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Was die Hitze des Sommers nicht alles bewirken kann...

The Vessel and the Fallen 1
von

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Überraschung

 

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Vollkommen erschöpft stolperte Koumei durch die unendlich langen, nächtlichen Gänge der Residenz in seine Gemächer. Dieser schreckliche Tag… endlich vorbei. Sein Rücken schmerzte wie bei einem alten Greis, da er die letzten beiden Stunden zusammengekrümmt in einer engen Wandnische verbracht hatte. Wann immer Schritte sich genähert hatten, war er zusammengezuckt, in ängstlicher Erwartung entdeckt zu werden. Aber nun musste seine Zeit bei der Haremsdame abgeleistet sein und er konnte ohne schlechtes Gewissen in seine eigenen Räumlichkeiten zurückkehren. Vorerst würde niemand seinen Ungehorsam bemerken. Welch ein furchtbarer Geburtstag. Stöhnend ließ er sich auf sein Bett fallen. Die herrlich weichen Kissen trösteten ihn ein wenig. Am liebsten wäre er nun an Ort und Stelle eingeschlafen und hätte alles vergessen. Doch er trug immer noch diesen furchtbaren Haarknoten, der seine Kopfhaut höllisch brennen ließ. Angestrengt versuchte er, die Nadeln zu entfernen. Erfolglos. Diese schrecklichen Folterinstrumente saßen viel zu fest. Verdammt, er hätte den Dienerinnen, die ihn vorhin verzweifelt gesucht hatten, nicht entfliehen sollen. Alleine kam er aus dem ganzen Zeug nie wieder heraus. Er jammerte unterdrückt, so unangenehm ziepte seine Haut. Dieser Geburtstag war der schlimmste von allen gewesen. Alleine schon wegen dieser dämonischen Kali, die ihm bestimmt noch Schwierigkeiten bereiten würde. Außerdem all dieser festliche Quatsch am Mittag. Wieso mussten sie nur immer eine solche Feier veranstalten? Dabei war der einzige, dessen Glückwunsch ihm heute wirklich etwas bedeutet hätte, wie vom Erdboden verschluckt. Unauffindbar. Ob er plötzlich zurück nach Rakushou hatte reisen müssen? Er vermisste Hakuren jetzt schon. Dabei hatten sie sich zum letzten Mal gestern, bei ihrem Treffen unter den Dornenbüschen, gesehen. Ach, er fühlte sich so elend. Seine Armbänder klirrten zustimmend. Vielleicht hatte der Prinz einfach keine Lust ihm zu gratulieren. Wohlmöglich hatte er endlich gemerkt, dass Koumei nur ein verlotterter, hässlicher Zottel war. Der Zuneigung eines Kaiserssohns nicht würdig. Oh, wie sehr diese Gedanken schmerzten. Ja, am liebsten hätte er sich in seinem Bett verkrochen und wäre nie wieder aufgestanden. Eine vereinzelte Träne rann aus seinem Augenwinkel. Leises Wimmern drang aus seiner Kehle. Er fühlte sich so einsam und verlassen.
 

