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Ich bin doch kein Wolf!

von

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Ein Querulant und Einzelkämpfer

„Hey Ricci, komm wach auf, sonst fange ich an mir ernsthaft Sorgen um dich zu machen.“ Irgendjemand berührte mich an der Schulter, rüttelte mich sanft, und ich öffnete unter Stöhnen die Augen. Grelles Licht blendete mich, es roch nach kalter Nachtluft und irgendetwas anderem, beißenderem, und ich verzog angewidert das Gesicht. Mein Handrücken pochte unangenehm, meine rechte Schläfe fühlte sich seltsam gespannt an, aber ansonsten war ich wie in Watte gepackt. Eigentlich ein ganz nettes Gefühl.

Ich hob meinen Arm um mir über das Gesicht zu fahren, aber sofort legte sich eine Hand auf meinen Unterarm und drückte ihn zurück auf die Matratze auf der ich allem Anschein nach lag.

„Nicht, dein hübsches Gesicht hat ziemlich was abbekommen.“ ich hörte ein leises Seufzen. „Und der Rest von dir leider auch.“

Jetzt erst fiel mir wieder ein dass mich ja jemand geweckt hatte, und ich blickte mich überrascht um.

Neben meinem Bett, auf einem sehr unbequem aussehenden Stuhl saß Hector und musterte mich mit einem besorgten Ausdruck im Gesicht. Ich war verwirrt.

„Wo bin ich denn?“ meine Stimme klang kratzig, und ich räusperte mich. Eigentlich konnte ich mir denken wo ich war, aber ich wollte es nicht wirklich glauben. War ich so schlimm verletzt? Ich fühlte mich eigentlich gut, bis auf das Pochen in meiner Hand und dem Ziehen an der Stirn.

Nur Hectors besorgtes Gesicht sagte etwas anderes.

„Georg hat dich ins Krankenhaus geprügelt. Du warst bewusstlos, deswegen haben wir einen Krankenwagen gerufen. Aber bis auf deinen Kopf bist du nicht ernsthaft verletzt.“ Er seufzte und tätschelte mir beruhigend den Arm. „Das übliche, Prellungen und blaue Flecke. Du wirst also wieder.“

Ich stöhnte ergeben und schloss die Augen. Tausend Fragen schossen mir durch den Kopf, aber ich war zu erschöpft um auch nur eine einzige zu stellen. Eigentlich wollte ich nur weiterschlafen und mir um überhaupt nichts mehr Gedanken machen.

Hector schien zu bemerken dass ich meine Ruhe brauchte, er klopfte mir noch einmal aufmunternd auf die Schulter und erhob sich dann.

„Ich werde dich mal noch ein bisschen schlafen lassen, Ruhe kannst du auf jeden Fall gebrauchen. Ich komme morgen nach der Schule noch mal vorbei, dann können wir reden wenn du willst. Bis dahin!“ er winkte mir zum Abschied und verließ dann das Krankenhauszimmer.

Im Laufe des Nachmittags kam meine Mutter vorbei und brachte mir noch ein paar Sachen; sie stellte keine Fragen, nur ob ich wüsste wer mich so zugerichtet hatte. Ich log sie an und verneinte, ich wusste nicht in wie weit Hector sich mit der Sache schon befasst hatte, und ich wollte ihm nicht zuvor kommen.

Auf meinem Handy trudelten Gute Besserungs-Wünsche meiner neuen Bekanntschaften ein, sogar Mariam meldete sich. Ich bedankte mich bei allen und blieb wage was meinen Zustand anging, ich erfuhr sowieso erst gegen Abend bei der Visite dass ich an einer schweren Gehirnerschütterung und unzähligen Prellungen und Quetschungen litt. Eine Platzwunde an meiner Stirn hatte genäht werden müssen, alles andere würde ohne sichtbare Spuren von selbst verheilen.

Von Georg kam kein Lebenszeichen.

Einerseits war ich froh darüber, ich hätte auch nicht gewusst wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte, andererseits saß ich deswegen wie auf Kohlen. Wäre ich nicht voller Beruhigungs- und Schmerzmittel gewesen wäre ich wohl durchgedreht. Aber Hector hatte ja gesagt wir würden reden, und damit sicher auch über Georg. Ich musste mich nur ein bisschen gedulden.

