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Kapitel 9

Meine Augenlieder fühlten sich schwer an, als ich sie aufschlug. Ich starrte weiße Deckenplatten an. Das Gefühl als hätte jemand Watte in meine Ohren gepackt, ließ langsam nach und ein rhythmisches Piepsen nahm mein Gehirn ein. Es nervte mich, kaum dass ich es zehn Sekunden gehört hatte.

Spucke sammelte sich in meinem Mund. Ich wollte schlucken, doch ein dicker Schlauch blockierte meinen Hals. Ich wurde panisch. Das piepsen wurde lauter und schneller, verlor seinen Rhythmus.

Ich wollte es ausschalten, versuchte den Kopf nach links zu drehen, doch der Schlauch drehte sich nicht mit. Es fühlte sich an, als würde das Ding mir den Hals zerreißen, also versuchte ich mich wieder genauso hinzulegen wie davor.

Erst nach ein paar Minuten hörte das taube Gefühl in meinen Händen auf und ich spürte beim Bewegen nur noch ein leichtes kribbeln.

Wo zur Hölle bin ich?

Ich hörte wie eine Tür geöffnet wurde und zwei Stimmen, die irgendwelches medizinisches Kauderwelsch von sich gaben.

Es waren zwei Frauen. Die eine große mit schwarzen Haaren, klare asiatische Abstammung. Die andere war klein und hatte blonde Korkenzieherlocken. Ganz klar eine Ausländerin. Ich tippe auf mittleres Amerika oder Skandinavien.

Sie beugten sich über mich, die eine von links, die andere von rechts und stellten überrascht fest, dass ich die Augen aufgeschlagen hatte.

»Oh, der Patient ist wieder bei Bewusstsein«, tat die Asiatin verwundert.

Sie notierte etwas auf ihrem Klemmbrett oder tat so um unauffällig nach meinem Namen zu spicken. Denn als nächstes sah sie mich aus wachsamen Augen an und sagte: »Bleiben Sie ganz ruhig Mister Kaiba, wir entfernen Ihnen gleich das Beatmungsgerät!«

Dann wandte sie sich dem blonden Weib zu und befahl ihr den Arzt zu holen.

Wäre das hier mein Laden, hätten die das Zimmer gar nicht ohne Arzt betreten. Und wenn doch, dann wäre er innerhalb von fünf Sekunden nachgekommen. Oder drei Menschen hätten ihren Job verloren. Lebte ein Krankenhaus nicht von schneller, präziser Arbeit? Warum schlichen diese beiden Krankenschwestern dann hier herum, als gäbe es die Auszeichnung „Mitarbeiter des Monats“ für Schneckentempo.

Wenig später tauchte das grinsende Gesicht eines mittelalten Mannes über mir auf. Der hatte sich doch aus der plastischen Chirurgie in die Notaufnahme verirrt, weil ihm eins seiner Silikonkissen geplatzt war. Für eine Notaufnahme in der Innenstadt sah der viel zu künstlich und ausgeruht aus. Ich wollte Zombies sehen. Nur wenn ein Arzt so aussah, konnte man davon ausgehen das er Ahnung hat und weiß was er tut.

»Guten Tag Mister Kaiba, schön ihre Augenfarbe mal wieder zu sehen. Ich bin Doktor Med. Fushioka, momentan ihr behandelnder Arzt! Wie werden sie jetzt noch einmal narkotisieren, um Ihnen das Beatmungsgerät abzumachen und den Katheter zu entfernen!«

Ich riss die Augen auf.

Das hatten sich diese Pfuscher nicht gewagt?! Ich würde sie alle verklagen, aber erst wenn ich meine Würde zurück bekam. Und dazu gehörte nicht mehr in einen Beutel pissen zu müssen!

Doch bevor ich mir diesen Gedanken zu Ende ausmalen konnte, wurde ich schon wieder ins Land der Träume geschickt.
 

Als ich irgendwann wieder wach wurde, bemerkte ich zu alle erst das verschwundene Gefühl der Dehnung in meinem Hals. Und als ich den Kopf nach links drehte, stand Mokuba dort mit großen, verheulten Kulleraugen.

Aus einer Eingebung heraus, hob ich die Hand und streichelte ihm über den Kopf. Ich musste einfach spüren, dass er real war. Dass das alles kein Traum war.

Kaum hatte ich seine Haare berührt, begann er schon zu zittern und die ersten Tränen kullerten seine Wangen hinab. Ich strich ihm mit meinem Daumen die Tränen von der Wange.

»Warum weinst du? Es ist doch alles gut«, sagte ich.

Meine Stimme hörte sich ungewohnt kratzig und schwach an. Daran musste ich dringend etwas ändern. Aber erst mal wollte ich von dem Plastikdoktor hören was passiert war.

Ich griff nach Mokubas Hand und sah dann den Arzt an.

»Was ist passiert?«, fragte ich.

Der Mediziner räusperte sich. Selbst das klang künstlich. »Sie hatten einen Autounfall. Den genauen Unfallhergang müssen Sie bei der Polizei erfragen. Auf jeden Fall haben Sie ein mittelschweres Schädel-Hirn-Trauma davongetragen und ihr Zustand war aufgrund der verzögerten Bergung so schlecht, dass wir sie ins künstliche Koma versetzt haben um die Gefahr von bleibenden Schäden am Gehirn zu verringern. Das Ganze ist zwei Wochen her und es war eine Weile nicht abzusehen ob Sie überhaupt wieder aufwachen!«

So richtig wollte diese Information nicht in meinem Hirn ankommen.

Der Arzt blätterte auf seinem Klemmbrett eine Seite um. »Ich werde Sie für entsprechende Untersuchungen eintragen. Vorher sollten Sie aber ein wenig Zeit mit Ihrem Bruder und Ihrem Verlobten verbringen - die beiden haben in den letzten Wochen sehr gelitten!«

VERLOBTEN? Der Typ musste die Krankenakte verwechselt haben!

Bevor ich ihn allerdings danach fragen konnte, verschwand er bereits aus dem Zimmer.

Ich sah Mokuba und David an. »Möchtet ihr mir erklären was hier vor sich geht?«

»Ähm ... Also ... Das Jugendamt wollte mich einsammeln und die Börsenaufsichtsbehörde wollte sich die Firma unter den Nagel reißen und um das zu verhindern, haben wir dir einen Verlobten besorgt«, sagte Mokuba und versteckte sich halb hinter David.

Ich bekam Kopfschmerzen. »Ich hoffe der existiert nur auf dem Papier!«

Nun räusperte sich David und trat einen Schritt hervor. »Aufgrund der Dringlichkeit und der Beharrlichkeit des Jugendamtes mussten wir eine Person aus Fleisch und Blut mit dieser Aufgabe betrauen. Ein einfaches Schriftstück hat den Behörden leider nicht ausgereicht.«

»Ich hoffe ihr habt euch wenigstens mittels eines Vertrags abgesichert!«

»Wie ich bereits sagte, musste alles sehr schnell gehen. Deswegen haben wir jemand aus Ihrem direktem Umfeld arrangiert, der vertrauensvoll mit der ganzen Sache umgeht!«

Ich ahnte schlimmes.

»Und wer soll das bitte sein?«

»Joseph Jay Wheeler - einer ihrer Klassenkameraden.«

DER KÖTER? Ich glaube, ich schlafe doch noch. Das kann doch alles nicht wahr sein!
 


 

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Nachdem ich alle Untersuchungen über mich ergehen lassen hatte und der Plastikdoktor mich insoweit für Gesund hielt, dass ich ein, zwei Telefonate führen könnte, ließ ich mir von David ein paar Akten aus der Kaiba Corp. bringen.

Ich wollte mir gar nicht ausmalen was die drei Idioten während meiner geistigen Abwesenheit für Schindluder in meiner Firma getrieben hatten.

Mokuba hatte sich in den Kinderwartebereich verdrückt, nachdem er von mir die Standpauke seines Lebens erhalten hatte. Denn nichts auf dieser Welt gab ihm das Recht Wheeler zu meinem Verlobten zu machen. Nicht mal mein beinahe eingetretener Tod!

Ich hoffte nur er kam nicht auf die Idee ihm Bescheid zu geben das ich wieder unter den Lebenden weilte. Köter hatten nämlich in einem Krankenhaus absolut nichts verloren!

