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The Warning!

von

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Eine Tiefe zieht eine weitere Tiefe nach sich

- Kapitel dreiundzwanzig -

 

 

Zaubertränke mit Professor Slughorn war jedes Mal zu einer Herausforderung geworden. Der Hauslehrer von Slytherin hatte – wie in den letzten zwei Jahren zuvor auch schon – nur Augen für Potter, der eine seltsame Anziehungskraft auf Slughorn auszuüben schien. Schon im sechsten Schuljahr hatte sich die Versessenheit zu Potter herauskristallisiert – ähnlich wie bei Draco, der regelrecht von Granger besessen war, was genauso verstörend war und der Slytherin-Schüler sich ernsthaft die Frage stellte, wieso er immerzu Parallelen zwischen sich und negativen Eigenschaften anderer herleiten konnte. Es war unheimlich, aber auch nervtötend. Der Umstand würde früher oder später dazu führen, dass sein Nervenkostüm – das mit blutigen Riefen zu vergleichen war – irgendwann völlig zerfetzt in der Ecke läge und um Gnade bat, angesichts dessen, dass Draco seine Nerven immer wieder herausforderte und sie Strapazen aussetzte, die am Rande des Wahnsinns lagen.

 

Ob er schlimmer als Slughorn war? Scheinbar, denn seine Stirn landete resigniert auf der Tischplatte.

 

„Mister Malfoy?“, ertönte die Stimme des Professors, nachdem er überrascht in die hintere Reihe sah und – so surreal es auch klang – den Blick von Harry auf Draco richtete. Mehrmals blinzelte er, um die Umgebung besser wahrzunehmen, da seine Brille statt auf seiner Nase, an einer Kette um seinen Hals baumelte. „Geht es Ihnen gut?“ Seit dem Vorfall in seinen eigenen Räumen, als er aus Versehen Ronald Weasley vergifteten Met hatte trinken lassen, war er äußerst vorsichtig, wenn es um die Gesundheit seiner Schüler ging. „Wollen Sie zu Madam Promfrey?“

 

Ohne den Kopf zu heben, murrte er seine Antwort in die verstummte Klasse. Mit Sicherheit waren wieder alle Augenpaare auf ihn gerichtet. „Es ist alles in Ordnung, Professor.“ Obgleich sein Verhalten dem Lehrer gegenüber respektlos war, es war Draco egal. Sollte Slughorn ihn nachsitzen lassen, es interessierte den Schüler nicht im Geringsten.

 

„Schön, mein Junge“, erwiderte Horace infolge der gut klingenden Antwort, ehe er erleichtert in die Hände klatschte, um den Unterricht fortzuführen. „Dann schlagen Sie doch alle bitte die Seite vierundsechzig in Ihrem Buch auf.“ Bevor er weitersprach, widmete er sich nochmals der letzten Bankreihe und fügte hinzu: „Sie dürfen sich ebenfalls angesprochen fühlen, Mister Malfoy. Seite vierundsechzig in Ihrem Buch.“

 

Merlin. Diese Stimme zwang ihn, sich aufrecht hinzusetzen und dem Befehl Folge zu leisten. Nuschelnd, so dass niemand weiter Notiz von ihm nahm, hatte er sein Buch aufgeschlagen. Ganz langsam blätterte er die Seiten um, während er sich darüber ärgerte, dass er tatsächlich den Versuch unternommen hatte, sich auf die damalige Weihnachtsfeier dieses Mannes zu schleichen, der Draco gerade bewies, wie beschränkt er in Wirklichkeit gewesen war.

 

Unterdessen war sein Blick unbewusst durch die Klasse gewandert, als er in seinen Gedanken versank. Als ihn jedoch Grangers Blick traf, war er wieder bei Sinnen und ein zartes Schmunzeln hatte seine Mundwinkel umspielt. Nur kurz, da sie ihn anscheinend böse anschauen wollte, weil er den Unterricht aufgehalten hatte. Schneller als er selbst es realisieren konnte, war ihr Gesicht wieder der Tafel zugerichtet – was auch Draco zwang, Seite vierundsechzig missmutig aufzuschlagen und letzten Endes zur Tafel zu blicken, an der gerade ein Rezept eines Trankes aufgetaucht war.

 

Verfluchter Mist. Dieses Mädchen! Ihr Dasein manipulierte Draco sogar dann, wenn sie wütend auf ihn war.

 

„Hey, treffen wir uns dann um vier Uhr mit Ginny? Ist das in Ordnung oder brauchst du mehr Zeit, um dich herauszuputzen?“

 

Genervt sah er zu Blaise, während er seinen geneigten Kopf in seine abgestützte Hand legte. „Ich hab noch gar nicht zugesagt.“

 

„Macht nichts“, winkte Blaise vergnügt ab. „Ich habe für dich entschieden.“ Er würde Draco ablenken, wenngleich dieser so melancholisch und anstrengend geworden war. Aber was tat man nicht alles für seinen besten Freund, dem es momentan überhaupt nicht gut ging? Richtig, man tat so einiges, obwohl die getätigte Aufopferung nicht entsprechend gewürdigt wurde. Nichtsdestotrotz bemühte er sich, weil er auch dank Ginny und ihren Erzählungen gelernt hatte, wie wichtig es war, seinen Freunden in guten, aber auch in schlechten Zeiten beizustehen – vor allem in schlechten Zeiten.

 

„Wie nett, dass du Entscheidungen über meinen Kopf hinweg triffst.“

 

„Tja“, kommentierte Blaise amüsiert, als er sich nach hinten lehnte und die Arme über seinen Kopf streckte. „Ich erleichtere dir dein Leben, und ja, in der Tat – das ist äußerst nett von mir. Ich bin einfach ein genialer Typ, das musst du zugeben, Draco. “

 

Ferner sah Draco zischend zur Seite – hinaus aus dem Fenster. Wie konnte er Granger begreiflich machen, dass sie zu ihm zurückkommen musste? Ja, sie müsste zu ihm zurückkommen, da er andernfalls noch auf dumme Gedanken käme, wenn er mit Ginny und Blaise nach Hogsmeade ging. Bereits jetzt sah er sich in einer Nische in den drei Besen sitzen – betrunken, das zwölfte Glas Feuerwhiskey vor sich, jammernd, am Boden zerstört. Dieses Szenario konnte ihr doch nicht egal sein. Dracos Person an sich konnte ihr nicht egal sein, oder? Gefühle mussten vorhanden sein, da Granger das letzte Mädchen wäre, das wahllos mit einem Mann schlief. Dieses verruchte, skrupellose Verhalten passte überhaupt nicht zu ihr, was es ihm zusätzlich erschwerte, sie zu vergessen.

 

Granger schauspielerte bloß. Sie schauspielerte allerdings schlechter als er und wenn das einer wusste, dann Draco, denn er selbst verfolgte über Jahre dieses Axiom.

 

„Hat Daphne“, sprach Draco nach Minuten der Stille und sah zu Blaise zurück, „nach ihrem Verhör etwas erzählt?“

 

„Daphne?“, wiederholte der dunkelhäutige Junge perplex, der diesen Namen nicht aus Dracos Mund erwartet hatte. „Was sollte sie erzählt haben? Wie Potter, McGonagall und das Ministerium auf sie eingeredet haben? Nein“, ergänzte er und zuckte mit den Achseln, „sie hat nichts erzählt, was nicht verwunderlich ist.“

 

„Ich dachte, sie hätte Pansy oder Millicent etwas erzählt.“ Draco suchte nach Hinweisen – nach irgendwas, das er Daphne vorwerfen konnte. Bezüglich seines Versprechens, dass er ihr das Leben zur Hölle machte, würde er nichts unversucht lassen, um dieses Weibsbild leiden zu lassen. Nicht, weil sie ihn angegriffen hatte. Das hatte er gar nicht überwinden müssen.
 

Es war mehr der Tatsache geschuldet, dass ihretwegen alles aus dem Ruder gelaufen war. Hinzu kam der Verrat, der fast zu einem weiteren Zaubererkrieg geführt hätte.

 

„Nicht dass ich wüsste, aber ich weiß, dass du sie niemals hättest ausnutzen dürfen.“ Blaise lehnte sich zu Draco hinüber, immer darauf bedacht erst dann zu reden, wenn Slughorn zur Tafel stand und etwas erklärte. „Hab ich dir nicht gesagt, dass du sie nicht ausnutzen sollst?“

 

„Doch, hast du“, erwiderte der uneinsichtige Slytherin-Schüler apathisch.

