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ageha no hane

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In Joy And Sorrow

Hey~ho ^___^
 

Da bin ich wieder - und schon ist ageha no hane - Kapitel 1 online ^.^ So, vorab wiederhole ich noch einmal, diese Story ist nicht wie üblich nur auf Dramatik und eine Romanze aus [*lach* ja, das geht auch..], sondern baut im Laufe der Zeit eine leichte Mystery-Stimmung auf - soll sie zumindest ^^; - ich hoffe, es wird euch gefallen. Insgesamt läuft die Geschichte auf 23 Kapitel hinaus, hat 125 Word-Dokument Seiten, soll heißen, eine Menge Lesestoff ^___^

Ich würde mich über Kommis sehr freuen, allein um abzuschätzen, ob sich das Hochladen lohnt~

Dann vielen Spaß beim Lesen des ersten Kapitels!
 

Tisara
 


 

Chapter 1 - In Joy And Sorrow
 

~~
 

Das erlösende Geräusch eines Gongs hallte durch die unzähligen Flure, Räume und Stockwerke des Schulgebäudes, stimmte damit das Wochenende ein. Die Stimmen der Lehrer verstummten, im Ausgleich dazu aber begannen jene der Schüler munter zu plaudern, während sie ihre sieben Sachen zusammenräumten, verwandelten die High School damit in ein Wespennest.

Ein Junge von achtzehn Jahren packte erleichtert seine Schultasche, schulterte sie, wobei er sich noch in derselben Bewegung ein paar der blonden Haarsträhnen aus den Augen strich. Langsam verließ er den Klassenraum, im Gegensatz zu den meisten anderen Schülern hatte er es nicht eilig, die Schule zu verlassen - so wenig er sie auch mochte.

Seine kugelrunden, braunen Augen schweiften aufmerksam die Schulkorridore entlang, erfassten die Menschen in ihnen. Es war kaum ein bekanntes Gesicht darunter, dennoch war diese Art der Beobachtung nahezu ein Ritual für ihn.

Ein sanfter Schlag auf die Schulter unterbrach die Gedanken des Jugendlichen ruckartig, ein Schlag gefolgt von einer mitteltiefen, fröhlichen Stimme: "Na, kawaii-mono, wie ist das Befinden?" Ein gespielt ärgerlicher Blick. "Wann werde ich es dir endlich abgewöhnen, mich als kawaii-mono zu bezeichnen?", fragte er, nicht annähernd so genervt, wie er klingen wollte. Der Anblick des freundlichen Gesichts, umrahmt von feuerroten, relativ kurzen Haaren, hob seine Laune grundsätzlich - da konnte der Größere sagen, was er wollte.

Jener verdrehte nun gekonnt die Augen und entgegnete theatralisch: "NEIN, wie konnte ich nur? Nun, Niimura-san, wie steht's?" "Gar nicht." Der Rothaarige blinzelte verdutzt. Bis er verstand, was diese Bemerkung zu bedeuten hatte, vergingen ein paar Augenblicke, in denen sie nebeneinanderher schlenderten und das Schulgebäude langsam verließen.

Mit einem munteren Lachen verpasste er dem kleinen Blonden einen Rippenstoß. "Kyo~", grinste er. "Eigentlich wollte ich bloß wissen, wie es dir geht, aber interessant, auch das zu wissen." Der mit Kyo titulierte Junge sah zu ihm auf und blinzelte. "Was denkst du nur wieder von mir." Sarkastisch. Vielleicht geradezu zynisch. Und doch klang die Antwort nicht unfreundlich.

Kyos Gesprächspartner ächzte. "Himmel, eine Unterhaltung mit dir ist immer wieder ein Erlebnis. Kannst du nicht einmal so antworten, wie es ein normaler Mensch auch täte?" Kyo hob die Augenbrauen an. "Was denn, bist du meiner Art überdrüssig, Die?", feixte er.

"Nicht doch!", widersprach Die hastig, erst danach dämmerte ihm, dem Kleineren erneut in die nicht als jene identifizierbare Falle gegangen zu sein. "Ach, du kannst mich echt mal gern haben, du baka.", maulte er und vergrub die Hände in den Hosentaschen.

Kyo sah ihn lange von der Seite an. "So schnell gibst du gewöhnlich nicht auf.", bemerkte er, es klang beiläufig. "Na und?" "Es ist die verpatzte Matheklausur, was?" Die zuckte innerlich unwillkürlich zusammen. Woher zum Teufel...

"Du bist unheimlich, Kyo.", beschwerte er sich. "Was, weil dein Gesicht ein Buch ist, bin ich unheimlich?" Kyo lächelte leicht und schüttelte den Kopf, um sich von ein paar nervigen Strähnen seines gelbblonden Haars zu befreien.

Jenes Lächeln war es - darauf hatte Die gewartet. "Na gut, ich geb's ja zu. Ich hab sie wirklich in den Sand gesetzt, wie vermutet." Er hielt seinem Freund einen Zettel unter die Nase, auf dem mehr rote als blaue Tinte wieder zu finden war.

Kyo begutachtete das Papier kritisch. "Manchmal frage ich mich ernsthaft, wo du während der Klausuren deinen Kopf hast.", merkte er an. "Die Aufgaben sind teils echt zu simpel für diese niederschmetternde Note..." Er reichte Die das Blatt zurück.

"Mou, danke... Eigentlich wollte ich, dass du mich aufheiterst." "Hm." Kyo dachte nach. "N Zwischenstopp bei McDonalds vielleicht?" Die grinste auf jenen Vorschlag hin. "Das klingt schon besser." Er hakte sich bei dem 1,60m-großen Jungen ein und zog ihn mit in Richtung seines liebsten Fastfoodrestaurants.

Den Weg dorthin füllte Daisuke Andou, Kyos bester Freund, problemlos mit seinem heiteren Plaudern, wie immer hatte er genug für drei zu erzählen. Kyo lauschte seinen Worten, kommentierte hin und wieder sarkastisch eine Aussage, schwieg ansonsten jedoch. Ebenfalls wie immer.

Die zwei Jungen mochten ein seltsames Bild auf andere Jugendliche oder Mitschüler geben; auf der einen Seite der große, schlaksige Die, stets zu Scherzen aufgelegt und allgemein ein sorgloser Charakter - zum anderen hingegen der kleine, zierliche Kyo, seiner Umwelt gegenüber verschwiegen, wenn er nicht gerade seinem angeborenen Zynismus freien Lauf ließ. Der Spaßvogel und der Sonderling. Doch so verschieden sie auf ihre Mitmenschen wirken mochten, über die vielen Jahre hinweg, die sie sich nun kannten, hatte sich zwischen den beiden eine tiefe Freundschaft entwickelt, stark genug, um ihre gegenseitige Unvollkommenheit zu akzeptieren, zugleich aber auch locker genug, um gemeinsam zu lachen.

Kyo musterte die entspannten Gesichtszüge des ihm gegenübersitzenden Jungen amüsiert. Die konnte sich herrlich zum Idioten machen - bis er es selbst erkannte, verging meist geraume Zeit; und Kyo sah nicht im Geringsten ein, ihm dabei zu helfen. Es war zu schön, über und mit seinem besten Freund lachen zu können. Der Redhead war der einzige Mensch, der ihn überhaupt zum Lachen brachte, das ließ er sich nicht nehmen.

"Was grinst du so blöd?" "Dir hängt die Sauce vom Burger im Gesicht." Eine trockene Anmerkung. Dies Augen wurden größer, ein Jammern begann. "Warum machst du mich nicht EHER auf so etwas aufmerksam, du Mistkerl?! Dauernd mach ich mich für dich zum Deppen, es ist..."

Als Die mit einer Papierserviette im falschen Teil seines Gesichts die Ketchupspuren entfernen wollte, erbarmte sich der etwas Jüngere schließlich doch und nahm ihm das Hilfsmittel aus der Hand.

"Dass du zu dumm zum Essen bist, wusste ich ja immer, wenn ich dir aber in Zukunft auch noch die Überreste aus dem Gesicht wischen soll..", stichelte er und zog am Strohhalm seiner Coca Cola.

Die äffte ihn nach und packte den Berg aus Papier und Pappe auf ihren Tabletts zusammen. "Zum Dank lade ich dich auch ein, Kyo-kun.", verkündete er und grinste ein wenig. Kyo zog die Augenbrauen zusammen. "Du brauchst mich nicht-" "Ruhe." Das klang so entschieden, dass der Jüngere ausnahmsweise einmal verstummte.

Die wusste, sein Freund hätte sich niemals auf eine Einladung eingelassen, wäre er nicht immerzu derartig knapp bei Kasse. Kyo hatte es nie zugeben wollen, auch vor ihm nicht, doch die Geldsorgen seiner Familie waren eines Tages auch für Die klar zu erkennen gewesen. Big Red war sich längst darüber im Klaren, wie wenig im Hause Niimura glatt lief, zumindest glaubte er das. Trotzdem fragte er sich immer wieder, warum Kyo es so geschickt umging, ihn mit zu sich heim zu bringen. Er konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, wann er es zuletzt geschafft hatte, seinen Kumpel bei sich anzutreffen. Doch nun war einer dieser Tage, an denen Die es erneut versuchte.

"Kyo?" "Hm?" "Kann ich vielleicht noch ne Weile mit zu dir kommen? Ich wollte meinen Eltern ungern begegnen, bevor sie heute Abend nach China fliegen, am Ende kommen sie noch auf die Idee, mich nach Mathe zu fragen... Dann war's das mit drei Wochen sturmfrei und sie lassen doch meine Großmutter bei uns einziehen, damit die mich zum Lernen verdonnert."

Kyo sah ihn einen Moment lang schweigend an. "Ehm, das ist schlecht.. Meine Mutter ist ein wenig krank und ..." "Okay.", räumte Die schnell ein. Einen Versuch war es immerzu wert, doch er wollte Kyos Gastfreundschaft auf keinen Fall erzwingen. Was auch immer der junge Blonde zu verbergen versuchte - eines Tage bekam er es schon noch heraus...
 

~~
 

Er schlüpfte aus den Schuhen, schloss leise die Tür hinter sich. Der kleine Flur lag im Halbdunkeln, warf ein graues Licht auf die wenigen Gegenstände, die sich innerhalb des Raumes befanden.

Kyo blieb kurz stehen, versuchte, die Laute zu orten, die an seine Ohren drangen. Ein kaum hörbares Schluchzen, das sein Herz sinken ließ.

Nicht schon wieder...

Der Junge betrat schweren Schrittes die Küche, steuerte auf die zierliche, kleine Person zu, die mit dem Rücken zu ihm stand, aus dem Fenster sah, dabei den schmalen Oberkörper mit den eigenen Armen umfasste.

"Mama." Sanft und vorsichtig war das Wort über seine Lippen gekommen, ehe er hinter der Frau zum Stehen kam, ihr behutsam eine fragile Hand auf die bebende Schulter legte.

Das Gefühl, sein Herz müsse zerreißen, als die Frau sich mit einem nicht überzeugend gespielten Lächeln zu ihm umdrehte, versuchte, die unübersehbaren Tränen hinter diesem falschen Lächeln zu verstecken.

Kyo traf ihren Blick, nicht fähig, dabei die Besorgnis aus seinen Augen zu bannen. Dies musste es gewesen sein, was sie zu neuen Tränen anregte. Vertrauensselig lehnte seine Mutter sich an ihn, schluchzte leise weiter.

Der Knoten zog sich fester.

Mit einem lautlosen Seufzen schloss Kyo die Arme um sie, streichelte durch das matte, schwarze Haar. "Was ist denn los...?", fragte er nach einer Weile vorsichtig. Sie antwortete nicht auf die Frage. Dennoch war es ihm klar. "Er?", hakte er weiter nach. Nicht, dass er in den Wunden stochern wollte, nein, er musste es einfach wissen. Das leichte Nicken, ein paar erstickte Worte - sie bestätigten seinen Verdacht.

Mit der mühsam aufgebrachten Heiterkeit, die Kyo nun an den Tag legte, schaffte er es in gewisser Weise, seine Mutter auf andere Gedanken zu bringen. Ein paar der Geschichten, die Die ihm zuvor erzählt hatte, eine Eins in der Japanischklausur. Niimura-san war sich bewusst darüber, dass ihr Sohn die guten Noten nicht heimbrachte, weil ihm die Schule leicht fiel oder gar Spaß machte. Es war die Freude, die seine Leistungen ihr bereiten sollten.

Nach einem langen Gespräch, in dem seine Mutter sich alles von der Seele geredet hatte, griff Kyo nach seiner Tasche und meinte: "Ich muss noch lernen." Damit wollte er die Küche verlassen. "Schatz." Ein Hand, die liebevoll die seine umschloss. "Es tut mir leid."

Ein langer Blick. "Es sollte nicht dir leid tun.", erwiderte Kyo ruhig und ließ seine Mutter zurück.

Nicht dir. Ihm...

Kaum, dass er sein kleines Zimmer betreten hatte, fiel die aufgesetzte Stärke und Ruhe von dem Achtzehnjährigen ab. Mit einem entnervten Seufzen setzte er sich auf das Fensterbrett, starrte hinaus, die zwölf Stockwerke hinunter auf die belebte Straße, die sich im Abendverkehr befand.

Er lehnte die schmerzende Stirn gegen das kühle Glas, beobachtete die Menschen außerhalb seiner Welt. Seiner Welt, die einem Kampffeld glich, einem stillgelegten. Noch zumindest...
 

~~
 

Mit offenen Augen sah er in die Dunkelheit, betrachtete die Schatten an der Zimmerdecke. Es drangen Geräusche zu ihm ins Zimmer herein, zweierlei Stimmen. Die eine krampfhaft gedämpft und klagend, die andere laut und aufgebracht.

Kyo drehte den Kopf nach rechts, erfasste die roten Ziffern seines Radioweckers. Längst funktionierte der Wecker selbst nicht mehr, doch immerhin zeigte er die Uhrzeit noch an, das war alles, was er benötigte.

Zwei Uhr. Himmel, habt ihr um diese Uhrzeit nichts besseres zu tun, als euch Vorwürfe an den Kopf zu knallen?! Ist es so schwer, nur eine Nacht friedlich zu schlafen?

Er überlegte. Natürlich konnte er aufstehen, in das Wohnzimmer platzen und seine Eltern damit in ihrem Streit unterbrechen. Sein Vater würde aufhören, seine Mutter anzuschreien, sich stattdessen mit ihm beschäftigen. Dann hätte sie für den Rest der Nacht Ruhe. Doch es ging nicht. Kyo brachte die Kraft nicht mehr auf, genau dies zu tun, die Aufmerksamkeit, all die negativen Gefühle auf sich zu lenken. Zu strapaziert waren seine eigenen Nerven.

Es dauerte nur noch wenige Minuten, bis das Geräuschszenario verstummte. Scheinbar waren sie endlich zu Bett gegangen. Dem Himmel sei Dank.

Kyo atmete tief durch, stieg aus dem Bett, schlüpfte in seine Jeans und eine Bluse. Niemand würde mehr bemerken, dass er die Wohnung verließ. Vermutlich ebenso wenig wie während des Streits - genau genommen achtete man in seiner Familie ohnehin nur auf ihn, wenn es einen neuen Streitfaktor zu finden galt.

Sei nicht ungerecht. Sie liebt dich, das weißt du...

Doch trotz des Bewusstseins drängte sich ihm eine andere Stimme in seinem Inneren auf, die ihn auf andere Dinge aufmerksam machte.

Wieso ist sie dann nicht einmal stark genug, an dich zu denken? Sie quälen dich beide auf ihre Weise.

Kyo schüttelte den Kopf, atmete die milde Nachtluft ein. Der kleine Blonde spazierte langsam die deutlich leereren Straßen Tokyos entlang, auf dem direkten Weg seinem Lieblingsplatz entgegen.

Jener war ein kleines Waldstück, meist gänzlich unbesucht. Ein Teil unberührter Natur und untrügerischer Harmonie - das, was er in seinem eigenen Leben am meisten vermisste.

Kyo erreichte "seine" Lichtung, den Ort, an den er flüchtete, wann immer er nur konnte. Dies Zuhause und dieser Platz waren die einzigen Flecken auf dieser Welt, die ihn seine Probleme vergessen ließen, ihn ein stückweit glücklich machten.

Er ließ sich rückwärts in das kühle Gras fallen, um in den Himmel zu starren. Der Mond zeigte sich voll und rund am schwarzen Himmelszelt, begleitet von unzähligen Sternen. Erneut übte das silbrige Licht des Himmelstrabanten eine beruhigende, melancholische Macht auf ihn aus.

Kyo seufzte leicht und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Es war schade, dass er nicht jede Nacht hierhin fliehen konnte - doch innerhalb der Woche wollte er sich des Nachts nicht nach draußen begeben, zu übermüdet wäre er dann am darauf folgenden Morgen zur Schulzeit.

Plötzlich glaubte er, ein leises Geräusch, kaum hörbar, zu vernehmen. Kyo sah sich um. Als seine Augen das kleine Lebewesen visierten, stöhnte er unwillkürlich.

Das auch noch...

Er setzte sich auf, verfolgte das sanfte Flügelschlagen des Schmetterlings aus den Augenwinkeln. Der Schwalbenschwanz. Er flatterte um ihn herum, landete schließlich auf seinem angezogenen Knie.

Kyos Augen weiteten sich ein wenig, als er eine weitere Präsenz hinter sich vernahm. Doch es war nicht die eines Tiers, es fiel ihm schwer, sie überhaupt zuzuordnen. Die Neugier überwog letztendlich aber dennoch, sodass er den Kopf zur Seite drehte, zurückblickte.

Für die nächsten Augenblicke schien die Zeit stillzustehen.

Kyo fühlte sich gebannt von dem Anblick einer großen, schlanken Erscheinung, die nur wenige Meter von ihm entfernt gegen einen Baum lehnte, ihn beobachtete. Ein junger Mann, vielleicht zwei, drei Jahre älter als er selbst, und doch schienen Welten zwischen ihnen zu liegen. Dieser junge Mensch wirkte erschreckend erwachsen, umgeben von einer Aura, die ihn so vernünftig und klug zugleich erscheinen ließ, dass es unnatürlich wirkte. Des Weiteren war er gänzlich in Schwarz gekleidet, ein langer Mantel bedeckte den Rest seiner Kleider.

Ein Schaudern. Welcher Mensch trug bereits im Spätsommer einen schwarzen Mantel zu einer schwarzen Schlaghose - war so blass und schlank, umrandete seine Augen tief mit schwarzem Kajal - und sah dabei so anmutig und schön aus?

Das Wesen, Kyo mochte es nicht mehr als Mensch titulieren, stieß sich von der Eiche ab und kam mit einem Lächeln auf ihn zu. Ein seltsames Lächeln, das nicht fröhlich war, dennoch eine positive Ausstrahlung auf die düstere Schönheit warf.

"Hey." Die Worte erreichten ihn, bevor er sah, wie die Lippen sich bewegten. Eine tiefe, ruhige Stimme, von einem freundlichen Klang begleitet.

Kyo blinzelte ein paar Mal, vielleicht glaubte er, nach dem erneuten Öffnen seiner Augen aus einem Traum zu erwachen - so unwirklich erschien ihm der junge Mann hier, auf dieser Lichtung, im Mondlicht.

"Hm..", erwiderte er nach einer Weile. Die Gestalt hockte sich zu ihm hin, lächelte erneut. "Ein schönes Tier." Kyo richtete seinen Blick nieder auf sein Knie, stutzte. Der Schwalbenschwanz war verschwunden.

Erneut sah er auf in die dunklen Augen, die weiter undurchdringlich auf ihn gerichtet waren. "Solltest du nicht schlafen?" Kyo runzelte die Stirn. "Es ist Wochenende.", merkte er an, vermochte sich seines gewohntem Sarkasmus' nicht zu bedienen.

Ein leichtes Lachen, düster und dennoch sanft. "Fühlst du dich unwohl?" Kyo spürte den amüsiert musternden Blick, der auf ihm ruhte. Der kleine Blonde bewegte ein paar Mal die Lippen, ohne dass ein Ton dabei heraus kam. Er wusste nichts zu erwidern.

"Was wollen Sie von mir?", fragte er schließlich wachsam, ohne dabei unfreundlich zu klingen. Der andere blinzelte leicht. "Überhaupt nichts.", erkannte er ehrlich. "Ich habe mich nur gefragt, wer außer mir noch so seltsam ist, um diese Uhrzeit in einem Wald zu sitzen und den Mond anzustarren."

Kyo spürte, wie sich seine Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln verzogen. Er hob den Kopf wieder an, um Luna weiter zu betrachten. "Ich sitze oft hier."

Warum die Worte gefallen waren, wusste Kyo nicht sicher. Vielleicht nur, um das eigenartige Gespräch aufrecht zu erhalten. Einen anderen Grund konnte er sich nicht erdenken, erzählte er doch aus Prinzip nichts von sich.

Der Ältere besah das Gesicht im Profil lange schweigend. "Erlaube mir die Bemerkung - du wirkst sehr angespannt." Mit Staunen in den Augen setzte Kyo sich vernünftig auf, begutachtete das helle, schöne Gesicht. "Das bin ich immer.", murmelte er mit schließlich wieder abgewandtem Blick.

Da war es schon wieder. Er sprach von sich. Erzählte von sich. Einem Wildfremden.

Ein verständnisvolles Lächeln. "Ich kenne das.", versicherte die ruhige Stimme kompetent. Wieder herrschte Stille zwischen ihnen, sie starrten einfach gemeinsam hinauf in den Himmel, ließen sich von der Schönheit des Mondes gefangen nehmen.

Kyo hörte Geräusche, leise Geräusche von überall, ignorierte sie jedoch. Warum auch immer, diese Atmosphäre war etwas, das er nicht zerstören wollte. So unklar und nicht vorhanden - und dennoch so perfekt.

Er wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte, doch mit einem Mal erhob sich sein Gegenüber, einen intensiven Blick auf den feinen Zügen. Er sah auf die Uhr, meinte dann leise: "Ich gehe, bald wird es hell." Kyo sah auf in die glänzenden Lichter, die ihn gefangen genommen hatten. "Ano.. schön, dich kennen gelernt zu haben.", bemerkte er, passte sich dabei der Lautstärke seines Gesprächspartners an.

Ein weiteres attraktives Lächeln. "Die Freude ist ganz meinerseits. Bis zum nächsten Mal, Kyo..." Stumm verfolgte Kyo, wie die Gestalt sich langsam entfernte. Hatte er sich vorgestellt? Er konnte sich nicht mehr erinnern - seit dieser junge Mann so urplötzlich hinter ihm aufgetaucht war, wusste er nicht mehr, was er gesagt oder getan hatte.

"Hey!!!", rief er wie aus Reflex. Ein Wenden. "Darf ich deinen Namen wissen?" Er konnte das Lachen im Inneren der dunklen Figur förmlich hören. "Nenne mich Toshiya..."
 

~~
 

tbc..

Akai Tsuki

Hey~
 

da scheinbar noch nicht allzu viele Leute mitbekommen haben, dass das erste Chap on ist, lege ich einfach schon mal das 2. nach ^.~ Und hoffe auf weitere Begeisterung - freut mich, wie viel Anklang bereits das erste Kapitel finden konnte ^.^

Btw: mir ist klar, dass die Art, wie ich Toshiya darstelle, durchaus nicht der bei animexx-Usern bekannten und beliebten Art gehört, doch ich möchte eine völlig neue Figur schaffen ~ die sicherlich nicht Toshiya von Dir en grey entspricht, die ich persönlich aber sehr interessant finde und schätze.. ^^

Okay, nun aber viel Spaß beim Lesen von Chapter 2 - Roter Mond...
 

Chapter 2 - Akai Tsuki
 

~~
 

"... findest du etwa nicht?"

Kyo nickte nachdenklich, spielte geschickt mit einem Bleistift. Die, bestätigt durch diese kleine Geste, murrte weiter: "Übers Wochenende muss man nun wirklich nicht so endlos viele Aufgaben bekommen, als ob wir nichts besseres zu tun hätten, wer will schon das ganze Wochenende über mit Lernen beschäftigt sein?! Ich kriege meine Mathehausaufgaben nie fertig!"

Ein Heft wurde ihm hingehalten. Die zog fragend die Augenbrauen hoch. "Schreib sie ruhig ab." Der Rotschopf machte große Augen. "WIE, hast du etwa die ganzen Aufgaben schon fertig? KYO, es ist Samstagvormittag. Zuletzt habe ich dich gestern spätnachmittags gesehen. Wann zum Teufel hast du sie gemacht?"

Kyo zuckte mit den Schultern. "Gestern Abend.", meinte er abwesend und starrte auf die Bleistiftmiene. "Hatte nicht mehr allzu viel zu tun." Die stöhnte unterdrückt. "Ich glaub es nicht, hatte nichts besseres zu tun, als Matheaufgaben zu rechnen...", meuterte er fassungslos und blätterte auf die richtige Heftseite. Kami-sama, das sah auch noch so verräterisch richtig aus...

"Kyo?" "Nan da?" "Wie machst du das?", wollte Die wissen, schrieb dabei die ersten Aufgaben hastig in sein Heft. Allzu lang wollte er sich nicht damit aufhalten. "Was?" "Deine Noten. Wie schaffst du das?"

Gleichgültiges Achselzucken. "Ich lerne einfach. Auch, wenn ich absolut keinen Bock habe." Die betrachtete ihn. "Komisch. Das passt überhaupt nicht zu dir. Sonst zickst du doch sofort, wenn dir irgendwas quer kommt."

Ich weiß... Ich will doch nur, dass sie nicht auch noch mit mir Kummer hat..

Minuten später schlug Die das Heft zu, schielte auf Kyos beschriebene Seiten. "Was ist das schon wieder?", wollte er in Erfahrung bringen, verrenkte sich beinahe den Hals bei dem Versuch, die Überschrift zu entziffern.

Beide Jungen saßen in der geräumigen Wohnküche der Familie Andou - noch am Vorabend waren Dies Eltern auf eine Geschäftsreise gegangen, gen China geflogen. Es kam oft vor, dass sie weite Reisen zu bestreiten hatten; in jenen Zeiten lebte Kyo quasi bei Die, ging nur zum Schlafen heim. Daher spielte sich in Kyos Innerem gewöhnlich immer ein kleines Feuerwerk der Freude ab, sobald Die etwas von einer erneuten Geschäftsreise erwähnte.

"Der Aufsatz für Geschichte." "Wie viel sollten wir schreiben?" "Drei Seiten." "HIMMEL, gleich drei? Was sollen wir denn da alles breitquatschen?" Kyo grinste leicht, es war das erste Mal, dass sein bester Freund ihn an diesem Vormittag grinsen sah. "Hättest du dir im Geschichtskurs ein paar Notizen gemacht, wüsstest du das jetzt.", stichelte er. "Deswegen sollte es mir theoretisch egal sein. Da du aber wieder eine ungenügende Hausaufgabe abliefern und mir die Ohren volljammern wirst, wenn ich das so handhabe, kannst du meine Notizen nutzen, sobald ich fertig bin."

Ein Lächeln breitete sich auf Dies Zügen aus. "Womit hab ich deine Freundschaft verdient?", fragte er voller Zuneigung. "Du bringst mich zum Lachen und lenkst mich ab von meiner eigenen Komplexität." Für Kyo schien das Antwort genug zu sein, im gleichen Augenblick schlug er auch sein Heft zu. "Etto...", fing Die zögerlich an. "Glaubst du eigentlich, es fällt nicht auf, wenn wir dieselben Notizen verwenden?"

"Sicher nicht. Dein Aufsatz wird ja doch grausig schlecht.", prophezeite Kyo trocken und bekam dafür Dies Matheheft an den Kopf. "Wichser." Kyo grinste erneut. "Was denn, du etwa nicht?" Eine Sekunde brauchte Die, um dieses Argument zu verstehen, doch dann schlug er dramatisch die Hand vors Gesicht. "Nein, womit hab ich diesen grauenvollen Humor verdient?!" "Weil du ihn liebst."

Die, die Ellenbogen auf der Tischplatte abgestützt, verschränkte seine Finger ineinander und legte sein Kinn darauf. Mit einem langen Blick auf Kyo nickte er leicht. "Stimmt." Er überlegte. "Wie lang warst du gestern Nacht auf?"

Kyo zog die Augenbrauen zusammen. "Wieso?" "Du hast Augenringe." Besorgnis schwang in seiner Stimme mit. "Ach was, ich habe nur schlecht geschlafen. Es ist Vollmond, weißt doch, dass ich da grundsätzlich nicht pennen kann." Kyo winkte ab.

"Stimmt ja." Die grinste. "Du?" "Hm..?", machte Kyo, während er weiter an seinem wieder hervorgezauberten Geschichtsaufsatz formulierte. "Was essen wir...?"
 

~~
 

Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, als Kyo das Hause Andou verlassen hatte. Zu schön war Dies Nähe, das ablenkende, unbekümmerte Wesen des anderen. Natürlich wusste Kyo, dass sein bester Freund nicht immer so war, auch Die hatte seine Launen, Sorgen und Nöte - doch momentan schien das Leben des Älteren so perfekt gerade zu verlaufen, dass es fast schon unheimlich war.

Ebenfalls war es Die gelungen, Kyos anfängliche Abwesenheit zu durchbrechen, ihn mit einem Nachmittag an seiner Playstation 2 völlig von seinen ursprünglichen Gedanken wegzulocken.

Jene hatten sich gedreht um Familie, Geldprobleme und... ja, und um die Bekanntschaft Toshiyas, die er in der Nacht zuvor erfahren hatte.

Stimmen.

Kyo blieb stehen, sah starr nach links und rechts. Er war allein in der Gasse. Vollkommen allein. Fast beruhigt ging er weiter. Es waren lediglich die Stimmen, die immer um ihn herum waren. Nichts weiter. Er hatte gelernt, sie zu akzeptieren, zu dulden.

Doch in das gewohnte Szenario aus Geräuschen mischten sich Schritte, die nicht dort hineingehörten. Kyo erstarrte ein zweites Mal, drehte sich misstrauisch um. Bis jenes Misstrauen den Platz in seinem Gesicht an die Verblüffung abtreten musste.

"Oh. Guten Abend, Kyo." Ein charmantes Lächeln, begleitet von der rauchigen Stimme. Kyo schob die Hände unwillkürlich tiefer in die Hosentaschen, erwiderte den Gruß mit einem Nicken.

Toshiya.

Erneut in Schwarz gekleidet, unverändert blass - und unverändert schön. Die ausdrucksstarken Augen blieben an Kyo hängen, fuhren seinen Körper hinab und wieder hinauf. "Wohin so spät?"

Kyo runzelte die Stirn. Es war noch vor Mitternacht... Wieso spät? "Etto, ich... war noch bei einem Freund.", entgegnete er zögerlich. "Auf dem Weg nach Hause.", stellte Toshiya daraufhin fest. "Hai." Der kleine Blonde nickte.

"Musst du innerhalb der nächsten Minuten zu Hause auftauchen?" Erneutes Stirnrunzeln. "Ich muss nichts mehr. Ich bin achtzehn [1]." "Oh.", lachte Toshiya leise. "Dann wirst du mich doch sicherlich noch ein Stück begleiten."

Kyo zuckte unschlüssig mit den Schultern. "Wohin?", fragte er unsicher. "Ich weiß nicht. Wonach ist dir?", stellte Toshiya amüsiert die Gegenfrage.

Er verwirrte ihn. An jenem Punkt musste Kyo sich dies eingestehen. Toshiya war anders als andere Menschen - er verhielt sich anders, behandelte ihn anders. Er war mysteriös, sicherlich, und doch von einer gewissen Sanftheit geprägt, die aus ihm einen angenehmen Zeitgenossen machte.

"Einfach nur ein kleiner Spaziergang?" Toshiya nickte auf seine Worte hin, setzte sich in Bewegung. Er sprach nicht weiter mit Kyo, ging einfach nur neben ihm her und warf ihm, das spürte der Blonde, hin und wieder lange Blicke zu.

"Du gehst sicher noch zur Schule?" Eine unerwartete Frage. Kyo nickte gezwungenermaßen. Gerne hätte er eine interessantere Antwort gegeben. "Gefällt sie dir?" "Nicht sonderlich." Toshiya hob die Augenbrauen. "Merkwürdig. Menschen mit deiner Art müssten doch eigentlich zu den beliebtesten Schülern gehören."

Kyo räusperte sich vernehmlich. "Eher nicht.", murmelte er, spielte an dem Silberring herum, der seinen linken Daumen zierte. "Erzähl mir davon." Eine simple Aufforderung, doch das Interesse in Toshiyas Stimme machte aus ihr etwas Wundervolles.

Dennoch kämpfte Kyo dagegen an, zu viel von sich preiszugeben. "Das ist ein Naturgesetz. Die Leute, die zu viel denken, sind Freaks.", erklärte er schmerzlos. "Wenn man es so sieht... Stimmt, dann wirst du wohl zu den größten Freaks gehören." Toshiya lächelte ihn sanft an. "Mach dir nichts draus. Ich mag Menschen, die anders sind."

Kyo sah auf zu ihm, traf dabei jedoch nur das Profil des Größeren an. In ihm zog sich etwas zusammen. Er konnte es nicht zuordnen, verwarf den Gedanken daran vorerst wieder.

Inzwischen schlenderten sie gemeinsam eine Brücke entlang, konnten dabei die Lichter der Stadt in eindrucksvollen Farben auf dem Wasser gespiegelt wieder finden.

Toshiya blieb stehen und stützte sich mit den Armen auf das Geländer. "Ein schöner Anblick.", bemerkte er ruhig, steckte sich eine Zigarette an. Kyo kam sie allmählich dumm vor, wie er erneut nichts anders zu tun wusste, als mit einem Kopfnicken zuzustimmen. Er konnte reden wie kein Zweiter, wenn er wollte - doch nun wollte er und es kam nichts. Kein einziges Wort.

"Auch eine?" Kyo nahm dankend eine Zigarette entgegen. Längst hatte er sich in seinem Kippenkonsum zurückschrauben müssen, rauchte lediglich dann, wenn Die ihm eine Zigarette anbot - er selbst musste sein Geld für andere, wichtigere Dinge aufheben.

Es tat gut, den bläulichen Rauch zu inhalieren, um ihn danach wieder an die angenehme Nachtluft freizugeben. Eine Beschäftigung, die die Stille nicht ungerechtfertigt wirken ließ. "Ich möchte dich gern öfter sehen."

Kyo schreckte aus seinen Gedanken hoch. Toshiya, soeben damit beschäftigt, seiner Virginia Slim den Todesstoß zu geben, richtete sich wieder gänzlich auf, sah ihn an, um die Reaktion auf seine Aussage nicht zu verpassen.

"Ano... ich.." Er fand keine Antwort. Die Frage nach dem Warum schien sein Handeln für den Moment so sehr zu verlangsamen, dass nichts vernünftiges dabei herauskäme. Schließlich aber entschied Kyo sich für den kürzesten Weg, indem er schlicht zustimmte. "Okay."

Ein bezauberndes Lächeln. "Schön. Ich möchte zu gerne noch mehr über dich herausfinden. Bis bald, Kyo." Toshiya strich zart mit den Fingerspitzen über Kyos Wange. Erst dann ging er weiter - die Hände wieder in den Manteltaschen vergraben - , ohne sich auch nur ein einziges Mal umzudrehen.

Kyo hob unwillkürlich die Hand an seine Wange, starrte der großen, dunklen Gestalt nach. Diese winzige Berührung war so einzigartig gewesen wie nichts zuvor - so leicht wie der Kuss des Windes, doch so lang anhaltend wie eine Sommernacht.

Und das Wesen, das in der Lage war, dies mit einer einzelnen Berührung zu verursachen - es wollte ihn, gerade ihn wieder sehen...
 

~~
 

Die darauf folgende Schulwoche verging schnell, schneller als erwartet. So oft und lang er konnte, blieb Kyo die Nachmittage bei Die, ergriff damit die Chance, vor seinen eigenen Sorgen zu fliehen. Er kam sich feige vor, weil er vor der Verzweiflung seiner Mutter davon rannte - doch er brauchte seine Kraft. Ebenso zerrten seine Eltern in den Abenden und Nächten immer noch genug an ihm, als dass dieses schlechte Gewissen gerechtfertigt wäre.

Ein weiterer Punkt aber, der seine Gedanken ungewohnt oft auch vom Unterricht ablenkte, war seine Begegnung mit Toshiya. Seit ihrem letzten Zusammentreffen in der Nacht von Samstag auf Sonntag hatte Kyo ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen; der junge Mann war nicht mehr in seiner Nähe aufgetaucht, etwas, das Kyo zum Nachdenken anregte.

Und dies tatsächlich so sehr, dass es selbst Die auffallen musste. Freitags, während ihres gemeinsamen Mathekurses, bekam Kyo einen Zettel von ihm herüber geschoben. Erst realisierte der Blonde diesen gar nicht, starrte nur abwesend geradeaus, doch ein leichter Schlag in die rechte Seite ließ ihn aufschrecken.

Hab gerade beschlossen, wir gehen heut Abend zusammen weg.

Es war unverkennbar Dies fahrige Schrift, die ihn da zu einem Treffen aufforderte. Kyo biss sich unbewusst auf die Unterlippe.

Aber... Heute Nacht - ich wollte doch auf die Lichtung...

Daher antwortete er vage, dass er nicht sicher sei; Die allerdings schien keine Widerrede zuzulassen. Kaum, dass der Gong das Ende der Schulstunde ankündigte, erklärte ihm der Redhead daher: "Du kommst mit. Ich sehe nicht dabei zu, wie du dauernd nur zu Hause hängst." "Was hast du denn vor?", wollte Kyo misstrauisch wissen. "Weiß ich noch nicht, ich lass mir schon was einfallen..."
 

~~
 

Der Einfall war ein Volltreffer - so viel musste Kyo zugeben.

Sein älterer Freund hatte ihn kurz nach Einbruch der Dunkelheit nach Shibuya geführt, dort gäbe es ein sehenswertes Café. Kyo fragte sich zwar ernsthaft, was das für ein Café sein sollte, doch nun, da er Die durch die kleinen, stilvoll angeordneten, runden Tischchen hindurch zu einer freien Sitzecke folgte, staunte er tatsächlich angetan.

Der Raum war nicht wie in gewöhnlichen Cafés hell erleuchtet, sondern in gedämmten, rötlichen Licht gehalten, die leise Musik war extravagant und gut - und jeder einzelne Tisch wurde von einer roten Mondlampe [ganz dem Namen des Cafés "Akai Tsuki" entsprechend] erhellt.

Kyo blinzelte ein wenig, als sie sich setzten. Jenes Blinzeln brachte Die zum Schmunzeln. "Ich dachte es mir auch, als ich hier das erste Mal reingeschaut habe. Die Lampen sehen aus wie die auf deinem Nachttisch, ne." "Das weißt du noch?" Verblüffung. Erst nach seiner Frage wurde Kyo bewusst, sich selbst in eine Zwickmühle gebracht zu haben. Er selbst war es, der nun angemerkt hatte, wie selten er Die zu sich einlud, wie viel Zeit seit ihrem letzten Treffen bei sich zu Hause vergangen war.

"Natürlich. Ich bin vielleicht ein Trottel, aber wenn es um dich geht, ist mein Gedächtnis noch ganz gut." Die grinste, umging das Thema der guten Stimmung wegen. Kyo grinste matt und sah sich weiter um. Die Leute, die in diesem Lokal verkehrten, waren ein teils recht düsteres Publikum, fast ausschließlich Erwachsene, einige Gothics, Visuals.

Kyo wandte sich Die zu. "Wieso kennst ausgerechnet du diesen Ort? Ist doch gar nicht deine Welt." "Ich bin nur mal herein gegangen, weil das rote Licht mich an dich erinnert hat. Das war erst vor kurzem - und ich nahm mir vor, dich eines Tages herzuschleifen."

Kyo schenkte ihm ein kleines Lächeln. "Das ist lieb von dir. Ist wirklich eine coole Atmosphäre." Er warf einen kurzen Blick in die Getränkekarte, hob dann unwillkürlich die Augenbrauen an. Verdammt, die hatten aber auch dementsprechende Preise...

Die bemerkte nicht immer, was in Kyo vorging, doch sein Gesichtsausdruck musste deutlich genug gewesen sein. "Was willst du trinken?", fragte er gekonnt munter. Kyos Augen fuhren auf zu ihm. Das klang schon wieder verdächtig nach einer Einladung. Die erklärte: "Ich hab dich gezwungen, mitzukommen, also bezahle ich auch."

Kyo lächelte und entschied sich für einen Amaretto. Während beide auf ihre Bestellung warteten, überlegte Die, wie er in Erfahrung bringen konnte, was er unbedingt wissen wollte. Schließlich entschied er sich für eine direkte Frage - Kyo durchschaute ihn ja doch sofort.

"Kyo? Was ist los?" "Inwiefern?" Der Gefragte wirkte überrascht. "Du bist so... anders." Ein kleines Grinsen. "Ach? Das fällt dir aber früh auf." "Nein, anders als sonst anders.", versuchte Die, seine Frage zu erklären. "Ist irgendetwas passiert? Etwas, das ich wissen müsste? Es ist mir wirklich wichtig."

Kyo schüttelte sanft den Kopf. "Es ist ehrlich nichts, Die. Momentan fällt's mir schwer, mich zu konzentrieren, der Unterricht ist einfach stinklangweilig. Das war's auch schon." Beruhigt von dieser Aussage musste Die wieder grinsen. "Wusste ich's doch, nicht mal du kannst auf Dauer so ätzend strebsam sein.."

Der Blonde wollte etwas entgegnen, doch im selben Moment, da er die Lippen öffnete, trat eine Gestalt in sein Blickfeld, die seine Aufmerksamkeit gefangen nahm. Er, mit dem Gesicht zum Ausgang sitzend, konnte soeben beobachten, wie Toshiya das Café betrat.

Die zog die Augenbrauen zusammen, wedelte energisch vor Kyos Gesicht herum. "Hey, was wolltest du gerade sagen?" Kyo kam zurück in die Wirklichkeit, ohne dabei die Augen von Toshiya abzuwenden. "Ich bin sofort wieder da, ja?"

Schon hatte er Die am Tisch zurückgelassen und sich an den Tischen vorbei zu Toshiyas Sitzplatz durchgekämpft. Dass sein bester Freund ihm logischerweise neugierig hinterher starrte, war ihm gleich.

"Toshiya." Es klang fast atemlos. Der junge Mann hob den Blick an, lächelte. "Guten Abend. Setz dich doch." Er deutete auf den zweiten Stuhl an seinem Tisch. "Etto... gut, aber - ich muss gleich wieder zurück..", fing Kyo an und deutete über die Schulter zurück in den Raum hinein.

Toshiya folgte seinem Fingerzeig mit den Augen, traf erstmalig mit Dies Blick zusammen, welcher im gleichen Moment hastig wegsah. Kyo hatte sich inzwischen gesetzt, betrachtete ihn eingehend. Es war interessant, Toshiya einmal ohne seinen Mantel zu sehen - der Ältere trug eine dunkle, aufwendige Bluse zu einer schwarzen Hose, um seinen Hals hing eine lange Silberkette, an deren Spitze ein silbrig schimmerndes Kreuz baumelte.

"Nun, wann hast du Zeit für mich?" Die fordernde Frage brachte Kyo zu erneuter Verwirrung. "Also.. ich bin momentan noch mit meinem Freund unterwegs, aber..." "Ich warte später auf der Lichtung." Kyo stimmte zu, zögerte. Sollte er wirklich einfach aufstehen und wieder zu Die gehen? "Nun mach, dass du zu deinem Freund verschwindest. Umso kürzer ist die Zeit des Wartens." Toshiya schenkte ihm erneut sein faszinierendes Lächeln, wandte seine Aufmerksamkeit dann jedoch der Getränkekarte zu.

"Wer ist das?!" Big Red konnte sich nicht beherrschen, kaum, dass Kyo sich langsam zurück auf seinen Platz begeben hatte, platzte die Frage aus ihm hervor. Kyo zuckte mit den Achseln. "Das weiß ich selbst nicht so genau...", rutschte es ihm heraus. Er bemerkte Dies dummes Gesicht, korrigierte daher hastig: "Na ja, das ist ein - ein Bekannter, wir sind neulich einfach mal ins Gespräch gekommen, nicht weiter interessant..."

Die musterte ihn scharf, besah das ungewohnte Schimmern in den braunen Tiefen.

Warum verdammt erzählst du mir nie etwas von dir? Wir sind so lange befreundet - und doch hältst du alles, was mit dir selbst zu tun hat, von mir fern. Was werde ich im Laufe der Zeit alles über dich herausfinden, wenn ich beginne zu suchen, Kyo? Was?
 

~~
 

tbc...
 

[1] Bitte vergesst einfach die kleine Tatsache, dass man in Japan mit 18 noch nicht volljährig ist ^__^~

frozen

Hey,

gomen, dass ich mir wieder einmal so viel Zeit gelassen habe, ich weiß, ich bin eine lahme Schnecke im Hochladen ^^;

Dafür hoffe ich aber, euch wird das 3. Kapitel frozen gefallen - viel Spaß beim Lesen ^____^
 

Tisara
 

Chapter 3 - Frozen
 

~~
 

Er war tatsächlich erschienen.

Etwas in dem Jungen machte einen mächtigen Satz. Trotzdem zwang er sich dazu, ruhig weiter den Waldweg entlang zu schlendern. Begleitet von einem Schwalbenschwanz, von seiner gewohnten Geräuschkulisse.

Doch da war noch etwas. Er spürte innere Ruhe. Kyo fixierte Toshiya, der auf einem großen, zum Sitzen perfekt geeigneten Stein saß, ihn gelassen näher kommen sah. Sie musste von ihm ausgehen.

Kyo kam zum Stillstand, zog die Hände aus den Jackentaschen, um sie kurz darauf unschlüssig wieder hineinzustecken. "Du warst noch lange unterwegs.", bemerkte Toshiya, rückte ein Stück beiseite, als wolle er Kyo bedeuten, sich zu ihm zu setzen.

Der Jüngere folgte der Einladung zögerlich und antwortete: "Ja, mein Kumpel musste mich unbedingt noch in den nächsten Club schleifen." "Vorhin sagtest du Freund." Kyo runzelte irritiert die Stirn. "Ja. Wieso?" "Ich ging davon aus, er sei dein fester Freund."

Er musste unglaublich blöd aus der Wäsche gesehen haben, da Toshiya plötzlich lachte. "Nein, um Himmels Willen, Die ist bloß... er ist mein bester Freund, aber.. nein.", begann Kyo, die Situation zu erklären.

Toshiya musterte ihn belustigt. "Scheint, als hätte ich mit meiner Frage ein Tabuthema bei dir getroffen." Kyo entgegnete nichts. "Magst du denn überhaupt nicht von dir reden?" Eine leise Frage, direkt an seinem Ohr.

Kyo zuckte unwillkürlich zusammen, sah unsicher in das Gesicht neben dem seinen. Sich endgültig zusammenreißend antwortete er: "Ich spreche nicht sehr oft von mir. Nicht mal gegenüber meinem besten Freund." Ein Blitzen in den helleren Augen. "Dann weiß ich, was ich mir als Ziel setzen kann."

"Was genau meinst du?" "Ich werde dich zum Reden bringen. Bis ich alles von dir weiß, Kyo. Alles. ^.^ " Kyo lächelte ungläubig. "Das ist chancenlos.", prophezeite er. "Warte nur ab. Deine Lieblingsfarbe?" Kyo zog die linke Augenbraue mit schiefem Blick an. "Willst du mich verarschen?"

Toshiyas Augen glitzerten erneut eigenartig. "Ich sagte alles.", wiederholte er mit seiner flüsternden Stimme, stupste mit dem Zeigefinger gegen Kyos Brust. "Und bis ich genau dorthin gekommen bin, werde ich den langen Umweg über die äußere Schicht nehmen."

Wozu soll das gut sein? Was soll es dir bringen, meine Gedankenwelt zu erforschen...?

"Also?" "Also was?" "Deine Lieblingsfarbe." Kyo verdrehte die Augen. "Schwarz." Toshiya grinste, es war das erste Mal, dass Kyo ihn dabei beobachten durfte. "Siehst du? Wir machen Fortschritte..."

Kyo musste allen Ernstes Fragen beantworten, die jedem Mittelschüler lächerlich erschienen wären - dennoch tat er es ausnahmslos. Wurde es persönlich, umging er es zwar, mehr als vage Entgegnungen auszusprechen, damit aber gab Toshiya sich zufrieden.

Der Schwalbenschwanz, der unermüdlich um sie herumflatterte, wurde ignoriert.

"Toshiya.", unterbrach Kyo die Fragerei schließlich. "Ja?" "Werde ich das alles auch über dich erfahren?" "Kommt drauf an.", lächelte Toshiya daraufhin. "Du stellst mir Fragen zu jedem Thema, das dir in den Sinn kommt. Doch ich weiß immer noch nicht mehr als deinen Namen."

Der Dunkelhaarige hob die Hand, um Kyo eine Haarsträhne zurückzustreichen, ließ dabei seine Finger durch das halblange Blondhaar fahren. "Musst du denn mehr wissen, um mir zu vertrauen?" "Es wäre töricht, nicht nach mehr Kenntnis zu verlangen.", murmelte Kyo, versuchte, sich nicht ablenken zu lassen durch Toshiyas Hand, die weiter mit seinen Haaren spielte.

"Nun." Die Berührung brach ab. "Ich will dich nicht dazu zwingen, dich mit mir abzugeben." Toshiya erhob sich graziös. In jenem Augenblick verspürte Kyo den dringenden Wunsch, seine Worte zurückzunehmen, obgleich sie seiner Sicht der Dinge entsprachen.

"So war das nicht gemeint.", sagte er, es klang bittend. Toshiya sah hinab in die flackernden Lichter des kleinen Blonden. "Ich verbringe meine Zeit mit dir, um dich kennen zu lernen. Wenn du mir aber nicht einmal das gestattest, frage ich mich, wofür ich das tue.", erklärte er mit einem undeutbaren Unterton.

Es klang nicht verletzend, nicht böse, und doch versetzten Toshiyas Worte ihm einen Stich. Kyo senkte den Kopf, starrte auf seine Schuhe. "Ich bin kein Mensch, der gerne redet. Ich zeige niemandem, wer ich bin. Und das war nie anders. Was erwartest du von mir?", flüsterte er. Der Junge wusste selbst nicht, warum ihm der Gedanke, Toshiya nicht wieder zu sehen, ein solches Unbehagen bereitete, doch er wollte nicht zulassen, dass es dazu kam. Er konnte es einfach nicht.

Toshiya hatte sich wieder gesetzt. Ein erleichterndes Gefühl. Eine lange Stille regierte die laue Spätsommernacht, lediglich durchbrochen von den natürlichen Geräuschen der Nacht. Kyo bemerkte nicht einmal, dass die Stimmen verstummt waren.

"Ich heiße eigentlich Toshimasa Hara, werde allerdings schon seit Kindertagen Toshiya gerufen. Vor neunzehn Jahren in diese Welt getreten, inzwischen Student. Ich lebe im Stadtteil Ikebukuro in einer recht schönen Wohnung, allerdings noch nicht sehr lange. Du bist quasi der erste Mensch, mit dem ich hier in Tokyo in Kontakt getreten bin."

Kyo sah ihn fragend an.

Warum erzählt er mir auf einmal so viel von sich? Soll das ein Vertrauensbeweis sein? Merkwürdig. Trotzdem ich jetzt alltägliches über ihn weiß, hat er seine fremdartige Ausstrahlung nicht annähernd verloren...

"Du siehst, mein Leben ist weder spannend noch außergewöhnlich." "Als ob meins das wäre..", brummte Kyo und stützte sein Gesicht in der Handfläche ab. "Das kann ich nicht beurteilen.", erwiderte Toshiya ruhig. "Was ich aber weiß, ist, dass du außergewöhnlich bist. Lass mich daran teilhaben."

Wortlos hielt Kyo Toshiyas durchdringendem Blick stand. "Wie kannst du das beurteilen?" Toshiyas Nähe schien mit seinem erneuten Lächeln wieder intensiver zu werden. "Deine Augen sind ein Spiegel deiner Emotionen. Sieht man einmal hinein, will man es immer tun. Das macht dich besonders."

Er sagte es mit einer derartigen Überzeugung und Selbstverständlichkeit, dass sich erneut dieses unbekannte Gefühl in Kyo breit machte, als fehlte ihm die Luft zum Atmen, gleichzeitig aber war zuviel davon vorhanden - ein Widerspruch in sich.

Toshiya holte einen Zettel hervor, schrieb etwas auf. "Das ist meine Adresse. Solltest du einmal das Verlangen spüren, mich tagsüber zu sehen, komm einfach vorbei. Aber Vorsicht", er grinste ein wenig schräg, "im Tageslicht zieht meine ,Düster und Charmant' Nummer leider nicht."

Kyo blickte hinab auf den weißen Zettel in seiner Hand, wieder auf zu seinem Gesprächspartner. "Das ist unmöglich.", widersprach er lächelnd. "Teste es aus.", schlug Toshiya vor und stand auf. "Ich beginne, müde zu werden. Hoffentlich bis bald." Er hob die Hand zum Gruß, ließ Kyo damit allein in der Dunkelheit zurück.

Jener faltete den Zettel zwei Mal, steckte ihn in die linke Innentasche seiner Jacke. Ein Schatz, der niemandem außer ihm in die Hände fallen sollte...
 

~~
 

"Wo warst du?!"

Kyos Augen weiteten sich. Kaum, dass er lautlos die Tür hinter sich geschlossen hatte, war die laute Stimme hinter ihm aufgetaucht.

"Draußen?" Ein Mann mittleren Alters, vermutlich sein Vater, gab ein ärgerliches Geräusch von sich. "DRAUßEN, nein wirklich? Ich will wissen, WO du dich um drei Uhr morgens herumtreibst!"