Es dauerte zwei Stunden, auf die Minute genau, bis David mit einem Ringbuchordner zurückkam. Er legte mir diesen und mein Diensthandy in den Schoß und nahm dann auf einem der bereitstehenden Sessel Platz.

Als ich den Ordner öffnete, rechnete ich mit dem schlimmsten. Doch zu meiner Überraschung erwartete mich keine vollkommene Katastrophe. Es war alles chronologisch geordnet, Notizen leserlich auf Klebenotizen geschrieben und es gab sogar eine Legende, damit ich alles nachvollziehen konnte. David hatte eine Liste zusammengestellt, auf der Firmen standen die sie zu Beginn meines Komas gleich mit einem Rundschreiben abgespeist hatten.

Ich nahm den Zettel heraus und hielt ihn in die Höhe. »Warum habt ihr das getan?«

David sah einen Moment wirklich verwirrt aus, doch als ihm klar wurde was ich da in der Hand hielt, räusperte er sich geschäftig. »An diese Geschäftspartner wollte ich Mokuba und Joey nicht heranlassen!«

Ich sagte dazu gar nichts, heftete die Liste zurück und arbeitete mich dann weiter durch die Unterlagen.

Ganz am Ende hatte jemand einen fliederfarbenen schweren Umschlag in eine Klarsichtfolie geheftet.

Ich konnte mir schon vorstellen was mich erwartete.

Die Yuens luden mal wieder zu ihrer halbjährlichen Firmenfeier ein. Normalerweise schwänzte ich diese Veranstaltung immer, denn außer viel Alkohol und wenig niveauvoller Konversation gab es auf diesen Feiern nichts annähernd Interessantes.

Dieses Mal beunruhigte mich die Farbe des Briefumschlags allerdings. Denn nur Miss Yuens Gäste bekamen lila. Und Miss Yuens Einladung schlug man nur aus, wenn man sowieso nichts mehr zu verlieren hatte.

Ich nahm die Einladungskarte aus dem Umschlag und begann zu lesen. Doch was ich zu lesen bekam, bescherte mir Kopfschmerzen.

Sie erwartete doch tatsächlich, dass ich Wheeler mitbringe und, dass er sich ihr persönlich vorstellt. NUR ÜBER MEINE LEICHE!

Ich lege das Papier nieder, nehme mein Handy und wähle die Rufnummer von Miss Yuens Eventmanagerin.

Es klingelte zwei Mal, dann nahm eine kräftige weibliche Stimme das Telefonat entgegen, stellte sich vor und fragte mich anschließend wobei ich sie mir behilflich sein könnte.

»Seto Kaiba - ich wollte mich nur von Miss Yuens Feierlichkeiten abmelden. Mein Partner« - dieses Wort in meinem Mund verursachte einen widerlichen bitteren Geschmack - »und ich werden die Feier auf Grund meines gesundheitlichen Zustands nicht besuchen können!«

Eine ganze Weile war es still am anderen Ende der Leitung. Wenn es sich nicht um Miss Yuen handeln würde, hätte ich schon längst aufgelegt. Mich lässt man nicht warten.

Die Dame räusperte sich plötzlich verlegen. »Miss Yuen hat das bereits berücksichtigt, deswegen findet die Feier auch zu einem späteren Datum statt. Allerdings besteht Sie auf Ihre Anwesenheit. Wenn Sie sich natürlich gesundheitlich nicht dazu in der Lage fühlen, werde ich ihr das ausrichten.«

Ich dachte Sie wäre fertig und wollte bereits zur Verabschiedung ansetzen, als sie mit nervöser Stimme fortfuhr: »Aber Sie werden sicherlich verstehen das die Yuens zuverlässige Geschäftspartner brauchen.«

Sie las ab, dass hörte man ganz deutlich heraus. Miss Yuen kannte meine Einstellung zu Ihren Feiern und Sie hatte ihrer Eventmangerin das Schriftstück nur für den Fall, dass ich anrufen würde gegeben. Und diese Eventmangerin würde so etwas niemals von sich aus sagen. Es widerstrebte ihr ganz klar einen Menschen mit so einer Aussage zu konfrontieren.

»Eine Erpressung werde ich nicht dulden!«

Im Augenwinkel entdeckte ich den Köter im Türrahmen.

Ich glaube, der Teufel kommt mich jetzt holen!
 


 

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Mokuba saß am Fuß meines Bettes und Wheeler hatte sich auf einen Stuhl gefläzt. David saß am anderen Ende des Raums am Tisch und hatte seine Aktenmappe aufgeschlagen. Er hielt seinen Kugelschreiber in der Hand und wartete darauf, dass mein Bruder anfing zu reden.

Statt ihm öffnete jedoch der Köter den Mund.

»Also ... Wo fange ich am besten an ...«, begann er und starrte nachdenklich gen Zimmerdecke.

»Am besten am Anfang«, knurrte ich ungehalten.

Ich fragte mich, warum es kein Protokoll zu dem Gespräch mit der Sacharbeiterin vom Jugendamt gab. Das hätte ich mir dann einfach zu Gemüte führen und auswendig lernen müssen. Dann hätten wir das Gespräch innerhalb von einer halben Stunde erledigt und ich könnte mir überlegen wie ich Wheeler wieder los wurde.

Aber leider hatten die drei Knallköpfe ja vergessen Notizen zu machen. Deswegen saßen wir jetzt hier und Mokubas Sorgerecht hängte von dem ab, woran Wheeler sich noch erinnern konnte.

»Ich habe ihr erzählt das wir uns schon von klein auf kennen, ohne ihr zu sagen woher. Ich glaube das interessiert sie auch nicht wirklich, sonst hätte sie schon längst herausgefunden, dass das Heim in dem ihr gewohnt habt, außerhalb von Domino liegt.«

»Und was hast du ihr noch erzählt? Mit der lapidaren Information kann ich nichts anfangen!«, blaffte ich ungehalten.

Er war doch sonst immer so redselig. Warum musste man ihm ausgerechnet jetzt alles aus der Nase ziehen?

»N-Nicht viel ... Ich hab es so allgemein gehalten wie möglich. Ich habe nur noch gesagt, dass wir eine innige liebevolle Beziehung führen. So hat Mister Johnson das aufgetragen. Und das wir bereits lange genug zusammen sind und uns erwachsen genug vorkommen um zu heiraten - wir wollen das unvermeidliche nicht länger herauszögen.«

Ich warf David einen bösen Blick zu, der sagen sollte „Wir sprechen uns noch“.

Wäre ich nicht Seto Kaiba, hätte ich ihm jetzt vor die Füße gekotzt. Aber ich hatte ein Image zu wahren und einen Ruf zu verlieren. Also schluckte ich den intravenös eingeführten Brei mühevoll hinunter.

»Und nun? Die Schrapnelle vom Jugendamt hat doch, jetzt wo ich wach bin, absolut keinen Grund dazu uns weiterhin auf die Nerven zu gehen«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen.

Mir war immer noch nicht ganz klar, warum Wheeler jetzt überhaupt hier saß.

»Miss Sakura ist der Auffassung, wir hätten Mister Wheeler nur arrangiert um Mokuba zu beaufsichtigen. Sie wird und wohl oder übel noch eine Weile verfolgen. Bis zur „Hochzeit“ sollte sie aber wieder von der Bildfläche verschwunden sein und dann wird es auch kein Problem sein Mister Wheeler zu entlassen«, schaltete sich nun David ein.

Ich bekam Kopfschmerzen. Das alles machte keinen Sinn und war völlig absurd. Ich massierte mir das Nasenbein.

Aus dem Augenwinkel sah ich Wheeler aufspringen.

»Da alles gesagt ist was es zu sagen gibt, werde ich mir jetzt was zu trinken holen gehen. Sagt Bescheid wenn die Schnepfe hier ist!«, gab er genervt von sich.

Er verließ anschließend den Raum, bevor irgendjemand dazu etwas sagen konnte.

Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, stöhnte ich auf. »Warum um alles Willen ausgerechnet er!«

Mokuba verzog das Gesicht. »Das wird er sich die letzten Wochen auch gefragt haben!«
 


 

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Es war ein Reflex ihn zu küssen. Ein richtiger, wie mir der wissende Blick von dieser Miss Sakura sagte.