 

„Hast du gehorcht?“, stellte Dracos bester Freund die nächste Frage.

 

„Nein“, antwortete er passiv.

 

„Wirst du in Zukunft gehorchen?“, wollte Blaise daraufhin interessiert wissen. Inständig hoffte er, dass Draco diese Frage bejahte.

 

„Nein“, gestand Draco ungerührt, fast gleichgültig im Bezug auf die Konsequenzen, die resultieren könnten, wenn er weiterhin das Gegenteil von dem tat, was man von ihm verlangte.

 

„Merlin, Draco. Willst du irgendwann dasselbe Schicksal wie Daphne erleiden? Sieh sie dir doch nur mal an.“ Sein Kopf ruckte zur Seite – zu einer Bank, an der das blonde Mädchen alleine und in sich gekehrt saß. „Seit eurer Rückkehr wird sie gemieden.“

 

„Zurecht!“, knurrte Draco, der davon absah zu der verlassenen Bank zu blicken.

 

„Ja, zurecht. Das ganze Schloss weiß Bescheid oder dachtest du auch nur eine Minute daran, dass man in dieser Schule etwas geheim halten kann? Wenn jeder erfährt, wie du dich Granger gegenüber verhalten hast, was denkst du, wird passieren?“ Anlässlich Dracos Naivität und der Art, ihm zu antworten, hätte Blaise allen Grund, laut aufzulachen, da der blonde Malfoy-Erbe für gewöhnlich sehr direkt war, aber Blaise wusste es besser. Draco war trotzig, weshalb er stoisch seine Fragen beantwortete und des Gespräch nicht ernst nahm. Würde dieser sture Hippogreif Nähe und Vertrauen zulassen, hätte er jüngst erkannt, wie schön die Liebe sein konnte, die Granger scheinbar zu ihm aufbauen wollte, Draco diese jedoch mit seinem Handeln zerstört hatte, ehe die Blume erblühen konnte. „Sei nicht so dumm, Draco, und sieh endlich ein, dass du Granger verloren hast.“

 

Zähnefletschend krallten sich Dracos Finger in den Seiten seines Buches fest. Hässliche Risse entstanden darin – wie in seinem Innenleben, das aus der Bahn geworden wurde. „Noch eben hast du gesagt, dass ich ihr Zeit geben soll und jetzt? Was denn nun?“

 

„Ja, aber ich gehe nicht davon aus, dass du so geduldig bist.“

 

Treffer. Es stand eins zu null für Blaise, dem es schneller als Draco aufgefallen war, dass Ungeduld sein zweiter Vorname sein könnte. „Schön zu wissen, dass du so große Stücke auf mich hältst, Kumpel.“ Wieder richtete er sein Augenmerk auf ihren Rücken. Draco konnte sehen wie sich ihre und Potters Schultern berührten, nachdem sie sich zu ihm herüberbeugte und anschließend zu Finnigan sah, dem sie ebenfalls ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte, sobald sie sich mit ihm unterhielt. Merlin, verdammt. Der Gedanke, dass jemand anderes sein Mädchen anfassen würde, machte ihn rasend. Dabei war er der Erste. Er hatte sie defloriert, markiert... Er hatte... Ach, er pochte einfach auf die Beanspruchung ihres Körper, weil er der Erste gewesen war – ein Grund, der nur für Draco nachvollziehbar und völlig in Ordnung war. Insofern ergriff auch die quälende Eifersucht von seinen Sinnen Besitz und doch musste er tatenlos dabei zusehen, wie prächtig sich die Gryffindors untereinander verstanden. Allem Anschein nach so gut, dass sie sich immer den Rücken oder die Schulter tätscheln mussten.

 

Wie konnte Blaise es nur ertragen, stillschweigend dabei zuzusehen, wie sich seine Freundin mit Potter unterhielt? Neigte sein bester Freund nicht zur Eifersucht oder gelang es ihm, diese besser zu verbergen als Draco?

 

„Blaise?“ Inzwischen drückten Dracos Daumen und Zeigefinger so fest in seine Augen, dass die Gefahr drastisch erhöht wurde, irgendwann zu erblinden, aufgrund des massiven Drucks.

 

„Ja?“

 

Ruckartig waren Daumen und Zeigefinger nach unten geschossen, doch hafteten Dracos Augen auf der Holzplatte seines Tisches. Er musste sich erst wieder an die Umgebung gewöhnen, hinsichtlich der schlechten Sichtverhältnisse, die anhand des Drucks auf seine Augen noch deutlich eingeschränkt waren. „Glaubst du... Glaubst du an die Liebe?“, wollte er wissen und sah noch inmitten seiner Aussprach nach oben. Dank seiner Legilimentik-Fähigkeiten war er im Stande, Blaises Ausstrahlung zu fühlen, die nach Dracos Frage förmlich Wellen schlug. Ob diese positiver oder negativer Natur waren, vermochte er nicht zu sagen. Dennoch glaubte er, dass Blaise einer der wenigen Slytherins war, der an die Liebe und die damit verbundene Stärke glaubte.

 

„Ich denke schon, ja.“

 

„Aber ist es nicht vermessen, an die Existenz der Liebe zu glauben, wenn man sie noch nie gefühlt hat?“ Er sprach von seinen eigenen Ansichten, bezüglich der Liebe... Ein so großes Wort, das oft und gerne missbraucht wurde. Die Liebe brachte Enttäuschungen mit sich und jeder der behauptete, dass man aus diesen Rückschlägen lernte, log. Wer, wenn nicht Draco, könnte auf eine Serie voller Enttäuschungen zurückblicken? Viele, die im Gegensatz zu Draco jedoch nicht aufgaben und an die Liebe glaubten – wie Blaise. Aber Draco kam nie in den Genuss, Liebe zu erfahren. Zumindest dachte er das. Schließlich empfand er nie diese Glückseligkeit, wenn er einem Mädchen näher gekommen war.

 

Ach, was machte er sich überhaupt Gedanken? In Selbstmitleid zu baden war viel besser, als sich wegen Banalitäten wie der Liebe in gedankliche Abgründe zu stürzen.

 

„Ist es nicht“, antwortete Blaise, der währenddessen seinen eigenen Gedanken nachhing.

 

„Wieso nicht? Was macht dich so sicher, nicht enttäuscht zu werden?“

 

„Draco, es gibt keine Garantie für die Liebe, aber wenn dich ein Gefühl packt“, begann er voller Lebensfreude zu begründen, „das dich nicht essen oder schlafen lässt, und du trotzdem glücklich bist, dann solltest auch du dir eingestehen, dass es die wahre Liebe gibt. Natürlich“, fuhr er unbeirrt fort, „kann man enttäuscht werden und ob es die wahre Liebe auf den ersten Blick gibt, weiß ich auch nicht, denn viele erkennen sie erst Jahre später.“

 

Demzufolge zuckten Dracos Mundwinkel kurz, ehe er zu Blaise hinüber schielte. „Ist das wieder eine von deinen lächerlichen Anspielungen?“

 

„Anspielungen?“ Ertappt zog sich Blaise zurück, indem er seinen Körper nach hinten schob und seine langen Arme über das polierte Holz schleifte.

 

„Ja, speziell auf Granger und mich bezogen?“

 

„Nein, nicht die Spur“, entgegnete Blaise lächelnd, während er die Behauptung seines besten Freundes fidel abwinkte. Draco war zwar verletzt und traurig, dennoch verstand er den Wink mit dem Zaunpfahl. „Ich meine nur, dass -“

 

„- ich meine Liebe zu Granger erst später entdeckt habe? Meinst du das?“, wetterte Draco angriffslustig. Insgeheim wusste er, dass er für seine beiden Freunde – Blaise und Goyle – durchs Feuer gehen würde, aber im Moment vergaß er diesen wichtigen Aspekt, der eigentlich bezeugen könnte, dass Draco kein gefühlskalter Mensch war.

 

„Äh... na ja“, druckste der Angesprochene verlegen herum. „Also so gezielt wollte ich mich gar nicht ausdrücken, aber wenn du schon so fragst, ja. Ja, das meine ich.“ Das zwischen den beiden Slytherins war kein Disput, sondern ein bisher sachlicher Gedankenaustausch, stellte Blaise erfreut fest.

 

„Aha. Dass Granger mich aber nicht mehr an sich heranlässt, muss ich dir nicht sagen, oder?“ Somit war das Gespräch hinfällig. Dracos angebliche Liebe würde unerwidert bleiben, wozu also weiter damit beschäftigen? Um sich noch mehr zu quälen?

