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TMNT - Es liegt in deiner Hand

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Alles vergessen

Aus Bernadettes Sicht:
 

Kaum, dass die Ärzte bei mir waren, wurde ich von oben bis unten untersucht. Doch ich verstand kaum ein Wort. Nicht nur, dass sie mich mit unzähligen Fragen belästigten, die ich so gut wie gar nicht beantworten konnte, meine Kraft reichte gerade mal so viel aus, sodass scheinbar das „Notwendigste“ bei mir durchgeführt werden konnte. Ich war zunächst erleichtert, als mir dieses dämliche Ding aus dem Hals gezogen worden war. Das Erste, was ich gleich darauf tat, war, so richtig tief Luft zu holen. Doch dann kam schon die eigentliche Untersuchung, gefolgt von jenen Fragen, welche ich zunächst mit Kopfschütteln und Nicken beantwortete. Ich fühlte mich die ganze Zeit so schwach und konnte meine Augen mehr schlecht wie recht offenbehalten, weswegen sie mich schlussendlich in Ruhe ließen. Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut und das tue ich auch jetzt nicht. Den Rest der Nacht habe ich traumlos verbracht und bin schließlich wieder in diesem kalten und trostlosen Zimmer aufgewacht. Allein und ohne, dass jemand neben mir sitzt, liege ich im Krankenbett. Zunächst lasse ich meinen Blick stumm auf der Decke verharren, bis ich schließlich diesen umherwandern lasse. Ich bin ganz allein hier. Es gäbe zwar ein weiteres Krankenbett, aber darin liegt niemand und auch der weiße Vorhang, mit dem man den „eigenen“ Bereich hätte abtrennen können, ist ebenfalls nicht zugezogen. Egal wohin ich auch meine Augen richte, es wirkt so leer und steril, was in mir sogar eine gewisse Unruhe aufkommen lässt. Allerdings glaube ich nicht, dass allein das nur mit meiner Umgebung zusammenhängt. Ich habe vergessen, wer ich bin. Dass ich mich in einem Krankenhaus befinde, braucht mir niemand erklären, aber wie bin ich hierhergekommen und was ist überhaupt passiert?!

Ich denke an letzte Nacht, an dem ich aus diesem seltsamen Traum erwacht war und dann von diesen vier, seltsamen Gestalten begrüßt worden war. Leider konnte ich sie nicht klar erkennen, egal ob ich mich an sie erinnert hätte, oder nicht. Sie alle strahlten eine eigenartige Vertrautheit aus und besonders jener, welcher direkt an meiner Seite war, hatte etwas an sich, was ich bis jetzt nicht begreife. Ich habe es sogar kurz in Erwägung gezogen, dass ich das Ganze doch nur geträumt haben könnte. Nicht nur, dass sie einfach aus dem Fenster gestiegen waren, was kein normaler Mensch jemals tun würde, ich war so müde, sodass ich alles nur verschwommen sah. Allerdings kann es kein Traum gewesen sein, da einer von ihnen kurz hinter der Tür verschwand, ehe nach seinem Abgang durchs Fenster eine Krankenschwester und schließlich auch zwei Ärzte hier auftauchten. Als hätte er diese schnell zugerufen, dass sie mal nach mir sehen sollten und noch etwas spricht dagegen, dass dies ein Traum gewesen sein könnte. Jener Kerl, der direkt an meinem Bett saß, hielt für einen Moment meine rechte Hand, strich mir sanft über das Gesicht und küsste mich sogar auf die Stirn. Auch wenn ich mich letzte Nacht kaum bewegen konnte und auf dem Grad zwischen wachen Zustand und Schlafmodus mehr zum Zweiteren neigte, so spürte ich doch diese zarten Berührungen. Leider bin ich mir nicht sicher. Es könnte immerhin genauso gut „Nachwirkungen“ von diesem seltsamen Traum gewesen sein. Eine bloße Einbildung, weil ich mich sonst an gar nichts erinnern kann. Mein Schädel brummt. Nichts scheint einen Sinn zu ergeben, ich verstehe das nicht.