Plötzlich ertönte ein kaum vernehmbares Klopfen an der Tür. Ein irrationaler Gedanke schoss durch seinen Geist: Ist das Vater? Erschrocken fuhr der Rothaarige auf. Stieg fahrig aus dem Bett und schlich mit hängendem Kopf hinüber zur Tür. Als er sie öffnete und auf den schwach beleuchteten Flur spähte, erstarrte er überrascht. „Alles Gute zum Geburtstag, Mei.“ Dann verwandelte sich seine ungläubige Miene in ein vorsichtiges Lächeln. Eine zarte Berührung ihrer Lippen und schon schlüpfte der zweite Prinz an ihm vorbei in das nächtliche Zimmer. „H-Hakuren?“, murmelte Koumei verwirrt und sein Herz hüpfte auf und ab vor Freude. Sogleich fand er sich in einer warmen Umarmung wieder. „Ist alles in Ordnung mit dir? Du klingst so aufgewühlt“, flüsterte eine besorgte Stimme in sein Ohr. „Mmh…“, war die einzige Antwort. Normalerweise hätte sich der andere an dieser vagen Entgegnung gestört, doch nun schien er sie kaum zu registrieren. Hakuren wirkte seltsam angespannt und gehetzt, wie er sich immer wieder hektisch umschaute. Als ob er einen unsichtbaren Verfolger suchte. Ein wenig außer Atem begann er, sich schließlich etwas zu entspannen. „Es tut mir so leid, dass ich heute nicht da war, Mutter hat mich kurzfristig nach Hause beordert. Eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein, aber ich musste dir auf jeden Fall noch gratulieren!“, meinte er aufgebracht. Er hatte nur wegen ihm den ganzen Weg aus dem Palast in der Hauptstadt bis hierher auf sich genommen? Dabei lag das Anwesen, welches damals ein Zweitwohnsitz der kaiserlichen Familie gewesen war, nun allerdings dem jüngeren Bruder gehörte, doch auf dem Land und ein wenig abgelegen. Wie ungewöhnlich. Koumei errötete. Aber in dem sternenlichtdurchfluteten Raum, ließ sich dies nicht erkennen. Dann jedoch stürzte er in ein bodenloses Loch. Taumelte. Als hätte ihm jemand ins Gesicht geschlagen. Er hatte gewusst, dass sich ihre Wege bald für ungewisse Zeit trennen würden, aber jetzt schon? So früh? Er hatte gedacht, dass ihnen wenigstens noch ein paar Tage vergönnt wären. Angstvoll blickte er zu dem anderen auf. Dieser bemerkte es nicht einmal, wirkte aufgewühlt und unruhig. „Wann genau ist deine Hochzeit?“, stieß er heiser hervor. „In drei Wochen“, erwiderte Hakuren. Koumei blickte ihn entsetzt an. So bald schon? „N-nein…“, flüsterte er. Doch sein Freund kümmerte sich nicht darum. „Komm, wir gehen raus, drinnen ist es viel zu warm“, beschloss der Ältere und zog ihn hinter sich her. Er ergriff eine kleine Kerze, die schlafend auf Koumeis Nachttischchen wachte, stieß die Türen, welche auf die Terrasse führten, so sachte wie möglich auf und geleitete seinen Cousin ins Freie.
 

Draußen herrschte eine erfrischende Temperatur. Wie für einen Spätsommer im Kou Reich üblich. Wirklich besser, als in dem stickigen Schlafzimmer. Abertausende Sterne funkelten am tiefschwarzen Firmament. Sogleich verbanden sich die einzelnen Lichtpunkte vor Koumeis Augen zu vollständigen Sternbildern. Begeistert fixierte er den Himmel und hörte in seinem Kopf die fremdartigen Namen der magisch erscheinenden Gebilde. Erst Hakurens sanfte Worte holten ihn in die Gegenwart und auf die Erde zurück: „Du siehst nicht sehr glücklich aus, dafür dass heute dein Geburtstag ist. Was ist denn passiert?“ Die Unruhe verschwand aus seiner Körperhaltung und wandelte sich in leise Besorgnis. Der Jüngere wollte nicht antworten, aber Hakuren ließ nicht locker. Entzündete die Kerze. Schweigend. Er konnte warten. Koumei druckste ein wenig herum. Das Antlitz erhellt vom flackernden Flammenschein. „Ach…ich mag diese großen Feste nicht. Vor allem wenn ich im Mittelpunkt der Feierlichkeiten stehe. Das ist so…unangenehm. Diese Augen, die einen aus allen Richtungen anstarren…“ „Ist das wirklich der Grund?“, fragte Hakuren ein wenig erstaunt. Ihm behagte es sehr, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Auch wenn er wusste, dass es nicht allen Leuten so ging, konnte er das nicht besonders gut nachvollziehen, schließlich wollte er eines Tages Kaiser werden, auch wenn sein älterer Bruder das Amt erben würde. Koumei zögerte verbissen. Sollte er es ihm sagen? Dass sein furchtbarer Geburtstag nicht den einzigen Grund für seinen aufgelösten Zustand darstellte? Dass er sich nun vor dem nächsten Morgen fürchtete, an dem er ohne hin hier zurückbleiben und in den erstickenden Papierbergen versinken würde? Ihm gestehen, dass er ihn, wirklich nur ihn, den ganzen Tag so verzweifelt herbeigewünscht hatte? Ihn anflehen, für immer bei ihm zu bleiben oder zumindest mit in den kaiserlichen Palast ziehen zu dürfen? Nein, das wäre nicht gerecht. Hakuren hatte eine unermesslich wichtige Pflicht zu erfüllen. Wichtiger als irgendwelche lächerlichen Gefühle. Koumeis eigene Wünsche spielten da keine Rolle. Sie würden nur das Leben seines Freundes zerstören. Also sagte er gar nichts. Stattdessen krallte er verzweifelt die Finger in die Kleidung des anderen, wie um ihn für immer fest zu halten. „Koumei…“, murmelte dieser bekümmert. Dann erst bemerkte er die strenge formelle Kleidung des Jüngeren, in der dieser sich sichtlich unwohl fühlte. „Setz dich doch mal hin, dann löse ich dir die Haare“, schlug er fürsorglich vor. Koumei tat wie geheißen. Erschöpft ließ er sich auf die knarzenden Holzdielen fallen und lehnte sich seufzend gegen die Oberschenkel Hakurens, als dieser sich hinter ihn kniete. „Ich warne dich vor, danach hast du kein einzelnes Haar mehr auf dem Kopf“, scherzte der Prinz. Schon begann er behutsam, aber ziemlich ungeschickt, die feinen Nadeln, eine nach der anderen, aus den roten Zotteln zu ziehen. So hochkonzentriert, dass er nicht einmal mehr über alles Mögliche schwatzte.
 