Seine Lippen waren verdammt weich - hätte ich vom Köter gar nicht erwartet. Entweder besaß er die genetische Veranlagung dafür oder er pflegte sie. Zweites konnte ich mir bei ihm aber nicht wirklich vorstellen. Der Typ wusste doch mit Sicherheit nicht mal wie man Lippenpflegestift fehlerfrei aufschreibt. Geschweige denn wie man so etwas benutzt.

Ich verlor mich in dem Gefühl seiner Lippen auf meinen. Deswegen schloss ich die Augen und schlang meine Arme in seinen Nacken, als ich das Gefühl hatte er würde mir wegrutschten.

Ein plötzlicher Impuls vermittelte mir, dass dieser harmlose Kuss nicht reichte. Ich wollte ihn schmecken!

Während meine Zunge wie von alleine über seine Unterlippe fuhr, schob ich diese Aktion gewissenhaft auf die Spätfolgen meines Schädel-Hirn-Traumas. Warum sollte ich Joey Wheeler sonst SO küssen wollen? Seine Haustiere abzuknutschen erhöhte immerhin das Risiko einer Fuchsbandwurm-Infektion!

Aber mein angeschlagenes Hirn hatte das Denken aufgegeben und gaukelte mir im Moment vor, dass es nichts Besseres auf dieser Welt gab, als Joey Wheeler zu küssen.

Die Ärzte sollten sich meinen Kopf doch nochmal ansehen. Ich glaube das ist etwas kaputt, dass sich nicht mehr reparieren lässt.
 


 

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Die Woche nach dem Kuss könnte man als wirklich ereignislos bezeichnen. David holte noch ein paar Akten aus der Kaiba Corp. ins Krankenhaus und erledigte seine Arbeit von hier aus, während ich mich noch immer durch den Ordner kämpfte, der während meines Komas zusammen getragen wurde. So arbeiteten wir stillschweigend nebeneinanderher – bis Mittwoch, dann wurde er redselig. Zu meinem Leidwesen.

»Wir müssen uns über Joey unterhalten!«, sagte er gleich am Morgen, als er mein Zimmer betrat.

Ich hatte es nicht mal geschafft meine erste Tasse Kaffee zu trinken und er begann gleich mit meinem unliebsten Thema – er hing anscheinend nicht an seinem Leben.

»Ich hab wichtigeres zu tun«, antwortete ich schroff. »Um den Straßenköter kümmere ich mich später!«

»Eine neue Duelldisk kann ja wohl kaum wichtiger sein als deine Verlobung, Schrägstrich Eheschließung!«, entgegnete er pikiert und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ich sollte ihm kündigen. Jemand der mich nicht respektierte, konnte ich nicht gebrauchen.

»Dieses Duelldisk sichert dein Gehalt – und deine Abfindung, wenn du mich mit dem Thema Haustier nicht sofort in Ruhe lässt!«, knurrte ich ungehalten und schlug mit einem lauten Rascheln die Tageszeitung auf. Das Zeichen für ihn, mich jetzt in Ruhe zu lassen.

»Dieses Mal ist es ernst Seto und das kannst du nicht einfach mit deinem Namen und deinem Ruf abschmettern – das Jugendamt wird nicht locker lassen, bis ihr beide Ringe am Finger tragt, wenn wir uns nicht bald etwas einfallen lassen!«

Ich schlug die Zeitung wieder zu und blickte in mit eisigem Blick an. »Dann weiß ich nicht was du hier herumsitzt! Fang an zu arbeiten – such in meiner Nachbarschaft nach einem Fall der schlimmer ist und geradezu nach einer Überprüfung durch das Jugendamt schreit!«

»Denkst du, das habe ich nicht schon längst getan?! Es gibt keinen! Euer Viertel ist so sauber wie ein frischgewickelter Baby-Po!«

»Dann grab tiefer – irgendjemand von denen muss Dreck am Stecken haben!«

Langsam nervte er mich wirklich – und ich bekam davon Migräne.

»Und wenn ich niemanden finde? Seto wir müssen uns vorher etwas überlegen für den Fall das – du kannst ihn nicht einfach mir nichts dir nichts heiraten. Wenn ihr euch irgendwann scheiden lassen solltet, hat er ein Anrecht auf 20 % der Firma!«

»Wheeler wüsste gar nichts damit anzufangen!«, antwortete ich und musste mir ein gehässiges Lachen verkneifen. Selbst wenn es so weit kommen sollte – und ich wollte ganz gewiss nicht, dass es so weit kommt – hätte ich absolut keine Nachteile davon. Und da kam mir eine Idee, wie wir jedes drohende Unheil abwenden konnten – schon lange bevor es vielleicht eintrat.

»Setz einen Vertrag auf«

»Pardon – einen was?«

»Setze einen Vertrag auf«, wiederholte ich mich. »Lege genau fest, was er darf und was nicht, was er für seine Dienste bekommt und was passiert, wenn der Fall das wir heiraten doch eintritt!«

»Und wie stellst du dir das vor? Soll er, dafür das er mit dir unter einem Dach wohnt entlohnt werden? Ich glaube du könntest ihm jeden Monat 10.000.000 Yen bieten und er würde ablehnen!« - David lachte spöttisch - »Du denkst er ist dumm, aber das ist er nicht. Eigentlich ist er sogar verdammt schlau, zu mindestens wenn es um sein eigenes Wohl geht.«

»Das weiß ich selbst!«, antwortete ich herrisch.

»Was weißt du?«

»Das er nicht dumm ist, verdammt«, entgegnete ich. »Hast du eine andere Idee, wenn du den Vertrag für schwachsinnig hältst?!«

»Warum betitelst du ihn dann immer so?«

Einen Moment war ich von Davids Gegenfrage verwirrt, doch dann fiel mir wieder ein worauf er sich bezog.

»Hunde soll man nicht zu viel loben, sonst pissen sie einem früher oder später doch wieder auf den Teppich!«, antwortete ich ohne ihn anzusehen.

David zischte. »Das bist so typisch du – warum kannst du nicht einfach zugeben, dass du ihn magst!«

»Weil ich ihn hasse – und jetzt mache deine Arbeit, aber woanders. Ich bin es leid dich zu sehen!«, sagte ich und zeigte auf die Tür.

Ich dachte er würde die Klappe halten und einfach verschwinden, aber da hatte ich die Rechnung ohne David Johnson gemacht. Denn der blieb provokant vor meinem Bett stehen und knallte mir einen Aktenordner auf die Schienbeine.

»Du solltest dich glücklich schätzen. Er hat dir den Arsch gerettet. Ohne ihn wärst du jetzt ein niemand ohne irgendetwas oder jemanden. Er tut dir gut, aber du hast die Wand um dein Herz genauso hochgezogen wie Gozaburo und wirst als alter einsamer Mann sterben, wenn du nicht bald etwas änderst!«

»Bist du fertig mit deiner Predigt? Ich bezahle dich nämlich nicht fürs Blödquatschen!«

»Mich beeindruckst du nicht Eiskönig – schon lange nicht mehr!«

Dann verschwand er endlich und ich bekam die Zeit um mir zwei Schmerztabletten in den Rachen zu schmeißen. Ich glaube nach dem Unfall ertrage ich Menschen um mich noch schlechter als vorher.
 


 

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Als der Arzt mir meine Entlassungspapiere in die Hand drückte und mir erlaubte meine Sachen zu packen hörte auch endlich die Migräne auf.

Mokuba ließ mir an diesem Tag keine ruhige Minute. Er sprang auf dem Krankenhausbett herum und erzählte mir von Dingen, die Roland in den vergangenen Tagen mit ihm unternommen hatte. Es interessierte mich nicht wirklich, aber ich hörte wenigstens mit einem Ohr zu.

David saß am Tisch in der Ecke. Er hatte drei Anwaltsschreiben von anderen Firmen vor sich liegen, die er Zeile für Zeile genau durchging. Wir hatten seit der Diskussion am Mittwoch nicht noch einmal über Wheeler gesprochen. Aber ich kannte seine Meinung ja. Nur hatte er da überhaupt kein Mitspracherecht. Denn das war meine Schein-Beziehung und das war meine Zukunft. Er musste nur die Formalitäten klären – für etwas anderes war sein Arbeitsvertrag auch nicht ausgelegt.

Als ich David gerade bitten wollte Roland anzurufen, öffnete sich die Tür und Miss Sakura stand im Raum – ein diabolisches Grinsen im Gesicht. Sie war im Moment wohl meine stärkste Konkurrentin was das anging.