Seufzend kehre ich in meine Ursprungsform zurück und starre wieder zur Decke hinauf. Doch dann öffnet sich die Tür. Ein Mann mit Brille und in einem weißen Kittel kommt mit strammen Schritten auf mich zu und bleibt direkt neben meinem Bett stehen. „Guten Morgen, wie fühlst du dich heute?“, fragt er mich und hat sogar ein leichtes Lächeln im Gesicht. Ohne auf eine Antwort zu warten, holt er aus seinem Kittel ein kleines Lämpchen hervor. Damit leuchtet er mir in die Augen und stellt murmelnd fest, dass meine Reaktion scheinbar normal sei. „Nun?“, hakt er nach, aber ich sehe ihn nur stumm an, woraufhin sein Lächeln verschwindet und er mich nun ernster ansieht. Anstatt mir die Frage ein weiters Mal zu stellen, will er nun von mir wissen, ob ich mich doch an irgendetwas erinnern kann: „Ich kann mir vorstellen, dass du verwirrt bist und viele Fragen hast, aber versuche es zumindest: Was ist das Letze, woran du dich erinnern kannst? – Vielleicht ein Ort, ein Geräusch, oder vielleicht sogar ein Gesicht? … Erinnerst du dich zumindest an deinem Namen?“ Betrübt senke ich etwas meine Lider und schüttle schließlich den Kopf, ehe ich ein leises „Nein“ zu allen gestellten Fragen flüstern kann. Ich höre ein Seufzen seitens des Arztes, aber was soll ich machen?! Ich kann mich nun mal an nichts erinnern. Bis auf diesem seltsamen Traum und diese nächtliche Begegnung, von der ich nicht einmal weiß, was ich wirklich davon halten soll, ist mein Kopf wie leergefegt. Es ist nichts übrig, rein gar nichts.

„Ich weiß es nicht, ich kann mich einfach an nichts erinnern.“, murmle ich, um dies noch einmal zu verdeutlichen. Ich habe Angst und ich weiß nicht, wie es mit mir nun weitergeht. Geschweige, was ich nun tun soll. Werde ich mich überhaupt wieder erinnern können und warum habe ich überhaupt mein Gedächtnis verloren? Flehend sehe ich den Mann im Kittel nun an, denn ich hoffe so sehr, dass er mich irgendwie aufklären kann und sei aus auch nur ein winziger Bruchteil von dem, was bereits verloren gegangen ist. „Bitte sagen Sie mir, was Sie wissen. … Wieso kann ich mich nicht erinnern?“, bitte ich ihn, allerdings zögert er. Als würde er sich genau überlegen wollen, was er mir darauf antworten soll. Schließlich entgegnet er mir: „Ich glaube, es ist das Beste, wenn dir deine Familie bezüglich der Erinnerungslücken weiterhilft. Ich bin da die falsche Person dafür.“ „Meine … Familie?“, frage ich perplex. Ich habe also eine Familie. Wenn das wahr ist, dann bin ich zumindest nicht allein, glaube ich zumindest. Schließlich räuspert sich der Arzt und zieht mich so wieder aus meiner Gedankenwelt. Kaum, dass er meine Aufmerksamkeit hat, meint er: „Nun … ich kann dir dafür aber etwas Anderes zu deinem Fall sagen. Allerdings befürchte ich, dass dir dies nicht weiterhelfen wird, wenn du dich nicht einmal an deinem Namen erinnerst. … Dennoch, vielleicht erwachen in dir der eine oder andere Erinnerungsfragment. … Laut deiner Patientenakte wurdest du vorm Eingang dieses Krankenhauses gefunden. Zwei Sanitäter haben dich dort entdeckt und dich sofort hereingebracht. Ehe du dein Bewusstsein verloren hast, hast du noch deinen Namen nennen können.“

Wie der Mann bereits vermutet hat, erwacht in mir gar nichts und es erklärt nicht einmal, wie ich überhaupt vors Krankenhaus gekommen bin. Scheinbar lag ich einfach dort, ehe ich entdeckt wurde. Doch wer hat mich dort abgelegt, oder habe ich mich vielleicht sogar selbst noch dorthin geschleppt? Irgendwie will mir nichts Plausibles einfallen, aber noch mehr interessiert mich mein eigener Name, was ich, wenn auch sehr zögerlich, hinterfrage: „Und … wie heiße ich?“ „Dein Name ist Bernadette Shepherd und du bist schon seit vielen Wochen als Patientin hier. Sagt dir der Name vielleicht etwas?“, antwortet der Arzt mir, aber ich schüttle auf seine Frage nur wieder den Kopf. Es klingelt einfach nichts bei mir, weder die Tatsache, wo ich gefunden worden bin, noch der Name selbst. Allerdings behauptet der Arzt, dass mir vermutlich nur die wesentlichen „Ankerpunkte“ fehlen würden, mit denen ich mein Gedächtnis rekonstruieren könnte. Er versichert mir sogar, dass ich mich einfach nur darauf einlassen und mir selbst Zeit gegeben soll. Egal ob ich meine Erinnerungen vollständig zurückbekommen würde oder nicht. Das ist nicht gerade sehr aufbauend, aber um ihn zu zeigen, dass ich ihn verstanden habe, nicke ich am Ende einfach. Mir bleibt momentan auch nichts Anderes übrig. Stattdessen lasse ich die nächsten Untersuchungen über mich ergehen, die schon bald darauffolgen. Wenn ich allerdings versuche, mich aufzusetzen, durchfährt mich ein höllischer Stich in der Magengegend. Genau dort liegt die schwerste meiner Verletzungen, während alle anderen zu ca. 90% abgeheilt sind und ich daher nur um meinem Bauch den Verband brauche. Immer wieder deuten die Kollegen des Arztes mich darauf hin, dass ich noch sehr viel Glück gehabt hätte. Ich hätte genauso gut sterben können, hätte mich ein „Schutzengel“ nicht noch rechtzeitig hierhergebracht, aber was zum Teufel ist nur vorgefallen?!