Koumei schloss müde die Augen. Es tat dermaßen gut, endlich mit seinem geliebten Hakuren zusammen zu sein. Das war alles, was er sich die ganze Zeit über gewünscht hatte. Auch wenn selbst dessen vorsichtige Finger ihn nicht vor den höllischen Schmerzen in seiner Kopfhaut bewahren konnten, als die gewaltsam hochgesteckten Haare nach und nach zurück in ihre natürliche Position fielen. Er konnte ein paar Tränen nicht unterdrücken, doch in dieser Nacht erkannte es niemand. Trotzdem genoss er es, an Hakuren gelehnt dazusitzen und die Sterne zu beobachten. Irgendwann begann er, ihm die Namen aller Sternbilder, die er kannte aufzuzählen. Darüber vergaß er das unangenehme Ziepen und schien den anderen durch sein Wissen schwer zu beeindrucken. Schließlich rutschte die letzte Strähne vor seine Augen und er spürte einen langen Kuss in seinem Nacken. „Fertig. Fühlst du dich besser? Du siehst auf jeden Fall wieder so aus, wie du“, befand Hakuren und strich ihm sanft über den Rücken. „Danke“, erwiderte Koumei nur. Doch es kam aus vollem Herzen. Auch wenn sich seine Kopfhaut noch immer anfühlte, als hätte Kouha sie mit seinem kleinen Messer bearbeitet. Hakuren streckte sich gähnend. „Wieso erzählst du mir nicht ein bisschen von deinem Tag, Mei? Das könnte ich echt gut gebrauchen. Meiner war nicht grade großartig, wie du dir sicher vorstellen kannst.“ Der Kleinere überlegte angestrengt, was er dem anderen schönes von der Feier berichten konnte, doch ihm fiel überhaupt nichts Positives ein. Nach einer Weile des Schweigens meinte Hakuren: „Du bist heute noch stiller als sonst. Irgendetwas betrübt dich, ich wünschte, du würdest mir verraten, was. Es ist wirklich deprimierend, dich so zu sehen.“ Keine Antwort. Also zog der Schwarzhaarige Koumei fester in seine so behaglichen Arme und griff zur Bestechung: „ Du kannst mir für den Anfang aber auch nur erzählen, was du alles geschenkt bekommen hast. Dann gebe ich dir auch etwas! Sechzehn ist ein guter Geburtstag für schöne Geschenke. Du bist noch jung genug, dass sie dir viel hinterherwerfen aber auch so erwachsen, um  wirklich tolle Sachen zu bekommen. War zumindest bei mir so. Jetzt bekomme ich nur noch eine Hochzeit…“ Bei seinem letzten Wort verzog er angewidert das Gesicht. Koumei zuckte bei ihrer Erwähnung zusammen. Beinahe hatte er sie verdrängt und nun spukte ihr drohender Schatten wieder wie wild in seinem Geist herum. „Tut mir leid, Mei. Wir wollen heute Abend an etwas Schöneres denken, also los!“
 