Kyo atmete innerlich tief durch, ehe er beherrscht antwortete: "Ich war erst mit Daisuke unterwegs, danach noch spazieren." "In Zukunft gehst du gefälligst tagsüber spazieren, nicht zu dieser unseligen Zeit, deine Mutter und ich haben uns riesige Sorgen gemacht!"

"Entschuldige mal, es ist Wochenende und ich bin alt genug.", verteidigte Kyo sich und hängte seine Jacke auf. "Wo ist Mama?" "Sie liegt, es geht ihr wieder schlechter. Kein Wunder, wenn sie sich vor Sorge fast wahnsinnig macht."

Kyos Herz sank weiter. "Gib mir nicht für alles die Schuld.", murmelte er tonlos und drückte die Türklinke zu seinem Zimmer herunter. "Ich bin noch nicht fertig, Tooru!" Kyo erstarrte in der Bewegung, schloss kurz die Augen, ehe er sich erneut herumdrehte. "Was denn noch?" "Gewöhne dir einen anderen Ton an, verstanden?" Ein ärgerliches Gesicht. "Deine Mutter ist krank, du weißt das sehr gut - und trotzdem lässt du dich nur zum Schlafen zu Hause blicken. Hältst du das für fair?!"

Kyo fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. "Du weißt genauso gut wie ich, dass das nicht wahr ist." Seine Stimme war leise, wie immer, wenn er sich von seinem Vater in eine Diskussion verwickeln ließ. Sie klang kraftlos, schwach.

"Was tust du denn schon für den Erhalt der Familie? Dich davonschleichen, wann immer sich die Gelegenheit bietet, eine wunderbare Unterstützung-" "HÖR AUF, klar? Dreh die Dinge verdammt noch mal nicht immer so, wie sie dir passen! Warum haue ich denn ab, sooft ich nur kann? Dank dieser wunderbaren Harmonie, die hier herrscht. Und wer ist für diese Harmonie verantwortlich? DU doch wohl!!"

Es war einem Vulkanausbruch gleich aus ihm hervorgeströmt, doch im gleichen Moment bereute er es bereits.

Eine schallende Ohrfeige war die Antwort. "Gewöhne dir endlich Respekt an, so lange du in meinem Hause lebst." Es waren die letzten Worte, die Kyo in dieser Nacht von ihm hörte, sein Vater wandte sich herum, verließ den Flur durch die Tür ins Schlafzimmer.

Kyo schloss nun ebenfalls endlich die Zimmertür hinter sich, erst dann erlaubte er es sich, die Hand an seine brennende Wange zu heben. Es schmerzte nicht zu doll, dafür war der Schlag nicht heftig genug gewesen, doch die Tatsache, selbst im Erwachsenenalter noch Ohrfeigen von seinem Vater erdulden zu müssen, löste einen Schmerz aus, der viel schlimmer war.

Er atmete wieder tief durch, biss sich fest auf die Unterlippe, um das Gefühl, das sich freikämpfen wollte, zu ersticken, es abzutöten.

Vergiss es einfach. Ignorier ihn und denk an... Denk an Toshiya.
 

~~
 

Ein wissendes Lächeln.

"Ich wusste, du würdest kommen."

Toshiya trat aus dem Türrahmen, machte für Kyo somit den Eintritt in seine große Wohnung möglich. In der Tat wies das Apartment mehr Quadratmeter auf, als ein einzelner Student je benötigte, dennoch schien es nur passend, dass Toshiya in einer derartigen Wohnung lebte. Stilvoll eingerichtet, aber wenig persönlich - schön und doch in gewisser Weise unnahbar.

Kyo setzte sich zögernd in die weichen Polster eines weißen Sofas, ein Kontrast zu Toshiyas Kleidung, die - wie auch sonst - von einem satten Schwarz war. Er musterte die Person, welche kurz darauf neben ihm saß, eingehend.

"Was geht dir im Kopf herum?" "Du sagtest gestern Nacht...", begann Kyo, entschied sich dann jedoch für eine andere, deutlichere Formulierung, "Du bist im Tageslicht nicht weniger faszinierend als auch sonst."

Toshiya wirkte milde überrascht. "Du empfindest meine Ausstrahlung als faszinierend?" Kyo protestierte: "Ich - habe nur kommentiert, was du selbst gestern Nacht...-"

Toshiya lachte leise. "Iie, Kyo, ich sprach lediglich von düster und charmant, faszinierend habe ich als Umschreibung meiner Selbst nie genutzt."

Er streckte seine Hand nach Kyo aus, streichelte vorsichtig seine Wange. Trotzdem verzog Kyo das Gesicht, im Nachhinein brannte die Ohrfeige mehr, als er sie des Nachts wahrgenommen hatte.

Toshiya runzelte die Stirn, zog seine Hand zurück. "Was ist los?", verlangte er misstrauisch zu wissen. Kyo schüttelte den Kopf. "Nichts." Ein weiterer durchdringender Blick. Der Dunkelhaarige rutschte näher zu ihm hinüber, drehte Kyos Gesicht behutsam so, dass er seine linke Gesichtshälfte genau betrachten konnte.

Ein kleiner Kratzer, wie durch einen Ring verursacht, war zu sehen, ebenso wirkte die Wange minimal geschwollen. Toshiyas Blick traf auf den Kyos. Der Ältere konnte nichts darin lesen, doch dies war ohnehin nicht nötig.

"Wer war das?" "Was meinst du?" Toshiya machte seine Augen größer, nagelte Kyos Blick damit fest. "Ich besitze ein Auge fürs Detail. Deine Gesichtshälfte weist die Überreste einer Ohrfeige auf, die du gestern noch nicht hattest."

Kyo seufzte frustriert, gab die Antwort jedoch weiter nicht preis. "Wer, Kyo?" "Es war nichts von Bedeutung, nur ein Streit. Kommt hin und wieder überall mal vor.", redete er die Angelegenheit herunter. Obwohl er den Namen seines Vaters nicht einmal hatte fallen lassen, verstand Toshiya nun, wovon der kleine Blonde sprach.

Er streichelte weiter liebevoll die Wange. "Niemand hat das Recht, dich zu schlagen. Auch, wenn es in den besten Familien vorkommt. Merke dir das." "Es ist nicht schlimm, du musst mich nicht so mitleidig ansehen.", grummelte Kyo, mied dabei Toshiyas Blick.

"Warum bist du hergekommen, wenn nicht, damit ich es bemerke?" Kyo spürte etwas Kaltes in sich aufsteigen. Stimmte es? War er tatsächlich zu Toshiya gegangen, um Verständnis und Mitleid zu erhalten, ohne es selbst zu bemerken?

"Ich erwarte nicht, dass du mir von deinen Familienverhältnissen erzählst.", flüsterte Toshiya ihm nach einer Weile des Schweigens zu. "Ich möchte nur, dass du Wärme zulässt. Du bist viel zu kalt für dein Alter."

Kalt?

Kyo sah suchend eine Antwort in den anderen Augen. "Die Menschen erkalten im Laufe ihres Lebens. Sie stumpfen ab, kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viele Enttäuschungen und Rückschläge jeder einzelne Mensch in den Jahren einstecken muss. Aber du... mit deinen achtzehn Jahren solltest du nicht bereits halb erfroren sein, Kyo. Wenn du selbst nicht in der Lage bist, das zu ändern, lass zu, dass ein anderer dich wärmt."

Toshiya griff nach seiner Hand, umschloss sie mit seiner eigenen. Ehe er etwas sagen konnte, spürte er, wie Kyos Aufmerksamkeit sich von ihm abwandte. Der Jüngere sah an ihm vorbei, hinein in das Wohnzimmer.

Nicht jetzt. Verschwindet. Geht...

Kyo rieb sich mit der zweiten Hand über die Stirn, fast in der Hoffnung, die Stimmen damit vertreiben zu können. Doch sie schwollen an, wurden lauter, blieben dabei aber wie immer zu undeutlich, um Worte dabei herauszuhören. "Kyo." Der Angesprochene sah wieder auf. "Geht es dir nicht gut? Du bist blass." "Es ist alles in Ordnung."

Toshiya ließ seine Hand los, lächelte plötzlich. "Sieh nur, ein Schmetterling." Die schlanke Gestalt erhob sich, ging auf das flatternde Tier am Fenster zu. "Er muss sich hereinverirrt haben."

In Kyos Magengegend stellte sich ein taubes Gefühl ein. Der Schwalbenschwanz. Selbst jetzt. Der Ältere öffnete das Fenster, ermöglichte dem Schmetterling so, die Wohnung zu verlassen. Kyos Beherrschung hingegen bröckelte kaum merklich.

Wann werden sie mich endlich in Ruhe lassen...?
 

~~
 

Einige Stunden später, die Dunkelheit war inzwischen hereingebrochen.

Toshiyas Vorschlag, sich einen seiner zahlreichen Filme anzusehen, hatte Kyo dankend angenommen. Der Streifen, eine Art Drama, war wirklich interessant, doch die Müdigkeit der vielen durchwachten Nächte nahm im Laufe der Zeit Überhand über Kyos Wachzustand. So kam es, dass Toshiya, nachdem er den Film abschaltete, den Blick auf einen Schlafenden hatte.

Der junge Mann lächelte nachsichtig, beugte sich zu Kyo hinüber, strich vorsichtig über den Blondschopf. "He..", flüsterte er behutsam. "Wach auf, Kyo." Ein Knurren, das Toshiyas Lächeln in ein verzücktes Grinsen verwandelte.

Er tätschelte leicht Kyos rechte Wange, weckte ihn damit endgültig auf. Die zwei braunen Augen starrten ihn eine Sekunde lang verwirrt an. Dunkelheit, nur Toshiyas Gesicht... Nani? "Gut geschlafen?" Kyo setzte sich in seiner Couchecke auf und gähnte leise.

"Gomen, eingepennt...", nuschelte er. "Macht doch nichts." Toshiya schaltete die Deckenbeleuchtung wieder ein. "Man sollte dann schlafen, wenn man müde ist. Außerdem ist es ein zu süßer Anblick, dich schlafend zu sehen. Wie ein kleines Kind..."

"...." Kyo sah ihn beleidigt an, verschränkte trotzig die Arme vor dem Körper. "Was habt ihr nur alle mit eurem süß? Die behauptet das auch ständig.", murrte er. Toshiya setzte sich wieder zu ihm, versuchte zu erklären: "Nun ja, sieh dich doch nur an."

"Toll.", brummte Kyo. "Da gibt es nicht viel zu sehen. Gewöhnliches Gesicht, dummer Blick." "Kyo!", lachte Toshiya entsetzt. "Sei doch nicht so grauenhaft selbstkritisch." Er strich dem Jüngeren eine Haarsträhne aus der Stirn. "Du hast wunderschöne, braune Augen. Deine Lippen sind so voll, dass jedes Mädchen neidisch werden könnte. Und deine Wangenknochen sind nicht so hoch, sodass dein Gesicht nicht so knochig wirkt wie bei anderen Menschen, die so zierlich sind. Du bist wirklich sehr attraktiv, glaube mir."

Kyo verzog das eben beschriebene Gesicht genervt. "Ich habe ein Pausbackengesicht." "Nicht doch." "Und alle hängen mir an, ich sei niedlich - nur, weil ich ein wenig klein geraten bin. Da kann ich mir meine Muskeln auch sonst wo hinstecken, ich geh ja doch bloß als süß durch."

Toshiya hob belustigt über Kyos Meutereien die Augenbrauen an. "Muskeln? Wo? Die musst du schon zeigen, sieht so doch keiner..." Kyo verschränkte unwillkürlich die Arme vor dem Körper, bevor dieser Sonderling neben ihm noch auf die Idee kam, seine Bauchmuskeln begutachten zu wollen.

"Ich mache das für mein eigenes Selbstwertgefühl.", erkannte er bestimmt. "Zeig schon." "Vergiss es, glaubst du, ich ziehe mich für dich aus?" Toshiya grinste mit einem Mal gefährlich. "Das verlangt niemand von dir." Er beugte sich zu Kyo hinüber und hob demonstrativ den Ausschnitt seiner Bluse an, um hineinzulinsen.

"HEY!" Kyo rückte weiter zurück, befreite seine Kleidung aus Toshiyas Händen. Dieser zuckte mit den Schultern. "Bei dem Bauch brauchst du dich nun wirklich nicht anstellen...", stellte er anerkennend fest, ließ das Thema daraufhin jedoch fallen.

"Willst du etwas trinken?" Kyo sah auf die Uhr des DVD-Players. "Iie, ich gehe besser." "Es ist erst zehn.", wunderte sich Toshiya. "Ich muss morgen früh los zur Schule." "Steht ein harter Tag an?" Kyo überlegte. "Nicht so sehr, morgen fällt der Nachmittagsunterricht aus... Wieso?"

Toshiya lächelte. "Reines Interesse an deinem Leben. Alles, vergiss das nicht.. ^.~ " Kyo schüttelte fassungslos den Kopf und folgte dem Dunkelhaarigen zur Tür. "Schlaf gut, Kyo-kun.", flüsterte jener im Türrahmen. Kyo nickte und erwiderte den Gruß, wollte damit gehen. Als Toshiya ihn beim Handgelenk packte und zurückzog, spürte er sein Herz einen Augenblick aussetzen - da hielt der Größere seine Tasche hoch. "Die hast du vergessen."

Erleichterung. Oder war es Enttäuschung? Kyo wusste es nicht, nahm daher schnell die Tasche entgegen und stieg in den Aufzug. Toshiya sah ihm nach, bis die schweren Stahltüren sich schlossen, kehrte dann erst lächelnd zurück in seine hell erleuchtete Wohnung.
 

~~
 

tbc

akarui hoshi

Hey~ho!

Endlich wieder ein neues Chap ~ ich weiß, mein Tempo ist mit dem einer Schnecke vergleichbar.. *hüstel*

Also, nur vorweg eine kleine Beruhigung: Toshiyas Sprache bleibt im Verlauf der Story nicht so schrecklich geschwollen, das hält nicht mal er aus xP Nein, ernsthaft, er wird schon etwas umgangssprachlicher mit der Zeit.. ^.^

Ich freue mich über das rege Interesse, das die Story bekomme ~ hoffentlich gefällt euch auch Kapitel 4 - heller Stern...
 

Baibai~
 

Tisara
 


 

Chapter 4 - akarui hoshi
 

~~
 

"Du kannst doch mit zu mir kommen. Wenn wir schon mal den ganzen Nachmittag frei haben..." Kyo zögerte. "Ich weiß nicht, meiner Mutter geht's nicht so gut." "Ach so.."

Die klang ein stückweit enttäuscht. Soeben verließen die beiden Jungen nebeneinander das Schulgebäude, passierten das Schultor. "Na ja, ein wenig kann ich trotzdem noch mitkommen.", beruhigte Kyo ihn. "Prima." Die grinste zufrieden und hakte sich bei dem kleinen Blonden ein.

"Kyo!" Ein Rufen, das beide dazu veranlasste, sich umzudrehen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, an ein geparktes, schwarzes Auto gelehnt, stand eine große Gestalt, wie immer in dunklen Stoff gekleidet und mit einer teuren Sonnenbrille auf der Nase.

Die hob die Augenbrauen an. "Ist das nicht der Typ von Freitagabend?" Kyo stand starr da, blickte ungläubig hinüber. Zögerlich, gefolgt von Die, trat er an Toshiya heran, ließ sich von einem warmen Lächeln empfangen.

"Hast du schon was vor?" Kyo sah ihn hin- und hergerissen an. "Tut mir leid, Die und ich - ach, übrigens, Die - Toshiya", er deutete zwischen den beiden hin und her, "Die und ich wollten-" "He, ist schon in Ordnung, kawaii-mono.", unterbrach Die ihn. "Ich hab dich ja doch täglich an der Backe."

Kyo musterte ihn. "Wirklich?" Die rollte mit den Augen. "Seh ich so aus, als würde ich dir Tränen nachweinen? Hau schon ab, muss ich meine Aufgaben halt für einmal alleine machen." Kyo lächelte. "Danke."

Er wandte sich zu Toshiya um. "Was steht an?" "Lass dich überraschen und steig ein.", erwiderte Toshiya, klang dabei gut gelaunt und deutete auf die Beifahrertür. Die stieß einen Pfiff aus. "Dein Wagen?" Zustimmendes Nicken. "Hai, gehört mir." Die nickte anerkennend. Nicht übel...

Nach dem Abschied von Die setzte sich Kyo ins Wagenpolster der Beifahrerseite und sah Toshiya, der nun die Sonnenbrille absetzte und am Autoradio herumschaltete, nachdenklich an. "Was hast du vor?" "Überhaupt nichts. Nur ein klitzekleiner Ausflug."

"Warum?" "Ich möchte wissen, wie du aussiehst, wenn du dich freust." Ein verblüffter Blick. "Und das willst du wie machen?" "Ich weiß da etwas, das dir gefallen wird..."

Als der Wagen auf einem Kundenparkplatz hielt, schaute Kyo sich um. "Was? Das Planetarium?" Toshiya lächelte. "Komm mit." Er zog ihn an der Hand mit sich zum Haupteingang.

Schon im Eingangsbereich sah Kyo die Plakate der momentanen Ausstellung - die Sternenbilder. Toshiya schob ihn weiter in den richtigen Ausstellungsraum, und kaum, dass sie die weiträumige Halle betreten hatten, erstarrte Kyo, blickte mit großen Augen um sich.

Es war, als stünden sie mitten im Universum, die verschiedenen zigmillionen Sterne um sie herum funkelten atemberaubend, zum Greifen nah und doch so weit entfernt.

"...." Toshiya sah hinüber in das nur vom künstlichen Sternenlicht erhellte Gesicht, musste lächeln. So hingerissen, fasziniert hatte er Kyo in den vielen Stunden, die sie inzwischen gemeinsam verbracht hatten, nie sehen dürfen.

Kyo drehte sich zu ihm herum, sagte leise: "Das.. wow." Der Größere beugte sich zu ihm hinunter, fragte: "Und? Freust du dich...?" Ein leichtes Nicken. "Ja.."

Eine Weile trafen ihre Blicke sich, dann erklärte Toshiya: "Komm mit, es gibt noch viel mehr Sternenbilder zu sehen." Damit setzte er sich in Bewegung. Kyo folgte ihm auf dem Fuß. Hin und wieder ertönten die Laute anderer Besucher, ein begeistertes "Oh" und "Ah", ansonsten aber nahm Kyo keinerlei Geräusche war.

Sie standen an einer Glasscheibe, durch die sie eine Darstellung des Mondes betrachten konnten, von der Kyo vollkommen fasziniert zu sein schien; zumindest glaubte Toshiya, dies am Schimmern seiner Augen auszumachen.

Der Jüngere war völlig im Bann des unglaublich echt wirkenden Modells, konnte kaum den Blick abwenden von der Schönheit des Himmelskörpers. Bis plötzlich etwas im Spiegelbild des Glases auftauchte. Ein blasses Gesicht, dessen Augen ihn anstarrten, beobachteten.

Kyos Herz schien eine Sekunde lang stillzustehen. So dicht, wie dieses Gesicht hinter ihm schwebte, musste der Mensch dazu direkt bei ihm stehen, keine fünf Zentimeter von ihm entfernt sein.

Der kleine Blonde fuhr herum, entdeckte jedoch nichts als die vollkommene Dunkelheit. "Was ist los?" "Wie?" Er klang abwesend, fuhr mit den Augen weiter die Umgebung ab. "Du siehst merkwürdig aus." Kyo schüttelte den Kopf, vertrieb das Gesicht mühsam aus seinem Bewusstsein. "Nein, alles in Ordnung.."

Toshiya entging nicht, dass Kyos Gedanken abgeschweift waren. Doch er wusste ebenso gut, wie er sie wieder zurück zu sich holen konnte. Urplötzlich griff er nach Kyos Hand und zog ihn mit sich, blieb unter einem besonders hell leuchtenden Stern stehen.

"...?" Lächelnd sagte er zu dem Jüngeren: "Weißt du.. mir ist aufgefallen, wie wenig du dich selbst zu mögen scheinst. Als wir gestern von Äußerlichkeiten sprachen, hast du ebenfalls recht abweisend reagiert, nachdem das Thema auf dich fiel."

Kyo zog die linke Augenbraue an, fragend. "Aber wenn du mich fragst..." Das Lächeln wurde größer, "bist du mindestens so schön wie dieser Stern hier." Der Dunkelhaarige deutete hinauf zu dem Stern direkt über ihnen.

Ein gezwungenes Lächeln. "Danke für deine Liebenswürdigkeit, Toshiya. Aber das ist wirklich nicht nötig...", murmelte Kyo und wanderte weiter. Der Ältere verdrehte die Augen, hielt ihn am Handgelenk fest und zog ihn somit zurück zu sich.

"Mag sein, dass du es noch nicht verstanden hast, doch wenn ich etwas sage, ist dem auch so. Klar?", sagte er ruhig, aber bestimmt. Kyo zog die Augenbrauen zusammen. Die Art, wie Toshiya sprach, klang mit einem Mal weniger sanft, weniger freundlich. Nicht verärgert, doch dort lag ein gewisser Unterton in seiner Stimme, den Kyo nicht zu deuten wusste. Fühlte Toshiya sich am Ende angegriffen, weil er seinen Worten keinen Glauben schenken konnte?

Er zwang sich zu einem Nicken. "Klar.." Toshiyas Mundwinkel verzogen sich erneut zu einem Lächeln. "Siehst du.", flüsterte er in das von blonden Strähnen verdeckte Ohr. "Es geht doch." Er hauchte seinen warmen Atem an Kyos Wange, danach erst ließ er ihn los und ging, sich interessiert umsehend, weiter.

Kyo berührte nachdenklich seine Wange und dachte bei sich, wie seltsam Toshiya doch war.

Ich glaubte, seine merkwürdige Art ließe mit dem Kennen lernen nach. Dabei wird er immer eigenartiger...
 

~~
 

Stunden später hielt der schwarze Toyota Avensis in einer Straße, die das teure Automodell förmlich lächerlich protzig wirken ließ. Kyo, noch in die weichen Polster gelehnt, betrachtete Toshiya, der sich aufmerksam umsah. "In welchem der Häuser wohnst du?"

Kyo deutete auf das Hochhaus direkt links neben dem am Bürgersteig parkenden Wagen. Er suchte nach Worten, wollte unbedingt etwas loswerden, bevor er das Auto verlassen und in seine eigene Welt zurückkehren musste.

"Toshiya?" Aufmerksamkeit. "Ich... ich wollte mich noch - bedanken. Ja, etto... danke für den Nachmittag." Kyo bemerkte nicht, wie er unruhig mit seinen Fingern spielte. "Das... war so ziemlich der beste Tag seit langem. Dafür auch danke."

Toshiya lachte leicht. "Es ist schön, wenn ich dir so leicht eine Freude machen kann, Kyo. Der Nachmittag war auch für mich sehr angenehm." Er fuhr mit den Fingerspitzen durch das gelbblonde Haar, zog das Gesicht zu sich hinüber, um dem Jüngeren für den Bruchteil einer Sekunde die Lippen aufzudrücken. Nicht mehr als ein Windhauch - und doch so intensiv wie ein Kuss.

"Mata, Kyo-chan." Der Angesprochene nickte, stieg langsam aus dem Wagen. Alles war unwirklich, warum auch immer. Der Blonde sah dem Toyota noch eine Zeit hinterher, ehe er sich endlich dazu durchringen konnte, das Treppenhaus zu betreten.

Wenig später bereits schloss er die Haustür auf, ging in die Küche, wo er auf seine Mutter traf. Die Frau mittleren Alters stand am Waschbecken, spülte ab. "Konban wa, Schatz.", begrüßte sie ihn sanft.

Kyo erwiderte den Gruß liebevoll und stellte seine Schultasche in einer Ecke ab. "Du bist spät.", stellte Nishimura-san fest, wischte die nassen Hände an ihrer Küchenschürze ab und gab ihrem Sohn einen Kuss auf die Wange.

Kyo nickte, sagte entschuldigend: "Hai, ich war nach der Schule noch unterwegs." "Mit Daisuke?" "Ano... ja." Ein ungutes Gefühl beschlich den Jungen, doch es widerstrebte ihm, Toshiya vor seiner Mutter zu erwähnen. Der junge Mann war sein Geheimnis - einzig und allein seins.

"Ich wusste gar nicht, dass er einen Führerschein hat." Kyo sah sie groß an. "Hat er auch nicht.", entgegnete er perplex. "Die nimmt zur Zeit erst Fahrstunden." Er setzte sich an den Küchentisch, goss sich ein Glas Wasser ein.

"Aus wessen Auto bist dann eben gestiegen?" Ein Husten. Kyo verschluckte sich an seinem Wasser, stellte es hastig wieder weg. "Wie...?" Seine Mutter deutete aus dem Küchenfenster, das an der Hauptfront des Hochhauses lag. "Ich habe vorhin zufällig hinausgesehen, als du ausgestiegen bist."

Es war so klar. Wieso sollte ich auch einmal im Leben mit einer Lüge durchkommen...?

"Ach so. Nein. Das war... das Auto eines Bekannten. Er hat mich nur nach Hause gefahren.", brummte Kyo und sah auf die Küchenuhr. Es war längst reguläre Abendbrotzeit im Hause Nishimura, doch...

"Er ist lange weg heute." "Kyo!", beschwerte sich seine Mutter in einem Ton, der nicht sonderlich rügend wirkte. "Sag nicht immer >er< zu deinem Vater." Sie drehte sich nicht zu ihm um, war weiter mit dem Essen beschäftigt.

Der Junge blinzelte. "Du hast mich Kyo genannt." "Was meinst du?" Die Frau wandte sich nun doch erstaunt zu ihm um. "Seit wann nennst du mich Kyo?", wiederholte der Achtzehnjährige seine Frage. "Ach so." Sie lächelte. "Nun, deine Freunde sagen Kyo zu dir, nicht? Der Name scheint dir zu gefallen. Also werde ich dich auch so nennen."

Kyo sah sie voller Zuneigung an. "Das hast du dir gemerkt?" "Natürlich." "Er - äh - Paps würde mich nicht so nennen." "Dein Vater hat immerhin auch den Namen Tooru für dich ausgesucht. Natürlich besteht er darauf, dass du diesen Namen beibehältst."

Ein Grund mehr, den Namen zu hassen.

Kyo suchte nach einem Themenwechsel, betrachtete seine Mutter eine Weile. "Dir geht's gut heute, was?" "Ja." Sie nickte zustimmend. "Ich glaube, die neuen Tabletten schlagen gut an." "Das ist schön." Ein warmes Gefühl in der Magengegend.

"Schatz?" "Hm?" "Wie geht es deiner Wange?" Kyo sah sie groß an. "Was sollte mit meiner Wange sein?" "Ich habe das letztes Wochenende sehr wohl gehört. Es tut mir leid, dass er seinen Ärger an dir ausgelassen hat."

Kyo seufzte, wandte den Blick ab. "Entschuldige dich nicht ständig für ihn. Du kannst nichts dafür." Seine Mutter kam nicht mehr dazu, etwas zu antworten, da ein Schlüssel im Türschloss das Eintreffen einer weiteren Person ankündigte.

Keine Sekunde später trat Kyos Vater in die Küche, begrüßte seine Frau, sah seinen Sohn dann verwundert an. "Seltener Anblick.", stellte er fest. Kyo ignorierte die Spitze gegen ihn. Er wusste, sagte er nun etwas, bräche er damit gleich den nächsten Streit vom Zaun.

Das gemeinsame Abendessen verlief schweigsam, während sein Vater gelegentlich etwas von der Arbeit berichtete, aß Kyo stumm seine Portion, hing dabei seinen eigenen Gedanken nach. "Wie läuft die Schule, Tooru?" Der Angesprochene sah auf, zuckte mit den Achseln. "Muss ja."

"Das heißt so viel wie?" "Na ja, wie soll die Schule schon laufen? Ich gehe hin, nehme am Unterricht teil, komme heim, mache, was zu tun ist, meist noch ein bisschen mehr - owari." Seine Mutter sah ihn bittend an. Daraufhin fügte Kyo noch hinzu: "Momentan ist der Stoff ziemlich trocken, aber es lässt sich aushalten."

Der Mann mittleren Alters nickte. "Denk dran, du lernst für dich. Nicht für uns." "Jaah." "Wie geht es Kumiko?" Kyo starrte ihn an. "Wie kommst du denn auf die?" "Man wird ja wohl noch fragen dürfen. Wenn ich mich recht erinnere, hast du dich ein paar Mal mit ihr getroffen."

Kyo verzog das Gesicht. "Ja. Weil du mit ihrem Vater befreundet bist und mich dazu genötigt hast." "Ich muss doch sehr bitten. Kumiko ist ein nettes Mädchen." "Sie ist eine verzogene Göre, die von Zwölf bis Mittag denkt."

"Noch Reis?", mischte sich Kyos Mutter in ihre Diskussion ein. Sie wusste, wie leicht sich ihr Mann angegriffen fühlte, sobald man seine Meinung kritisierte, daher unterbrach sie das Gespräch - so gut sie die Sicht ihres Sohnes auch verstehen konnte.

Ihr Ehemann aber ignorierte dieses Einmischen. "Scheinbar ist sie aber die Einzige, die überhaupt Interesse an dir zeigt." Kyo rollte mit den Augen. "Du hast doch keine Ahnung.", murmelte er und legte seine Stäbchen beiseite.

"Scheinbar gibt es da Dinge, die wir wissen sollten." "Nein, gibt es nicht.", widersprach der Junge mürrisch und rutschte tiefer auf seinem Stuhl, verschränkte die Arme vor dem Körper. "Ich habe definitiv keine Lust, mein nicht vorhandenes Liebesleben zu diskutieren."

Zumal du es sowieso nicht verstehen würdest...
 

~~
 

Die Musik schallte durch den Raum, prallte gegen die Wände, wurde von dort wieder zurück ins Zimmer geworfen. Das alles in einer geringen Lautstärke, sodass sie lediglich durch die Uhrzeit überhaupt vernehmbar war.

Auf seinem Bett, noch komplett angezogen, lag Kyo, die Arme unter dem Kopf verschränkt, tief in Gedanken. Seine Eltern störten sich sicherlich nicht an der Musik, unmöglich, waren sie doch unüberhörbar in eine Diskussion vertieft.

Doch auch Kyo selbst nahm die Worte kaum wahr, die der Vokalist leise über das Zusammenspiel von Gitarren, Bass und Schlagzeug hinweghauchte. Immer wieder spielten sich dieselben Bilder vor seinem geistigen Auge ab, Szenen der letzten zwei Wochen - der schönsten Wochen überhaupt.

Er wusste nicht, wie dieses Wesen es geschafft hatte, ihn so zu verzaubern, und doch fiel es Kyo zugegebenermaßen schwer, seine Gedanken von Toshiya wegzulenken. Der junge Mann, so anmutig und wundervoll, brachte sein Herz dazu, höher zu schlagen - dies schien ihm so mühelos gelungen, ohne Anstrengungen. Alles, was er getan hatte, war Interesse an Kyo selbst zu zeigen, sich Gedanken um ihn zu machen.

Er macht mich glücklich. Seine Nähe ist so schön wie er selbst. Das muss es sein... Ich habe keine Ahnung, was genau an ihm so anders ist, doch diese Art, sich zwar für mich zu interessieren, gleichzeitig aber nicht an mir zu kleben, ist beeindruckend. Er gibt mir nie das Gefühl, mich zu brauchen oder wirklich zu wollen - und doch macht er sich so viele Gedanken, lässt sich die wundervollsten Dinge einfallen, um mich zum Lächeln zu bringen. Toshiya, du bist ein Rätsel. Was versprichst du dir von all dem...?
 

~~
 

Dies Augen weiteten sich, er konnte kaum glauben, was er sah.

Kyo hing nicht wirklich auf seiner Tischbank und hielt seelenruhig einen Schlaf, während der Lehrer an der Tafel eine Zeittafel erläuterte...?

"Pst...!", machte er und gab dem Jüngeren einen unauffälligen Stoß. "Wach auf..." Er quetschte es nur zwischen den Zähnen hindurch, viel zu leise, um in Kyos Traumwelt hervorzudringen.

Allerdings wies er durch seine eigene Unaufmerksamkeit den Lehrer auf Kyos geistige Abwesenheit hin. "Tooru." Keine Reaktion. "Tooru, wären Sie so gut, uns mit Ihrem Wachzustand zu beglücken?"

Kyo blinzelte. Hmm... Plötzlich drangen Wortfetzen zu ihm hindurch. Er riss die Augen auf und setzte sich ruckhaft richtig hin. "Gomen nasai...", stotterte er, nachdem ihm bewusst wurde, dass der gesamte Geschichtskurs samt des Lehrers zu ihm hinüberstarrte.

Der Lehrer verwies ihn darauf zurück, nach Ende der Stunde im Klassenraum zurückzubleiben, um sich nicht während des Unterrichts weiter mit diesem Vorfall aufzuhalten, führte danach unberührt sein Fach fort.

Kyo stöhnte innerlich und vergrub das Gesicht in den Händen. So eine...

"Was ist denn los?", fragte Die, nachdem der Gong den Geräuschpegel anhob. "Ich hab schlecht geschlafen.", murrte der kleinere Junge und ächzte. Das konnte wirklich Ärger geben. Die versprach ihm, vor dem Raum auf ihn zu warten, fragte noch: "Wie viel hast du in Englisch geschrieben?", woraufhin Kyo ihn groß anstarrte, erwiderte: "Wieso Englisch?!" - und Die kopfschüttelnd den Raum verließ.

Lange musste der Rotschopf nicht warten, bis Kyo das Klassenzimmer um einige Sonderaufgaben schwerer verließ und frustriert seufzte. "Fuck off, das kann doch jedem mal passieren!", maunzte er und setzte sich auf den Boden, lehnte dabei mit dem Rücken gegen die Wand.

Die ging vor ihm in die Hocke und sah ihn prüfend an. "Was zum Teufel ist los mit dir?" "Wieso?", grummelte der Blonde. "Na ja, du pennst im Unterricht ein, vergisst deine Aufgaben, bist allgemein ziemlich durch den Wind - und das dir, dem Musterschüler..."

Kyo rieb sich die Stirn, erklärte dann: "Ach, mir geht einfach zu viel im Kopf rum, das ist alles." "Hör auf, immer alles runterzuwerten. Irgendetwas hast du. Wofür sind wir Freunde, Kyo?"

Ein erneutes Seufzen. "Ein anderes Mal, ja, Die? Nicht jetzt, nicht hier. Dafür ist die Mittagspause echt zu schade..." Die gefiel es nicht, doch es blieb ihm nichts anderes übrig, als seinem Freund zuzustimmen. Wollte er nichts sagen, bekam man ja doch nicht ein Wort aus ihm heraus.

Ach Kyo. Was soll das? Warum schließt du mich so aus deinem Leben aus? Ich verlange doch nicht viel. Nur, dass du mich daran teilhaben lässt..
 

~~
 

tbc

chikaku

Hey~
 

frohe Ostern nachträglich ^.^

Da bin ich endlich auch mal wieder mit einem neuen Chap ^^;

ageha no hane ist eine relativ lange Fiction, dementsprechend bauen sich sowohl Handlung als auch Erklärungen eher langsam auf, obwohl ich ehrlich sagen muss, dass diese Geschichte trotz Fantasy-Einflüssen keine sein wird, die durch grandiose Action zu überzeugen versucht ^^x - ich weiß, Cliffhanger und ähnliches sind nervig, aber Zeit ist knapp bemessen *hust*

Okay, nun will ich nicht lange plaudern, es gibt nicht mehr allzu viel zu sagen zum Chap - ich hoffe, es wird euch gefallen~~
 

baibai
 

Tisara
 

Chapter 5 - chikaku
 

~~
 

Die Dunkelheit hatte den Tag bereits besiegt, als Kyo heim schlenderte.

Nur wenige Tage waren vergangen, seit er den Zorn seines Geschichtslehrers durch den Schlaf während der Unterrichtszeit auf sich gezogen hatte. Seit jenem Zwischenfall aber hatte der Junge sich wieder mehr zusammengerissen und sich so gewissenhaft wie zuvor um seine Aufgaben gekümmert.

Durch den Regen wandernd sah Kyo sich um. Es war abgekühlt in den letzten Tagen, der Herbst hatte Einzug gehalten. Die wenigen Leute, die bei jenem Wetter den Weg nach draußen fanden, rannten an ihm vorbei, schützten sich mit Regenschirmen vor dem feuchten Nass.

An einer kleinen Brücke hielt der Junge an, musste plötzlich lächeln.

Hier...

Als sei es gestern gewesen, sah er Toshiya und sich auf dieser Brücke stehen, erinnerte sich an ihre Unterhaltung zurück. Er wusste nicht im Geringsten mehr über den großen Dunkelhaarigen als zu jener Zeit - und dennoch fühlte er sich ihm so viel näher...

Völlig unerwartet schwollen die Stimmen um ihn herum zu einem immensen Geräuschpegel an, lauter und lauter, ohne nur ein einziges Wort dabei deutlich für ihn zu machen. Doch damit nicht genug, es traten weitere Sinneswahrnehmungen hinzu, Präsenzen schienen vor ihm aufzuflackern, ließen Gefühle auf ihn einwirken - Angst, Verzweiflung, etwas sehr dringliches; gleichzeitig aber Hoffnung, Vertrauen.

Die Welt schien sich zu drehen. Zu viele Eindrücke und Emotionen strömten auf den Jungen ein, zu viele, um sie zu ertragen. Der Druck wurde zu mächtig, ließ Kyo reflexartig die Hände an die Schläfen pressen.

Von einer Sekunde auf die andere Stille. Stille und Dunkelheit. Kyos Hände sanken langsam von seinem Kopf, er blickte perplex um sich. Am Gipfel dieses Höllenspektakels, das dort an ihm und seinen Nerven gezerrt hatte, war alles verstummt - und mit ihm, so schien es, ganz Tokyo.

Kein Licht mehr brannte, hinter keinem der sonst immer hell aufblinkenden Fenster, die Leuchtreklamen der Geschäfte um ihn herum waren tot, von nirgendwo her drang mehr Musik aus den Läden.

Ein paar Augenblicke lang verblieb der Zustand Tokyos, dann jedoch flackerten Lichter hinter jedem Fenster, keine Sekunde später schien wieder alles normal. Kyo strich sich ein paar der nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ein Stromausfall?

"Alles in Ordnung?" Eine freundliche, tiefe Stimme, die nie zuvor an sein Ohr gedrungen war. Der Achtzehnjährige drehte sich herum zu ihrem Besitzer, einem jungen Mann, vielleicht vier, fünf Jahre älter als er. Sein Gegenüber war größer als er, hatte halblanges, hellblondes Haar und ein langes, schmales Gesicht.

Er lächelte höflich und hielt seinen Regenschirm so, dass auch Kyo vor dem Unwetter Schutz fand. "Etto... alles in Ordnung, danke." "Wirklich? Du bist so blass um die Nase." Der große Blondhaarige sah ihn mit einer Mischung aus höflichem Interesse und freundlicher Fürsorge an.

Mit dieser kleinen Geste brachte er Kyo ebenfalls zum Lächeln. Der Junge entgegnete eine Grimasse ziehend: "Nein, ich seh immer so aus." "Du wirst dich erkälten." "...?" Der Fremde deutete auf seine inzwischen durchweichten Kleidungsstücke. "Wohnst du weit weg? Ansonsten bringe ich dich hin - mit Schirm lässt sich das Wetter um einiges besser ertragen."

Kyo sah ihn verwundert an. Merkwürdige Freundlichkeit, aber gut...

"Nur zehn Minuten von hier.", erklärte er. "Gut, dann komm." Ein liebenswürdiges Lächeln folgte. "Ich heiße übrigens Shinya.."
 

~~
 

"Bist du dir sicher?"

Ein amüsiertes, kühles Grinsen.

"Absolut. Gestern Abend hat der Gute doch tatsächlich ganz Tokyo samt Vororten lahm gelegt - mit seinen bloßen Gedanken."

"Und er begreift noch immer nichts?" Eine Stimme lachte auf. "Nicht doch. Dieses dumme Ding hat von nichts eine Ahnung. Ich beobachte ihn schon seit langem intensiv - er verdrängt all die Ereignisse, die sich nicht mit logischem Verstand erklären lassen, sofort. Vermutlich glaubt er, er habe nicht mehr alle Tassen im Schrank, psychisch nicht mehr völlig funktionstüchtig halt."

Erneute Belustigung, gnadenlos und schadenfroh.

"Armes, törichtes Kind... Bleib in seiner Nähe." Ein pflichtbewusstes Nicken. "Worauf Ihr Euch verlassen könnt. Wenn die Handlung sich verdichtet, werde ich dabei sein..."
 

~~
 

"Mann, wieso kannst du nicht zu Hause bleiben, wenn du krank bist? Du wirst mich anstecken." Die grinste mitleidig und strich Kyo eine Strähne seines Blondhaars beiseite. Der Jüngere hustete und keuchte bedenklich, ebenso war Dies Vorrat an Taschentüchern beeindruckend schnell gesunken.

Kyo schniefte leise und brummelte: "Arsch, da komm ich extra her, um dich nicht zu versetzen, und du...?!" "Oooch, so meinte ich das doch nicht!", lachte Big Red und zwickte den Kleineren in die Wange. "Ich verstehe doch nur nicht, wieso du dir nie eingestehen kannst, wenn du wirklich krank bist."

"Vermutlich, weil ich überhaupt nicht" - Ein Niesen - "... krank bin. Das ist nur ein kleiner Schnupfen, sonst gar nichts." "Wo hast du dir diese Pest eigentlich eingefangen? Wieder zu viel fremdgeknutscht, was?" Die kicherte.

Ein erhobener Mittelfinger war die Antwort. "Nee, bin neulich während dieses Wolkenbruchs draußen gewesen." "Du meinst, als auch dieser Stromausfall war, der mir bei Dead or Alive III in der ENDRUNDE den Saft abgedreht hat, sodass ich die ganze Scheiße NOCH mal machen darf?"

Kyo sah ihn einen Moment lang entgeistert an, vergaß sogar ein paar Sekunden, zu husten. "Anou, hai, genau während dieses Stromausfalls...", murmelte er und kämpfte gegen die Erinnerung an jene eigenartige, ja, fast mysteriöse Atmosphäre an, indem er Die einen Tritt gegen das Schienbein verpasste.

"HEY! Wofür war das denn jetzt?", jammerte dieser augenblicklich. "Für die Bemerkung mit dem Fremdknutschen.", war die unbeeindruckte Antwort. Erneutes Niesen. "VERDAMMT, Scheißerkältung!", murrte Kyo und schluckte ein paar Mal, um das trockene Gefühl aus seinem Hals zu verbannen. Vergebens.

"Hast du vielleicht auch noch Fieber? Dann jage ich dich sofort weg hier." "Nein." "Woher willst du das schon wissen?" "Weil ich vorhin erst meine Temperatur gemessen habe." "Ach? Ich dachte, du bist nicht krank? Ah, NEIN, lass mich-" Die sprang auf von seinem Sofa und flüchtete in dem dringenden Wunsch, sich vor Kyos erneuter Attacke zu retten.

Kyo folgte ihm hinüber in die gemütliche Wohnküche des Hauses, lehnte sich gegen den Kühlschrank, welchen Die soeben plünderte. "Magst du was essen? Meine gute alte Oma war heute Vormittag da und hat das Ding hier aufgefüllt." Kyo grinste kopfschüttelnd. "Du hast einen Service... Weißt du dein Glück eigentlich zu schätzen?"

Er hatte es ohne einen bestimmten Unterton gesagt, und doch schwang eine gewisse Sehnsucht in seinen Worten mit, die selbst Die nicht verborgen blieb. Er nickte leicht und drückte Kyo eine Packung Milch in die Hand. "Halt mal. Ich spiele jetzt Mama und koche dir was gegen dieses unerträgliche Geröchel."

Kyo musste erst recht husten, als er Die dabei beobachten durfte, wie er Milch auf der Kochplatte erhitzte und Honig aus einem Vorratsschrank hervorkramte. "Du musst zwischendurch auch mal-" "Ruhe, ich bin der Krankenpfleger." "Aber-" "Ich höre nichts."

Kyo zuckte mit den Schultern. Wies er Die eben nicht daraufhin, dass...

"SHIT, die Milch ist angebrannt!" Auf diese entsetzte Feststellung hin verdrehte Kyo die Augen. "Ich hab's dir sagen wollen. Aber nein... Andou Daisuke, du bist verdammte neunzehn Jahre alt und kannst nicht mal Milch erwärmen, ohne dass sie dir den Topfrand schwarz anbrennt. Wie schaffst du das?"

Die, beleidigt über den Spott, suchte nach einer Rechtfertigung. "Du hast mich abgelenkt mit deinem ewigen Husten." Röchelndes Gelächter. "Gelogen hast du auch schon besser." "Maargh~, mach mich ruhig darauf aufmerksam, wie unselbstständig ich bin, ich höre dir gerne weiter zu..."

Kyo lächelte leicht und klopfte dem Älteren auf die Schulter. "Nichts für ungut, Großer. Der Wille zählt, ne. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass du mich verhätscheln willst, aber lass gut sein. An ner Grippe ist in den letzten Jahren kaum einer mehr gestorben."

Die nickte brav und hängte Kyo einen Arm um die Schultern. "Nya, was tut man nicht alles fürs kawaii-mono..." "Ich schlage dich dafür, wenn ich aus dem Bad zurück bin!", versicherte das >kawaii-mono< und verschwand in Richtung Badezimmer, um nach neuen Taschentüchern zu suchen.

Die nahm währenddessen die Milch vom Feuer und seufzte leise.

Warum zeigst du mir nicht ein einziges Mal, wer du wirklich bist, Kyo? Nur einmal...
 

~~
 

Kyo saß am Schreibtisch und las in seinem Physikbuch, eine Tasse dampfenden Tees vor sich stehend und einen dicken Schal um den Hals gewickelt. Es war Freitagabend, erst vor kurzem war er von seinem besten Freund heimgekehrt, um sich eventuell doch ein wenig zu regenerieren. Ursprünglich war es seine Intention gewesen, an "ihre" Lichtung zu wandern in der Hoffnung, Toshiya zu begegnen, doch da der Regen wieder zugenommen hatte, war jenes Vorhaben buchstäblich ins Wasser gefallen. Zumindest war es ihm möglich gewesen, während eines kurzen Anrufs vom Haustelefon aus Toshiyas Stimme zu hören.

Plötzlich vernahm er Stimmen auf dem Flur. Sie waren deutlich hörbar, jedoch weder aggressiv noch beunruhigend. Kyo runzelte die Stirn. Sein Vater war doch noch gar nicht zu Hause, mit wem zum Teufel unterhielt seine Mutter sich?!

Diese Frage stellte er sich, bis ein Klopfen an seiner Zimmertür ihn darin unterbrach. "Hm?", machte er und drehte sich auf seinem Stuhl zur Tür herum. Seine Mutter streckte ihren Kopf herein, verkündete: "Du hast Besuch..." und schob die Tür gänzlich auf.

Kyos Blick musste wirklich ein Bild für die Götter gewesen sein, da die Person, welche den Raum betrat, augenblicklich loslachte. "Konban wa, Kyo-chan." "Etto..." "Nun guck nicht so dumm und sag mir, dass du dich endlos freust." Toshiya grinste und blickte der Mutter des Jüngeren hinterher, die die Tür leise hinter sich schloss, sie somit allein zurückließ.

Oh mein Gott. Was will der denn hier? HIER? Und... oh nein, mein ewiges Husten und die Nase ist rot und...

Wie zuvor gefürchtet entkam der kleine Blonde dem Hustenreiz nicht, sodass Toshiya auf seine Antwort einen Augenblick warten musste, welchen er nutzte, um sich auf einem zweiten Stuhl niederzulassen, den er an Kyos Schreibtisch herangezogen hatte.

"Eh.. was - was machst du hier?" "Dich besuchen, mein krankes Huhn." "Woher weißt du-" Toshiya lächelte sanft und legte ihm einen Zeigefinger auf die Lippen. "Glaubst du, ich hab das unterdrückte Husten vorhin nicht gehört? Ich mag nicht mehr ganz so frisch sein wie du, aber mit meinen Ohren hatte ich noch nie ein Problem. Warum hast du mir nicht einfach erzählt, dass du krank bist?"

Kyo schniefte ein paar Mal und entgegnete dann ein wenig krächzend: "Ach, krank... Das ist ein dehnbarer Begriff." Das Lächeln auf den hellen Zügen des anderen breitete sich weiter aus. "Es ist so süß, wenn Menschen sich ihre Immunschwäche nicht eingestehen können.", bemerkte er.

"Ich bin nicht süß.", maulte Kyo und zog die Knie an, umschlang sie mit den Armen. "Hmm... na gut, einigen wir uns auf bezaubernd, wenn es dich glücklich macht.", lenkte Toshiya gespielt nachgiebig ein und streichelte über den Blondschopf. "Was gibt es Neues bei dir?"

Kyo zuckte unschlüssig mit den Schultern. "Nichts interessantes." "Gar nichts?" "Nein." "Es ist unmöglich, ein Gespräch mit dir zu führen.", beschwerte der große Dunkelhaarige sich plötzlich und verschränkte die Arme vor dem Körper.

"Tut mir ja leid, was soll ich groß erzählen? Gestern haben wir das und das in dem und dem Fach gemacht?!", protestierte Kyo daraufhin sofort. Toshiya nickte. "Warum nicht? Es gehört in dein Leben, oder nicht? A-l-l-e-s, Kyo, alles ..."

"Prima. Um etwas über langweilige Geschichtsstunden zu hören, brauchst du mich nicht. Gegen dich bin ich ja doch nur ein Kind..." Er hatte es nicht laut sagen wollen, die Worte waren seinen Lippen einfach so entwischt.

Toshiya sah ihn eine Weile überrascht an. Diesem Blick standzuhalten war alles andere als leicht, sodass Kyo bereits schnell das Gesicht senkte, zu Boden blickte. Der Ältere aber ließ das Thema nicht fallen, sondern hob sein Kinn wieder an und fragte: "Ist es das? Du denkst, ich sähe nur ein Kind in dir?"

"Nein. Das ist einfach eine Tatsache.", murmelte Kyo und befreite sich aus dem Griff. Ein ungläubiges Lächeln. "Das ist so unsinnig, Kyo... Es mag sein, dass du dich in einer anderen Welt befindest als ich, weil du noch zur Schule gehst und Zuhause lebst. Aber vergleiche dich doch einmal mit anderen Jugendlichen deines Alters. Inwiefern können die schon an deine Gedankenwelt, an das, was in dir vorgeht, heranreichen? Überhaupt nicht, siehst du? Möglicherweise bin ich ebenfalls ungewöhnlich für mein Alter. Ich weiß, dass ich sehr erwachsen auf meine Umwelt wirke, doch wenn wir es genau nehmen... Sind wir zusammen, bin es für gewöhnlich ich, der dich zu irgendwelchem Unsinn anstiftet, nicht wahr? Du siehst - alles gleicht sich aus. Wo also ist das Problem?"

Kyo antwortete ihm nicht, wodurch der junge Mann sich gezwungen fühlte, erneut nach seinem Gesicht zu greifen, seinen Blick anzuheben. "Ist mein Erwachsenengehabe so schlimm für dich?" Er lächelte leicht schräg.

Das ist es doch nicht. Du weißt nichts über mich. Überhaupt nichts. Du hast keine Ahnung, wie es in meiner Familie aussieht, du kennst m-i-c-h nicht... meine - meine Paranoia, meine Wahnvorstellungen... sofern es denn welche sind.

Ein Seufzen. "Nein.", widersprach Kyo leise. "Ich frage mich nur, was es dir bringt, dich mit mir zu befassen..." Toshiya hob die Augenbrauen, entschied sich dann jedoch für ein nachsichtiges Lächeln und schloss Kyo sanft in seine Arme.

"Das wirst du noch erfahren, Kyo-chan. Ich verspreche es dir.", flüsterte er in das Haar des Kleineren und drückte ihn liebevoll. Jener ließ die Umarmung für einmal geschehen und lehnte sich an Toshiya. Genoss die Wärme, die wundervolle Wärme, die ihm in jenen Sekunden geschenkt wurde.

Kyos Blick wanderte über die Leuchtziffern seiner Uhr - sein Vater musste bald heimkommen und war er ehrlich... Es lag nicht unbedingt in seinem Bestreben, Toshiya auf seinen Vater treffen zu lassen.

"Toshiya?" "Hai?" Der Größere lockerte seine Umarmung ein wenig und sah ihn aufmerksam an. "Ich bin wirklich fix und alle, war 'n ziemlich beschissener Tag heute.." Ein verständnisvolles Nicken. "Natürlich, ich bin schon so gut wie weg.", versicherte er. "Aber morgen komme ich wieder." Er zwinkerte vielsagend.

"Das - das brauchst du nicht. Ich kann zu dir kommen..." "Vergiss es. Spreche ich mal aus Erfahrung, wirst du morgen ganz flachliegen." "Nein, wirklich.", widersprach Kyo stur. "Wart's ab." Toshiya lächelte und beugte sich vor zu ihm. Ihre Gesichter waren nur noch Millimeter voneinander entfernt, als Kyo ein wenig zurückwich und stotterte: "Du - du wirst dich anstecken..."

Toshiya zuckte ungerührt mit den Schultern und zog ihn zurück zu sich, flüsterte ihm ins Ohr: "Wenn es von dir kommt, kann es so schlimm nicht sein..." und ließ keinen weiteren Protest zu, indem er resolut Kyos Lippen suchte.