»Mister Kaiba, schön sie zu sehen«, begrüßte sie mich und warf gleichzeitig einen Blick auf meine Reisetasche. »Oh Sie packen, wie ich sehe. Dann dürfen Sie wohl endlich nachhause?«

Ich versuchte ein freundliches Lächeln auf meine Lippen zu zaubern. Nur leider war ich kein Magier!

»Ich freue mich schon unglaublich auf mein eigenes Bett und meinen Bruder und meinen« - ich musste schlucken - »Verlobten.«

Am liebsten würde ich ins Badezimmer rennen und mir den Mund mit Seife auswaschen.

»Das Sie den vermissen kann ich mir vorstellen«, sagte sie mit einem gewissen Schalk in der Stimme. »Und wo ist Mister Wheeler? In der Cafeteria?«

Ich sah David an, in der Hoffnung er würde mir helfen, aber er starrte auf seine Briefe und schien von der Unterhaltung zwischen Miss Sakura und mir gar keine Notiz zu nehmen. Oder sie mit Absicht zu ignorieren, um mir damit eins auszuwischen.

Woher sollte ich wissen wo Wheeler sich herumtrieb? Es interessierte mich nicht und es war auch nicht meine Aufgabe das zu überwachen.

»Joey ist noch in der Firma. Es gab noch einen dringend Auftrag zu erledigen – wir haben ihn vorhin dort abgesetzt!«, kam Mokuba mir zu Hilfe.

Wäre ich kein Kaiba, würde ich erleichtert seufzen. Aber meine strenge Erziehung ließ eine so offensichtliche Gefühlsregung nicht zu. Zu Mal sie auch nicht wirklich angebracht war. In spätestens zehn Sekunden wäre mir selbst etwas Glaubwürdiges eingefallen!

Miss Sakura zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen.

»Für einen einfachen Schüler ohne nennenswerte Wirtschaftskenntnisse ein sehr gewagtes Unterfangen«, antwortete sie.

»Er hat sich in den letzten Wochen ausgezeichnet geschlagen – er wird den Erwartungen gerecht«, antwortete David und lächelte charmant.

Ich verzog das Gesicht. Er hatte eine Ausstrahlung die ich niemals besitzen würde. In manchen Situationen war es beneidenswert. In manchen hilfreich – aber eigentlich nervte es meistens einfach nur.

»Wird Mister Wheeler denn danach herkommen? Ich wollte eigentlich noch einmal mit Ihnen sprechen – aber wir können das auch gerne verschieben. Dann können sie mir endlich Ihr Haus zeigen!«

Ich schluckte. Sie erwartete mit Sicherheit, dass der Köter bei mir wohnte. Und wenn ihre Erwartungen enttäuscht würden, würde sie uns bestimmt unterstellen, wir würden sie anlügen. Eine Begegnung in der Villa sollten wir also wenn möglich vermeiden – zu mindestens bis Wheeler offiziell eingezogen war.

Alleine dieser Gedanke bereitete mir Magen- und Kopfschmerzen.

»Mister Wheeler wird sich beeilen. Wenn er es schafft können sie ihn hier noch treffen, ansonsten machen wir einen Termin aus«, antwortete David für mich.

Ich hoffte, niemand hatte den Köter hier herbestellt. Denn er war heute der allerletzte, den ich sehen wollte.

»Ich habe noch ein wichtiges Telefongespräch, was ungefähr eine Stunde in Anspruch nehmen wird. Danach schaue ich noch einmal bei Ihnen vorbei!«, sagte Miss Sakura.

»Eine gute Idee«, antwortete ich und musste mich beherrschen keinen unfreundlichen Ton einzuschlagen.

Die Alte warf mir trotzdem einen komischen Blick zu, bevor sie das Zimmer verließ.

Mokuba ließ sich schwer seufzend auf das Krankenhausbett plumpsen und auch David seufzte hinter mir.

»Knappe Geschichte«, sagte er. »Ich geh dann mal kurz telefonieren, habe noch etwas zu klären.«

Hätte ich vorher gewusst, dass er den Köter herschaffen lässt, hätte ich ihn mit großer Sicherheit aufgehalten. Und wenn ich ihn dafür hatte lebendig im Krankenhaushof begraben müssen, wäre mir das auch recht gewesen.
 

Als Miss Sakura nach ihrem besagten Telefonat zurückkam, wies ich sie bemüht freundlich darauf hin, dass Wheeler es heute wohl nicht mehr rechtzeitig ins Krankenhaus schaffen würde.

Sie tat so, als wäre das überhaupt kein Problem, hockte sich auf einen der freien Stühle und schlug ihren Terminplaner auf. Sie fragte mich nach einem passenden Termin. Ich antwortete höflich, dass ich ihr keinen nennen könne und sie doch bitte warten soll bis David wieder zurück war, dann packte ich weiter meine Sachen zusammen.

Zu meinem Leidweisen kam David aber nicht alleine; er brachte den Köter mit. Meine Mundwinkel sanken einen kurzen Moment hinab, aber als ich Miss Sakuras Blick auf mir spürte, setzte ich sofort ein gespieltes Lächeln – was täuschend echt wirken konnte wenn ich wollte – auf.

Der Köter reichte ihr die Hand und umarmte anschließend Mokuba zur Begrüßung. Dann standen wir beide uns gegenüber, unwissend wie wir uns verhalten sollten.

Schließlich kratzte ich mein gesamtes Wissen über Begrüßungen zwischen „Verliebten“ zusammen. Ich schlang ihm einen Arm um die Hüfte und zog ihn an mich heran.

»Hey. Ich dachte du hast noch was in der Kaiba Corp. zu tun? Ich hab Miss Sakura bereits gesagt, dass du heute nicht mehr kommst!«, begrüßte ich ihn und tat dabei so als würde mich sein Auftauchen wirklich überraschen.

Weil Miss Sakura so aussah, als wäre ihr die halbherzige Umarmung nicht genug, steuerte ich mit meinen Lippen seine an.

»Warum bist du hier?«, flüsterte ich gegen seinen Mund, drückte aber meine Lippen auf seine, bevor er antworten konnte.

Dieser Kuss endete genauso schnell wie er begonnen hatte, weil niemand von mir erwarten konnte, dass ich ihm hier in der Öffentlichkeit meine Zunge in den Hals steckte. Wheeler schloss selbst für die zwei Sekunden die Augen und als er sie wieder öffnete, schien er über meinen Gesichtsausdruck nicht gerade erfreut. Was erwartete er denn? Dass ich ihn ansah, als gäbe es nichts Besseres auf der Welt? Träum weiter Flohteppich!

Weil ich der Meinung war, das reichte als Begrüßung aus, wandte ich mich Miss Sakura zu. Die war so aufmerksamkeitsgeil, dass sie mit Sicherheit erwartete, dass ich mich für meine Falschaussage von gerade eben entschuldigte.

»Es tut mir Leid«, sagte ich. »Ich hatte keine Ahnung, dass er mich jetzt doch abholen wollte!«

»Tja, ich bin halt eben für Überraschungen gut!«, entgegnete Wheeler. Das dämliche Grinsen würde ich ihm am liebsten aus dem Gesicht fegen. Und als er dann auch noch die Frechheit besaß seinen Arm um meine Schulter zu legen, fehlte nicht mehr viel, damit ich austickte.

Er zog mich wieder ganz nah an sich heran und ich hatte zu tun, ihn nicht abzuschütteln wie eine lästige Fliege. Das kostete mich ein hohes Maß an Selbstbeherrschung.

»Bist du bescheuert? Du hast mich doch herbestellt!«, zischte er mir ins Ohr.

Bevor er mich antworten ließ, löste er sich jedoch aus der Umarmung und packte ein Stapel T-Shirts in meine Tasche. Mir entgleisten wegen seiner absurden Behauptung dieses Mal wirklich alle Gesichtszüge.

Ich habe ihn hier herbestellt? Also jetzt sind ihm wirklich sämtliche Gehirnzellen abhanden gekommen!

Weil ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass die Aktion auf Davids Konto ging, funkelte ich meinen Bruder wütend an. Denn er war bis dahin der einzige, dem ich so eine hinterhältige Aktion zutraute.

Wheeler packte noch einen weiteren Stapel Kleidung in meine Tasche, dann verkündete er, dass er jetzt in die Cafeteria gehen und sich etwas zu trinken holen würde.