 

„Draco, alles verstehen und alles verzeihen, das ist die Mentalität des Teufels. Erwartest du etwa, dass sie dir sofort verzeiht?“

 

Ja! Genau das erwartete Draco. „Ich erwarte gar nichts mehr“, kommentierte er stattdessen fadenscheinig und strich sich die Haare zurück. Blaises Worte waren nicht schmeichelhaft, aber er verstand den Sinn und noch mehr die Wahrheit, die er darin versteckte. Draco war Granger gegenüber nicht fair gewesen, er behandelte sie auch nicht entsprechend. Das war es, was Blaise mit seiner Beleidigung – die definitiv eine war – ausdrücken wollte. Er verstand den rauen Umgangston, den sein augenscheinlich bester Freund an den Tag legte, da das scheinbar die einzige Sprache war, die Draco verstand.

 

„Es scheint dir aber wichtig genug zu sein, sonst würden wir nicht seit geschlagenen dreißig Minuten darüber sprechen. Wenn dir Granger am Herzen liegt, und das ist ja offensichtlich der Fall, dann leiste Schadensbegrenzung. Schenk ihr etwas“, brach es anschließend aus Blaise heraus, der sich bereits mit Draco, Hermine und Ginny im hohen Alter im tropfenden Kessel sitzen sah. Und sollte dieses Szenario tatsächlich wahr werden, beschloss Blaise, genau dieses Gespräch Granger als kleine Anekdote zu präsentieren, hinsichtlich Dracos Bemühungen.

 

„Ich soll was?“, erwiderte er lachend und erntete prompt von mehreren Schülern feindliche Blicke, die ihn aber alles andere als störten. So lange Slughorn mit Potter beschäftigt war, könnte Draco sogar Rauchbomben zünden, die der Zaubertränkemeister nicht einmal wahrnehmen würde. Was kümmerten ihn demnach die Blicke der anderen? „Blaise, langsam glaube ich wirklich, dass du deinen Verstand verloren hast. Ich werde ihr nichts schenken.“

 

„Frauen mögen das“, bekräftigte Blaise, der wild mit seinen Armen fuchtelte, um Draco die Wichtigkeit seiner Aussage zu vermitteln. Er war nicht mehr zu bremsen. Blaise steckte voller Euphorie und er würde seinen Einfall in die Kategorie „glorreichste Idee“ stecken, jawohl. „Aber es sollte etwas sein, was ihr gefällt. Etwas, das sie mag.“

 

„Blaise, stopp.“ Nein, er durfte sich keinen Hoffnungen hingeben und Blaise hatte ihm gefälligst nicht noch Zündstoff hinzuwerfen, der seine Hoffnung aufflammen ließ. „Ich will gar nicht wissen, was dein Zerebrum sich alles ausgedacht hat. Nur, weil ich mich vielleicht zu ihr hingezogen -“

 

„Ah, ah, ah! Wir wollen doch nicht vergessen, dass wir – und du viel mehr – von Liebe gesprochen haben“, funkte er dem jungen Malfoy dazwischen, während sein Zeigefinger in die Höhe gehalten wurde. „Aber ich gratuliere. Du hast nur eine Woche gebraucht, was für deine Verhältnisse recht zügig war, um die Wahrheit zu erkennen und auf mich zuzukommen. Das tat doch gut, oder? Du hast es nicht bereut, mit mir darüber zu sprechen?“

 

„Du machst mich noch wahnsinnig und ich bin kurz davor zu behaupten, dass du genauso unerträglich bist wie Potter“, munkelte Draco, bevor er sein Buch zu sich heranzog und vorgab, darin zu lesen. Dass er in Wirklichkeit über Blaises Vorschlag nachdachte, erwähnte er nicht, denn er fand die Idee gar nicht so übel. Aber was sollte er ihr schenken? Mit Schmuck konnte man bekanntlich jede Frau besänftigen, aber nicht Granger – die alles andere als der Norm einer Frau entsprach und genau das machte sie so interessant... Sie war anders, sie war einzigartig und stimmte nicht mit dem klassischen Bild einer gewöhnlichen Frau überein. Oh nein, Granger war gewiss nicht gewöhnlich.

 

Die restliche Stunde verbrachte Draco damit, über das gewisse Etwas nachzudenken. Schließlich sollte es etwas sein, wovon sie einen Nutzen hätte. Gleichzeitig sollte jener Gegenstand sie immer an ihn erinnern.

 

 
 

~*~

 

Ihm fiel nichts ein. So sehr er sich anstrengte, er wusste nicht, über was sich Granger freuen würde – abgesehen von... Genau. Abgesehen von Büchern. Das wäre eine gute, aber so durchschaubare Idee, die für den Moment ausreichen musste, da er andernfalls die Flinte ins Korn werfen würde und am Ende zu feige wäre, ihr ein Geschenk zu überreichen. Hastig räumte er die Pergamente, die Feder und sein Buch in die Tasche, schulterte sie und marschierte Richtung Ausgang – er würde zur Bibliothek gehen, in der Hoffnung, ein Buch in den unzähligen Reihen zu finden, das ihn – so skurril es klang – zumindest ein bisschen mit ihr verband, wenn er schon den Rest verloren hatte, der ihn zuvor mit ihr verbunden hatte. Hinzu kam die emotionale Stütze, die er sich erhoffte, sobald er die Zeilen darin las.

 

Was Blaises Theorie anging: Sollte er ruhig denken, dass Draco Gefühle für Granger hegte. Es stimmte ja auch irgendwie. Nur war Malfoy neben seinem Arschloch-Dasein noch immer ein Feigling, der sich für diese Schwäche schämte, wenngleich es abwegig war, da Blaise ihn nicht auslachen würde. Immerhin wurden sie erwachsen, aber waren jene Gefühle so weit ausgeprägt, dass man von Liebe sprechen konnte? Konnte aus unbändigem Hass tatsächlich Liebe werden?

 

Indessen passierten sie die Tür, doch blieb Draco jäh stehen. All seine Gedanken, seine Vorstellungen, sowie sein Plan, ihr doch etwas besonderes zu schenken, wurden aufgrund eines bizarren Bildnisses – das sich vor seinen schiefergrauen Augen abspielte – erfolgreich verdrängt. Ungefähr drei Meter von ihm entfernt stand Granger – neben Finnigan und schon wieder scherzten sie zusammen. Wie schon die beiden Zaubertränke-Stunden. Doch dieses Mal trieb es Finnigan auf die Spitze, als er seinen hässlichen Arm um ihre Taille legte, ihren Körper zu seinem heranzog und lächelte, woraufhin sich etwas in seinem Magen regte. Wie ein Wurm, der den Zorn durch seine Gedärme schlängelte und zu Dracos treuem Wegbegleiter wurde. Folglich schlug er seinen Umhang zurück, krempelte die Ärmel seines weißen Hemdes nach oben, das er unter seinem grauen Pullunder trug und sah rot. Der unbezähmbare Vulkan, der seine Eifersucht assoziierte, drohte auszubrechen. Ein ungutes Gefühl, das ihn drängte, Finnigan von ihrer Seite zu stoßen, ihn im Anschluss auf den Boden zu schubsen und auf ihn einzuschlagen, während er ihm ins Gesicht brüllen würde, seine dreckigen, versifften Griffel von Granger zu lassen.

 

„Draco, ganz ruhig“, prononcierte Blaise, der hinter ihm erschien und die Spannung bemerkte. Er wollte seinem Freund nicht sagen, dass er kein Anrecht darauf hatte, etwas zu unternehmen, da das dem Fass den Boden ausgeschlagen hätte und Draco erst recht zu Finnigan gegangen wäre.

 

„Wie soll man bei diesem Anblick bitte ruhig bleiben, Blaise? Wie?“, wollte er wissen und konnte den Kloß im Hals spüren, der immer dicker wurde, je länger er die Szenerie beobachtete.

 

„Du musst Ruhe bewahren, mein Freund.“

 

„Wenn ich nur schon die Finger dieses Kretin an ihr sehe, kriege ich Drachenpocken. Es ist unerträglich“, überging er Blaises Rat. Die ruhigen Worte seines Kompagnon konnten Draco nicht milde stimmen – zu groß war der Zorn geworden. „Ich muss das unterbrechen, sonst kotz ich.“ Es war schon schlimm genug, dass sie weiterlebte und offensichtlich Grund zur Freude hatte, aber das... Finnigan an ihrer Seite war zu viel.

