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Fortune Files

von

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Rova 10: Vertrauensmissbrauch

Es geschah genau einen Vollmond nach Lyz' Berufung in die Familie. Einen lumpigen Monat nur, länger hatte sie es nicht als meine Frau ausgehalten, ohne mir fremdzugehen.

Mit dem bitteren Geschmack des Betrugs auf der Zunge, ließ ich sie in ihrem Zimmer im Studentenwohnheim zurück. Der Gestank ihres Bettes dünstete widerlicher aus als ungenießbare Blutkonserven. Keine Sekunde länger konnte ich es darin mehr aushalten.

Aggressionen, die ich bereits im Hörsaal an diesem niederträchtigen Laiendarsteller namens Alexander herausgelassen und ihn damit fast getötet hatte, kehrten gerade wieder in meine Brust zurück. Es forderte größte Konzentration, nicht einfach dorthin zurückzukehren und seiner Vorführung ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Nachdem meine Krallen länger nicht auf meinen Diener reagiert hatten, dürstete es ihnen nun geradezu nach seinem Blut. In meinem Zorn zerriss ich sogar versehentlich die Jackentasche meines Sakkos, in dem sich der Autoschlüssel befand.

Zerstörung.

War das wirklich alles, was ich in Perfektion beherrschte?

Adrenalin in zu großer Menge pumpte durch meinen Organismus. Um zumindest ein wenig davon abzubauen, kürzte ich die letzten zwei Etagen ab, indem ich aus dem Fenster des Wohnheim-Treppenhauses sprang, mühelos, schmerzfrei, doch mein Herz blutete. Warum, zur verdammten Hölle? Warum... tat er mir das an? Lyz gehörte mir! Mir, nicht ihm!

Absichtlich zerkratzte ich den dunkelblauen Lack des mitgebrachten SOLV Firmenwagens und stieg danach ein. Zumindest bei der Wahl des Fahrzeugs hatte ich die richtige Entscheidung getroffen, denn es wäre äußerst ärgerlich gewesen, hätte ich meinen Lamborghini Centenario beschädigt. Für dieses Regenwetter war meine Cabrioausführung schlicht ungeeignet. Möglicherweise konnte man dies als Glück im Unglück bezeichnen.

So wütend ich auch sein mochte, stand das Ordnen meiner Gedanken zunächst an erster Stelle. Das beeinflusste meinen Fahrstil während der Heimfahrt erheblich, der, schon allein wegen des Adrenalinüberschusses, einem Zeitrennen glich. Ich raste mit annähernd Einhundert Stundenkilometern in der Stadt an anderen Verkehrsteilnehmern vorbei und überfuhr zwei rote Ampeln. Eventuelle Konsequenzen kümmerten mich in diesem Moment einen Dreck!
 

Es war doch wahrlich kaum zu glauben, wie tief ich meine Deckung in den letzten Monaten abgesenkt hatte. Natürlich musste dieses Desaster passieren! Nicht Vertrauen, wohl aber große Zugeständnisse in die Fähigkeiten meiner Angestellten, mussten mich auf diesen Irrpfad geführt haben. Ein bitterer Fehler, denn je größer der Freiraum eines Untergebenen, desto weiter wuchs die zu überwachende Fläche. Gegen die Autonomie meines Dieners Alexander half inzwischen nicht einmal mehr die Drohung mit drakonischen Strafen. Wahrscheinlich verlachte mich dieser Bengel hinter meinem Rücken auch noch dafür.
 

Kinder wie ihn durfte ich nicht in mein Leben hineinlassen, ohne befürchten zu müssen, dass sie es in Schutt und Asche legten. Diese Weisheit besaß ich Einhundert Jahre lang und dann verdrehte er sie.

Aber warum beging er diesen Verrat? Wie eine Trophäe hatte mir dieser falsche Fünfziger seine Bisswunden präsentiert. Meine Zeit fror ein. Meine Welt hörte auf, sich zu drehen. Hatte meine Schwester in ihm etwa einen Anhänger gefunden? Alexander als Abtrünniger?

