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Rondo

von

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|| Übereinkommen ||

Sie hatte Marian hinaus geschickt und veranlasst das man sie nicht stören sollte.

Ihr Blick schweifte über die Gärtnergesellen, welche nun mit Schaufeln und Harken die Erde um den Baumstumpf beiseite schoben um die Wurzeln der alten Kastanie offen zu legen. Der restliche Stamm lag am Boden, diente den Kindern als Kletterspiel, während die Männer sie mit energischen Handbewegungen fortscheuchten, sobald sie ihre Schaufeln kurz ruhen ließen sich den Schweiß von der Stirn zu reibend. Sicher würden die Arbeiten bis in den Abend hinein andauern. Marian hatte recht behalten, den Schatten der alten Kastanie hatte Georgina kaum in Anspruch genommen, dennoch erfüllte sie der Anblick des gefällten Baumes mit einem Gefühl der Schwermut. Weshalb störte der Duke of Devonshire sich an einem alten Baum?

Das zögerliche Klopfen an ihrer Zimmertüre riss sie aus den Gedanken. Es dauerte einige Sekunden bis sie sich erinnerte Adam zu sich gerufen zu haben. Nach jenem Vorfall unten auf dem Hof würde ihr Stallknecht sich verantworten müssen. Mit einem resignierten Seufzer drehte die Baroness sich vom Fenster ab und schritt hinüber zu dem kleinem Tisch, auf dem weiterhin das okkulte Buch lag. Erneut fuhren ihre Finger beim Anblick des Einbandes über die goldenen Lettern, es würde nicht schaden einige Sätze darin zu lesen, schließlich wollte sie nur verstehen. Verstehen, was dort auf diesem Feld geschehen war. Um jenes Buch jedoch vor den Augen ihres Stalljungen zu verbergen, schob Georgina es unter das bestickte Tischtuch.

Allein die deutliche Wölbung trug nun Zeugnis, dennoch würde ihr Interesse am Okkulten Adam verborgen bleiben.

„Tritt ein.“ Ihr Blick folgte dem Aufschwingen der Türe und haftete sich auf den etwa fünfzehnjährigen Jungen, dessen nussbraune Augen beim Anblick seiner Herrin hastig zu Boden sahen. Sie wartete bis der Junge mit dem karottenroten Haar die Türe hinter sich geschlossen hatte. Er fühlte sich deutlich unwohl, scharrte unbewusst mit dem Fuß über den Boden. Die Finger rangen miteinander hinter seinem Rücken, dies verrieten die zittrigen Arme. Er hatte also etwas zu verbergen, doch war er wirklich so schuldig wie ihn Scotland Yard hielt? Adam war unter dem Personal beliebt, und Georgina würde es nicht wundern, wenn diese Beliebtheit Neider auf dem Plan rief. Dennoch, welch Neider hatte solch eine Missgunst gegen Adam, dass man ihm solch Unsittlichkeit unterstellte.

Als Adam nervös zu husten begann, beschloss die Baroness endlich das Schweigen zu brechen: „Deine Eltern leisteten gute Dienste für die Familie des Duke. Als du hierher kamst, vertraute man dich meiner Obhut an.“ Sie hielt kurz inne, wartete auf eine Reaktion seitens Adam, dieser hingegen starrte weiterhin zu Boden, woraufhin Georgina fortfuhr: „Ich bin deine Herrin. Meines Erachtens behandelte ich dich gut, obwohl du hier Unterkunft und Kost erhältst, wirst du für deine Dienste gut entlohnt.“ Sie drehte sich herum, schritt etwas auf Adam zu.

„Sag mir, habe ich als deine Herrin nicht das Anrecht auf deine Ehrlichkeit?“

„Habt Ihr, Baroness.“, piepste es beinahe über seine Lippen.

„Es ist mir egal, welch Umtriebe dich in deiner Freizeit beschäftigen. Die Ansichten unserer Gesellschaft interessieren mich diesbezüglich ebenso wenig. Keiner von denen kann in Angesicht Gottes von sich sagen, er sei frei von Schuld und Scham. Doch als deine Herrin kann ich dich nur dann schützen, wenn du mir gegenüber ehrlich bist und nicht den Namen meiner Familie beschämst. Verstehst du das Adam?“

Überrascht hob der Ire den Blick und taxierte die Baroness, als suche er nach einem Anlass ihre Worte als Lüge zu bewerten. Sie sah ihm offen entgegen - kein Trug, keine List spiegelte sich in ihren Augen.

