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Ahnungslose Augenblicke

von

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Amber

Amber saß am Computer und tippte gerade ihre Nachricht in das Chatfenster ein. Sie schmunzelte und wartete auf die Antwort ihres Chatpartners. „Na komm schon“, murmelte sie zu sich selbst. „Ich seh doch, dass du online bist.“

Amber lehnte sich nach hinten. Der Morgen hatte genau so turbulent angefangen wie der Abend zuvor aufhörte. Jodies Vater führte sich wie eine Furie auf, als ob Jodie nicht einmal eine Nacht außerhalb verbringen konnte. Aber er reagierte genau so, wie sie es sich dachte. Sein kleines Mädchen war weg und schon ließ er alles stehen und liegen. Amber blickte auf ihre Uhr. Nur noch ein paar Stunden und dann konnte Jodie wieder nach Hause. Sie sah dieses Ende schon kommen. Jodie kehrte zurück, wurde gleich in den Arm genommen, angeschnauzt und würde noch mehr Hausarrest bekommen und dann war wieder alles vergessen. Aber sie hätten ihren Eltern gezeigt, dass Jodie nicht mehr das Mädchen von damals war.

Amber gähnte und las eine neue Nachricht auf ihrem Computer. Lasst mich endlich in Ruhe. Sie lächelte. „Du willst, dass ich dich in Ruhe lasse?“, fragte sie leise sich selbst. Das würde nie geschehen. Flink wie sie war, tippte Amber ihre nächste Nachricht.

„Amber“, hörte sie ihre Mutter rufen, gefolgt vom Klopfen an ihrer Tür. „Amber? Du hast Besuch vom FBI.“

„Na toll“, murmelte das Mädchen und verdrehte die Augen. Dann auf zu Runde 3. Amber beendete das Chatprogramm und fuhr den Computer runter. „Herein“, rief sie und stand auf.

Leila öffnete die Tür und kam mit Agent Pierce und Fries in das Zimmer. „Amber, es geht immer noch Jodie.“

„Oh man“, gab Amber von sich und lehnte sich gegen ihren Schreibtisch. „Ich versteh gar nicht, warum alle darum so einen Aufriss machen.“

„Amber“, mahnte Leila.

„Was denn, Mom?“, wollte sie wissen. „Ich weiß, dass sich Jodie gestern Abend raus geschlichen hat und schließlich über Nacht nicht nach Hause kam. Aber wie gesagt, sie ist selbst raus gegangen und außerdem ist es doch ganz normal, wenn man mal nicht zu Hause übernachtet. Sie ist 17 und ich war auch schon mit 17 mehrere Nächte nicht zu Hause. Da macht man doch keinen Aufriss, selbst wenn sie nicht Bescheid gegeben hat.“ Amber sah die Anwesenden an. „Sie wird schon wieder auftauchen.“

Leila sah die Agenten an. „Bitte entschuldigen Sie.“

„Schon gut“, entgegnete Fries. Sie sah zu Amber und schenkte ihr ein Lächeln. „Amber, ich weiß, du hörst das alles nicht zum ersten Mal, aber wir müssen ausgiebig über die Situation sprechen. Lass uns von vorne anfangen. Du hast Jodie das letzte Mal am Freitagnachmittag gesehen. Was ist genau passiert?“

Amber seufzte leise. Jetzt wurde sie also schon inoffiziell verhört. „Ich nahm an, dass ich am Abend alleine zu Hause bin und lud Jodie sowie Chad und Connor zu mir ein. Wir wollten DVDs gucken und etwas…naja rummachen. Chad und Connor sagten bereits zu. Als ich beiden aber schrieb, dass Jodie auch kommt, wollten sie nicht mehr. Wir haben kurz telefoniert, aber sie blieben bei ihrer Meinung. Und dann war auch noch Mom nach Hause gekommen. Zur gleichen Zeit schickte mir Jodie die Nachricht, dass sie sich gleich auf den Weg macht und ihr Handy nicht mit nimmt. Da ich Jodie genau kenne und annahm, dass sie sicherlich noch eine halbe oder ganze Stunde braucht, schrieb ich ihr, dass das Treffen ausfällt. Ich dachte wirklich, dass Jodie die Nachricht gelesen hat. Und selbst wenn sie es nicht getan hätte und hier vor der Tür stünde, hätten wir immer noch DVD gucken können. Mom hätte sie dann nach Hause gefahren oder ihren Eltern Bescheid gegeben. Aber wie gesagt, Jodie kam nicht.“