 

„Ich weiß“, reagierte Blaise, nachdem er sich dem blonden, verzweifelten Jungen in den Weg stellte, „dass das, was ich dir jetzt sage, das Letzte ist, was du hören willst, aber Dumbledore hat uns im ersten Schuljahr gesagt, dass es Mut kostet, sich seinen Feinden in den Weg zu stellen. Aber es kostet noch viel mehr Mut, sich seinen Freunden in den Weg zu stellen. Draco, ich bitte dich, mach keine Dummheiten. Hör nur dieses eine Mal auf mich.“

 

Verärgert über die laschen Worte, gab Draco schlussendlich nach. „Beeindruckt mich nur mäßig, Blaise.“ Abschließend ging er an ihm vorbei, jedoch in die entgegengesetzte Richtung, damit er im Vorbeigehen nicht doch in Versuchung kam, Finnigan niederzuschlagen und spätestens heute Mittag, wenn er mit Blaise und der kleinen Weasley in den drei Besen saß, wäre seine Wut verraucht – ganz sicher.

 

 
 

~*~

 

Es tat unheimlich gut, sich wieder im Schloss zu befinden und dem alltäglichen Stress – bedingt durch das Aufholen ihrer Hausaufgaben – ausgesetzt zu sein. Hermine genoss es. Es war so viel angenehmer, als sich mit ihren Gedanken herumzuschlagen. Selbst Professor Slughorns Erscheinung, die ständig zwischen Tafel und Harrys Platz hin und her wechselte, war beruhigend – weil es Situationen waren, die ihr vertraut vorkamen. Sogar der grässliche Geruch der Zaubertränke erfreute die junge Gryffindor und nicht einmal Neville – dem sie mithilfe von Zeichensprache symbolisieren musste, welche Zutat dem jeweiligen Trank zugefügt werden musste – konnte sie aus der Fassung bringen.

 

Bisher gelang es ihr, den Menschen – der ihre Gefühlswelt ins Chaos gestürzt hatte – erfolgreich zu ignorieren. Als sie jedoch heute wieder das erste Mal gemeinsam Unterricht hatten, befürchtete sie schon, dass das Konstrukt zusammenbrechen und Hermine unter sich begraben würde. Und sie hatte recht. Es tat weh. All ihre Willenskraft hatte Hermine aufopfern müssen, um ihrer Vehemenz standzuhalten. Schließlich saß der Schmerz tief, sich in ihm getäuscht zu haben. Es war verletzend, aber war ihr Verhalten dennoch gerechtfertigt?

 

Ja... Ihr Handeln war insoweit in Ordnung, dass sie ihn mied, um sich selbst zu schützen. Letztendlich hatte sich nämlich nichts geändert – auch dann nicht, wenn er ihr die Wahrheit gesagt hätte, aber nicht einmal das war eingetroffen. Stattdessen hatte sie seine Maskerade zu spät erkannt. Sein wahres Ich zu spät entschlüsseln können. Merlin, sie war dumm und... verliebt. Verliebt in einen Jungen, dessen Name nicht mehr erwähnenswert war, weil er sie zutiefst gekränkt und gedemütigt hatte und Hermine war glücklich, in diesen schweren Stunden Trost bei Ginny und Ron zu finden.

 

Ja, Ron war wunderbar. Wie einfühlsam er mit dem Thema umging, hatte Hermine wahrlich überrascht.

 

„Du, Hermine?“

 

„Ja?“, entkam es ihr – aus Reflex. An Seamus hatte sie gar nicht gedacht, der mit ihr das Klassenzimmer verließ und dicht neben ihr gelaufen war, bis dieser abrupt stehen blieb.

 

„Hättest du vielleicht Lust“, begann er verlegen, während seine Hand in seinen schwarzen Haaren verschwand, „mit mir nach Hogsmeade zu gehen? Sofern du Zeit hast und nicht lernen musst?“ Die Röte stieg dem Jungen augenblicklich ins Gesicht, die bis zu seinem Haaransatz wanderte. Um die Scham zu kaschieren, trat er an Hermine heran, legte seine Hand um ihre Taille und lächelte ihr entgegen. „Ich würde mich wirklich freuen, weißt du?“

 

„Nach Hogsmeade?“, wiederholte sie irritiert. Hermine war in ihren Gedanken versunken – von Draco und seinem Sinneswandel völlig eingenommen. Eiskalt hatte er sie hinters Licht geführt. Hach, er war so berechnend, worüber sie sich maßlos ärgerte, denn neben ihr stand ein Junge, der ehrenhafte Absichten verfolgte. Aber was tat Hermine? Sich weiterhin mit Malfoy befassen, der ihre gesamte Konzentration in Anspruch nahm. Es war wie damals in der Grundschule. Dort gab es auch diesen einen Jungen – Adam Smith. Er war ein hübscher Junge – groß, blonde, zerzauste Haare und stahlblaue Augen –, der mit seiner Mum in dem gegenüberliegenden Haus gewohnt hatte. Er war aber auch ein Junge, der Hermine schon früh das Gefühl von Schmerz näher brachte, indem er vorgab, sie zu mögen. Unter Vortäuschung falscher Tatsachen war es dem Jungen damals gelungen, Hermine gefangen in ihrer Schwärmerei in Bedrängnis zu bringen, als er sie küsste und lachend davonlief, nachdem Hermine ihn zurück geküsst hatte. Der nächste Tag hatte sich zu einer Tortour entwickelt, da Adam jedem Schüler erzählte, dass sie in ihn verliebt sei...

 

In diesem Alter, in dem man sich nicht einmal in der Selbstfindungsphase befand, gab es nichts schlimmeres, als dass man einen Jungen küsste, geschweige denn hübsch fand.

 

„Ja, ich dachte, wir könnten zu Madam Pudifoot?“, gestand Seamus, der seinen Arm zurückzog und Däumchen drehte.

 

„Seamus, ich -“ Wie konnte man auf nette Weise absagen? Nachdem sie wieder in Hogwarts war, wachte sie täglich mit Bauchschmerzen auf, weil ihre ersten Gedanken Malfoy galten. Ginnys tröstende Worte, dass die Zeit alle Wunden heilten, konnte Hermine nicht teilen. Auch schieden sich die Geister, im Hinblick auf Ginnys Vorschlag, dass Hermine Ablenkung bräuchte, da sich ihre Ablenkung deutlich von Ginnys Art der Ablenkung unterschied.

 

„Es muss nicht heute sein. Überleg es dir einfach.“

 

Sie musste ihm die Wahrheit sagen. Seamus war lieb und verdiente eine Lüge nicht. Auch wollte sie ihm nichts vormachen. Dann wäre sie nicht besser als Adam oder Malfoy. Aber nachdem ihr Vertrauen auf so schändliche Art und Weise missbraucht wurde, konnte sie sich unmöglich nach einer Woche jemand anderem öffnen, wenngleich Seamus gute Absichten verfolgte. Und es tat ihr aufrichtig leid, dass ausgerechnet Seamus bluten musste, weil in ihrer Vergangenheit so viel negatives passiert war.

 

„Das ist lieb, Seamus, aber wir können nicht nach Hogsmeade.“ Sie fühlte sich nicht wohl, denn man sah, dass auch er sich hatte überwinden müssen. All seinen Mut hatte er zusammengepackt, als er Hermine darum bat, mit ihr auszugehen. „Ich... Wir sind Freunde, und das möchte ich nicht -“

 

„Oh... Das... Das verstehe ich.“

 

Nein, er verstand es nicht. Er wollte sich lediglich der peinlichen Situation entziehen, als er bemerkte, dass Hermine ihm absagen wollte. „Seamus, es tut -“

 

„Das muss es nicht, Hermine. Ist... Ist schon in Ordnung“, winkte er betroffen, dennoch lächelnd ab. Eigentlich hätte es ihm klar sein müssen, dass sie ihm absagte. „Ich... Wir sehen uns beim Essen.“ Bevor er sich noch mehr um Kopf und Kragen redete, sollte er lieber zusehen, dass er verschwand. Die Situation wurde ihm immer unangenehmer.