Die Nacht war die Hölle, trotz hochdosierter Schmerzmittel bekam ich rasende Kopfschmerzen und ich musste mich mehrmals übergeben. Das waren die Nachwirkungen der Gehirnerschütterung, und erst in den frühen Morgenstunden kam ich endlich zu etwas Schlaf.

Als Hector am Nachmittag endlich aufkreuzte musste ich aussehen wie ein Zombie, und er war sichtlich erschrocken. Aber er fing sich schnell wieder und begrüßte mich mit einem breiten Lächeln.

„Die Frage wie es dir geht spar ich mir mal, du hast heut sicher schon selbst in den Spiegel geguckt. Aber ich bring dir was nettes zur Aufmunterung!“ er kramte in seiner Jackentasche und überreichte mir dann einen blassrosa Briefumschlag mit hübschen roten aufgedruckten Herzen.

„Von meiner Schwester.“ Hector zwinkerte mir zu, dann zog er sich den Stuhl von gestern an mein Bett und wurde ernst.

Ich legte den Brief auf meinen Nachtschrank und senkte den Blick. Ich wusste nicht ob ich schon bereit war um über das Geschehene zu sprechen, aber es musste ja irgendwann getan werden. Und wahrscheinlich besser eher als später.

Hector seufzte und fuhr sich durchs Haar, dann beugte er sich nach vorn und sah mich durchdringend an.

„Ich weiß dass du die Sache wahrscheinlich lieber totschweigen würdest, und ich weiß auch dass du mir damals nicht alles über Georg und dich erzählt hast.“ Er hob beschwörend die Hand als ich etwas einwerfen wollte, und brachte mich damit wieder zum Schweigen.

„Keine Sorge, ich bin dir deswegen nicht böse. Ich kann´s sogar verstehen. Ich will nicht schönreden was Georg dir angetan hat, aber wenn ich es ein bisschen eher gewusst hätte hätten wir es vielleicht verhindern können.“ Er tippte sich mit einem Finger ans Kinn und schien zu überlegen. Ich starrte auf meine Hände und hielt den Mund.

„Weißt du, normalerweise mische ich mich in Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern meines Rudels nicht ein, das ist eure Sache, damit habe ich nichts zu tun solange es mich nicht selbst direkt betrifft. Aber bei euch ist das etwas anderes. Du bist nicht in unserer Gemeinschaft und als Wolf aufgewachsen, und Georg war die ganze Zeit schon ein Querulant. Und jetzt geratet ausgerechnet ihr beiden aneinander. Du bist ein netter Kerl Ricci, und ich mag dich. Deswegen finde ich auch nicht gut was Georg mit dir gemacht hat. Er hat dich nicht verprügelt weil du ihn herausgefordert hat sondern weil du nicht nach seiner Nase getanzt hast. Und das geht nicht. Das hat nichts mit unserem Verhalten als Rudel zu tun, das ist ein einziger Egotrip. Und wir können keine Einzelkämpfer gebrauchen.“ Hector hatte sich richtig in Rage geredet, seine Stimme war zwar immer noch ruhig aber ich konnte die Emotionen hören die unter seiner Oberfläche brodelten. Und auch wenn es absolut unangebracht war, ich bekam Angst um Georg. Ich hatte Hector noch nie ernsthaft wütend erlebt, aber nun war er es. Und wenn er sich Georg vorknöpfte würde der höchstwahrscheinlich nicht im Zimmer neben mir, sondern direkt auf der Intensivstation landen. Oder gleich im Sarg. Ich schluckte schwer und knetet unruhig die Bettdecke zwischen meinen Fingern.

„Und…was hast du jetzt mit ihm vor?“ ich versuchte möglichst gleichgültig zu klingen, aber meine Stimme zitterte verräterisch. Ich stand wohl immer noch unter Drogen.

Hector beobachtete mich genau, er schien zu überlegen ob er mir überhaupt antworten sollte, aber schließlich gab er sich einen Ruck. Ich würde es ja sowieso herausbekommen. Er sah ein bisschen unglücklich aus als er wieder das Wort ergriff.

