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Ahnungslose Augenblicke

von

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Geständnis

Während der Taxifahrt schwiegen sie einander an. So vieles stand zwischen ihnen und blieb ungesagt. Und dann stand Jodie vor ihrem Elternhaus, während Tom weiter zu seinem Büro am College wollte. Ein komisches Gefühl breitete sich in ihr aus, sodass sich Jodie gedankenversunken auf den Weg machte.

Das Wetter schien sich ihrer Stimmung anzupassen. Kühl und melancholisch. Als Jodie endlich auf dem Gelände ankam, glaubte sie zu spät zu sein, aber der Wachmann belehrte sie eines besseren. Tom hatte die Fakultät noch nicht verlassen, weswegen sich Jodie den Weg zu dessen Büro erklären ließ. Als sich die Schülerin durch die Gänge bewegte, bekam sie eine Gänsehaut. Ihr Instinkt warnte sie. Und doch sah sie gerade jetzt keinen anderen Ausweg. Sie musste mit Weston reden, ein letztes Mal.

Jodie atmete tief durch und klopfte an die große braune Tür. Es antwortete niemand. Langsam drehte sie den Türknauf und die Tür sprang auf. Tom kam gerade aus dem Nebenraum und sah Jodie überrascht an. „Jodie…was machst du hier?“, wollte er wissen.

„Entschuldigung…ich wollte nicht stören. Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich hier bin“, gab sie von sich. Der Raum passte zu ihrer Vorstellung. Zwei Schreibtische standen in einem 90 Grad Winkel nebeneinander und waren überfüllt mit Papieren. In seiner Ablage befanden sich mehrere Bilder. Im Raum selbst waren zwei Seile gespannt an denen mehrere Bilder aufgehängt waren.

„Ich weiß…es wirkt chaotisch“, entgegnete Tom. „Aber Kreativität hat ihren Preis. Wenn ich nicht gerade für die Zeitung fotografiere, geh ich mit der Kamera raus und knipse vor mich her. Und nichts geht über organisiertes Chaos.“ Er lächelte. „Wenn du den Raum schon schlimm findest, solltest du meine Dunkelkammer nicht betreten.“

„Dunkelkammer?“

„Hier drüben.“ Er wies auf den Nebenraum. „Eigentlich sollte im Nebenraum ein anderes Büro eingerichtet werden, aber ich hab ihn zur Dunkelkammer umfunktioniert. Wann immer es mit den Fotos schnell gehen muss, entwickel ich sie selbst. Wenn du willst, zeig ich dir den Raum auch.“

„Danke, aber das ist nicht notwendig. Die Führung am Freitag war zwar interessant, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich später etwas in der Fotografie mache. Wollten Sie nicht eigentlich nach Hause fahren?“

Weston seufzte. „Eigentlich...du sagst es“, antwortete er. „Vorher wollte ich hier mal nach dem Rechten sehen. Wer weiß, welches Chaos die Polizei hinterlassen hat. Und wenn ich schon zu Hause bleiben muss, will ich wenigstens etwas Arbeiten.“

„Ach so…“ Jodie sah sich um und blickte auf den dunklen Fleck am Boden.

„Da war es…dort wurde ich gefunden, nachdem Connor hier war.“

Jodie schluckte.

„Jodie? Geht’s?“

Das Mädchen nickte. „Ich…es ist…ich weiß nicht…was ich sagen soll…“, murmelte sie.

„Du siehst sehr blass aus. Na komm, setz dich.“ Er schob ihr einen Stuhl zu. „Soll ich uns einen Tee holen?“

„Machen Sie sich keine Umstände“, sagte sie leise und setzte sich.

„Aber nicht doch. Das sind keine Umstände.“ Tom ging raus.