Der Angesprochene errötete wieder. Eigentlich wollte er jetzt erst recht nicht über seine Geschenke reden, die ihm überhaupt nicht zusagten, sondern den Tag abschließen und vergessen. Eine weitere überstandene Unannehmlichkeit. Doch wenn Hakuren, den er heute wahrscheinlich das letzte Mal so nahe bei sich haben würde, so versessen darauf war… „Nun… sie haben mir schöne Kleidung geschenkt. Viel zu viel unnützes Zeug. Schmuck, ein paar neue Tauben, einen edlen Zaum für mein Pferd, natürlich schlaue Bücher in Hülle und Fülle…“, er verstummte peinlich berührt. „Klingt doch gut?“ „ … und eine Frau …“, kam es kläglich hinterher. „Ach?“ Hakuren grinste: „Da war dein Vater aber wirklich sehr großzügig. Nun ja, Frauen hat er schließlich auch genug. Ich wundere mich immer wieder, weshalb mein Vater nur Mutter und keinerlei Nebenfrauen hat. Das ist unüblich für einen Kaiser.“ Koumei hatte sich eine andere Reaktion von ihm erhofft. Kümmerte es ihn denn gar nicht? War er nicht eifersüchtig? Er selbst wäre es gewesen. „Ich will sie aber nicht!“, stieß er verstört hervor und klammerte sich beinahe ängstlich an Hakurens Ärmel, wobei er immer tiefer rutschte. „Ich weiß überhaupt nicht, was ich mit ihr anfangen soll und ich will sie auch überhaupt niemals wiedersehen, ich bin ja schon froh, dass sie mich nicht angerührt hat!“ Zumindest hat sie es nicht mehr geschafft.
 

Der Prinz konnte ein belustigtes Schnauben nicht unterdrücken. „Du bist wirklich ein seltsamer Kerl, Mei. Wenn du sie erst einmal nur besuchst, wird dir schon nichts Schlimmes geschehen. Vielleicht findest du sie dann später sogar recht anziehend, wer weiß vielleicht hat sie mehr Angst vor dir, als du vor ihr?“, versuchte er ihn dann zu beruhigen. Koumei erschauderte angewidert. Kali? Sie war eine Dämonin, das bedrohlichste Wesen, welches er neben seinem Vater je in diesem Palast antreffen konnte. Vulgär, anzüglich, respektlos. Vollkommen unbeeindruckt von ihm, ganz anders als man es von einer liebenswerten Frau erwartete. Und sie hatte ihn tobend aus ihren Gemächern verbannt. Wieso duldete Koutoku solch eine Hexe in seinem Harem? Und wieso kümmerte es Hakuren nicht? Wollte er ihn loswerden? „Ich will aber nicht irgendeine Haremsdame von meinem Vater, die ich gar nicht kenne oder sonst irgendjemanden, Ren, ich will dich!“, jaulte er entsetzt. Überrascht von diesem plötzlichen Ausbruch, starrte der andere ihn an. „Nun ja… ich weiß.“ Koumei, dessen Kopf nun in seinem Schoß ruhte, blickte verlegen zu ihm auf. „Ist das schlecht? Gefällt dir das nicht mehr? Denkst du eigentlich, ich sehe meinen Schwestern zu ähnlich?“ Nun war ausnahmsweise der Prinz überfordert. Vorsichtig strich er ihm die roten Zotteln aus dem Gesicht. „Ach…weißt du, Mei… das kommt immer auf den Betrachter an. Unsere Väter fänden das sicher schlecht. Ich allerdings… habe natürlich kein Problem damit. Im Gegenteil.  Und natürlich siehst du deinen Schwestern ähnlich.“ „Oh…“, murmelte Koumei geknickt, sah er in Hakurens letztem Satz die beleidigenden Worte Kalis bestätigt. Der Prinz grinste plötzlich schalkhaft. „Das heißt nicht, dass du wie ein Mädchen anmutest, aber die familiäre Ähnlichkeit ist unverkennbar.“ Dieser Satz erleichterte den Rothaarigen ungemein. Angesteckt von Hakurens Grimasse kicherte er, wie er es das letzte Mal als kleiner Junge getan hatte, wofür er einen überraschten Seitenblick seines Geliebten erntete. Sollte er sich damit abfinden, dass er auch einmal über etwas lachen wollte.
 