Seufzend liege ich wieder allein in meinem Zimmer. Eine Krankenschwester hat mir etwas zu essen gebracht, aber momentan habe ich keinen Appetit. So lasse ich das Tablett einfach so stehen, wie es ist und starre einfach zur Decke empor, bis sich plötzlich die Tür öffnet. „Du bist wirklich wach … endlich!“, höre ich die Frau schluchzen, die gerade bemüht ist, ihre Tränen zurückzuhalten. Sie schreitet auf mich zu und umarmt mich sofort, kaum, dass sie mir einen Kuss auf die Stirn gedrückt hat. „Mein Bernadettchen, ich habe dich endlich wieder.“, murmelt sie, ohne dass sie aufhören kann, Tränen zu vergießen. Weitere Personen kommen nun herein. Ich sehe zwei junge Männer, wie auch eine weitere Frau in einem rosafarbenen Kostüm. Sie umkreisen mein Bett, während die erste Besucherin, mich kaum mehr loslassen will. Sie alle haben erleichterte, so wie auch leicht betrübte Gesichter. Als würden sie sich um mich sorgen. Sind diese Menschen etwa meine Familie? Ich kenne keinen von ihnen, egal in welches Gesicht ich auch blicke. „Du hast uns ganz schön Sorgen bereitet, Schwesterherz.“, meint nun der Jüngere von den beiden Männern und setzt sich auf der anderen Seite zu mir ans Bett. Der andere hingegen bleibt wie eine Salzsäule stehen. Seine Mimik wirkt allmählich ernster und bei ihm habe ich sogar den Eindruck, als würde zusätzlich ein gewisses Maß an Vorwurf mitdrinstecken. Was zum Henker ist denn bitteschön vorgefallen? Ich fühle mich einfach nur überfordert und es ändert nichts daran, dass ich neben diesem „Überfall“ eine gewisse Vertrautheit zu diesen Menschen empfinde. Sie sehen mich an und trotzdem bleibt es bei diesem Gefühl.

Jene Frau mit dem rosa Kostüm nähert sich mir und fragt mich ernst: „Ist es wahr? Kannst du dich wirklich an nichts erinnern?“ Geschockt über diese Worte, lässt mich die andere, die mich zunächst so fest umarmt hat, los und starrt mich fragend an. Ihre Hände zittern leicht, die immer noch auf meinen Schultern ruhen. Verwirrt und sogar beschämt schaue ich weg und nicke nur stumm. Stille herrscht nun in diesem Raum. Man könnte dabei eine Nadel fallen hören, hätte jener, welche mich zunächst mit diesem seltsamen Blick gestraft hat, in diesem Augenblick nicht zu schimpfen begonnen: „Was hast du dir dabei gedacht?! Willst du Mom und uns alle ins Grab bringen?! Dann bist du auf dem besten Weg dorthin!“ „Paul, lasse es gut sein. Das ist jetzt nicht der richtige Moment.“, versucht die Frau, die direkt bei mir sitzt, diesen wieder zu besänftigen, aber dieser Kerl denkt gar nicht daran und schimpft weiter: „Nichts da Mom! Wegen Bernadette sind unsere Nerven auf einer Achterbahnfahrt und unsere Schwester erinnert sich nicht mehr einmal an uns! Wer weiß, ob sie nicht doch irgendetwas eingeworfen hat, bei dem Scheiß, was sie da aufgeführt hat! … Was in Dreiteufelsnamen stimmt nicht mit dir?!“ „Paul, das reicht! Dorian, nimm deinen Bruder und geht an die frische Luft, sofort!“, befiehlt jene, die scheinbar meine Mutter ist, die beiden. Dorian schweigt, während er aufsteht, Paul an der Schulter packt und diesen murmelnd aus dem Raum zerrt. Ich dagegen schaue den beiden nur stumm und geschockt hinterher. Was sollte das? Nun sehe ich „meine Familie“ zum ersten Mal und während ich versuche, mich irgendwie zu orientieren, so werde ich schon mit diesen Worten gestraft. Als hätte ich etwas Schlimmes getan, was dies rechtfertigen würde. Allerdings kann ich nichts darauf erwidern. Ich kann mich weder verteidigen, noch sonst irgendetwas dergleichen tun, weil ich mich einfach nicht erinnere. Das ist einfach nur scheiße!