Jodie sah wieder auf die Stelle mit dem getrockneten Blut. Wie gut, dass sie an jenem Abend nach Hause gefahren wurde. Sie wollte sich nicht ausmalen was passiert wäre, wenn sie länger blieb oder auf Connor traf. Langsam stand die Schülerin auf und sah sich im Raum um. Jodie trat an den Schreibtisch und stolperte über eine Tasche. Sofort fielen verschiedene Unterlagen heraus. „Mist“, stieß Jodie aus. Sie kniete sich hin und sammelte alles auf. Ihre hektischen Bewegungen am Anfang wurden immer langsamer. Einige Bilder zeigten sie und Amber, andere Bilder sie und Shuichi. Mit zittriger Hand öffnete sie den Reisepass. Nick Leonard, murmelte Jodie und betrachtete das Foto von Tom. Wollte er sich absetzen? Jodie schluckte, in ihrem Kopf drehte sich alles. Als sie die Bewegung des Türknaufes bemerkte, packte sie die Unterlagen hektisch in die Tasche zurück und sprang auf ihre Beine. Lass dir nichts anmerken, Jodie, sagte sie zu sich selbst.

Tom öffnete die Tür und trat ein. Er hielt eine Kanne mit Tee und zwei leere Tassen in der Hand. „Kannst du mir die Tassen bitte abnehmen?“ Aus dem Augenwinkel sah er zu seiner Tasche.

Jodie wollte nicht, nahm ihm aber die Tassen ab. Sie stellte sie auf den Schreibtisch, als sie das Klicken eines Schlosses hörte. Erschrocken drehte sich Jodie um. „Sie…Sie haben ab…abgeschlossen…“ Instinktiv griff sie in ihre Jackentasche und versuchte etwas Spitzes zu fassen. Neben ihrem Handy fand sie nur noch eine Münze. Aber wie sollte sie ihn damit außer Gefecht setzen? Mit ihrem Schlüssel hätte sie bessere Chancen gehabt.

„Reflex“, antwortete er.

„Ich…ich sollte…jetzt nach Hause…mein Vater…wir werden bald essen.“

„Essen?“ Tom sah sie überrascht an. „Bist du sicher, dass du jetzt gehen willst?“ Tom ging zu seiner Tasche und stellte sie auf den Stuhl. „Warum musstest du auch in meinen Sachen rumwühlen?“

„Das…das hab ich nicht…sie fiel um und...ich hab nichts gesehen.“

„Warum bist du dann so nervös?“

„Ich…ich bin nicht…“, murmelte Jodie leise.

„Gib es doch zu, Jodie.“

„Ja, sie haben…Recht…aber…es war keine Absicht. Ich bin gestolpert…und die Sachen fielen raus…ich hab sie nur wieder…einpacken wollen…“

„Und da hast du sie gesehen“, folgerte Weston.

„Es war keine Absicht…ich…ich werde nichts verraten.“

„Jodie, ich bin Fotograf, ich mache von vielen Menschen Bilder“, gab Tom von sich.

„Ich…ich weiß…“, murmelte sie.

„Es ist nur Zufall, dass du drauf bist. Und jetzt tu mir den Gefallen und zieh deine Hand aus der Tasche.“

Jodie schluckte.

„Na wird’s bald?“

Langsam zog sie die Hand hervor. „Bitte…lassen Sie mich gehen…ich werde schweigen…“

Tom seufzte. „Das hat Connor auch gesagt. Und ihm konnte ich auch nicht trauen.“ Weston musterte sie von oben bis unten. „Es tut mir wirklich leid, Jodie, aber jetzt muss ich es auch zu Ende bringen.“

Jodie schluckte. „Sie haben Connor…?“

„Ach Jodie“, fing Tom an. „Es tut mir wirklich leid, weil es so enden muss.“

„Sie müssen das nicht…tun“, wisperte Jodie. „Ich weiß…sie geben Connor Schuld an Ambers Tod…“

„Ambers Tod“, schnaubte Tom. „Es war ein Unfall. Ich hab das nicht gewollt. Sie hat mich nur so zur Weißglut getrieben.“

Jodie wurde wieder blass. „Sie…sie waren das? Sie haben Ihre Tochter…aber…warum?“