„So, nun kommt mein Geschenk!“, beschloss Hakuren und zauberte aus heiterem Himmel ein recht großes Päckchen hervor, das er auf Koumeis Brust fallen ließ. Dabei verlangte es diesen nicht nach noch einer unnötigen Gabe. Die Anwesenheit seines Geliebten reichte ihm vollkommen aus. Dann landete das Paket auf seinem Bauch. Überrascht verstummte er. Es war ziemlich schwer. „Was ist das, Ren?“, fragte er, schlagartig neugierig. Was sollte sein Cousin ihm schon schenken? Er besaß sicher kaum etwas passendes, über das er frei verfügen konnte. „Mach es schon auf!“, drängte dieser. Gespannt löste der Rothaarige das grobe Packpapier. Heraus schälte sich etwas Glänzendes. Goldenes. Dann berührten seine Hände etwas herrlich Weiches. Federn! Verblüfft zog er einen schwarzgefiederten Fächer aus dem Päckchen hervor. Der Griff bestand aus purem Gold mit einem eingelassenen Rubin in der Mitte. Das Funkeln des Edelmetalls ließ die Federn umso dunkler wirken. Sie schienen das Licht zu verschlucken.  „Oh… danke schön…“, wisperte er so angetan, wie möglich. Was sollte er denn mit einem Fächer anfangen? Sicher, er sah wirklich teuer, wertvoll und wunderschön aus, aber der Sinn dahinter offenbarte sich ihm nicht. Der Ältere ließ sich allerdings nicht lange um eine Erklärung bitten: „Ich dachte, ich schenke dir einen Fächer, weil Hakuei auch immer einen benutzt, wenn ihr zu warm ist. Du beklagst dich doch im Sommer immer darüber, dass du geröstet wirst. Außerdem war er so teuer, dass Mutter ausrasten wird, wenn sie es herausfindet, dass ich ihn dir geschenkt habe. Das allein freut mich schon. Egal, ich fand, er passt zu dir, schließlich hängst du so sehr an deinen Vögeln. Ach und der Edelstein hat die gleiche Farbe, wie dein Haar. Und wie gesagt, du kannst Hitze nicht leiden. Jetzt wird sie dir nicht mehr so viele Probleme bereiten. Glaub mir, dieses Ding funktioniert bestens!“ Mit diesen Worten nahm er dem verwirrten Koumei den Fächer ab und wedelte ihm damit etwas Luft zu. Tatsächlich, er tat, was seine Aufgabe war. Unglaublich… Eigentlich mochte Koumei es lieber, wenn man die Federn der Vögel an ihren Flügeln beließ. Aber immerhin hübsch, dieses Ding. Also passte es eigentlich nicht zu ihm, aber das war ihm egal. Er gab sich Mühe, ein wenig Begeisterung zum Ausdruck zu bringen, aber Emotionen zu zeigen, besonders falsche, fiel ihm oftmals so schrecklich schwer. Egal. Für ihn zählte heute Abend ohnehin nur Hakurens, alles andere betäubende, Anwesenheit.
 

Dieser legte den Fächer beiseite. Natürlich vorsichtig auf das Packpapier, auf welchem unterdessen auch die Haarnadeln einen Platz gefunden hatten. Auch er erkannte, dass der andere mehr an ihm, als an seinem Geschenk interessiert war. Eigentlich erfreulich. Auch wenn es ihn ein wenig wurmte, dass das teure Teil derart unbeeindruckt angenommen worden war. Koumei schien sich nicht sonderlich über den Fächer zu freuen. Aber egal, es war viel wichtiger, jetzt bei ihm zu sein. Der Jüngere blinzelte vertrauensvoll zu ihm hinauf. Er fühlte sich so sicher, dass er ewig die kühle Nacht in den Armen des anderen verbringen könnte. Hakuren lächelte. Vergrub seine Nase in den unordentlichen Zotteln des Kleineren. „Du riechst so gut, heute Nacht“, bemerkte er beiläufig. Koumei errötete. Kein Wunder, nachdem, was die Dienerinnen ihm an diesem Morgen angetan hatten… Hakuren lächelte über seine Schüchternheit. Immer noch, nach all den Wochen. Dann zog er ihn in einen ungestümen Kuss hinein. Koumei erbebte am ganzen Körper. Vergaß schlagartig seine Sterne. Alles um sie herum. Krallte seine Finger noch tiefer in Hakurens Arme. Ließ sich von ihm in eine aufrechtere Position ziehen. Es gab nur noch sie beide. Er spürte das vertraute Lodern in seinen Adern. Das Verlangen, dass dieser Moment niemals enden würde. Bewegte seine Lippen voller Genuss gegen die des Älteren. So weich… Öffnete sie bereitwillig. Warm. Es fühlte sich so gut, so richtig an, mit ihm beisammen zu sein und ihn immer und immer wieder zu küssen.
 