»Möchtest du auch etwas Schatz?«

Er sprach den Kosenamen mit einer Selbstverständlichkeit aus, dass mir beinahe schlecht wurde. Er sollte sich das bloß nicht angewöhnen. Wenn ihm so etwas in der Öffentlichkeit noch einmal herausrutschen sollte, würde ich ihm dafür vermutlich eine knallen!

»Nein Danke, ich vertrage diesen Krankenhaus-Fraß nicht. Mein Magen rebelliert schon seit geschlagenen drei Tagen!«

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Mokuba kurz davor war sich die Hände ins Gesicht zu schlagen. War nur die Frage wegen wem er das tat – Wheeler oder mir?

Wheeler ergriff die Flucht und Miss Sakura räusperte sich.

»Ich denke Mister Wheelers Anwesenheit wird bei unserem Gespräch nicht von Not sein, er erscheint mir ziemlich erschöpft. Würden Sie mich dann alleine begleiten Mister Kaiba?«, fragte sie pikiert.

»Ich wäre als Mister Kaibas Anwalt bei dem Gespräch gerne ebenfalls anwesend, nur zur Sicherheit!«, mischte sich David ein.

Miss Sakuras aufgesetztes Lächeln verrutschte noch mehr, doch sie nickte und trat hinaus auf den Krankenhausflur.

Direkt gegenüber von meinem Zimmer war das Besprechungszimmer der Stationsärzte in das Miss Sakura uns geleitete. Sie setzte sich gegenüber von uns hin und schlug ihre Mappe auf.

»Ich will nicht lange um den heißen Brei drum herumreden: Mister Wheeler und Sie sind mir äußerst unsympathisch, aber wegen fehlender Sympathie darf ich einem Pärchen – leider – das Sorgerecht nicht entziehen. Wenn dieses mich anlügt allerdings schon!«

David neben mir zog am Knoten seiner Krawatte, als wäre sie ihm plötzlich zu eng.

»Ich verstehe leider nicht ganz – in welchem Punkt sollten wir Sie denn angelogen haben, wenn ich fragen darf?«

Miss Sakura schürzte die Lippen. »Wussten Sie, dass Mister Wheeler eine ziemlich dicke Akte beim Jugendamt hat? Er gilt als Härtefall und sein häusliches Umfeld wird alle zwei Wochen von seiner Betreuerin überprüft. Wenn er regelkonform bei Ihnen eingezogen wäre, wäre das nun meine Aufgabe. Aber irrwitziger Weise habe ich seinen Fall noch nicht auf dem Schreibtisch, weil er gar nicht in meinem Zuständigkeitsbereich gemeldet ist – können Sie mir das erklären oder können wir das Gespräch an dieser Stelle beenden, damit ich Mokuba in meine Obhut nehmen kann?«

Mir blieb beinahe das Herz stehen bei ihren Worten. Und ich wusste nicht was ich dazu sagen sollte.

»Die Ummeldung ist im Wirrwarr der letzten Wochen leider untergegangen«, meldete sich David nervös zu Wort. »Es ist zutreffend, dass Mister Wheeler vor dem Unfall von Mister Kaiba nicht bei diesem gewohnt hat aufgrund seines doch recht jungen Alters. Aber er ist sofort eingezogen, als dieser passiert ist. Nur hat er dann wegen der Firma leider nicht ausreichend Zeit den notwenigen Behördengang nachzuholen. Ich dachte damit könnte er sich noch etwas Zeit lassen. Wenn das allerdings von so großer Wichtigkeit ist, werden wir das umgehend nachholen, gleich morgen!«

Miss Sakura zog die Augenbrauen hoch und notierte sich anschließend etwas in ihrem Ordner.

»Es ist bedauerlich, dass ich in diesem Fall die Entscheidung leider nicht alleine treffen darf. Sie können sich sicher sein; dürfte ich es, würde Mokuba schon längst in einem Heim leben oder in einer Pflegefamilie. Aber leider ist mein Vorgesetzter nicht ganz so genau wie ich« - sie grinste höhnisch und mir lief es eiskalt den Rücken hinab - »Aber wie lange ich Ihren Haushalt überprüfe – Mister Kaiba – liegt ganz alleine in meiner Hand. Und Sie können sich sicher sein: Ich werde sie erst in Ruhe lassen, wenn ich ganz sicher sein kann, dass sie mich nicht angelogen haben. Und sollte mir auch nur die kleinste Kleinigkeit suspekt vorkommen, werde ich meinen Vorgesetzten notfalls auch übergehen, damit der Gerechtigkeit Genüge getan wird!«

Sie klappte ihren Ordner zu und stand auf.

»Ach und noch etwas: Falls Sie auf die Idee kommen sollten, eine Trennung wäre ein Ausweg, weil das ja in den besten Partnerschaften vorkommen kann, muss ich sie leider enttäuschen. Denn die würde ich so kurz nach Ihrem überstandenen Koma nicht dulden Mister Kaiba. Denn so etwas schweißt Partnerschaften zusammen und reißt sie nicht auseinander!«

»Was können wir tun um sie zu überzeugen?«, fragte David, der noch mehr Panik hatte als ich.

Miss Sakuras Grinsen wurde noch schadenfroher, wenn das überhaupt noch möglich war.

»Mister Wheeler und Mister Kaiba wollten doch heiraten? Ich würde mich über eine baldige Einladung dazu freuen!«

Mit diesen Worten verließ sie den Raum und ließ die Tür lautstark hinter sich ins Schloss fallen. David neben mir zuckte erschrocken zusammen. Ich hingegen fixierte noch immer den Stuhl, auf dem die Schnepfe gerade eben noch gesessen hatte.

»Scheiße«, fluchte David neben mir.

Und das konnte er gar nicht laut genug sagen, denn der absolute Worst-Case war eingetreten: Ich – Seto Kaiba – würde Joey Wheeler heiraten müssen, wenn ich meinen Bruder nicht verlieren wollte!
 

Als David und ich mein Zimmer wieder betraten, dauerte es nicht lange bis der Hund von mir wissen wollte, was besprochen wurde.

Ich erzählte ihm die Kurzfassung und er sah danach so aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen – was zugegebenermaßen ein ziemlich lustiges Schauspiel gewesen wäre.

»Mister Wheeler?«, sprach David ihn an.

Der Köter sah nicht aus, als wäre er aufnahmefähig, doch das hinderte David natürlich nicht daran, seinen Salm trotzdem abzulassen.

»Ich habe mich ausführlich mit Mister Kaiba darüber unterhalten und wir sind uns einig geworden, dass wir Ihren Umzug am Samstag in zwei Wochen über die Bühne gehen lassen werden. Die Ummeldung müssen wir morgen schon vornehmen lassen, sonst steht Miss Sakura in zwei Tagen wieder auf der Matte!«

Nur fürs Protokoll: Mit mir hatte er gar nichts besprochen! Die Idee hatte er sich in den letzten fünf Minuten in seinem Kopf selbst zusammen gesponnen. Und ich war darüber mindestens so unglücklich wieder Köter. Doch im Gegensatz zu ihm ließ ich mir das nicht anmerken, denn ich verstand die Notwendigkeit dieser Aktion.
 

Eine halbe Stunde später hatte Wheeler wieder genug Kraft in den Beinen, um aufzustehen. Er äußerte den Wunsch nach Hause zu wollen. David hatte eigentlich gehofft, er würde uns zusammen ablichten lassen können. Doch so wie der Hund im Moment aussah war das wohl keine gute Idee und deswegen wurde ihm dieser Wunsch gewährt.

Als Wheeler anschließend gemeinsam mit David und Mokuba mein Zimmer verließ sah er mich noch einmal so an, als wäre ich der Teufel in Person.

Für den Blick würde ich ihm am liebsten noch einen blöden Spruch an den Kopf knallen. Doch bevor ich dazu kam war er schon verschwunden. Sein Glück!
 


 

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Als ich in der sportlichen Limousine saß, die mich und Mokuba nach Hause bringen sollte, erwartete ich schlimmes zu sehen, wenn ich die Villa betrat. Obwohl ich über eine Putzkolonne von dreißig Mann verfügte, wusste ich dass mein Bruder durchaus in der Lage war unser Heim binnen kürzester Zeit in ein Schlachtfeld zu verwandeln, sodass selbst fünfzig Mann mit dem Aufräumen nicht hinterher kämen.