 

„Okay?“ Du liebe Güte... Hermine bemerkte schon die Schweißperlen auf ihren Schläfen, als Seamus sie zurückhielt und die ersten Worte aussprach. Nachdem der kleine Gryffindor winkend um die Biegung gebogen war, erlaubte sie sich, ihren Rücken gegen die Wand zu lehnen und auszuatmen. Ferner schloss sie die Augen, um sich und ihre Nervosität in den Normalzustand zurückzuversetzen, was bitter nötig gewesen war, denn sie hatte die ganze Zeit – noch während sie auf Seamus' Antwort wartete – die Luft angehalten. Folglich sog sie gierig die Luft ein, um ihre Lungen ausreichend zu füllen. „Das war knapp.“

 

Wieso musste das jetzt passieren? Ausgerechnet jetzt, nachdem ihre Gefühlswelt in Scherben lag? Hätte Seamus nicht warten können, bis Hermines Kraft zurückgekehrt war und sie den Scherbenhaufen beiseite gefegt hätte? Nein, das konnte er nicht, aber wie auch? Seamus wusste nicht, wie es in Hermine aussah – anders als Malfoy, der genau wusste, was er ihr angetan hatte und welche Folgen daraus entstanden waren, oder?

 

„Ja, das war wirklich knapp.“

 

Erschrocken öffneten sich ihre bernsteinfarbenen Augen. Zeitgleich versteifte sich ihr Körper, als sie in eine aufrechte Position zurücksprang und die Wand umso deutlicher im Rücken spürte. „Was -“

 

„Wir müssen reden – jetzt!“, informierte er sie, während er aus der dunklen Nische trat und eilig den Abstand zu ihr schloss. Er nutzte die Chance. Er musste sie nutzen, nachdem er den jämmerlichen Wicht um die Ecke verschwinden sah und sich Blaises Warnung entzog, keine Dummheiten zu begehen. Natürlich war er nicht in den Slytherin-Räumen verschwunden und natürlich griff er auf die Kenntnisse vieler Schleichwege zurück, um ihr nachzustellen. Aber er wollte mit ihr reden und ihre Stimme hören. Der Eine oder andere würde behaupten, dass er ihre Stimme schon im Unterricht hörte, aber... das war nun mal nicht dasselbe.

 

„Gar nichts müssen wir.“ Was gab es zwischen ihnen noch zu bereden? Hermine wusste alles, was ihr gefälligst helfen sollte, sich zu entlieben. Zudem wollte sie seine schlecht einstudierten Plattitüden nicht hören, auf die er zurückgreifen würde. „Ich weiß, was du und Lucius -“

 

„Du weißt überhaupt nichts, Granger.“ Knurrend platzierte er seine Hände neben ihrem Kopf, wodurch er ihr wieder einmal den Fluchtweg abschnitt, indem er sie zwischen sich und der Wand gefangen hielt, aber es tat gut, ihren Atmen – der sein Gesicht streifte – zu spüren. „Du kannst nicht immer vor mir weglaufen – das ist feige.“

 

Ha, sagte er das gerade wirklich? Er, der sich von Feigheit nicht freisprechen durfte, erklärte ihr, dass es feige war wegzulaufen? Das war ein wahrer Brüller.

 

„Malfoy, was soll das? Lass mich vorbei!“ Ihre Hände stemmten sich gegen seinen grauen Pullunder, aber er ließ sich partout nicht zur Seite schieben.

 

Gut. Schön. Draco hingegen musste sich beruhigen. „Granger, bitte. Du kannst mir unmöglich weismachen, dass ich dir egal bin. Ich weiß, dass das Gegenteil der Fall ist.“

 

Augenblicklich sanken ihre Hände nach unten, Tränen bildeten sich in ihren Augen, nachdem sie ihren Blick nach oben hob. „Stimmt... Du bist mir nicht egal“, bestätigte ihre zitternde Stimme. „Aber du wirst mir wieder egal sein, sobald etwas Zeit ins Land gezogen ist und der alte Hass entflammt wurde. Dürfte dir ja nicht allzu schwerfallen, nicht wahr?“

 

„Granger“, schmunzelte Draco, dessen Gesicht kurz gen Boden blickte, ehe er wieder zurück sah. Zusätzlich umfing seine Hand ihr Kinn, was beinahe zu einer innerlichen Explosion geführt hätte, da auch die alten Bilder vor sein inneres Auge projiziert wurden, als sie miteinander schliefen. „Wieso sagst du so etwas? Wegen Finnigan?“

 

Mit zusammengedrückten Wangen antwortete sie: „Seamus hat -“

 

„- die Finger von dir zu lassen, ja. Ich will diesen penetranten Pisser nicht in deiner Nähe sehen. Wieso begreifst du das nicht?“

 

„Mein Leben geht dich nichts an, Malfoy. Zwar haben wir im Ministerium zusammen gearbeitet, uns auch näher kennengelernt, aber das ändert gar nichts. Unsere darauffolgende Reise war nur ein Mittel zum Zweck, weil vier Zauberstäbe nun mal besser als drei sind“, beanstandende sie wimmernd, während ihre Hand sich ruckartig um seine legte.

 

„Das sagst du nur so!“

 

„Nein“, keuchte sie atemlos. „Nur weil du mir deine liebevolle Seite“, äffte sie zusätzlich, „gezeigt hast – die gar nicht existent ist, du sie aber aufrufen kannst, sobald du deine ekelhaften Ziele verfolgst –, heißt das nicht, dass dich mein Leben etwas angeht.“

 

„Das ist nicht wahr“, erwiderte er kopfschüttelnd. „Nach alldem kann ich dir unmöglich egal sein, oder?“ Draco betete, dass Granger spaßte. So böswillig konnte sie doch gar nicht sein und ihm etwas derartiges antun, oder doch?

 

„Bin ich dir denn egal?“ Es kostete sie Überwindung, ihn genau das zu fragen. War schließlich kein Thema, das man zwischen Tür und Angel oder zwischen der Wand und seinem Körper besprechen konnte. Da sie ihn jedoch mied, käme sie sicherlich nicht noch einmal in den Genuss, ihn danach zu fragen. Zumal sie sowieso mit ihm darüber sprechen wollte – als sie auf dem Weg zu ihm gewesen war und Daphne ihr die Wahrheit offenbarte, weil er nicht den Mumm besaß, ihr zu sagen, was Lucius ihrer Mutter und Draco ihr angetan hatte. „Malfoy?“, kam es mürrisch aus ihren Mund, weil er sie nur schweigend ansah.
 

„Es ist unhöflich, auf eine Frage mit einer Gegenfrage zu antworten.“ War das nicht ersichtlich, dass sie ihm nicht egal war? Würde er sich andernfalls die Mühe machen, sich zum Affen machen und ihr nachlaufen? Zudem wurde die Antwort, die sie hören wollte, von dem dicken Kloß in seinem Hals verschluckt. Jene Worte wollten ihm einfach nicht über die Lippen rollen – so sehr er auch wollte. Stattdessen sah er sie eindringlich an, fast flehentlich – in der Hoffnung, sie würde seinen Blick deuten können. „Außerdem tut das nichts zur Sache.“

 

„Nein, Malfoy.“ Entschieden entfernte sie die Hand um ihr Kinn, als sie merkte, dass sein Griff lockerer wurde. „Du wirst mich mit deinen schwachen Argumenten nicht mehr manipulieren können. Das hat einmal funktioniert“, erklärte sie traurig, während sie ihm dabei zusah, wie er einen Schritt zurückging. „Tut mir nicht sonderlich leid, aber ich werde denselben Fehler nicht zweimal begehen.“

 

Draco sollte sich glücklich schätzen. Immerhin bekam er das, was er wollte – Zeit mit ihr, sowie die Möglichkeit, mit ihr zu sprechen, wenngleich das Gespräch nicht nach seinen Wünschen verlief. Allerdings war da noch sein Wegbegleiter, in Form seiner Wut, die ihn zu Dummheiten verleitete und er nicht bemerkte, dass er einen Fehler machte, indem er ihr zynisch antwortete: „Und ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich nicht dein Feind bin.“
 

Das war die falsche Antwort, mit der er sie nur weiter von sich trieb, aber er war so wütend, dass sie nicht das erwiderte, was er sich erhoffte. Er wollte doch bloß, dass sie ihm endlich verzieh, damit er nicht mehr wie ein angeketteter Hund leiden musste.

 

„Hör endlich auf, diesen in mir zu sehen, Granger.“ Er schäumte vor Wut. Darüber hinaus vergaß er Blaises Worte, die er sich zuvor immer wieder in Gedanken vorgesagt hatte, sie jedoch – als Granger vor ihm stand – nicht mehr aufsagen konnte. Als wären sie ausradiert worden. „Oder machst du das absichtlich, wegen deinem schlechten Gewissen? Tust du das, damit es dich nicht erschlägt, wenn du dich Finnigan an den Hals wirfst?“ Jetzt wurde er unfair. Richtig unfair, aber sie kämpfte mit genauso harten Bandagen.