„Jetzt tu doch nicht so dumm. Du weißt doch, was Amber die ganze Zeit getan hat. Sie war in diesem Chat unterwegs und hat mich angeschrieben. Wir wollten uns treffen und wer ist im Hotelzimmer? Amber. Sie hat alles meiner Freundin erzählt und mich dann erpresst. Amber wollte alles öffentlich machen. Dabei hab ich doch gar nichts getan. Ich wollte doch nur mit ihr reden, aber Amber hat mich ausgelacht. Sie hat mich Feigling genannt und sie…sie ließ einfach nicht locker.“ Tom schluckte. „Ich wollte doch nur, dass sie den Mund hält und hab sie gewürgt. Aber anstatt endlich ruhig zu sein…weißt du, was sie getan hat? Sie hat mich noch angefeuert und nannte mich eine Lusche, weil ich aufhören wollte. Dann hab ich einfach Rot gesehen und…dann war es vorbei.“ Tom schluchzte leise. „Keiner weiß, wie es ist, wenn man seine eigene Tochter auf dem Gewissen hat…keiner kann das verstehen…meine Schuldgefühle haben mich fast umgebracht und dann war auf einmal Connor im Fokus. Ich konnte doch nicht ins Gefängnis gehen. Weißt du, was die dort mit einem machen?“

Jodie beobachtete ihn und schielte kurz zur Dunkelkammer. Ob man von dort auch auf den Flur kam.

„Du verurteilst mich…das seh ich dir an.“

„Sie hätten…sich stellen müssen…Connor ist für Ihre Tat…“

„Ich konnte nicht mehr die Wahrheit sagen, Jodie. Sie hätten alles auf den Kopf gestellt und die Fotos von dir gefunden. Du wurdest zur gleichen Zeit entführt…sie hätten es mir angehängt. Dein Vater hätte mich nie und nimmer gehen gelassen.“

„Haben Sie…denn gar kein schlechtes Gewissen? Es sind zwei…Menschen tot…“

„Und wie ich das habe“, antwortete Tom. „Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich sie vor mir…aber es ist nun mal passiert. Was soll ich machen? Ich werde damit weiterleben müssen und ich darf nicht zulassen, dass jemand davon erfährt.“

Jodie schluckte. „Aber Sie können doch nicht…jeden der es weiß…umbringen. Und es war doch ein Unfall bei Amber…Ihnen wäre doch nichts passiert.“

„Ach ja? Glaubst du das? Ich wäre in allen Schlagzeilen“, warf Tom ein. „Mein Ruf und meine Karriere wären zerstört worden. Niemand würde mehr mit mir arbeiten wollen. Ich konnte das nicht riskieren.“

„Und…was war mit…Connor? War er…wirklich hier?“

„Das war er“, nickte Tom. „Natürlich wurde ich über seinen Freigang informiert, aber ich habe mir nichts weiter dabei gedacht. Was meinst du, wie überrascht ich war, als er auf einmal vor der Bürotür stand? Er hat mir die ganze Zeit erzählt, dass er Amber nicht umgebracht hat. Was hätte ich denn antworten sollen? Ja, ich weiß?“ Tom strich sich durchs Haar. „Wir haben gerangelt und ich habe ihn zur Seite gestoßen. Dabei schlug er sich den Kopf an, damit hatte ich genug Zeit um mich nach der Führung um ihn zu kümmern.“

„War es Absicht…dass ich daran teilnehme?“, wollte Jodie wissen.

„Nein, das war ein dummer Zufall. Willst du noch mehr wissen?“, schnaubte Tom.

„Wie konnten Sie Connor nach Hause bringen?“

Tom lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme. „Ich wollte ihn im Garten ablegen, aber die Terrassentür stand offen. Also schlich ich mich rein und legte ihn oben in sein Bett. Der Rest war ein Kinderspiel.“

„Und Ihr Bein…hat das wirklich Connor…getan?“, fragte Jodie.