„Das kommt ganz drauf an. Als Rudelführer müsste ich eure Uneinigkeiten eigentlich ignorieren, aber ich kann auch keine Störenfriede in meinen Reihen dulden. Georg hat sich Mühe gegeben, natürlich, aber er reagiert immer noch zu…unberechenbar, und er nutzt seine neue Stellung aus. Wer weiß, vielleicht würde er sogar versuchen mir die Rangfolge streitig zu machen.“

Ich sah Hector überrascht an, und er nickte ernst.

„Georg ist nicht dumm, ich weiß dass er mit dem Gedanken auf jeden Fall schon gespielt hat. Und das ist auch riskant für mich. Deswegen muss ich Konsequenzen ziehen. Und die einzigen logische wird sein ihn des Rudels zu verweisen.“

Ich spürte wie mein Herz einen Schlag aussetzte und dann doppelt so schnell weiterschlug. Mir wurde heiß, und ich brauchte ein paar Minuten um diese Information sacken zu lassen. Ich hatte nicht einmal gewusst dass es diese Möglichkeit überhaupt gab, aber so wie Hector sich anhörte war sie weitaus schlimmer als nach einem Kampf im Krankenhaus zu landen. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Einerseits hatte Georg sich selbst zuzuschreiben was er nun bekam, andererseits…war das alles nur passiert weil er eifersüchtig gewesen war. Erst auf Hector, dann auf Mariam. Er mochte mich; ja, vielleicht liebte er mich sogar, und dadurch war alles außer Kontrolle geraten. Ich betrachtete den rosa Brief auf meinem Nachtschrank und mir wurde ganz elend. Mochte ich Mariam mehr als Georg? Ich war mir nicht mehr sicher. Nicht nachdem Hector so ein Ultimatum stellte. Ich wusste nicht genau was es bedeutete aus dem Rudel ausgeschlossen zu werden, aber es würde höchstwahrscheinlich auch das Ende unserer Freundschaft bedeuten.

„Steht das schon fest? Das mit dem Rauswurf?“ ich sah Hector unsicher an, und zu meiner Erleichterung schüttelte er den Kopf.

„Nein, noch nicht. Ganz so einfach geht das auch nicht. Da gehört mehr dazu als nur mein Wort.“ Sein Blick wurde wieder eindringlicher, und ich zuckte ertappt zusammen. Offensichtlich las er in mir wie in einem offenen Buch.

„Aber du willst das nicht, oder? Du ergreifst weiter Partei für ihn, und das obwohl er dich so schlecht behandelt und dich so zugerichtet hat. Ich weiß wie Georg zu dir steht, aber was ist mir dir? Wie stehst du zu ihm? Willst du mir das jetzt vielleicht sagen?“

Ich spürte wie mir das Blut in die Wangen schoss, die frische Naht an meiner Stirn begann  unangenehm zu pochen. Das Thema war mir peinlich, ich wollte nicht darüber reden, und schon gar nicht mit Hector. Ich datete immerhin seine Schwester! Aber wenn ich Georgs Haut retten wollte musste ich ehrlich sein, und tief in mir drin wollte ich das. Er konnte schließlich nichts dafür dass er mich mehr mochte als gut für uns beide war.

„Ich…weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich möchte nicht dass er Ärger bekommt, zumindest nicht so viel. Aber ich möchte auch nicht dass er mich weiterhin schikaniert. Oder dir gefährlich wird. Ich möchte eigentlich nur dass wir uns alle gut verstehen ohne dass es jedesmal eskaliert. Aber das geht wohl nicht.“ Ich ließ mich resigniert zurück in die Kissen sinken und schloss die Augen.

Hector schwieg, ich hörte ihn gleichmäßig atmen, dann berührten seine Finger vorsichtig meine Hand.

„Es gäbe vielleicht eine Möglichkeit, aber dann musst du meine nächste Frage wirklich ehrlich beantworten. Davon hängt alles ab.“

Ich öffnete die Augen und sah ihn fragend an. Er hatte die Stimme gesenkt und seine Miene war so ernst dass ich erschauderte.

„Ich bin ehrlich. Was willst du wissen?“

Hector schien sich noch einmal zu sammeln, er wählte seine Worte ganz genau bevor er sie an mich richtete.