Es war nicht das erste Mal, dass Toshiya Kyo auf diese Weise überrumpelte, doch in gewisser Weise gänzlich verschieden, da er sich offensichtlich nicht mit einem einfachen Kuss zufrieden geben wollte.

Toshiya strich vorsichtig über Kyos Wange, während er sanft mit den Lippen des Jüngeren spielte, nach einer Weile mit der Zunge sein Piercing berührte, ihn damit dazu aufforderte, seine Lippen für ihn zu teilen. Kyo kam der indirekten Einladung nach, gewährte der fremden Zunge Einlass in seine Mundhöhle.

Völlig in ihren Kuss versunken vergaß Kyo für einmal die Welt um sich herum, doch so schnell ihr Zungenspiel auch begonnen hatte - so schnell endete es wieder. Toshiya lächelte noch einmal auf diese bestimmte, undeutbare Weise, wie nur er es konnte, und erhob sich von seinem Stuhl.

"Träume was Süßes, Kyo-chan.", sagte er ruhig und verließ mit einem letzten Winken das Zimmer. Kyo hingegen sah noch lange auf die längst wieder geschlossene Tür, hob langsam die Hand und berührte mit den Fingerspitzen leicht seine Lippen.

Kopfschüttelnd, als wolle er alles von sich weisen, was in ihm vorging, drehte er sich auf seinem Schreibtischstuhl wieder herum und schlug sein Physikbuch erneut auf. Die Konzentration aber, sich nun weiter mit Bewegungsenergie zu beschäftigen, fehlte vollkommen.

Den Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt lehnte Kyo das Gesicht in die Handfläche und seufzte leise, malte gedankenverloren auf einem Blatt Papier herum.

Was soll das bloß werden...?
 

~~

Another World

Hey Leute -
 

LASST KRACHEN, BERLIN STEHT AN! *lol*

Gomen, das musste kurz gesagt werden. Nachdem es endlich offiziell online ist, hoffe ich mal, einige von euch in Berlin zu treffen ^^

So, nun aber zurück zum eigentlichen Thema - Chapter 6 von ageha no hane. Nur ein paar Kleinigkeiten vorweg.. Erst einmal zur Berechenbarkeit dieser Story *g*: vielleicht ist sie berechenbar, vielleicht aber auch nicht - ich weiß nicht, was in den Köpfen der Leser genau vorgeht, wo die Vermutungen liegen, doch ich hoffe einfach, dass innerhalb der 17 Kapitel, die nach diesem noch folgen, ein paar Dinge geschehen, die die eine oder andere Meinung über den durchschaubaren Verlauf der Geschichte noch kippen~ ich zumindest denke, dass nicht alles so durchsichtig bleiben wird ^^v

Eine weitere Frage, die mir schon oft gestellt wurde, ist, warum ich scheinbar immerzu 2-Teiler schreibe... o__O; Saa, das ist wirklich mal eine gute Frage *lach* Meist ist es so, dass ich nach dem Ende einer Story noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft habe, die sich angeboten hätten - des Weiteren bin ich meist nicht in der Lage, die Charas, die mir grundsätzlich viel zu sehr ans Herz wachsen [^^;], nach einer FF loszulassen~ daher der angehängte zweite Teil. In einer Fortsetzung komme ich gewöhnlich immer zu einem für mich akzeptablen Ende und habe auch langsam genug von der Storyline *lach*

So viel also zu diesem Thema.

God, nun habe ich genug geredet - viel Spaß mit Kapitel 6~~~ ^______^b
 

Tisara
 

Chapter 6 - Another World
 

~~
 

"Was machst du denn hier?"

Erstaunen.

Der Gefragte machte das Peacezeichen und betrat die Wohnung. "Ich sagte doch, ich käme zu dir." Ein Augenrollen. "Du. Bist. Krank." Kyo blieb stehen und legte den Kopf schief. "Seh ich krank aus oder höre ich mich so an? Muss sich über Nacht verflüchtigt haben.."

Toshiya kratzte sich am Kopf und sah dem Jüngeren nach, wie er in das Wohnzimmer schlenderte. Eigenartig - sonderlich krank sah Kyo wirklich nicht mehr aus...

"Was hast du gemacht?" Misstrauen schwang in seiner Stimme mit. Kyo blickte ihn verwundert an. "Was sollte ich gemacht haben? Ich habe mich lediglich deinen Anweisungen gefügt, brav geschlafen und >süß geträumt<. Muss Wunder bewirkt haben."

"Prima." Toshiya grinste mit einem Mal gefährlich und setzte sich zu dem Achtzehnjährigen. "Dann können wir ja da weitermachen, wo wir gestern aufgehört haben..." Ein wenig überrannt fühlte Kyo sich schon, doch wehren wollte er sich gegen Toshiyas Nähe nicht, nein, er war sich nicht einmal sicher, ob es ihm überhaupt gelungen wäre. Zu bezaubernd und einzigartig wirkte Toshiyas Ausstrahlung noch immer auf ihn, als dass er dieses Wesen einfach hätte von sich stoßen können - selbst, wenn er gewollt hätte.

Wie sehr Toshiya es liebte, die Bestimmungsrechte zu besitzen, spiegelte sich einwandfrei in seiner Art wieder, Kyo immer zu küssen, wenn er es wollte, und ihre Küsse dann zu beenden, wenn ihm danach war. Kyo beschwerte sich nicht über diese gewisse Dominanz - vielleicht war es sogar dieses Benehmen, das einen großen Teil seiner Faszination für Toshiya ausmachte. Der Ältere nahm alles in die Hand, erwartete nicht von ihm, dass er auch nur irgendetwas regelte, verließ sich nicht auf ihn. Auf seinen Schultern lag nicht der übliche Druck, den die Menschen seines sonstigen Umfeldes auf ihn ausübten.

"Toshiya?" Stunden später. Der Schwarzhaarige warf Kyo, der dicht an ihn geschmiegt gegen die Sofapolster lehnte, einen Blick zu. "Ja?" "Wie hast du es geschafft, so viel aus mir herauszubekommen? Niemand kann das, nicht einmal Die."

Ein schiefes Lächeln. "Daisuke besticht dich aber auch nicht mit Küssen, ne.", antwortete er mit einem schalkhaften Blitzen in den Augen. "Ich meine das ernst.", beharrte Kyo weiter auf seine Frage.

"Gomen. Nun... ich kann dir auch nicht mehr sagen als das, was du selbst weißt. Vielleicht lockt es dich einfach, weil ich dir im Gegenzug auch nicht alles von mir erzähle." "Hm.." Kyo grinste mit einem Mal leicht. "Zumindest deine Wohnung könntest du mir mal im Ganzen zeigen.", stellte er kritisch fest. "Ich kenne immer noch nicht mehr als den Flur und das Wohnzimmer."

"Das lässt sich ändern." Toshiya schob den Kleineren von sich, um sich selbst aufzurappeln, und ging vorweg in dem Bewusstsein, Kyo folgte ihm ohnehin. "Badezimmer." Er deutete nach links und öffnete eine der weißen Türen.

Kyo stieß einen Pfiff aus. "Deine Zimmer sind tatsächlich alles so riesig, wie?" "Schon.", stimmte Toshiya lachend zu und öffnete die nächste Tür - die Küche. "Hier verbringe ich endlos viel Zeit. Essen, meine Leidenschaft.." Kyo zog spöttelnd die Augenbraue hoch. "Wer's glaubt..."

"Wie meinen?" Kyo gab ihm einen kurzen Stoß in die Seite. "Wenn du so viel isst, frage ich mich, wo du das lässt." "In der Kloschüssel, ich habe Bulimie, noch nicht gewusst?", gab Toshiya schnippisch zurück und öffnete die nächste Tür.

"So, und hier mein Schlafzimmer." Kyo blinzelte. Dieses Zimmer war so unverschämt groß und teuer eingerichtet, dass einem wirklich anders werden konnte, doch man musste es Toshiya lassen - Geschmack hatte er.

Kyo machte unwillkürlich einen Schritt hinein und sah sich um. "Gib es zu, du hast eine Bank ausgeraubt und erzählt deswegen so wenig über dich." "Ertappt. Nun werde ich dich töten müssen, schade..." Kyo lachte leise, seufzte jedoch innerlich.

In der eigenen Wohnung war nicht ein einziges Zimmer auch nur annähernd groß und komfortabel. Nicht die Tatsache, wie wenig er im Vergleich zu Toshiya hatte, machte dies so trist. Wäre sein Zuhause wenigstens in sofern schön, dass seine Familie als einwandfrei liebenswürdig durchginge, lägen die Dinge ganz anders. Doch gerade mit den Erinnerungen der letzten Nacht, dem erneuten Streit zwischen seinen Eltern, den er unfreiwillig mit anhören musste, wurde die Erdspalte zwischen Toshiyas Welt und der eigenen noch ein Stück größer.

"Nun sieh dir das an." Toshiya deutete ans Fenster. "Du musst einen Magneten für diese Dinger haben, wie machst du das nur?" Die große, schlanke Gestalt trat auf den Schmetterling zu, mühte sich behutsam, ihn durch das Fenster in die Freiheit zu entlassen.

Kyos Herz schien schwer zu werden. Er antwortete nicht auf die spielerisch gemeinte Frage, sondern drehte sich weg von dem Tier, scheinbar interessiert an der Nachttischlampe. Der Achtzehnjährige setzte sich an den Bettrand und starrte ohne wirkliches Ziel auf die Lampe - bis etwas Farbiges seine Aufmerksamkeit erregte.

Die Schublade des kleinen Tisches war nicht vollständig geschlossen, ein paar Fotos schienen sich darin zu befinden. Kyo dachte sich nichts dabei, als er vorsichtig die Schublade weiter aufziehen wollte, um die Bilder zu betrachten, doch-

Mit einem Ruck knallte die Schublade zu. Kyo sah erstaunt auf zu Toshiya, fragend. "Was-" "Stell dir vor, ich hätte versucht, an deine Privatsachen zu gehen. Du hättest mich in den Erdboden gestampft."

Es klang überraschend kühl. "Entschuldige, ich dachte nicht, dass diese Fotos etwas geheimes-", versuchte Kyo, sich zu rechtfertigen, doch Toshiya zog ihn mit einem Lächeln auf die Füße und schob ihn weiter. "So, genug der Schlossführung. Wollen wir noch einen Film ansehen?"

Innerlich die Stirn runzelnd stimmte Kyo zu. Was sollte dieser Stimmungsumschwung...?
 

~~
 

"Kyo?"

Sanfte Rufe, die ihn nur leise hallend erreichten.

"...?" Kyo öffnete die Augen halb, versuchte, eine deutlichere Sicht zu bekommen. "Hey." Toshiyas Stimme wurde klarer. "Wasn los?", machte er, wirkte dabei ein wenig durcheinander.

"Du bist vorhin eingeschlafen. Aber seitdem keuchst du wieder ununterbrochen und-" Er legte ihm die Hand an die Stirn, "Fieber hast du definitiv auch." Kyo verzog das Gesicht und versuchte, den aufkommenden Hustenreiz zu ignorieren. "Ach, das geht wieder vorbei.."

"Was hast du gemacht, dass es so lange verschwunden ist?" Ein wachsamer Blick. "Überhaupt nichts.", murrte Kyo, stutzte aber, als ihm bewusst wurde, dass Toshiya ihm längst auf die Schliche gekommen war.

Der Ältere hielt eine Tablettenpackung in der Hand, wedelte damit hin und her. "Fiebersenkende Präparate, Mittel gegen Grippe...", zählte er auf. "Sie sind aus deiner Tasche gefallen, bevor du denkst, ich hätte geschnüffelt."

Kyo knurrte leicht. "Na und?" "Warum nimmst du lieber Tabletten, als einmal im Bett zu bleiben? Das ist hochgradig unvernünftig."

Vielleicht, damit du nicht noch einmal zu mir kommst? Am Wochenende, wenn er da ist...

"Ich mag es nun mal nicht, krank zu sein." Toshiya legte den Kopf schief, besah ihn prüfend. "Aber das ist es nicht. Du verheimlichst mir weiter vieles." "Du verheimlichst mir auch genügend." "Das ist nicht das Thema unserer Unterhaltung." "Wieso nicht? Warum sprechen wir nicht einfach mal über dich?", schlug Kyo vor, es klang nahezu zynisch.

Toshiya verdrehte die Augen, stand auf und ging ans Fenster, wo sein Aschenbecher platziert war. Eine Weile rauchte er schweigend. "Du hattest Recht. Manchmal bist du wirklich ein bockiges Kind."

Obwohl er die Worte ruhig und ohne bestimmten Unterton sprach, trafen sie hart. Kyo biss sich auf die Innenseite seiner Wange, starrte zu Boden. Er wusste, Toshiyas Erkenntnis war im Betracht auf das vorangehende Gespräch nicht so verkehrt, doch die Umstände ließen es dennoch unfair erscheinen, ihm dies einfach auf den Kopf zuzusagen. Er hasste es nun einmal, wenn ein anderer Mensch es nicht bleiben ließ, immer wieder nach Dingen zu fragen, die er nicht preisgeben wollte. Dass er leicht reizbar war, hatte Kyo nie abgestritten. Es war eine Tatsache.

"Vielleicht sollte ich gehen.", murmelte der Blonde und erhob sich ebenfalls. "Sei nicht so. Musst du denn immer derartig reagieren, wenn ich das Thema Kyo nicht fallen lasse?" "Musst du mir meine Fehler erst recht noch vorhalten? Ich bin Kritik gewohnt, verdammt, ich kenne es genau genommen nicht mal anders, aber..."

Es stört mich. Ich kann es nicht ertragen, von ihm kritisiert zu werden.

Kyo schüttelte den Kopf, nahezu, als wollte er seinen eigenen Gedanken keine Möglichkeit mehr bieten, in ihm aufzukommen. "Ich gehe jetzt wirklich besser." Toshiya wirkte eine Sekunde lang frustriert über seine Worte, überlegte es sich jedoch anders und nickte.

"In Ordnung. Ich fahre dich heim." "Nicht nötig." "Ohne noch einmal darauf pochen zu wollen, aber-" Kyo wusste, was der Ältere ihm mitteilen wollte, daher stimmte er ergeben zu und griff nach seiner Tasche.

Einige Minuten später. Der Wagen hielt bereits am Bürgersteig, Kyo war ausgestiegen.

"Kyo." Er wandte sich herum. "Es war nicht meine Absicht, Streit zu entfachen. Und ich möchte dich ungern gehen lassen, so lange du ärgerlich bist." Ein wackeliges Lächeln. "Schon gut. Wir sind heute beide sehr angefasst, nicht? Morgen ist das wieder vergessen.."

Toshiya nickte, lächelte ebenfalls. "Bai, Kyo." "Ja..." Der Jüngere schlug die Autotür endgültig zu und sah dem Toyota vom Hauseingang aus nach, wie er seinen Weg durch die Straße fand und zurückfuhr - zurück in Toshiyas Welt...
 

~~
 

Einige Zeit später, Kyo war längst wieder genesen, saß der Junge in einem Café und wartete auf Die. Sein Freund verspätete sich wie üblich, nichts, weswegen man sich sorgen musste.

"Guten Tag, Kyo." Eine sanfte Stimme grüßte ihn, holte ihn aus seinen Träumen hervor in die Wirklichkeit. "Oh, Shinya. Hallo." "Darf ich kurz?" Der große Blonde deutete auf den zweiten Platz an Kyos Tisch.

"Natürlich. Mein Kumpel wird ohnehin frühestens in... sagen wir zehn Minuten auftauchen." Shinya lächelte irritiert. "Warum bist du dann schon hier?" "Ich warte auf den Tag, an dem er pünktlich auftaucht.", war die sarkastische Antwort.

Leises Lachen. Der junge Mann strich sich mit den schlanken Fingern einige der hellblonden Haarsträhnen aus dem schmalen Gesicht, richtete seine mandelförmigen Augen dann wieder auf Kyo. Erneut konnte jener den Vergleich mit einem Engel nicht unterdrücken. Die helle Haut, die stellenweise langen, hellblonden Haare, die auffällig grazile Figur. Shinya hatte es als Kind sicherlich nicht leicht gehabt mit anderen Jungen seines Alters, zu feminin, zu schön, um ernst genommen zu werden.

Mit einem Mal breitete sich ein so amüsiertes Lächeln auf Shinyas Miene auf, dass Kyo sich wie belauscht fühlte, nahezu so, als hätte er laut ausgesprochen, was er dachte, seine Gedanken somit für Shinya zugänglich gemacht.

"Ich lache nicht über dich.", merkte Shinya an, Kyos Blick musste ihm aufgefallen sein. Er nickte unauffällig nach links. "Ich habe die Leute da beobachtet." "Ach so..." Der Jüngere fühlte sich nahezu erleichtert, schenkte den Menschen am Nebentisch keinerlei Beachtung.

Was denkst du auch für einen Schwachsinn?

"Gibt es etwas bestimmtes?", fragte er schließlich. Shinya schüttelte den Kopf, wobei sein Haar im Tageslicht, das durch das große Fenster links von ihm hereinfiel, förmlich zu glänzen schien."Iie. Ich sah dich bloß hier sitzen und wollte hallo sagen. Ich hoffe, du bist nicht wieder in einen so heftigen Regenschauer gekommen? Momentan regnet es ja fast ständig.."

Kyo verneinte. "Das eine Mal hat gereicht, um ein paar Tage krank zu werden.", brummte er und rührte in seinem Tee. "Sag mal, bist du eigentlich immer so zuvorkommend zu deiner Umwelt? Ich hätte ja besseres zu tun, als jeden Schirmlosen in ganz Tokyo durch die Gegend zu begleiten..."

Shinya lachte erneut leise. "Nein, gewöhnlich nehme ich Geld für so etwas. Spaß beiseite, ich weiß nicht genau, doch du wirktest sehr durcheinander. Schon ein paar Momente zuvor warst du mir aufgefallen, weil du völlig allein im Regen standest und dich umsahst - du hast mir einfach leid getan."

"Hm.", machte Kyo nachdenklich, trank einen Schluck Tee. "Darf ich mir die Frage erlauben? Was war los mit dir?" "Stress. Nichts weiter tragisches. Dann noch der Regenguss oben drauf und ... nya, hat gereicht."

Shinya nickte verständnisvoll. "Du kannst dich gerne bei mir melden, solltest du je die Lust dazu verspüren." Er hielt ihm seine Visitenkarte hin. "Danke." Kyo steckte sie ein und meinte: "Beim nächsten Regenschauer weiß ich, was ich zu tun habe." Gelächter.

"Hey kawaii-mono." Ein Schlag auf die Schulter. Die hatte sich unbemerkt genähert, warf Shinya nun einen Blick zu. Seinem Gesicht nach zu urteilen war auch er in die Falle getappt, die wahrscheinlich viele männliche Wesen zu Peinlichkeiten anregte, daher beeilte Kyo sich, Shinya vorzustellen: "Das ist Shinya, ein Bekannter von mir."

Richtig vermutet. Dies Miene wirkte leicht dümmlich, als auch er sich vorstellte. "Freut mich sehr.", versicherte Shinya und erhob sich. "Du kannst gerne bleiben.", erklärte Kyo ohne Zögern, doch Shinya lächelte nur weiter und erzählte, er habe einen Termin.

"Hoffentlich auf bald, Kyo. Melde dich mal." Kyo nickte brav und hob die Hand zum Gruß. Die setzte sich auf den freigewordenen Fensterplatz und - schwieg.

"Ich frage nicht, richtig?" Kyo grinste. "Was denn, enttäuscht, weil es keine Tussi war, die du dichtquatschen konntest?" Die schnitt ihm eine Grimasse. "Du scheinst lauter interessante Leute zu kennen, von deren Existenz ich nichts weiß.", bemerkte er. "Erst die Fledermaus neulich, jetzt ein - ehm - Engel..."

"Du bezeichnest Toshiya als Fledermaus." Es war eine Feststellung, doch Kyos Gesicht dazu brachte Die zum Schmunzeln. "Gomen, es war nicht so böse gemeint wie es klang. Er hat ein tolles Auto."

Kyo schlug sich die Hand vor die Stirn. "Scheiß auf das Auto, nur, weil er nichts farbiges im Kleiderschrank hat, ist er ja nicht gleich-" "Ist ja gut, Kyo." Die winkte ab. "So war's ehrlich nicht zu verstehen. Sag mal, bist du scharf auf den Typen oder warum bestehst du so auf gute Wortwahl im Zusammenhang mit ihm?"

"NEIN, ich finde nur, man sollte die persönliche Individualität eines jeden Menschen respektieren und demnach auch nicht abfällig über sie reden. Auch, wenn es nicht so gemeint ist.", entgegnete Kyo kurz und schmerzlos.

Die nickte ergeben. "Jaah... Mal eine andere Frage: wo bist du in letzter Zeit andauernd? Immer, wenn man dich mal zu Hause erreichen will, geht entweder niemand ran oder deine Mutter sagt, du seiest nicht da."

Kyo sah ihn nahezu entsetzt an. "Du... hast in letzter Zeit öfters angerufen?" "Joa." "Und wann?" "Na ja, am Wochenende beispielsweise. Wieso?" "Nur so. Sie hat mir gar nichts gesagt..."

Prima. Sie denkt natürlich, dass ich grundsätzlich bei Die bin, wenn ich weggehe. Nun weiß sie logischerweise, dass dem nicht so ist - und dennoch sagt sie nichts...? Ich habe sie nicht angelogen, schließlich sage ich nie, wo ich hingehe. Aber trotzdem..

"Komm zurück zum Kern meiner Frage, Kurzer.", merkte Die an. "Wie?" "Na, wo warst du?" "Ach so, eh... ich war bei Toshiya." Kyo nahm einen erneuten Schluck aus seiner Teetasse. "Guck nicht so, wird ja wohl noch erlaubt sein, einen Freund zu besuchen."

Die grinste breit. "Jaa, nun plustere dich nicht so auf, ich sage doch nichts." "Was soll dann dieses dämliche Grinsen?", wollte Kyo trocken wissen. Doch für einmal konnte er Die mit Sarkasmus nicht besiegen - der Ältere hielt den Trumpf noch in der Hand.

"Das ist kein dämliches Grinsen. Das ist das Grinsen der Erleuchtung." "Geht es auch in unserer Sprache?" "Die Erleuchtung über den Urheber dieses hübschen Knutschflecks da an deinem Hals."

Unwillkürlich griff Kyo an seinen Hals, bemerkte erst jetzt, dass sein Halstuch nicht mehr saß, wo er es ursprünglich platziert hatte. "Erwischt.", lachte Die und sah Kyo intensiv an. "Bist du mit ihm zusammen?!" "Nein." "Nein?" "N-e-i-n." "Aber..."

Ein stückweit wirkte der Ältere enttäuscht. "Der ist aber schon von ihm?" Schulterzucken. Es gefiel Kyo nicht annähernd, seinem Freund von Toshiya erzählen zu müssen, doch ihm war bewusst, nun keine andere Wahl mehr zu haben.

"Ja. Ist er.", murmelte er. "Also habt ihr sehr wohl etwas miteinander?", hakte Die weiter nach. "Manchmal." "Kyo~, nun lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, das ist ja grauenvoll. Was heißt manchmal?"

Kyo stöhnte unterdrückt. "Okay. Bevor du dir irgendwelche falschen Illusionen über eine schillernde Lovestory machst, kläre ich dich wohl wirklich besser auf. Ich bin weiter Single. Erster Punkt." Weiter kam der kleine Blonde nicht, da Die ihn unterbrach: "Das ist doch... na gut, erzähl lieber weiter. Aber fang am Anfang an. Wie habt ihr euch kennen gelernt?"

"Das... ist alles ein wenig strange. Ich bin nachts spazieren gegangen - und dabei sind wir uns begegnet. Eigentlich haben wir nicht mal viel geredet, nur... nun, wir haben wirklich nichts miteinander zu tun gehabt. Doch irgendwie haben wir zumindest unsere Namen genannt. Wir sind uns hin und wieder begegnet, meist zufällig.."

Er verstummte, spielte mit seinem Silberring. "Ehm, ich will dich ja nicht drängen - aber bisher verstehe ich noch überhaupt nichts." Der Redhead legte den Kopf schief.

"Ich rede ja schon weiter. Toshiya hat angefangen, mir Fragen zu stellen. Wollte unbedingt mehr über mich wissen. Er selbst aber ist mindestens genauso schlimm wie ich, erzählt nichts über sich - in der Tat weiß ich heute nicht mehr über ihn als seinen Namen, sein Alter und die Tatsache, dass er studiert. Er hat es inzwischen geschafft, mich zum Reden zu bringen, nicht viel, aber etwas. Ich..." Kyo hielt inne, um den letzten Schluck seines inzwischen kalten Getränks zu nehmen.

"... weiß nicht recht, wie ich dir erklären soll, was genau das für eine zwischenmenschliche Beziehung ist, die wir führen. Vielleicht ist es nicht mal eine. Doch wir treffen immer wieder aufeinander, unterhalten uns über irgendwelche Dinge." "Hm.", machte Die nachdenklich. "Das erklärt einem dummen Menschen wir mir allerdings immer noch nicht, inwiefern ihr etwas miteinander habt."

"Nun. Es kommt vor.. wie soll ich sagen? Manchmal herrscht eine Atmosphäre zwischen uns, da passiert so ein Kuss einfach. Toshiya ist eigenartig, ich kann es dir schwer beschreiben. Aber wenn er etwas von dir will, dann kriegt er das auch. Und ich kann nicht behaupten, dass ich seine Nähe nicht genießen würde..."

Nachdem Kyos Worte verklungen waren, kaute Die gedankenverloren auf seiner Lippe herum. "Bist du an ihm interessiert?" "...?" "Also, wenn ich dich so ansehe, wirkst du ziemlich verplant seinetwegen und das wiederum ist man nicht wegen jedem... Warum genau triffst du dich überhaupt mit ihm, wenn das alles so - so seltsam ist?"

"Du hast dich nie richtig mit ihm unterhalten, Die. Du kannst dir nicht vorstellen, was für eine beeindruckende Art er hat, wie er lächeln kann und... wie er sich um mich kümmert." Big Red lächelte plötzlich und merkte an: "Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich ja gesagt, du seiest verliebt... Aber da ich dich ja kenne und du mit so einem laschen Gefühl der Euphorie, wie du mal so hübsch gesagt hast, nichts anfangen kannst, möchte ich sogar wagen zu behaupten, du hättest dein Herz regelrecht verschenkt."

"Unsinn." "Unsinn? Deine Argumentation war schon stärker, Kyo. Ein weiters Indiz. Er hat es dir wirklich angetan, was? Unfassbar.." Der Rotschopf zog seine Salem Lights hervor und steckte sich eine Zigarette an, gab Feuerzeug und Packung danach an den Jüngeren weiter.

"Er fasziniert mich in gewisser Weise. Gut. Aber..." "Ich höre kein Aber. Kyo-kun, du bist nur noch am Träumen, das kannst du nicht abstreiten. Wie oft zuvor ist es schon gekommen, dass du es verplant hast, dich auf den Unterricht vorzubereiten oder dass du während der Stunde einfach nur dasaßt und nichts getan hast?"

Die nagelte Kyos Blick fest und sagte eindringlich: "Hör mir mal zu. Wenn dieser Typ dich so fesselt und du dich zu ihm hingezogen fühlst, dann lass es doch einfach passieren. Ich weiß, du denkst lieber tausendmal nach, bis dir irgendein bescheuertes Argument einfällt, es nicht zu tun, aber in diesem gesonderten Falle würde ich dir vorschlagen, es bleiben zu lassen."

Kyo musste lächeln, zu liebenswürdig waren Dies Versuche, ihn dazu zu bringen, nur irgendetwas zuzugeben. "Die, es ist wirklich lieb von dir, wie sehr du dich für meine Gefühlswelt einsetzt, aber so einfach ist das alles nicht..."

"Scheiße Kyo, jetzt hör doch mal auf. Ich kapiere vielleicht nicht alles und merke schon gar nicht immer, was in dir vorgeht, doch wenigstens eins sehe ich jetzt. Du hast dein Herz an diesen Toshiya gehängt, ob es dir passt oder nicht. Also mach nicht alles kaputt mit deiner Angst und deinen Zweifeln, sondern kämpf drum, dass es was wird."

Die nickte, seine eigenen Worte bekräftigend. "Die, warum bist du nicht immer so? Ich engagierte dich tatsächlich als Therapeut." "Du kriegst gleich einen gepfefferten Arschtritt, wenn du mich nicht ernst nimmst. Ich hab keine Ahnung vom Leben, aber zumindest in dem Thema weiß ich, wovon ich rede."

Kyo seufzte leise und musterte Die nachdenklich. "Danke, Dai."

Du bist wirklich der beste Freund, den man sich wünschen kann. Das ist wieder einer dieser Momente, in denen du zeigst, was du drauf hast. Ich wünschte, ich könnte über alles so mit dir reden...

"Dafür nicht. Ich würde mich freuen, wenn du in Zukunft öfters so offen mit mir redetest." Die überlegte kurz. "Ich glaube, Toshiyas Gesprächstraining tut dir gut. Sonst hätte ich kein Wort aus dir herausbekommen." Kyo nickte lachend. "Das kann dir passieren.." "Jetzt sind die Schotten erst mal wieder dicht für die nächsten Monate, was?"

Kyo zuckte schuldbewusst die Schultern. "Ist schon gut. Ich möchte nur, dass du weißt, dass man auch mit Die-baka reden kann. Falls das Schweigen mal unerträglich wird..."

Solche Unterhaltungen gehören in unsere Freundschaft, Kyo. Ich schätze, ich weiß noch längst nicht alles, doch es war ein Anfang. Ein guter noch dazu...
 

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tbc

kanji

YATTA~

ein neues Chap ^^~

eigentlich habe ich dieses Mal nicht wirklich etwas anzumerken, deswegen verziehe ich mich gleich wieder und wünsche euch viel Spaß beim LEsen des Chapters 7 - "feelings" ...
 

Tisara ^.^
 


 

Chapter 7 - kanji
 

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"Nein. Völlig ahnungslos."

"Das ist unmöglich. Ein weiterer Gesandter schleicht doch ebenfalls um ihn herum. Es kann nicht sein, dass er noch immer im Dunkeln tappt."

"Regt Euch nicht auf. Es ist nur von Nutzen für uns, wenn er nicht dahinter kommt. Niemand kann uns noch dazwischenfunken, nicht einmal dieser lästige Störenfried..."

"Warum ist er überhaupt noch dort?" "Ihr habt keinen Befehl gegeben. Wie lautet er?" "Wenn die Zeit gekommen ist: eliminieren..."
 

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"Ich habe heute einen Anruf bekommen."

Kyo sah von seinem Teller auf. "Ja und?" Er zuckte mit den Schultern. Sein Vater bekam oft Anrufe, daran konnte er nichts ungewöhnliches finden. Als er aber das besorgte Gesicht seiner Mutter realisierte, legte er seine Stäbchen beiseite.

"Dein Geschichtslehrer war am Telefon." Die Augen des Jungen wurden größer. Oh-oh... "Ehm - wieso?", fragte er zögerlich. "Nun, ich werde dir nicht erzählen müssen, dass er Kursleiter ist und nun bereits mit mehreren Lehrern gesprochen hat, denen allen dasselbe aufgefallen ist: du hast in deinen Leistungen nachgelassen."

Zögern. "Na ja, momentan läuft es nicht so gut..." "Du bist im Unterricht eingeschlafen und hast deine Aufgaben mehrfach nicht erledigt, da ist von >momentan läuft es nicht gut< keine Rede mehr. Tooru, du bist einer der besten Schüler gewesen, was soll denn das?!"

"Liebling.", versuchte Kyos Mutter, ihren Mann zu besänftigen. "Vielleicht ist der Stress zur Zeit einfach höher als sonst?" "Ich krieg das schon wieder hin.", versicherte Kyo, sah seine Mutter fast beschwörend an. "Natürlich, Schatz."

"Ich möchte gerne wissen, warum wir so etwas von deinem Lehrer erfahren müssen, Tooru." "..." "Du hast uns so etwas zu berichten." "Ich weiß..." "Nicht >ich weiß<. Ich erwarte von dir, dass du das in Zukunft wieder so handhabst. Denk an deine Mutter, wenn du willst, dass sie wieder gesund wird, kannst du ihr mit so etwas doch nicht noch unnötig Kummer machen."

Ein Stich in seinem Inneren. "Es reicht, okay? Ich mache ihr keinen Kummer, ich nicht..." "Vergreife dich nicht im Ton! Denk nach, was du sagst." Es klang drohend, goss lediglich Öl ins bereits aufflammende Feuer.

Doch ein Blick auf seine Mutter, auf deren Stirn sich eine tiefe Sorgenfalte gebildet hatte, ließ Kyo verstummen. "Entschuldigung.", murmelte er leise und stellte seinen Teller auf die Spüle, ehe er den Raum verließ.

Er konnte den Vorwurf seiner Mutter, die ihren Mann mit einem "Musste das sein?" anklagte, noch hören, erst danach schloss sich seine Zimmertür. Sein Vater erwiderte pikiert etwas, darauf die nächste Antwort seiner Mutter. Erneute Argumentation, Stimmen hoben sich an.

Kyo blieb an seinem Fenster stehen, starrte gedankenverloren durch das Glas.

Verdammt. Und wieder streiten sie sich meinetwegen. Als hätte sie nicht schon genug Kummer..

Die Stimmen aus der Küche wurden lauter und lauter, bis Kyo es schließlich nicht mehr aushielt, tatenlos in seinem Zimmer zu sitzen und zuzuhören. Im nächsten Moment sah er sich selbst in den Raum stürmen, seine Mutter in Schutz nehmen.

"Glaubst du, du hilfst ihr mit deinen ewigen Vorwürfen mehr? Verdammt, denk doch einmal darüber nach, was du alles verkehrt machst und such die Fehler nicht immer nur an mir!" Sein Vater sah ihn ärgerlich an. "Du hast keine Ahnung, wovon du redest, also-" "Ich weiß SEHR gut, wovon ich rede. Du belastest uns alle mit deinem selbstgerechten Gehabe, merkst du das wirklich nicht?!"

Keine Sekunde später ertönte ein altbekanntes Geräusch, lauter und besorgniserzeugender als gewöhnlich. Kyo hielt sich die Wange, sah auf in das vor Wut kochende Gesicht seines Vaters. "Das ist die einzige Antwort, die du kennst, oder? Schlagen ist immer noch das beste Rezept. Toll." "So wirst du in meinem Haus nicht mit mir reden. Raus." Ein entgeisterter Blick. "Wie bitte?" "Ich sagte RAUS." "Aber Schatz, du kannst doch nicht-" "Halt dich da raus, ich rede mit Tooru."

Kyo nickte innerlich tobend vor Zorn, verließ im Sturmschritt die Küche, griff nach seiner Tasche. "Kyo!" Seine Mutter tauchte hinter ihm auf, hielt sein Handgelenk fest. "Er meint das nicht so, das weißt du doch. Bleib hier, wir werden eine vernünftige Lösung finden-"

"Tut mir leid, Mama. Aber eine Lösung wird es zumindest in diesem Leben nicht mehr geben.", flüsterte Kyo, öffnete die Tür mit einem um Verzeihung bittenden Blick an seine Mutter und verließ die Wohnung. Für immer...?
 

~~
 

"Hey. Schön, dich zu sehen. Komm rein..."

Toshiya trat zurück, ließ Kyo eintreten. Erst dann fiel ihm auf, wie versteinert die Miene des Kleineren wirkte und runzelte besorgt die Stirn.

"Was ist los?" "Hast du zufällig ein Bett für mich frei?" Verständnislosigkeit. "Wovon redest du?" "Ich..." Kyo holte tief Luft, um den noch immer in sich tobenden Orkan herunterzuschlucken. "Ich bin zu Hause rausgeflogen."

"Was?! Und wieso?" Ein bitteres Lächeln. "Weil ich es gewagt habe, die Wahrheit auszusprechen..." Toshiya erkannte, die Problematik Kyos nicht allzu schnell durchblicken zu können, daher schlug er vor: "Nun setzen wir uns erst einmal in die Küche und ich koche dir einen Kaffee, okay? Dabei lässt sich es besser reden."

Kyo zuckte mit den Schultern. Ihm war momentan alles recht. "Oh - und natürlich kannst du hier bleiben. Am Platz sollte es nicht liegen, was?" Toshiya lächelte zuversichtlich und schob den Achtzehnjährigen wie vorgeschlagen in die Küche.

"So. Zieh deine Jacke aus, häng sie einfach über den Stuhl oder gib sie mir, ist ganz gleich. Und jetzt beruhigst du dich erst einmal." Kyo blinzelte leicht. "Ich rege mich doch gar nicht auf."

Ein Grinsen. "Für wie dumm hältst du mich? Du siehst aus, als könntest du jeden Augenblick hochgehen, wie ein Fuji-san im Miniaturformat." "..." "Nichts für ungut, ich durchschaue dich nun mal. Kaffee oder Tee?" "Gib mir Koffein. Sonst breche ich vielleicht wirklich aus.", brummte Kyo sarkastisch und begann, wie immer, wenn ihn etwas unangenehm berührte oder ärgerte, mit seinem Ring zu spielen.

Minuten später, der Kaffee stand dampfend vor ihnen, setzte Toshiya sich Kyo gegenüber. "So, nun erzähl. Meinetwegen auch wirr durcheinander, ich verstehe dich schon."

"Wo soll ich anfangen? Mir wird nichts übrig bleiben, als dir alles zu erzählen. Von Anfang an." Eine düstere Erkenntnis, doch Toshiya nickte ruhig. "In Ordnung. Ich höre dir gerne zu."

"Das Problem nennt sich Vater. Das trifft es eigentlich schon sehr genau. Mein Vater ist ein selbstgerechter Egozentriker. Vielleicht sollte ich dir von unseren Familienverhältnissen berichten. Meine Mutter ist der wundervollste Mensch, den es gibt. Aber sie hat einen Fehler: sie liebt meinen Vater. Mit ihr konnte ich schon immer reden, sie war immer das Wichtigste für mich. Vor ein paar Jahren ist sie krank geworden. Kein Arzt konnte ihr sagen, was es ist, bisher hat noch jedes Medikament nach einer Weile versagt. Sie musste ihre Arbeit aufgeben - seitdem ist das Geld noch knapper. Mein Vater als "Alleinernährer" hält sich seitdem für das Amen in der Kirche, triezt meine Mutter endlos, mich noch viel mehr. Sie ist so ein liebenswürdiger Mensch, weißt du, sie hat das echt nicht verdient. Und je mehr ich mit ihm streite, desto mehr leidet sie. Deswegen habe ich immer versucht, seine Vorwürfe und Gemeinheiten zu ertragen, mich nicht daran zu stören. Doch immer ging das nicht. Darum bin ich mit den Jahren auch zum Streber geworden, obwohl ich nichts so sehr hasse wie Lernen und Schule. Es kotzt mich endlos an, aber sie freut sich über meine schulischen Leistungen. Das ist es wert. Der Streit mit meinem Vater nimmt dadurch allerdings trotzdem nicht ab. Fast jede Nacht höre ich sie streiten, sie brüllen sich an, diskutieren, manchmal schlägt er sie auch. Dann muss ich eingreifen. Mische ich mich ein, hat sie zumindest in der jeweiligen Nacht ihre Ruhe, weil er auf mir rumhackt. Früher habe ich mir immer gesagt, ich müsse es ja nur bis zu meinem achtzehnten Geburtstag aushalten - danach wollte ich ausziehen. Doch nun bin ich schon Monate Achtzehn und kann es trotzdem nicht tun. Ließe ich sie allein mit ihm, ginge sie drauf. Hundertprozentig."

Kyo fuhr sich zittrig durch das strähnige Haar, biss sich auf der Unterlippe herum. Er wusste nicht, wie Toshiya auf die Darstellung seines Familienlebens reagierte. Doch noch schwieg der Ältere, daher sprach er weiter.

"Heute war wieder einer dieser Abende. Sie haben meinetwegen Streit gekriegt. Anfangs habe ich sie streiten lassen, konnte mich einfach nicht wieder dazwischen stecken. Aber es wurde immer lauter, bis ich dann doch einschritt. Mir ist echt alles durchgebrannt und ich habe ihm vorgehalten, was mir seit Jahren im Kopf herumgeht. Dass er es ist, der sie quält, nicht ich, nicht die Krankheit. Daraufhin habe ich die wohl härteste Ohrfeige meines bisherigen Lebens und ein schlichtes "Raus" gekriegt."

Toshiya sah von seiner Tasse, die er mit beiden Händen umklammerte, auf. "Du hättest viel früher gehen sollen.", sagte er sanft. "Es ist einfach unglaublich, was du alles für deine Mutter tust und es verlangt eine Menge Respekt, aber du musst dir darüber im Klaren sein, dass du nicht ihr Leben retten kannst."

Kyo nickte langsam. "Ich weiß das... Es ist nur schwer. Sie hat mich auch nie im Stich gelassen, verstehst du? Wenn ich etwas ausgefressen oder riesigen Kummer hatte, war sie immer da. Jetzt bin ich dran."

"Ich verstehe dich besser, als du vielleicht glaubst.", antwortete Toshiya ruhig und umrundete den Tisch, hockte sich vor Kyos Platz hin und sah ihn ernst an. "Und wenn ich dir zuhöre, ist es wohl wirklich keine gute Idee, ganz auszuziehen. Aber versprich mir, dich um mehr Abstand zu mühen, in Ordnung? Du kannst nicht zulassen, dass das Leben deiner Eltern dein eigenes auffrisst."

Kyo stimmte erneut gedankenverloren zu, trank einen Schluck Kaffee.

Es hilft. Es hilft so sehr, mit ihm zu reden. Toshiya versteht mich, ohne unnötig viele Fragen zu stellen. Himmel, wenn ich ihm doch nur alles sagen könnte...

"Ich kann dir leider nicht helfen, denn ich denke nicht, dass es etwas brächte, wenn eine neutrale Person mit deinem Vater spräche. Wenn er so ist, wie ich ihn mir vorstelle, erzeugte dies wohl eher das Gegenteil. Was ich aber tun kann und werde, ist dich zu unterstützen, soweit es meinen Möglichkeiten entspricht. Du kannst jederzeit bei mir bleiben, für eine Nacht, für zwei, meinetwegen auch so lange du willst. Am Wochenende wie jetzt ist es ohnehin kein Problem. Du musst nur sagen, was du brauchst. Ich werde versuchen, es dir zu geben."

Kyo lächelte krampfhaft, versuchte, den ganzen Gefühlstumult in seinem Inneren zu ordnen. "Das... danke. Danke, Toshiya." Es war auch für Toshiya ein ungewohnter Anblick, Kyo den Tränen nahe zu sehen, doch in jenem Moment schien es, als sei er kurz davor.

"Komm her.", flüsterte der Ältere und zog Kyo in seine Arme, drückte ihn liebevoll an sich. Der Blonde biss die Zähne zusammen, kämpfte weiter gegen die Emotionen an, wollte sich die Blöße nicht geben, wegen >ihm<, seinem Vater, zu weinen. Nie - das hatte er sich selbst geschworen.

Toshiya streichelte über Kyos Rücken, es dauerte lange, bis er spürte, wie sich die Anspannung des anderen ein wenig löste. Er suchte seinen Blick und lächelte ermutigend. "Wir schaffen das schon, was?" "Hm." " ,JA!' heißt das. Versuch es noch mal." "Jaa."

Toshiya verdrehte die Augen, äffte Kyos begeisterungslosen Ton nach. ",Jaa', was ist denn das? Bist du achtzehn oder achtzig?! Ein wenig Enthusiasmus, wenn ich bitten darf, sonst kriegst du morgen kein Frühstück."

Kyo lachte unterdrückt. "Was ist das für eine bescheuerte Klausel?", fragte er voll Protests. Plötzlich lächelte Toshiya zufrieden. "Du kannst ja doch noch lachen.", bemerkte er sanft und fuhr durch das blonde Haar. "Das ist das Wichtigste."
 

~~
 

"Ehm... das ist zu groß, Toshiya.."

Toshiya drehte sich von seinem Schlafzimmerfenster weg dem Raum zu und musste grinsen. Kyo hatte soeben das Zimmer wieder betreten, war kurz zuvor mit Kleidungsstücken Toshiyas im Badezimmer verschwunden. Dass sie nicht sonderlich gut passen konnten, war von vornherein klar gewesen, doch...

"Du siehst ja richtig niedlich aus." Toshiya setzte sich auf die Fensterbank und musterte Kyo amüsiert dabei, wie er an sich selbst herumzupfte. Die Ärmel des Hemdes hingen zentimeterweit über seine Fingerspitzen hinweg, der zierliche Körper schien regelrecht im Stoff zu versinken.

Ein finsterer Blick. "Prima. Ein Hemd, das bei dir vermutlich genau richtig sitzt, fungiert bei mir als Nachthemd." "Unsinn, du siehst wundervoll darin aus. Und überhaupt - es ist zum Schlafen gedacht, nicht zum Weggehen."

Toshiya streckte die Hand nach Kyo aus, zog ihn zu sich heran ans Fenster. "Mir gefällt es jedenfalls, wenn du so wenig anhast." Ein belustigtes Grinsen auf Kyos Blick hin.

"Geht es dir besser?" Kyo nickte leicht. "Ja. Es tat echt gut, mal alles zu erzählen." Toshiya zog die Augenbrauen zusammen. "Die weiß doch sicherlich auch um deine Familienangelegenheiten bescheid?"

Kyo lachte hohl. "Natürlich nicht. Du bist der Einzige. Ich habe noch nie ein Wort darüber verloren, wie es bei uns aussieht. Und damit meine ich wirklich >nie<." "Warum jetzt doch?" Kyo senkte die Lider halb. "Ich glaube, langsam aber sicher wäre ich daran erstickt. Ich musste Luft entweichen lassen."

"Und das ausgerechnet bei mir? Nicht bei deinem besten Freund?" Kyo lächelte abwesend. "Du hast mir beigebracht, wie man redet. Natürlich musste ich es dir sagen. Außerdem... Alles. Du wolltest alles wissen. Oder?"

Toshiya erwiderte sein Lächeln, zog Kyo an der Taille dichter zu sich heran. "Ja. Das war es, was ich wollte. Aber ich dachte nicht, dass du es je zuließest." "Hast du etwa an deiner Wirkung gezweifelt?", fragte Kyo verwundert.

"Nein, nicht an meiner Wirkung. Ich habe nur gemerkt, was für eine harte Nuss es zu knacken gilt." Toshiya fuhr mit den Fingerspitzen vorsichtig Kyos Gesicht entlang, verschloss seine Lippen schließlich mit einem langen Kuss.

Der Kleinere ließ es geschehen, legte in den Kuss all das, was in jenem Moment in ihm vorging. Toshiyas andere Hand, noch immer an Kyos Taille platziert, wanderte langsam unter den Stoff, strich zärtlich über die weiche Haut.

Eine Sekunde brach ihr Kuss ab, ein langer Blick wurde ausgetauscht - und bereits im nächsten Moment versanken die beiden in ein erneutes Zungenspiel, das längst nicht das letzte in jener Nacht bleiben sollte...
 

~~
 

Die Sonne schien bereits dem Herbst entsprechend kraftlos durch das Fenster herein, erhellte damit den gesamten Raum. Doch noch konnte sie damit niemanden dazu bewegen, die Augen für den beginnenden Tag zu öffnen, noch...

Kyo gähnte unterdrückt und schlug erst das eine, dann das andere Auge auf. Es dauerte, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnten, seine Umgebung klar vor ihm auftauchen ließen.

Schließlich aber konnte er neben seinen anderen Sinneswahrnehmungen auch mit dem Sehen wieder rechnen und blickte um sich - so viel er von seiner liegenden Position aus eben sehen konnte. Als Toshiyas Rücken links von ihm in seinem Blickfeld auftauchte, musste er lächeln. Es war das wohl angenehmste Erwachen, das Kyo sich vorstellen konnte. Kaum, dass er die Augen aufschlug, Toshiya zu erblicken, erschien ihm wundervoll.

Ein leises Knurren wies auf Toshiyas ebenfalls eintretenden Wachzustand hin. Der Größere drehte sich von der linken auf die rechte Seite und sah Kyo an. "Guten Morgen.", flüsterte der Jüngere.

Ein schiefes Grinsen. "Nyah, gut sagt sich so leicht. Ich werde einen wundervollen Muskelkater haben. Und das ist nur deine Schuld." Kyo machte einen Schmollmund. "Ach, meine Schuld... Muskelkater, was ist das schon? Ich habe deinetwegen zigtausend blaue Flecken, das ist viel schlimmer."

Toshiya lachte und beugte sich zu ihm hinüber, drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. "Ich glaube, wenn du in Zukunft öfters auch unter der Woche hier bleibst, fliege ich bald von der Universität. Ich bin todmüde..." Damit verschwand er unter seiner Bettdecke.

Mit seinen Worten brachte Toshiya Kyo ebenfalls zum Lachen. Der Jüngere klopfte ihm mitleidig dort hin, wo er unter der Decke seine Schulter vermutete, und meinte bedauernd: "Tja, so ist das im Alter... Nichts kann man mehr richtig. Nicht mal Sex."

"Das habe ich nicht gehört, du kleines Biest!", tönte es gedämpft unter der Bettdecke hervor. Toshiya schlug das wärmende Utensil zurück und sah beleidigt zu ihm hinüber. "Wenn du einen Grund hast, dich zu beschweren, ich höre gern zu."

Erneutes Lachen. "Hmm... Nein, ich bin für den Augenblick wunschlos glücklich." Mit einem Mal wirkte Toshiya ernster. Er lächelte zufrieden und strich Kyo eine verirrte Haarsträhne zurecht. "Das ist gut.", erwiderte er. "Aber weißt du was?"

"Du wirst es mir gleich verraten." Kyo sah ihn aufmerksam an. "Ich habe wirklich Muskelkater..."
 

~~
 

"Wo warst du?!"

Kyo blieb im Türrahmen stehen, warf seiner Mutter einer überraschten Blick zu. Sie musste nur darauf gewartet haben, dass er heimkehrte. "Ich habe mir solche Sorgen gemacht..."

Nishimura-san kam auf ihn zu, schlang die Arme um den schlanken Körper. "Tut mir leid.", murmelte Kyo schuldbewusst und befreite sich aus der Umarmung. "Aber ich musste gestern einfach-" "Ich weiß, ich weiß.", unterbrach sie ihn und zog ihren Sohn mit in die Küche.

"Es ist nicht deine Schuld gewesen. Und dein Vater ist sich darüber ebenfalls bewusst. Es tut ihm wirklich leid." Ein bitteres Geräusch. "Sicher..." "Es ist mein Ernst. Er wird sich bei dir entschuldigen, sobald er wieder zu Hause ist - er sucht dich."

Kyos Miene wandelte sich ins Verblüffte. "Er sucht mich?" "Ja. Ich habe vorhin bei Daisuke angerufen, weil ich dachte, du seiest bei ihm, doch er war ziemlich erstaunt und wusste von nichts. Deswegen habe ich deinen Vater losgeschickt, um wenigstens in der einen oder anderen Ecke Tokyos nach dir zu sehen."

In der Magengegend des Jungen machte sich ein dumpfes Gefühl breit. "Die weiß, dass ich heute Nacht nicht zu Hause war?" Seine Mutter lächelte ein wenig. "Keine Sorge, ich habe ihm nichts gesagt. Das ist deine Sache. Aber nun verrate mir doch bitte, wo du warst."

"Bei einem Bekannten." Kyo sah möglichst an seiner Mutter vorbei. "Er war neulich hier, weißt du noch?" "Du meinst diesen großen, dunkelhaarigen Mann?" Kyo grinste leicht. "Na ja, Mann... er ist auch erst neunzehn, bevor du einen falschen Eindruck bekommst."

Seine Mutter hob die Augenbrauen an. "Neunzehn? Er sah viel älter aus - Toshiya, richtig?" "Woher weißt du, wie er heißt?" "Er hat sich vorgestellt, als er kam, um dich zu besuchen. Sehr höflich, ich war regelrecht verblüfft über seine Art."

Kyo musterte seine Mutter belustigt. "Möchtest du ihn vielleicht näher kennen lernen?", scherzte er, bekam einen empörten Ausruf seines Namens zur Antwort. "Freu dich gefälligst, wenn mir deine Freunde nicht missfallen.", beschwerte Nishimura-san sich, seufzte plötzlich leise.

Sie griff nach Kyos Hand und streichelte die schlanken Finger liebevoll. "Bitte lass dich nie wieder so von ihm reizen, dass es so weit kommt, Schatz. Ich habe wirklich Angst um dich gehabt.."

Kyo nickte ernst. "Versprochen..."
 

~~
 

tbc

"Mein"

Endlich wieder ein neues Kapitel von ageha no hane - ich weiß, die Wartepause dieses Mal war katastrophal, werft ruhig mit Eiern nach mir >_<#

Ich hoffe, ihr verzeiht mir noch mal und lest trotzdem weiter.

Also wünsche ich euch viel Vergnügen beim Lesen~~
 

^__^ Tisara
 

Chapter 8 - "Mein"
 

~~
 

"Moshimoshi."

"Ohayou, Die." "Kyo? Verdammt, was ist denn bei euch los, wo bist du?" "Ich bin zu Hause." "Aber deine Ma hat vorhin-" "Ich weiß. Wir hatten gestern Abend ziemlichen Zoff hier, deswegen bin ich über Nacht bei Toshiya geblieben. Vermutlich dachte meine Mutter, ich sei bei dir, deswegen der Anruf...", erklärte der blonde Junge ruhig und setzte sich auf sein Bett.

"Du hast bei Toshiya gepennt?" Es klang auf eine so dreiste Weise belustigt, dass Kyo seinen Freund dafür gerne dem Erdboden gleich gemacht hätte, doch er ignorierte es und bejahte. "Worum ging es gestern Abend?" "Nicht so wichtig, hat sich schon wieder geklärt... Ne, wir wollten doch heute Abend um die Häuser ziehen."