„Ich verstehe, Baroness.“

Ein mildes Lächeln bildete sich nun auf ihren Lippen: „Sei es so. Sag mir, sind die Anschuldigungen über dich wahr?“

„Nein. Nicht direkt.“, er scharrte erneut mit dem Fuß, während er ihren Blick beschämt auswich. „Ich war dort. Nicht als Gast oder Dergleichen. Ich wollte lediglich einen Freund helfen. Er war dort Kunde und sie haben ihn angesprochen.“

„Und er stimmte zu?“, mutmaßend neigte die Adelige leicht den Kopf. Besagte Örtlichkeit, in denen Frauen ihren Körper gegen Entgelt anboten, waren ebenso zwielichtig. Den Frauen blieb meist kein Ausweg mehr aus der Hurerei. Wer sich erst mal so darbot, war ganz unten in der Gesellschaft angekommen.

Nur waren solche Häuser geduldet, sogar durch Gesetze geschützt, so mussten Gäste sowie Freudenmädchen stets Volljährig sein. Georgina zweifelte jedoch an den Kontrollen dahingehend. Und boten daher anderen Geschäften guten Nährboden. Es war nicht unüblich, dass man gut bezahlten Kunden eine kleine „Nettigkeit“ gegen bares anbot. Wäre der Artikel in jener Zeitung nicht erschienen, wäre dieser Vorfall bereits in den Schatten der Justiz verschwunden.

Adam schüttelte den Kopf: „Er wollte sich einige Münzen dazu verdienen, für seine Familie. Sein Vater hat acht hungrige Mäuler zu stopfen.“

„Verstehe.“, murmelte sie, also war auch hier der Grund die ärmlichen Verhältnisse der unteren Schicht. Nun sie hatte keine Zeit für Mitleid, welches niemanden helfen würde. Sie musste sich auf ihren Stalljungen konzentrieren.  Adam, so war sie sich sicher, hatte die Wahrheit gesprochen, die Anschuldigungen waren haltlos. Doch wer konnte schon genau sagen, ob er nun nur nach seinen Freund gesehen hatte, oder doch aus einem anderen Grund dort gewesen war. Seine Unschuld war keinesfalls gesichert, und sie kannte die englische Justiz, welche unangenehme Dinge gerne schnell und ohne Aufsehens über den Richterstuhl zog.

In ihren Gedanken versunken, betrachtete die Baroness den Jungen, der wohl keine zwei Tage im Zuchthaus aushalten würde, so schmächtig und ängstlich er war. Sie wollte nicht zusehen müssen, wie die Bobbys ihn holen kamen, um den armen Burschen in einer geschlossenen Kutsche davon zu scharren.

Mit einem leichten Winken bedeutete Georgina Adam, sie nun alleine zu lassen: „Ich danke dir.“, damit drehte sie sich etwas von ihm ab, darauf wartend, dass er sich zurück zog. Erst als er die Türe passiert hatte, lockerte sich Georginas Körperhaltung. Plötzlich überkam sie eine innere Unruhe. Sie begann unschlüssig im Zimmer auf und ab zu laufen, biss sich immer wieder auf die Unterlippe und musste sich zwingen nicht an den Fingernägeln zu kauen. Was nützte ihr der Entschluss ihren Stalljungen zu helfen, wenn sie nicht wusste, was sie tun konnte. Wie sollte sie Adam helfen? Wütend über diese unsägliche Unruhe riss Baroness die Zimmertüre auf: „Marian! Schickt mir einer nach dem Mädchen.“ Ihre Stimme hallte bis ins untere Geschoss und kurz darauf eilte die Kammerzofe, den Rock beinahe bis zu den Knien gehoben, die Treppen hinauf.  

Ihre Herrin erhob nur selten die Stimme, und wenn sie denn tat, dann bedeutete dies meistens eine unruhige, leicht reizbare junge Dame. Darauf gefasst, trat Marian in die Räumlichkeiten der Baroness. Die Schwarzhaarige zog mürrisch an der Schnürung ihres Kleides, hatte sichtlich wenig Erfolg die Korsage zu öffnen. Mit einem stummen Seufzer trat Marian an ihre Herrin heran, schob deren Hände sanft beiseite und begann mit geschickten Fingern die Schnüre zu lockern.