„Und ihr hattet keinen weiteren Kontakt an dem Abend?“, wollte Fries wissen.

„So ist es. Normalerweise schreiben wir noch am Abend, aber wenn sie beim raus schleichen erwischt wurde, hätte es auch sein können, dass ihre Eltern ihr das Handy wegnehmen. Ich hab mir einfach nichts dabei gedacht.“

„Ich verstehe“, entgegnete Fries ruhig, während sich Pierce im Zimmer umsah. „Was ist dann passiert?“

„Nicht viel. Mom war unten im Wohnzimmer und ich saß in meinem Zimmer. Ein paar Stunden später kamen Jodies Eltern und suchten Jodie. Erst da realisierte ich, dass sie nicht mehr zu Hause war. Ihre Eltern nahmen an, dass wir uns irgendeinen Scherz erlaubt haben und ich Jodie verstecke, aber das stimmt nicht. Als ihre Eltern wieder weg waren, habe ich Jodie eine Nachricht geschrieben, aber keine Antwort zurück bekommen. Danach hab ich es sein lassen. Wenn sie ohne Handy unterwegs war, würde ich sowieso keinen Kontakt zu ihr bekommen. Und ich nahm an, dass sie in ein paar Stunden wieder nach Hause kommt“, sagte Amber.

„Aber Jodie kam nicht nach Hause“, fügte Fries an.

„Das tat sie scheinbar nicht. Ihre Eltern waren heute Morgen wieder hier, aber ich hatte ja keine Ahnung. Und ehe Sie gleich fragen, nein, ich hab keinen Kontakt zu Jodie und ich weiß auch nicht, wo sie sich befindet.“

„Gut, Amber, wir haben gehört, dass du Agent Starling ein gewisses Angebot unterbreitet hast…“

„Du hast was?“

Amber verdrehte die Augen. „Das ist doch schon Wochen her. Ich war deprimiert und als er mich nach Hause gefahren hat, dachte ich mir, dass es meinem Selbstbewusstsein sicher gut tut. Aber wie Sie sicher wissen, hat er es abgelehnt.“

„Oh Amber“, murmelte Leila.

„Mom, ist halb so wild.“

Pierce sah sie skeptisch an. „Hast du ein Zweithandy?“, wollte er wissen.

Amber lachte. „Schön wäre es. Leider muss ich Sie enttäuschen. Ich hab nur das eine Handy.“ Sie zog es aus ihrer Hosentasche. „Möchten Sie es mitnehmen? Sie finden bestimmt noch alle Telefonate und Nachrichten drauf.“ Amber funkelte ihn selbstsicher an.

„Wenn du es uns schon selbst anbietest, gehen wir gerne auf deinen Vorschlag ein. Du wirst es morgen im Laufe des Tages wieder bekommen. Ich würde dir raten, dich gerade abends nirgends alleine aufzuhalten.“

„Ja…doch…“ Amber rollte ein weiteres Mal mit den Augen und verschränkte die Arme. „Ich bin kein kleines Kind mehr.“

„Sei trotzdem vorsichtig“, entgegnete Pierce ruhig und sah zu seiner Kollegin. „Gehen wir.“

Fries nickte und verließ den Raum, während Amber nur schnaubte.

„Amber“, fing Leila an.