"Lass mich raten: du willst mit Toshiya weggehen." Kyo lachte. "Nicht ganz. Ich wollte wissen, ob ich Toshiya mitbringen soll. Damit deine unbegrenzte Neugierde wenigstens ein kleines Ende findet."

Die am anderen Ende der Telefonleitung grinste begeistert. "Aber immer doch. Dann kann ich ihn ein bisschen begutachten und mein Fazit dazu abgeben." "Wenn du der Meinung bist, dass ich darauf höre..."

"Du klingst so... locker. Hat er dir zu viel Alkohol gegeben oder so?", feixte Die und lauschte Kyos trockenem Kommentar, er habe ganz andere Dinge gekriegt. Ein großer Blick. "K-Y-O, es gibt da etwas, das du mir erzählen solltest, liege ich richtig?"

"Ich wüsste nicht was." "Quäl mich nicht!" Kyo hörte Dies Jammern noch eine ganze Weile zu, ehe er sich dafür entschied, ihn weiter in der Schwebe zu lassen und überhaupt nichts zu erzählen.

Er müsse aufhören, sonst bekäme er Ärger aufgrund der Telefonrechnung - so lautete seine Entschuldigung, ehe er sich mit den Worten "Bis heute Abend" von Die verabschiedete.

Auch der Redhead legte auf und schüttelte fassungslos den Kopf.

Kaum zu glauben, aber er war mal regelrecht lustig. Also, wenn die Nähe dieses Toshiyas ihn so glücklich macht, dass er lockerer wird... Dann können wir uns wohl alle nur ebenfalls glücklich schätzen...
 

~~
 

Die saß bereits an der Bar der kleinen, gut gefüllten Diskothek, als sich zwei weitere Gestalten zu ihm gesellten. Kyo, gefolgt von dem großen Dunkelhaarigen, den Die zuvor bereits ein, zwei Mal beobachten konnte.

"Hey kawaii-mono. Wie geht's dir?" "Ganz gut.", entgegnete Kyo lächelnd und setzte sich auf den Barhocker rechts neben ihm. "Ich hab euch zwar eigentlich schon vorgestellt, aber weil's so schön war: Toshiya, mein bester Freund Die, Die - ehm... Toshiya."

Toshiya nickte Die freundlich zu, tauschte einen schiefen Blick mit Kyo aus. Die entging dies nicht, sodass er grinsend fragte: "Und - wenn ich so einfach fragen darf - welchen Status genau besitzt ,ehm-Toshiya'?"

"Ich würde meine Wenigkeit als Wächter einstufen.", erwiderte Toshiya ebenfalls verschmitzt grinsend über Dies Worte und schlang von hinten die Arme um Kyo. "Wächter?" "Ja. Ich passe auf, dass er sich nicht zu viel zumutet - zu viel neben mir." Gelächter.

Kyo verdrehte die Augen und bestellte sich einen Pina Colada. "Ich lad dich-", wollte Die vorschlagen, doch Toshiya unterbrach ihn sanft: "Schon okay, ich mach das." Kyo sah zwischen den beiden hin und her. "Ich bezahle mein Getränk selbst, okay?", sagte er entschieden. So weit kam es noch, dass die beiden sich derartige Blicke zuwarfen, wenn es um das Bezahlen eines Drinks ging...

Kyo musste sich selbst wenig später eingestehen, nicht den erfolgreichsten Abend überhaupt vor sich liegen zu haben. Die und Toshiya waren sich unübersehbar nicht allzu sympathisch - zwar unterhielten sie sich freundlich und höflich miteinander, lachten über die Witze des anderen, doch es wirkte gezwungen und unecht. Er konnte sich nicht erklären, was seinen besten Freund an Toshiya störte, umgekehrt ebenso, doch das Misstrauen dem jeweils anderen gegenüber spürte der Achtzehnjährige deutlich.

"Ich bin mal kurz wohin.", meinte er schließlich und verließ seinen Platz an der Bar in der Hoffnung, die zwei fänden vielleicht ein Gesprächsthema, wenn er nicht zugegen war. In der Tat suchte Toshiya einen Anfang - und fand ihn schließlich an ihrem einzigen Verbindungspunkt.

"Wie lange kennst du Kyo jetzt eigentlich?" Offensichtlich hatten sie endlich den Zugang gefunden. Die überlegte kurz und antwortete dann: "Seit circa fünf Jahren, wenn ich mich nicht irre." Toshiya nickte langsam und stieß den Rauch seiner Virginia Slims wieder in die Atmosphäre.

"Ihr seid wirklich gute Freunde, ne." "Worauf du dich verlassen kannst.", stimmte Die aus Überzeugung zu. "Kyo und ich gehen zusammen durch dick und dünn. Er hat mich bisher aus jedem Tief wieder herausgezogen und ich versuche, das ebenso zu tun. Für mich gibt es keinen wichtigeren Menschen auf dieser Welt - Kyo ist in gewisser Weise mein Ein und Alles."

Toshiya drückte seine Zigarette aus, verkündete lachend: "Nun, mit dem Ausdruck "dein" sei vorsichtig. Momentan ist er mein ..." Zwar hatte er es im Spaß gesagt, doch seine Augen lächelten nicht, ebenso schwang ein Unterton in seinen Worten mit, der Die zum Stirnrunzeln brachte.

"Wenn du meinst...", murmelte er leicht abweisend und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. "Das war ein Witz, Die.", meinte Toshiya verwundert über die Antwort, blinzelte unschuldig mit den Augen. "Hm. Ich denke nur, dass Kyo niemandem gehört, mir schon gar nicht, allerdings auch nicht dir."

Toshiya lächelte auf eine Weise, wie Die es noch nie gesehen hatte. "Zwing mich nicht dazu, dir das Gegenteil zu beweisen..."

Die entgegnete nichts mehr, da Kyo in seinem Augenwinkel auftauchte und sich zurück zu ihnen setzte, zu Toshiya auf den Barhocker wie zuvor.

"Na, habt ihr schön gelästert? Irgendwelche schlechten Angewohnheiten beklagt?" "Und wie.", antwortete Toshiya und flüsterte ihm ins Ohr: "Du hast also Herzchenunterwäsche, ja?" Kyo lachte und versenkte seinen Ellenbogen in der Magengrube des Älteren. "Idiot.", brummte er und warf Die einen fragenden Blick zu. "Alles klar?" Der Redhead nickte. "Sicher.. Sag mal, hast du Lust, heute Nacht bei mir zu pennen?"

Toshiya antwortete an Kyos Stelle: "Ich glaube, Kyo will heute Nacht gar nicht schlafen..." Kyo umging seine Bemerkung grinsend und erklärte seinem Freund: "Tut mir leid, mein Kram liegt schon bei Toshiya zu Hause. Ein anderes Mal, ja?" "Joa." Die grinste plötzlich sein typisches Megawattgrinsen und gab Kyo einen leichten Tritt. "Hör mal."

Wie aufgefordert lauschte der Blonde der Musik, lachte dann los. "Och nein, die Geschichte..." Toshiya sah ihn aufmerksam an. "...?" Immer noch mit dem Lachanfall kämpfend erklärte Kyo: "Kennst du ,Die Hochzeit meines besten Freundes'? Na ja, vor nem Jahr oder so haben Die und ich mal beschlossen, dass wir, wenn ich es bis zwanzig nicht endlich geschafft habe, mir eine Beziehung anzulachen, schwul werden. Das haben wir auf das Lied hier geschworen. Zur Erklärung vielleicht noch: wir waren beide nicht mehr zurechnungsfähig - zu viel Asahi."

Toshiya hob die Augenbrauen an. "Wenn ich mich recht erinnere, hatten die Hauptdarsteller des Films zu dem Zeitpunkt auch etwas miteinander." Die und Kyo wechselten einen Blick. "NEIN." Heftiges Kopfschütteln. "Nicht mit dem.", protestierte Kyo strikt, Die stimmte beflissen zu. "Wie gesagt, es war nur Spaß..."

Toshiya hingegen hatte nun einen exzellenten Aufhänger, mit dem er sowohl Kyo als auch Die in den Wahnsinn treiben konnte - gewisse Bemerkungen und Andeutungen ließ er den gesamten Abend über nicht bleiben.

Im Endeffekt wurde die Nacht doch noch sehr lustig, wofür jedoch mehr die Getränke als die Freundschaft zwischen Die und Toshiya verantwortlich waren; als sie sich dann schließlich des Nachts verabschiedeten, war die Laune ausgelassen und locker.

Toshiya und Kyo schlenderten gemeinsam durch die Dunkelheit, brauchten lange für den Heimweg, da sie hier und da durch Küsse aufgehalten wurden.

"Ne, Toshiya, ich hab doch gleich gesagt, Spazieren ist besser als mit dem Auto zu fahren." Ein schiefer Blick. "Diese Jugend, so dermaßen notgeil..." "Was denn? Nur, weil du so langweilig und alt bist..." Spott. "Ich bin vielleicht knappe 2 Jahre älter als du, also sei still."

Toshiya griff nach seiner Hand und zog den Jüngeren weiter die Straße entlang. Plötzlich blieb Kyo jedoch stehen, drehte sich nicht mehr grinsend, sondern misstrauisch um sich blickend um. Den Bruchteil einer Sekunde lang glaubte er, ein Gesicht zu erblicken, langes, hellblondes Haar zu realisieren - doch bereits im nächsten Augenblick war es verschwunden.

"Was ist los, Kyo-chan?" Der Angesprochene schüttelte leicht den Kopf. "Nichts...", murmelte er nachdenklich. "Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen." Toshiya lachte leicht. "Das nenne ich Paranoia.", scherzte er und stieß Kyo an, damit er weiterging.

Paranoia? Nein - ich könnte schwören, dass er da war. Verfolgst du mich am Ende etwa, Shinya?
 

~~
 

"Wie findest du ihn?"

Die sah von seinem Englischheft auf, wog seine Worte ab. "Er ist recht... dominant.", sagte er schließlich vage. Kyo musterte ihn kurz, stieß in seinen Gedanken auf Ablehnung. "Du magst ihn nicht." Betroffenheit.

"Wenn ich ehrlich bin - nein. Tut mir leid." Kyo stützte den Kopf in die rechte Hand und spielte mit seinem Kugelschreiber, ohne Die dabei aus den Augen zu lassen. "Woran lag's?" Der Rotschopf seufzte unterdrückt. "Das kann ich schlecht beschreiben. Er ist so... er ist komisch, findest du nicht?"

"Das ist das Außergewöhnliche an ihm. Er sagt selten, was er denkt, gibt so gut wie nie klare Antworten, doch wenn ich seinen Rat oder seine Meinung brauche, legt er das ab, um mir zu helfen.", erklärte Kyo nachdenklich.

"Das mag ja auch sein, nur... davon rede ich gar nicht. Die Geschichte mit dem "ich bin mysteriös und kann nicht klar sagen, was ich meine" stört mich herzlich wenig, wenn er das braucht, bitte. Es geht mir um die Art, wie er mit dir umspringt." Die fing Kyos Blick ab, hielt ihn fest.

"Sollte ich dir gerade zum ersten Mal in meinem Leben nicht folgen können?" Kyo runzelte die Stirn. "Ich erkläre es dir gerne. Eine Sache ist mir oft aufgefallen am Samstag. Ich habe dich etwas gefragt, woraufhin er deine Antworten gegeben hat. Egal, worum es ging. Er spricht vielleicht deiner Meinung entsprechend - aber ganz ernsthaft: er kann doch nicht für dich reden, wofür hast du denn dein Mundwerk? Bisher hat das nämlich noch immer ganz fehlerfrei funktioniert."

Kyo sah ihn eingehend an. "Ich weiß, Toshiya entscheidet oft und gibt gern den Ton an. Aber wenn er damit nicht meine Sicht der Dinge trifft, kriegt er das auch zu hören. Das kannst du mir glauben." "Das tue ich ohne weiteres. Ich sage auch lediglich, dass es mich an deiner Stelle störte. Diese Angewohnheit macht ihn für mich unsympathisch, aber ich muss auch nicht mit ihm leben."

Die schlug das Englischbuch zu, er hatte seine Aufgaben beendet. Kyo hingegen ließ seine Augen weiter über die Buchseiten schweifen, in Gedanken verloren. "Es mag sein, dass du Recht hast. Doch er gibt mir im Gegenzug so unglaublich viel, dass mich diese Angewohnheiten einfach nicht stören.", murmelte er leise. "Du hast selbst zu mir gesagt, ich solle die Dinge auf mich zukommen lassen und nicht immer nur nach meinem Verstand gehen."

Ja, das habe ich gesagt. Aber abschalten solltest du deinen Verstand nicht gleich. Siehst du eigentlich wirklich nicht, wie er über dich bestimmt? Er behandelt dich wie einen Besitz. Gut möglich, dass er nur so ist, wenn andere Menschen dabei sind, doch gerade das spricht gegen ihn. Wenn er so besitzergreifend ist, dass er selbst deinen besten Freund nicht in deiner Nähe akzeptiert, ist er wirklich nicht das Richtige für dich... Ich wünschte, ich könnte dir diese Besitzbemerkung seinerseits einfach mitteilen, aber - verdammt, ich will es nicht sein, der dich von deinen Gefühlen zu ihm abbringt...
 

~~
 

Die Tage vergingen schnell, flossen nur so dahin. In Kyos Leben veränderte sich nicht viel, seine Familienverhältnisse blieben wie zuvor, lediglich die Schule überstand er wieder gewissenhafter. Sein Verhältnis zu Toshiya klärte sich weiterhin nicht genauer auf. Eine Beziehung führten sie nicht, waren Gespräche über Gefühle doch noch nie aufgetreten, doch sie verbrachten viel Zeit miteinander - mal sehr intensiv, mal weniger. Was ihm jedoch wirklich zu schaffen machte, waren die Stimmen. Es kam immer häufiger vor, dass die Stimmen, Geräusche um ihn herum zu einem wahren Inferno anstiegen, ihn mit Gefühlen zuschütteten, so weit, bis es kaum noch auszuhalten war. Kyo fühlte sich machtlos dagegen - denn über dieses Thema konnte er mit niemandem sprechen, wer vermochte ihm dabei schon zu helfen...?

Kyo ging, die Hände in den Jeanstaschen vergraben, heim, musterte dabei die Auslagen in den Schaufenstern. Wirklich interessiert wirkte er dabei nicht, zumindest...

Der kleine Blonde erstarrte, machte ein paar Schritte rückwärts, um erneut in das Café zu blicken, das er soeben passiert hatte. Nein, seine Augen spielten ihm keinen Streich. Am Tresen dieses kleinen Straßencafés standen zwei ihm bekannte Personen und - unterhielten sich? Kyo runzelte die Stirn, beobachtete Toshiya und Shinya, die völlig in ihre Diskussion vertieft waren.

Er konnte sich nicht helfen, die Tatsache, dass die zwei sich zu kennen schienen, dort standen und miteinander redeten - sie machte ihn misstrauisch. Als Toshiya schließlich noch die Hand hob, über Shinyas Wange strich, breitete sich jenes Misstrauen weiter aus.

Der Achtzehnjährige ging nachdenklich weiter, konnte die Frage, was >die Fledermaus und der Engel<, wie Die es einst formulierte, miteinander zu schaffen hatten, nicht aus seinen Gedanken verbannen...

Später am selben Tag. Kyo stand in Toshiyas Zimmer, wischte ein paar Buchrücken auf dem Regal über dem Futonbett mit einem Staublappen ab. Er selbst hatte darauf bestanden, Toshiya im Haushalt zu helfen, wenn er schon des Öfteren bei dem Älteren nächtigte und lebte.

Toshiya selbst war bisher mit dem Einräumen von Wäsche beschäftigt gewesen, schloss gerade den Kleiderschrank, als plötzlich die wie nebenbei gestellte Frage erklang: "Sag mal... was hast du eigentlich mit Shinya zu tun?"

Der Schwarzhaarige drehte sich zu ihm herum, sah ihn eingehend an. "Warum?", stellte er schließlich gelassen die Gegenfrage. Kyo verschränkte die Arme vor dem Körper. "Antworte doch einfach."

Toshiya hob die Augenbrauen an und griff nach den Händen des Jüngeren. "Du klingst verdächtig ärgerlich.", stellte er leise fest. "Toshiya, ich meine es ernst. Was hast du mit Shinya zu schaffen?", wiederholte Kyo stur.

"Andere Frage: woher kennst du ihn?" Toshiyas Augen blitzten, seine Arme legten sich um die schlanke Taille. "Das hat nichts mit dem Thema zu tun, aber gut, ich habe ihn vor ein paar Wochen durch Zufall kennen gelernt. Wir haben lediglich Adressen ausgetauscht, wollten uns eventuell mal treffen, das ist alles. Zurück zu dir.", erklärte Kyo kurz angebunden.

Toshiyas Finger fuhren weiter seinen Rücken hoch, er beugte sich zu Kyos Ohr und flüsterte leise: "Du triffst dich nicht mit ihm, verstehen wir uns?" Der Kleinere versuchte, ihn von sich zu schieben, scheiterte jedoch bereits im Ansatz.

"Hör auf.", murmelte er, wandte den Blick von Toshiyas fordernden Augen ab. "Nicht doch, Kyo-chan. Du magst das, nicht wahr?" Toshiya lächelte leicht und küsste seinen Hals entlang. "Toshiya..." Es klang bittend.

Der Ältere strich Kyo eine Ponysträhne aus der Stirn, sagte bestimmt, aber dennoch liebevoll: "Du brauchst einen Menschen, der dich leitet, nicht wahr? Du hast dir immer gewünscht, nicht die Lasten aller Entscheidungen auf deinen Schultern tragen zu müssen..."

"Was - was hat das mit Shinya zu tun, Toshiya?", beharrte Kyo weiter auf das eigentliche Thema ihrer Unterhaltung. Ein kurzer Kuss. "Ich möchte es nicht." Toshiyas Stimme klang leise, war jedoch akustisch problemlos zu verstehen, wirkte fast beschwörend. "Aber wieso-"

Weiter kam Kyo nicht, da er sich im nächsten Moment auf dem Rücken liegend wieder fand, die Hände links und rechts von seinem Gesicht in die Matratze gedrückt. "Weil du mir gehörst, Kyo-chan. Ganz allein mir..."
 

~~
 

tbc

The Legend Of The Swallowtail

WOW, long time no update.
 

Verzeiht mir, es tut mir wirklich irre leid, wie lange ich mir Zeit gelassen habe, doch die letzte Zeit war wieder einmal mehr als stressig, sodass ich wirklich allzu selten auf animexx war, geschweige denn Lust oder Zeit hatte, etwas hochzuladen. Da aber in den letzten Tagen immer mehr Beschwerden bei mir eingingen, habe ich mich heute aufgerafft - und tada~
 

Viel Spaß beim Lesen von Kapitel 9 - Die Legende des Schwalbenschwanzes...
 

Tissa
 

Chapter 9 - The Legend Of The Swallowtail
 

~~
 

Die Nacht war lange hereingebrochen.

Kyo saß nachdenklich den Mond anstarrend auf dem Balkon, der sich an Toshiyas Schlafzimmerwand erstreckte. Der Junge hockte mit angezogenen Beinen auf einem Liegestuhl, die Arme um die nackte Haut geschlungen. Das Hemd, das er trug, war wie immer zu groß. Seine Gedanken drehten sich wie in einer Endlosschleife um Toshiya, seine Worte an jenem Abend.

Seine Dominanz über mich nimmt zu. Immer und immer mehr. Und ich? Ich lasse ihn machen, was er will. Egal, was ihm in den Sinn kommt, ich lasse ihn gewähren. Er spielt mit mir. Er spielt nur sein Spiel und freut sich, dass ich mitspiele. Und doch... wie verrückt muss ich sein, dass ich die Spielregeln nicht einschränke? Ich kann es nicht. Toshiya gibt mir auf seine Weise so viel. Er interessiert sich für mich und mein Leben, er hilft mir, hört mir zu, wenn ich wieder Streit zu Hause hatte - ist es da nicht fair, wenn er gewisse Ansprüche stellt? Warum mache ich mir überhaupt Gedanken darüber? Es gefällt mir doch. Ich mag es, wenn er mein Herz zum Schmerzen bringt. Gott, ich bin wirklich nicht mehr ganz dicht...

Zwei Hände an seinen Schultern. Kyo legte den Kopf in den Nacken, sah auf in Toshiyas Gesicht. Der Dunkelhaarige lächelte vorsichtig und hockte sich neben ihm hin. "Habe ich dich geweckt?", fragte Kyo leise. "Nein, ich bin von selbst aufgewacht. Aber du warst nicht da, wo ich dich erwartet hätte." "Ich konnte nicht schlafen."

Die Atmosphäre zwischen ihnen war angespannt, keinem der beiden entging dies. Nach einem zu langen, unangenehmen Schweigen erhob Toshiya wieder die Stimme: "Es tut mir leid." Ein ungläubiger Blick. "Was?" Der Ältere lächelte gezwungen. "Ich war vorhin... meine Art war grauenvoll."

Kyo betrachtete ihn bestürzt über den deprimierten Unterton, der Toshiyas Stimme hatte erzittern lassen. "Nein, Toshiya, das ist schon-" "Du brauchst mich nicht aufzubauen, Kyo. Das", er griff nach Kyos Händen, drehte seine Handgelenke auf die Innenseite, "hätte nicht nötig getan." Er streichelte sanft über die Abdrücke seiner eigenen Finger, die sich leicht bläulich auf der empfindlichen Haut abzeichneten.

"Es ist okay. Ich hätte mich mehr wehren können.", war die gemurmelte Antwort. Kyo zog seine Hände weg, strich sich durch das wirre Blondhaar. "Das ist nicht entscheidend. Ich habe nicht das Recht, so mit dir umzugehen. Dafür möchte ich mich entschuldigen."

Kyo sah ihn lange an. "Warum entschuldigst du dich, obwohl dir niemand einen Vorwurf macht?" Toshiya lächelte erneut. "Ich mache mir selbst den Vorwurf. Man sollte sich entschuldigen, sobald man das Gefühl hat, nicht richtig gehandelt zu haben, nicht? Also tue ich es jetzt, ganz gleich, ob du böse bist oder nicht. Entschuldigung angenommen?"

"Sicher.", erwiderte Kyo und streckte die Hand nach Toshiya aus, berührte fast zaghaft sein Gesicht. "Aber versprich mir, den Vorwurf dir selbst gegenüber damit fallen zu lassen." "Versprochen..." Kyo lächelte leicht, lehnte sich vor, um vorsichtig Toshiyas Lippen zu berühren.

Du wirst es ja doch wieder tun. Beim nächsten Mal, wenn dir etwas missfällt, wirst du wieder so reagieren. Und ich werde mich wieder nicht wehren. Warum also gegen etwas ankämpfen, das keiner von uns beiden verhindern wird...?
 

~~
 

"Argh, ich kapiere diesen Unsinn einfach nicht. Das ist doch kompletter Schwachsinn! Fügt man Elektronen hinzu, schreibt man Minus, wie logisch ist das?"

Kyo grinste mitleidig. "Die, das hättest du in der Neunten bereits lernen sollen." Der Redhead verdrehte die Augen. "In der Neunten habe ich mich für andere Dinge als Chemie interessiert - na ja, zumindest nicht für diese Art der Chemie. Aber sei doch mal ehrlich, das ist unlogisch."

"Mag ja sein. Aber das hast du doch jetzt verstanden, wo ist das Problem?" Die deutete auf die Aufgaben in seinem Heft. "DAS ist mein Problem. Ich kriege diesen ganzen Unsinn durcheinander und weiß nicht mehr, welche komische Schreibweise zu welcher noch viel seltsameren Rechenart gehört..."

Ein leises Lachen. Der kleine Blonde rutschte auf dem Bett zu Die hinüber, sah ihm über die Schulter. "Was hast du denn da aufgeschrieben? Das kann ja gar nicht stimmen..." Er griff ohne lange zu überlegen nach dem Hefter, sich nicht darüber bewusst, damit sein linkes Handgelenk frei vor Dies Augen zu zeigen.

"...Kyo?" Es klang so fragend, dass der Jüngere unwillkürlich zusammenzuckte. Dies Hand schloss sich um seinen Unterarm, drehte ihn herum. "Was ist das ?" Ein langer Blickwechsel, der dem Größeren einwandfrei vermittelte, dass sein Freund sich nicht äußern wollte.

"Vom wem stammt das?" Trotz Kyos eindeutigen Blicken hatte Die nicht vor, seine Frage einfach fallen zu lassen. "Das ist doch egal.." Kyo beschäftigte sich weiter mit dem Chemieblatt und meinte schließlich: "Du musst das falsch abgeschrieben haben, die Aufgabe ist so nicht zu löse-"

"Kyo!" Empörung. "Hörst du mir nicht zu? Ich will wissen, woher du diese bläulichen Flecken an deinem Handgelenk hast." Schweigen. Kyo starrte stur auf den Hefter in seinem Schoß, weigerte sich, Die eine Antwort zu geben - was für diesen wiederum Antwort genug zu sein schien.

"Toshiya, hab ich Recht?" Ein Paar brauner Augen flackerte hinüber zu ihm. Die fuhr sich mit den Fingerspitzen durch das feuerrote Haar, murmelte: "Ich fasse es nicht, nein..." "Es - wir hatten nur einen kleinen Streit, nichts weiter schlimmes."

Die sah ihn beinahe wütend an. "Wieso verteidigst du ihn eigentlich? Wenn es >nicht weiter schlimm< war, ist es noch viel unverständlicher, wieso er dich-" "Verdammt, es ist immer noch meiner Sache, was ich mit mir machen lasse, klar? Es stört mich nicht, verstehst du? Es ist okay, also reg dich nicht so auf."

Kaum, dass Kyos Worte im Raum verklungen waren, schüttelte Die den Kopf. "Du warst ja schon immer ein wenig anders, aber seit du Toshiya kennst...", murmelte er und stand vom Bett auf, wanderte hinüber zu seinem Tisch, um sich eine Salem Light anzustecken.

"Ich verstehe dich nicht. Ich gebe es zu. Ich weiß nicht, was du an diesem Mann findest und wieso du auf das, was er von sich gibt, abfährst. Ich kann es ehrlich nicht nachvollziehen. Meinetwegen, das ist nicht das Problem, du musst damit auskommen. Aber es tut weh, wenn ich sehe, dass er dich schlecht behandelt - und mir dann noch anzuhören, dir sei das egal und... Ach, vergiss es."

Die ließ die Zigarette eines frühzeitigen Todes sterben, mied nun den Blick zu Kyo. Jener seufzte innerlich und erhob sich ebenfalls von seinem Sitzplatz, gab seinem Freund einen sanften Stoß in die Seite. "Hey. Ich weiß, was du mir sagen willst. Und ich kann es nachvollziehen. Aber was du sagst, stimmt so einfach nicht. Er behandelt mich nicht schlecht. Vielleicht ist es nicht okay, grob zu werden, wenn irgendetwas nicht so läuft, wie man möchte. Doch er ist dabei immer noch... liebenswert. Und es tat ihm leid. Wirklich. Außerdem gibt er mir andererseits so viel, ich kann mit ihm über Dinge reden, die ich nie zuvor erwähnen konnte und wollte. Verstehst du? Damit wiegt er einfach alles wieder auf. Du kannst ihn nicht so verurteilen, weil er einmal überreagiert hat..."

"Warum kommst du nicht zu mir, wenn du reden musst? Vielleicht bin ich nicht so intelligent wie er, aber es ist nicht fair von dir, ihm alles zu sagen, mir aber gar nichts."

Ein berechtigter Vorwurf, darüber war Kyo sich bewusst. Ruhig entgegnete er: "Daran ist mit Sicherheit viel Wahres. Doch es gibt Dinge, die erzählt man nicht einmal seinem besten Freund. Damit musst du leben, Die, gomen.."

Ich muss damit leben. Wunderbar. Ich muss mit so vielen Dingen leben. Du erzählst mir immer weniger von dir, hast diesen komischen "Freund", der dich als seinen persönlichen Besitz ansieht und scheinbar auch noch verdammt grausam werden kann, wenn ihm etwas nicht passt. Und ich? Ich stehe daneben und muss mir sagen lassen, es sei dein Leben. Als wüsste ich das nicht. Dein Leben. Aber dein Leben ist verdammt noch mal auch meins - und das seit Jahren...

Kyo rieb sich die Stirn. Es durfte nicht wahr sein. Die Geräusche um ihn herum wurden laut, verdächtig laut - ausgerechnet jetzt. Das Rauschen in seinen Ohren wirkte wie ein Orkan, das tosende Meer im Sturm. Es ließ seinen Herzrhythmus schneller gehen, das Blut in seinen Schläfen pochen.

ha...

Der Achtzehnjährige runzelte die Stirn. Ha? Eine Silbe - er hatte sie deutlich wahrgenommen. Sollten die Stimmen in der Atmosphäre sich zum ersten Mal zu Worten verformen?

Hajima...ru...

Hajimaru. Während der Druck, der seinen Kopf scheinbar zum Zerbersten bringen wollte, immer stärker wurde, klang ein und dasselbe Wort in seinen Ohren. Hajimaru - es beginnt.

Es beginnt? Was? Was beginnt?!

Die machte den Mund auf, um auf Kyos Worte zu erwidern, unterbrach sich jedoch selbst, als plötzlich alles um sie herum verrückt zu spielen schien. Der Fernseher sprang an, ebenso fuhr sich der PC selbstständig hoch, aus dem Radio drangen verzerrte Töne, das rote Lämpchen seiner Playstation leuchtete auf, bedeutete Empfang.

"Was zum Teufel...?", machte er entgeistert, warf Kyo einen erschrockenen Blick zu. Der Kleinere sah sich um, erfasste mit seinen Augen die Uhr, deren Zeiger rückwärts liefen, gegen die Zeit zu kämpfen schienen.

Die Sekunden liefen in Zeitlupe, verlangsamten alles - und dann, so plötzlich, wie es begann, verstummten die Elektromedien wieder, die Bildschirme hielten ihr tiefes Schwarz, das Radio gab keinen Ton mehr von sich.

Kyos Kopf schwirrte, seine Knie wurden weich. "Kyo? Hey, was ist-" Ein paar weitere Momente der Unklarheit, dann endlich konnte der kleine Blonde seine Sinne wieder beisammen halten und sah auf zu Die. "Alles okay. Mir ist bloß... schwindelig..."

Die wusste nicht mehr, was er von der Situation halten sollte. Dieses Verrücktspielen der Technik verwirrte ihn, bereitete ihm Unbehagen - ebenso die Tatsache, dass Kyo im selben Moment jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war, der Jüngere völlig am Rande seiner Nerven zu sein schien.

Himmel, was ist denn hier los?

Kyos Fassung kehrte zurück. Er machte ein ungläubiges Geräusch und tauschte einen Blick mit Die aus. "Was... war das eben?", wollte der Ältere zögerlich wissen. Schulterzucken. "Ich weiß es nicht, Die..."

Und das ist die vollkommene Wahrheit...
 

~~
 

"Er hat erneut die Stromkreise zum Verrücktspielen gebracht."

"Ich weiß..."

"Tu endlich etwas."

"Wie lautet Euer Plan?"

"Er muss begreifen, wozu er fähig ist. Langsam, wenn du mich verstehst."

Ein leichtes Nicken.

"In Ordnung..."
 

~~
 

Kyo ließ seinen Blick die Buchreihen entlang wandern, suchend.

"Märchen. Was soll ich mit Märchen?", murmelte er leise. "Mythen, Sagen..." Der Blonde schüttelte nachdenklich den Kopf. Das war alles nicht das, was er suchte. "Legenden!" Endlich blieben seine Augen an einem alten Buch haften, dessen Rücken mit teils unleserlichen Goldlettern beschriftet war. Offensichtlich war diese Universitätsbibliothek doch zu gebrauchen...

Er streckte die Hand danach aus, versuchte, das Buch aus dem Regal zu ziehen, reichte an Größe jedoch nicht heran. Mit einem ungnädigen Grummeln streckte er sich weiter, stellte sich auf die Zehenspitzen - jedoch wollte das Buch sich partout nicht von ihm aus der Reihe entfernen lassen. Zu hoch und zu dicht zusammengedrängt standen diese Bücher dort oben.

"Verdammt, ich werde doch wohl-", sprach er völlig in Gedanken weiter mit sich selbst, da schwebte eine schlanke Hand an seinem Gesicht vorbei hinauf zu dem gewünschten Buch, zog es mühelos heraus und reichte es ihm.

Natürlich schwebte die Hand nicht wirklich, sondern gehörte an einen weiß gekleideten Arm, welcher wiederum der Shinyas war. Der junge Mann lächelte freundlich und sah auf den Buchtitel. "Du interessierst dich für Legenden?"

"Anou... mehr oder weniger. Danke." Kyo zögerte eine Weile, fragte dann jedoch: "Was machst du hier?" "Ich suche nach Büchern." Shinya lachte amüsiert. "Nein, ernsthaft. Ich brauche Bücher für meine nächste Facharbeit. Was hast du hier an der Uni verloren?"

"Ich... ich muss demnächst eine Art Referat halten, mein Thema sind Legenden und Sagen. Deswegen suche ich nach möglichst ernstzunehmenden Büchern über diese Richtung." Shinya nickte verständig. "Hm, ich denke, das ist gut dafür geeignet. Ich habe es bereits vor Wochen durchgeblättert."

Kyo sah ihn verwundert an. "Du interessierst dich für Legenden?" "Unglaublich. Solltest du ein wenig Hilfe für das Referat brauchen, ich kann dir gerne ein paar Legenden erzählen." "Etto.." Kyo biss sich auf die Unterlippe. "Es gibt da ein Unterthema, das mich sehr interessiert..." "Nämlich?" Shinya musterte ihn aufmerksam. "Weißt du etwas über den Schwalbenschwanz...?"

Shinya legte die Stirn in Falten. "Es gibt viele Geschichten um diesen Schmetterling, aber ich erinnere mich nicht mehr genau.." Er nahm Kyo das Buch wieder aus den Händen, ging vor zu einer der Arbeitsecken. "In dem Buch stand etwas darüber, da bin ich mir sicher."

Abwesend blätterte der große Blonde durch die alten Seiten, bis er schließlich an einer Stelle verweilte und das Buch an Kyo zurückgab. "Hier." Der Jüngere vertiefte sich sofort in die angewiesene Textstelle.
 

Die Legende des Schwalbenschwanzes
 

Lange ist bekannt, wie die Magie der Neuzeit versuchte, sich auf anderen Wegen erneut zu etablieren, ihre einstige Macht zurückzubringen. Verwunschene Spiegel, die der Menschheit Kräfte auferlegten, Amulette voller dunkler Energien, der Zauber der Spieluhren. Doch eine Familie der Magie versiegelte ihre Kraft anderweitig, in dem Bewusstsein, jedes Schmuckstück oder Mobiliar könne eines Tages zerstört werden. Daher suchte sie nach einer anderen Lösung, ihr Erbe in unserer Welt zu erhalten.

Ihre Anhänger wurden fündig im Reich der Tiere - ein Schmetterling, dazu geschaffen, das Symbol der Familie zu werden und die Mächte weiter zu vertreiben, da Tiere im Gegensatz zu Gegenständen zum ewigen Leben bestimmt waren.

Wie auch andere Arten der Magie wurde das Bewusstsein jener gedanklicher Macht, wie sie in kaum einem anderen Bereich des Übernatürlichen existiert, in den Lebenskreislauf des Schwalbenschwanzes eingebettet, das Tier selbst als ständiger Begleiter und Hinweiser der verbliebenen Vertreter.

Die Macht der "Flügel des Schwalbenschwanzes", wie die Nachfolger der Familie genannt wurden, bestand im Grundlegenden von je her in der Kunst, die Gefühle der Menschheit zu spüren, zu verstehen, ohne dabei ihre Gedanken lesen zu müssen. Mit der Zeit aber entwickelten sich weitaus größere, bedeutendere Kräfte, die nicht nur effektivere, sondern auch gefährlichere Ausmaße annahmen. So waren die Flügel dazu in der Lage, ihre Umwelt zu manipulieren, die Atmosphäre zu verändern und Einfluss auf jegliche Bereiche des menschlichen Lebens zu nehmen.

Um zu sichern, dass jene verhängnisvolle Macht nicht an die falschen Menschen geriet, wurde zu den Flügeln je ein Wächter in diese Welt geboren, der verdeckt in ihrer Nähe blieb und auf sie Acht gab, sie vor den Interessen der dunklen Seite schützen sollte.

Noch heute besitzt der Schwalbenschwanz durch diese Begebenheiten ein großes Ansehen in der Welt der Legenden und Mythen, nicht zuletzt durch die unglaubliche Faszination, die er auf die Menschheit ausübt.
 

Ein Gefühl von innerer Kälte.

Kyo besah den kurzen Textabschnitt wieder und wieder, alles in seinen Gedanken schien sich zu drehen.

Die Gefühle der Menschen verstehen, ohne dabei ihre Gedanken zu lesen. Die Atmosphäre verändern. Einfluss auf die Bereiche des menschlichen Lebens. Und ein Schwalbenschwanz als ständiger Begleiter. Himmel, was für ein schlechter Film ist das, in dem ich mich hier befinde?!

"Nun, ist der Absatz etwas für dein Referat?" Shinyas Frage riss ihn in die Wirklichkeit zurück. "Wie? Äh, ja, ich denke... schon. Danke." Kyo setzte ein den Erwartungen entsprechendes Lächeln auf und nickte Shinya zu.

"In Ordnung. Ich muss langsam auch weiter, ich bin spät dran. Bai, Kyo. Wir sehen uns, was?" "Hai. Baibai..", murmelte Kyo und sah Shinya gedankenverloren nach. Wenige Minuten nach seinem Verschwinden raffte auch er sich auf und ging hinüber zum Kopierer der Bibliothek, ließ die Seite über die Legende des Schwalbenschwanzes einmal abziehen, ehe er das Buch zurück an seinen angestammten Platz brachte und die Bibliothek verließ.
 

~~
 

tbc..

namida

Hey!
 

Jetzt aber bitte ein wenig Applaus, ich habe mein Tempo wirklich mal gesteigert XD Da momentan unglaublich viele FFs aufs Hochladen warten, wird es wohl dauern, bis dieses Kapitel wirklich online ist - aber dafür kann ich nichts ;_;

Erst einmal zu einer Frage, die in nahezu jedem Kommentar aufgetaucht ist: Nein, die Legende um den Schwalbenschwanz gibt es ~nicht~ wirklich, sie ist einzig und allein meinem Geiste entsprungen und somit FREI erfunden ^^;

Ich habe mal wieder vergessen, was ich sonst noch anmerken wollte, daher wünsche ich euch viel, viel Spaß beim Lesen des nächsten Chaps [.. wobei das wohl eher weniger Freude bringen wird <_<#], das den Namen "Tränen" trägt...
 

Tisara
 


 

Chapter 10 - namida
 

~~
 

Dunkle Schatten fielen an die Wand des Schlafzimmers.

Ein leichtes Lächeln breitete sich auf den fast weißen Zügen aus. Eine große, schlanke Gestalt durchquerte den Raum und schaltete die kleine Lampe aus. Auf dem Tisch, das Gesicht in den gekreuzten Armen vergraben, hing der Oberkörper eines zierlichen jungen Menschen, der über seinen Schriften eingeschlafen sein musste.

Toshiya streichelte liebevoll über den blonden Haarschopf, sah hinab auf die Zettel, die über den Tisch ausgebreitet waren. Eine Kopie erzeugte seine Aufmerksamkeit. Er zog sie vorsichtig unter Kyos Armen hervor, überflog die langen, umständlich verfassten Sätze. Der Dunkelhaarige ließ seinen Arm sinken, musterte Kyos schlafende Gestalt lange Zeit schweigend, seine Miene undeutbar.

So weit sind wir also schon vorangekommen, Kyo-chan...
 

~~
 

Es war ein früher Freitagabend.

Kyo saß, wie fast immer am Wochenende, auf Toshiyas Bett und schrieb an einer Hausaufgabe, während der Ältere unter der Dusche stand. Er war völlig in seine eigenen Worte vertieft, dachte an nichts außer dem Thema seines Aufsatzes. Er formulierte noch lange Zeit an den Sätzen, bis er schließlich zufrieden war mit dem Geschriebenen und den Block zuschlug.

Erleichtert, die heutigen Aufgaben endlich vollendet zu haben, legte er den Block auf dem Nachttisch ab und erhob sich vom Bett, wollte den Raum ursprünglich verlassen, da fiel seine Aufmerksamkeit zum wiederholten Male auf die Nachttischschublade - das von Toshiya sorgfältig gehütete Mysterium.

Einmal sorgsam um sich schauend trat der Achtzehnjährige wieder auf das Möbelstück zu, zog die Schublade vorsichtig auf, um endlich über den Inhalt Bewusstsein zu erlangen.

Ein Packen Fotos? Kyo runzelte die Stirn und holte die Bilder hervor, doch bereits nach zwei, drei Fotographien spürte er Ungläubigkeit in sich hochsteigen.

Fotos? Fotos von mir?! Aber...

Mit fahrigen Bewegungen besah er die nächsten Aufnahmen.

Das sind Bilder von mir, von Die, von meinen Eltern. Was zum Henker -

"Was tust du da?" Kyo glaubte, sein Herz müsse aussetzen. Er drehte sich langsam, mit versteinerter Miene, zu Toshiya um. "Kannst du mir erklären, was das zu bedeuten hat...?", fragte er tonlos, hielt ihm die Fotos hin.

Toshiya war einen beiläufigen Blick darauf, rubbelte weiter sein schwarzes Haar trocken. "Bilder." "ACH NEIN?!", fauchte Kyo, realisierte kaum, wie plötzlich seine Verwunderung in Misstrauen umgeschwenkt war. "Das sind Fotos von mir und meiner Familie! Was haben die in deinem Nachttisch zu suchen?"

"Ich werde doch noch Fotos von dir machen dürfen.", entgegnete Toshiya kühl und knöpfte seine schwarze Bluse gelassen zu. "Verkauf mich verdammt noch mal nicht für dumm, Toshiya! Die sind im Sommer gemacht worden, du kanntest mich zu dieser Zeit nicht einmal! Angeblich warst du im Sommer noch nicht mal hier ansässig. WIE also kommen diese Bilder hierhin?" Kyo ballte unwillkürlich die Fäuste.

Toshiya hob den Blick zu ihm, trat auf ihn zu. "Was ist, Kyo-chan? Stürzt dein Weltbild von mir jetzt in sich zusammen?", fragte er leise, griff nach seiner Hand, um die verkrampften Finger zu lockern.

Kyos Herz ging ein paar schmerzhafte Schläge schneller. "Was soll das heißen?", wollte er mit zitternder Stimme wissen. "Ach Kyo, bist du wirklich so dumm? Ich habe mich in dein Leben geschlichen, dich wochenlang beobachtet, um herauszufinden, wie ich mich dir am besten nähern konnte. Und das alles, ohne dass du nur irgendetwas bemerkt hast. Na, klingelt es langsam?"

Kyo versuchte, ein paar Schritte zurückzuweichen, es gelang ihm jedoch nicht. "Ein Wächter, mein Engel. Ein Wächter, der darauf aufpassen soll, dass du nicht die ganze Stadt in die Luft jagst, wenn die Emotionen mal wieder überschwappen. Der genau genommen auf dich aufpassen soll. Genau, wie du von Anfang an sagtest. Du bist nur ein Kind, auf das es zu achten gilt." Toshiya lächelte mitleidig, streichelte durch das blonde Haar.

"Bist du nun enttäuscht von mir?", flüsterte er ihm ins Ohr. Obwohl seine Worte zur Frage formuliert waren, klangen sie nahezu spottend. Kyo schloss krampfhaft die Augen, presste die Lippen aufeinander. "Hör auf. Bitte...", murmelte er und wandte das Gesicht zur Seite.

"Nein. Es ist an der Zeit, endlich die Wahrheit aufzudecken, wo wir doch bereits mitten drinstecken, nicht wahr? Es war notwendig, dich an mich zu binden. Ich musste dein Vertrauen doch erlangen, um an die Informationsquellen zu kommen. Die Eckpfeiler dieser emotionalen Komplexität in Erfahrung bringen. Die Gründe für das Inferno herausfinden, das du jederzeit in Gang setzen könntest. Ich bin nur da, um dich zu schützen - vor dir selbst. Du bist hier die gefährliche Waffe, Kyo. Niemand außer dir..."

"Also war das ganze Interesse nur gespielt.", flüsterte Kyo, ließ seinen Blick über den Boden schweifen. "Du hast mir die ganze Zeit vorgemacht, an meinem Leben teilhaben zu wollen, um INFORMATIONEN zu bekommen? Das ist alles ?!?!" "Alles, Kyo. Alles." Toshiya lächelte erneut in einer Mischung aus grausamen Spott und unechtem Mitleid. "Glaubst du wirklich, ich hätte nichts besseres zu tun, als meine Zeit mit einem Kind zu vergeuden? Es ist verdammt noch mal nicht in meinem Sinn gewesen, Wächter zu werden. Kannst du dir vorstellen, wie nervtötend es ist, immer hinter dem Schlachtfeld der Schützlinge herräumen zu müssen? Alles wieder geradebiegen zu müssen, was die Kräfte in meiner Obhut verbockt haben? Es macht mich wahnsinnig - doch es ist meine Bestimmung. Und wenn ich etwas tue, mache ich es richtig. Egal, was ich dafür in Kauf zu nehmen habe. Sieh mich nicht so klagend an, ich weiß, dass ich sicherlich nicht deinem Bild eines Vertreters der >Guten< entspreche. Aber du wirst noch lernen, dass es in diesem Leben kein Gut und Böse gibt. Zumindest in deinem nicht. Also mach mir keinen Vorwurf, weil ich versuche, meinen Job pflichtbewusst zu erfüllen."

"Darum geht es mir nicht!", rief Kyo, seine Stimme durchtränkt von Verzweiflung. "Es ist mir egal, ob du dich in mein Leben geschlichen und mein Vertrauen benutzt hast, um mich zu kontrollieren, es ist mir scheißegal! Aber ist dir bewusst, was du hier redest?! WIE du mich in dein Geheimnis eingeweiht hast? Du redest über mich, als sei ich... Du behandelst mich nicht besser als einen Schuhabtreter, ein... ein Nichts ! Ist es das? Ich bin nichts für dich? Gar nichts?"

Toshiyas Miene wechselte, verwandelte sich in verstecktes Bedauern. Er zog Kyo dicht an sich, fuhr mit den Fingerspitzen seinen Oberkörper entlang. "Oh... Sieh dich nur an. So naiv - und nun so enttäuscht. Und trotzdem bist du nicht einmal jetzt in der Lage, mich von dir zu stoßen, mich zu hassen. Siehst du? Ich kann machen, was ich will, ich bekomme dich dennoch... Das ist der Weg, den man gehen muss, sofern man etwas erreichen will. Ich hoffe, du lernst es schnell, Kyo-chan..."

Kyo spürte Tränen in sich hochsteigen, Tränen der Wut, der Enttäuschung. Mit einer plötzlichen Bewegung stieß er Toshiyas Hände beiseite, nahm ein paar Schritte Abstand. "Nein.", flüsterte er kopfschüttelnd. "Wenn du glaubst, dass du mich weiter besitzen wirst, irrst du dich gewaltig. Aber danke, dass du mir die Augen geöffnet hast. Ich wusste doch, wie wenig es lohnt, sich einem anderen Menschen zu öffnen. Jetzt kann ich mir sicher sein, damit Recht zu haben.."

Er verließ den Raum überstürzt, in dem dringenden Wunsch, seine Verzweiflung nicht vor Toshiya zu zeigen; wenig später erklang ein lautes Knallen, eindeutig als das Zuschlagen einer Tür zu identifizieren.

Toshiyas Lächeln verschwand, seine Augen wanderten hinüber zum Fenster, erfassten das Unwetter, das außerhalb seiner vier Wände herrschte.

Ein leises Seufzen.

Willkommen in der Realität, Kyo...
 

~~
 

Mit einem Frösteln zog Die die Schultern zusammen, sah aus dem Küchenfenster. "Wasn Scheißwetter..", murmelte er und trank einen Schluck seines dampfenden Tees. Seine Eltern waren übers Wochenende weggefahren, auch bei Kyo ging niemand ans Telefon. Musste er sich wohl alleine beschäftigen. Das hieß...

Die runzelte die Stirn, als er durch das Küchenfenster eine Gestalt den Weg zur Haustür entlang rennen sah. Keine Sekunde später ging die Klingel los, wie im Sturm. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend öffnete er die Haustür, machte im nächsten Moment bereits große Augen.

"Kyo?" Erstaunen. Der Kleinere stand auf dem Treppenabsatz, die Arme schützend vor dem klitschnassen Oberkörper verschränkt. "Kann ich reinkommen?", fragte er, hörte sich dabei Dies Empfinden nach mindestens so nass an wie er wirkte.

"Natürlich!" Beflissen zog der Redhead Kyo in die Küche und schloss schnell die Tür, um nicht noch mehr des peitschenden Regens in die Wohnung zu lassen.

"Was ist denn los? Du siehst ja... ich weiß nicht wie aus." Die musterte das durchnässte Etwas vor sich fast schon besorgt. Kyo trommelte mit seinen Fingerspitzen auf den Oberarmen, sah aus, als kämpfte er mit sich selbst.

"Was soll ich dazu sagen?", fragte er leise, ohne Die dabei anzusehen. "Ich habe gerade Toshiyas Wohnung zum letzten Mal von innen gesehen..." Eine verblüffte Miene. "Was? Aber - Moment. Erst einmal ziehst du was anderes an, bevor du wieder mit ner fetten Grippe flachliegst. Komm mit." Er schob Kyo hastig in Richtung Bad, ließ ihm eins seiner größten T-Shirts da - jenes dürfte an Länge reichen.

Der kleine Blonde blieb vor dem Badezimmerspiegel stehen, musterte sich ausdruckslos. Leere. Dort schien nichts mehr in seinen Augen verblieben zu sein. Nur Leere. Nachdem das halblange Haar trocken gerubbelt und er selbst umgezogen war, verließ er das Zimmer und ging zielstrebig hinauf in die obere Etage, in der beinahe alle Räume Die gehörten.

Sein bester Freund hatte scheinbar schon auf ihn gewartet, lächelte verdächtig munter, als er ihn aufs Sofa drückte, ihm einen Becher entgegen hielt. "So. Und jetzt kannst du gerne alles genau erklären."

Kyo seufzte unterdrückt.

Genau erklären... wie soll ich das machen? Hey mann, Toshiya ist mein Wächter und hat mich von vorne bis hinten verarscht? Ich kann ihm kaum etwas sagen, wie soll ich ihm da klar machen, worum es geht?

"Ich... das mit Toshiya ist zu Ende.", sagte er schließlich, klang dabei merkwürdig dumpf. "Und das, bevor es anfangen konnte..." Die hob die Augenbrauen. "Er hat dich nicht allen Ernstes abgeschossen, oder?"

Ein bitteres Lächeln zeichnete sich auf Kyos Züge. "Nein, so kann man das nicht sagen. Zumindest nicht direkt. Er hat viel mehr... er hat mir die Wahrheit gesagt." Er biss sich auf die Unterlippe, merkte kaum, wie seine um den Becher verkrampften Hände zu zittern begannen. Die betrachtete ihn betreten. Er verstand offen gesagt nicht, was Kyo wollte, doch dass etwas zwischen seinem Freund und dem Älteren vorgefallen sein musste, war offensichtlich. Und dass Kyo den Tränen nahe zu sein schien, traf ihn.

Nun kenne ich dich schon so lange, aber so habe ich dich wirklich noch nie gesehen. Du zeigst so selten, was in dir vorgeht, meist merke ich es nicht einmal, wenn es dir schlecht geht. Wie unglücklich musst du jetzt sein, dass ich dir deinen Kummer so ohne weiteres ansehen kann?

"Die Wahrheit?", wiederholte Die, mühte sich, möglichst sanft zu klingen. "Hat dir schon einmal ein Mensch ohne Zögern auf den Kopf zugesagt, nur ein Kind in dir zu sehen? Dich lediglich als Spielzeug benutzt zu haben, weil es zum eigentlichen Zweck der Bekanntschaft so ein netter Begleitzustand war?"

Kyos Augen flackerten für kurze Zeit auf zu Die. Jener überlegte lange. "Nein.", erwiderte er schließlich. "Wie ein Spielzeug hat man mich noch nie behandelt." Kyo nickte langsam, senkte den Blick wieder. "Sei froh.", murmelte er. "Das.. tut verdammt weh..." Es klang so mühsam beherrscht, so erstickt, dass Die glaubte, Kyos Kummer in sich zu spüren.

"Hey...", machte er bedrückt, setzte sich zu ihm. Er wusste nur zu gut, wie Kyo Körperkontakt hasste, diese Art des Schwächezeigens, wie der Jüngere es nannte, doch in diesem Moment empfand Big Red es mehr als notwendig, die zierliche Gestalt vorsichtig zu umarmen.

Kyo ließ sich widerstandslos in seine Arme ziehen - mit jener Handlung schienen alle Dämme zu brechen. Ein leises Schluchzen, unterdrückt, aber dennoch einwandfrei vernehmbar, die sich heftig auf und ab bewegenden Schultern als einziges Indiz auf die stillen Tränen, die nun flossen.

Die fühlte sich regelrecht überrumpelt. Den besten Freund so unglücklich zu sehen, war schwer - doch ihn das erste Mal im ganzen Leben so zu sehen noch viel mehr. Er kannte Kyos emotionale Ausbrüche, Wut, Ärger, gelegentlich auch Trauer, jedoch zeigten sich jene meist in einem heftigen Wortgefecht. Ihn aber bitterlich weinend in den Armen zu halten, war grauenvoll.