„Ich habe dir die Frage schon einmal gestellt, aber du bist ihr elegant ausgewichen. Deswegen stelle ich sie dir jetzt noch einmal, und diesmal musst du mir antworten: Was fühlst du für ihn?“

Ich ließ mir Zeit mit meiner Antwort. Ich wusste nicht genau warum Hector das unbedingt wissen musste, aber ich wollte ihm eine klare Antwort geben. Und eine ehrliche.

Ich musste an den Kuss denken den Georg mir gegeben hatte; nicht den ersten, und nicht den draußen vor dem Haus. Sondern den anderen. Den bei dem er mir zum ersten Mal gezeigt hatte was er wirklich von mir wollte.

Ich hatte ihn abgeblockt, und er hatte es kein weiteres Mal probiert. Und dann hatte ich Mariam geküsst. Und das war anders gewesen. Aber auch besser?

Ich konnte das einfach nicht vergleichen. Es ging auch nicht. Georg war mein Freund, wir verstanden uns die meiste Zeit gut auch wenn es die letzten Male oft zum Streit gekommen war, aber er war eben auch ein Wolf, und er dominierte mich jedes Mal wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Während Mariam…mit ihr könnte es herrlich unkompliziert werden. Sie war zwar immer noch Hectors Schwester, aber sie gehörte nicht mehr zu unserem Rudel, und außerdem war sie ein Mädchen. Auch wenn Hector anscheinend nichts gegen eine Verbindung zwischen Georg und mir einzuwenden hatte, wie würden das die anderen sehen? Von denen konnte ich noch keinen gut genug einschätzen um zu wissen wie sie reagieren würden.

Ich rieb mir mit den Handballen über beide Augen und stöhnte resigniert. Ich kam zu keinem Ergebnis. Zumindest nicht sofort. Würde Hector das verstehen?

„Ich würde dir gern eine ehrliche Antwort geben, aber ich kann nicht. Nicht jetzt. Ich muss zuerst mit Georg sprechen. Ginge das?“ ich sah Hector um Erlaubnis bittend an, und er überlegte einen Moment. Dann nickte er. Er schien mit meiner Bitte nicht zufrieden, aber er sah wohl ein dass das keine Entscheidung war die ich sofort treffen konnte. Ich dankte ihm im Stillen.

„Ich werde ihn anrufen und ihm sagen dass du mit ihm sprechen willst. Er weiß um den Ernst der Lage, also wird er sich nicht sträuben. Aber wir können uns damit nicht allzu viel Zeit lassen, das Rudel ist unruhig und will eine Entscheidung. Und die muss ich ihm so bald wie möglich bringen.“

Hector erhob sich und zog sein Handy aus der Hosentasche, dann verabschiedete er sich und ging raus auf den Flur. Ich wusste nicht ob er noch mal zurückkommen würde, aber knapp fünf Minuten später öffnete sich meine Zimmertür wieder und er kam doch zurück, das Handy immer noch in der Hand.

„Heute hat er keine Zeit, er gibt Nachhilfe. Aber er kommt morgen vor der Schule vorbei, das muss ausreichen. Überlege dir genau was du sagst.“ Hector sah mich noch einmal eindringlich an, dann lächelte er.

„Das wird nicht nur wichtig für Georg, sondern auch für dich. Ach, und den solltest du vielleicht besser verstecken.“ er deutete mit einem Kopfnicken auf den rosa Briefumschlag, und ich schob ihn mit hochrotem Kopf schnell in meinen Nachttisch. Das entlockte Hector ein Lachen, und er klopfte mir noch einmal auf die Schulter.

„Gar nicht so leicht so begehrt zu sein, was? Aber du machst das schon. Ich vertrau dir. Und jetzt mach ich mich mal lieber auf die Socken, ich habe dich lange genug belästigt. Du sollst dich ja ausruhen und gesund werden. Wenn was ist, ruf mich jederzeit an. Okay?“ Ich nickte stumm, und dann verabschiedete Hector sich endlich. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel ließ ich mich erschöpft in die Kissen zurücksinken und schloss die Augen. Die Kopfschmerzen waren zurückgekehrt, aber ich war zu müde um nach einer entsprechenden Tablette zu klingeln. Ich wollte eigentlich nur noch schlafen. Und tatsächlich, obwohl meine Gedanken wie wild Karussell fuhren dauerte es keine fünf Minuten bis ich tief und fest eingeschlafen war.



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