Roland hielt vor der Villa und ließ uns aussteigen. Der Vorgarten sah nach wie vor gepflegt aus, was bedeutete dass Roland sich wenigstens um die Außenanlage gekümmert hatte. Ich halte auf meiner Liste gedanklich einen weiteren Punkt ab und sah dem Betreten der Villa auch nicht mehr so pessimistisch entgegen. In der Hoffnung Roland hatte sich um alles gekümmert, schloss ich schließlich die Tür auf und seufzte laut, als mich blitzblank geputzte weiße Marmorfliesen anlächelten. Kaum hatten Mokuba und ich uns die Schuhe ausgezogen, kam auch schon Taika - unsere Köchin und Machthaberin über die Putzkolonne - in die Vorhalle.

Sie stellte sich genau gegenüber von mir auf, blinzelte argwöhnisch und schlug mich dann mit Ihrem Geschirrtuch, dass ihr über die Schulter hing.

»Mach so etwas nie wieder Kaiba! Wenn du mir je wieder so einen Schrecken einjagst, dann wirst du nicht wieder aufwachen, dass schwöre ich dir allen japanischen Göttern!«, kreischte sie hysterisch und rauschte dann wieder ab.

Ihre Art und Weise einem zu zeigen, dass man ihr wichtig ist!

Mokuba ging ihr hinterher. Bestimmt wollte er sie wieder dazu überreden ihre selbstgemachte Limonade zu machen oder so etwas in der Art.

Sollte mir aber ganz recht sein, denn so hatte ich die Gelegenheit mich um ausstehende Firmenangelegenheiten zu kümmern.

Ich wollte gerade die Treppe hinauf gehen, als sich jemand hinter mir räusperte. Es war Roland.

»Mister Johnson hat mir gesagt, dass ich Sie daran erinnern soll ein Zimmer für Mister Wheeler herrichten zu lassen! Vielleicht das eine Gästezimmer in Ihrem Flügel, dann wären Sie immerhin nahe beiein-«

»Wage es nicht diesen Satz zu Ende zu sprechen!«, unterbrach ich ihn harsch. »Taika soll den Putzfrauen sagen, dass Sie das Gästezimmer was am weitetesten von meinem Schlafzimmer entfernt liegt für ihn fertig machen sollen! Ich will seine Visage hier so wenig sehen wie nur irgendwie möglich!«

Roland sah einen kurzen Moment so aus, als würde er noch etwas sagen wollen, doch dann schloss er den Mund, nickte und ging in Richtung Küche davon. Schlauer Mann!

Erleichtert verdrehte ich die Augen. Dann konnte ich ja jetzt endlich meiner Arbeit wieder ganz in Ruhe nachgehen. Ohne das Mokuba, David, Wheeler oder irgendwer sonst meine angeschlagenen Nerven noch mehr malträtierte.
 


 

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Am Samstag zwei Wochen später saß ich gerade vor meinem Laptop und überprüfte einen Bericht über die neue Duell-Disk, als David breit grinsend in mein Arbeitszimmer spazierte.

»Es ist so weit«, verkündete er großspurig.

»Ich habe dir schon mindestens tausendmal gesagt, dass du anklopfen sollst, bevor du eintrittst! Warum kannst du die nicht einfach mal an das halten was ich dir sage?«, fragte ich genervt und klappte meinen Computer zu. Zum Arbeiten würde ich jetzt sowieso nicht mehr kommen. Denn der Schlipsträger würde mich so schnell nicht wieder in Ruhe lassen – dass sah man ihm an.

»Hast du etwas Angst ich könnte dich bei etwas unmoralischem überraschen?«

Der Typ hatte heute also mal wieder einen Clown gefrühstückt. Herr im Himmel, womit verdiente ich das?!

»Naja auch egal«, winkte David ab, als er merkte das er von mir keine Antwort auf seine blöde Frage bekommen würde. »Der Umzugswagen steht schon unten. Du kannst deinen Liebsten samt seiner Sachen jetzt aus der Hölle befreien und in das Eisschloss überführen!«

Er konnte wirklich froh sein, dass ich meine Aggressionen besser im Griff hatte als andere. Andernfalls hätte ich ihn wahrscheinlich schon im Garten vergraben.

»Weshalb sollte ich ihn persönlich abholen? Er wird es ja wohl selbst schaffen seine paar Habseligkeiten zu verladen!«, antwortete ich monoton.

»Es könnte sein, dass die Presse Wind davon bekommen hat und da sein wird um Fotos zu schießen. Da wäre es doch wirklich schade, wenn Joeys Verlobter nicht zugegen ist!«

Mir war sofort klar, dass er die Presse selbst in Kenntnis gesetzt hatte. Entweder um Miss Sakura öffentliche Beweise für unsere Beziehung zu liefern oder um mich wieder ins Rampenlicht zu rücken. Eigentlich war mir egal weswegen, er sollte das bloß nie wieder tun! Sonst wird er in den telefonischen Kundenservice strafversetzt – eine angemessene Strafe für seine Vergehen!

»Hattest du Wheeler eine Zeit gesagt, zu der er abgeholt wird?«, hakte ich nach und zog einen Ordner hervor.

»Nein, aber ihr müsst sowieso auf seinen Vater warten!«, antwortete David und lieferte mir damit gleich die nächste Hiobsbotschaft.

Ich schob den Ordner wieder zurück und sah meinen Anwalt prüfend an. »Und warum sollte ich in der schäbigen Bude auf seinen Erzeuger warten? Der geht mich ja nun überhaupt nichts an – schlimm genug das ich mich mit seinem Abkömmling herumschlagen muss!«

David stöhnte genervt auf. »Ist dir schon Mal in den Sinn gekommen das ihr beide nicht einfach in ein Standesamt spazieren und heiraten könnt?! Du wurdest vom Staat vielleicht für volljährig erklärt, aber Joey nicht. Und da sein Vater das alleinige Sorgerecht für ihn hat, ist er der einzige der die Hochzeit seines minderjährigen Sohnes erlauben darf und das braucht ihr schriftlich!«

Ich schloss die Augen und massierte mir das Nasenbein. Warum konnte zur Abwechslung nicht mal etwas einfach sein?

»Und du bist der Meinung, sein Vater wird mir erst um den Hals fallen und dann den Wisch unterschreiben?«, fragte ich ironisch. »Sag mal, wie unterbelichtet bist du eigentlich?«

Eigentlich hätte David sich verteidigen müssen, so wie er es für gewöhnlich immer tat. Doch er grinste nur und ließ sich in einen der Stühle gegenüber meines Schreibtischs fallen.

»Hast du dich in den letzten Tagen Mal in die Datenbank des Jugendamts gehackt?«, fragte er mit einem Ton, der mir überhaupt nicht gefiel.

»Nein. Nenne mir einen triftigen Grund, warum ich das tun sollte?!«, antwortete ich gereizt.

Seine dämlichen Gegenfragen nervten mich tierisch. Ich war noch nie ein Freund von Menschen, die in Rätseln sprachen.

»Ich hab mir gestern Mal Joeys Akte angesehen«, tat David kund. »Und in der steht, dass Joey und sein Vater überhaupt keine gutes Verhältnis zueinander haben!«

»Und wie soll uns das bei der Heiratserlaubnis weiterhelfen? Rede entweder Klartext oder hör‘ auf meine Zeit zu vergeuden!«

»Ich denke sein Vater wird ganz froh sein, wenn er endlich aus dem Haus ist. Und deswegen denke ich, es wird nicht besonders schwierig sein, seine Unterschrift hierfür zu kriegen!«, mutmaßte David und schob mir quer über den Tisch ein Formular zu.

Ich brauchte es mir nicht anzuschauen, um zu wissen was draufstand. Ich faltete es einmal in der Mitte und legte es bei Seite.

»Hey nicht weglegen! Steht auf und fahr los!«, meckerte David.

Ich verdrehte die Augen. »Kann ich wenigstens noch einen Kaffee trinken?«

»Nein, den kannst du trinken, wenn ihr wieder hier seid und jetzt verschwinde endlich!«, herrschte er mich an.

Normalerweise würde ich mir so ein Verhalten nicht gefallen lassen – vor allem nicht von einem meiner Angestellten. Aber weil ich wusste das es keinen Sinn machte mit David zu diskutieren, stand ich auf und schnappte mir den Zettel.

