nicht wirklich dabei zu verstehen, wie es dazu gekommen war, dass sie verlobt gewesen waren. „Hast du das nicht gewusst, als du sie getroffen hast?“

„Doch. Das war es, was mein Interesse geweckt hat.“, erklärte Loki. „Ich fing an ihr Fallen zu stellen, sie in schwierige Situationen zu bringen, doch sie wand sich immer wieder heraus. Es hat lange gedauert, bis endlich jemand bemerkte, dass sie nicht war, wer sie vorgab zu sein.“

„Und niemand hatte ein Problem damit, dass du anschließend mit ihr zusammen warst?“, fragte Steve ungläubig.

„Als sie entdeckt worden war, behauptete ich, sie habe in meinem Auftrag gehandelt. Meine Absicht sei es gewesen die Sicherheit zu überprüfen.“, erklärte Loki. „Niemand wusste, von ihrem wirklichen Hintergrund.“

„Du hast sie am Ende trotzdem nicht geheiratet.“

„Sie wollte mich nicht.“

Was?! Sie hat ihn nicht gewollt? Wer konnte nur so verrückt sein jemanden wie Loki abzulehnen? Seine Gedanken mussten sich in Steves Gesicht widerspiegeln, denn der Asgardier lächelte und beugte sich vor, um ihm einen Kuss auf die Lippen zu drücken.

„Es ist lange her.“, sagte Loki.

„Ich sollte mich wohl glücklich schätzen.“ Damit beugte der Soldat sich nach vorne und küsste seinen Freund wieder. Erst als Jarvis ihnen das Abendessen ankündigte, ließen sie wieder voneinander ab, um nach oben zu gehen und sich den schockierten Reaktionen ihrer Freunde zu stellen, wenn sie Lokis wirklichen Zustand sahen.



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