Wenn ja, warum warb er dann um die Gunst, mich zu beraten? Manipulation meiner Politik? Was ergab es für einen Sinn, sich dreist meine Frau zu eigen zu machen und dafür Vertrauen zu erwarten? Auf diese Weise konnte er es sich doch nur ein für alle Mal mit mir verspielen. Was ging nur in diesem Burschen vor?
 

Und was sollte dieser dichte Verkehr, der mich dazu zwang, auf dem Fußweg zu überholen? Arbeite eigentlich jeder auf dieser grausamen Welt gegen mich?

Besonders Lyz! Noch in Frankreich heuchelte sie Verständnis für meine Situation, nur um mir dann einen Dolch in den Rücken zu rammen. Aber nicht mit einem kleinen Ärgernis, sondern so eben mit dem größten Verbrechen unserer Gesellschaft, auf das nicht weniger als die Todesstrafe stand, und zwar das Trinken von Blut von einem lebenden Organismus.

Natürlich würde ich diese Strafe niemals vollstrecken und das wusste sie. Hatte ich es bei ihr wirklich nur noch mit einem jungen und unbescholtenen Küken, oder doch bereits mit einer kalt berechnenden Raubkatze zu tun?
 

Anstatt ihr eigenes Temperament zu zügeln, gab sie ihrer Ungeduld den Vorrang. Zu gewissen Teilen vollzog ich dies nach, nicht aber, mit wem. Untreue mit meinem Bruder Vicco empfand ich, aufgrund seiner Verführungskünste, als vergleichsweise verzeihbar, doch wohl kaum mit meinem Untergebenen. Wo blieb ihre Selbstachtung und was machte dies mit der meinen?

Alexander, diesem treulosen Köter, oblag die Pflicht, meine Frau zu erziehen, nicht sich an ihr auszutoben! Bisher blieb allerdings offen, ob er Lyz mittels ihres Blutdursts, oder ihres Sexualtriebs überzeugen konnte. Oder musste ich ihr Verhalten gar als offensive Anklage gegen mich werten?

Angenommen, dies traf zu, ergab es keinen Nutzen für sie, mich zu bedrängen. Beischlaf blieb seit Alucards Hypnose ein Ding der Unmöglichkeit für mich. Meine tiefsitzende Furcht tötete jede Lust in mir ab. Verstand etwa meine eigene Frau nicht, dass ich noch Zeit benötigte, um sie von ihrer vampirischen Jungfräulichkeit befreien zu können? Abgesehen davon gab ihr Zimmer keinen Aufschluss darüber, ob sie diese überhaupt noch besaß.

Bei Alexanders letztem Übergriff hatte er ihre menschliche Jungfräulichkeit für mich bewahrt. War dies nun erneut der Fall? Als das Eigentümliche an dieser Frage stellte sich meine Zerrissenheit darüber heraus, was ihre Antwort betraf. Empfand ich es nun als unerträglichen Verrat, möglicherweise nicht der erste Mann ihres neu erlangten Vampirlebens gewesen zu sein, oder gar als Erleichterung?

Ein merkwürdiger Gedanke beschlich mich. Diente ein erfolgreicher Beischlaf, den sie unbeschadet überstand, eventuell gar als Beweis dafür, dass ein Vampir, also dass ich ihr keinen Schaden mehr zufügen konnte? War dies womöglich ein Ansatz für meine Selbsttherapie?
 

Zu viele unbekannte Parameter versperrten mir die Sicht auf klare Antworten. Ich brauchte Zeit, doch Lyz erzwang nun einen Schritt, für den ich mich noch nicht bereit fühlte. Meiner ursprünglichen Zeitvorstellung nach, wollte ich sie über die nächsten zwei bis drei Jahre schrittweise in mein tägliches Leben involvieren, und mitnichten schon ab dem kommenden Wochenende, wie sie es mir vorgeschlagen hatte.

Es fühlte sich falsch an, überstürzt, wie eine Belohnung gar, sie künftig zu offiziellen Anlässen an meine Seite zu stellen. Ein Kulturschock stand ihr bevor. Für ihr eigenes Wohl blieb zu hoffen, dass sie sich vom ersten Tag an daran gewöhnte. Nicht weniger erwartete ich nun von ihr nach ihrem Vorstoß.
 