„Schon gut Liebes, mach dir keinen Kopf darum. Paul war schon immer leicht aufbrausend und er macht sich einfach nur Sorgen um dich. Momentan weiß er einfach nicht, wohin damit. Nimm es deinem Bruder also nicht übel, ja?“, meint nun die andere Frau, die sich nun als meine Tante entpuppt, denn meine Mom fügt noch hinzu: „Deine Tante hat recht. Manchmal weiß er einfach nicht, wie er auf die Situation reagieren soll. … Wichtig ist nun, dass es dir gut geht und was dein Gedächtnis angeht, wird sich sicherlich bald eine Lösung zeigen.“ Sanft streicht sie mir nun über die Haare und sieht mich dabei liebevoll an. Das ändert aber nicht, dass ich mich einfach nur schlecht fühle. Dieser Kerl, der mein Bruder sein soll, soll sich um mich sorgen? Das hat überhaupt nicht danach geklungen, so sehr das gerade auch abgemildert worden ist. Mit einem hat dieser Paul aber recht, irgendetwas stimmt nicht mit mir und diese Tatsache tut einfach nur weh. Weswegen ich es nun auch nicht verhindern kann, dass mir einige Tränen still an den Wangen herunterkullern. Sanft werde ich in den Armen meiner Mom gewiegt, die zudem darauf achtet, dass mir meine Verletzung am Bauch keinen weiteren starken Stich verpasst. Stattdessen erzählen mir die beiden etwas über sich und die Familie. Selbst Dorian gesellt sich später noch zu uns, aber von Paul fehlt jede Spur. Scheinbar erträgt er es nicht, mich zu sehen und vielleicht ist es momentan sogar besser so. Ich hätte ihm ohnehin nichts zu sagen, wenn er mich wieder mit seinen vorwurfsvollen Augen straft. Andererseits hätte es an der Situation auch nicht viel geändert. Egal, was sie mir alle auch erzählt haben, bis auf das Gefühl, dass sie mir alle auf irgendeiner Art bekannt und sogar vertraut vorkommen, hat sich bei mir rein gar nichts getan. Ich habe keinerlei Erinnerungen an sie, keinen von ihnen. Nur dieses Gefühl, dass ich mit ihnen auf irgendeiner Art in Verbindung stehe, ist da und derweil ist dies das Einzige, was mich dazu verleitet, mich fürs Erste auf diese verwirrende Situation einzulassen. Etwas Anderes könnte ich ohnehin nicht tun.

Am Ende des Krankenbesuchs küsst mich Mom noch einmal auf der Stirn, ehe sie wieder aufsteht und mit meiner Tante und meinem Bruder wieder hinausgeht. Um weiteren Stress zu vermeiden, will man mir Ruhe gönnen, doch die habe ich nicht. Viel zu viele Fragen schwirren durch meinen Kopf. Ich möchte sogar nicht wieder einschlafen. Meine Angst ist viel zu groß, ich könnte beim nächsten Erwachen wieder alles vergessen haben. So wenig das Bisherige auch sein mag, ich will es einfach nicht wieder verlieren. Trotzdem kann ich es nicht verhindern, dass mich die Erschöpfung irgendwann doch einholt und ich gezwungen bin, meine Augen zu schließen. Als ich erwache, ist es bereits stockfinster. Wie erschöpft muss ich gewesen sein, sodass ich so viele Stunden durchgehend geschlafen habe? Wie spät mag es wohl sein? Müde reibe ich meine Finger gegen meine Augen und stelle dabei fest, dass sich meine Befürchtung zum Glück nicht bewahrheitet hat. Ich erinnere mich an den Besuch, aber genauso kommt mir wieder der Moment mit Paul in den Sinn. Der Gedanke an diesen Blick lässt mich wieder erschaudern und am liebsten würde ich diesen auf der Stelle wieder verdrängen. Sofort schüttle ich heftig mit dem Kopf, als könnte ich diese Bilder so aus meinem Kopf befreien und genau das bleibt nicht unbemerkt. Denn in diesem Augenblick bekomme ich eine bekannte Stimme mit, die ich schon mal gehört habe: „So wirst du Kopfschmerzen sicherlich nicht los.“ Überrascht halte ich inne und schaue in Richtung Fenster, von wo aus der Fremder gesprochen hat. Im Zimmer ist es stockfinster, aber das wenige Licht, was die Straßenlaternen spenden, lassen mich eine große Gestalt erkennen, die nun langsam auf mich zuschreitet. Wer ist dieser Kerl?! Schnell greife ich mit der rechten Hand zu der Lampe neben meinem Bett und schalte das Licht ein. Doch was ich da sehe, verschlägt mir glatt die Sprache. Ich habe es nicht mit einem Menschen zu tun. Viel mehr gleicht dieses Wesen einer riesigen Schildkröte, welcher wie ein Mann geht und spricht.