„Mom, du jetzt nicht auch“, seufzte das Mädchen. „Ich muss meinen Kopf frei kriegen und geh laufen.“

„Aber Amber, du hast doch die Agents gehört.“

„Ich weiß, Mom, aber es ist helllichter Tag und ich kenn die Strecke. Also bring jetzt die beiden Agenten nach unten, ehe sie sich heimlich hier umsehen und ich zieh mich um.“

„Über das Joggen reden wir nochmal“, entgegnete Leila und ging nach unten.

Amber sah ihr nach und streckte sich. Endlich war sie wieder alleine. Die Situation mit Jodie wurde immer nerviger. Alle taten so, als wäre das Mädchen eine Heilige. Die kleine Jodie mit ihrer tollen Familie. Jodie hatte alles, was sie selbst haben wollte, aber nicht bekam. Und auch ihr Plan Jodies Vater zu verführen um diese Vorzeigefamilie zu zerstören, war gescheitert. Sie hatte nichts gegen ihn in der Hand, doch die Freundschaft zu Jodie blieb. So konnte sie immer noch alles tun um das gute Verhältnis zwischen Eltern und Tochter langsam zu zerstören. Was sie nicht hatte, sollte auch kein anderer haben. Außerdem brauchte sie für ihr eigentliches Ziel einen Sündenbock. Jodie war die perfekte Wahl gewesen, sie war naiv und lief ihr wie ein kleines Hündchen nach. Es war einfach sich an Jodie heran zu spielen und die Fäden in der Hand zu halten. Trotzdem ärgerte sie sich jetzt über den FBI Agenten. Er hätte betteln und sie anflehen sollen, Jodie zurück nach Hause zu schicken, stattdessen hetzte er ihr weitere Agenten auf den Hals. Aber er würde schon sehen, was er davon hatte.

Amber ging an ihren Kleiderschrank und zog sich um. Ihre Jeans tauschte sie gegen eine Sporthose und ihre Bluse gegen ein Shirt. Ihr lockiges Haar band sie zu einem Pferdeschwanz zusammen, zog die Laufschuhe an und legte sich eine Bauchtausche um. Von ihrem Zweithandy hatte glücklicherweise keiner eine Ahnung. Wenn sie Guthaben auflud, zahlte sie immer bar und schrieb aus Prinzip weder mit der Familie noch mit Freunden über die Nummer. Amber kramte das Handy aus dem kleinen Schränkchen an ihrem Schreibtisch und steckte es in die Bauchtasche. Sie sah kurz zum Computer und verließ anschließend das Zimmer. Amber stieg die Treppen hinab. „Mom, ich bin jetzt weg“, rief sie.

„Aber Amber…“ Leila kam in den Flur.

„Ich weiß, Mom, aber ich brauch das jetzt. Ich bin in spätestens einer Stunde wieder zurück.“ Amber trat einfach nach draußen und zog die Tür hinter sich zu. Sie sah sich um und holte das Zweithandy hervor. Amber suchte ihre Playlist heraus und steckte sich die Stöpsel ihrer Kopfhörer in die Ohren. Die Musik auf ihrem Handy stellte sie laut und lief los.

Mit der Zeit beschleunigte sie auf ein angenehmes Tempo und ließ ihre Arme langsam vor und zurück schwingen, während sie in Richtung des Waldes lief. Es war ihre bekannte Route und je mehr Musik von ihrer Playlist lief, desto motivierter war sie. Vielleicht würde sie die Strecke ausweiten und doch später nach Hause kommen. Am Anfang kamen ihr noch mehrere Jogger entgegen, aber je näher sie dem Waldgebiet kam, desto weniger Menschen traf sie. Im Wald selber war sie bislang keiner Menschenseele begegnet. Nach einer Weile verlangsamte Amber ihr Tempo und blieb stehen. Sie zog die Stöpsel aus den Ohren, stemmte die Hände in die Seiten und atmete mehrmals tief ein und aus. Sie hätte sich nicht so gehen lassen dürfen und musste in Zukunft wieder häufiger laufen gehen. Amber sah nach oben und schloss die Augen. Auch wenn man es nicht glauben mochte, mochte sie die Natur und hielt sich gern draußen auf. „Weiter“, sagte sie leise und marschierte auf die Parkbank zu. Amber machte einige Ausfallschritte und Dehnübungen.