Er wusste nicht, was zu tun war, daher gab Die sich damit zufrieden, Kyo seine Tränen so lange fließen zu lassen, wie es nötig war, ihm trostspendend über den Rücken zu streichen. "Kyo...", flüsterte er nach minutenlangem Schweigen behutsam. "Bitte.."

Kyo kämpfte mit sich, kämpfte gegen die Tränen an. Doch so oft er sie auch wegwischte, so schnell kamen die neuen nach. Schließlich aber schien ein kurzweiliger Sieg erreicht zu sein, das schloss Die aus der plötzlichen Ruhe, die herrschte. Das Beben der schmalen Schultern war eingeschlafen, auch das unterdrückte Schluchzen verstummt.

"Geht's wieder?", fragte er leise. Kyo sah nicht auf, behielt das Gesicht weiter gegen den Oberkörper des Älteren gelehnt. Doch er nickte ein wenig. "Tut mir leid..." Ein teils perplexer, teils empörter Blick. "Hey, wofür bin ich da?", entrüstete Die sich augenblicklich. "Mann, ist doch klar, dass es dir gerade nicht gut geht..."

Ein tiefer Seufzer. "Trotzdem.", murmelte Kyo nachdenklich, betrachtete die Sofalehne, ohne sie wirklich wahrzunehmen. "Ich wollte nicht so...-" "Hör schon auf. Gestatte dir doch einmal selbst, Gefühle zu zeigen.", verlangte Die sanft und streichelte weiter seinen Rücken.

Erneutes Schweigen regierte die Atmosphäre.

"Es tut so verdammt weh..." Nicht mehr als ein Wispern, doch so schmerzhaft wie ein Stich mitten ins Herz. "Bist du denn... sicher, dass du ihn nicht falsch verstanden hast?", wollte Die unsicher wissen. Er glaubte nicht ernsthaft, Kyo könne sich getäuscht haben, wünschte sich jedoch nichts sehnlicher, als ihm irgendwie Hoffnung schenken zu können. So wenig er Toshiya leiden konnte, so vernünftig es ihm auch erschien, wenn Kyo überhaupt nichts mehr mit ihm zu tun hätte, so wenig konnte er Kyos Tränen sehen. Lieber sah er die beiden weiter zusammen, als Kyos Unglück mitzuerleben.

"Er sagte... nein, er fragte, ob ich wirklich glauben würde, er habe nichts besseres zu tun, als seine Zeit mit einem Kind zu verschwenden. Ich sei nichts für ihn.. gar nichts." Kyo sah endlich wieder auf zu ihm. "Kann ich da etwas falsch verstanden haben...?"

Die holte tief Luft. Er drückte Kyo fester an sich, entgegnete strikt: "Lass dir das nicht einreden, versprich es mir. Egal, was dieser Idiot von sich gibt. Er hat dich nicht verdient, das weißt du... Wenn er so etwas sagt, solltest du es wissen."

Kyo antwortete nichts mehr auf seine Worte, befreite sich nach einer Weile aus seinen Armen. "Danke, Dai. Du weißt gar nicht..." Er brach ab, wiederholte sein Danke noch einmal. Die mühte sich um sein typisches Grinsen und patschte ihm völlig unpassend auf dem Haarschopf herum. "Mensch, für dich doch immer, kawaii-mono."

Sein Grinsen verwandelte sich in ein Lächeln. "Willst du heute Nacht nicht hier bleiben? Es regnet in Strömen und n bisschen Gesellschaft kann nicht schaden." Kyo zwang sich ebenfalls zu einem angedeuteten Lächeln. "Hmm.. Okay."

Er rappelte sich vom Sofa auf, verschwand erneut in Richtung Badezimmer.

Die sah der schlanken Gestalt lange nach, seufzte dann lautlos.

Womit zum Fuck hat dieser Mistkerl deine Gefühle nur verdient...?
 

~~
 

tbc

lonely

Hey~ho!
 

Tada, SCHON wieder ein neues Kapitel - man merkt's, ich habe Ferien. Deswegen allerdings auch eine kleine Ansage: ich bin ab Samstag, dem 16. Juli, für 4 Wochen unterwegs, d.h., mit dem Hochladen wird es für diese Zeit leider nichts. Das soll aber nicht heißen, dass ich mich über Kommentare und ENS nicht freue, ne? ^.~

Viel Spaß beim Lesen!
 

Tisara
 

Chapter 11 - Lonely
 

~~
 

Nach einer langen Nacht, als der Tag bereits heran brach, stand eine große, schlanke Gestalt am Fenster, starrte ohne Anteilnahme durch das Glas in den Himmel.

Der ganze Raum schien erkaltet, die kühle, leere Atmosphäre machte den Aufenthalt nahezu unerträglich. Ein zittriges Lächeln, es wirkte nur bedingt echt.

Schlanke Fingerspitzen fuhren das Glas entlang, verfolgten jeden Regentropfen, der daran hinabperlte.

Schon jetzt wirkt alles leer ohne deine Anwesenheit. Kaum zu fassen, wie schnell du es geschafft hast, mein Leben auszufüllen... Umso mehr fehlst du nun darin. Kyo...
 

~~
 

Die halbe Woche verging - der Kummer über Toshiya jedoch nicht.

Seit Kyo freitags die Wohnung des jungen Mannes verlassen hatte, schien es endgültig. Kyo, zu verletzt, um sich bei Toshiya zu melden - und Toshiya? Er hielt es offensichtlich nicht für nötig, ein Gespräch zu suchen, die Brüche zu kitten. Das war es, das Kyo den größten Schmerz bereitete. Die Gleichgültigkeit.

Der kleine Blonde saß des Nachts auf seinem Bett, gegen die Wand gelehnt, und starrte die ausgeschaltete Deckenbeleuchtung an. Das Zimmer lag im Halbdunkel, lediglich die Lichter von außen erhellten den Raum sachte. Kein Laut war zu hören, kein einziges Geräusch.

Die so ungewöhnlichen Tränen des Freitags waren äußerlich getrocknet, äußerlich... Doch sein Herz schrie.

{i] Warum meldest du dich nicht? WARUM nicht, verdammt?! Wieso kannst du nicht einfach herkommen und dich entschuldigen? Mich anrufen und deine Worte widerrufen? Es tut so verdammt weh... DU tust mir so verdammt weh. Das kann nicht dein Ernst sein - willst du mir wirklich weismachen, alles sei nur gespielt gewesen? Wie kannst du so kalt sein? So eiskalt, obwohl du mich wärmen wolltest... Nun ist es schon Donnerstag und noch immer kein Zeichen von dir. Ich war wohl wirklich nur ein Narr für dich...

Stille, glänzende Wassertropfen suchten ihre Wege - ein Ausdruck von tiefem Schmerz und unstillbarer Sehnsucht...
 

~~
 

Erneute zwei Tage verstrichen, noch viel freud- und farbloser als zuvor. Einzig und allein war es Die gelungen, Kyo ansatzweise davon zu überzeugen, wie wenig Toshiya diese Verzweiflung wert war, jedoch half diese Überzeugung gegen den Liebeskummer leider herzlich wenig. Seiner Mutter war längst aufgefallen, in welch tiefes Schweigen ihr Sohn erneut verfallen war - doch was dagegen zu tun war, wusste auch sie nicht.

Nishimura-san saß im Wohnzimmer, gemeinsam mit ihrem Ehemann, als am frühen Samstagabend die Türklingel ging. Verwundert über den unerwarteten Besuch öffnete sie, lächelte dann freundlich. "Konban wa, Toshiya-san.", grüßte sie und ließ den jungen Mann eintreten. "Ist Kyo da?", wollte er nach Erwiderung des Grußes höflich wissen. Ein wackelndes Lächeln. "Sofern man ihn anwesend bezeichnen kann...", sagte sie mehr zu sich, deutete auf die Zimmertür ihres Sohnes. "Versuchen Sie es."

Damit war sie verschwunden. Toshiya blinzelte leicht. Eisige Stimmung selbst zwischen Kyo und seiner Mutter? Er klopfte sacht gegen die Tür. Stille. Ein wenig lauter. "Hm?", tönte es von innen. Einladung genug für Toshiya, einzutreten.

Kyo sah nicht zu seiner - wie er vermutete - Mutter hinüber, wollte ihren Anblick in der Reflektion des Fensterglases wahrnehmen. Umso mehr froren seine Gesichtszüge ein, als Toshiya im Spiegelbild auftauchte, sich gegen die geschlossene Tür lehnte und schwieg.

Kyo drehte sich ruckartig auf der Fensterbank herum, sodass sein Rücken das kühle Glas berührte, und musterte die andere Miene ausdruckslos. "Hallo Kyo." Eine leise Begrüßung, freundlich und zurückhaltend.

Nur eine Sekunde zögerte Kyo, ehe er den Blick gänzlich abwandte und forderte: "Verschwinde." "Nein." Toshiya machte ein paar Schritte auf ihn zu, die den Jüngeren dazu veranlassten, wieder zu ihm aufzusehen. "Ich sagte, du sollst gehen ." Bestimmt, aber voll von Verletztheit.

"Sei nicht unvernünftig und hör mir zu." "Spreche ich chinesisch? Ich will dir nicht zuhören, dir und deinen verdammten Lügen! Geh einfach und lass mir meinen Frieden, ich will mit dieser ganzen verdrehten Kiste nichts mehr zu tun haben!!"

"Ich werde nicht gehen. Nicht, bevor du mir nicht ein paar Minuten deiner Zeit geschenkt hast.", entgegnete Toshiya ruhig. "Was willst du überhaupt hier? Hast du nichts Besseres zu tun, als deine Zeit mit einem Kind wie mir zu vergeuden?"

"Nun hör auf mit dem Unsinn und lass die gekränkte Eitelkeit aus dem Spiel. Ich weiß, wie es in dir aussieht-" "ACH, weißt du das?" Plötzlich schien die gespielte Ablehnung in eine Mischung aus Frust und Verzweiflung umzuschlagen. "Weißt du, wie ich darauf gewartet habe, dass du dich meldest? Nur ein Wort von dir zu hören? Ich habe die letzte Woche an nichts anderes denken können als an dich, dich und noch mal dich. Und du hast mich warten lassen, vergeblich. Diese verdammten acht Tage hast du mich mit dem, was du mir vorgehalten hast, allein gelassen. Hast du eine Ahnung, wie weh das getan hat? Was du in mir angerichtet hast? Wenn du dir nur irgendwie vorstellen könntest, wie es in mir aussieht, würdest du jetzt nicht von mir verlangen, dir zuzuhören. Also HAU AB!"

"Sht.." Toshiya hob den Finger, legte ihn auf Kyos Lippen. "Hör auf, Kyo, bitte... So kann es nicht ausgehen. Unser Kontakt darf nicht abbrechen, ich... bin nun mal für dich verantwortlich."

Ein tiefer Stich. "Deswegen bist du hier?", flüsterte Kyo, konnte nicht verhindern, dass seine Augen zu schimmern begannen. "Wegen deinem verdammten Job?" Ein eindringliches Kopfschütteln. "Nein... Das heißt doch, aber... Kyo, so einfach ist das alles nicht."

"Gut." Kyo schluckte. "Dann erklär es mir." Ein gequältes Lächeln. "Danke.." Toshiya lehnte sich neben ihm gegen die Fensterbank. "Ich habe einen Fehler gemacht. Die Art, dich in die Wahrheit einzuführen, war nicht die Intelligenteste. So, wie unsere Beziehung zueinander nun ist, kann ich unmöglich über dich wachen, ich hätte mir denken sollen, dass ich auf diese Weise alles zerstörte."

Toshiya lehnte den Kopf zurück, dachte nach. "Wir müssen miteinander auskommen. Ich bitte dich.", meinte er schließlich, suchte Kyos Blick. Dieser presste die Lippen aufeinander. "Du erwartest also von mir, dass ich deine Worte hinnehme und damit lebe.", stellte der Blonde fest.

"Nein. Ich hoffe, dass du sie mir verzeihen kannst." Ein weiterer Blickwechsel. "Was?" "Ich... wahrscheinlich mache ich schon wieder den nächsten Fehler, aber es tut mir leid." "Was? Dass du mir die Wahrheit gesagt hast? Die Wahrheit über deine Einstellung mir gegenüber?"

Ein Kopfschütteln. "Iie, Kyo. Ich habe dir nicht meine Wahrheit gesagt. Das, was ich dir letzten Freitag an den Kopf geworfen habe, ist das, was ich sagen musste. Nicht das, was in mir vorgeht."

Kyo sah ihn schweigend an. "Musstest?", wiederholte er ungläubig. "Was willst du andeuten?" Toshiya lächelte bitter, starrte auf seine Fußspitzen. "Hast du dir je Gedanken darüber gemacht, dass auch ich als dein Wächter gewisse Regeln einzuhalten habe? Ich kann dir gerne die oberste Regel nennen: >Stell dein Herz aus, solange du in der Nähe deines Schützlings bist.< . Eigentlich kein Problem, gewöhnlich sind die Personen, auf die man achten soll, ziemliche Idioten, die mehr schlecht als recht mit der Magie vertraut sind. Aber...

Ich gebe ehrlich zu, ich habe dir etwas vorgespielt. Meine Versuche, dein Vertrauen zu erlangen, basierten nicht auf meinem Wunsch, für dich da zu sein, sondern auf der Notwendigkeit, über dich Bescheid zu wissen. So läuft es nun mal ab, wenn die zu schützende Person noch keine Ahnung von ihren Kräften hat.

Allerdings musste ich im Laufe der Zeit feststellen, dass es mir Freude bereitete, um dein Vertrauen zu kämpfen. Es war schön, dich lächeln zu sehen; deine Anwesenheit war angenehm. Ich habe mich auf etwas eingelassen, das unmöglich und verboten war. Eine Art Beziehung mit dir einzugehen, war einfach nur dumm und unbedacht. Nicht nur um meinetwillen, sondern auch deinetwegen. Aber manchmal..."

Er besah Kyo mit einem leichten Lächeln. "Ist die Vernunft nicht so stark wie die Seele. Nur leider muss jeder eines Tages die Konsequenzen tragen, wenn er Fehler begeht. Dieser Zeitpunkt ist letzten Freitag gekommen. Ich war längst im Streit mit meinen Vorgesetzten, sie hatten mich, nein, uns beobachtet und waren der Auffassung, die Zeit der Annäherung sei längst herum, meine Spielchen sollten endlich enden.

Ich konnte ihnen unmöglich sagen, dass die "Spielchen" keine Spiele mehr waren, sie hätten mich sofort vom Ort des Geschehens abgezogen und sonst wo hingeschickt. Also habe ich ihnen das Ende des Spiels geliefert, so, wie sie es sehen wollten. Auf deine Kosten - und das ist es, was mir leid tut."

Kyo seufzte innerlich, fuhr sich durch die Haare. "Wenn du mir keinen Glauben schenken kannst, verstehe ich das.", sagte Toshiya leise, machte einen Schritt in Richtung Tür. "Ich wollte dir wenigstens gesagt haben, dass... Ich habe dich letzten Freitag glauben lassen, du seiest mir gleichgültig. Das stimmt nicht. Du bist alles, Kyo. Alles. Du wirst mich in nächster Zeit wohl ertragen müssen, ob du willst oder nicht, also.. bis bald."

"Warte." Eine Hand, die die seine zurückhielt. Toshiya drehte sich zu ihm herum, sah den Kleineren fragend an. "...?" "Vermutlich", begann Kyo zögerlich, "bin ich vollkommen verrückt und dumm, aber - ich glaube dir... irgendwie. Und ich möchte nicht, dass unsere Beziehung zueinander so verzwickt bleibt. Ich möchte dich ansehen können, ohne dich vor lauter Verzweiflung zu hassen."

Ein Lächeln auf den blassen Zügen. Toshiya trat auf ihn zu und ließ seine Hand über Kyos Wange fahren. "Ich glaube, es gab noch niemanden vor dir, der sein Herz so an mich gehängt hat.", sagte er liebevoll. "Ich..."

Weiter kam er nicht, da Kyo ihn erstmalig von sich aus unterbrach, ihn langsam zu sich hinunterzog, um ihm einen Kuss auf die Lippen zu hauchen. Ein leichtes Lachen. "Woher die Selbstsicherheit, Kyo-chan?", wollte Toshiya mit einem kleinen Grinsen wissen, ehe er den Kuss vertiefte.
 

~~
 

"Moshimoshi."

"Hallo, hier ist Die." Nishimura-san lächelte den Hörer an. "Daisuke, wie geht es dir?" "Gut, danke. Kann ich Kyo sprechen?" "Ich denke schon. Er hat gerade Besuch, aber... Ich gehe mal kurz rüber, okay?"

Die am anderen Ende runzelte die Stirn, wickelte das Telefonkabel um seinen Finger. "Besuch?", rutschte es ihm heraus. "Hai, Toshiya-san ist schon eine ganze Weile zu Besuch.", erklärte Kyos Mutter freundlich und klopfte an.

Innerhalb des Zimmers wurde eine Person beiseite geschoben, bevor Kyo seine Mutter hereinrief. "Telefon." Nishimura-san reichte Kyo, der am Kopfende seines Betts saß und die Hand nach dem Hörer ausstreckte, das Telefon und verschwand.

"Ja?" "Toshiya ist also bei dir." Kyo biss sich unwillkürlich auf die Lippe, nachdem Dies Stimme erklungen war. Toshiya hob die Augenbrauen, setzte sich wieder neben ihn, um mitzuhören. "Ehm... ja.", stimmte Kyo zögerlich zu.

"Und?" "Nun, wir - wir... haben uns ausgesprochen.", erklärte der Blonde langsam. Schweigen. "Ausgesprochen? Nach dem, was er mit dir gemacht hat?" Es klang so unmissverständlich missmutig, dass Kyo den Hörer ans rechte Ohr wechselte, um Toshiya die Möglichkeit des Lauschens zu nehmen.

"Die, er... ich kann dir das so nicht erklären, aber... es gab gewisse - Gründe.", begann Kyo, sich zu rechtfertigen, wurde jedoch unterbrochen. "Gründe? Gründe, dich wie nichts zu behandeln? Hast du schon wieder vergessen, wie es dir letzte Woche ging? Das kannst du doch unmöglich einfach so hinnehmen und verzeihen!"

"Ich weiß, was du meinst, wirklich. Lass uns nicht am Telefon darüber reden, sondern in Ruhe." Ein Ächzen. "Okay, okay. Komm morgen vorbei, bitte." "Mach ich. Versprochen..." "Ja ne, bai..." "Die?" "Hm?" "Mach dir jetzt bitte keine Sorgen. Es geht mir gut." "Jaah." "Tschüss."

Kyo drückte den Off-Button, seufzte tief. "Deinem Freund gefällt es nicht, dass wir das geregelt haben, wie?" Kopfschütteln. "Nein, ganz und gar nicht. Ich kann ihn verstehen, er sieht nur das, was er die letzte Zeit mitbekommen hat... Und das ist einwandfrei nicht positiv."

Toshiya nickte nachdenklich, zog Kyo in seine Arme. "Ich mache es wieder gut, versprochen.", flüsterte er ihm sanft ins Ohr, küsste die Wange. "Ich mache alles wieder gut..."

Die hingegen stellte sein Telefon zurück an den angestammten Platz und kaute auf seiner Lippe, betrachtete dabei bedrückt das eingerahmte Foto seines Freundes.

Und wieder lässt er sich auf ihn ein. Ach Kyo, warum... warum ausgerechnet er?
 

~~
 

Es war derselbe Samstagabend, Toshiya kehrte soeben heim nach Ikebukuro. Er stieg aus dem Toyota aus, rannte durch den Regen, wobei er sich schützend eine Tageszeitung über den Kopf hielt, die er zuvor noch gekauft hatte.

Vor sich hinmurrend erreichte er den Hauseingang. "Als wollte Tokyo absaufen..." Erst, als er den Schlüssel in das Zentralschloss zum Treppenhaus steckte, bemerkte er die Person, die im dunklen Eingang gegen die Wand lehnte.

"Was machst du hier?" Die Gestalt stieß sich von der Wand ab, machte ein paar Schritte zu ihm. "Na...? Versöhnung gut gelaufen?" Es klang kühl, missbilligend. "Woher weißt du das schon wieder?", stellte der große Schwarzhaarige unfreundlich die Gegenfrage.

Ein leichtes Lächeln. "Toshiya, ich bitte dich... Wir sind beide immer in seiner Nähe, schon vergessen? Halte dich endlich fern von Kyo, ich rate es dir." Toshiya verdrehte die Augen. "Was denn? Was willst du mir tun? Mich im nächstbesten Fluss ertränken? Droh mir ruhig, du kannst mir ja doch nichts anhaben."

"Du bist zu überzeugt von dir selbst, Toshiya. Das wird dir eines Tages das Genick brechen." Der Größere der beiden lachte. "Ich bitte dich, willst du mir wirklich den Krieg erklären, mein Engel? Sollte der Tag kommen, an dem wir uns gegenüberstehen, werde ich es sein, der dir das Genick bricht. Mit meinen eigenen Händen."

Ein leichtes Kopfschütteln. "Du verrennst dich in etwas. Komm zurück in die Realität. Glaubst du, am Ende wirst du das tun können, was du willst? Wir sind alle nur Schachfiguren auf einem Spielbrett - und wenn es auf den letzten Tag zugeht, ist es Kyo, der die Figuren bewegen wird."

Toshiya lächelte süffisant. Er beugte sich dicht hinunter zu der anderen Person, flüsterte leise: "Und was meinst du, wen er dann ins Aus befördern wird - mich oder dich...?" Blondes Haar flatterte. "Glaube nicht, das Spiel sei bereits gewonnen. Du wirst dir selbst einen Strich durch die Rechnung machen."

"Du langweilst mich, Shinya. Geh und preise deine düsteren Vorahnungen jemandem an, den sie interessieren. Laufe meinetwegen zu Kyo und tische ihm deine Märchen auf - er wird dich auslachen."

Keine Sekunde später fiel die Eingangstür ins Schloss, sperrte Shinya somit aus dem Gespräch aus. Er schüttelte erneut sachte den Kopf.

Nein. Ich habe da eine viel bessere Idee...
 

~~
 

Er wirkte kleinlaut.

Die musterte seinen Freund eindringlich. Wieso war er so stumm, zögerlich?

"So schweigsam heute?", merkte er schließlich an und zog an seiner Salem Light. Kyo sah hinüber zu ihm, zuckte mit den Schultern. "Mich deiner Laune anpassend, meine ich.." "Meine Laune?"

"Die, ich erwarte nicht, dass du es verstehst. Aber kreide mir meine Entscheidungen nicht an." Der Rothaarige stieß ein kurzes Lachen aus, das nahezu bitter klang. "Natürlich. Mach, was du willst - ich habe mir seinetwegen nicht die Augen aus dem Kopf geheult. Ich nicht..."

Kyo zog die Augenbrauen zusammen. "Die! Bitte lass diesen Unterton bleiben, ich kann es nicht leiden, wenn du-" "Tut mir leid, ich kann dich nun einmal nicht verstehen. WIE auch, du erzählst mir ja nichts. Gar nichts, um genau zu sein. Woher kann ich also wissen, wieso du plötzlich wieder mit ihm verkehrst? Ich weiß nicht mal, ob ihr jetzt überhaupt eine Beziehung führt oder nicht."

Ein frustriertes Seufzen, gefolgt von einer Antwort: "Frage nicht Dinge, die ich dir nicht beantworten kann. Ich weiß es ja selbst nicht. Ich habe keine Ahnung, was er für mich empfindet. Alles, worüber ich mir im Klaren bin, ist, dass ich ihm nicht gleichgültig bin. Er fühlt etwas für mich, was genau es ist, werde ich noch herausfinden."

"Du umgehst die Sache mit der Versöhnung wirklich geschickt." Kyo strich sich das blonde Haar glatt, stützte das Kinn in die rechte Handfläche. "Ich kann dir nichts dazu sagen. Du würdest es nicht verstehen. Glaub mir, er hatte seine Gründe... Doch was er mir damals vorhielt, war nie ernst gemeint."

"Wie kannst du dir da so sicher sein, Kyo? Was ist, wenn er dich nächste Woche wieder so behandelt? Versteh mich doch einmal richtig, ich will nicht, dass er dir weh tut.." Kyo warf ihm einen betretenen Blick zu, griff nach Dies Hand und drückte sie leicht.

"Ich verstehe dich sehr wohl. Aber ich bin mir sicher. Vertrau in diesem Punkt bitte einfach in meine Menschenkenntnis." Die biss auf die Innenseite seiner Wange, nickte dann jedoch gezwungener Maßen. "Okay.", machte er leise. "Allerdings erwarte nicht, dass ich noch mal mit ihm zusammen irgendwo hingehe. Vielleicht steht mir das nicht zu, doch ich will mit ihm nichts zu tun haben. Mir ist klar, wie unangenehm das für dich ist - aber komm nie wieder mit oder wegen diesem Typen bei mir an.."

Kyo spürte sein Herz wieder sinken.

Ach Die. Du hast dich so sehr verändert. Merkst du das eigentlich? Du... du bist nicht mehr mein aufgeweckter, schusseliger Die. Wie konnte sich unsere Beziehung zueinander so verändern? Ich weiß, was du von Toshiya hältst. Und aus deiner Sicht kann ich es sogar verstehen. Doch inwiefern es sich auf unser Verhältnis auswirkt... warum wirkt es sich überhaupt aus? Obwohl ich dir so viel mehr von mir zeige als früher, hast du dich von mir entfernt. Als sei deine Einstellung zu unserer Freundschaft nicht mehr dieselbe.
 

~~
 

Es klingelte. Einmal, ein zweites Mal, ein drittes.

Toshiya runzelte unwillkürlich die Stirn. Wer verspürte einen so unheimlichen Drang, ihn zu sehen, dass er unbedingt drei Mal derartig auf Sturm klingeln musste?

Kaum, dass er den Türsummer aktiviert und das Holz geöffnet hatte, staunte er nicht schlecht. "Du hier?", fragte er verwundert und bat seinen Gast herein. Der große, schlanke Mann im Türrahmen trat ein und blieb bereits im Eingangsbereich stehen, die Hände demonstrativ in den Jackentaschen vergraben.

"Willst du eventuell ablegen?" Toshiya verschränkte die Arme vor dem Körper, trommelte ungeduldig mit den Fingerspitzen. Was sollte diese Psychonummer des Schweigens und Anstarrens? Es kam ihm albern vor.

"Nein danke. Du bist mich ohnehin gleich wieder los." Es klang frostig. Toshiya rollte mit den Augen. "Was wird das, Daisuke? Melodramatik pur?" Der Redhead verzog keine Miene. "Ich will dir nur ein paar Dinge sagen." "Bitte. Ich bin ganz Ohr."

"Ihr habt euch also wieder vertragen. Ich bin ehrlich genug, um zuzugeben, keinerlei Ahnung zu haben. Ich werde nicht informiert über das, was bei euch abgeht. Doch was ich weiß, ist, wie unglücklich ich ihn deinetwegen gesehen habe. Also lass dir zwei Dinge durch den Kopf gehen - behandle ihn entweder vernünftig oder lass ihn in Ruhe. Und zwar gleich. Er hat es nicht verdient, so von dir benutzt zu werden."

Toshiya wirkte unbeeindruckt. "Mach dich nicht lächerlich.", erkannte er, drehte Die den Rücken zu und ging weiter in den offenen Wohnraum. "HEY.", machte Die ärgerlich und folgte dem Älteren.

"Die, ich bitte dich, was glaubst du, wer du bist? Kyos Rächer, der - vermutlich ohne dessen Kenntnisnahme - kommt und den bösen, bösen Toshiya vor ein Ultimatum stellt?" Toshiya lachte kühl. "Halte dich aus fremden Angelegenheiten heraus, scheinbar will Kyo dich ja nicht in unsere Dinge mit einbeziehen."

"Verstehst du mich eigentlich nicht? Ich will, dass du ihm nicht noch mal so weh tust, das ist alles!" Die ballte die Hände zu Fäusten, spürte Ärger in sich hochsteigen. "Ich wiederhole mich, aber dennoch: warum kommst du her und meinst, mir derlei Dinge vorhalten zu müssen? Traust du Kyo nicht genug Einschätzungsvermögen zu?"

Er macht sich über mich lustig. Verdammt, der nimmt mich ja nicht annähernd ernst...

"Nein, ich traue ihm nicht zu, dich zu durchschauen. Vermutlich kann man das nicht mehr, sobald man deinem komischen Charme verfällt." Ein erneutes Lachen, nahezu amüsiert. Toshiya ließ sich stilvoll auf seinem Sofa nieder, überschlug die Beine graziös.

"Du benimmst dich kindisch, Daisuke. Kein Wunder, dass Kyo nicht das erwünschte Interesse an dir zeigt." Dies Blick richtete sich ruckartig auf ihn. "Wie bitte...?" "Glaubst du, ich bin blind und zeitgleich auch noch taub? Hör dich selbst reden und sieh dich dabei an. Mein Guter, wenn du meinst, ich sei so naiv wie Kyo, hast du dich getäuscht. Ich habe längst verstanden, dass ich dich nur so störe, weil du ihn für dich haben willst."

Es klang spottend, gleichzeitig ein stückweit provokant. Die schüttelte den Kopf, brachte mühsam beherrscht hervor: "Das ist doch Unsinn. Ich mache mir Sorgen um ihn, weil ich es nicht ertragen kann, ihn leiden zu sehen. Das ist normal unter Freunden, falls du keine hast, die sich so um dich sorgten, tut's mir leid."

Toshiya lächelte belustigt weiter, strich über das Couchpolster. "Wie niedlich. Deine Stimme zittert ja richtig. Hör mir mal zu, mein Guter. Kyo gehört mir. Er weiß das genauso gut wie ich - und was soll ich sagen? - es stört ihn nicht. Kyo akzeptiert das. Wo also, frage ich mich, liegt dein Recht, mich hier aufzusuchen und eine Szene zu machen? Wenn du ein Problem mit deinen Gefühlen hast, mach das mit Kyo aus. Zwischen mir und ihm ist alles wunderbar, also hör auf, mit deinem gut gemeinten Willen Keile zu treiben. Du machst es deinem Freund verdammt schwer, sich wohl zu fühlen, wenn du gegen mich arbeitest. Hast du dir darüber einmal Gedanken gemacht? Es geht hier nicht um dich oder mich - wir wollen beide nur Kyos Glück, nicht wahr? Wenn ja: gönne es ihm - ich kann es ihm geben."

Die machte einen Schritt rückwärts, hielt den Blick auf den Boden geheftet. "Du verstehst das nicht.", murmelte er. "Ich kann ihn nicht lieben. Er gibt mir keine Möglichkeit, schließlich habe ich genau genommen keine Ahnung, wer mein bester Freund eigentlich ist, nicht wahr? Du weißt wohl mehr über ihn, als ich es je tun werde. Aber das tut weh. Verdammt weh. Ich habe mich gefreut, als er von dir erzählte. Ich habe es wirklich versucht. Doch du... es ist nicht die Sache, dass er einen anderen Menschen liebt. Es ist das >Wer<. Du hast ihn nicht verdient. Und ihn dauernd unglücklich zu sehen, zu realisieren, wie oft er neben der Spur ist, die blauen Flecken an seinen Handgelenken... All das macht es unmöglich, mich noch zu freuen, geht das in deinen Kopf? Ist da irgendwo Platz zwischen dieser abstoßenden Selbstüberzeugung und dem Spott für andere?!"

Toshiya musterte ihn schweigend. Es verging eine kleine Ewigkeit, bevor er sich erhob und Die auf die geöffnete Tür verwies. "Verlass augenblicklich meine Wohnung. Du kennst deinen Freund wirklich noch lange nicht. Also urteile nicht über Dinge, die du nicht verstehst."

Die beiden wechselten einen erneuten Blick, ehe Die die Wohnung wortlos verließ.

Toshiya sah ihm noch eine Weile nach, schüttelte den Kopf. "Idiot. Weiß nicht im Ansatz, warum Kyo wirklich dauernd die Fassung verliert, geschweige denn von seinen Problemen, aber macht mir Vorwürfe..."

Der große Rothaarige hingegen trat durch die untere Eingangstür, stieß dabei auf einen weiteren bekannten Menschen. "Was machst du hier?", rutschte es ihm verwundert heraus. Ein Lächeln. "Ich war überrascht, dich zu Toshiya gehen zu sehen. Seid ihr gut miteinander befreundet?"

Die verzog das Gesicht. "So würde ich mich nicht gerade ausdrücken... Was willst du von mir?" Shinyas Lächeln wurde sanfter. "Ich denke, es gibt da einige Dinge, über die du endlich unterrichtet werden solltest..."
 

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tbc

warai

HEY LEUTE!
 

Ja, ich weiß, ich habe den Lesefluss mal wieder viel zu lange unterbrochen, wofür ich allerdings verschiedene GRünde hatte - bevor ich mich jetzt aber in große Entschuldigungen verstricke, wünsche ich euch lieber viel Spaß beim Lesen und hoffe, dass euch das Kapitel gut gefällt; es hat, wie ich denke, ein paar wichtige Schlüsselszenen in sich und sollte demnach genauestens gelesen werden ^.~

Viel Vergnügen mit Chap 12 - Gelächter ...
 

Tisara
 

Chapter 12 - warai
 

~~
 

"Hey Mama."

Kyo lächelte liebevoll und stellte seine Umhängetasche an der Garderobe ab, ehe er sich zu seiner Mutter ins Wohnzimmer gesellte. "Wie geht's?" Nishimura-san nickte, entgegnete, es ginge ihr gut, mehr jedoch kam nicht über ihre Lippen.

Mit einem leicht unbehaglichen Stirnrunzeln setzte der Junge sich zu ihr, fragte vorsichtig nach: "Ist irgendetwas? Hattest du Streit mit-" "Schieb nicht immer alles auf deinen Vater. Es ist nichts."

Zu alarmierend, zu abweisend klangen ihre Worte. Kyo spielte eine Weile schweigend mit seinem Piercing, ehe er erneut ansetzte: "Du hast doch was. Wieso bist du so... so..." Ihr Blick flackerte auf zu ihm. "Wie bin ich?" Durch diese gereizte Frage zögerte Kyo wieder. "Na ja.. so - kühl. Ich weiß nicht..."

Ein freudloses Lachen. "Ich bin kühl. Natürlich. Hast du dir nur einmal überlegt, wie du in letzter Zeit warst, Tooru?" Es war, als verlangsamte sich sein Herz.

Sie hat mich Tooru genannt.

"Aber - wovon redest du überhaupt?" Er konnte eine unangenehme Stimmung, die sich in ihm hochkämpfte, nicht unterdrücken. Die Worte seiner Mutter beunruhigten ihn. "Es interessiert dich ja doch nicht. Nicht annähernd. Wie oft hast du mich in letzter Zeit schon gefragt, wie es mir geht? Ja, natürlich, gefragt hast du immer, aber sei ehrlich, inwiefern hat es dich überhaupt interessiert?! Seit du immerzu mit deinen Freunden unterwegs bist, ist dein Interesse für mich und deine Familie ohnehin bis ins Minimale gesunken..."

Die Vorwürfe trafen hart. Kyo spürte sein Herz schmerzhaft gegen seine Rippen schlagen, sein Atmen schien kürzer zu werden. "Wie bitte? Du - du weißt genau, wie wenig das der Wahrheit entspricht!", verteidigte er sich eindringlich. "Ich... natürlich war ich oft weg, bin bei Die oder Toshiya gewesen, aber das hat doch mit uns beiden nichts zu tun!"

Nishimura-san wandte den Blick ab. "Doch, das hat es. Du hast dich so verändert, Tooru. Früher konnte ich mit dir über alles reden. Inzwischen ist das nicht mehr möglich. Unsere Beziehung ist wirklich nicht mehr dasselbe."

Das ist nicht wahr. Im Gegenteil, das ist verdammt ungerecht. Ich bin immer für dich da, zerreiße mich für dein Seelenheil - und nun ist das alles nichts mehr wert, weil ich in letzter Zeit daneben war?! Hör auf, mich zu erdrücken, weil du in meinem Herzen nicht an erster Stelle stehst...

Kyo senkte die Augenlider. "... Es ist schade, wenn du das wirklich denkst.", murmelte er leise und erhob sich vom Sofa. "Du willst jetzt nicht wirklich gehen?! Tooru, ich rede mit dir!" "Nein, tust du nicht! Du schüttest mich mit Vorwürfen zu, ohne meine Aspekte zu beachten. Mag sein, dass wir zum ersten Mal in meinem Leben nicht einer Meinung sind, aber deswegen kannst du meine Sicht der Dinge nicht völlig außer Acht lassen.", versuchte der kleine Blonde weiter, seiner Mutter die Problematik klar zu machen.

"Was ist hier los?" Im Eifer des Gefechts war weder Kyo noch seiner Mutter aufgefallen, wie das dritte Mitglied ihrer Familie von der Arbeit nach Hause gekommen war. Kyo knabberte auf seiner Unterlippe herum, warf seiner Mutter einen Blick zu.

"Nichts.", brachte diese hervor, lächelte gezwungen. "Es ist alles in Ordnung." Kyo stieß ein bitteres Lachen aus.

Perfekte, kleine Scheinwelt.

"Sag ihm doch, was du denkst. Los, tu dir keinen Zwang an und beschwer dich über mich und mein Desinteresse!" Es klang zynisch, Kyo war sich darüber bewusst, wie albern es von ihm war, diesen Krieg vor seinem Vater auszutragen - er schoss sich ein Eigentor, doch seine Nerven waren zu nah am Ende, als dass er schweigend das Zimmer hätte verlassen können.

"Wie redest du mit deiner Mutter?!" "So, wie ich wohl bin. Kleiner Egoist." "Tooru, bitte! Ich... vielleicht habe ich überreagiert, lass uns in Ruhe darüber reden..." Er wollte gehen, die Tür hinter sich zuschlagen, wütend sein, weil seine über alles geliebte Mutter, der Mensch, der ihm doch so nahe stand, weil ausgerechnet diese Frau ihm genau diesen Vorwurf machte - das Gegenteil von dem, was er immer zu tun versucht hatte.

Doch er blieb.

Mit einem tiefen inneren Seufzen sank er zurück ins Sofa. "Könnte mir jemand erklären, was hier vorgeht? Machst du wieder Ärger?" "Halte dich bitte raus, Liebling. Tooru und ich haben nur eine kleine Auseinandersetzung." "Raushalten. Du verziehst den Jungen immer weiter, kein Wunder, dass er so egoistisch ist. Er hat es von dir nicht anders gelernt, immer stellst du dich schützend vor ihn."

Es war ein bitterer Vorwurf, unberechtigt noch dazu, doch Kyos Mutter schwieg. Kyo selbst hingegen sah seinen Vater lange an. "Lass sie ihn Ruhe.", murmelte er tonlos und versuchte, den Vulkan, der in ihm zu toben begann, zu ignorieren.

"Wenn ich mit meiner Frau rede, hältst du dich raus." "Es geht um mich, oder? Also lass mich gefälligst mitreden!" "Siehst du?", wandte Kyos Vater sich wieder an seine Frau. "Höflichkeit ist ebenfalls ein Fremdwort."

"Nun hör endlich auf, die ganze Zeit sie verantwortlich zu machen, weil ich dir nicht passe!!" Der Lautstärkepegel stieg. "Ich habe dir schon einmal gesagt, du sollst dich aus meiner Ehe raushalten!" Kyo hielt sich die Hände an die Schläfen, der Druck, der auf seinen Kopf ausgeübt wurde, schien wieder einmal unerträglich.

Ein leises Knallen, keine Sekunde später saßen die drei Nishimuras im Dunkeln. "Was ist denn jetzt los?" Mit einem Murren schaltete Kyos Vater ein paar Mal den Lichtschalter aus und an. "Alle drei Birnen auf einmal durchgebrannt? Das kann doch gar nicht angehen..."

Eine kalte Welle durchfuhr ihn. Kyo, noch blasser als gewöhnlich, stand vom Sofa auf und wollte das Zimmer hastig verlassen - er wurde nicht mehr gebraucht, über das "mysteriöse" Durchbrennen jeglicher Glühbirnen im Raum war der Streit fürs Erste vergessen - , da klingelte das schnurlose Telefon auf der Ladestation im Flur.

"Ich geh schon.", murmelte der Junge und hob den Hörer wenig später ab. "Hm?", fragte er lustlos. "Mal wieder ein bisschen Stromkraftwerk gespielt?", meldete sich Toshiyas belustigte Stimme.

Kyo schloss schnell seine Zimmertür hinter sich. "Woher weißt du das schon wieder?", wollte er wissen und sank auf sein Bett. "Alles...", war die gelachte Antwort. "Ich habe es gespürt, was sonst?" Mit einem Mal wirkte Toshiya ernster. "Was war los bei euch?"

"Ach... ich hatte Streit mit ihr." "Mit deiner Mutter?" Verblüffung. "Hai..." Kyo ließ sich rücklings in die Kissen fallen und berichtete Toshiya mit leiser Stimme die vorangehenden Ereignisse des Abends.

Ein Seufzen. "Das ist typisch.", meinte der Ältere mit einer merkwürdigen Sanftheit in der Stimme. "Hm?" Kyo glaubte, das Lächeln des anderen förmlich hören zu können. "Typisch für Mütter, die eine so enge Bindung zu ihrem Kind haben wie in eurem Falle. Sie merkt, wie du dich von ihr löst, wie dein Herz sich an einen anderen Menschen wendet. Das tut mit Sicherheit weh. Kein Wunder, sie hat achtzehn Jahre lang die erste Geige für dich gespielt. Da ist es wohl wirklich schwer, loszulassen. Ich schätze, es ist normal, wenn sie damit nicht gut klarkommt und das - leider - auch bedingt an dir auslässt. Aber glaub mir, sie meint das nicht ernst."

Kyo drehte sich auf die Seite, spürte seine Emotionen langsam abkühlen. "Denkst du das wirklich?" "Ich weiß es. Es ist immer so, Kyo. Denk doch nur, sie hat vermutlich das Gefühl, dich an dein eigenes Leben zu verlieren. Aber daran wird sie sich gewöhnen müssen, sie kann dir trotzdem nicht diese Vorwürfe machen. Das wird sie schon noch einsehen, keine Sorge."

Ein Lächeln. "Was täte ich nur ohne dich?" "Ein sorgenfreies Leben leben?" Toshiya lachte leise. "Es gäbe mich für dich schließlich nicht, wenn du nicht so ein süßes Flügelchen wärst und somit die Scheiße einer gesamten Generation der Magie an den Hacken hättest."

Eine zweite Stimme fiel in sein leichtes Gelächter ein. "Allein durch diesen Begleitumstand, dich zu haben, nehme ich das gerne auf mich." Toshiya betrachtete nachdenklich den Telefonhörer. "Sag nichts, was du eines Tages anders sehen könntest.", riet er bestimmt und lehnte sich in seinem Sofa zurück.

"Vielleicht klingt das zu sehr nach Teenager-Kitschroman, aber.. Ich kann mir wirklich nicht mehr vorstellen, wie ein Leben ohne dich aussehen sollte." "Ich möchte dich nicht enttäuschen, aber derlei Aussagen wirst du von mir nie hören. Ich blicke nicht mehr in die Zukunft, sondern nur noch in die Gegenwart."

Kyo nickte langsam - völlig unnötiger Weise - und strich mit den Fingerspitzen über das Kopfkissen. "Es hätte mich ohnehin erstaunt, wenn du solch ein Statement abgäbst." Wieder leises Lachen. "Och, bin ich so ein unromantischer Klotz?"

Nein, aber du liebst mich nicht. Das habe ich inzwischen verstanden...

"Nun ja... Du hast tolle Einfälle. Iie, unromantisch ist sicher nicht das richtige Wort.", entgegnete der Blonde trotz düsterster Gedanken ebenso heiter wie sein Gesprächspartner. "Gut, ich vermute, deine Laune ist wieder so weit angestiegen, dass wir mit keinen weiteren Katastrophen rechnen müssen heute Nacht, was?"

Kyo spürte Ernst aufkommen. "Toshiya?" "Ja?" "Was genau hat es mit den Mächten auf sich? Bisher hat es mich nicht interessiert, weil ich es nicht wollte, doch... Was kann ich? Und... inwiefern ist es gefährlich?"

Langes Schweigen. "Es tut mir leid, Kyo-chan. Ich darf dir keine Auskunft geben. Abgesehen davon, wie wenig ich selbst weiß.." Kyo runzelte die Stirn. "Warum nicht?" "Du musst es selbst erlernen. Ich bin kein Lehrer für dich, lediglich ein Aufpasser. Ich achte darauf, dass du nichts zerstörst, doch das war es bereits. Ich bin dafür verantwortlich, dass Tokyo nach wenigen Sekunden wieder Strom hatte - und deine Eltern nicht mehr im Dunkeln sitzen - , doch mehr vermag ich nicht zu tun."

"Also darfst du mir überhaupt nichts sagen? Nicht, was es mit diesen Stimmen auf sich hat, gar nichts?!" "Genauso." "Wie soll ich denn dann lernen, damit umzugehen? Woher soll ich wissen, wie man irgendwelche alten Kräfte anders nutzt, als nur den Stromkreislauf durcheinander zu bringen?"

Toshiya lächelte nachsichtig. "Ich weiß, wie mies das ist. Sei mir nicht böse, ich kann dir da nicht weiterhelfen..." "Schon klar." "Schlaf gut, Kyo-chan." "Hm... du auch." Kyo trennte die Verbindung und drehte sich wieder auf den Rücken.

Wie soll ich verhindern, dass meinetwegen dauernd etwas zu Bruch geht, wenn mir keiner einen Hinweis auf das Wie gibt??
 

~~
 

"Hast du ihn eingeweiht?"

"Ja."

"Und er glaubt dir?"

Ein Lächeln flammte auf.

"Jedes einzelne Wort. Ich habe ihn so überzeugend in meine Wahrheit eingeführt, dass der dumme Junge es tatsächlich glaubt. Alles..."

"Nicht zu fassen."

"Nun, nicht nur dieser lästige Parasit kann reden - auch ich weiß, wie ich meine Spielzeuge dazu bringe, für mich zu tanzen..."
 

~~
 

Kyo warf einen Blick auf die Uhr, keine paar Minuten später einen weiteren. Die Zeiger schlichen nicht wie üblich dahin, im Gegenteil, sie schienen zu rasen.

Nun wartete er schon fünfzehn Minuten vergeblich. Niemand ließ sich blicken, hier, auf jener Lichtung, die ihn zu seiner Bekanntschaft mit Toshiya gebracht hatte.

Tolles Treffen, Toshiya.

Der blonde Junge stöhnte unterdrückt. Es war eisig kalt, tiefe Freitagnacht - und er saß in einem Waldstück herum und wartete auf einen Menschen, der einfach nicht auftauchen wollte. Mit einem Grummeln machte er sich einmal mehr bewusst, wie praktisch es wäre, ein keitai zu besitzen, Toshiya anrufen zu können. Immerhin musste es einen Grund geben, warum der Ältere ihn versetzte.

Weitere zwanzig Minuten strichen dahin. Kyo, inzwischen unwillig, weiter zu warten, kramte in seiner Hosentasche nach ein paar Münzen, um an der nächstbesten Telefonzelle Halt zu machen.

Vorerst jedoch stand der Weg zurück durch den Wald an. In einer derartig dunklen, sternenlosen Nacht wie dieser konnte es einem Angst und Bange werden, doch Kyo war es gewöhnt, nachts im Wald herumzuspazieren; zu oft war er diese Wege gegangen, um sich unwohl zu fühlen. Außerdem war dort noch immer sein kleiner, geflügelter Begleiter, den er langsam aber sicher zu akzeptieren und schätzen begann.

Mit einem Mal erstarrte die zierliche Gestalt jedoch; sah sich misstrauisch um. Der Nebel, in solch kühlen Nächten oft präsent, erschien ihm verdächtig dicht, ebenso machte ihn die Totenstille um ihn herum wachsam. Weder die Stimmen in seiner Nähe noch die gewöhnlichen Nachtlaute eines Waldes ließen sich vernehmen. Auch der Schwalbenschwanz schien wie verschluckt von der Dunkelheit.

Diese Stille ist eigenartig. Warum höre ich keine Blätter, die im Wind rascheln? Eulen oder andere nachaktive Tiere? Das gibt es doch gar nicht...

Keine Sekunde später wünschte er sich hingegen, die Stille möge wieder eintreten. Wie ein Blitzgewitter brach ein schrilles, hohes Lachen auf ihn ein, schien von jedem Ort zu kommen; tiefere Stimmen fielen in das schallende Gelächter mit ein, ließen den Pegel ansteigen, ummantelten den Jungen wie eine eng anliegende Korsage.

Kyo drehte sich einmal um die eigene Achse, ließ seine Augen suchend umherschweifen, doch der schwebende Nebel machte es unmöglich, etwas anderes wahrzunehmen als Dunkelheit.

Trotzdem das Lachen überdreht, fast wahnsinnig wirkte, hinterließ es ein Gefühl von Beklemmungen, so unecht und erdrückend erreichte es seine Ohren. Gänsehaut kroch in Kyo hoch, breitete sich aus. Er konnte den Weg hinaus aus dem Horrorszenario nicht mehr entdecken - wohin er auch blickte, seine Augen spielten ihm Streiche, zeigten ihm Dinge, die sich nicht in seiner Nähe befinden konnten.

Es begann zu pochen. In seinem Kopf drehte sich alles. Zu laut, zu schrill, der spottende Klang schien ihn selbst wahnsinnig machen zu wollen.

Eine Baumwurzel war im Weg, brachte Kyo dazu, das Gleichgewicht zu verlieren, schmerzhaft Kontakt mit dem Boden zu bekommen. Mit einem mühsam unterdrückten Geräusch drehte er sich wieder auf den Rücken, wollte sich soeben aufrappeln, da...

Ruhe.

Kein einziger Ton mehr drang an seine Ohren, nichts, abgesehen von natürlichen Geräuschen, Blätterrascheln, in der Ferne ein Igel, der seinen Weg durch das Unterholz suchte. Kyo versuchte, Atem und Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen, bemerkte, wie auch der Nebel sich zu lichten schien.

"Kyo?"

Er sah auf. Dort stand eine recht große, sehr schmale Person, blickte erstaunt auf ihn herab und streckte ihm schließlich die Hand entgegen. Ohne zu zögern griff Kyo nach ihr und ließ sich von Shinya auf die Beine ziehen.

"Was ist passiert?", fragte Shinya wie nebenbei, klopfte Kyo sanft ein wenig Erde von der Jacke. "Ich... ehm, der Nebel. Ich konnte kaum noch etwas sehen, und dann war da diese Baumwurzel, die nicht so wollte wie ich...", erklärte Kyo hastig und hoffte, Shinya möge ihm diese Geschichte angesichts des nun eher geringen Nebels überhaupt abkaufen.

Doch der Ältere schenkte ihm ohne weiteres seinen Glauben, lächelte leicht. "Du solltest so spät nicht durch diesen Wald streunen, Kyo.", riet er voll ernst gemeinter Sorge und hob die Hand, um Kyo ein kleines Blatt aus den Haaren zu fischen. Jene fließende Bewegung endete an seiner Wange, die Shinya nun sanft streichelte. "Wir wollen schließlich nicht, dass dir etwas zustößt, nicht wahr?"

Kyo wusste nichts auf diese merkwürdige Formulierung zu erwidern; Shinyas Blick wollte ihm etwas sagen, er spürte die Dringlichkeit in seinen Augen - doch zu deuten wusste der Achtzehnjährige sie leider nicht.

"Nimm deine Finger von ihm, es sei denn, du wünschst, dass ich sie dir breche."

Ein mit dunklem Stoff bedeckter Arm tauchte in ihrem Blickfeld auf, schlanke Finger umfassten Shinyas Handgelenk und zogen seine Hand mit einer ruckartigen Bewegung weg, brachten Shinya im Ganzen dazu, einen Schritt Abstand von Kyo zu nehmen.

Kyo konnte beobachten, wie der hellblonde Mann die Augen verdrehte, sich gänzlich zu Toshiya umdrehte. "Lass mich los." Toshiyas Miene wirkte versteinert, fixierte Shinya wie ein unliebsames Insekt.

"Ich habe dich", begann er mit leisem, gefährlichem Unterton, "schon einmal gewarnt. Deine Nähe ist bei Kyo nicht erwünscht . Also komm nie wieder auf die Idee, um ihn herumzuschleichen, klar?"

Shinya lächelte unbeeindruckt. "Bis bald, Kyo.", sagte er ruhig zu dem Jüngsten, verließ die beiden dann gelassenen Schrittes.

Wir werden uns wieder sehen.

Kyo zuckte unwillkürlich zusammen, als die Worte in seinem Kopf ertönten. Er sah Shinya unsicher hinterher. Hatte er sich die Stimme des Älteren bloß eingebildet - oder war sie wirklich erklungen...?

"Was hat das alles zu bedeuten?", wollte Kyo schließlich von Toshiya wissen. Dieser lächelte ihn nun, da Shinya verschwunden war, an und zog den kleineren Körper in seine Arme. "Entschuldige, dass ich dich warten ließ. Ich konnte nichts dafür. Bereits auf dem Weg hierher kam der Rat plötzlich auf die Idee, ein Treffen einzuberufen - eine halbe Stunde später ist ihnen dann eingefallen, dass aus dieser Versammlung doch nichts würde."

Kyo hob die Augenbrauen an. "Wow, geballte Kompetenz auf einem Haufen.", machte er und folgte Toshiya, der ihn leicht mit sich zog, zurück zur Lichtung. "Was wollten die denn von dir?" "Gute Frage, so wichtig kann's ja kaum gewesen sein...", meuterte Toshiya weiter und strich sanft über Kyos Schulter. "Hast du dir was getan? Du siehst so... erdig aus."