Von dem plötzlichen Licht schützt sich mein ungewöhnlicher Besucher kurz mit der linken Hand, ehe er sich daran gewöhnt hat und mich schließlich angrinst. Als wäre dieser Besuch etwas vollkommen Normales und sogar Selbstverständliches. „Überrascht? Ich habe dir doch letztens gesagt, dass ich heute wiederkomme.“, meint er und schreitet seelenruhig auf mich zu. Doch ich drücke mich automatisch von ihm weg. Ich bin irritiert und habe Angst. Es kann doch nicht sein, was ich da gerade sehe, oder träume ich immer noch?! Ich muss träumen, es macht sonst keinen Sinn, aber warum erwache ich dann nicht und was will er vor mir?! Während mir mein Herz bis zum Hals schlägt, drücke ich mich immer mehr in Richtung Wand und kralle dabei meine Finger fest in die Matratze. Ich habe keinerlei Ahnung, was ich jetzt tun soll. Ans Schreien brauche ich gerade gar nicht zu denken. Nicht nur, dass ich viel zu verkrampft bin, selbst meine Kehle fühlt sich so trocken an, sodass wahrscheinlich kaum ein Ton herauskommen würde. Viel eher würde sich dabei nur ein schwaches Krächzen entlocken lassen. Am liebsten würde ich sofort aufspringen und mich in die nächste Ecke des Raumes verziehen, wenn ich nicht schon aus der Tür eilen könnte. Doch mein gesamter Körper bleibt steif und ich kann auch nicht anders, als diesen „Kerl“ die ganze Zeit anzustarren. Ich beobachte jeder seiner Bewegungen, bis er abrupt stehen bleibt. Sein Lächeln verschwindet. Stattdessen hat er diesen verwirrten Blick. Als hätte er nun endlich begriffen, dass ich mich gerade alles Andere als wohl in meiner Haut fühle.

Doch warum ist er selbst verwirrt? Ich verstehe das nicht. Müsste es denn nicht logisch sein, dass ich mich vor ihm fürchte? Ich habe noch nie in meinem Leben etwas wie ihn gesehen, oder doch? Ich weiß es nicht, ich weiß es einfach nicht! Meine Vergangenheit, jede Erinnerung, alles ist ausgelöscht! Mein Kopf ist wie leergefegt! Diese Tatsache ändert aber nichts daran, dass dieser Schildkröten-Typ nun so verdutzt dasteht und mich ansieht. Als hätte er meine Reaktion nicht erwartet, aber was hätte ich seiner Meinung nach machen sollen?! Hätte ich ihm etwa um den Hals fallen sollen?! Wer oder was ist er überhaupt?! Ich verstehe das nicht! Mein nächtlicher Besucher setzt sich nun wieder in Bewegung und bleibt direkt neben meinem Bett stehen. Ohne zu zögern kniet er sich davor und starrt mich weiterhin fragend an. Als keine weitere Reaktion von mir kommt, fragt er mich plötzlich: „Was ist los? Du siehst ja aus, als ob du ein Gespenst sehen würdest. … Ich bin´s doch, Raphael.“ Ich antworte ihm nicht. Zwar kann ich mich an letzte Nacht erinnern, an dem der Name Raphi erwähnt worden ist. Dass es sich aber scheinbar dabei um ihn handeln soll, verschlägt mir gerade die Sprache. Doch wie aus der Pistole geschossen, grinst und lacht er wieder und ich verstehe nun gar nichts mehr, bis er schließlich behauptet: „Ach so ist das, aber nicht mit mir Bernadette! Wenn du mir ernsthaft vorgaukeln willst, dass du mich nicht kennst, dann musst du schon viel früher aufstehen. Diesen Witz kaufe ich dir nicht ab.“ Er hält es tatsächlich für eine Art schlechten „Scherz“, aber wie könnte ich bei sowas Witze reißen?! Meine Angst ist echt und auf keinen Fall geschauspielert! Ich meine es sogar todernst!