Auch nach all den Tagen, wurde er dessen einfach nicht müde. Koumei liebte den Geschmack dieser Zärtlichkeiten. So süß und doch unbeschreiblich. Sie verliehen ihm die trügerische Sicherheit, für immer bei seinem Hakuren bleiben zu dürfen. Seine sanften Hände, die ihn so vorsichtig hielten, als wäre er etwas unsagbar Wertvolles. Es gab ihm so viel… Geborgenheit und das Gefühl, von jemandem wahrhaft geschätzt zu werden. Und das war noch lange nicht alles. Der Prinz seufzte schwer. Als sie sich widerwillig voneinander lösten, verband sie lediglich ein dünner Speichelfaden. Doch sie kümmerten sich nicht darum. Koumei wischte ihn nachlässig beiseite. Früher hätte er es rational betrachtet als ekelerregend bezeichnet, irgendjemanden zu küssen, am aller meisten wohl seinen besten Freund, schließlich konnte er es immer noch kaum begreifen, aber nun… Seit wenigen Wochen hatte er begonnen, sich manchmal zu wünschen, eine seiner Schwestern zu sein. Nicht weil er gerne so wie sie gewesen wäre, sondern weil ohnehin einmal die Möglichkeit bestanden hatte, dass eine von ihnen Hakuren heiraten würde. Ehen zwischen Cousin und Cousine waren besonders in Adelskreisen üblich und wenn nicht grade ein wichtiges Bündnis geschlossen werden musste, die bevorzugte Verbindung in ihrer Familie. Es gab einige Persönlichkeiten unter ihnen, für die reines, kaiserliches Blut die allerwichtigste Voraussetzung für einen künftigen Herrscher darstellte. Es wäre so unendlich viel einfacher gewesen. Niemand hätte sich groß an ihrem viel zu engen Verhältnis gestört, man hätte vielleicht etwas schneller als gewöhnlich eine Hochzeit arrangiert und gut. Er hätte sich gefreut jemanden heiraten zu können, den er schätzte, sogar liebte. Damals, vor ihrer langen gemeinsamen Zeit, hätte er vielleicht die Vernunft und Selbstbeherrschung besessen, derartige Gefühle bereits im Keim zu ersticken, doch mittlerweile… verabschiedete sich sein Denken beängstigend schnell.
 

Benebelt lag sein Kopf an Hakurens Brust und versuchte vergeblich die Eindrücke zu verarbeiten. Es ging nicht. Schon seit viel zu langer Zeit nicht mehr. Warmer, keuchender Atem  verdrängte die leichte Gänsehaut auf seiner Wange. Ließ die Röte wieder auf sie treten und ihn sich fühlen, wie im Fieber. „Findest du dieses Geschenk etwa besser?“, neckte Hakuren ihn liebevoll und tätschelte beruhigend seinen Rücken. „Vielleicht“, nuschelte Koumei zaghaft, während er nervös an seinem Armband herumspielte. Wenn es nach ihm ginge, könnte er jetzt hier draußen in der lauen Nacht einschlafen. Sich in Hakurens angenehmer Gegenwart niederlegen und bei den ersten Sonnenstrahlen neben ihm erwachen. So, wie es ihm schon mehrere Male unter den Dornen passiert war, wenn sie alle Vorsicht vergessen hatten und nicht ins Haus zurückgekehrt waren. Zu schön, um wahr zu sein. Morgen wäre er fort und sie würden nie wieder gemeinsam den Himmel zu dieser Tageszeit betrachten.
 

Wohlig seufzend schmiegte er sich dichter an Hakurens Brust. Dieser Augenblick war vollkommen. Einfach alles an ihm. Die Anwesenheit des jungen Mannes neben ihm, die Zeit, die Sterne, die nur noch schwach herüberklingenden Geräusche seiner Feier, die ohne ihn scheinbar noch viel spaßiger zu sein schien, was er nicht im mindesten Bedauerte. Heute Nacht konnte er die Pleiten des Tages endlich vergessen. Plötzlich murmelte es an seiner Schulter: „Was ist, sollen wir einen kleinen Spaziergang durch den Garten unternehmen?“ Erstaunt  drehte der Kleinere sich um. Sonst war doch immer Hakuren derjenige, der meinte, sie dürften sich anderen gegenüber nicht so verbunden zeigen. „Meinst du, das ist eine gute Idee? Was ist, wenn sie uns sehen?“ Der Schwarzhaarige zuckte unternehmungslustig die Achseln. „Dann denken sie, ich bin wieder hergekommen, um mich mit meinem besten Freund zu unterhalten und natürlich um ihm mein Geschenk zu überreichen und alles Gute zu wünschen. Du solltest allerdings ein bisschen mehr Abstand von mir halten, Mei, sonst ist es wohl zu offensichtlich“, scherzte er. „Mh…“, grübelte Koumei, ließ sich aber widerstandslos auf die Beine ziehen. Zu sehr vertraute er dem anderen. Außerdem schlug er ihm nur ungern einen Wunsch ab. So liefen sie hinaus in den finsteren Garten, trotz Hakurens angeblicher Sorglosigkeit, stets darauf bedacht, dass sie sich im Schatten der hellerleuchteten Fenster des Hauses hielten.
 