Kyo schnitt eine Grimasse, als sie wieder die Lichtung betraten, der Mond somit alles um sie herum erhellte. "Haha. Ich hab mich mit dem Waldboden vertraut gemacht, als.." Er verstummte. Warum auch immer, es widerstrebte ihm, Toshiya von dem Gelächter zu berichten.

"Als was?" Toshiyas Blick wurde wachsamer. Der große Dunkelhaarige wirkte nun wieder so freundlich besorgt, dass Kyo seinen Widerwillen beiseite schob. Er setzte sich auf einen der großen, flachen Steine am Wegrand und erklärte mehr zögerlich, in welch beängstigender Szenerie er sich zuvor wieder gefunden hatte.

Toshiya nagte an seiner Unterlippe. "Hm.", machte er nachdenklich. "Das ist... ungewöhnlich. Sie - die Stimmen sollten dich nicht auslachen. Das beunruhigt mich ehrlich gesagt..." "Ach, ich... wer weiß, vielleicht habe ich mir das alles bloß eingebildet, ich bin ziemlich - übermüdet momentan.", versuchte Kyo, sein eigenes unwohliges Gefühl herunterzureden.

"Nein. Das kommt mir spanisch vor. Zumal auch noch... Dieses Miststück!" Welcher Art die Erleuchtung, die Toshiya soeben scheinbar erfasst hatte, auch immer war - Kyo konnte ihm in jenem Augenblick nicht folgen.

"Kannst du mich endlich mal aufklären? Was geht hier ab, Toshiya?" Mit einem Seufzen entgegnete der Gefragte: "Kyo... bitte. Du weißt, ich kann dir nichts sagen. Sobald du mehr erfährst als vorhergesehen, kriege ich verdammten Ärger. Aber versprich mir eins. Halte dich von Shinya fern. Bitte."

Ein Stirnrunzeln. "Ich kann diese Bitte ehrlich nicht nachvollziehen, solange du mir keine konkreten Gründe nennst." "Verdammt, nun mach es mir nicht so schwer. Das hat nichts mit Eifersucht zu tun, ich will dir deinen Hals retten, ist das deutlich genug?!"

Es war so gereizt und unerwartet heftig auf ihn zugekommen, dass Kyo Toshiya verwirrt anstarrte. "O-Okay...", entgegnete er gezwungen und begann, die Kugel seines Piercings mit den Fingerspitzen hin- und herzudrehen.

Ich bin es leid, aus allem herausgehalten zu werden. Himmel, es geht hier immer noch um mich! Wie können sie ausgerechnet mir jegliche Art an Informationen vorenthalten?! Wenn Shinya gefährlich ist, habe ich doch wohl ein Recht, es zu erfahren!!

"Komm, ich bringe dich nach Hause."

"...Was?" Kyo schielte unwillkürlich auf seine Uhr. Was für eine Verabredung... "Ich sollte zum Rat gehen. Diese Geschichte gefällt mir nicht - ich möchte ein paar Dinge in Erfahrung bringen..." Toshiya hielt Kyo die Hand hin, um ihn hochzuziehen, und zog ihn dann sanft, aber bestimmt dicht neben sich durch die Waldwege.

Es war ein schweigsamer, langer Weg, den die beiden beschritten - Toshiya, so tief in Gedanken, dass man ihn allein bei seinem Anblick nicht stören wollte, und Kyo, ebenfalls in den Tiefen seiner Gehirnwindungen versunken, jedoch auf andere Art und Weise.

Es wird wirklich Zeit, dass ich lerne. Was immer ich genau anstellen kann - ich muss es beherrschen können.

Der Achtzehnjährige warf einer Straßenlaterne in der Nähe einen langen Blick zu. Ein kurzer Moment der Konzentration - und plötzlich...

Die Lampe war verloschen.

Mit einem zufriedenen Grinsen steckte Kyo die Hände in die Hosentaschen, wurde sich dann aber des schiefen Seitenblicks bewusst. "Was?" "Spielst du jetzt Stromversorger?", wollte Toshiya belustigt wissen, keine Sekunde später flammte die Laterne wieder auf.

Kyo hielt inne. "Warst du das?" "Nicht nötig. Glaubst du, dein Können reicht bereits aus, um die Atmosphäre langzeitig zu beeinflussen?" Ein wenig Spott schwang mit in der Stimme des Älteren, als er weiter sprach: "Noch kannst du nicht sonderlich viel, Lichter flackern lassen ist kein Kunststück, wenn man Kräfte in sich schlummern hat. Wirkliche Ausmaße deines Naturells sind erst ein, zwei Mal aufgetaucht - damals, als du den Stromkreis ganz Tokyos unterbrochen hast und wenig später bei Die. Selbst die Uhren rückwärts laufen zu lassen... damit hast du mich wirklich beeindruckt. Allerdings wird es Zeit, dass du es bist, der das Auftreten der Kräfte kontrolliert, nicht die Stimmen in deinem Kopf."

"Kann ich auch interessantere Dinge? Ich meine... toll, Kraftwerkspielereien..." "Frag nicht so viel." Toshiya lächelte nachsichtig. "Du hast die Legende doch gelesen, Kyo-chan. Gefühle der Lebewesen um dich herum verstärkt wahrnehmen, die Menschheit manipulieren und die Atmosphäre verändern. Hast du denn noch nie etwas davon unbewusst getan?"

Kyo runzelte die Stirn, dachte angestrengt nach. "Na ja, ein wenig vielleicht. Ich - ich hatte schon immer das Gefühl, zu wissen, was in den Menschen vorgeht. Inzwischen sind mir auch Menschen begegnet, bei denen ich dies nicht vermag, aber das ist selten."

Toshiya nickte. "Siehst du. Und sonst? Nie jemanden dazu gebracht, das zu tun, was du wolltest?"

Nein. Wäre ich dazu in der Lage, hätte ich meine eigene Familiensituation längst gerettet...

"Nicht, dass ich wüsste.." Kyo spielte mit der Zunge an seinem Lippenpiercing herum. "Nicht einmal Die?" Es klang fast herausfordernd. Der Jüngere sah wieder auf in Toshiyas Gesicht. "Wieso sollte ich meinen besten Kumpel manipulieren wollen?"

"Nicht wollen. Denk doch einmal nach. Hast du wirklich nie versucht, ihn dazu zu bringen, das zu tun, was du wolltest? Unbewusst ausgenutzt, dass Die eine Person ist, die sich von ihr wichtigen Menschen leicht beeinflussen lässt? Er ist nahezu geschaffen für deine Kräfte." Toshiya zog sanft ein letztes Mal an seiner Kippe, ehe er sie auf den Asphalt fallen ließ.

"Oh nein, vergiss es. Egal, ob er nun geeignet dafür ist oder nicht - ich werde ihn nicht als Versuchskaninchen für meine Zwecke benutzen.", protestierte Kyo sofort. Ihm war der ursprüngliche Zweck dieser Aussage nicht entgangen. "Versuchskaninchen, wie sich das anhört...", verteidigte Toshiya seine Worte. "Du sollst doch lediglich testen, wie es funktioniert."

"Nicht auf Dies Kosten.", entschied Kyo stur und verschränkte die Arme vor dem Körper. "Dickschädel." "Ich habe nun einmal Respekt vor dem Eigenentscheidungsrecht eines jeden Menschen.", wiederholte der kleine Blonde erneut.

"Gut. Aber such dir nicht die falschen Menschen aus, um auszuprobieren. Nur ein gut gemeinter Rat - ich oder eine sehr von sich überzeugte Person wie dein Vater wären höchst ungeeignet..."

Kyo traf seinen Blick, nickte gehorsam. "Ja...", machte er nachgiebig und verfiel für den Rest des Weges in erneutes Schweigen.

Erst am unteren Hauseingang kamen sie wieder ins Gespräch, unterhielten sich noch kurz, ehe Kyo nach einer langen Verabschiedung das Treppenhaus betrat, Toshiya kehrt machte und seine Wege suchte.

Wo auch immer jene liegen mochten...
 

~~

shinjitsu

Muhaha,
 

ehrt mich - war das nicht mal ein schneller Vorgang? xD Ich kann natürlich nicht versprechen, dass mexx genauso schnell ist [zur Info, heut ist der 24., mal sehen, wann das Chap oben ist ==;], aber immerhin zum letzten Upload ist es eine Steigerung *peace*

Ich will nur auf eine Bemerkung eingehen, die über den ersten Absatz des letzten Kapitels angemerkt wurde - die Authentizität. Ich weiß nicht, inwiefern der plötzliche Streit zwischen Kyo und seiner Mutter unglaubwürdig herüber kam, doch möchte ich nur für mich persönlich anmerken, dass derartige Streitereien gerade zwischen Elternteilen und Kindern, die sich ganz besonders nahe stehen, sehr typisch sind. Ich schreibe oft von Dingen, die ich selbst erlebt habe bzw. aufgrund von Erfahrungen gut beurteilen kann - daher ist das Szenario für mich sehr schlüssig. [btw: ja, in meiner Familie schmeißt man sich tatsächlich auch in dieser abscheulich gehobenen Sprache die Schimpfwörter an den Kopf, deswegen fällt's mir wohl nicht auf xP]
 

Nun aber genug gequatscht, viel Spaß beim Lesen~~
 

Tisara
 

Chapter 13 - shinjitsu
 

~~
 

"So, dein Plan schlug also fehl?"

"Ja."

Unwilliges Murmeln.

"Ich bin enttäuscht von dir."

"Es war nicht meine Schuld! Ich habe alles sorgfältig geplant - und dann kommt dieses... dieses Insekt dazwischen und macht mir alles zunichte..."

Die Stimme hob sich an, klang aufgebracht.

"Hattest du nicht gesagt, er sei definitiv aus dem Weg?"

"Das dachte ich. Ich habe ihn weggelockt - doch er muss den Braten gerochen haben."

"Das nächste Mal erwarte ich einen Erfolg. Ich will, dass du sein vollständiges Vertrauen erlangst. Vollständig , drücke ich mich klar genug aus?!"

"Ja, Meister."

...
 

~~
 

"Kyo~"

"Jau?" Der Blonde sah von seinem Ordner auf, suchte Dies Blick. Der große Rothaarige schwang sich auf seinen Tisch und jammerte: "Ich kann mir den ganzen Unsinn nicht merken. Erzähl mir was über die amerikanische Literatur."

Ein Schulterzucken. "Kann ich nicht. Ich habe nur die europäische gelernt." Die blinzelte. "Aber... hat Sensei nicht schon so eine Andeutung gemacht, dass er dich heute dran nehmen wollte...?"

Kyo nickte langsam. "Hat er." "Wieso lernst du dann nicht die volle Bandbreite auswendig?!" "Er wird mich schon über die richtigen Themengebiete abfragen." "Was? Willst du ihn hypnotisieren oder was?" Kyo grinste. "Sicher doch."

Die warf ihm einen Blick zu, nachdem sein Freund sich längst wieder mit seinen Aufzeichnungen beschäftigte.

Solltest du etwa... Ach, Unsinn.

Die Tür zum Klassenzimmer öffnete sich, der Lehrer, ein meist gutmütiger Herr mittleren Alters, betrat den Raum und kündigte nach einkehrender Ruhe an: "Nun, wie bereits angesagt werde ich heute ein paar weitere Schüler abfragen. Freiwillige vor."

Er lachte hustend über seinen Witz - man vermutete, dass dies einen Scherz darstellen sollte - , und ging die Namensliste durch, besah seine Notizen der letzten Stunde.

"Tooru, wären Sie so freundlich?" Kyo richtete seinen Blick auf den Lehrer, nickte. "Sicher." Er biss sich auf die Innenseite seiner Lippe, ließ seine Augen nicht eine Sekunde von dem älteren Mann abschweifen.

"Was können Sie uns über die europäische Literatur des frühen zwanzigsten Jahrhunderts berichten? Besondere Schriftsteller, bekannte Werke?" Kyos Herz sackte erleichtert ein paar Zentimeter ab, ehe er zu einer ausführlichen Antwort ansetzte, sich nicht bewusst darüber, wie intensiv er gemustert wurde.

Rote Haarsträhnen verdeckten die Sicht.

Also doch...
 

~~
 

"Ich habe gehört, wir haben heute ein wenig Nutzen im Unterricht gezogen?"

Kyo drehte sich auf seinem Schreibtischstuhl herum zu Toshiya, der auf seinem Bett saß und in einem Buch herumblätterte. "Na ja... ich habe es versucht. Kann allerdings auch Zufall gewesen sein."

"Dann wäre es wohl kaum an meine Ohren gedrungen." Toshiya lächelte. "Ich bin stolz auf dich." Kyo verdrehte die Augen. "Einmal den Pauker dazu gebracht, mich die richtigen Dinge abzufragen, wow... Das mache ich eh nicht wieder."

"Ah ja?" "Nein. Wenn ich gute Noten kriege, will ich sie mir wenigstens selbst verdient haben." Toshiya musste leise auflachen. "Dieser Stolz ist schon fast nicht mehr feierlich.", stichelte er und zog den Drehstuhl dichter zu sich heran. "An wem willst du deine Versuche denn in Zukunft durchführen?" Kyo zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht... mir ist der Gedanke ehrlich nicht geheuer."

Ein dramatisches Aufseufzen. "Woher hast du nur deine Moral? Himmel, bei allem, was heilig ist, du tust keinem Menschen weh, wenn du ihn in geringem Maße dazu bringst, das zu tun, was dir vorschwebt."

Kyo schürzte leicht die Lippen. "Darum geht es mir doch nicht. Allein der Gedanke, einem Menschen meinen Willen aufzuzwingen, passt mir nicht. Tut mir leid, wenn mein Gewissen nichts für deine Einstellung ist, aber ich hatte schon wegen dieser kleinen Story im Literaturkurs ein mieses Gefühl in der Magengegend."

Eine Weile betrachtete Toshiya ihn schweigend. "Du denkst also, das sei nichts für meine Einstellung, ja?" Kyo stutzte leicht. Die Stimme des Älteren klang fast verletzt. "Nein, so habe ich das nicht-" "Du bist der Auffassung, ich hätte keine Moral.", unterbrach Toshiya ihn augenblicklich und erhob sich vom Bett, ging auf das Fenster zu.

Kyo sah ihm wortlos dabei zu. "Das habe ich nicht gesagt." "Nein. Du denkst es jedoch." "Als ob du wüsstest, was ich denke..." Toshiya fuhr zu ihm herum. "Das wiederum weiß ich besser, als du glaubst. Nennst du es unmoralisch, einer Bestimmung nachzugehen, die einem eigentlich keine Freude mehr bereitet? Von der man nicht mehr überzeugt ist?"

Ein irritiertes Schimmern in den dunkleren Augen. "Toshiya... nun komm runter. Ich habe dich nie unmoralisch genannt, dich schon gar nicht dafür gehalten. Und - du sagtest vor kurzem noch, deine Aufgabe machte dir zum ersten Mal Freude. Stimmt das denn nicht mehr?"

Toshiya drehte sich wieder herum zum Fenster, seufzte leise.

Frage nicht. Ich weiß selbst nicht mehr, was ich hier tue.

Seinen Gedanken zeitgleich jedoch setzte sich das unverwüstliche, charmante Lächeln wieder auf seine Züge. Als er sich endlich umwandte, Kyo somit anlächelte, ertönte Toshiyas Stimme erneut: "Ich bin gerne in deiner Nähe, das weißt du.."

Er streckte die Hand nach Kyo aus, zog ihn, nachdem dieser sie ergriffen hatte, fest in seine Arme und streichelte sanft durch das blonde Haar.

So gerne, dass du meiner Position gefährlich wirst...
 

~~
 

"Rauchen ist ungesund."

Der Redhead grinste, stieß eine Wolke des gräulichen Dunstes aus. "Hat mir schon mal wer erklärt, ja. Setz dich doch." Die andere Gestalt lächelte höflich und kam der Einladung nach. Im roten Licht der Mondlampen schimmerte das hellblonde Haar nahezu, fing Farbreflexe ein und stieß sie wieder aus.

"Was willst du, Shin?" Das Lächeln wurde kleiner. "Smalltalk sagt dir auch nichts, wie? Nun gut, kommen wir gleich auf den Punkt... Ist dir etwas aufgefallen?" Die senkte die Lider, konzentrierte sich auf die Salem Light, der er im Aschenbecher den Todesstoß gab. Shinya zuliebe natürlich.

"Hmmm. Ich weiß nicht..." "Daisuke. Wenn es wichtig sein könnte, musst du es mir sagen." Shinya suchte eindringlich seinen Blick. "Hai, ist ja gut. Es ist... Neulich im Unterricht. Er hat nur ein einziges Thema gelernt - und mir vorher schon versichern wollen, darüber abgefragt zu werden. Wer hätte es erwartet? Der Lehrer hat ihn genau zu diesem Thema ausgefragt. Ich weiß nicht, ob das nicht einfach nur Zufall war, es hat mich lediglich stutzig gemacht..."

Shinya nickte nachdenklich. "Ich habe bereits davon gehört. Du täuschst dich nicht in deinen Vermutungen, bei dieser Abfrage konnte von Zufall nicht die Rede sein. Ist ansonsten etwas vorgefallen? Nur irgendetwas?"

Die schüttelte den Kopf. "Nein. Nichts mehr. Kyo redet so wenig wie möglich von ihm, meine eigene Schuld. Er lässt es mir zuliebe bleiben." "Kannst du ihn dazu bringen, dir mehr von Toshiya zu berichten?" "Unmöglich. Kyo ist nicht blöd. Er wird sofort kapieren, dass ich das nicht aus Interesse an seiner Beziehung möchte." Ein zierliches Seufzen. "Das ist ungünstig."

"Shinya?" "Ja?" Die mandelförmigen Augen flackerten auf zu ihm. "Warum tue ich das überhaupt?" Ein aufrichtiges Lächeln. "Ganz einfach. Weil du ihn retten willst..."
 

~~
 

Zur gleichen Zeit - fast am gleichen Ort. Kyo und Toshiya spazierten gemeinsam durch Shibuya, bummelten lachend und gut gelaunt die Einkaufsstraßen entlang.

"Eigentlich sollte ich längst zu Hause sein." Leises Lachen. "Nein, nicht jetzt. Du bleibst bei mir." "Ich muss morgen in die Schule. Mein Vater wird mich durch den Fleischwolf jagen, wenn ich nicht bald auftauche..."

Toshiya blieb stehen und schloss die Arme um den kleineren Körper. "Ich werde dich nicht davon abhalten, morgen die Schule aufzusuchen. Du sollst mir nur noch ein wenig Gesellschaft leisten."

Damit zog er Kyo weiter. "Toshiya..." Ein wenig klagend klang er, der Ausspruch des Namens. "Ich tue seit Stunden nichts anderes mehr." "Nun komm schon. Lass uns nur noch auf einen Drink im Akai Tsuki vorbeischauen. Ich lade dich auch ein."

Kyo warf einen Blick auf die Uhr. "Na gut.", gab er schließlich nach, ließ sich von Toshiya weiter schieben, dem Café ihrer Wahl entgegen. "Ich frage mich ernsthaft, was du genommen hast.", ließ er während ihres Weges verlauten.

"Nani?" "Du bist so... optimistisch eingestellt. Fröhlich und enthusiastisch, möchte ich fast meinen. Hast du irgendwann zwischendurch getrunken, ohne dass ich es gemerkt habe?" Toshiya lachte. "Nicht doch. Das ist ganz allein deine Nähe, Kyo-chan."

Ein schiefer Blick. "Oder eine eigenartige Laune, wie man's nimmt.", stellte der Jüngere fest. "Zweifelst du etwa an meinen Worten?" Gespielte Empörung, gefolgt von einem weiteren Lachen. "Nicht doch, Toshiya-sama..."

Plötzlich brach die noch eben heitere Stimmung jedoch, Kyo hielt in der Bewegung inne. "Hm?" Toshiya warf ihm einen fragenden Blick zu, folgte dann dem des Achtzehnjährigen. Durch eines der Fenster, das Passanten den Einblick in das Innere des Akai Tsukis gewährte, ließ sich etwas ausmachen, mit dem auch er nicht gerechnet hätte.

Kyo runzelte unwillkürlich die Stirn.

Die? Was zum Himmel hast du mit Shinya zu tun...? Ich weiß nicht, was es ist, das Shinya anscheinend so gefährlich macht - doch es muss mit den Legenden zu tun haben. Aber... wie in drei Teufels Namen passt Die in diese ganze Geschichte rein?!

"Das darf nicht wahr sein..." Es musste Toshiyas Lippen einfach so entkommen sein; Kyo sah ihn dennoch aufmerksam an. "Was?" "Ich hätte wissen müssen, dass Shinya nicht alleine hier ist..."

"Was willst du damit sagen?!" "Es ist doch offensichtlich! Die und Shinya machen gemeinsame Sache." Diese Feststellung schien für ihn eine Tatsache, damit drehte Toshiya sich weg und wollte Kyo mit weiterziehen.

"Moment mal!" Erneute Empörung - diesmal jedoch echt. Toshiya ignorierte den Einwand, sagte bestimmt: "Du hältst dich besser fern von deinem tollen Freund. Ich wusste doch, er würde eines Tages Ärger einbringen..."

Kyo bekam sein Handgelenk frei aus der Umklammerung, erklärte mit einem Blitzen in den Augen: "Nichts da. Ich werde mich nicht von meinem besten Freund zurückziehen, wen habe ich denn dann noch?" "MICH."

Die Stimmen waren erhoben, eine gereizte Stimmung herrschte. "Mich, zum Teufel! Warum reiche ich dir nicht?" Kyo zuckte innerlich zusammen, als die Frage fiel. Er wandte den Blick ab, ehe er antwortete: "Es geht hier nicht ums Genügen. Es kann nie ausreichen, sich an einen Menschen zu heften. Aber auch das ist es nicht. Ich will meinem besten Freund vertrauen können, verstehst du? Und deswegen werde ich jetzt da reingehen und Die fragen, was hier vor sich geht."

"Tu es nicht." Kyo hatte bereits auf dem Absatz kehrt gemacht, erstarrte nun aber. Die drei kleinen Worte klangen wie eine Bitte. Eine gut gemeinte, sorgvolle Bitte. Erneut wendete er, fing Toshiyas Blick ein. "Warum nicht?" Seine Stimme - nicht mehr als ein Flüstern. "Ich halte es für unklug, Die zu zeigen, was du weißt. Versuche, auf andere Weise herauszubekommen, ob er wirklich mit Shinya in Verbindung steht oder ihn nur zufällig getroffen hat, wenn ich dies ehrlich gesagt auch nicht glauben kann.. Wie auch immer, gehe keine unnötige Gefahr ein."

Kyo seufzte leise, sah erneut unsicher hinüber zu Die, der weiter unbemerkt mit Shinya sprach. Die Szene wirkte einfach zu ernst, um ein unwichtiges Plaudern darzustellen.

"In Ordnung.", murmelte er schließlich. Toshiya lächelte sanft, trat auf ihn zu, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben. "Vertrau mir.", sagte er liebevoll, griff nach seiner Hand und zog ihn mit sich fort, weg vom Akai Tsuki, weg von Die - seinem besten Freund...?
 

~~
 

Kaum, dass er die Tür hinter sich geschlossen hatte, bemerkte er einen Schatten, der auf das Holz fiel. Ohne sich umzudrehen erkannte er, dass die große Statur hinter ihm kaum seine Mutter sein konnte.

"Guten Abend." Kyo runzelte die Stirn, wandte sich nun doch herum. Ein normaler Abendgruß? Wie ungewöhnlich war es, keine Rüge für sein spätes Auftauchen zu bekommen! Kyo erwiderte misstrauisch, wollte weiterziehen in sein Zimmer.

"Warte einen Augenblick." "Ja?" Sein Vater schob ihn mit sich ins Wohnzimmer, hinüber zum Sofa. "...?" Was er davon zu halten hatte, wusste er nicht recht; dass sein Vater regelrecht sanft im Umgang mit ihm war, kam ihm eigenartig vor.

Nishimura-san hielt eine Tüte hoch, seinem Sohn entgegen. "Was ist das?" "Nimm sie ruhig, der Inhalt ist nicht gefährlich." Kyo rang sich ein halbherziges Grinsen ab und warf einen Blick in die Tüte. Er sah wieder auf. "Ein Buch?"

Nun doch interessierter griff der Achtzehnjährige hinein, zog das Buch heraus. Eine verblüffte Miene. "Etto...?" "Es ist für dich." Kyo blinzelte leicht. "Woher weißt du-" "Ich sah neulich ein Buch dieses Autors hier herumliegen. Ich dachte, es würde dir gefallen."

Kyo sah hinunter auf das gebundene Buch, wieder auf zu seinem Vater. "Wofür ist das?" Es klang noch immer unsicher. "Es ist einfach ein Geschenk, Tooru." "Danke..." Es war Kyo nicht möglich, seine Verwunderung zu verstecken, konnte er einfach nicht glauben, dass sein Vater sich einen Autoren gemerkt hatte, um ihm ein Buch zu schenken. Doch was auch immer den Mann dazu bewegt haben musste - es freute Kyo. Irgendwo in ihm.

"Nun, ich gehe jetzt zu Bett, es ist spät." Sein Vater nickte ihm zu, verließ daraufhin das Wohnzimmer. Ein entgeisterter Blick folgte dem Mann, ehe Kyo sich selbst erhob, um in sein Zimmer zu verschwinden.

Der Junge legte das Buch auf der Schreibtischplatte ab, strich sanft über das Buchcover. Kaum zu bemerken war das Lächeln, das auf seinen Lippen lag - für einmal kam das Gefühl, doch nicht nur nach den eigenen Leistungen bemessen zu werden, in ihm auf.

Ich kann gar nicht glauben, dass er sich tatsächlich soweit Gedanken um mich gemacht hat, sich einen Titel zu merken...

Doch so ungewohnt das Gefühl auch war - es fühlte sich unglaublich gut an...
 

~~
 

"Guten Morgen, Liebling."

Nishimura-san lächelte, drehte sich zu ihrem Sohn um, der im Türrahmen lehnte.

Kyo erwiderte ihren Gruß, sah sie prüfend an. "Wie geht es dir?" "Gut." "Wirklich?" Seine Mutter nickte ernsthaft. "Wirklich. Ich glaube, dieses Mal hält sich der Zustand länger." Ein erleichtertes Seufzen. "Das ist in der Tat gut."

Der blonde Junge setzte sich an den Küchentisch, schnappte sich eine Scheibe Knäckebrot. "Sag mal...", meinte er und richtete seinen Blick zurück auf Nishimura-san. "Ja?" "Dieser Einfall mit dem Buch... der kam doch von dir, oder?"

Kyos Mutter zuckte ein wenig zusammen, drehte sich zu ihm um. "Wie? Welches Buch?" Ein schiefer Blick. Daraufhin setzte sich die Frau ebenfalls und meinte ruhig: "Na gut. Es war in gewisser Weise schon meine Idee... Aber dein Vater fand sie sofort gut."

Kyo konnte sich ein kleines Grinsen nicht verbieten. "Habe ich mich doch nicht umsonst gewundert, dass er auf so etwas gekommen ist. Danke, Mam." "Ich - ich möchte einfach nur mehr Frieden in unserer Familie. Verstehst du? Es kann doch nicht sein, dass selbst die wenige Zeit, die wir drei miteinander verbringen, nur von Streit und Ärger beherrscht wird."

Kyo senkte die Lider, starrte hinab auf seinen Teller. "Ich weiß, ich weiß... Es tut mir auch leid, aber-" "Das war kein Vorwurf an dich. Es ist mir bewusst, dass nicht du der Ursprung der Probleme bist. Doch ich denke, du bist der Vernünftigere. Gib deinem Vater die Chance, wenn er sie in Zukunft nutzen sollte."

Kyo ließ die Bitte, die klar formulierten Worte auf sich einwirken. "Denkst du wirklich, er wird es tun?" "Ich kann es nur hoffen." "Okay. Wenn - wenn er versuchen sollte, auf mich zuzukommen, werde ich es nicht sein, der quer schlägt. Erwarte nur nicht von mir, dass ich den ersten Schritt mache. Das... kann ich einfach nicht."

Ein verständnisvolles Lächeln. "Natürlich nicht, Schatz." Sie hob die Hand an, streichelte sanft über Kyos Wange. "Ich bin so froh, dich zu haben, weißt du das? Wenn dir etwas auf dem Herzen läge, kämst du damit doch auch zu mir, nicht?"

Kyo sah sie leicht verwundert an. "Ehm.. sicher. Klar."

Wenn wieder etwas anliegen sollte, das nicht so hoffnungslos verrückt klingt, natürlich.

"Du kannst mir wirklich alles erzählen, Kyo." Kyo nickte, legte dann den Kopf schief. "Was ist das, Frage-Antwort Spiel?", wollte er lachend wissen, versuchte damit, sein schlechtes Gewissen zu überspielen.

Himmel, es gibt so viele Dinge über mich, die ich ihr verschweige. Aber ich kann ihr von dieser Legende nichts erzählen. Und Toshiya... ich weiß einfach nicht, wie - meine Güte, ich kann das nicht sagen.
 

~~
 

Leichtes Gelächter, Flüstern aus der Küche der kleinen Wohnung.

Kyo, auf der Arbeitsfläche sitzend, beobachtete Toshiya dabei, wie er sich mit einem Kuchenteig innerhalb der Rührschüssel herumärgerte. "Verdammt, das wird nicht cremig. Klümpchen an Klümpchen, prima.."

"Ich hab doch gleich gesagt, ich mach das besser selbst. Ursprünglich wollte ich, dass meine Mutter den Kuchen heute Abend auch essen kann.", stichelte der Jüngere mit einem übermütigen Blitzen in den Augen.

"PAH, als ob die paar Klumpen im Teig den Geschmack änderten. Der Teig schmeckt nämlich vorzüglich.", verteidigte Toshiya seine bisherige Mischung. "Dafür will ich erst mal einen Beweis.", erklärte Kyo kurzerhand, tunkte die Fingerspitze in den Teig, um zu kosten.

"Dafür gibt es einen Löffel. Du bist einfach unmöglich!", meuterte der große Schwarzhaarige und schüttelte grinsend den Kopf. "Hmm... schmeckt aber wirklich ganz nett." "GANZ NETT? Ich geb dir gleich ganz nett, du..." Der Rest des Satzes ging in undeutlichem Gemurmel unter, was - nebenbei bemerkt - für den Frieden innerhalb der vier Wände vielleicht auch besser so war.

Kyo verdrehte leicht die Augen. "Ach je, jetzt ist er beleidigt." Er griff nach Toshiyas Handgelenk, zog ihn zu sich hinüber. "Du hast das so toll gemacht, Toshiya.", erklärte er mit einem Augenaufschlag, der seine Worte bereits wieder lächerlich wirken ließ.

Toshiya lächelte süffisant. "Das schreit nach einer Strafe." "Die da wäre?" "Hm, das überlege ich mir noch... Fürs Erste plädiere ich für Liebesentzug." "Nichts da!", protestierte der Achtzehnjährige daraufhin, machte einen Schmollmund.

Ein Lachen folgte. "Und da wunderst du dich, wenn die Leute dich kawaii-mono taufen... Bei dem Blick möchte man dich einfach als Plüschtier nutzen, selbst Schuld." "Für den Spruch hab ich jetzt was gut.", grummelte Kyo, verschränkte die Arme vor dem Körper.

"Nämlich was?" Kyo überlegte nicht lange, bevor er Toshiya zu sich herunterzog, einen kleinen Kuss raubte. Lächelnd flüsterte der Größere an seinem Ohr: "So viel Nähe bei dir zu Hause? Bist du krank?" Ein Achselzucken. "Wir sind doch allein."

Toshiya grinste. "Stimmt auch wieder.", entgegnete er fast beunruhigend vergnügt und vertiefte ihren Kuss, entfachte damit ein langes Zungenspiel. Der Kuchenteig stand währenddessen in der Küche herum, einsam und vergessen.

So abgelenkt nahmen die beiden nichts wahr, weder den Schlüssel, der im Schloss herum gedreht wurde, noch die Schritte auf dem Flurteppich.

"Tooru?"

Kyo zuckte in seinem Innersten zusammen, als die Stimme ertönte. Nur ein Wort, sein Name, gesprochen in einem ungläubigen, nein, sogar entsetzten Ton. Er wich unwillkürlich ein Stück zurück von Toshiya, ehe er sich seinem Vater zuwandte, ihm einen unsicheren Blick zuwarf. "..." "Was hat das zu bedeuten?"

Eine Weile herrschte Schweigen, doch schließlich nahm Kyo das, was er seine Courage nannte, wieder zusammen und fragte gezwungenermaßen ruhig: "Du kennst Toshiya noch?" Ein finsterer Blick traf ihn. "Wage es nicht, dich auch noch über mich lustig zu machen."

"Was? Nein, ich... also, das ist Toshiya. Mein Freund." Sein Vater gab einen Laut der Fassungslosigkeit von sich. "Das ist nicht dein Ernst!" "Und ob das mein Ernst ist.", widersprach Kyo bestimmt und stand von seinem Sitzplatz auf der Arbeitsfläche auf. Er hatte das unbestimmte Gefühl, sich und seine Beziehung verteidigen zu müssen, nahm dazu unbewusst eine eindeutige Körperhaltung an.

"Das darf nicht wahr sein. Mein Sohn ist schwul ?!?" Kyo klappte buchstäblich die Kinnlade herunter. "Wie bitte? Bin ich nicht!", ging er gegen die lauten Worte seines Vaters an und erklärte beharrlich: "Ich bin n.i.c.h.t schwul, okay? Bisexuell ist etwas vollkommen anderes." "Das ist ja noch schlimmer, nicht mal entscheiden, was man will. Das ist einfach... das ist abartig und unnormal!"

Toshiya warf hastige Blicke zwischen Kyo und seinem Vater hin und her. Er wusste nicht, wie er sich in dieser Situation am besten verhalten sollte, da seine Art des Charmes bei dem Erwachsenen nicht anschlagen würde. Wie also die Katastrophe lindern, die langsam ihren Lauf nahm?

Als er Kyos Miene bemerkte, die nach den letzten Worten seines Vaters von Kampfgeist in Verletztheit umgeschlagen war, konnte er sich dennoch nicht verbieten, einzugreifen. "Nishimura-san, bitte-", fing er sanft an, den Blick höflich und doch bewusst auf den Ältesten im Raum gerichtet.

"Ich will nichts hören, verstanden? Nicht in meinem Haus. Sie verlassen augenblicklich meine Wohnung." Kyos Blick flackerte wieder auf. "Moment mal! Du kannst ihn nicht einfach-" "UND OB ich das kann. Bitte, lebe deine unnormalen Neigungen aus - aber nicht in meinem Haus."

Nishimura-san wandte sich erneut an Toshiya. "Verschwinden Sie. Sofort." Toshiya kochte innerlich vor Wut - Kyo sah es ihm an. Und doch machte der große Dunkelhaarige einen Schritt aus der Küche, nahm seinen schwarzen Mantel vom Haken.

Kyo holte tief Atem, verließ dann ebenfalls die Küche. "DU bleibst hier." Finger schlossen sich fgrob um sein Handgelenk. Der Achtzehnjährige biss sich auf die Unterlippe, entriss seinem Vater den Arm und sagte leise: "Ich kann dir nicht verbieten, ihn rauszuschmeißen. Aber nur, dass du es weißt: Wenn er geht, gehe ich auch."

Damit griff er nach Toshiyas Hand, zog ihn hinter sich her aus der Wohnung. Ein lauter Ausruf seines Namens war noch im Treppenhaus zu hören, wurde aber ignoriert, ebenso die wütenden Beschimpfungen. Kyo hielt den Blick auf die Stufen gerichtet, kämpfte schweigend gegen die Tränen an, die seine Augen ausfüllen wollten.

"Kyo...?" Toshiyas Stimme, nicht mehr als ein leiser Windhauch. Er hob den Kopf nicht an. "Was?" "Das wird wieder. Ganz sicher." "Nein. Jetzt bricht alles auseinander..."
 

~~
 

tbc

shitto

Hallo und guten Tag zurück von mir.
 

Ich weiß, lange hat's gedauert, fast 2 Monate. Es tut mir leid - ich will mich gar nicht erst großartig rechtfertigen, scheiße war's, so viel steht fest.

Jetzt aber kein großes Blabla mehr, viel Spaß mit Chapter 14 - Neid...
 

Kirei [ja, Namensänderung inklusive]
 

Chapter 14 - shitto
 

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"Nein~"

Kyo wickelte das Telefonkabel um seinen Finger.

"Es geht mir gut, ja doch."

Weitere Worte aus dem Hörer.

"Mama." Kyo seufzte leise. "Ich komme sehr gut klar. Ich weiß, du wirst mich vermissen. Aber ich kann nicht zurückkommen. Nicht ganz." Er spürte die Enttäuschung deutlich, versuchte dennoch, kein schlechtes Gewissen zu bekommen. "Ich hole die restlichen Sachen morgen Nachmittag, wenn... wenn er nicht da ist."

"Schatz, bitte. Man kann doch über alles reden." "Nein. Man kann mit ihm eben nicht reden. Ich habe versucht, es ihm ruhig und vernünftig zu erklären. Aber er hat es vorgezogen, mich anzuschreien, aufs Übelste zu beschimpfen und Toshiya rauszuschmeißen."

"Warum hast du es mir nicht gesagt?" Ein Stich. "Ich... es tut mir leid. Wirklich, Mama. Ich wollte es wirklich, aber ich konnte einfach nicht. Wusste nicht, wie ..." "Es verletzt mich, dass du so wenig Vertrauen zu mir hast. Ich habe so lange darauf gewartet, die Wahrheit zu hören. Glaubst du denn, ich hätte nicht bemerkt, wie anders du bist, seit du ihn kennst? Doch ich hoffte, du kämst damit zu mir, bevor so eine Situation wie heute Nachmittag ihren Lauf nehmen konnte."

"Es war ein Fehler. Darüber bin ich mir bewusst. Aber mehr als entschuldigen kann ich mich dafür nicht. Versuch, es ein wenig zu verstehen. Es war nie meine Absicht, dich zu verletzen, das weißt du, nicht?"

Kyo lauschte erleichtert der Zustimmung. "Natürlich bin ich mir darüber im Klaren. Denkst du wirklich, es sei eine Lösung, vor ihm und dem Streit wegzulaufen?" "Ich will nicht weglaufen. Alles, was ich möchte, ist Abstand gewinnen. Ich schätze, wir brauchen alle ein wenig Abstand von dieser Sache, um vernünftig darüber reden zu können. Er muss sich beruhigen, Einsicht erlangen - und ich muss mit mir selbst ins Reine kommen. So, wie unsere Gemütsverfassungen momentan sind, bringt es doch nur noch mehr Ärger."

Ein leises Seufzen. "Ja, wahrscheinlich. Himmel, wieso ist mein Kind nur grundsätzlich vernünftiger als ich?" Es war fast ein leises Lachen, mit dem sie es sagte. Kyo grinste ebenfalls andeutungsweise. "Deine gute Erziehung, was sonst?" Er warf einen Blick auf die Uhr. "Ich sollte schlafen gehen, in Zukunft muss ich um einiges früher los, wenn ich rechtzeitig in der Schule erscheinen will..."

Es war einige Zeit später, als Toshiya heimkehrte, sich ebenfalls bettfertig machte. Der junge Mann setzte sich an den Bettrand, betrachtete den bereits schlafenden Kyo zwischen Bettdecke und Kopfkissen lächelnd. Sanft fuhr er durch das wirre Blondhaar, seufzte dann lautlos.

Es ist viel zu schade um dich. Es ist sogar regelrecht unfair, dass ausgerechnet du das Erbe des Schwalbenschwanzes auferlegt bekamst. Mein kleiner, dunkler Engel...
 

~~
 

"Du bist WAS?"

Kyo nickte, bestätigte seine Worte. "Ja."

"Aber... aber wieso denn so plötzlich?" "Ich hatte Streit."

Die wedelte mit der Hand. "Wegen einem Streit zieht man doch nicht einfach aus! Beim nächsten Krach mit Toshiya stehst du ganz auf der Straße, ist dir das bewusst?"

Ein leichtes Blinzeln. Kyo steckte die Hände tiefer in die Jackentaschen, fröstelte leicht. Der Wind war schneidend. "Du gehst von vornherein davon aus, dass wir uns streiten.", stellte er tonlos fest.

Die hielt inne, griff nach Kyos Arm, um ihn zu sich herumzuziehen. "So meinte ich das doch nicht. Versteh, ich wundere mich nur, wie du einfach ausziehen kannst. Deine Familie...", fing der große Rothaarige erneut an.

Wie solltest du es auch verstehen, du hast ja keine Ahnung, wie er ist. Wie angewidert er mich angesehen hat...

"Das war ein ziemlich heftiger Streit. Und ich will ja auch nicht dauerhaft wegziehen. Nur... ein paar Wochen vielleicht." Kyo entzog Die seinen Arm und ging weiter. Dieser folgte ihm hastig weiter und wollte wissen: "Worum ging es denn überhaupt?"

"Ist das nicht egal?" "Theoretisch schon, nur... Es interessiert mich trotzdem." Kyo sah auf in das helle, immer freundliche Gesicht des Redheads. "Es ging um Toshiya.", murmelte er und richtete den Blick fest auf die Straße.

In Die schien eine Alarmlampe aufzublinken. "So?", fragte er scheinbar beiläufig nach. "Inwiefern?" "Mein Vater... na ja, er hat uns gesehen." "Und?" "Na... so gesehen.", versuchte Kyo, den Auslöser des Krachs zu verdeutlichen.

"Ich verstehe schon, aber wo ist das Problem?" Kyo blieb stehen, sah seinen besten Freund verwundert an. "Wo das Problem liegt?! Mein Vater sieht das alles nicht so locker wie deine Eltern es vielleicht täten."

"Wusste er denn nicht, dass du-" "Nein." Die runzelte die Stirn. "Aber...", setzte er erneut an. "Was aber?" "Hattest du nicht schon mal einen Freund? Ich meine diesen Typen - wie hieß er gleich noch?" "Katsuya." Es klang finster. "Und das kannst du nicht Beziehung schimpfen, das war ein Witz."

"Das möchte ich jetzt ehrlich nicht bestreiten, aber immerhin hat's n paar Tage angedauert, drei Wochen oder so?" "Fünfzehn Tage - und ich sehe immer noch nicht, worauf du hinaus willst." "Da hätte dein Vater doch längst wissen müssen, dass du auch auf Typen stehst, oder?", platzte Die letzten Endes doch noch heraus.

Ein hohles Lachen. "Ich habe einen Teufel getan, es ihm auf die Nase zu binden. Meine Familie wusste bisher immer nur um den gescheiterten Käse mit dem anderen Geschlecht." Die schien verblüfft. "Ich verstehe es ehrlich nicht. Warum hast du es ihnen nicht einfach gesagt? Dann hätte es mit Sicherheit keinen so großen Streit gegeben, dass du hättest ausziehen müssen."

Kyo blieb wieder stehen, schüttelte den Kopf. "Willst du das nicht begreifen? Meine Familie ist anders als deine. Nicht überall läuft es ab wie bei dir zu Hause, wo über alles gesprochen wird, man sagen kann, was Sache ist. Deine Eltern sind ein Musterbeispiel unserer Gesellschaft, fast schon zu gut, um noch echt zu sein. Ich kann meinem Vater nicht so vorbildlich von meinen Neigungen berichten, wie du es getan hast. Deine Familie hat einfach hingenommen, dass du manchmal auch nen Freund mit heimbringst. Mein Vater hingegen hat einen Riesenaufstand gemacht, mich wirklich übel beschimpft und Toshiya vor die Tür gesetzt. Verstehst du? Du hast Glück. Aber das sieht bei vielen Familien anders aus."

Die biss sich auf die Unterlippe, kaute nachdenklich darauf herum, während die beiden weiterschlenderten. "Mann, ich bin ganz schön egoistisch manchmal, wie?" Kyo hob die Augenbrauen. "Wie kommst du nun darauf? Du bist so ziemlich der einzige Mensch, den ich nicht so bezeichnete..."

"Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir tatsächlich noch nie Gedanken darüber gemacht, wie gut ich es bei uns habe. Jetzt, wo du es gesagt hast, wird mir erst mal klar, dass es nicht selbstverständlich ist, ein solches Verhältnis zu seinen Eltern zu haben. Ich meine, klar, viele Kids haben Ärger und Streit, aber was das angeht... Wieso denke ich über so etwas nie nach? Das ist einfach nur dumm."

Kyo lächelte nachsichtig, hakte sich bei ihm ein. "Ist es nicht. Du bist für dein Innenleben einfach zu blauäugig, das ist alles. Manchmal liegt es echt nahe, dich mit einem Schaf zu vergleichen. Gutgläubig und liebenswert bis zum Ende - aber auch ein bisschen trottelig und naiv."

Die ächzte. "Wäre da nicht so viel Wahres dran, hätte ich dich jetzt verprügelt." Gelächter. "Hättest du nicht.", widersprach Kyo überzeugt und stieß Die in die Seite. "Das traust du dich ja doch nicht." "Stimmt, deine Rechte kann weh tun. Erinnere mich da an diesen Megadeppen, dem du damals mal eine gelangt hast. Der sah aus..."

Mit seiner Bemerkung brachte er Kyo erst recht zum Lachen. "Ich bitte dich, das ist Jahre her. Und er hatte es verdient." "Weißt du etwa noch, warum du ihm eine verpasst hast?" Die starrte ihn entgeistert an. "Natürlich. Er hat sich über dich lustig gemacht."

Ein liebevoller Blick. "Du warst früher schon der beste Freund überhaupt." "Ach quatsch nicht.. Ich war dämlich. Hätte mir denken können, dass ich dafür ne Quittung erhalten würde. Weißt du noch, wie hübsch ich mit dem blauen Auge aussah?"

Die stimmte in sein Lachen mit ein. "Doch, zum Niederknien. Wie alt waren wir da?" "Lass mich nachdenken... Vierzehn? Vierzehn und ziemlich klein." "Stimmt. Wobei du letzteres noch immer bist.", erkannte Die mit einem schiefen Seitenblick auf den Blondschopf beinahe zwanzig Zentimeter unter ihm. "Allein wegen solchen Sprüchen werde ich mich nie wieder deinetwegen prügeln.", behauptete der Jüngere daraufhin eingeschnappt und zog die Nase kraus.

"Würdest du ja doch..." Kyo sah wieder auf zu ihm. "Vermutlich." "Wenn ich daran denke, wie viel du dir damals noch hast sagen lassen..." Die grinste breit. "Hab ich gar nicht!" Entrüstung. "Doch. Selbst den Namen, den ich dir gegeben habe, hast du bis heute beibehalten." "Pah, das auch nur, weil er mir so gefallen hat."

"Stimmt doch überhaupt nicht. Anfangs warst du immer beleidigt, wenn ich dich mit deinem Kyoto-Tick aufgezogen habe." "Ach, du verdrehst die Wahrheit.", behauptete Kyo bestimmt und grinste ebenfalls.

Die betrachtete die Miene des kleinen Blonden nachdenklich.

Ach mann... wenn ich überlege, wie lange ich dich schon kenne, kann ich kaum glauben, wie wenig ich über dich weiß, Kyo. Du bist mir fremd, obwohl wir die wohl wichtigsten Jahre unseres bisherigen Lebens so eng miteinander geteilt haben. Wer bist du überhaupt? Warum darf ich dich nicht kennen lernen?

"Kyo?" "Ja?" "Ich möchte nicht auf dem Thema rumtrampeln, aber willst du wirklich ausgerechnet zu Toshiya ziehen? Du könntest doch auch bei mir...-" "Die. Ich bin seinetwegen gegangen. Natürlich bleibe ich da bei ihm."

Das ist aber verdammt gefährlich, du Dummkopf!

"Wenn du... na ja, solltest du es dir anders überlegen, kannst du jederzeit zu mir kommen, das weißt du, ne." "Natürlich.." "Darf ich dich was fragen?" "Tust du das nicht am laufenden Band?" "Nein~ was Persönliches..." "Frag."

"Liebst du ihn?" Zwei braune Lichter flackerten auf zu ihm. "Wie?" "Ich will wissen, ob du ihn liebst. Du hast schon so oft in deinem Leben gesagt, du glaubst nicht an die große Liebe, zumindest nicht für dich persönlich. Wie sieht das jetzt aus?"

Kyo richtete den Blick geradeaus, lächelte leicht, fast abwesend. "Hm... Ich dachte immer, es bräuchte wirklich lange Zeit, damit sich Liebe entwickeln kann. Falls es Liebe überhaupt gibt. Doch... ich muss zugeben, dass ich mich inzwischen selbst so benehme wie diese naiven Traumtänzer mit der rosaroten Brille vor der Nase. Toshiya ist weiß Gott nicht einfach, er kann schrecklich ungerecht und launisch sein, aber gleichzeitig ist er so... so wundervoll, verstehst du? Ich habe das Gefühl, ohne ihn nicht mehr leben zu können, verrückt, oder? Ich weiß nicht, ob das, was ich empfinde, Liebe ist. Aber sollte es das nicht sein, ist Liebe im Vergleich zu meinen Gefühlen nichts. Ein wertloser Haufen verschrotteter Emotionen im Vergleich zu dem, was ich für Toshiya tun würde."

Die hob unwillkürlich die Augenbrauen an, biss die Zähne zusammen.

Game Over, Daisuke...
 

~~
 

Ein leises Gähnen.

Kyo streckte sich und lehnte sich wieder an Toshiya, genoss die Wärme, die seine Arme ihm schenkten. Der Ältere lächelte und fragte: "Müde?" Ein unschlüssiges Schulterzucken. "Hmm... ein wenig vielleicht.", erwiderte Kyo, richtete die Augen dann wieder auf den Fernsehfilm.

"Willst du mir nicht sagen, was dir im Kopf herum geht?" "Wie?" Kyo sah ihn aufmerksam an. "Du wirkst abwesend." "Es ist nichts. Ich habe nur nachgedacht.", versicherte Kyo, schmiegte sein Gesicht an Toshiyas Oberkörper.

"Worüber?" "Ist dir aufgefallen, dass du immer alles wissen willst?", fragte Kyo grinsend. "Natürlich. A-l-l-e-s, schon vergessen?" "Jaah, ist ja gut. Ich musste eben an Die denken. Der Schauspieler da hat mich an ihn erinnert."

Toshiya richtete sich ein wenig weiter auf. "An Die?" "Wir waren heute Nachmittag zusammen unterwegs, es war wieder... so wie früher. Nicht so angespannt, wie es momentan oft vorkommt. Es war wirklich schön.", erzählte Kyo langsam, sichtlich glücklich über diese Tatsache.

Toshiyas Miene hingegen schien leicht eingefroren. "Toll.", machte er kühl, wirkte fast beleidigt. Kyos Augen weiteten sich verwundert, er setzte sich auf und musterte Toshiya verständnislos. "Was denn?" "Gar nichts."

Kyo verdrehte die Augen. "Kannst du mich mal aufklären, warum du jetzt einen auf eingeschnappt machst?" "Ich bin nicht eingeschnappt. Ich bin genervt." Langsam fiel der Groschen. "Hör auf mit dieser Misstrauenskiste, tu mir den Gefallen. Die ist seit Jahren mein bester Freund, für ihn läge ich die Hand ins Feuer."

"Dann verbrenne sie dir eben. Darum geht es ohnehin nicht.", murmelte Toshiya ärgerlich und presste die Lippen aufeinander. "Worum denn dann? Wieso kannst du dich nicht einfach für mich freuen, wenn meine Freundschaft sich wieder bessert?" "Bist du so naiv? Er stört mich schlicht und einfach!"

Kyo wirkte ungläubig. "Willst du mich auf die Schippe nehmen? Du bist nicht ernsthaft eifersüchtig auf DIE?" "Wonach hört es sich denn sonst an?! Es ist einfach nervtötend, hier Die, da Die, ÜBERALL Die. Wieso ist dieser... dieser Typ dir so wichtig, verdammt?"

"Du weißt genau warum. Er war jahrelang der einzige Mensch in meinem Leben, dem ich vertrauen konnte. Du kannst nicht erwarten, dass ich diesen Menschen deinetwegen beiseite stoße!" "Dann nimm doch ihn, wenn er dir so wichtig ist."

Leise Worte, klar und deutlich gesprochen. Kyo starrte den Älteren an. "Was soll das?! Kannst du nicht zwischen Freundschaft und Beziehung unterscheiden?" "Wenn Die da Unterschiede machte, wäre das alles kein Problem."

Ein verständnisloser Blick. "Mach dich nicht lächerlich." "Seit wann bist du so blind für die Realität, Kyo? Dieser Junge ist nicht nur aus freundschaftlichem Interesse immer in deiner Nähe, verstehst du das nicht? Er will dich haben - und das kann und werde ich nicht zulassen."

Kyo schüttelte den Kopf. "Das ist total unsinnig. Die und ich, das ist doch... ich bitte dich, das ist einfach nur ein Witz!" "Dann frag ihn. Wenn du dir so sicher bist, frag ihn, was er für dich empfindet." "Ich mache mich doch nicht lächerlich vor meinem Kumpel. Wie stellst du dir das vor, ,hey Die, kann's sein, dass du was mit mir anfangen willst?'? Also wirklich, manchmal frage ich mich, was dir im Kopf herumgeht..."

"Ich kann es nicht leiden, wie er dich ansieht, und damit basta.", fauchte Toshiya und erhob sich vom Sofa. "Nun renn nicht weg, sondern rede mit mir. Wie sieht er mich denn schon an?" Toshiya blieb stehen, drehte sich langsam wieder zu ihm um. "Er sieht dich an, wie du mich manchmal ansiehst. Verstehst du jetzt, wo mein Problem liegt? Diese Sehnsucht in seinen Augen macht mich wahnsinnig!"