Weiterhin grinsend will er mich nun mit seiner rechten Hand berühren, aber ich zucke dabei sofort zurück und genau in diesem Augenblick vergeht ihm das Grinsen nun endgültig. Seine Augen weiten sich schlagartig und er starrt mich für wenige Sekunden geschockt an, bis er mich plötzlich an den Schultern packt und mich anfleht: „Sag mir bitte, dass das ein Scherz war! Du weißt doch, wer ich bin! Du weißt es doch!“ Leicht ungeduldig hält er mich so fest, während ich zitternd meinen Blick von ihm abwende. Noch immer bin ich so steif, sodass ich mich bis auf das Zittern kaum rühren kann. Stattdessen kullert mir wieder eine Träne an der rechten Wange herunter. Augenblicklich lässt er mich los, springt auf und weicht sogar einige Schritte von mir, während er sich von mir wegdreht. Ich beobachte ihn, wie er vor meinem Bett auf und ab geht. Dabei greift er sich ständig an den Kopf, schüttelt diesen und murmelt etwas vor sich, was ich kaum verstehen kann. Nur etwas wie „Dann hatte Donnie doch recht!“ habe ich aus seinem panischen Gemurmel herausfiltern können. Auch wenn ich keine Ahnung habe, was er damit meint, macht es mich nervös und sogar ängstlicher, als was ich ohnehin schon bin. Ich bin einfach nur noch überfordert. Dabei hat mir schon dieser Tag gereicht. Ohne jeglicher Erinnerung bin ich erwacht und mir wurde eine Familie vorgestellt, die ich mehr oder weniger als die meine akzeptieren musste. Mit Fragen und Erzählungen haben sie mich bombardiert, während ich meist nur stumm daliegen konnte und versucht habe, daraus irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Ich suchte nach einer Verbindung und habe mich bis jetzt an nichts erinnern können und nun kommt er!

Innerlich spüre ich, wie sich aus meiner Angst auch noch Wut herauskristallisiert. Ich habe es so satt! Dieses Nichtwissen, was los ist und diese Achterbahn von Gefühlen, Fragen und Vermutungen macht mich einfach krank! Doch wohin damit?! Ich weiß nicht, was ich tun soll, geschweige, was sonst noch auf mich zukommt! Zurzeit bin ich unfähig, irgendetwas an dieser Situation zu steuern, von meinen Gefühlen ganz zu schweigen. So kann ich von meinem Bett aus nur stumm zu sehen, wie mein nächtlicher Besucher unruhig seine Runden zieht. Er ballt sogar eine Hand zu einer Faust, als wolle er nun etwas kaputtschlagen. So wütend ist er gerade und zu allem Übel scheine ich der Grund dafür zu sein. Wieder einmal wird mir diese Tatsache ins Gesicht gepfeffert und mir könnte in diesem Moment keiner etwas Anderes einreden. Es ist beinahe genauso wie bei Paul. Doch anstatt mich direkt mit diesem Blick zu strafen, den ich am Tag schon ertragen musste, so geschieht dieses nun indirekt. Es tut so weh, sodass ich nur noch schreien möchte, aber ich kann nicht! Ich fühle mich einfach nur verloren und bin wütend. Wütend auf mich, weil ich mich erstens an nichts erinnere, egal wie sehr ich mich auch anstrenge und zweitens, weil ich nicht fähig bin, mit meiner Situation irgendwie umzugehen. Ob ich will oder nicht, weitere Tränen bahnen sich einen Weg ins Freie. Ich kann es nicht kontrollieren und drehe mich daher zur Seite.