Nach meiner Abreaktion im Straßenverkehr etwas ausgeglichener, bog ich, nach nur 12 Minuten Heimreise, in das Grundstück meiner Villa ab. Für eine Strecke, die man im Pendlerverkehr normalerweise in 25 Minuten zurücklegte, konnte ich dementsprechend einen neuen Rekord verzeichnen.

Proband Null profitierte wohlmöglich am stärksten von meiner Beruhigung ganz ohne Blutvergießen. Er würde nun doch nicht erfahren, wie viele seiner Gliedmaße er sich hätte wieder anwachsen lassen müssen, sicherlich kein uninteressantes Experiment, wo die Selbstheilung unter Silbereinfluss doch völlig anders verlief.

Gedankenverloren betrat ich die Villa, in der ich Angeline im großen Saal antraf. Sie saß vertieft vor ihrem Laptop und arbeitete. Mit der weißen Bluse, dem grauen Bleistiftrock und ihren nach hinten gebundenen Haaren machte sie eine elegantere Figur als vor ihrer Beförderung, die sie sehr ernst zu nehmen schien. Ich warf ihr den Autoschlüssel auf die Tastatur, woraufhin sie heftig in sich zusammenfuhr. Dann schnellte ihr Blick zu mir. Sie wagte es jedoch nicht, mich anzusprechen.

Ein Moment verstrich, bis ich anwies:

"Bring den Wagen in eine Werkstatt! Lack, Lenkrad und Schaltknüppel sehen nicht mehr so gut aus."

"Natürlich, Rova. Kein Problem."

Sie duckte sich, wohl wegen meiner nach wie vor negativen Aura. Was sie nicht tat, war den Schlüssel zu nehmen und nach draußen zu verschwinden. Stattdessen sah sie mich weiter bohrend an.

Ich blickte in Richtung des bröckelnden Stücks an der Decke, seufzte und fauchte ihr dann ein ungeduldiges:

"Was!",

entgegen.

"Aaaach, nichts. Neinnein, schlechter Zeitpunkt. Alles prima. Ich fahr jetzt in die Werkstatt",

log sie und stand dann hastig auf. Ich hob die Augenbrauen und ging aus dem Saal. Mein Interesse hatte sie allerdings nun geweckt. Ich ließ sie aus der Tür verschwinden, lief zurück in den Saal und setzte mich vor ihren Rechner. Das Gerät war gesperrt, doch ich kannte ihr Passwort.

Das Problem, an dem sie festhing, musste mit den eben bearbeiteten E-Mails zusammenhängen. Möglicherweise hatte sie auf mich in der Villa gewartet, weil sie meinen Rat ersuchte. 25 Antworten fand ich vorformuliert, doch keine davon abgesendet. Angeline strauchelte mit ihrer Position als meine Assistentin. Ich hatte nichts anderes erwartet.

Unter anderem lag die Antwort einer Interviewanfrage des Wissenschafts-Klatschblattes P.M. im "Draft Ordner".

"Werter Herr Uhlig,

ich darf Sie erneut daran erinnern, dass Herr Dr. Lucard weder Interviews zum Thema Anti Aging entgegennimmt noch zu einem Ihrer anderen Themen. Sehen Sie davon ab, unsere Niederlassung zu Belagern. Ich möchte an dieser Stelle auf Paragraph 201a StGB verweisen.

Hochachtungsvoll,

Angeline Bartholdy

Assistenz der Geschäftsführung"

Darunter stand in roter Schrift:

"Rova fragen: Soll ich ihm zusätzlich drohen?"

Im Anhang lag der Flyer unserer aktuellen Blutspendenaktionen mit Aufruf zur Teilnahme. Daran gab es nichts auszusetzen.

Ich löschte ihre rote Frage an mich und bestätige den "Senden" Button. Auch die anderen vorbereitete Briefe befriedigten mich. Ich hatte mich getäuscht. Nicht mein komplettes Leben lag in Schutt und Asche, sondern nur mein Privates.

Möglicherweise war es jedoch nur eine Frage der Zeit, bis auch Angeline mich verriet, vielleicht weil ihre christliche Splittergruppe einen anderen als Messias erwählte. In dieser Welt konnte man sich niemals mit irgendetwas sicher sein.



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