»Wenn ich die Unterschrift nicht bekomme, musst du dir etwas einfallen lassen und wage es nicht mir wieder unter die Augen zu treten, bis das nicht passiert ist!«

»Ja, ja und jetzt geh!«
 

Vor der Tür der Villa stand ein gewöhnlicher, weißer Transporter. Ein Zweisitzer, was bedeutete, dass ich Wheeler alleine abholen musste.

Als die Haustür hinter mir schwer ins Schloss fiel, tauchte Roland hinter dem Gefährt auf. Er kam auf mich zu und reichte mir die Schlüssel.

»Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber sind Sie nach Ihrem Unfall denn in der Lage selbst zu fahren?«, fragte er besorgt.

»Ich kann dir versichern, dass es mir blendend geht und das ich in der Lage dazu bin, zu fahren!«, antwortete ich gereizt.

Legten es heute alle darauf an, mir auf die Nerven zu gehen? Wenn ja, dann spielten sie alle mit ihrem eigenen Leben!

»Haben Sie wenigstens ihr Handy dabei Mister Kaiba? Damit Sie anrufen können, wenn etwas nicht stimmt.«

»Roland wer sind Sie? Meine Mutter? Mir geht es gut und es wird nichts passieren! Ich bin in spätestens einer Stunde wieder da – zusammen mit dem Köter!«, herrschte ich meinen Fahrer an.

Dieser nickte nun und verschwand wieder in der Villa. Zum Glück – noch weitere Worte aus seinem Mund und der Vulkan in mir wäre wohl wirklich explodiert!

Ich setzte mich hinters Steuer und startete den Transporter. Während ich die kiesige Einfahrt hinunterrollte, fragte ich mich, ob es wohl wirklich so einfach werden würde Wheelers Vater zum unterschreiben zu bringen. Aber warum machte ich mir darüber eigentlich Gedanken? Für Geld würde der sicherlich alles tun – vermutlich sogar seinen eigenen Sohn abgegeben. Bei dem Gedanken lief es mir eiskalt den Rücken hinab. So etwas Grausames hätte vermutlich nicht einmal Gozaburo getan!
 


 

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Das Viertel in dem Wheeler wohnte, war der ganzen Stadt ein Dorn im Auge. Hier gab es abrissreife Hochhäuser so weit das Auge reichte. Müll und Sperrmüll säumten die Straßen und Gehwege. In jeder Gasse tummelten sich zwielichtige Gestalten. Ein Spielplatz an dem ich vorbeifuhr war mit Absperrband und einem Bauzaun abgeriegelt. Ein paar Jugendliche hielt das jedoch trotzdem nicht davon ab auf den Einsturzgefährdeten Spielgeräten herumzuturnen.

Das Gewerbegelände am Hafen war nicht weit von hier entfernt. Das Benzin der Containerschiffe und die Abgase der Fabriken roch man bis hier her und sie brannten fürchterlich in der Nase.

Jemand hatte Wheelers Adresse ins eingebaute Navigationsgerät eingegeben und ich war erstaunt, als dieses mir meinen Zielort in einer Straße voller hübscher kleiner Reihenhäuser verkündete. Vermutlich hatte man sie für die Fabrikarbeiter vom Hafen gebaut, dass hieß Wheelers Vater war einer von ihnen. Andernfalls wäre er wohl kaum an so ein solides Eigenheim gekommen.

Es gab kaum Parkplätze in der Straße, weswegen ich direkt an der Kreuzung parken musste. Glücklicherweise war weit und breit kein Papparazzi zu sehen. Ich stieg aus und ging die Straße hinab. Hoffentlich hatte Wheeler wenigstens ein paar Muskeln in den Armen. Andernfalls könnte das Kisten schleppen zu einer wahren Tortur werden. Wer weiß was der für Kram in seinem Zimmer hortete.

Als ich nur noch zwei Nummern von Wheelers Haus entfernt war, fiel mir plötzlich eine offene Tür ins Auge und ich hörte das laute Gebrüll eines Mannes.

Mir kam wieder in den Sinn was David über Wheeler und seinen Vater gesagt hatte und was Miss Sakura vor zwei Wochen beiläufig erwähnt hatte.

Ich beschleunigte meine Schritte und stoppte erst, als ich vor dem Gartentor stand. Das Fundament des Hauses war so niedrig, dass man direkt ins Innere hinein sehen konnte. Und was ich erblickte, schockierte mich.

Nicht Mal fünfzehn Meter von mir entfernt, stand Wheelers Vater über ihn gebeugt und prügelte seinen Sohn grün und blau.

Mein rationaler Verstand sagte mir, dass es klüger wäre die Polizei zu rufen. Doch Polizei bei häuslicher Gewalt in die Minderjährige involviert waren, bedeutete auch ein Anruf beim Jugendamt. Und ich war sehr froh, dass uns die Schnepfe mal vierzehn Tage in Frieden ließ.

Ich ballte die Hände zu Fäusten. Die blanke Wut nahm meinen Körper ein.

Weil ich nicht wusste, wie sich das Gartentor öffnen ließ und es zu hoch war um drüber zu springen, trat ich es einfach ein. Ich hechtete die flache Veranda mit zwei Schritten hinauf, direkt hinein ins Haus.

»Sind sie verrückt? Was fällt Ihnen ein?«, schrie ich wutentbrannt. Bevor ich überlegen konnte, was als nächstes zu tun war, handelte mein Körper bereits von ganz alleine und ich schlug einfach zu. Mitten in die hässliche Fratze von Wheelers Vater.

Er taumelte zurück, verlor das Gleichgewicht. Er fiel in ein paar von Wheelers Umzugskartons und blieb liegen. Besser für ihn!

Ich ließ mich vor Wheeler fallen und betrachtete sorgenvoll sein ramponiertes Gesicht. Er würde ein Veilchen am rechten Auge bekommen und er hatte einen tiefen Riss direkt auf seinem Wangenknochen. Er blutete aus dem Mund.

»Joey!«, sagte ich sorgenvoll. Mir war in diesem Moment nicht bewusst, dass ich ihn zum ersten Mal bei seinem Vornamen genannt hatte, aber das war jetzt auch nicht wichtig.

Im Augenblick zählte nur, dass ich ihn hier weg bekam, zusammen mit seinen ganzen Sachen. Heiratserlaubnis hin oder her. Diesen ekelhaften Menschen würde ich so wieso nicht um einen Gefallen bitten – aber eine Tracht Prügel, die konnte er von mir gerne noch kriegen wenn er es darauf anlegen sollte!

Ich strich Joey sanft über die Wange, doch er war weggetreten. Scheiße!

Mein Handy. Ich ließ Joey los, fummelte es aus der Tasche meines Mantels und rief Roland an. Er sollte David eintüten und so schnell hier her kommen wie nur möglich. Denn ich befürchtete, dass, sobald ich Joey aus diesem Haus brachte, sein Erzeuger die Tür hinter ihm für immer schließen würde.

Glücklicherweise nahm Roland direkt beim ersten Klingeln ab, als hätte nur er auf meinen Anruf gewartet. Ich hielt mich nicht daran auf ihm die Situation zu erklären oder auf seine Fragen einzugehen. Ich sagte ihm die Adresse und das er David mitbringen sollte und legte einfach auf.

Dann kümmerte ich mich wieder um Joey. Sein Vater lag nach wie vor benommen in den Umzugskartons.

Vorsichtig tupfte ich mit einem Taschentuch aus meiner Manteltasche die Wunde auf seiner Wange ab. Während ich das tat, kam auch sein Erzeuger langsam wieder zu sich.

Sofort ergriff die Wut wieder von mir Besitz und ich ballte die Hände zu Fäusten. Ich warf das Taschentuch achtlos auf den Boden, richtete mich auf und drehte mich um. Auch Wheeler Senior sah mich wütend an.

»Wer sind Sie? Und was machen Sie in meinem Haus?«

»Ich bin der Verlobte ihres Sohnes und ich werde nicht zulassen, dass Sie ihn noch einmal anrühren!«

Es war mir egal was er von mir hielt und es war mir auch egal was ich da sagte. Wichtig war nur, dass ich zwischen ihm und seinem Sohn stand und ihn davon abhielt weiter auf diesen einzuschlagen.