„Nein, ich musste improvisieren.“

Jodie schluckte. „Sie…Sie erzählen mir das alles…weil ich auch sterben soll, nicht wahr?“

„Du bist ein schlaues Mädchen, Jodie. Und es tut mir wirklich leid, dass es so enden muss. Ich wollte das wirklich nicht. Aber wenn du mein Geheimnis verrätst, ist mein Leben vorbei.“

„Aber…mein Vater…er wird Sie suchen…auch wenn Sie untertauchen…er wird nichts unversucht lassen…“

„Glaubst du, dass ich das nicht weiß?“, wollte Tom wissen. „Wärst du bloß nicht hierhergekommen, es war nicht mein Ziel dein Leben auch noch auszulöschen. Du hast dein Schicksal selbst gewählt.“

„Dann lassen Sie es…bitte…“, wisperte sie. „Lassen Sie mich…am Leben…bitte…“

„Dafür ist es zu spät.“ Tom seufzte. „Geh jetzt an den Schreibtisch und nimm einen Zettel hervor. Dann schreibst du einen Abschiedsbrief.“

„Aber…“, murmelte Jodie.

„Bitte Jodie, meinst du, ich weiß nicht, was hier gespielt wird? Du versuchst Zeit zu schinden. Jeder andere hätte versucht aus dem Raum zu entkommen, aber du verwickelst mich in ein Gespräch. Glaubst du wirklich, dass dein Vater die ganze Zeit auf der anderen Seite der Tür wartet und mein Geständnis hört? Er wird ganz bestimmt nicht durch diese Tür stürmen. Es gibt keine Beweise gegen mich und ich glaube, keiner weiß, wo du dich gerade befindest.“

Jodie schluckte. Sie sah zur Tür. Dad…bitte…wenn du draußen bist…komm rein…

„Jetzt mach schon Jodie, ich möchte nicht ungemütlich werden. Schreib, dass dir alles zu viel wurde und es dir leid tut.“

Jodie nahm einen Kugelschreiber und schrieb zittrig ihre letzten Worte auf den Zettel. „Keiner wird glauben…dass ich ausgerechnet hier…“

„Du wirst auch nicht hier gefunden werden. Ich bringe dich an Ambers Grab.“ Weston musterte sie. „So und jetzt gieß dir bitte den Tee ein und trink ihn schön brav aus.“

Langsam tat Jodie, was ihr gesagt wurde. Als sie die Teetasse in der Hand hielt, schwappte ein Teil über. Jodie zitterte. „Was…was ist da drin?“

„Pfefferminztee“, antwortete Tom. „Mit Schlafmittel gestreckt. Keine Sorge, du wirst nicht leiden. Es wird alles ganz schnell gehen. Du wirst müde werden und dann einschlafen. Wehr dich nicht dagegen. Es ist schon schlimm genug, dass ich das tun muss.“

Wieder sah Jodie zur Tür. Dad…bitte…komm endlich…rette mich… Jodie schluchzte. Sie wollte nicht sterben. Nicht so. Und nicht jetzt.

Sie hatte von Anfang an keinen Ausweg gesehen. Deswegen musste sie Tom lange genug in ein Gespräch verwickeln, in der Hoffnung, dass sich ihr Vater schnell auf die Suche nach ihr machte. Jetzt lief die Zeit ab.

„Jetzt mach schon“, raunte Tom nervös.

„Bitte…können wir nicht nochmal…darüber reden?“, fragte die Schülerin leise.

Tom verengte die Augen. „Willst du, dass ich ungemütlich werde?“

Jodie schluckte und setzte die Tasse zum Trinken an. Sie nahm den ersten Schluck.

„Alles auf einmal, wenn ich bitten darf“, kam es von Tom. „Und wenn du fertig bist, öffnest du schön den Mund.“

Jodie sah in die Tasse, dann wieder auf die Tür. Shuichi… Jodie unterdrückte ihre Tränen nicht mehr. Dad…bitte…helft mir…ich will nicht…sterben… Wieder blickte sie in die Tasse. „Augen zu und durch“, wisperte sie leise und versuchte sich selbst Mut zu machen. Welche andere Wahl hatte sie schon? Es kam niemand. Weder Shuichi noch ihr Vater. Langsam setzte sie die Tasse an den Mund und trank ihren Inhalt in einem Rutsch aus.



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