Ein Geräusch riss sie aus ihren Gedanken. Manchmal traf man wohl doch einen anderen Jogger in dem Wald. Und obwohl sie sich normalerweise sicher fühlte, war ihr nun mulmig geworden. Irritiert sah sich Amber um, schüttelte dann aber den Kopf. „Jetzt lässt du dich schon von Jodie anstecken“, sagte sie leise. Amber schob sich die Ohrstöpsel wieder in ihre Ohren und stellte die Musik erneut ein. Nachdem sie einen Moment verharrte, setzte sie sich wieder in Bewegung. Obwohl sie andere Pläne hatte, lief sie wieder den Weg zurück. Automatisch stellte Amber die Musik leiser und lauschte der Umgebung. Es war wieder totenstill.

Oh man, Amber, wenn du noch mehr Zeit mit Jodie verbringst, wirst du genau so paranoid werden, sagte sie zu sich selbst. Dann aber hörte sie wieder Schritte. Sie kamen immer näher und wurden schneller. Es musste ein anderer Jogger sein. Eine andere Erklärung gab es nicht. Kurz blickte Amber über ihre linke Schulter und starrte in die Leere. Ihr Herz begann zu rasen. Amber sah wieder nach vorne. Ein mulmiges Gefühl überkam sie und sie wollte nur noch nach Hause. Instinktiv lief sie so schnell wie sie nur konnte. Der Schweiß lief an ihrem Gesicht herunter. Amber erblickte bereits den Ausgang. Sie musste nur noch ein kleines Stückchen durchhalten, dann wäre sie wieder neben einer befahrenen Straße. Selbst wenn sie jemand verfolgte, im Notfall konnte sie bestimmt auf die Hilfe der Autofahrer oder Fußgänger zählen. Die Härchen an Ambers Unterarmen stellten sich auf. Warum reagierte sie ausgerechnet heute so? Lag es an der ganzen Geschichte mit dem FBI? Ließ sie sich anstecken?

Als Amber ein weiteres Mal aus dem Augenwinkel nach hinten sah, blieb ihr Herz beinahe stehen. Eine schwarze Gestalt lief dicht hinter ihr. Von wo kam er auf einmal her? Und wie hatte er es geschafft so schnell zu ihr aufzuschließen? Warum hatte sie ihn nicht viel eher bemerkt? Amber versuchte die negativen Gedanken zu verdrängen und sich auf ihre Strecke zu konzentrieren. Wahrscheinlich trug der Läufer hinter ihr immer Schwarz und wirkte nur so gefährlich, weil sie es sich einbildete. Mit einem Mal überholte er sie und die Erleichterung durchströmte ihren Körper. Aber dann blieb er einfach vor ihr stehen. Amber versuchte ebenfalls anzuhalten und kam dabei ins Stolpern. Gerade so hielt sie sich auf den Beinen und machte einige Schritte nach hinten. Langsam hob die Person ihren Kopf und schob die schwarze Kapuze nach hinten. „Hallo Amber“, sprach er ruhig. „Lange nicht mehr gesehen. Ich will mit dir reden.“

Ambers Augen weiteten sich. „Du?“ Sie atmete erleichtert auf. „Musstest du mir so einen Schrecken einjagen? Du hättest mich doch auch anrufen können.“

„Ach weißt du“, fing er an und kratzte sich am Hinterkopf. „…ich geh gerne joggen und als ich dich vorhin sah, dachte ich, dass ich die Chance ergreifen muss.“

Amber seufzte leise auf. „Na gut, lass uns reden.“



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