 

„Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?“, fragte Hermine lauernd, nachdem sie zu ihm herangetreten war, sich auf die Zehenspitzen stellte und nach auffälligen Merkmalen in seinem Gesicht suchte, die ihr rechtzeitig Aufschluss darüber geben konnten, ob er kurz vor einer Explosion stand.

 

„Ja.“ Gebannt hing er an ihren Lippen. Dass sie miteinander geschlafen hatten, posaunte er schließlich auch nicht in die Welt hinaus. Aber was es auch war mit Finnigan, sollte sich etwas zwischen den beiden entwickeln, müsste Draco dem Iren die Beine brechen und es so aussehen lassen, als wäre es ein Unfall.

 

„Gut“, entgegnete sie lachend. „Ich nämlich auch.“

 

Das saß – gewaltig! Angesichts dieser Antwort, mussten sich Dracos Finger in seinem Umhang festkrallen, bevor er diese Niederlage wegsteckte und ruckartig um ihre Hüfte griff. „Du ahnst gar nicht, wie gefährlich ich dir werden kann.“ Dieses einfältige Mädchen. Dachte sie wirklich, dass er sich von ihr einschüchtern ließ, nur weil sie einmal zynisch und schlagfertig zum Gegenschlag ausholte? Merlin, er selbst definierte mit seinen Aussagen das Wort Zynismus völlig neu. Ihn musste sie bestimmt nicht im Umgang mit maliziösen Worten lehren. „Soll ich Finnigan mal erzählen, was wir beide“, schilderte er, während sein Finger abwechselnd auf sie und sich selbst zeige, „im Zelt gemacht haben? Soll ich ihm sagen, wie lustvoll du geschrien hast, als wir gekommen sind? Will der kleine Seamus dich dann immer noch?“

 

„Halt den Mund!“, entfuhr es Hermine schluchzend. Parallel zwängte sie sich aus seiner Berührung und brachte Distanz zwischen ihn und sich. „Seamus hat nichts mit uns beiden zu tun.“ Beschämt wischte sie sich im Anschluss die Tränen vom Gesicht, die bereits über ihre Wangen abperlten.

 

„Deine Krokodilstränen beeindrucken mich nicht, Granger. Bring Finnigan bei, dass er dich nicht anzurühren hat. Oder ist dir immer noch nicht klar, mit wem du dich hier anlegst?“ Eine Woche trug er die Wut und Trauer mit sich herum, die er nicht mehr länger im Käfig halten konnte. Wie die Finger eines Dementors hatte sein Zorn sich um die Gitterstäbe gelegt, welche widerstandslos zerbarsten.

 

„Du willst mich doch nur provozieren.“ Unsanft rieb sie mit ihrem Ärmel über die Wangen. Vermutlich waren ihre Wangen schon rot, aber das interessierte sie nicht. „Und die Sache im Zelt, das... das war ein Fehler, den ich gerne rückgängig machen würde.“

 

„Pah, sag nicht, es hätte dir nicht gefallen. Hat sich im Zelt nämlich nicht so angehört, als ob du gelitten hättest und nur ich Spaß gehabt hätte – den Schuh kannst du mir nicht alleine anziehen, Liebes.“ Es war nicht das, was er sagen wollte, aber noch immer konnte er ihr nicht sagen, was er für sie empfand, weil es ein Zeichen der Schwäche war. Und vor dieser Schwäche fürchtete sich der junge Slytherin-Schüler. Er befürchtete, in die Ecke der Verzweiflung gedrängt zu werden, wenn er ihr die Wahrheit offenbarte. „Wir beide haben es genossen, oder willst du das bestreiten?“

 

„Ja, das will ich bestreiten.“ Oh, das klang ja sehr erwachsen von ihr.

 

„Unterlass es, Granger“, ermahnte er sie mit erhobenem Finger. „Führ keinen Krieg gegen mich.“ Bevor es eskalierte, sollte er den Rückzug antreten, aber sie kam ihm zuvor. Granger war es, die das Weite suchte, Draco vor die Brust stieß und davonrannte. Er ging somit als Sieger dieses Gesprächs hervor, aber so wirklich konnte er seinen Sieg nicht genießen, angesichts der Angst, die sich in ihrem Gesicht ausgebreitet hatte, nachdem er ihr seinen Standpunkt vor Augen führte. „Scheiße“, murmelte er er der Wand entgegen, an die er herangetreten war, seinen Unterarm dagegen legte um folglich seine Stirn darauf zu betten und zum Boden zu sehen. Erst jetzt folgte die ersehnte Resignation. Er – Draco Malfoy – hatte Granger verloren. Die Frau, die er liebte... „Es ist hoffnungslos“, hauchte er verbissen, ehe er seinen Kopf zur Seite neigte, wo seine grauen Augen – nachdem er die blonden Strähnen aus dem Gesicht blies – nichts weiter erspähten, als den leeren, tristen Schulkorridor.

 

 
 

~*~

 

Bei Merlins Bart, Hermine lief. Immer weiter, bis ihre Energie versiegt war und sie zwang, eine Verschnaufpause einzulegen. Sie japste nach Luft, während ihre Hand auf der Mauer landete und ihr Körper nach vorne gebeugt war. Das letzte Mal, dass sie so schnell gerannt war, lag schon ein paar Monate zurück, als sie damals vor den Greifern im Wald geflüchtet waren und doch eingefangen wurden, um sie anschließend nach Malfoy Manor zu bringen. Grundgütiger, Hermine dachte, ihre Lungen würden jeden Moment kollabieren, bis sie beschloss, durch die angrenzende Tür zu flüchten, hinter der sie sich ungesehen ausruhen konnte.

 

Erst im Innern des Raumes bemerkte sie, wo sie gelandet war, nachdem sie sich erschöpft gegen das schwere Holz lehnte – in der Mädchentoilette im zweiten Stock. Dort, wo Myrte vor fünfundfünfzig Jahren gestorben war und seither dazu verdammt war, in den Toiletten ihr Unwesen zu treiben. Und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

 

Aber natürlich. Myrte!

 

Harry hatte ihr erzählt, dass er Malfoy im sechsten Schuljahr hier angetroffen hatte – weinend, mit Myrte, woraus er schließen konnte, dass Malfoy öfters dort gewesen sein musste, anlässlich der Vertrautheit zwischen Myrte und dem Slytherin. Harry selbst war schockiert, als er Lucius' Erben weinend vor dem Waschbecken vorfand, nicht wissend, was mit ihm los gewesen war. Allerdings konnte er nicht viel darüber in Erfahrung bringen, da Malfoy ihn nach seiner Entdeckung unverzüglich angriff – Harry jedoch derjenige war, der Draco mittels des Sectumsempra-Fluches lebensgefährlich verletzte und es Snape zu verdanken war, dass Malfoy überlebte.

 

Umsichtig stieß sich die Gryffindor-Schülerin von der Tür ab, mit leisen Schritten passierte sie den kurzen Gang zu den Kabinen und doch blieb sie nicht unbemerkt. Augenblicklich ertönte Myrtes glockenhelle Stimme.

 

„Wer ist da?“

 

Wasser spitzte zu Boden und auch gegen das grün gestrichene Holz der Toilettenkabine – was äußerst selten und für einen Geist schwer zu bewältigen war, bezüglich der leeren, unsichtbaren Hülle, die einen Geist umgab. Bedächtig kam Hermine um die Ecke, wo sie unweigerlich Myrtes durchsichtige Hülle auf der Fensterbank sitzen sah, den Blick zum Wasserbecken gerichtet – unter dem sich der Eingang zur Kammer des Schreckens befand.

 

„Hallo Myrte“, grüßte Hermine freundlich, bevor sie um die Ecke trat und der Geist ihre Erscheinung musterte. Durch das Fenster strahlte das Sonnenlicht, das Hermine in goldgelben Farben tauchte. Selbst ihr Haar wirkte heller. Gleichzeitig fragte sich Hermine, wie Myrte bloß in dieser Toilette bleiben konnte, wo sie hier doch den Tod fand? „Du erkennst mich bestimmt nicht mehr, oder?“

 

„Denkst du?“, erwiderte das Mädchen und schob ihre dicke Brille den Nasenrücken hinauf.