„Weshalb seit Ihr ärgerlich, Baroness?“

„Ich kann schon wieder nichts tun.“, in ihrer Stimme lag ein leichtes Zittern, als war sie den Tränen nahe. Rasch gewann Georgina ihre Fassung zurück. „Ich konnte mir selbst nicht helfen, nun kann ich nicht einmal Adams missliche Lage lindern.“

„Ihr wart eine Gefangene. Beschämt Euch nicht, indem ihr Euch die Schuld daran gebt.“ Marian ließ die Korsage zu Boden gleiten, half ihrer Dienstherrin aus dem Stoff. „Ihr werdet eine Lösung für Adam finden.“ Es waren besänftige Worte ohne jegliche Gewissheit.

Georgina konnte dies ihrem Kammermädchen nicht nachsehen. Sie spürte, wie sich die Unruhe in ihrem Inneren langsam dämpfte.

Als Marian sich hinab beugte um die Baroness von ihren Seidenstrümpfe zu entkleiden, richtete jene erneut das Wort an das Mädchen: „Du bist sehr gottesfürchtig. Darf ich dir eine Frage stellen, Marian?“

„Was wollt Ihr wissen, Baroness?“

„Ist es falsch zu Lieben?“, ihre Worte überdenkend, hielt Georgina kurz inne, „Ist die einzige, richtige Liebe, nur die von Gott gesegnete?“

„Dies ist eine sehr moralische Frage. Ich denke nicht, dass ich eine Antwort darauf habe, Herrin.“

„Dann sprich frei. Teile mir deine Gedanke mit mir.“ Ihr Blick folgte Marian, welche einen einfachen Rock über ihren Arm legte.

„Solange sie niemanden Schaden zufügt, so denke ich, kann Liebe nicht falsch sein.“

Die blonde Zofe bereitete den Rock, half ihrer Herrin in diesen zu steigen ehe sie ihn an Georginas Beinen entlang zog um ihn an der Taille zu binden. „Moral wird von der Gesellschaft nieder geschrieben. Allein sie entscheidet, was richtig und falsch ist.“    

„Eine sehr politische Antwort, Marian.“ Eine eindeutige Antwort auf ihre Frage, war dies sicher nicht gewesen und Georgina wusste nicht was sie denken sollte. Ihr Pflichtgefühl stand zu Adam, doch sollte sie ihn verurteilen? Wie sollte sie ungeachtet ihrer Stellung zu dem Jungen stehen? Störte es sie sich daran, dass der Ire scheinbar romantische Interesse an einem Freudenmädchen hegte? Oder war es ihr schlichtweg egal, wem Adam liebte?

Und warum beschäftigte sie dies so? Wie Marian sagte, die Moral obliegt allein der Gesellschaft. Wenn sie solche Liebe, wenn man es so nennen durfte, als unsittlich und sträflich bezeichnete, dann lag es wohl kaum im Ermessen einer einfachen Baroness etwas anderes zu denken. Doch war sie ein dummes Schaf, welches stets mit der Herde schritt?

Sie mochte Adam, dies allein sollte ihr genügen.

Erneut fiel ihr Blick zu Marian, welche ihr gerade die Haare zu einem langen Knoten band und Besagten am Hinterkopf mit einer langen Spange fixierte. Georgina betrachtete ihr Tun eine Weile schweigend im Spiegel.

„Sag Marian, warum stell ich mir so viele Fragen?“

„Weil Euch Verstand eigen ist, Baroness.“ Marians Blick fand den ihrer Herrin im Spiegel: „Es wäre stumpfsinnig es nicht zu hinterfragen.“
 

Sebastians Einfall war eine schier eine gewagte Idee. Als sie am Anwesen der Baroness of Clifford vorfuhren, war sich Ciel Phantomhive sicher Sebastians amüsiertes Lächeln erhascht zu haben. Doch als der Earl erneut hinsah, blickte ihm der Butler ausdruckslos wie immer entgegen. Das dumpfe Pochen des Türklopfers schallte  durch die Vorhalle, während Ciel seine Worte sortierte. Er würde nicht ohne eine Zusage davon fahren.