Kyo musterte ihn stumm. Lange regierte Stille das Wohnzimmer, ehe auch Kyo die Couch verließ und nach Toshiyas Hand griff. "Ich - ich kann dir deine Überzeugung im Hinblick auf Dies Gefühle nicht nehmen. Aber du solltest wissen, dass du mir vertrauen kannst. Wenn du es in meinen Augen so klar und deutlich siehst, weißt du, wie unmöglich es ist, dass Die eine Gefahr für dich darstellen könnte.", sagte er leise, suchte eindringlich Toshiyas Blick.

Ein weiteres Seufzen. Toshiya rieb sich mit Zeigefinger und Daumen die Schläfen, ließ Blickkontakt dann endlich wieder zu. "Sicher...", machte er wieder vollends beherrscht, zog Kyo fest in seine Arme. Sanft murmelte er in das blonde Haar: "Ich möchte dich nur nicht mehr hergeben. Nie mehr."

Kyo zog unwillkürlich die Augenbrauen zusammen, erwiderte jedoch nichts mehr.

Seit wann benimmt er sich so? Fast, als hätte er Angst, mich zu verlieren. Es stört mich nicht, aber es ist so... ungewöhnlich. Selbst jetzt bist du mir noch ein Rätsel, Toshiya. Was willst du eigentlich von mir? Ist es wegen den Besitzansprüchen? Wenn nicht - was ist es dann...?
 

~~
 

Kyo lachte leise, warf ein Fruchtgummi nach dem Älteren.

"Baka. Du redest so viel Müll auf einem Haufen, das schaffen andere in einem Jahr nicht." Die zog beleidigt eine Schnute. "Stimmt nicht. Die tarnen es nur besser." "? Was war das für ein Argument?" Kyo hob linke die Augenbraue an.

Die beiden Jugendlichen saßen gemeinsam in Dies Zimmer, die Playstation 2 flimmerte noch vergessen vor sich hin, alles im Raum deutete auf eine lange Nacht hin. Inzwischen schlug die Uhr fast zwei, doch aus dem Reden waren die zwei noch immer nicht herausgekommen.

Die lehnte sich gegen einen Bettpfosten, sah Kyo neben sich eine Weile nachdenklich an. "Wie läuft es eigentlich? Kommst du gut damit zurecht, bei Toshiya zu leben?" Kyo nickte langsam. "Hai, sou da. Ich meine - wir streiten uns gelegentlich, dass es nur so kracht, aber meist vertragen wir uns auch genauso schnell wieder." Er grinste leicht verlegen.

"Woran liegt's?" "Was?" "Na, was ist das Grundthema eurer Streitereien?" "Eto..."

"Du" kann ich jetzt irgendwie schlecht sagen, was?

"Meistens hängt es mit seinen Zickereien zusammen. Toshiya kann wirklich weibisch sein, was das angeht. Ein falsches Wort, das er noch viel falscher auslegt - tada, da haben wir den Krach." Die verdrehte die Augen. "Warum auch einfach, wenn's so schön kompliziert geht... Ich hätte da keinen Bock drauf."

"Wer weiß, vielleicht brauche ich ja Wind von vorne. Den gibt er mir jedenfalls ohne Weiteres." Die musterte ihn. "Das haben bisher alle getan." "Hm?" Kyo hob fragend den Blick. "Kann mich an keine deiner verkorksten Kurzbeziehungen erinnern, in der du dich nicht herumkommandieren ließest. Woran liegt es, dass du dich immer so unterordnest, wenn du mal eine Beziehung in Gange hast? Okay, selten genug kommt es vor, aber na ja..."

Kyo schwieg eine Weile. "Keine Ahnung. Ich kann dir nicht sagen, warum ich immer den Uke-Part abkriege. Liegt vielleicht an den Leuten, die ich mir aussuche." Er grinste leicht, versuchte damit, das Thema vom Ernst der Frage wegzulocken.

Die ging darauf ein, ohne es überhaupt zu merken. "Wie sieht's mit deiner Familie aus?", wollte er wissen. "Mit meiner Ma telefoniere ich jeden Tag. Manchmal geh ich nachmittags auch heim, um sie zu besuchen. Sie hat gerade gestern neue Medikamente bekommen, scheint gut zu laufen bei ihr." "Und dein Vater?" "Den hab ich gestern im 24 h Store getroffen. Das heißt - ich habe ihn gesehen und er wechselte die Regalseite."

Betroffen starrte der Rothaarige seinen jüngeren Freund an. "Er hat nicht mit dir geredet?" "Getan, als gäbe es mich nicht.", murmelte Kyo und knabberte unbewusst auf seiner Unterlippe. Die seufzte tief. "Verdammt, dass er so engstirnig ist... das tut mir leid." Er legte fast wie aus Reflex einen Arm um die schmalen Schultern, lächelte ermutigend.

"Das renkt sich wieder ein, was?" Kyo brachte es nicht übers Herz, mittels einer Verneinung den gut gemeinten Enthusiasmus zu zerstören. Er sah gezwungen fröhlich auf in das Gesicht seines Kumpels und nickte. "Hai..."

Als ihre Blicke aufeinander trafen, schien eine Welle über den kleinen Blonden hereinzubrechen. Schon oft hatte er bei Menschen, die auf diese offene Weise emotional waren wie sein bester Freund, Gefühle wahrnehmen können, gespürt, was in ihnen vorging - doch in dieser Sekunde schienen Emotionen auf ihn einzuprasseln, die in Schwere und Intensität erdrückend wirkten.

Kyo schüttelte fast unwillkürlich Dies Arm ab, erklärte fast erstickt: "Ich geh mal.. auf Klo..." Wie hastig sein Verschwinden Die erscheinen musste, war ihm gleich. Keine Sekunde länger hätte er diese Wahrnehmungen weiter ertragen.

Kaum, dass er die Tür zum Badezimmer hinter sich geschlossen hatte, riss der Strom ab. Erleichtert seufzend lehnte er sich gegen das Holz, kaute geistesabwesend auf dem Fingernagel seines linken Daumens herum. Er wusste nicht, wie viele Jahre es her war, dass er dies getan hatte. Früher, im Kindesalter, mussten seine Fingernägel oft herhalten, sobald Nervosität in Kyo hochgekommen war.

Verdammt, Die! Du - du willst doch nicht wirklich... Was mach ich denn jetzt? Ich.. ich kann ihn nicht darauf ansprechen. Nicht, bevor ich nicht weiß, *wie* . Aber... oh mann, was für eine Scheiße. Wie soll ich mich denn normal benehmen, wenn ich so einen Mist denke?

Ein verzweifeltes Seufzen.

Und mit Toshiya kann ich darüber auch nicht reden. Er würde mich höchstens wahnsinnig machen wegen dem Thema. Completely fucked up.

Wieder in Dies Zimmer angekommen, streckte Kyo sich leicht und gähnte. "Bist du auch so müde?", fragte er verschlafen. Die grinste schief. "Ui, da macht wer schlapp." "Da war den ganzen Abend über nichts anders dran.", erklärte Kyo trocken und setzte sich auf den Bettrand.

Die verdrehte die Augen. "Diese Sprüche sind grauenhaft.", stellte er lachend fest. "Wie machst du es bloß, aus jeder Bemerkung irgendetwas Doppeldeutiges herauszufischen?! Du hast zu viel Sex, das ist es."

"Die Sprüche hatte ich auch schon drauf, bevor ich überhaupt je Sex hatte.", dementierte Kyo Dies Worte und griff nach der Bettdecke. "Was, das gab's bei dir mal?", grinste Die weiter und raffte sich ebenfalls auf, ließ sich auf die zweite Matratze seines Doppelbetts fallen. "Doch, ich glaube mich zu erinnern. Und jetzt sei ruhig, ich muss schlafen. Sonst habe ich morgen Augenringe und bin nicht schön." Kyo zwang sich zu einem Grinsen, drehte sich dann auf die Seite. "Du bist immer schön.", tönte die Antwort noch zurück, ehe Die das Licht löschte und unter seiner Decke verschwand.

Kyo starrte die dunkle Wand an, Dies letzte Worte vor dem Gute-Nacht-Gruß noch deutlich in den Ohren.

Kami-sama, lass es nur Einbildung sein. Mach, dass ich diese Befürchtung eben nur hatte, weil Toshiya mich mit seinen ewigen Zweifeln misstrauisch gemacht hat. Ich ertrage es nicht, wenn unsere Freundschaft einen Riss bekommt. Ich brauche Die. Aber ich will ihn genauso wenig verletzen...
 

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tbc

304 goushitsu

MERII KURISUMASU~
 

Als kleines Weihnachtsgeschenk meinerseits das neueste Kapitel von ageha no hane - Zimmer 304 ...
 

Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

Kirei
 

Chapter 15 - 304 goushitsu
 

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Das Klingeln des Telefons störte. Eine Tatsache, es störte in jenem Augenblick einfach.

Kyo rollte mit den Augäpfeln, angelte mit der rechten Hand dennoch nach dem Hörer auf dem Nachttisch. "Nichts da.", widersprach Toshiya auf der Stelle, zog seine Hand zurück. Er schien nicht annähernd so gewillt, sich in ihrer Beschäftigung unterbrechen zu lassen.

"Nhn...", machte Kyo, schob Toshiya trotz schmollender Lippen von sich. "Vielleicht ist es wichtig.", bestimmte er und griff erneut nach dem Telefon. "Bei Hara." Toshiya, noch eben gespielt beleidigt darüber, wie viel größer das Interesse am Telefon war, runzelte die Stirn.

Kyo hatte sich aufgerappelt, seine Finger schlossen sich krampfhafter um den Hörer. "Was?" Eine leise Frage, fast tonlos. Jegliche Farbe schien aus dem schmalen Gesicht zu weichen.

Wenige Sekunden später krachte der Hörer zurück auf die Gabel. Kyo war aufgesprungen, hatte das Zimmer überstürzt verlassen. Mit verwirrtem Gesichtsausdruck beeilte sich auch Toshiya, aus seinem Schlafzimmer zu rennen, Kyo zu folgen.

"Kyo!" Der Achtzehnjährige stand im Hausflur, schlüpfte soeben in die Schuhe, hängte sich seine Jacke über. "Was ist denn los?" Toshiya griff nach seinen Händen, um ihn für eine Sekunde auf sich aufmerksam zu machen.

Ein gesenkter Blick. "Sie... sie liegt im Krankenhaus." Die Stimme des jungen Mannes schien zu zittern, vibrierte leicht. "Was? Aber - wieso...?" "Er - er hat sie vorhin gefunden. Sie muss einfach so... dagelegen haben..." Kyos Stimme ging wieder in einem Flüstern unter.

"Ich muss sofort ins Krankenhaus." Er machte sich von Toshiyas Griff los, zog die Tür auf. "Stopp. Ich fahre dich hin - aber bitte beruhige dich." "Ich soll mich BERUHIGEN?" Kyos Augen schimmerten. "Was, wenn sie..."

"Sht. Hör auf. Ich bin sofort fertig, dann fahren wir." Ein erzwungen ruhiges Nicken. "Danke..."

Die Fahrt ins Krankenhaus schien ewig anzudauern. Die Autos fuhren zu langsam, zu viele davon auf der Straße. "Woher hatte dein Vater überhaupt meine Nummer?", fragte Toshiya beiläufig, den Blick auf die Straße gerichtet. "Vermutlich hat Mam sie irgendwo aufgeschrieben...", murmelte Kyo abwesend, knetete seine Hände unaufhörlich.

"Es wundert mich, dass er anrief." Kyo sah ernst zu ihm hinüber. "Ich hätte ihn umgebracht, wenn er mir das vorenthalten hätte." Der Wagen verlangsamte sich, bog ab, um auf dem Parkplatz des Krankenhauses zu halten. Kyo kam, dicht gefolgt von Toshiya, in der Eingangshalle an, ließ sich von der Krankenschwester auf den richtigen Flur verweisen.

Seinen Vater entdeckte er schon von weitem. Automatisch schienen sich seine Schritte zu verlangsamen. Nur widerwillig blieb er vor ihm stehen, blickte hinab auf den sitzenden Mann. "Wo ist sie?", fragte er leise.

"Ich weiß es nicht. Sie wird behandelt, vermute ich." Die Worte waren nicht unfreundlich, doch der Ton so unterkühlt, dass Kyo unwillkürlich zusammenzuckte. Sein Vater hatte ihm bisher keinen Blick gegönnt.

"Was... was ist denn nur passiert?!" "Der Notarzt sprach vom eventuellen Abstoßen des Körpers gegenüber den Medikamenten." Ein tiefes Seufzen überkam seine Lippen. Kyo wandte sich zu Toshiya um, ein hilfloser Ausdruck in seinen Augen.

"Komm.", sagte jener behutsam und drückte ihn mit sanfter Gewalt in den Plastikstuhl an der Wand, neben seinen Vater. Er hockte sich vor Kyo hin, sah ihn ernst an. "Reg dich nicht auf und warte ab. Wenn ihr Körper die Medikamente nicht vertragen hat, kann es lediglich eine kleine Abwehrreaktion gewesen sein, die ihren Kreislauf durcheinander brachte. Das will überhaupt nichts heißen."

Kyo stützte das Gesicht in den Händen ab, die Ellenbogen auf den Knien. "Meinst du..?" "Ich hoffe es." Ein liebevolles, trostspendendes Lächeln.

Die Anspannung stieg jedoch wenig später wieder, als ein weißbekittelter Mann auftauchte, Nishimura-san mit sich ins Besprechungszimmer bat. Kyo erhob sich ebenfalls, bekam jedoch die unfreundliche Aufforderung, sich wieder zu setzen.

Sein Vater blitzte ihn an. "Du bleibst hier, ich sage dir bescheid, wenn ich Genaueres weiß." Kyo sank zurück in den Stuhl, starrte ihm ungläubig nach. "Dieser-", fing er tonlos an, wurde jedoch von Toshiya unterbrochen. "Still.", flüsterte er, setzte sich zu ihm, um den Kleineren fest an sich zu drücken. "Ignorier es."

"Es macht mich wahnsinnig.", sagte Kyo bitter, starrte zu Boden. "Ich hänge mehr an ihr. Es ist mein Recht, über ihren Gesundheitszustand als Erster informiert zu werden. Nicht seins." "Ich weiß, ich weiß..." Toshiyas Worte waren beruhigend, kochten die Emotionen bestimmt herunter. "Du kannst nichts tun, nicht jetzt." Kyo schloss für eine Weile die Augen, versuchte, wenigstens einen kleinen Teil der Ruhe Toshiyas in sich aufzunehmen.

Es musste einige Zeit vergangen sein, da sein Vater plötzlich wieder vor ihm stand. "Und?" Er fuhr hoch, sah ihn bittend an. "Es geht ihr den Umständen entsprechend gut." "Was ist los?" "Nun... scheinbar hat sie die Medikamente nicht vertragen. Dein... Bekannter lag wohl richtig mit der Vermutung. Allerdings wird sie dennoch ein paar Tage zur Untersuchung hier bleiben."

Kyo schluckte, nickte dann langsam. "In welchem Zimmer liegt sie?" "Du kannst sie jetzt nicht sehen. Der Arzt sprach von einem Besucher für heute." "Aber-" "Dieser Besucher bin selbstverständlich ich. Komm morgen zu den Besuchszeiten wieder."

Fassungslos sah Kyo dem Mann hinterher, wie er in Richtung Aufzug davonging. Er hörte nicht einmal mehr die Stimmen, die um ihn herum zu flüstern schienen, ignorierte alles, alles, abgesehen von dem unglaublichen Gefühl der Machtlosigkeit, das alles in ihm zerbrechen wollte.
 

~~
 

"Nun, diesmal lief alles glatt, nehme ich an."

"Ja, Meister."

"Bis ins kleinste Detail?"

"Wie Ihr es vorhergesehen habt."

"Wie lautet dein nächster Vorschlag?"

Ein kühles Lächeln.

"Ich werde ihm... etwas zukommen lassen, das ihn an den Rand treiben wird..."
 

~~
 

Kyo seufzte, drehte den Wasserhahn zu.

Sich die Hände abtrocknend musterte er seine blassen, fahlen Züge im Spiegel. Die Angst und der Schrecken standen ihm noch deutlich ins Gesicht geschrieben.

Wäre ich nur da gewesen...

Kopfschüttelnd hängte Kyo das Handtuch weg.

Ach, was denke ich. Das ist Unsinn.

Er griff nach seiner Haarbürste - erstarrte jedoch in der Bewegung, als eine Stimme ertönte.

Eine Stimme, so klar und deutlich, als stünde ihr Besitzer direkt neben ihm.

So? Ist das wirklich Unsinn? Seien wir ehrlich: Wärst du bei ihr gewesen, hätte es so weit vielleicht nicht kommen müssen.

Kyo sah sich um. "Das... das ist nicht wahr.", flüsterte er, sich selbst bestärkend.

Ach nein? Seht ihn euch nur an, diesen törichten Egoisten. Im Stich gelassen hat er sie, ist abgehauen. Was hast du getan, während sie bewusstlos in ihrer Wohnung lag, Schmerzen hatte? DU hast nur an dein Vergnügen gedacht, nicht wahr? Mit deinem Freund rummachen ist natürlich wichtiger als die eigene Mutter! Verräterisch, sie hätte dich gebraucht. WO warst du, als sie dich am Dringendsten brauchte? Du hast sie alleine zurückgelassen!

Kyo hob reflexartig die Hände an die Ohren, hoffte förmlich, die Stimmen abtöten zu können. Doch sie waren in seinem Kopf, es wurden immer mehr. Alle durcheinander begannen sie, ihn mit Vorwürfen zu bombardieren, zu verletzen - dabei setzten sie an seinem empfindlichsten Punkt an: Der Sorge um seine Mutter.

Die Anmaßungen, sie stiegen nahezu zu Beschimpfungen an, so eindringlich und erbarmungslos, dass Kyos Schläfen zu pochen begannen. Ruhe - alles was er wollte, war Ruhe, die Kontrolle über das Chaos in seinem Kopf. Sein Herz ging zu schnell, sein Puls musste rasen, er spürte das Blut in seinen Schläfen hämmern.

Aufhören... bitte.. aufhören... lasst mich in Ruhe.. AUFHÖREN!!!

Ein lautes Klirren, danach Dunkelheit.
 

~~
 

"... passiert? Kyo... Hey..."

Eine warme Hand an seiner Wange. Sie streichelte seine Haut, tätschelte beruhigend. Nur mit Mühe konnte er sich überwinden, die Augen zu öffnen, seine Umgebung somit wahrzunehmen.

Kyo fand sich selbst auf dem Fußboden wieder, die kalten Fliesen unter sich. Toshiya, über ihn gebeugt und mit besorgtem Gesichtsausdruck, lächelte nun erleichtert. "Himmel, du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt...", murmelte er und strich ihm das Blondhaar aus der Stirn.

Der Jüngere stützte sich auf die Ellenbogen, sah sich um. Erst durch den Anblick der Glassplitter, der unzähligen Spiegelscherben, die im ganzen Raum verteilt lagen, kehrte die Erinnerung wieder.

Ruckartig setzte Kyo sich ganz auf, hielt sich den Kopf. "Was ist passiert?", fragte Toshiya sanft, unterbrach seine Handbewegungen dabei nicht. Kyo runzelte die Stirn. Alles drehte sich noch immer um ihn herum. "Die Stimmen...", murmelte er erstickt.

Ein ungläubige Miene. "Haben sie dich etwa wieder ausgelacht?" "Iie, sie... sie... haben mich beschimpft. Sie sagten, ich hätte sie im Stich gelassen." Zwei braune Lichter flammten auf, suchten Toshiyas Blick. "Denkst du das auch? Habe ich meine Mutter wirklich verraten? War ich zu - zu egoistisch?"

Toshiya spürte den aufgewühlten Strom in dem Jüngeren ganz deutlich, nutzte seine stärkste Waffe, um die Aufgebrachtheit zu bekämpfen. Er lächelte liebevoll, schloss die Arme um den anderen. "Natürlich nicht.", flüsterte er bedacht. "Du hast immer alles getan, um ihr zu helfen. Niemand konnte erahnen, dass ihr die Pharmazeutika nicht bekommen würden. Was auch immer die Stimmen dazu bewegt hat, wieder gegen dich zu sprechen, denke immer daran: Sobald sie sich anders verhalten, ist etwas nicht in Ordnung mit ihnen. Die Stimmen sind da, um dich zu leiten, deine Kräfte in gewisser Weise herauszufordern. Nicht aber, um dich zu verletzen oder in den Wahnsinn zu treiben."

Der Ältere spürte die Anspannung deutlich sinken. "Geht's wieder?" Kyo nickte langsam. Sein Blick wanderte über den Scherbenhaufen am Boden, weiter zum großen Spiegel über dem Waschbecken, der völlig zerstört war.

"Hab ich den so zertrümmert?"

Ein nachsichtiges Lächeln. "Weniger du als das, was in dir schlummert." Kyo seufzte lautlos, lehnte sein Gesicht wieder gegen Toshiyas Schulter. "Ich wüsste langsam echt nicht mehr, was zu tun, wenn ich dich nicht hätte..."
 

~~
 

"Es dreht sich weiter und weiter. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr."

Die nickte langsam, biss sich auf die Lippe. "Ich weiß, verdammt. Aber was zum Henker soll ich deiner Auffassung nach tun? Ich kann ihn nicht von Toshiya wegprügeln!" Shinya griff nach seiner geballten Faust, lockerte die Finger.

"Bleib ruhig. Niemand wirft dir das vor, nicht wahr? Es ist mir durchaus bewusst, wie... schwer es ist, von Toshiya wegzukommen. Verfällt man ihm erst einmal, hört man auf niemanden mehr. Nicht auf Freunde, nicht auf Ratschläge."

Der Jüngere musterte das schmale, feinzügige Gesicht lange Zeit. "Was können wir denn dann überhaupt noch tun?", fragte er deprimiert. "Wir dürfen es nicht aufgeben. Warte auf eine Gelegenheit, seine Meinung zu kippen. Toshiya mag ein sehr guter Schauspieler sein - doch selbst die perfektesten machen eines Tages Fehler. An diesem Punkt musst du da sein und ihm helfen."

Die zog seine Hände weg vom Tisch, fuhr sich durch die Haare. "Ich kriege die Krise. Warum diese verdammte Tour hintenrum? Warum gehst du nicht zu Kyo und sagst ihm die Wahrheit? Warum NICHT?" Shinya senkte den Blick. Die hatte die Stimme nur minimal erhoben; und doch trafen seine Worte ihn wie Faustschläge.

"Versteh doch. Ich kann nicht.", quetschte er zwischen den Zähnen hervor. "Nichts ist so, wie es scheint. Alles, was ich weiß, ist, dass Toshiya ihn in den Abgrund stoßen wird. Und das müssen wir verhindern. Wie auch immer."

Ein erneuter, noch viel intensiverer Blick. "Woher kennst du Toshiya so genau?" Shinya hielt dem Blick nicht stand, betrachtete sein halbgefülltes Wasserglas. "Die Vergangenheit birgt viele Geheimnisse. Glaub mir, Toshiya hat mir schon mehr als einmal alles ruiniert." Endlich sah der hellblonde Mann wieder auf. "Noch einmal lasse ich das nicht zu. Und wenn ich ihn dafür endgültig vernichten muss..."
 

~~
 

"Die Tage sind gezählt."

"Was sprechen sie, Meister?"

"Ich gebe uns keinen Monat mehr." Ein zufriedenes, geheimnisvolles Lächeln. "In einem Monat wird alles, was ich der Familie des Schwalbenschwanzes je schwor, eingetroffen sein."

Ein Blinzeln, fast verwirrt.

"Meister...? Wovon redet Ihr?"

Die dunkle Gestalt erhob sich, trat an ein abgedunkeltes Fenster. Nur wenig Licht fiel herein, beleuchtete die Silhouette des Mannes, ummantelte die geisterhaft hellen Züge sanft.

"Du hast noch immer nicht verstanden. In diesem Spiel dreht sich nicht alles um die Macht, die es zu erlangen gilt. Es stehen genügend alte Rechnungen offen, die ich begleichen werde." Mit einem verträumten Blick, der die Miene beängstigend wirken ließ, fuhren grazile Finger das Glas entlang. "Er ist der Letzte dieser uralten Familie. Mit ihm wird das Erbe des Schwalbenschwanzes endgültig zerstört..."

"Zerstört?"

Die Gestalt drehte sich wieder um zu ihrem Gesprächspartner, lächelte erneut ihr grausames Lächeln.

"Traue deinen Ohren ruhig. Mit seinem Tod wird mein Friede einkehren." Er lachte leicht.

"Eigentlich sollte ich dem Kleinen dankbar sein für seine Naivität, nicht wahr? Er schaufelt sich sein eigenes Grab mehr und mehr..."
 

~~
 

tbc ...

Broken Glass

Ja, ich lebe noch!

Und ageha no hane wird nicht abgebrochen, das habe ich euch doch versprochen.

Ich weiß, dass die Wartezeiten zum Teil wirklich nervig sind, aber mit meiner Facharbeit, die ich im März schreiben musste und meiner Theateraufführung, für die ich seit Wochen alle zwei, drei Tage bis spät abends in der Schule war, bin ich einfach darüber hingekommen, weiter hochzuladen.

Nächste Woche habe ich endlich Ferien - ich hoffe, dass der Upload zu dieser Zeit wieder regelmäßiger stattfinden wird.

Und nun haue ich euch auch gleich ein sehr emotionsgeladenes, handlungsreiches Kapitel um die Ohren. Viel Spaß beim Lesen von Broken Glass...
 

Kirei
 

Chapter 16 – Broken Glass
 

~~
 

Kyo schloss die weiße Tür hinter sich, lächelte die Person, die vor dem Raum gewartet hatte, entwarnend an.

„Es geht ihr gut.“ Die erwiderte sein Lächeln erleichtert. „Himmel... Gott sei Dank.“ Kyo hakte sich bei dem Größeren ein und zog ihn mit sich fort, weg vom Krankenhaus, von der bedrückenden Stimmung, die ihn in jener Umgebung grundsätzlich befiel.

„Wollen wir noch irgendwo hingehen?“, fragte er Die, nahezu locker in seiner Art. Dieser sah ihn erstaunt an. „Man, dir muss echt ein Brocken vom Herzen gekracht sein. Oder nimmst du Drogen?“, witzelte er liebevoll und nickte dann. „Lass uns...“ Ein Gedanke, fast wie ein Geistesblitz.

„Gehen wir in den Park?“ Kyo runzelte die Stirn, sah auf in Big Reds Gesicht. „In den Park?“, wiederholte er zögerlich. „Hai, ich... es gibt einiges zu bereden, nicht?“ Da war etwas in den sonst so sorglosen Zügen, das Kyo beunruhigte. Dennoch stimmte er zu. „Daijobu.“

Ich bin schon gespannt, was du mir zu sagen hast...

Sie liefen bereits eine ganze Weile schweigend nebeneinander her, die leeren Parkwege entlang. Kein einziger Mensch befand sich in ihrer Nähe, zu kalt und ungemütlich musste das Wetter auf den Großteil der Bevölkerung wirken.

„Saa... Was gibt’s, Die?“

Die Frage, vor der er sich in den vergangenen Minuten endlos gefürchtet hatte. Die steuerte auf die nächste Parkbank zu, ließ sich darauf nieder. „Setzen wir uns?“ Ein Achselzucken. „Okay.“ Kyo stieg auf die Sitzbank, schwang sich auf die Rückenlehne. Wie immer. So oft schon waren sie gemeinsam in diesem Park gewesen, hatten auf einer der Bänke gesessen – doch nie zuvor war es einer derartigen Anspannung gelungen, ihre Stimmung drückend und verschwiegen zu machen.

„Ich muss dir einiges sagen. Dabei... vielleicht ist gestehen das bessere Wort.“

Oh nein. Was tust du, Die?

Die machte den Mund auf, schloss ihn jedoch wieder, als ein Schmetterling in seiner Sicht auftauchte, um sie herumflatterte. Ein Schwalbenschwanz.

„Prima.“, machte er, Kyo wurde das Gefühl nicht los, sein Freund spräche damit nicht ihn, sondern das geflügelte Tier an. „Um dich geht es im Grunde genommen sogar.“

W...was?!

„Die?“ Kyo runzelte die Stirn, suchte den Blick des Älteren. „Ich weiß es, Kyo.“ Ein eiskaltes Gefühl in der Magengegend. „Was weißt du?“ Behutsam gestellt – dennoch eine lächerliche Frage. Die verdrehte die Augen. „Du weißt, wovon ich spreche. Der Schwalbenschwanz. Die Legende. Deine ganze Welt.“

Der sprichwörtliche Eimer Wasser schien über Kyos Haupt vergossen zu werden. Die Kälte kroch erbarmungslos weiter, breitete sich gnadenlos in seinem Körper aus. „Woher...?“ „Ist das nicht egal? Anfangs dachte ich wirklich: ‚Verdammt, die spinnen doch alle. Egal, was hier läuft, das ist ’n verdammt bescheuertes Märchen. Doch dann sah ich immer mehr Zusammenhänge. Das Flattervieh, das ewig in deiner Nähe ist. Dein Talent, alles zu wissen, egal, wie viel man dir aus freien Stücken erzählte. Später Dinge wie die Uhren, die rückwärts liefen, der Lehrer, der dich abfragte, was du wolltest. Und Toshiya. Deine Abhängigkeit von Toshiya. Doch da liegt der Fehler.“

Kyo hatte ihm schweigend zugehört, nicht in der Lage, die Lippen auch nur zu bewegen. Nun tat er es dennoch. „Was meinst du nun?“ Die lächelte bitter. „Toshiya, dein Wächter. So. Glaubst du das eigentlich immer noch?“ Ein verblüffter Blick. „Ich weiß ehrlich nicht mehr, wovon du redest, Die-“

„Kyo, mach die Augen auf. Toshiya ist weder dein Wächter noch dein Freund. Er ist es, der dich ins Aus befördert, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet.“

Der blonde Junge starrte seinen besten Freund einen Moment teils fassungslos, teils verletzt an. Schließlich erhob er sich schweigend von der Bank, die offensichtliche Intention, Die alleine sitzen zu lassen.

„Kyo! Bleib gefälligst hier!“, verlangte der Rothaarige fast wütend. Der Kleinere fuhr zu ihm herum, musterte ihn schweigend, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben. „Das muss ich mir echt nicht anhören, Die.“, murmelte er. In seiner Stimme schwang etwas mit, das Die nicht erwartet hatte. Trauer.

Er griff nach Kyos Arm, um ihn zurückzuhalten. „Doch, verdammt, du wirst mir zuhören. Kapierst du nicht, dass ich dich bloß-“ „OH DOCH, ich habe es kapiert. Soeben ist es mir endlich klar geworden!“, rief Kyo plötzlich heftig, entriss Die seinen Arm.

„Du machst IHN schlecht, nutzt mein Vertrauen zu dir, weil du eifersüchtig bist?! Was BILDEST du dir verdammt noch mal ein?“ Dies Blick wurde ungläubig. „Was?“, fragte er tonlos. „Ich habe dich sehr gut verstanden. Kannst du mir nicht auf andere Weise klar machen, was in dir vorgeht?!“

„Kyo, ich will ihn nicht schlecht machen, weil ich-“ „Ach? Dann sag es mir. Sag mir, dass ich dir nicht die Bohne mehr bedeute als ein guter Freund!“ Die Miene der Älteren schien zu versteinern. „Aber... das kann ich nicht.“, brachte er schließlich hervor, seine Stimme nicht mehr als ein Wispern, ein Windhauch.

Kyo machte unwillkürlich einen Schritt rückwärts. „Ich fasse es nicht...“, murmelte er, den Blick auf die Füße gerichtet. „Wie kannst du meine Beziehung kaputtmachen wollen? Warum, Die?“

„Nun hör mir doch endlich richtig zu! Das – das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, verstehst du? Toshiya ist eine Bedrohung, er IST nicht dein Wächter. Wäre er das, hätte er sich dir nie so offen zeigen dürfen. Es ist einem Wächter nicht gestattet, eine gewisse Schwelle an Nähe zu übertreten, ich habe mich informiert-“

„Toshiya kann diese Schwelle einfach nicht einhalten, das ist alles!“, konterte Kyo augenblicklich. „Ich weiß das alles. Er hat mir gesagt, in welch verdammten Ärger er sich bringt. Und es ist ihm egal. Meinetwegen.“

Die hielt sich die Stirn. „Wach auf! Ich dachte immer, du hättest so etwas wie Verstand, Kyo. Toshiya opfert seinen Posten für dich? Das kannst du nicht wirklich glauben. Der Mann ist von der Gegenseite – und er wird dich umbringen, wenn du nicht endlich von deiner Wolke runterkommst und der Realität ins Auge siehst!“

„Ich lasse mir mein Glück von dir nicht zerstören, hast du mich verstanden?!“ Die schüttelte heftig den Kopf. „Es darf nicht wahr sein, sitzt du auf deinen Ohren oder willst du die Augen so fest vor der Wahrheit verschließen? Toshiya ist böse, er-“

Ein lautes Knallen, gefolgt von einem Rumpeln.

Die sah sich entsetzt um, es dauerte, ehe er verstand, dass der Boden, auf dem sie standen, erzitterte. Ein Erdbeben?

„Kyo, hör auf damit!“ Kyos Augen schossen auf zu ihm. „Ich – ich mache das nicht.“, stotterte er, lauschte den Stimmen, die ihn gnadenlos mit Wortfetzen überschütteten, ihm etwas sagen wollten. Doch sie riefen zu laut durcheinander, um auch nur ein Wort zu verstehen.

Risse durchzogen die Erde, der Kiesweg teilte sich. Nur noch mühsam hielt Die sein Gleichgewicht. Das bedrohliche Grollen der Erde versetzte ihn in Panik, doch er kämpfte um einen klaren Kopf.

„Pass auf!!“ Ein lauter Ruf, ein heftiger Stoß. Kyo landete hart auf dem Rücken, einen Augenblick lang blieb ihm die Luft weg. Der dumpfe Aufprall direkt neben ihm drang keine Sekunde später an seine Ohren – erst jetzt wurde ihm bewusst, was geschehen war. Eine Erdspalte hätte ihn verschlungen, in die Ewigkeit verbannt – wäre nicht Die gewesen, der ihn beiseite geschubst hatte.

Stille.

Das Beben, das Zittern des Erdbodens war verstummt.

Kyo drehte sich schwer atmend auf die Seite. „Die?!“ Der Redhead setzte sich mit einem betretenen Blick auf, musterte ihn. „Alles noch dran?“ Kyo nickte, kämpfte mit seinem Herzschlag.

„Wow... kannst du auch noch anders diskutieren oder muss ich in Zukunft immer Angst haben, in einer Naturkatastrophe zu landen?“ „DIE. Das ist nicht witzig, klar?“ „Gomen...“ Kyo rappelte sich auf, streckte dem Größeren die Hand entgegen. „Danke.“ „Hm?“ „Ohne dich wäre ich jetzt wohl ein wenig... tot.“, stellte Kyo mit düsterem Blick auf die Erdspalte neben ihnen fest.

Die zog seine Hand weg. „So, wie du denkst, bist du das bald eh.“, murmelte er, drehte nun seinerseits um und setzte sich in Bewegung. Kyo starrte ihm ungläubig nach. „DAISUKE!“, brüllte er, ballte seine Hände zu Fäusten. „Nimm das zurück!“

Die wandte sich um, lief rückwärts weiter. „Was denn, du hast doch Toshiya. Vergiss mich einfach, wo ich doch eh nur lüge!“ Damit drehte er Kyo endgültig den Rücken zu, wandelte sein Schritttempo und rannte davon, verletzt und wütend über Kyos Misstrauen und Sturheit.

Jener spürte seine Knie nachgeben. Er landete schmerzhaft auf ihnen, nahm es jedoch nicht einmal wahr. Zu groß war der Schmerz in seinem Herzen, der immer mehr an dem lebenswichtigen Organ zerrte, es in zwei Teile reißen wollte.

Geschafft. Jetzt hast du deinen besten Freund verloren. War es das wert...?

Heiße Tränen brannten in seinen Augen, wurden ignoriert.

Wie kann das angehen? Wieso hören sie nicht auf, sich gegenseitig zu misstrauen, schlecht zu machen? Ich ertrage das nicht, aber sie sehen immer nur, dass ich zum anderen halte. Verdammt, was erwartet ihr eigentlich von mir? Ich kann weder Die noch Toshiya einfach als Lügner, als Spinner abstempeln. Ich vertraue euch doch beiden... Warum willst du mir Toshiya wegnehmen, Die? Wieso?! Du bist weiterhin einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Reicht das immer noch nicht aus...?
 

~~
 

„Wie siehst du denn aus?“

Toshiya musterte die Gestalt im Türrahmen verblüfft. Er lag bäuchlings auf seinem Bett, blätterte in einem Buch. Doch nun, da Kyo eingetreten war, ließ sich die Aufmerksamkeit kaum mehr von ihm lenken.

Zu zerzaust sah der Kleinere aus, die Kleidung dreckig und staubig – nicht zu versteckende Tränenspuren im Gesicht, wirre Haarsträhnen, die ihm vor den Augen hingen.

„Kleines Erdbeben im Park.“, murmelte Kyo bedrückt, ließ seine Tasche auf den Boden fallen. „Erdbeben? Im Park?“ Mit misstrauischem Blick erhob der große Dunkelhaarige sich, betrachtete Kyo erneut.

„Was hast du angestellt?“ „Sagte ich doch gerade. Ein kleines Erdbeben im Park.“, wiederholte Kyo leicht angefasst, versuchte mittels seiner Finger, das zerzauste Haar zu glätten. „Ein kleiner Ausraster, nehme ich an?“, fragte Toshiya, reichte ihm eine Haarbürste. „Oder so...“

„Was war los?“ „Streit.“ „Kannst du noch mehr als zwei Worte aneinanderketten? Eine flüssige Antwort bitte.“ Kyo seufzte frustriert. „Ich habe mich mit Die angelegt. Er hörte – genau wie du sonst übrigens auch – nicht auf, auf dir rumzuhacken. Wir haben uns regelrecht angeschrieen, irgendwann übertrieb er es so, dass mir... mir sind ein paar Sicherungen durchgebrannt.“

Toshiya seufzte leise, sah ihn dann jedoch wieder ernst an. „So geht das nicht.“, erklärte er und verließ den Raum. Kyo starrte ihm nach. „Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“, fragte er, folgte Toshiya währenddessen.

„Nein, sicher nicht. Du musst endlich lernen, dich unter Kontrolle zu halten. Ein kaputter Spiegel, okay – aber du bringst zu viele Menschen in Gefahr, geht das in deinen Kopf?“

Mit allem hatte Kyo gerechnet, mit wirklich allem – doch auf weitere Vorwürfe war er nicht gefasst gewesen.

„Kannst du mal aufhören? Ich habe gerade die wichtigste Freundschaft meines Lebens gekündigt bekommen – deinetwegen, wohl gemerkt – und du hast nicht Besseres zu tun, als mich auf meine Fehler hinzuweisen?“ Er spürte, wie seine Kehle sich erneut zuschnürte. Drehten denn heute alle völlig durch?!

„Die wichtigste? Du wolltest sagen, deine einzige, nehme ich an.“, erkannte Toshiya reserviert, steckte sich gelassen eine Zigarette an. Kyos Augen wurden größer. „Sag mal, hast du sie noch alle? Wie redest du mit mir?“

„Gutes Stichwort. Reden. Das sollten wir wirklich tun. Setz dich bitte.“ Es widerstrebte ihm – dennoch setzte Kyo sich augenblicklich Toshiya gegenüber in den weißen Sessel. „Worüber willst du reden?“, fragte er unsicher. „Irgendwie hatte ich mit Gesprächen heut nicht sonderlich viel Glück...“

„Ich denke, du solltest langsam wieder nach Hause gehen.“

Wenige Worte – doch sie wirkten wie tausend Ohrfeigen.

„Was?!“ Kyo spürte sein Herz weiter zerbrechen, mehr und mehr feine Splitter durchzogen die gläserne Oberfläche. „Ja. Es ist nicht gut so.“ „Aber Toshiya-“, begann Kyo bittend, wurde sofort unterbrochen. „Ich möchte nicht zu weit ausschweifen, dein Tag scheint beschissen genug zu sein, aber... Es reicht mir.“

Verwirrtes Stirnrunzeln. „Was reicht dir, was?“ Toshiya rollte die Augäpfel. „Willst du dir unnötig weh tun? Nimm es doch einfach hin, Kyo.“ „Das kann ich nicht. Sag mir, was los ist!“

Toshiya lächelte leicht. „Ist das nicht offensichtlich? Du wirst mir langsam aber sicher zu kompliziert, Kleines. Ewig nur Ärger, Streit und Tränen – hast du auch noch etwas anderes auf Lager? Nein. Anfangs war es wirklich nett, mal eine derartig komplexe Persönlichkeit zu haben, eine willkommene Abwechslung im Vergleich zu den ganzen oberflächlichen Flittchen, die ich in letzter Zeit mein Eigen nannte; und ich möchte nicht bestreiten, dass ich wirklich meinen Spaß mit dir hatte – doch nun... du beanspruchst zu viel Zeit, brauchst zu viel Hilfe. Kurz gesagt: Du wirst mir langsam zu lästig.“

„Das meinst du alles nicht ernst. Du denkst nicht so, habe ich Recht? Du – der Rat macht dir Ärger, nicht wahr? Bitte, ich nehme Abstand von dir, um dir den Mist zu ersparen, aber sag... sag, dass das nicht dein Ernst ist. Bitte!“ Kyos Stimme zitterte, er wirkte so flehend, dass allein sein Anblick einen zu Tränen des Mitleids rühren konnte.

Toshiya hingegen schien unbeeindruckt. „Ach Kyo.“, machte er gespielt nachsichtig. „Verstehst du es nicht? Dem Rat ist es scheißegal, was ich tue. Ich kann Spiele spielen, so viel ich will – ich bin viel zu wertvoll, als dass sie mich dafür in meine Schranken verwiesen. Iie. Sieh nur, wohin ich dich gebracht habe. Du warst einmal ein sehr verschlossener Mensch. Verschlossen, aber unglaublich stark. Ein paar Monate habe ich dich jetzt meinen Spielen ausgesetzt, habe dich verletzt, wie es mir beliebte, dich getröstet, wenn mir danach war. Und nun sieh dich an. Du bist so hilflos und vertrauensselig geworden, ein zahmes Schoßhündchen, das mich beschützen würde, wann immer ich es wollte. Und wenn ich es möchte, wirst du auch für mich zerbrechen. Du bist nichts mehr als ein Stück Glas, sehr dünnes Glas, das ich mühelos entzweibrechen könnte. Willst du dir das wirklich weiter antun?“

Erneut lächelte der Ältere unterkühlt, wischte eine stumme Träne aus Kyos Gesicht. „Da hast du es.“, flüsterte er, hockte sich vor ihm hin. „Früher hättest du wenigstens noch die Kraft gehabt, mir jetzt eine zu Ohrfeige zu geben. Inzwischen habe ich dich aber weit genug, dass du für mich tanzt, wie es mir gefällt, meine kleine Marionette. Ich könnte mit dir machen, was immer mir in den Sinn kommt – du hättest weder die Kraft noch den Wunsch, dich dagegen zu wehren. Aber weißt du was? Das will ich überhaupt nicht. Ich habe deinen Willen gebrochen, was soll ich denn jetzt noch mit dir? Das ist doch langweilig.“

Toshiya erhob sich wieder, sah hinab auf das kleine Häufchen Elend vor sich. „Nun mach es mir nicht so schwer, dich heraus zu werfen. Ich möchte dir ungern noch mehr Kummer bereiten.“ Kyo blickte auf zu ihm, holte tief Luft.

„Das ist nicht mehr nötig.“, flüsterte er, hörte sich dabei beängstigend tonlos an. Er stand auf, holte seine Umhängetasche aus dem Schlafzimmer. Erst an der Tür drehte er sich noch einmal zu ihm um, die Augen so flehend auf Toshiya gerichtet, als wartete er auf die Widerrufung der Worte.

„Den Rest kannst du später holen.“ Ein weiterer Peitschenhieb, der sein Herz endgültig zertrümmerte. Das filigrane Glas zerbarst, unendlich viele Splitter verteilten sich in ihm – unmöglich, den Bruch erneut zu reparieren.

Ohne ein weiteres Wort, mit stillen Tränen und tiefer Verzweiflung, verließ Kyo die Wohnung, nicht in der Lage, Toshiya auch nur ein einziges weiteres Mal anzusehen.

Kaum, dass die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, verwandelte sich auch die Miene des Älteren. Er sank zurück in die Sofapolster, legte das Gesicht in die Hände.

Ich hoffe, du machst das Beste aus dieser Situation. Rette dich selbst, Kyo. Ich kann es nicht mehr.
 

~~
 

Er stand an der Straße, vor dem Hochhaus, das er nun für immer verlassen würde?

Mit einem leisen Seufzen hielt Kyo sich den Kopf, versuchte, das sich drehende Karussell zu stoppen.

Mawari mawari mawari tsuzukeru meriigorando ni wa... [1]

Wohin sollte er jetzt gehen? Es war Abend, die Nacht stand vor der Tür. In einer Sommernacht wäre ihm diese Tatsache nicht so katastrophal vorgekommen, doch nun, mitten im späten November...

Nach Hause kannst du nicht. Da erwarten dich Hass und Kälte. Zumindest noch, solange sie im Krankenhaus liegt. Dahin kannst du dich noch viel weniger wenden. Mama hat genug Probleme. Und Die...

Erneut schien der Kloß in seiner Kehle jegliche Atemmöglichkeit zu nehmen, ihn ersticken zu wollen.

Nein. Zu Die kannst du am Allerwenigsten. Nicht nach diesem Nachmittag.

Kyo sah ein letztes Mal hinauf, visierte mit den Augen das erleuchtete Fenster im dritten Stock.

Ich habe für dich mit dem Feuer gespielt, Toshiya. Und jetzt? Jetzt bleiben nur die Brandnarben...

Er steckte die eiskalten Hände in die Hosentaschen, wollte sie wärmen – da stießen seine Fingerspitzen gegen einen harten Pappgegenstand. Mit verwirrtem Blick, die rechteckige Pappe nicht zuordnend, zog er das schmale Stück hervor, betrachtete es.

Eine Visitenkarte, verbunden mit einer Einladung, die ihm nun zurück ins Gedächtnis kehrte...
 

~~
 

Ein sanftes Lächeln.

„Schön, dich zu sehen.“

Kyo nickte brav, genau so, wie es erwartet wurde, und trat ein.

„Was führt dich zu mir?“

Noch während er sich in dem kleinen, gemütlich eingerichteten Wohnzimmer umsah, in welchem er sich nun befand, entgegnete Kyo leicht zögerlich: „Na ja... Ich weiß nicht recht, wie ich sagen soll.“

Shinya legte den Kopf schief, deutete auf den Sofaplatz neben sich. „Setz dich. Möchtest du vielleicht etwas trinken?“ „Ano... Okay.“ Gastfreundschaftlich, wie es seinem Naturell entsprach, machte Shinya sich sofort auf in die Küche, um einen Tee zu bereiten. Kyo nutzte die Zeit, um das Zimmer weiter zu betrachten.

Im Gegensatz zu Toshiyas riesigem, nahezu luxuriös eingerichtetem Wohnzimmer mit modernen Möbeln, die nichts über sein Innerstes aussagen konnten, besaß Shinyas Wohnstube eine ganze Reihe an persönlichen Gegenständen, die zwar auch nicht allzu aussagekräftig waren, dem Raum aber immerhin eine warme, heimische Atmosphäre schenkten.

„Gefällt es dir?“ Kyo zuckte innerlich zusammen. „Etto...“, fing er an, bemerkte Shinyas amüsierten Blick. „Auffällig wenige Bilder, Ziergegenstände und so...“ „Alles Staubfänger.“, stellte Shinya trocken fest, setzte ein Teekännchen und zwei Tassen vor Kyo ab.

„Nun.“, machte er nach einer Weile des schweigenden Teetrinkens. „Möchtest du mir jetzt sagen, was dich herführt?“

Kyo nickte langsam, suchte einen Anfang. „Es ist ein wenig... schwer. Du und Toshiya – ihr scheint euch ohnehin nicht gerade zu mögen, ne. Jedenfalls... anou, ich habe die letzte Zeit bei ihm gelebt, aber – aber jetzt...“

Shinyas Blick wurde – für Kyo zum ersten Mal – ungläubig. „Er hat dich rausgeschmissen?“ Die Frage schmerzte, doch Kyo nickte gezwungenermaßen. „So kann man es nennen, ja.“, murmelte er.

„Was für ein Tag.“, stellte Shinya leicht mitleidig fest. Zustimmung. „Ja, ich- Moment.“ Kyo musterte ihn scharf. „Wie kommst du darauf, ich könnte einen schlechten Tag gehabt haben?“ Shinya lächelte sanft. „Ich habe vorhin mit Daisuke gesprochen. Er sagte, ihr hättet euch sehr gestritten.“

Das Misstrauen, für einen Moment unerbittlich hochgekocht, sank angesichts der simplen Erklärung. „Was habt ihr miteinander zu tun, Shinya?“ „Ich und Daisuke?“ „Hai.“ „Wir sind uns nach dem Kennen lernen damals im Café hin und wieder über den Weg gelaufen. Scheinbar liegen uns dieselben Dinge am Herzen, zumindest treffen wir uns gelegentlich, um ein wenig zu plaudern.“

Siehst du, Toshiya? Lauter simple Erklärungen für dein Misstrauen und deine Eifersucht.. Verdammt, ich sollte aufhören, an ihn zu denken.

„Das ist ein sehr harter Tag gewesen, Kyo. Ich bewundere deine Fassung.“ Kyo lächelte bitter auf die Tasse in seinen Händen hinab. „Ja, wundervoll. Wenn du wüsstest, wie oft man mich in den letzten Wochen zum Heulen gebracht hat...“ „Dann spiegelt sich darin einmal mehr wieder, dass zu viel von dir erwartet wird.“, entgegnete Shinya ruhig. „Du bist eine starke Persönlichkeit. Doch leider gehen die meisten Menschen immer davon aus, dass man den Starken alles zumuten kann. Wenn diese dann zusammenbrechen, wundern sie sich.“

Kyo sah ihn beeindruckt an. „Deine Ruhe möchte ich haben...“, meinte er leise. Das Bild ließ sich nicht verbannen, so dringend er es auch versuchte. Toshiyas Lächeln schien in sein inneres Auge eingebrannt.

„Die wirst du wohl nie haben. Zu impulsiv.“, grinste Shinya und trank einen Schluck Tee. „Aber um beim Ernst der Sache zu bleiben... Toshiya gehört zu diesen Leuten, die glauben, ihr Aussehen genügte, um sich alles erlauben zu können. Es ist unmöglich, es jetzt von dir zu erwarten, doch lass dir dein Herz nicht dauerhaft von ihm brechen.“

Das kann er nicht mehr. Es ist längst tot.

Kyo spürte erneut den Drang, seinen Tränen nachzugeben, unterdrückte ihn jedoch tapfer. „Toshiya ist der Ansicht, du seiest gefährlich.“ Shinya blinzelte. „Und dennoch kommst du zu mir?“

„Ich möchte endlich Klarheit in meinem Leben haben. Ich weiß nicht mehr, wem ich trauen soll, wem wiederum nicht, wer mich anlügt, wer die Wahrheit spricht.“

Shinya lächelte erneut. „Du bist nicht nur stark, du bist auch mutig, wie ich sehe... Dass Toshiya mich als gefährlich ansieht, glaube ich gerne. Allerdings nicht für dich.“ Kyo runzelte die Stirn. „Sondern?“

„Ich weiß, wie Toshiya funktioniert. Das ist wohl der Grund, weshalb ich mich von dir fernhalten sollte. Er wollte nicht, dass du mehr erfährst, als er dir von sich aus sagte. Du... ich werde dir eine Sache gestehen müssen. Du bist hier in einem Strudel aus Leuten, die dir nicht alles von sich sagen. Toshiya verschweigt dir vieles, auch über mich weißt du nicht alles – selbst Daisuke hat Geheimnisse vor dir. Doch niemand wird dir jetzt etwas tun.“

Kyo lachte hohl. „Jetzt. Prima, wann dann – in vierzehn Tagen vielleicht?“ Shinya seufzte. „So meine ich das nicht. Ich schätze... das wirkliche Böse sitzt an ganz anderen Stellen. Ich misstraue Toshiya ebenso wie er mir. Dennoch denke ich, dass du uns allen am Herzen liegst. Toshiya genauso wie mir und Daisuke.“

Kyo stellte seine Tasse weg, die Lust auf Tee war ihm vergangen. „Ich weiß ehrlich nicht mehr, was ich von alldem halten soll.“, erkannte er verbittert. „Toshiya ist mein Wächter. Sagt er. Ist er nicht. Sagt Die. Ihr habt alle nichts gegen mich. Behauptest du.“

Shinya streckte seine Hand nach Kyos Gesicht aus, hob es vorsichtig an. „Ich kann das ehrlich nachvollziehen. Leider ist es nicht an mir, alles aufzulösen. Ich täte es mehr als gerne, glaube mir. Alles, was ich dir sagen kann, ist folgendes: Vertraue auf dein Herz. Egal, wie weh es momentan tun mag. Ganz gleich, wie oft es dich bereits in die Irre führte. Du musst nicht nur lernen, die Kraft in dir zu beherrschen. Du musst vor allen Dingen dich selbst erlernen. Und das ist schwer.“

Shinya erhob sich, stellte das benutzte Geschirr zusammen. „Ich nehme an, du möchtest heute Nacht hier bleiben?“ Kyo stimmte leise zu. „Ich mache dir das Bett im Gästezimmer fertig. Warte eine Weile.“

Nachdem Shinya das Zimmer verlassen hatte, seufzte Kyo zierlich. Noch mehr verwirrende Gedankenansätze, alles passte so wenig zusammen, dass es paradox sein musste. Es konnte nicht stimmen.