 

„Viele Jahre sind vergangen, seit ich das letzte Mal hier gewesen war.“

 

„Ich weiß, wer du bist.“ Inzwischen hatte sich das Mädchen erhoben und schwebte langsam auf die lebende Schülerin zu. „Viel Besuch bekomme ich ja nicht, deswegen vergisst man die wenigen Gesichter nicht, Hermine Granger“, beklagte sie nachfolgend, während dicke Tränen unter ihrer Brille hervorquollen, die stumm zu Boden tropften.

 

„Das tut mir leid, Myrte.“ Ihr tat es tatsächlich leid. Wie verbittert war Myrte geworden? Es musste ein zähes, langweiliges Leben sein, wenn man ständig dieselben Räume sah und das Schloss nicht verlassen durfte. „Ich hoffe, meine Anwesenheit stört dich nicht?“

 

„Nein, auch wenn ich dachte, du seist jemand anderes.“

 

„Hast du einen Jungen erwartet?“, fragte Hermine interessiert. Ob Myrte immer noch auf Malfoy wartete, obwohl ihre letzte Begegnung schon zwei Jahre zurücklag? Andererseits: Was sollte Myrte sonst tun? Nachdem sie in die Toilettenräume verbannt wurde – herbeigeführt durch die Geisterbehörde, weil sie ihre damalige Klassenkameradin Olive Hornby tyrannisierte –, hatte sie genügend Zeit, um auf jemanden zu warten.

 

„Das ist eine Mädchentoilette“, proklamierte der Geist mit zusammengekniffenen Augen. „Oder“, fügte sie geheimnisvoll hinzu und schaute verlegen von links nach rechts, „stand ein Junge vor der Tür? Ein blonder Junge?“ Ohne auf Hermines Bestätigung zu warten, schwebte sie verheißungsvoll zur Tür, ihre Hände derweil ineinander geschlungen, die sie anschließend vor ihren verschmitzt grinsenden Mund hielt.

 

„Redest du von Draco Malfoy?“

 

„Kennst du ihn?“, hauchte der Geist, nachdem ihr die Frage gestellt wurde und sie daraufhin eilig zu Hermine zurückgeflogen kam. „Stand er vor der Tür?“

 

„Nein, Myrte, aber ich kenne ihn. Draco Malfoy war vor zwei Jahren mehrmals hier gewesen, nicht wahr?“

 

„Ja“, teilte Myrte ihr mit traurigem Blick mit, ehe die weiße Geisterhand über das schluchzende Gesicht rieb – hinauf zu den tränenden Augen. „Ja, er war bei mir.“

 

„Warum? Wie kam es dazu, dass ihr euch kennengelernt habt?“ Myrte sah Hermine daraufhin verunsichert an – nicht sicher, ob sie davon erzählen durfte. Schließlich konnte man daraus schlussfolgern, dass ein Junge hier gewesen war – in den Räumlichkeiten der Mädchentoilette! Allerdings schien es dem Geist aber auch eine Freude zu bereiten, dass jemand hier war, der sich mit ihr unterhalten wollte. Scheinbar wog sie ab, was sie tun sollte und Hermine gab ihr die Zeit.

 

„Wir haben uns hier kennen und lieben gelernt. Aber er kann seine Liebe zu mir nicht wirklich zeigen, deswegen halten wir es geheim, weißt du?“, flüsterte Myrte hinter vorgehaltener Hand.

 

Indes spürte Hermine die bittere Kälte, die von dem Mädchen ausging, das nah zu ihr herangekommen war. „Tatsächlich?“

 

„Ja. Du darfst ihn aber nicht darauf ansprechen, sonst bringst du ihn in Verlegenheit.“

 

Oh, die heranwachsende Frau musste sich wirklich beherrschen, doch trotz ihrer Bemühungen, entglitt ihr ein Kichern, das sie sofort hinter ihrer Hand ersticken wollte. „Nein, ich werde ihn nicht darauf ansprechen. Versprochen.“ Entgegen ihrer Situation und trotz der Ernsthaftigkeit bezüglich des Themas, konnte Hermine ein Lächeln auf ihren Zügen nicht verhindern. Würde Malfoy hören, wie Myrte von ihm schwärmte, würde er den Putz von den Mauern reißen, um diesen anschließend nach dem Geist zu werfen.

 

„Warum lachst du?“, kam prompt die knurrende Frage. „Glaubst du, man kann Myrte nicht lieben? Denkst du, die ewig jammernde, klägliche und weinende Myrte verdient es nicht, geliebt zu werden?“, erklang im Anschluss ihre Stimme – dieses Mal jedoch in den schrillsten Tönen, die sie als Geist aufbringen konnte.

 

„Nein, nein. Bitte entschuldige, Myrte“, versuchte Hermine sie zu besänftigen, indem sie beschwichtigend ihre Hände hob. „Du hast das wirklich rührend und sehr romantisch erzählt.“ Mit Engelszungen müsste sie auf das Mädchen einreden, wen sie etwas in Erfahrung bringen wollte. „Erzähl mir doch von dem Jungen. Er ist also zu dir gekommen?“

 

„Ja“, sinnierte sie, nachdem sie ihre ineinander gefalteten Hände vor ihr Brust hob. Plötzlich schien es, als wäre Myrte nie wütend gewesen, hinsichtlich ihres anhimmelnden Blickes, sobald sie an Draco Malfoy dachte. „Draco Malfoy hat mir seine tiefsten Gefühle und Empfindungen offenbart. Und ich habe ihn aufgefangen – soweit ich es konnte.“

 

Nun, zumindest hatte Myrte ihren Sinn für Humor nach ihrem Ableben nicht verloren. Dennoch hatte Hermine mit sich zu kämpfen, nicht noch einmal zu lachen. „Das war sehr nett von dir. Ging es ihm etwa nicht gut, oder wieso hast du ihn auffangen müssen? Sicher hat er dir erzählt, was passiert war?“

 

„Oh, ihm ging es gar nicht gut. Ihm ging es ganz schlecht, weil er schreckliche Dinge für den-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf tun sollte. Unzählige Tränen hat Draco Malfoy in meinen Armen vergossen.“

 

„Was für Dinge, Myrte?“, entkam es Hermine flüsternd. Ihre Hand klammerte sich unterdessen an die weiße, kalte Keramik des Waschbeckens. „Hat er diese Befehle befolgt?“ Merlin, es schien zu stimmen. Malfoy wollte seine Eltern, die ihm angeblich gleichgültig waren, vor dem Tod bewahren – indem er ein Risiko einging, das für ihn genauso tödlich hätte enden können. Aus diesem Grund entschied er sich, ein Todesser zu werden. Innerhalb weniger Sekunden hatte er abwägen müssen, was der richtige und der einfache Weg war, da das Leben seiner Familie am seidenen Faden hing. Hermine selbst hätte ohne zu überlegen eingewilligt, eine Todesserin zu werden, wenn das Leben ihrer Familie in Gefahr gewesen wäre. Ja, sie verstand, wieso Malfoys Entscheidung für ihn damals der richtige Weg gewesen war.

 

„Wieso willst du das wissen?“ Skeptisch verschränkte Myrte ihre Arme, neigte den Kopf ein wenig und betrachtete Hermine erwartungsvoll. „Willst du Draco auch zum Weinen bringen, wie es einst Harry Potter getan hat? Auch er kam hierher – sehr wütend und angriffslustig“, erzählte sie zornig, woraufhin ihre Wangen dunkelgrau wurden. „Das war nicht sehr nett. Auch Harry Potter muss die Gefühle anderer Menschen respektieren.“

 

„Ich möchte Draco nicht zum Weinen bringen. Ich möchte ihm helfen, verstehst du?“ Es war nicht ehrenhaft, Myrte zu belügen, aber Hermine wollte endlich die Wahrheit erfahren. Sie wollte wissen, ob Malfoy Gefallen daran hatte, der dunklen Seite zu verfallen. „Ich möchte, dass es ihm gut geht. Das willst du doch auch, oder?“ Sie schämte sich, die durchsickernde Gutmütigkeit des Mädchens auszunutzen, aber Hermine wusste sonst keinen anderen Weg.

 

„Ja. Er wollte die Befehle befolgen. Das wollte er wirklich, doch ist er letzten Endes an seiner Liebenswürdigkeit gescheitert.“

 

„Inwiefern? Waren die Aufgaben so grauenvoll?“ Auch Myrte war Malfoys falscher Seite auf den Leim gegangen. Wobei der Geist des Öfteren dazu neigte, sich willkürlich in Jungs zu verlieben. Schon im zweiten Schuljahr hatte sie Harry – ohne ihn zu kennen – ihre Toilette angeboten, sollte er in der Kammer des Schreckens umkommen. Im vierten Schuljahr hatte sie Cedric Diggory im Bad der Vertrauensschüler beobachtet und wer wusste, welchen Jungen sie noch gemustert hatte.