Der Rothaarige drückte sich unsicher an den Älteren und überließ ihm die Führung. Atmete scharf ein: Kies knirschte verräterisch unter ihren Schritten, doch bald hatten sie endlich das weiche Gras erreicht, welches die Töne verschluckte. Dann schlängelten sie sich auf kleinen Trampelpfaden durch die Sträucher, immer weiter von der ausgelassenen Gesellschaft fort. Verspäteter Blütenduft drang in ihre Nasen. Plötzlich blieb der Prinz wie angewurzelt stehen. Schlagartig verkrampfte sich Koumei. War da jemand? Dann atmete er erleichtert aus, als er bemerkte, dass Hakuren lediglich begeistert vor einer schönen Pflanze haltgemacht hatte. „Schau mal, Mei! Ein Tränendes Herz! Es blüht, obwohl der Frühling längst vorbei ist!“, rief er verzückt. Noch immer voller Adrenalin, nickte der Angesprochene matt. Er verstand nicht, was daran so bezaubernd sein sollte. Die herzförmigen Blüten der Pflanze gefielen ihm zwar, aber wenn man sie jeden Tag betrachtete, waren sie nichts Besonderes mehr. Nichts, was derartige Ergriffenheit rechtfertigen konnte. „Es ist wie dein Haar!“, seufzte Hakuren schwärmerisch und knipste eine, bei Tageslicht kräftig rosa gefärbte, Blüte von einem Stiel ab. Dieser seltsame Kerl ist heute Abend vollkommen durchgedreht. „Das stimmt gar nicht. Meine Haare sind rot, nicht pink wie Kouhas“, verteidigte sich Koumei beleidigt. „Du hast Recht, es passt besser zu deinen Augen“, berichtigte sich sein Cousin schnell. Unwillig drückte Koumei die Hand des anderen von seinem Gesicht fort, der die Farbe des Herzens unbedingt mit der seiner Augen abgleichen wollte. Unmöglich in der Dunkelheit. „Ren, hör auf dam-!“
 

Ein lauter Knall zerriss die ruhige Abendluft. Koumei stieß einen leisen Angstschrei aus und klammerte sich an Hakuren, der nach einer Schreckenssekunde bereits prustend seinen Kopf tätschelte. Was war das? Es klang verdächtig nach einem Katapult oder sonstigen Waffen mit hoher Durchschlagskraft! Griff jemand ihre Heimat an? Aber warum? Und wieso lachte der zweite Prinz ihn aus? „Sieh mal nach oben“, drängte ihn der Ältere gefesselt. Koumei folgte seinem Blick in den düsteren Nachthimmel. Dort oben strahlten nur noch ein paar einsame Sterne und der Mond. Dann schoss ein rotes Leuchten in die Luft und explodierte mit lautem Schall in einer funkelnden Fontäne aus Grün, Violett und Gelb. „Oh…“ Wie peinlich. Dem vereinzelten Feuerwerkskörper folgten sogleich unzählige andere. Sie erfüllten den Himmel mit einem bunten Farbenspiel. Goldene Flammen, rote Lichter, silberne Funken, blauer Glanz, violette, grüne, gelbe Schimmer. Einmal erschufen sie sogar die lodernde Silhouette eines gewaltigen Drachen. „Ist das nicht herrlich?“, raunte Hakuren, kaum verständlich zwischen all dem Lärm der zischenden Raketen. Koumei schüttelte nur überwältigt den Kopf. „Wieso veranstalten sie so ein aufwändiges Theater?“, fragte er sich laut. Hakuren schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Vielleicht weil sie dich wertschätzen? Weißt du noch, wie es bei Hakuyuu, Kouen und mir gewesen ist? Da haben sie auch alles gezeigt, was sie aufbringen konnten.“
 