Soweit es mir möglich ist und soweit es mir die Verletzung am Bauch erlaubt, krümme ich mich im Bett zusammen und vergrabe mein Gesicht in meine Hände. Es ist schon schlimm genug, dass ich mich an nichts erinnern kann, aber das alles hier ist einfach nur beschissen! Eine Weile bleibe ich noch so und schluchze, bis ich aber plötzlich etwas auf meinem Kopf spüre. Ruckartig ziehe ich meine Hände weg und beobachte zu meinem Erstaunen, wie Raphael wieder vor mir kniet und mir sanft durch die Haare fährt. Sein Blick ist nun vollkommen anders. Anders als vorhin, in der der Zorn aus ihm gesprochen hat, hat er nun etwas Trauriges an sich und noch etwas Anderes ist in seinen Augen. Ich weiß nicht wirklich, wie ich das genau beschreiben könnte, aber als Erstes würde mir der Begriff „suchen“ einfallen. Als würde er bis in meine Seele hineinschauen wollen. Doch was glaubt er dort zu finden? Dort ist nichts, zumindest weiß ich nicht, was er von mir nun erwartet. Was tue ich da überhaupt?! Vor mir befindet sich dieses seltsame Wesen, vor dem zu großer Wahrscheinlichkeit jeder Angst hätte und ich „philosophiere“ gerade! Trotzdem kann ich es nicht lassen, in seine goldgelben Augen zu schauen. Wie die Sonne an einem schönen, warmen Sommertag ziehen sie mich in ihren Bann. Mein Herz hämmert vor Aufregung und sein Poltern übertönt beinahe meine Gedanken. Doch je mehr ich mich auf diese Augen einlasse, desto leiser wird es in meinem Kopf. Es passiert nicht schnell. Viel mehr habe ich den Eindruck, als wolle man mich allmählich beruhigen. Als wäre alles in Ordnung, ich müsste es nur zulassen. Doch kann ich das so einfach?
 

Aus Raphaels Sicht:
 

Fixiert auf ihr Gesicht und auf ihre Augen, hoffe ich inständig, dass sich doch etwas bei ihr tut. Sie muss sich an mich erinnern, sie muss einfach! Schließlich sind wir jetzt endlich wieder zusammen. Bernadette hat überlebt und noch bevor sie an jenen Tag ins Krankenhaus musste, konnten wir unseren sinnlosen Streit endlich hinter uns lassen. Wir beide wollten einen Neuanfang und ich wollte ihr zeigen, wie ernst es mir war und dass dies auch heute noch so ist. Auf dem Weg hierher hatte ich mir sogar vorgestellt, wie ich sie in den Arm nehmen würde. Ich wollte sie dabei liebkosen und nicht mehr so schnell wieder von ihrer Seite weichen. In meiner Fantasie hatte ich mir alles bereits genau vorgestellt. Jedoch hat mir die Realität einen Strich durch die Rechnung gemacht und hinterlässt sogar einen bitteren Beigeschmack. Mein Engel ist zwar wiedererwacht, aber die Erinnerung an unsere Zweisamkeit und selbst unsere Zankereien sind bei ihr wie weggeblasen. Es scheint, als wäre nichts mehr davon übrig. Stattdessen habe ich nun ein verletztes Mädchen vor mir. Verwirrt und sogar verängstigt habe ich sie vorgefunden. Dabei hätte ich es besser wissen müssen. Donnie hatte mir nicht nur einmal eingebläut, dass sowas auftreten könnte und ich selbst habe es sogar nachgelesen. Nicht alles habe ich aus diesem Firlefanz verstanden, aber das Wenige reichte mir. Ich wollte es nur nicht wahrhaben und habe jetzt die Quittung dafür eingesackt. Als würde Bernadette mir einen Fausthieb direkt ins Gesicht verpassen. Genauso fühlt es sich an. Das Einzige, wovon ich noch von „Glück“ reden könnte, ist, dass sie nun nicht solch eine Panik schiebt und dabei schreit. Sie starrt mich einfach an, während ich sie weiterhin sanft am Kopf berühre.

Fragt sich nur, was ich jetzt machen soll. Ich weiß ja nicht einmal, ob mein Engel überhaupt noch etwas weiß. Denn, hat Bernadette nur mich und unsere gemeinsame Zeit vergessen, oder sind ihre Lücken vielleicht sogar noch größer, sodass sie sogar ihren eigenen Namen nicht mehr kennt? Weder will ich sie „aushorchen“, noch sonst irgendwie stressen oder gar noch mehr Angst machen, aber es juckt mir förmlich in den Fingern, endlich Antworten zu bekommen. Ich seufze schwer, bis mir schließlich etwas einfällt, womit ich zumindest ein Gespräch beginnen könnte, ohne ihr dabei völlig auf die Pelle zu rücken. Hoffentlich klappt das auch, aber andererseits glaube ich, dass ich momentan nicht viel zu verlieren habe. Etwas zögerlich öffne ich meinem Mund und frage sie, während ich bemüht bin, zu lächeln: „Ähm … hast du … noch starke Schmerzen?“ Ein überraschtes Blinzeln ist das Erste, was ich zunächst als Antwort erhalte. Ich erwarte nicht viel. Wenn sie nichts sagt, ist es mehr oder weniger ok, aber schließlich meint sie: „Es geht.“ Beinahe wie „ferngesteuert“ hat das geklungen. Als hätte sie selbst nicht groß nachgedacht, sondern spontan reagiert und einfach nur den Mund aufgemacht. Für mich reicht es aber, weswegen mein Lächeln noch breiter wird. Dass sie mit mir, ohne groß Angst zu haben, „redet“, ist fürs Erste ok und so erwidere ich darauf: „Wenigstens etwas.“ Man kann dies zwar nicht wirklich als „Gespräch“ ansehen, aber es ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Zumal mir auch mein Gefühl sagt, dass das mit Sicherheit einige Zeit braucht, wenn nicht sogar mehr.