Der Butler des Hauses öffnete nach einigen Sekunden die Türe und war sichtlich überrascht die beiden unerwarteten Gäste vor sich stehen zu sehen. „Ist Baroness zu gegen?“, ergriff Ciel das Wort, ehe sich der Butler von seiner Verwirrung erholen konnte. Dieser nickte, schloss die Türe wieder um zu seiner Herrin zu eilen. Mit einer Geste zog der junge Adelige den Hut vom dunklen Schopf: „Das ich mich nun erneut mit diesem Weibsstück herum schlagen muss.“, sein unbedecktes Augen schielte durchdringend zu seinem Butler hinauf. „Man könnte meinen, du genießt diesen Umstand.“

„Es formt den Charakter eines jungen Mannes sich mit störrischen Weiber zu umgeben.“, erwiderte der teuflische Butler schlicht. Es brauchte kein verräterisches Grinsen um Ciel zu verdeutlichen, dass er mit seiner Vermutung richtig gelegen hatte. Noch hatte ihr Vertrag bestand, und Sebastian war sein treuer Hund. Wurde wohl Zeit diese Tatsache erneut klar zu stellen. Und seit wann, formte es den Charakter sich mit nervigen Frauen zu umgeben??

Er wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzten, als sich die Eingangstüre erneut öffnete, diesmal trat der Butler des Hauses schweigend beiseite um die Herren eintreten zu lassen.

„Welch Umstand verdank ich dies Vergnügen, Earl Phantomhive?“ Nervig. Selbstgefällig. Er fand keine anderen Wörter um Georgina Cavendish zu beschreiben. Sie saß dort, wie ein Bauernmädchen, auf den Stufen der Foyertreppe. Gekleidet war sie in einem einfachen Baumwollrock, über dem Unterkleid eine ebenso einfach Weste geköpft. Er wusste, dies Kleidung trugen die Farmerfrauen in den Südstaaten Amerikas. Zu einer Adeligen passten sie keinesfalls, zudem trug diese Person nicht einmal Schuhe, als wolle sie seine Wenigkeit bewusst verspotten.

„Mich fesselte ein interessantes Buch. Ich sagte zu Henry, er müsse sich täuschen. Ich erwartete keinen derartigen Besuch. Aber doch, da steht Ihr hier vor mir. Ihr und Euer Butler.“, langsam zog Georgina sich auf die Füße, überwand die restlichen Stufen und blieb wenige Meter vor Ciel stehen zum Salon deutend. „Serviere uns Tee, Henry.“
 

„Ihr wisst, was Ihr verlangt?“

„Nun, die Damen aus dem Freudenhaus werden kaum reden, zumindest nicht mit meiner Wenigkeit und leider hatte mein Informant keine nützlichen Hinweise.“

Georgina zuckte skeptisch mit einer Augenbraue: „Meint Ihr nicht, man würde es durchschauen?“

„Lasst dies meine Sorge sein, Baroness.“, Ciel senkte seine Tasse ruhig zum Unterteller. „Ihr sollt nur ihr Vertrauen gewinnen und diese eine Frage für uns klären.“

„Indem ich mich als Dirne ausgebe?“

„Es wird auch Euch zu Gute kommen.“, sein Blick taxierte die Baroness. Er hatte schon damit gerechnet seinen Trumpf ausspielen zu müssen. „Euer Stalljunge wird bezichtigt darin verwickelt zu sein. Wenn Ihr mir diesen Gefallen erweist, werde ich mich dahingehend erkenntlich zeigen.“

„Ihr könnte Adam helfen?“ Sie horchte auf.

Zufrieden lehnte Ciel Phantomhive sich auf seinem Stuhl zurück, beobachtete wie sich Baroness an seiner Angelschnur wandte. Er musste die Angel nur noch einholen.

„Kommen wir überein, Baroness?“

„Meine Dienerschaft - niemand, darf Kenntnis darüber gewinnen.“

„Ihr werdet unbehelligt bleiben.“ Über seine Lippen huschte ein süffisantes Lächeln, während er mit einer Hand auf seinen Butler deutete, der neben ihm schweigend verharrte. „Sebastian wird Euch passend einkleiden und herrichten.“ Der junge Earl brauchte nicht hinzusehen: Er spürte wie ihn von beiden Seiten eine deutliche blutrünstige Aura entgegen schlug.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  lula-chan
2018-08-04T14:03:17+00:00 04.08.2018 16:03
Tolles Kapitel. Gut geschrieben.
Oh Mann. Das geht ja wirklich gut weiter. Ciel weiß eben, wie er seinen Willen bekommt. Das kann noch heiter werden.
Ich bin schon gespannt, wie das weitergeht, und freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Antwort von:  kaltes
05.08.2018 16:36
Danke 🤩
Ja Ciel weiß wie er bekommt was er will. Leider für Georgina. Mal schauen wie es weiter geht.

Lg
Kaltes


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