Koumei verzog das Gesicht. Seine Mundwinkel hingen tief nach  unten, als er schnaubte: „Das glaubst du wohl selbst nicht. Immerhin habe ich das Fest längst verlassen. Sie brauchen einfach nur einen Grund zum Feiern und sich betrinken.“ Der Blick seines geliebten Freundes wurde mit einem Mal unendlich traurig. „Mei, lächle doch mal. Sieh nicht immer in allem nur das schlechteste. Dein Vater schätzt dich wirklich, wenn er dir zu Liebe ein Feuerwerk zünden lässt.“ Der Rothaarige wusste es besser, hatte Koutoku es ihm heute nur zu deutlich ins Gesicht gesagt. Seine Stimme klang bitter, als er antwortete: „Natürlich schätzt er mich, seinen nutzlosen Sohn, der nicht einmal den Schwertkampf beherrscht. Und noch viel mehr schätzen würde er mich, sollte er irgendwann erfahren, dass sein erbärmlicher Sprössling sich alleine mit dem hochwohlgeborenen Sohn seines Bruders davonstiehlt. Wie sehr würde er sich wohl freuen, wenn er wüsste, dass ich anstatt dieser schrecklichen Kali, meinen Cousin küsse?“ Der Sarkasmus half nicht. Es schmerzte trotzdem viel zu sehr, diese Wahrheit auszusprechen. Diese Gefühle zwischen ihnen waren falsch, egal wie richtig sie sich anfühlen mochten. „Aber Koumei…“ „Er wird uns umbringen, alle beide“, stellte er trocken fest. „Das würde Onkel Koutoku niemals tun! Außerdem werde ich jedem erzählen, dass es alleine meine Idee war“, protestierte Hakuren heftig. „Niemand würde dir das abnehmen. Vielleicht würde Vater nicht so weit gehen zu töten, aber es käme dem sicherlich nahe“, beharrte der andere. Der Schwarzhaarige verzog das Gesicht. „Ich verstehe das nicht. Weshalb hätte dein Vater dieses riesige Problem mit uns beiden? Unser Verhältnis ist vielleicht nicht derart üblich, aber auch nicht sonderlich selten. Eigentlich wird derartiges weder verboten, noch sonderlich geschätzt.“ Das konnte Koumei sich allerdings nicht vorstellen. Woher sollte Hakuren das schon erfahren haben? War er nicht immer derjenige gewesen, der um jeden Preis verheimlichen wollte, was zwischen ihnen beiden vor sich ging? Koutoku hatte eindeutig ein Problem damit, das wusste er einfach. Sein Vater berief sich dabei auf ihre Religion und meinte, dass nur Mann und Frau für einander bestimmt seien, alles andere würde das fragile Gleichgewicht von Yin und Yang stören. Das durfte schließlich nicht geschehen. Und wenn sein Vater etwas missbilligte, sollte man es nicht tun, falls einem seine Gesundheit oder sein Leben am Herzen lag.
 

Selbst wenn er eine seiner Schwestern gewesen wäre, vielleicht hätte Koutoku ihre Gefühle für einander alleine deswegen verurteilt, weil Hakuren ein wichtiger Prinz und Koumei lediglich ein unwichtiger Adelssohn war. Außerdem hatten sie Hakuren ja bereits einer Prinzessin versprochen. In jedem Fall durfte sein Vater nichts von ihnen erfahren. „Ren, selbst deine Eltern wären erbost. Koutoku hält nichts davon, das weiß ich als sein Sohn. Und glaube ja nicht, dass er nicht in der Lage wäre, harte Strafen zu verhängen. Du hast doch seine Schläge selbst gespürt? Wegen diesem nichtigen ‚Vergehen‘? Was denkst du, wird er tun, wenn er einen richtigen Grund zur Bestrafung findet?“, meinte er ernst. Plötzlich ertönte hinter ihnen ein Rascheln. Wieder schraken sie zusammen, doch auch dieses Mal, drohte keine Gefahr. Nur ein Wildkaninchen hüpfte neugierig unter einem Busch hervor. Trotzdem, hier fühlten sie sich nicht mehr sicher. „Komm, lass uns weitergehen, hier ist es zu ungeschützt“, drängte Hakuren, wohl auch, um ihn auf andere Gedanken zu bringen und zog ihn in raschem Lauf tiefer zwischen die Blätter und Äste der umliegenden Stauden.

 

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