»Ach ja – ich habe davon in der Zeitung gelesen! Lächerlich, mein Sohn ist weder eine Schwuchtel, noch an so jemandem wie Ihnen interessiert! Außerdem ist er minderjährig und ich habe die Entscheidungsgewalt über ihn!«

»Mal sehen wie lange noch«, knurrte ich und fletschte die Zähne.

Er sollte mich lieber nicht provozieren oder es würde ihm leid tun. Noch hatte er die Wahl wie der heutige Tag für ihn ausgehen konnte! Entspannt oder schmerzvoll.

»Sie denken, nur weil Sie ihm Ihren Schwanz in den Arsch schieben, ist er Ihr Eigentum? Sie sind noch überheblicher, als ich immer gedacht habe!«, bellte er angriffslustig.

Ein beißender Alkoholgeruch schwappte zu mir herüber und steigerte meine Wut ins unermessliche.

»Wie viel muss man eigentlich trinken, damit es einem nicht mal mehr Leid tut, wenn man den eigenen Sohn grün und blau schlägt?«, höhnte ich, weil mir nichts anderes einfiel.

Entweder ich machte mich über ihn lustig oder haue ihm aufs Maul. Um die Schnepfe vom Jugendamt nicht auf den Plan zu rufen und um Mokubas Sorgerecht nicht zu gefährden war wohl ersteres die bessere Wahl, obwohl das Jucken in meinen Fingern immer stärker wurde.

Nun lachte Wheelers Erzeuger. Ein widerliches Lachen – passend zu seinem widerlichen Gesicht. Vielleicht würde meine Faust ja doch so einiges richten können! Ein Versuch war es zu mindestens wert.

»Bezahlen Sie Ihn damit er mit Ihnen schläft? Nötig hätte er es, immerhin habe ich kein Geld für Ihn – und jemand der Ihn freiwillig will, wird er sowieso niemals finden!«

Okay, dass reichte! Mokuba verzeih‘ mir, aber den Typ ohne Faustschlag zu verlassen wäre ungerecht seinem Sohn gegenüber!

Doch gerade als ich mich auf ihn stürzen wollte, hielt eine starke Hand meinen Arm fest. Als ich mich umdrehte sah ich direkt in Davids bittende Augen.

Er kannte meine Wutanfälle, wusste wie schwer ich zu bändigen war wenn sie erst einmal Besitz von mir ergriffen hatten. Und er wollte nur verhindern, dass jemand – ich korrigiere; noch jemand – ernsthaft zu Schaden kommt.

David würde die Sache mit Joeys Erzeuger schon regeln – mit Worten, nicht mit Fäusten. Also drehte ich mich um und ging neben Roland in die Hocke, der Joey oberflächlich abcheckte.

»Ich glaube es ist nichts Ernstes. Wir bringen ihn am besten in die Villa und lassen einen Arzt kommen. Dann können wir ihn Notfalls immer noch ins Krankenhaus bringen!«

Ich nickte. »Kriegen Sie ihn alleine ins Auto? Ich will seine Sachen mitnehmen, er wird Sie brauchen.«

Roland sah mich einen Moment verwirrt an, ehe er nickte und Joey Huckepack nahm um ihn nach draußen zu bringen.

Ich richtete mich wieder auf und drehte mich zurück zu David. Joeys Erzeuger war verschwunden.

»Wo ist er hin?«, knurrte ich.

»In der Küche. Ich habe ihm mit einem Gerichtsverfahren gedroht und das hätte ihn sein Haus gekostet. Er hat sich einverstanden erklärt, dass wir Joey mitnehmen – und seine Sachen auch!«

Ich seufzte erleichtert. Ruhe kehrte in meinen aufgewühlten Körper ein und ich war endlich wieder in der Lage dazu einen klaren Gedanken zu fassen.

»Gut, wir bringen seine Sachen erst mal nach draußen in den Vorgarten! Dann hole ich den Transporter, wir laden sie ein und verschwinden von hier! Wenn ich das Gesicht von diesem Mistkerl noch einmal zu sehen bekomme, haue ich ihm doch noch eine rein!«

Aus dem Augenwinkel sah ich David angesichts meiner Wortwahl und meines Engagements schmunzeln, doch ich ließ das unkommentiert. Denn ich bekam schon wieder Migräne und ich wusste, dass eine Diskussion zwischen uns, mich gleich wieder wütend machen würde.

Wheeler hatte wirklich verdammt wenige Habseligkeiten. Und es fiel mir schwer, mir vorzustellen, dass ein ganzes Leben in ein paar Kisten und zwei Koffer passen sollte.

David und ich brauchten keine fünf Minuten um alles aus dem Haus zu schaffen. Und keine weiteren drei Minuten um alles im Transporter zu verstauen, den ich zwischenzeitlich vor das Haus gefahren hatte.

»Wir sollten seine Freunde informieren. Er wird sich bestimmt freuen sie zu sehen, wenn er aufwacht!«, sagte David, während wir aus Wheelers Straße fuhren.

»Ich glaube der Köter wird etwas Ruhe brauchen, bevor man den Kindergarten auf ihn los lassen kann!«, antwortete ich.

David stöhnte genervt. »Was du vorhin für Joey getan hast war heldenhaft und ziemlich nett. So etwas tut man nicht für jemanden, der einem nichts bedeutet – also warum nennst du ihn jetzt wieder Köter?«

»Ich weiß gar nicht, warum ich damit aufgehört habe! Lag wohl am Wutanfall!«

»Er ist dir wichtig, gib es zu! Du brichst dir schon keinen Zacken aus der Krone!«

»Jeder braucht einen Fußabtreter!«, antwortete ich gelassen.

»Du bist ein Arschloch – jemand wie er hat dich gar nicht verdient!«, entgegnete David und klang so, als hätte ich ihn selbst beleidigt. Dann wandte er den Blick aus dem Fenster und tat so, als wäre ich gar nicht da.

»Niemand hat mich verdient!«, sagte ich abschließend, ohne wirklich zu wissen, was ich damit eigentlich meinte.

»Auch für dich wird der Zeitpunkt kommen, in dem du dich dem hingeben musst, was dein Herz dir sagt!«, murmelte David vor sich hin.

Er ging mit Sicherheit davon aus, dass ich ihn nicht verstanden hatte. Doch das hatte ich – jedes einzelne Wort.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Onlyknow3
2019-05-31T09:16:23+00:00 31.05.2019 11:16
Sorry das ich jetzt erst dazu komme zum weiter lesen.
Mir gefällt die Story, deshalb finde ich es schlimm wenn mir die Zeit fehlt.
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Satra0107
2019-04-08T07:21:34+00:00 08.04.2019 09:21
Der Perspektivwechsel hat mir sehr gut gefallen. Ich finde es immer interessant Kaibas Sichtweise zu lesen 👍😊
Von:  night-blue-dragon
2019-03-31T16:43:29+00:00 31.03.2019 18:43
Hallöchen,

ich liebe deine Geschichte. Erst wollte ich sie nicht lesen, weil sie noch nicht beendet ist, hab es dann doch getan und nicht bereut.... vielleicht jetzt, weil ich wieder auf das nächste Kapitel warten muss.^^

Ich mag deinen Humor und konnte mir alles sehr gut vorstellen. Bei diesem Kapitel dachte ich erst, dass der Kuss am Ende des letzten Kapitels Joey quasi ins Koma beförderte... zum Glück war das nicht der Fall, wäre künftig auch blöd, wenn er nach jedem Kuss einen Klinikaufenthalt bräuchte.^^

Die vorangegangenen Kapitel aus Sicht Setos zusammen zu fassen ist eine coole Idee, da man so ein wenig über Setos Gedanken über die 'Verlobung' und seine Einstellung Joeys gegenüber erfährt.
Ich bin gespannt, ob die anderen Kapitel auch so aus Setos Sicht erzählst, vor allem die Sache mit dem Vertrag und der Feier bei Mrs. Yuen.

Es gibt soviel was mir gefallen hat, was mich spontan zum Lachen brachte, dass es hier den Rahmen sprengen würde alles aufzuzählen.
Mir war nur ein Fehlerchen aufgefallen, aber vielleicht ist es auch von dir gewollt.
>>....Miss Sakura ist der Auffassung, wir hätten Mister Wheeler nur arrangiert ....<<<
Ich persönlich fände engagiert passender, aber wie gesagt, es kann auch von dir so gewollt sein.

bis zum nächsten Kapitel

glg night-blue-dragon


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