Soll ich das aber nun für heute gut sein lassen, oder soll ich nicht vielleicht noch mehr darauf eingehen? Vermutlich wird Bernadette schon von ihrer Familie beehrt worden sein und so wie ich zumindest ihre Tante kenne, wird mein Mädchen wohl ziemlich „in die Mangel“ genommen worden sein. Wer weiß, wie oft sie schon Fragen wie „Woran kannst du dich erinnern?“ oder „Weißt du noch, …?“ zu hören bekommen hat. Ich sollte vielleicht wirklich gehen, aber irgendwie will ich das nicht. Zu sehr habe ich mich darauf gefreut, sie zu sehen und sie wieder in meine Arme schließen zu können. Da kann ich doch nicht einfach so abhauen, oder? Was will sie eigentlich? Möchte Bernadette überhaupt, dass ich hier bin, oder traut sie sich nicht, mir zu sagen, dass ich verschwinden soll? Momentan halte ich alles für möglich. Noch dazu, weil ich eben nicht in ihren Kopf schauen kann. Mein Lächeln ihr gegenüber wird nun etwas schwächer. Ich reiße mich aber zusammen und frage sie schließlich: „Ist es ok für dich, wenn ich noch etwas bleibe?“ Zunächst wird sie stutzig und sagt nichts. Ich scheine sie mit dieser Frage überrascht zu haben, aber ist solch eine Frage nicht selbstverständlich? Ich bin immerhin ihr Freund, auch wenn sie es offensichtlich nicht mehr weiß. Schon leicht ungeduldig verharre ich an derselben Stelle und warte. Ob Ja oder Nein ist mir egal, ich will einfach nur eine klare Antwort, aber scheinbar weiß sie es selbst nicht. Wo sie mich zunächst noch blinzelnd angesehen hat, schaut sie nun nachdenklich zur Seite. Das ist kein gutes Zeichen, aber es würde mich nicht wundern, wenn sich mein erster Verdacht bestätigen würde. Dann werde ich ihr wohl die Entscheidung abnehmen müssen.

Etwas enttäuscht erhebe ich mich und entgegne ihr schließlich: „Schon gut, lass ruhig. … Ich geh dann mal. Es ist ohnehin schon spät.“ Für mich ist der Abend gelaufen und ich habe mich auch schon von ihr abgewandt, ohne weiters auf eine Antwort von ihr zu erwarten. Vielleicht schaue ich mal wieder bei ihr vorbei, wenn es ihr etwas besser geht. Wenn der Stress nicht so groß ist, ist sie vielleicht etwas gesprächiger. Vielleicht fällt es ihr dann sogar leichter, mir zu vertrauen, oder mir einfach nur zuzuhören. Vorher wird wohl daraus nichts, das ist mir klar und bis dahin hoffe ich, dass mir einer dieser Idioten begegnet, damit ich mich mal wieder so richtig abreagieren kann! Bis jetzt haben sich diese feigen Hunde noch geschickt verkrochen, aber ich werde sie eines Tages finden und dann zu Kleinholz verarbeiten! Was sie Bernadette und mir angetan haben, wird nicht ungestraft bleiben, so viel ist sicher! Ich habe mich seufzend noch nicht einmal richtig in Bewegung gesetzt, als mich mein Engel plötzlich bei der Hand packt. Verwundert, wie auch leicht verwirrt schaue ich zu ihr hinunter. Ihr Gesicht wirkt flehend, als wolle sie nicht, dass ich gehe. Dabei dachte, ich, dass sie überfordert wäre und dass ich ihr vielleicht sogar unheimlich bin. Jedoch überrascht sie mich, als sie zu mir sagt: „Bleib, … bitte.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Mad-Dental-Nurse
2018-06-14T20:22:00+00:00 14.06.2018 22:22
Armer raph und arme Bernadette. Da dind sie endlich wieder vereint und die weiss nichts mehr. Aber das sie ihn bittet zu bleiben, lässt ja ein wenig hoffen
Antwort von:  Pamuya_
16.06.2018 09:25
Das stimmt


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