 

„Draco sagte immer, dass er kein Mörder sei. Er sagte, dass er die Aufgabe nicht bewältigen könnte, aber um wen es sich dabei handelte, hat er mir bis heute verschwiegen; ich denke, weil er mich beschützen will.“ Folglich wandte sie sich mit trauriger Miene von Hermine ab und schwebte zu ihrem Platz zurück, den sie anfänglich eingenommen hatte, als Hermine die Mädchentoilette betrat. Nachträglich sah sie zum Fenster hinaus und beobachtete das Schauspiel der Ländereien, auf denen sich langsam das Laub der Bäume ansammelte – wie jedes Jahr. Myrte liebte den Anblick, wenn die bunten Blätter der Bäume sanft zur Erde getragen wurden. „Er wirkte oft verlassen, musst du wissen. Ich habe versucht ihn aufzubauen, ihm Trost zu spenden, aber nachdem Harry Potter hier gewesen war, kam Draco nicht mehr zurück. Hinterrücks hat Harry ihn angegriffen – vermutlich weil er eifersüchtig auf Draco war.“

 

„Das muss schrecklich gewesen sein, nicht wahr?“

 

„Ja, es war furchtbar. Und deswegen kommt er nicht mehr, weil er Angst hat, dass Harry ihn wieder schwer verletzt!“, feuerte Myrte wütend in Hermines Richtung. Gleichlaufend plusterten sich ihre dunkelgrauen Wangen auf, während sie ihren emotionalen Ausbruch fortführte: „Natürlich wollte ich ihm helfen, aber... ich konnte nicht. Ich konnte das viele Blut nicht aufhalten. Ich habe es versucht – immer wieder, aber es floss durch meine Finger!“, wisperten ihre bebenden Lippen. „Erst durch meinen Aufschrei kam einer der Professoren. Jemand mit langen, schwarzen Haaren und einer Hakennase.“

 

„Professor Snape“, flüsterte Hermine, so dass das Mädchen sie nicht hörte. Aber noch etwas fiel Hermine auf: Myrte lag wirklich etwas an Malfoy. Das konnte sie in dem durchsichtigen Gesicht sehen. Myrtes Augen schwammen in einem Meer aus Tränen, als sie über Malfoys Verletzungen sprach und wieder mit ihrer Hilflosigkeit als Geist konfrontiert wurde. „Myrte, soll ich Draco zu dir schicken, wenn ich ihn wieder sehe?“ Sie würde ihm tatsächlich den Vorschlag unterbreiten, sofern sie je wieder mit ihm sprechen würde. Zwar wusste sie nun, dass er nie wirklich ein Todesser sein wollte, aber das änderte nichts daran, dass seine Charakteristika übersät von bösen Zügen waren. Hinzu kam ihr Stolz, der ihr verbot, einen Schritt auf ihn zuzugehen.

 

„Das würdest du tun?“ Neue Hoffnung keimte in der hüllenlosen Gestalt auf, als sie ihre Brille erneut über ihren Nasenrücken nach oben schob.

 

„Wenn du das möchtest?“ Hermine glaubte ihr. Wieso auch nicht? Malfoy hatte sicher nicht grundlos in ihrer Anwesenheit geweint, zumal Harry ebenfalls Zeuge dieser bizarren Situation gewesen war. Myrte untermauerte Harrys Aussage und welchen Grund hätte Malfoy, einen Geist zu belügen?

 

„Denkst du, dass er kommen wird?“

 

„Ich weiß es nicht, Myrte. Aber wenn es dir wichtig ist, werde ich ihm sagen, dass er zu dir kommen soll.“ Hermine würde ihr Wort halten, da sie Malfoys angewiderten Blick – der despektierlich zur Seite gerichtet wäre – in vollen Zügen genießen würde.

 

Lächelnd blickte Myrte auf ihre Hände, die mittlerweile in ihrem Schoss lagen. „Das ist lieb, aber das musst du nicht.“

 

Überrascht, angesichts der Reife, die der Geist gerade an den Tag legte, hoben sich Hermines Augenbrauen. „Nicht?“

 

„Nein“, erwiderte sie und sah wieder zum Fenster hinaus. Würde Draco sie sehen wollen, wäre er schon lange zu ihr gekommen. So war unmissverständlich klar, dass er sie anscheinend nicht so mochte, wie sie ihn.

 

„Okay.“ Kurz überlegte sie, wie sie sich von dem Geist verabschieden konnte. „Ich muss aber jetzt leider gehen. Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, Myrte.“ Obwohl sie Hermine nicht ansah, hob die junge Gryffindor die Hand zum Gruß und gerade als sie sich umdrehte, hielt sie inne, nachdem Myrte abermals das Wort an sie richtete.

 

„Ich danke dir, Hermine.“ Auch sie überlegte kurz, wie sie die nächsten Worte ausdrücken konnte. „Dafür, dass du die ganze Zeit Myrte gesagt hast, statt auf die albernen Namen zurückzugreifen, die man mir sonst gibt.“

 

„Gern geschehen.“

 

Abschließend erhob sich das durchsichtige Mädchen ruckartig und verwandelte sich in die kichernde Myrte, die lachend in ihrem Rohr verschwand. Auch Hermine verließ die Mädchentoilette – allerdings mit einem neuen Eindruck über Malfoy und... auch über Myrte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Salada
2018-05-13T18:06:32+00:00 13.05.2018 20:06
Und auch hier ein dickes Lob.
Ich weiß gar nicht, wieso hier nicht mehr Kommentare sind, weil die Story echt spannend ist und ich hoffe, du bringst sie zu ende ;)
Hier konnte man Gott sei Dank auch mal erfahren, wie Hermine sich fühlt. Zum Glück, wie ich finde, hat sie ja immer noch Gefühle für Draco, da dieser aber ja, wie er nun mal ist, sich wie ein Arsch verhält macht es die ganze Situation natürlich umso knisternder (in mehrer Hinsicht) ;)
Ich hoffe ja, dass vll Daphne noch etwas Unruhe stiften wird oder du überraschst und mit etwas anderem, was die Beiden wieder näher zusammen rücken lässt ;)
Freue mich schon tierisch
LG Salada

Antwort von:  Dracos-Princess
05.06.2018 18:54
Da bin ich nochmal x)
Ich kann es dir leider nicht beantworten. Vielleicht schreckt das "adult (sex)" die Leser ab? Vielleicht möchte das viele Leser nicht lesen? Das wäre zumindest meine Vermutung, was ich auch schade finde, weil ich mich immer über die Ansichten meiner Leser freue. Ihr seht ne Geschichte immer anders als der Autor selbst - da ist es immer für mich extrem spannend, zu wissen, wie ihr die Dinge seht.

;) Ich kann Hermine verstehen... In meiner Schulzeit hatte ich auch so einen "Draco." Und ich würde glatt behaupten, dass jeder so einen "Draco" hatte/kannte. Aber wie dem auch sei (ich stürze mich gerne in Abgründe von Details xD), jedenfalls verstehe ich Hermines Vehemenz, an der Draco erkennen wird, dass ihm eben nicht alles in den Schoß fallen wird. Oft erkenne ich mich in Hermines Verhalten selbst und ich gebe zu, dass sie - was Lucius' Vergehen angeht - übertreibt, aber ich selbst würde wohl genauso reagieren. Mir ist nämlich etwas in Hermine aufgefallen. Zuvor muss ich erwähnen, dass The Warning ja schon fertig geschrieben ist. Schon lange, aber ich sie eben komplett überarbeite, Logikfehler ausbessere und auch die Rechtschreibung überarbeite (sowie diverse Sätze) und ich bin eine Autorin, die nie gerne ihre Geschichten zwei Mal liest - vermutlich weil man sich mit der Story, als man sie geschrieben hat, zu lange beschäftigte. Aber heute bin ich älter und es ist mir sehr deutlich in Hermine aufgefallen. Man webt eigene Eigenarten in eine Geschichte mit ein. Man verbindet oft ein Charakter mit sich selbst und lässt ihn so handeln, wie man es selbst eventuell tun würde.

Meine liebe Salada, ich bin immer gerührt, wenn ich von dir lese. Hab ganz lieben Dank, dass du mir so fließig und so viel immer schreibst. Ich freue mich jedes Mal :)

Laura


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