Vermutlich sagt keiner von ihnen die völlige Wahrheit. Deswegen setzt sich das Puzzle nicht zusammen. Allerdings... ich kann Shinya nicht misstrauen. Seine Augen sind ehrlich. Er kann mich ansehen, ohne nur einmal zu blinzeln, während er spricht. Lügner können das nicht so ohne weiteres. Was er sagt, hat Hand und Fuß. Nur – das hatten Toshiyas Worte auch immer...

„Wo sind überhaupt deine Sachen?“

Kyo schreckte aus seinen Gedanken auf. „Das meiste liegt noch bei Toshiya.“ „Verstehe... Möchtest du vielleicht, dass ich die Sachen hole? Falls du ihn zur Zeit nicht sehen möchtest.“ Kyo sah ihn überrascht an. „Du willst zu Toshiya gehen?“

Shinya nickte abwesend. „Das ist sowieso nötig...“
 

~~
 

tbc
 

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[1] ungefähre Übersetzung: "Das Karussell, das sich dreht und dreht und dreht..." - entnommen aus dem Songtext zu "Red...[em]".

mushi

ARGH!!!

Irgendein Bearbeitungsfehler hat dafür gesorgt, dass ihr tatsächlich nur den letzten kleinen Rest des Kapitels zum Lesen bekommen habt, das tut mir endlos leid - ich will schwer hoffen, dass es dieses Mal klappt. ;_;
 

Also nochmals viel Spaß beim Lesen des vollständigen Kapitels.
 

Kirei
 

Chapter 17 – mushi
 

~~
 

Toshiya hatte den Türsummer gedrückt. Es war der nächste Morgen, ein Donnerstag. Verwundert war er ja – Kyo musste die Schule geschwänzt haben, um seine Habseligkeiten abzuholen.

„Du sahst schon besser aus.“

Der große Dunkelhaarige fuhr herum zur Tür, erblickte darin nicht wie erwartet Kyo.

Shinya lächelte unterkühlt, betrat die Wohnung leichtfüßig. „Kleiner Tipp: Schlafen. Soll gegen Augenränder helfen.“ Toshiya verdrehte die Augen. „Was willst du hier? Ich bin nicht in Stimmung, mich mit dir zu streiten.“

„Oh, ich will mich gar nicht streiten.“ Shinyas Lächeln wurde süffisant. „Ich möchte nur Kyos restliche Sachen abholen.“

Die Worte hatten den gewünschten Effekt. Toshiya starrte ihn ungläubig an. „Wie bitte?“ „Ich möchte-“ „Ich habe dich sehr gut verstanden. Wieso – DU?“ „Rate, zu wem er nach deinem kleinen Austicker gestern kam.“

Toshiya holte tief Luft, es war ihm anzusehen, wie das Feuer in ihm hochzüngelte. „Er ist nicht ALLEN Ernstes bei dir? Jetzt?“ „Nein, jetzt ist er vermutlich in der Schule.“ „Lass die Finger von ihm, Shinya. Ich rate es dir.“

Shinya lachte leise. „Was denn? Angst, ich könnte die Bombe platzen lassen? Es ist schön, mal nicht die Zügel in der Hand zu haben, nicht wahr, Toshiya? Wie fühlt es sich an, wenn alles vom Schweigen eines anderen abhängt? Der einen dann VERRATEN wird?!“

Toshiya biss sich auf die Unterlippe. „Darum geht es also. Du bist nicht in Kyos Interesse hier. Du willst nur dich selbst rächen.“ „Wenn du meinst.“ Shinya ging weiter in die Wohnung hinein. „Wo sind die Sachen?“

„Schlafzimmer.“, grummelte Toshiya, versuchte erneut, seinen Ärger nicht an die Oberfläche kommen zu lassen. Shinya griff nach den bereit gestellten Taschen, ließ sie jedoch wieder sinken, als etwas anderes seine Aufmerksamkeit erregte.

Mit einem ungläubigen Lächeln griff er nach einem Bogen Papier, wandte sich um zu Toshiya. „Nein, Toshiya...“, machte er tadelnd. „Vermisst du ihn etwa?“ Toshiya riss ihm den Bogen Purikuras aus der Hand, legte ihn beiseite. „Der lag hier noch rum.“, knurrte er. „Dann macht es dir bestimmt nichts aus, wenn ich ihn tröste, nicht?“

Mit einem dumpfen Prallen landete Shinya an der Wand, sein Rücken krachte hart gegen die Raumabgrenzung. Toshiya, nur wenige Zentimeter von ihm entfernt, ließ Shinyas Kragen nicht los, während er fauchte: „Zum allerletzten Mal: Wenn du ihn anfasst, breche ich dir jeden einzelnen deiner verdammten Knochen, okay? Trage deinen Krieg mit mir aus, kapiert? Tust du ihm weh, sind deine restlichen Tage verdammt knapp bemessen.“

Das falsche Lächeln fiel ab, als Shinya sich von ihm losmachte. „Wusste ich es doch.“, sagte er, klang nun wieder vollkommen ruhig – Shinyalike. „Er hat es geschafft, dein von Selbstüberzeugung und Hinterlistigkeit zerfressenes Herz zu erwärmen. Das war alles, was ich hören wollte.“

Er griff endlich wieder nach den Taschen, drehte nur an der Tür einmal um. „Noch ist es nicht zu spät, Toshiya. Mach uns allen das Leben leichter, indem du einmal – nur dieses eine Mal – das Richtige tust.“

Die Tür fiel ins Schloss, Toshiya gab einen ungnädigen Kehllaut von sich.

Was glaubst du, was ich gerade tue, du blödes Huhn?!
 

~~
 

Dass Kyo und Die nicht miteinander redeten, war ungewöhnlich.

Auch, wenn die meisten ihrer Mitschüler ansonsten nicht viel mit Kyo zu tun hatten, an Die selten herankamen, es fiel allen auf. So hing Die an diesem Morgen plötzlich bei einer Gruppe von Leuten, mit denen er zwar immer gut klargekommen war, für die er ansonsten jedoch nie allzu großes Interesse hatte aufbringen können.

Kyo hingegen blieb allein. Er sah schlecht aus, der kleine Blonde mit den merkwürdigen Lebensansichten. Ein weiterer Punkt, indem man sich einig war.

In der Mittagspause wurde die Neugier schließlich so groß, dass Die auf den ungewohnten Stand der Dinge angesprochen wurde.

„Die-san?“ Der Redhead blickte von seiner Mahlzeit auf. „Hm?“ Eine Mitschülerin, sie saß ihm gegenüber, wog ihre Worte ab. „Was ist bei dir und Tooru los?“ Dies Miene verfinsterte sich unwillkürlich. Kyo saß nicht weit von ihnen entfernt allein an einem Tisch, zwar mit dem Rücken zu Die – doch jener war sich sicher, dass er jedes Wort hören konnte.

Trotzdem hütete er sich nicht in seiner Antwort: „Los ist bei uns überhaupt nichts mehr. Ich werde scheinbar nicht mehr gebraucht.“ Er ließ seinen Blick nicht von Kyos Rücken abweichen. Nicht der Hauch einer Reaktion.

„Anou...? Ich verstehe nicht ganz-“, fing das Mädchen an, das Wort wurde ihr aber abgeschnitten. „Ist eine lange Geschichte. Ich erzähle sie dir ein anderes Mal, wenn das Publikum besser ist.“

Die erhob sich von seinem Platz, brachte das leere Tablett zurück zur Essensausgabe. Auf dem Weg zu seinem Spind auf dem Schulflur musste er unweigerlich an Kyo vorbei, und wie sehr er sich dafür auch verfluchte, er konnte nicht anders, als Kyo einen Blick zuzuwerfen. Einen Moment sahen sie einander an – ein unwohliges Gefühl in der Magengegend befiel Die augenblicklich.

Er sieht wirklich fertig aus. Scheiße, warum ist er nur so ein Idiot? Ich – nein. Ich entschuldige mich nicht. Der letzte Spruch war unnötig, aber das gehört nicht zur Sache. Es geht mir ums Prinzip. Und er glaubt lieber seinem Toshiya als mir. Bitte.

Sein Spind sah aus wie eine Katastrophe.

„Oh mann...“, murmelte Die. „Den müsste man echt mal wieder aufräumen.“ Sein Blick schweifte über den Stundenplan, der an der Innenseite der Tür festgeheftet war. Ein Stöhnen.

Mathe. Super, der nächste Einlauf folgt. Als ob ich den Scheiß gestern Abend hingekriegt hätte..

Ein Zettel wurde ihm vor die Nase gehalten. Die, so tief in Gedanken, schreckte zusammen, starrte auf das Papier, die Handschrift, mit der die Zahlen – waren das Matheaufgaben? – geschrieben waren, gehörte unverkennbar der Person, die er den gesamten Tag so sorgfältig gemieden hatte.

Die richtete den Blick nach links, entdeckte Kyo, der mit dem Rücken gegen den Nachbarspind lehnte und ihm den Zettel entgegenhielt. „Was ist das?“, fragte er, mühte sich, gleichgültig zu klingen.

„Deine Mathehausaufgaben.“ „Hä?“ „Willst du mir etwa sagen, du hast sie gemacht?“ Die sah ihn fragend an. „Was soll das?“ „Nimm sie einfach.“, murmelte Kyo, drückte ihm den Zettel in die Hand und stieß sich vom Spind ab.

Die sah ihm nach, kämpfte mit sich. Er wollte nicht den ersten Schritt machen. Doch die Miene seines besten – die Miene Kyos hatte sein Mitleid geweckt.

„Ach fuck...“, brummte er, setzte sich in Bewegung. „Kyo!“ Die kleinere Gestalt erstarrte, ohne sich umzudrehen. „Kyo?“ Die kam hinter ihm zum Stehen, tippte ihm vorsichtig auf die Schulter. „Was...?“ Nur eine leise Frage.

„Ich kann nicht zurücknehmen, was ich gesagt habe. Ehrlich gesagt will ich das auch nicht. Bis auf eine Sache.“ Kyo drehte sich nicht zu ihm um, starrte den Fußboden an. „...“ „Du.. du kannst auch weiterhin auf mich zählen.“

Weiteres Schweigen.

Die biss sich auf die Unterlippe. „Verdammt, ich weiß, dass ich überreagiert habe, es – der Rest unseres Streits war echt nicht mehr fair von mir, aber du warst auch nicht gerade einsichtig, ich will doch nur-“ „Es gibt keinen Grund, sich bei mir zu entschuldigen, Die. Nicht du bist der Idiot.“

Die verstummte, blinzelte erstaunt. Er hob zögernd die Hand, zog Kyo an der Schulter zu sich herum. „Nani?“ „Auch, wenn ich weiter verurteile, was du über ihn gesagt hast... Ich bin der Narr. Nicht, weil ich Toshiya glaube, sondern weil ich für ihn alles aufs Spiel setze. Und wieder tun würde. Himmel, ich bin so bescheuert...“

Die konnte nicht mehr folgen. „Was-“ „Ich wohne nicht mehr bei ihm. Momentan bin ich bei Shinya.“ Ein verwundertes Gesicht. „Du bist gegangen?!“ „Ich wurde gegangen. Mal wieder.“ Die biss sich auf die Innenseite seiner Wange. Was sollte er dazu sagen? Es passte nicht in sein Bild von Toshiyas Plänen, Kyo aus der Wohnung zu schmeißen – doch in seine Auffassung über Toshiyas Charakter hingegen fügte sich diese Handlung nahtlos ein. Er konnte sich nicht über das Ende der Beziehung freuen, nicht, solange es Kyo diesen Ausdruck ins Gesicht schrieb – war es da nicht egoistisch von ihm, dass es ihm andererseits auch nicht aufrichtig leid tun konnte?

„Mann. Toshiya weiß wirklich nicht, was er will, oder?“ Ein tiefer Seufzer. „Ich schätze, zumindest er weiß es ganz genau. Nur leider bin ich entweder zu dumm oder zu blind, um es zu verstehen.“

Der Schulgong hallte durch den Flur.

Die verzog das Gesicht. „Sag mal... wollen wir die letzten beiden Stunden nicht in die Tonne hauen und irgendwo hingehen? Reden?“ Kyo sah auf in das ansteckend grinsende Gesicht. „Bei deiner Mathenote möchte ich dir das echt nicht raten.“ „Man muss Prioritäten setzen. Und es soll Dinge geben, die sind mir wichtiger als Schule.“

Kyo wusste, Dies Grinsen war nicht echt. Er wusste auch, dass Die im Stillen froh über den Verlauf seiner Beziehung sein musste. Doch was er noch viel besser wusste, war, wie glücklich er sich schätzen konnte, den Älteren zum Freund zu haben. Dass sie trotz des heftigen Streits so schnell den Zugang zum Frieden wieder gefunden hatten, zeigte alles.

Später.

Jeweils eine Eiswaffel in der Hand schlenderten Kyo und Die durch das langsam winterliche Tokyo.

„Wir müssen verrückt sein, Ende November Eis zu essen...“ Die zuckte mit den Schultern. „Na und? Wir ticken doch ohnehin nicht richtig. Ich meine... hey, mein bester Freund ist der Erbe einer alten Magierfamilie – wie verrückt hört sich das an?“

Kyo schnitt eine Grimasse. „Musst du mich immer dran erinnern? Ich hab schon die Nase voll von der ganzen Scheiße, noch bevor sie richtig anfangen konnte...“ „Nun ja~ ... Aber irgendwie ist’s durchaus cool.“

Der Kleinere blieb stehen, sah Die schief an. „Cool? Ich kann zwar überhaupt nichts damit anfangen, gleichzeitig aber bringt es mir nur Ärger. Total cool, stimmt schon...“, meuterte er und ging weiter.

Die verdrehte die Augen. „Nur Ärger? So kannst du das auch nicht sehen...“ „Toshiya, mehr Krach zu Hause, Toshiya, Streit mit dir, Toshiya, ... reicht das fürs Erste? Mir wollen alle irgendwas, ich weiß zwar nicht, was die alle vorhaben, aber kein Mensch in meiner Nähe ist mehr vollends ehrlich zu mir. Alle lügen mich an, Vorschriften, mein eigener Schutz, bla. Toshiya behandelt mich wie ein Spielzeug, eine Puppe, die er nach Belieben auf den Müll schmeißt und wiederholt, was Shinya eigentlich von mir will – frag mich nicht – , wie weit du in der Sache drinsteckst, weiß ich auch nicht wirklich. Die Stimmen im meinem Kopf schlagen sich hin und wieder auf die Gegenseite und machen mich fertig, aber vor denen gibt es im Gegensatz zu den Menschen kein Entkommen. Ach ja, und nebenbei gefährde ich alle, die in meiner Nähe sind, weil ich jederzeit mal wieder explodieren könnte – siehe Beispiel Erdbeben.“

„Okay. SO drastisch habe ich das noch nicht gesehen, danke. Warum erzählst du auf einmal so viel von dir?“ Kyo sah ihn ernst an. „Ich habe es zu lange nicht getan. Vielleicht hättest du mir auch mehr anvertraut, wenn ich offener gewesen wäre. Keiner kann sagen, warum die Dinge kommen, wie sie nun mal geschehen, doch ich will mir nicht wieder vorwerfen müssen, dich so sehr verletzt zu haben wie in der letzten Zeit.“

Die knabberte nachdenklich an seiner Waffel, schwieg. „Du bist ganz schön gefasst. Letztes Mal, als es bei euch in die Brüche ging, hat es dich mehr umgehauen.“ Ein erzwungenes Lächeln. „Er kann mir nicht noch mehr weh tun.“

Toshiya glaubt, er könne mich jederzeit zerbrechen. Dabei ist das gar nicht mehr möglich. Er hat es längst getan. Gestern Abend dachte ich noch, er hätte mein Herz zertrümmert. Aber ich habe jetzt verstanden. Nicht er war es. Mein eigenes Herz hat mich getötet.

„Kyo?“ „Hm?“ „Nimmst du mir noch übel, was ich gestern sagte?“ „Kommt drauf an, wovon du sprichst. Du hast gestern eine ganze Menge gesagt.“ „Ich meine das über... ich sagte irgendetwas von wegen du seiest ohnehin bald tot, wenn du Toshiya weiter vertraust..“ Die kratzte sich am Kopf. Dammit, jetzt, in die Ruhe ihrer Unterhaltung eingeflochten, klangen ihm seine Worte viel schlimmer in den Ohren.

„Nein. Das hat mich getroffen. Aber übel nehmen... es ist deine Meinung. Ich bin dir nicht böse. Es macht mich traurig, dass du und Toshiya euch gegenseitig so mies macht. Ihr habt das beide vorzüglich drauf – aber ich kann keinem von euch misstrauen. Deswegen habe ich gehofft, ihr würdet eines Tages aufhören, euch anzugiften. Gestern hat es mir gereicht.“

„Denkst du immer noch, ich würde ihn aus Eifersucht beschuldigen?“ „Ich weiß es nicht. Toshiya hat dich grundsätzlich aus Eifersucht schlecht machen wollen. Ich denke nicht, dass du aus den selben Motiven handelst wie er. Allerdings wünschte ich, du würdest es mir sagen.“ Ein aufmerksamer Blick.

Die öffnete den Mund, schloss ihn wieder. „Ich darf nicht. Es kotzt mich an, aber ich darf dir nichts sagen.“ Kyo legte den Kopf in den Nacken, starrte gen Himmel. Dunkle Wolken verdeckten die Sonne.

„Den Spruch kriege ich nur noch zu hören. Egal...“ Er sah wieder auf. „Was machen wir jetzt?“ „Wie?“ „Wir beide.“ Die blinzelte. Kyo war sich darüber bewusst, wie sehr er Die mit seiner Frage aus dem Konzept gebracht hatte, doch es war notwendig, darüber zu sprechen.

„Anou – ich... was genau willst du jetzt hören?“ Kyo richtete seine Lichter auf den Erdboden, musterte die Steine. „Ich kann dir nicht entgegenbringen, was du dir vielleicht wünschst. Doch ich bin nicht in der Lage, auf dich zu verzichten. Das sollst du wissen.“

„Ich weiß schon lange, dass das nie eintreten wird. Nicht zuletzt, seit Toshiya aufgetaucht ist. Es... ist teils echt schwer zu akzeptieren, dass du dein Herz ausgerechnet an jemanden verschenkt hast, der dich so quält, doch... scheinbar soll es so sein.“

Es klang wehmütig. Mehr, als Die beabsichtigt hatte. Kyo lächelte andeutungsweise. „Du verdienst etwas viel Besseres, Die. Glaub mir.“

Und wenn ich das gar nicht will? Ich will keinen perfekten Menschen. Alles, was ich brauche, ist dein Lächeln. Deine Gedankenwelt. Dich.

In einem Hauseingang, gegen die Wand gelehnt, verfolgte eine Person die beiden Jungen mit den Augen. Das vorsichtige Lächeln auf Kyos Lippen, die Miene Dies – sie brachten die Person zum Stirnrunzeln.

„Sie haben sich schnell wieder vertragen, nicht?“ Toshiya schreckte auf, fuhr herum. „Habe ich einen Magneten in der Tasche? Was willst du schon wieder von mir?“ Shinya lächelte. „Warum schleichst du weiter um ihn herum? Du hast dich selbst ins Aus befördert. Fraglich, was das sollte, doch es ist so.“

„Vielleicht war es ja meine Absicht, kleines Dummchen. Ich weiß, was ich tue, keine Sorge.“ „Oh, ich fürchte, dir wächst das alles ein wenig über den Kopf. Muss schlimm sein, wenn einem die Gefühle alles zerstören. Kann mir nicht annähernd vorstellen, wie das wohl ist, Toshiya.“

Toshiya verzog keine Miene. „Gefühle.“, schnaubte er. „Wertloser Restmüll. Wenn du ein Problem mit deinen Emotionen hast, ist das nicht meine Sache.“ „Bleib auf der richtigen Seite, Toshiya. Ich bitte dich.“ Der spottende Unterton war aus Shinyas Stimme verschwunden. „Wende dich nicht gegen ihn. Das bist du mir schuldig, findest du nicht?“

Ein Auflachen. „Ich bin dir überhaupt nichts schuldig!“ „Du hast mir alles genommen, was mir lieb und teuer war!“ „Da verdrehst du ein bisschen die Wahrheit, mein Schatz.“ Toshiya streichelte mitleidig grinsend die Wange des anderen. „Du hast dir selbst alles ruiniert. Pech, möchte ich meinen. Was willst du hier? Du hast mit Kyo so gut wie nichts zu tun!“

Shinya stieß seine Hand unbeeindruckt beiseite. „Ich werde verhindern, dass du an dein Ziel kommst. Egal, was es kosten wird. Du wirst lernen, was es heißt, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Kyo bist du bereits los. Jetzt wird der Rest folgen...“
 

~~
 

„Mir scheint, du weichst vom Weg ab.“

Ein entsetzter Blick. „Was? Aber... n-nein..-“ „Meine Worte unterbricht niemand, verstanden?“ Die Stimme klang so schneidend, dass das Stottern verstummte. „Verstanden.“ „Du hältst dich nicht mehr an die Abmachungen.“

„Meister, ich – es ist wahr, ich habe eigenmächtig gehandelt. Doch es war nur zu Euren Gunsten, das müsst ihr mir glauben...“ Die mit Meister titulierte Person erhob sich aus ihrem Sessel, fauchte: „SO, WAR ES DAS?!“

Die andere Gestalt zuckte zusammen. „Welchen Sinn hatte dein Handeln? Du bist dabei, mir einen Strich durch die Rechnung zu machen. Du willst alles, wofür wir jahrelang arbeiteten, vereiteln.“ Schwere Vorwürfe. „Kurz gesagt: Du begehst Verrat.“

„Nein! Bitte, ich...“ Die zweite Person ging vor dem aufgebrachten Wesen auf die Knie, sah flehend auf. „Ich mache es wieder gut. Versprochen.“, flüsterte sie mit zitternder Stimme. Ein nachsichtiges Lächeln. „Du dummes Ding. Nun steh schon auf.“

Erst, als der Jüngere der beiden wieder stand, ging ihre Unterhaltung weiter. „Glaubtest du, du könntest mich hintergehen? Deine Verwirrung wird vergehen, vertraue mir.“ „Es tut mir leid...“ „Dein Fehler lässt sich nicht ohne Weiteres beheben. Lassen wir es weiterlaufen. Vergiss nie wieder, wo dein Platz ist. Drücke ich mich deutlich aus?“

„Mein Platz ist bei Euch, Meister.“ „Schön. Schlage dir dieses törichte Kind endlich aus dem Kopf. Wie auch immer es deine Sinne verzaubert hat... Du gehörst an meine Seite. Mit wem soll ich meinen Triumph über die Familie des Schwalbenschwanzes feiern, wenn nicht mit dir?“

Ein gehorsames Nicken.

„Ihr könnt Euch auf mich verlassen. Ich habe den rechten Weg wieder gefunden...“
 

~~
 

tbc

Vergessen

Muahaha, Kirei IS BACK!

Und mit mir scheinbar auch meine Leser - dafür möchte ich mich an dieser Stelle einmal SEHR bei euch bedanken, Leute! Vielen, vielen Dank, dass ihr mir und meiner Story trotz der großen Unterbrechung treu geblieben seid, ihr seid echt die Größten!

Freut mich übrigens sehr, wie viele Leser Toshiya plötzlich zu mögen scheinen. Die Meinungen über ihn gehen natürlich sehr auseinander [ganz meine Absicht, hehe ^_~], aber was es nun wirklich mit ihm auf sich hat...

Seid euch sicher, es wird immer deutlicher.

So, mehr wird nicht verraten, lest einfach selbst!
 

Liebe Grüße und viel Spaß beim Lesen
 

Kirei
 


 

Chapter 18 – Vergessen
 

~~
 

„Herzlich Willkommen.“

Nishimura-san blinzelte leicht, stellte ihre Tasche vorsichtig an der Garderobe ab. „Schatz? Was machst du hier?“, fragte sie verwundert, schloss die Arme fest um ihren Sohn. Kyo grinste leicht, erklärte: „Na, die Begrüßung hab ich mir liebevoller festgestellt.“, witzelte er, nahm die Tasche und trug sie ins Schlafzimmer seiner Eltern.

Seine Mutter wandte sich an ihren Mann, sah ihn fragend an. Dieser räusperte sich und erklärte: „Tooru lebt wieder bei uns.“ Ein ungläubiges Lächeln. „Stimmt das?“ Als könne sie den Worten ihres Ehemannes keinen Glauben schenken, drehte sie sich zu ihrem Sohn herum.

„Scheint so.“ Kyo lächelte und umarmte seine Mutter erneut. „Schön, dass du wieder halbwegs fit bist.“ Ein glückliches Seufzen folgte auf seine Worte. „Jetzt werde ich ganz schnell wieder gesund, Liebling.“

Kyo nickte zustimmend. „Dafür sorge ich.“, erklärte er mit einem Blitzen in den Augen und verließ das Schlafzimmer. „Ab in die Küche, ich habe gekocht.“

Nishimura-san lächelte ihrem Sohn nach, ehe sie den Blick wieder an ihren Mann richtete. „Wann ist er wieder eingezogen?“ „Heute Mittag, vermute ich. Er rief bereits morgens an, um sich anzukündigen. Ich bin von der Arbeit aus zu dir gefahren, ich weiß dementsprechend nicht, wie lange er schon hier ist.“

Ein wackeliges Lächeln zierte das blasse Frauengesicht. „Bitte freu dich doch mit mir...“ „Ich bin froh, die Familie wieder unter einem Dach zu wissen.“ Die Antwort wirkte knapp, doch Kyos Mutter wusste, mehr nicht zu erwarten können.

Das Abendessen war längst beendet. Kyo stand an der Spüle, wusch das restliche Geschirr ab. Nishimura-san hatte ihm helfen wollen, war jedoch auf strikten Protest gestoßen. Sie solle sich ausruhen und vollends gesund werden.

„Liebes?“ „Hm?“, fragte Kyo, drehte den Kopf zurück, um der Frau einen Blick zuzuwerfen. „Wieso bist du so plötzlich nach Hause gekommen?“ Die Hände, Spülschwamm und Teller festhaltend, sanken ein wenig.

„Ich bin schon... vor ein paar Tagen von Toshiya weg. Ursprünglich wollte ich trotzdem nicht zurück, doch als du sagtest, du kämst aus dem Krankenhaus – ich dachte, du könntest meine Unterstützung mehr als gebrauchen.“, erzählte er zusammenfassend, schloss Emotionen, die auf sein Inneres blicken lassen konnten, dabei weg.

„Vor ein paar Tagen? Was ist denn geschehen? Und – wo warst du dann bis heute?“ „He, ruhig..“ Kyo stellte das Geschirr weg, trocknete seine Hände am Handtuch und setzte sich seiner Mutter gegenüber. „Ich war die letzten zwei Nächte bei Die.“

Und das ist nicht mal eine Lüge. Sie muss ja nicht wissen, dass ich schon drei Nächte von Toshiya weg bin..

„Es ist alles okay. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen machen.“ „Aber es muss doch einen Grund geben? Warum bist du nicht bei deinem Freund?“ Die Fragen waren wie Stiche, kleine Nadeln, die sich in seinen Körper bohrten. Doch Kyo ließ die lächelnde Oberfläche nicht kippen.

„Es hat nicht funktioniert. So nah erkennt man viele Reibungspunkte, die man ansonsten nicht bemerkt. Wir haben uns mehr gestritten als alles andere. Aber keine Bange, mir geht es gut. Wirklich.“ „Du hast für Toshiya-san die Beziehung zu deinem Vater riskiert. Ich kann kaum glauben, dass du da eine Trennung leicht weggesteckt haben willst.“

Kyo verdrehte die Augen. „Du kannst mir natürlich auch Probleme anschwatzen, ich bin momentan nicht ganz ausgelastet, was das angeht, ich seh’s schon... Mama. Mach dir keine Gedanken, ja? Wenn etwas ist, sage ich es dir. Ich habe mich geärgert. Sehr viel sogar. Und natürlich frustet es mich, wie schnell manche Dinge in die Brüche geben. Aber das lässt sich nicht ändern.“

Seine Mutter seufzte leise. „Keine Chance auf eine Versöhnung?“ „Nein. Da geht gar nichts mehr. Und jetzt wechsle endlich das Thema, ich will dich lachen sehen.“ Kyo erhob sich, stieß die Frau liebevoll an. „Na?“

Ein mildes Lächeln. „Du bist ein Engel, Kyo.“ Kyo strich über die Wange seiner Mutter. „Nein, kein Engel. Höchstens ein Schmetterling.“, widersprach er und verließ mit einem Grinsen die Küche, betrat sein Zimmer.

Kaum, dass die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, schien auch seine Lockerheit mehr und mehr zu zerbröckeln. Er setzte sich auf sein Bett, fischte ein Foto unter dem Kopfkissen hervor.

Ein tiefer Seufzer. Mit der Fingerspitze fuhr der Achtzehnjährige die Gesichter nach; Toshiya und er, ein fröhliches Lachen auf den Zügen. Dasselbe Bild, mittels Selbstauslöser entstanden, befand sich auch in Toshiyas Besitz. Falls es nicht inzwischen im Mülleimer gelandet war.

Ich vermisse ihn. Obwohl ich ihn hassen sollte, dankbar sein müsste, dass er dieses grauenhafte Spiel endlich beendet hat... ich kann nicht aufhören, an ihn zu denken. Er ist immer in meiner Nähe, darüber bin ich mir im Klaren. Er wird mich beobachten, auf mich achten... Doch es reicht nicht. Es reicht mir nicht annähernd aus.

Toshiya... warum bist du so eiskalt? Hast du überhaupt so etwas wie Gefühle? Oder besteht dein ganzes Wesen einfach nur aus Eigennutz und Egoismus? Bist du ein so guter Schauspieler, dass du mir deine gesamte Gefühlswelt nur vorgespielt hast? Dass dieses... dieses bezaubernde Lächeln auf dem Papier unecht ist...?

Ein Klopfen an der Tür ließ ihn aufschrecken. Schnell schob er das Papier in seine Hosentasche. „Ja?“ Seine Mutter steckte nur kurz den Kopf zur Tür herein, um ihm eine gute Nacht zu wünschen.

„Schlaf gut, Kyo.“ „Hai ne.. du auch. Bis morgen früh.“

Seine Lichter wanderten zum Wecker. Erst kurz nach neun. Er erhob sich wieder, betrat den Flur. „Gehst du noch weg?“ Die Stimme seines Vaters. „Ano.. hai. Ich muss noch mal los.“ „Bleib nicht zu lange.“ „Es ist Freitag, Paps.“ „Ich möchte nur nicht, dass dir etwas zustößt.“

Kyo lächelte matt. „Ich passe auf mich auf.“
 

~~
 

Es war sehr kühl – das Gras in seinem Rücken verstärkte diesen Effekt noch – , doch es störte Kyo nicht. Viel zu lange hatte er die Lichtung nicht mehr aufgesucht, um seinen Gedanken nachzuhängen.

Nun endlich war der Zeitpunkt gekommen, den Himmel wieder zu betrachten, das Licht und die Ruhe des Mondes zu genießen – nur in Begleitung des Schwalbenschwanzes, der hin und wieder vor seinen Augen umhertanzte.

Kyo hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt, ein Bein aufgestellt, das andere lang ausgestreckt. Seine Gedanken drehten sich auch weiter um Toshiya, um die Legende, die ihm das Leben erschwerte, doch in der Umgebung der Natur, verhüllt durch die Nacht und das Licht, wirkte alles nur halb so schlimm.

„So was. Es soll wirklich nicht sein, dass wir einander aus dem Weg gehen, wie?“

Kyo setzte sich ruckartig auf, starrte in das nachsichtig lächelnde Gesicht. „T.. Was willst du?“ „Spazieren?“ „Hör doch auf. Welchen Grund hast du dieses Mal, um mich herumzuschleichen? Mal wieder ne Entschuldigung? Eine gute Erklärung parat?“

Es klang abweisend, verletzt. Toshiya grinste leicht. „Ich habe nicht vor, meine Worte zu widerrufen. Warte also nicht darauf. Nein... für einmal ist es wirklich Zufall, dass wir aufeinander treffen.“

„Schön. Dann setzte ich diesem Zufall jetzt ein Ende und gehe.“, erkannte Kyo kurz angebunden und rappelte sich auf. Er ging vorbei an Toshiya – wurde am Arm festgehalten. „Was?!“ „Du hast da was verloren.“

Kyo sah sich gleichgültig um, spürte sein Herz erst dann einen Schlag lang schneller hämmern. Das Foto. Er hatte es angesehen, während er noch in Frieden auf der Wiese gesessen hatte.

Der kleine Blonde bückte sich, steckte es weg. „So ganz abgehärtet sind wir scheinbar doch nicht, wie?“ Der Spott schmerzte. „Weißt du, Toshiya...“ Kyo sah ihn nachdenklich an. „Mir sind schon ziemlich viele miese Gestalten untergekommen. Aber selbst die hatten im Gegensatz zu dir noch einen Vorteil. Sie hatten eine Linie. Wo ist deine? Eine Woche „Kyo ich brauche dich“, dann wieder „du bist ja doch nur ein Spielzeug“ – wie lange willst du dieses Bäumchen-Wechsel-dich Spiel noch treiben?!“

Toshiya lächelte mitleidig, zog ihn zu sich heran. „Willst du dich beschweren? Du bist so dumm, Kyo. Überlege nur einen Moment lang. Könntest du mich jetzt wirklich stehen lassen? Wenn ich wollte, wärst du innerhalb der nächsten fünf Minuten wieder mein. Siehst du? Ich habe dir doch gesagt, du bist ein Stück Glas in meinen Händen.“

„Vielleicht bin ich das. Und weißt du was? Es ist mir gleich. Es ist mir wirklich vollkommen egal, was du mit mir abziehen kannst. Wenigstens kann ich mir nicht vorwerfen, nicht ehrlich und aufrichtig gewesen zu sein. Schön, vielleicht bin ich komplett verrückt, weil ich dich machen lasse, was du willst. Aber mein verdammtes Herz kann nicht anders. Dass du keines besitzt... dafür trage ich nicht die Schuld.“

Kyo wandte sich von ihm ab, ging seinen Weg – den Weg fort von Toshiya. Fort vom Schmerz...?

Der Dunkelhaarige ächzte leise, drehte sich ebenfalls weg.

Holy Shit, warum hat dieser kleine Querkopf mehr Rückgrat als ich? Er hat so viel wegzustecken, einen Großteil davon meinetwegen. Und trotzdem erträgt er das alles viel besser als ich...
 

~~
 

„.. können wir es ihm nicht endlich sagen?“

Shinya lächelte verständnisvoll, während er in der kleinen Kochnische einen Tee zubereitete. „Ich verstehe dich ja, Daisuke. Doch es gibt Dinge, die darf Kyo nicht erfahren. Wir können ihm nicht alles sagen.“

„Shinya~“, murrte der Jüngere genervt. „Ich möchte, dass Kyo mir wieder völlig vertrauen kann. Er tut es aber nicht, solange er nicht weiß, was hier abgeht. Und er hängt sein Herz weiter an Toshiya. Ganz gleich, was er sagt. Hast du ne Ahnung, wie es mich ankotzt, ihn grinsen und spaßen zu sehen, obwohl so sonnenklar ist, dass er heult, sobald man ihn allein lässt?“

Shinya drehte sich zu dem hitzigen Rotschopf um. „Daisuke. Denkst du, das änderte sich, wenn Kyo alles wüsste? Im Gegenteil. Damit rammtest du ihm den nächsten Dolch ins Herz.“ „Er muss ja nicht... alles wissen. Wieso sagst du ihm nicht wenigstens, wer DU bist?“

„Weißt du es denn?“ Die stockte. „Ehm... na ja, du hast gesagt-“ „Richtig. Ich sagte. Die, niemand spricht hier mehr wahre Worte. Alles, was du wissen musst, ist, dass ich Kyo helfen werde. Und er wird auch nicht mehr erfahren. Vielleicht reichen dir diese Informationen nicht. Dann steht es dir frei zu gehen. Doch wir verfolgen das gleiche Ziel, nicht wahr? Also unterstütze mich – und vor allem: vertrau mir.“

Die atmete tief durch, nickte schließlich. „Gut. Sagen wir ihm nichts.“ „Ich werde darüber nachdenken, was man ihm eventuell noch vermitteln könnte.“, versprach Shinya, stellte schließlich eine Tasse vor Die auf dem Couchtisch ab.

„Es scheint noch nicht alles verloren zu sein.“, bemerkte er nach einer Gesprächspause. „Nani?“ Die hob die Augenbrauen, fragend. „Vielleicht haben wir eine Chance, alles zum Guten zu wenden. Wenn die richtigen Leute den richtigen Weg einschlagen...“

„Oh mann, immer diese Andeutungen, ich werde aus so was nie schlau.“, murrte Die, stellte seine Teetasse weg. „Willst du mir eine Frage beantworten? Nur eine?“

Shinya nickte leicht. „Wenn ich kann, gerne..“ „Woher weißt du so genau um Toshiyas Art Bescheid?“

Schweigen.

Big Red überlegte bereits, ob seine Frage ein Fehler war, da hob Shinya den Blick wieder an und erklärte: „Ich dachte einst, ihn zu kennen. Zu dieser Zeit hielt ich sehr viel von ihm. Doch Toshiya ist wie ein Spiegel, der alles verdreht. Zeigt der dir sein Lächeln, das wirklich atemberaubend sein kann, ist er in Wirklichkeit bereits dabei, dich in eine Falle tappen zu lassen. Sagt er dir nette Worte, lacht er innerlich über dich, weil du so dumm bist, ihm zu glauben. Verlässt man sich auf Toshiya, ist man verlassen. Ich bin nie zuvor einem Wesen begegnet, das auf so charmante Weise so manipulativ ist.“

Die musterte ihn lange. „Du hängst ganz schön an ihm, was?“ Shinya lachte hohl auf. „Das tat ich vor langer Zeit einmal. Inzwischen haben sich Sympathie und Wohlgefallen in Hass und Verachtung umgeschlagen.“ „Was hat er gemacht, dass du so klar gegen ihn sprichst? Du bist nicht der Mensch für so etwas.“

Shinyas Züge verhärteten sich, wie Die es nie zuvor beobachten konnte. „Ich habe dir schon einmal gesagt, Toshiya hat mir alles genommen. Restlos alles. Ich verachte ihn, weil er mich hinters Licht geführt hat. Und ich hasse ihn, weil er sich an meinem Unglück erfreute. Das wird er jetzt am eigenen Leibe erfahren.“

„Hilfst du Kyo deswegen? Weil du Toshiya am Boden sehen willst?“ Eine ungläubige Frage. Shinyas Miene wurde wieder weicher, ein kleines Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. „Deswegen kam ich her. Doch inzwischen kämpfe ich, weil er mir am Herzen liegt. Er ebenso wie sein Umfeld. Noch Tee?“

Die starrte der schlanken Gestalt hinterher, runzelte die Stirn, während Shinya in der Küche hantierte.

Sein Umfeld? Meint der etwa mich?
 

~~
 

„Er sieht unmöglich aus.“

Die grinste gequält, warf einen Blick hinab in das Erdgeschoss der Disco, visierte den Erzeuger der goldenen Lichtreflexe.

„Ich finde... verdammt gut.“ Ein leichtes Lächeln. „Wenn man auf Menschen in Latexhülle steht... wie viele Tonnen Make-up hat er im Gesicht?“ Die zuckte mit den Achseln. „Frag mich nicht. Es ist typisch für ihn, das abzuziehen. Immer, wenn ihm mal wieder irgendwer das Herz gebrochen hat – was ja angeblich unmöglich ist – , zwängt er sich in seine engsten Lackklamotten, setzt sich eine Maske aus Schminke auf und treibt sich in diesen strangen Spelunken herum.“

Shinya hob die Augenbrauen. „Auch eine Taktik, den Kummer zu verdrängen... Er lässt sich leicht verletzen, nicht wahr?“ „Viel zu leicht. Er hatte aufgehört, an die Liebe zu glauben. Aber dem war nicht immer so. Seit wir uns kennen, hat er immer irgendwelche Kurzbeziehungen gehabt, die ihm nach minimaler Zeit mehr Schmerz als Freude bereiteten. Er hatte echt noch nie Glück mit seinem Geschmack.“ Die lehnte sich auf das Geländer der oberen Plattform, stöhnte leise. „Ich glaube, Toshiya hat ihm den Glauben an sein Herz wiedergegeben. Und jetzt sieh dir an, wo es dieses Mal geendet hat.“

Der Redhead machte eine fahrige Handbewegung in Kyos Richtung; der kleine Blonde hatte den Dancefloor unlängst mit seinem Tanzpartner verlassen, war in einer Sitzecke verschwunden.

Shinya verzog keine Miene, musterte Dies jedoch nachdenklich. „Hast du dir das schon öfter angesehen?“ „Gewöhnlich bin ich immer mit ihm mitgegangen, wenn er diese ‚mich kratzt das alles nicht’ Show abgezogen hat..“

„Nicht gerade taktvoll von Kyo.“ „Woher sollte er schon wissen, dass es mich stört...“, brummelte Die vor sich hin, nahm einen Schluck seines Cocktails. „Ich habe letzte Woche zum ersten Mal überhaupt durchblicken lassen, was Sache ist. Vermutlich ist das auch der Grund, weshalb er mich heute nicht mitgenommen hat. Er wollte nicht, dass ich die Szene da unten mitkriege.“

Shinya nickte langsam. „Ich hätte dich nicht fragen sollen, ob du mich begleitest. Tut mir leid.“ Die rang sich ein Grinsen ab. „Hey, weißt du, wie oft ich diese schlechten Fummelszenen da schon zu Gesicht gekriegt hab? Wie war das? Was mich nicht umhaut, macht mich stärker.“

„Du bist ein Unikat.“, stellte Shinya kopfschüttelnd fest, richtete den Blick wieder auf das Stockwerk unter ihnen. „Es ist ein Zeichen von Schwäche.“ „Wie?“ Die sah ihn verblüfft an. „Was?“ „Die Show, die Kyo da abzieht. Glaubt er selbst, er sei über Toshiya hinweg, wenn er sich in irgendwelche Affären stürzt?“

Die verdrehte die Augen, wedelte mit der Hand. „Er würde nie mit irgendwem mitgehen, so weit treibt er’s dann doch nicht... Aber es stimmt schon. Kyo glaubt, er beweist sich damit was. In Wirklichkeit zeigt er nur das genaue Gegenteil.“

„Warst du schon immer an Kyo interessiert?“ Die wirkte überrascht durch die Frage, nahm langsam seine Erkennungsfarbe an. „Etto... nein. Mit vierzehn hatte ich Gott sei Dank noch andere Sorgen.“ „Wie kam es dazu?“ Die grinste leicht verlegen. „Ich hatte vielleicht mehr Glück mit den Mädchen, die ich in den letzten drei, vier Jahren kennen lernte, aber wirklich gefesselt hat mich keine meiner Freundinnen. Ich habe mich immer gefragt, ob es das wirklich schon sein konnte, „verliebt sein, mit jemandem gehen, bla“... Hat schon ne ganze Weile gedauert, bis ich merkte, dass ich alles, was ich gesucht habe, direkt vor der Nase hatte.“

Shinya stieß ihn sanft an. „Du wirst einen anderen Menschen finden. Vielleicht nicht gerade Kyo.. dafür ist er wirklich zu besonders und einzigartig, doch das Gefühl wird wiederkehren. Eines Tages.“

Die wollte erwidern, sich für die liebenswürdigen Worte bedanken, da blieben seine Augen an einer anderen Ecke der Disco hängen. „Sieh mal, Toshiya ist auch hier.“ „Natürlich ist er das. Hast du ihn noch nicht bemerkt?“ „Ano? Nö...“

Shinya lachte leise. „Du brauchst ein besseres Auge fürs Detail. Er hat uns längst gesehen, sieht dauernd hinüber. Das heißt... wenn er nicht gerade dabei ist, Kyos Bekanntschaft mit Blicken aufzuspießen.“

„Tut er?“ Die folgte Toshiyas Blick zurück zu seinem besten Freund, konnte darin jedoch nichts ausmachen. „Jetzt nicht. Er weiß, dass wir ihn gerade beobachten.“, erklärte Shinya gelassen, ohne auch nur einmal die Augen in Richtung Toshiya schweifen zu lassen.

„Mann, du hast’s drauf.“, erkannte Die ehrlich beeindruckt. „Wo lernt man, so genau zu beobachten?“ „Eignet man sich mit der Zeit an. Toshiya ist ein Dummkopf. Entweder kapiert er wirklich nicht, was Kyo da abzieht, oder er stört sich lediglich dran, dass jemand seinen Besitz angräbt.“

„Kyo weiß aber nicht, dass er hier ist, oder?“ „Kaum möglich. Toshiya weiß, wie man unerkannt spioniert. Wenn Kyo wüsste, wie oft er unter Beobachtung steht, könnte er sich nicht mehr frei bewegen. Toshiya ist nahezu immer bei ihm. Bei mir ist es ähnlich.“

Die ächzte. „Himmel, habt ihr eigentlich nichts anderes zu tun?“ „Nein.“ „Muss doch stinklangweilig sein, den ganzen Tag irgendwem an den Fersen zu hängen.“ „Ich achte gern auf Kyo. Es ist interessant, seine Gefühlsregungen zu studieren. Er reagiert immer wieder anders als erwartet, kaum zu fassen, wie unvorhersehbar er in gewissen Lebensbereichen handelt. Das macht die Sache durchaus reizvoll.“

„Warum sollte es Toshiya stören? Er will Kyo doch gar nicht mehr.“ Shinya verzog leicht das Gesicht. „Nur, weil er ihn nicht hat, darf ihn noch lange kein anderer haben. Erster Grundsatz, den man über Toshiya lernt. Kyo ist sein Lieblingsspielzeug. Und solange er kein neues hat, wird er das auch bleiben.“

Die schwieg lange, musterte Toshiyas Züge. Ein paar Mal wirkte der Ältere, als platzte ihm der Kragen, doch die meiste Zeit über hielt er seine Miene bedeckt, rauchte gelassen, warf Kyo nur hin und wieder Blicke zu.

Als der einzig Ahnungslose unter ihnen später die Diskothek verließ – allein, wohl gemerkt – , wollte auch Die nach seiner Jacke greifen, Shinya aber hielt ihn zurück. „Wir folgen ihm nicht weiter.“ „Was? Wieso nicht?“

„Genug für heute. Toshiya wird dafür sorgen, dass er heil zu Hause ankommt.“ „Bist du dir sicher?“ „Vertrau mir. Sollte sich jetzt noch etwas ereignen, ist Toshiya der Erste, der zur Stelle ist. Und für Vorfälle in der Nacht eignen sich Toshiyas Kräfte besser als die Mittel, die uns zur Verfügung stehen.“

Die nickte, nicht begeistert, aber dennoch zustimmend.

„Okay. Dann gehen wir auch heim, was?“ Shinya stimmte zu. „Gute Nacht, Die. Bis bald.“ „Hai, mata...“

Die leerte sein Glas, lauschte noch eine Weile der Musik, ehe auch er schließlich aus der immer noch gut gefüllten Diskothek verschwand.
 

~~
 

Kyo fröstelte unter seiner Lackjacke, zog die Schultern zusammen. Es war zu kalt für sein Outfit, wie er nun feststellte.

Schritte.

Der kleine Blonde erstarrte, sah sich misstrauisch um. Nichts.

Mann, gewöhn dir endlich an, nachts nicht mehr durch diese einsamen Gassen zu laufen. Da kann man ja nur paranoid werden...

Doch bereits während des Weitergehens hörte er deutlich Geräusche, aus welcher Richtung sie auch immer kommen mochten.

Kyo blickte erneut über die Schulter zurück, ließ seine Augen suchend die Gasse entlangfahren.

Mit einem dumpfen Geräusch stieß er gegen etwas. Kyos Augen schossen wieder auf, visierten eine große, breitschultrige Gestalt, der er – war er ehrlich – nicht einmal tagsüber gern über den Weg gelaufen wäre.

„Gomen.“, murmelte er, wollte an dem Mann vorbei. „Was macht so etwas Hübsches alleine hier? Um diese Uhrzeit?“ Die Stimme war kalt, schnarrend. Kyo verdrehte die Augen, ging kommentarlos weiter – wurde jedoch am Handgelenk zurückgehalten.

„Hat deine Mama dir keine Höflichkeit beigebracht?!“ Röhrendes Lachen. Kyo verzog keine Miene. „Loslassen. Sofort.“ „Nicht doch..“ Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, den der Größere benötigte, um ihn gegen die Hauswand zu stoßen, damit jeglichen Fluchtweges zu berauben.

„So lässt es sich schon viel besser reden, was?“ Die selbstgefällige Lache begann bereits, Kyo zu nerven. Er fauchte wütend: „Nimm deine Griffel von mir, sonst SETZT es was, okay?“ Der Kleinere versuchte hartnäckig, seine Handgelenke freizubekommen, die düstere Gestalt von sich zu stoßen – ohne Erfolg. Fehlende Zentimeter an Höhe und Breite schienen es unmöglich zu machen.

Es war ein erbittertes Rangeln gegen den eisernen Griff, Kyo versuchte mit allen Mitteln, sich zur Wehr zu setzen, doch was auch immer er tat, es schien nutzlos.

„In diesem Land steht auf Sexualdelikte die Todesstrafe, schon mal gehört?“

Die neu hinzugekommene Stimme war wie eine Erlösung.

Toshiya löste sich aus den Schatten der Nacht, trat mit ausdrucksloser Miene auf sie zu. Nur ein einziger Handgriff, mit dem er Kyos Angreifer von dem Jüngeren wegzog, am Kragen fest packte. „Und selbst, wenn dem nicht so wäre..“, flüsterte er kühl, „Solltest du ihn noch einmal anfassen, begehe ich Selbstjustiz, verstanden?“

So schnell, wie der Störenfried aufgetaucht war, verschwand er nach Toshiyas Worten auch wieder, suchte fluchend das Weite. Einmal mehr hatte Toshiyas Respekt einflößende Erscheinung ihren Dienst geleistet.

Ein Seufzen voller Erleichterung erklang. Kyo, die Arme vor dem Körper verschränkt, suchte den Blick des Älteren. „D-“ Er kam nicht zu seinem Dank, da der Dunkelhaarige sich nun ihm zuwandte, die Miene nicht annähernd freundlicher.

„Jetzt zu dir. Ich bin dein Wächter, kein Bodyguard, verstehen wir uns? Wenn du meinst, mitten in der Nacht allein durch diese finsteren Gassen hier spazieren zu müssen – gekleidet wie... wie eine Nutte – , dann sieh zu, dass du in Zukunft auch die Konsequenzen dafür trägst.“

Innerlich schien jedes einzelne Wort wie ein Peitschenhieb, doch Kyo ignorierte den Schmerz, verteidigte sich: „Glaubst du, ich renne immer so rum?! Ich bin.. dass ich in dieser Aufmachung unterwegs bin, kommt höchst selten vor.“

„Trotzdem merkwürdig genug, dass du nicht längst mal an den Falschen geraten bist. Dein Auftritt heute Abend war einfach abstoßend.“ Kyo starrte ihn an. „Du warst dabei.“, erkannte er bitter. „Hätte ich mir ja denken können..“

„Und OB ich das war. Hast du es so nötig, dass du dich so anbieten musst? Mit dieser flittchenhaften Kleidung?“, fauchte Toshiya, wirkte regelrecht aufgebracht. „Was hast du für ein Problem? Es kann dir egal sein, ebenso egal wie ich. Oder hast du Angst, dass dein Püppchen kaputtgeht?!“

Es waren harte Worte, mit Recht gesprochen – dennoch klangen sie schmerzend in Toshiyas Ohren. „Es ist mein Recht, mich aufzuregen, wenn ich dich so sehe. Du gehörst immer noch MIR, ist das so schwer?“

„OH, entschuldige, das war mir nicht ganz klar, nachdem du mich ohne Vorwarnung auf die Straße gesetzt und wie den letzten Dreck behandelt hast!“, konterte Kyo aufbrausend, ballte die Hände unbewusst zu Fäusten. „Kannst du dich für einmal entscheiden, was du willst? Ich würde verdammt noch mal ewig auf dich warten, aber nicht unter diesen Voraussetzungen!“

Seine letzte Aussage musste die Streitstimmung in Toshiya besänftigt haben. Er entgegnete ruhiger, wenn auch längst nicht freundlich: „Du wirst mit meinen Voraussetzungen nie leben können, mach dir nichts vor.“

„Ich will es aber, verstehst du nicht? Es – es macht mir nichts mehr aus, wenn du deine Aussetzer hast. Es ist mir egal, wenn du mies bist oder mich fertig machst. Ich will nur ein einziges Mal wissen, woran ich bin. Was willst du von mir? Sag es mir endlich! Ich könnte alles ertragen, wenn ich wüsste, wofür..“

Erneut fand er sich mit dem Rücken an der Wand wieder, freiwillig jedoch, vertieft in den intensiven Kuss, den Toshiya so plötzlich herausgefordert hatte. Ein Kuss, altbekannte Berührungen – für wie lang dieses Mal...?

Eine leise Stimme an seinem Ohr, nachdem sich ihre Lippen wieder voneinander getrennt hatten. „Ich wünschte, du wärst nicht so anziehend. Das würde es mir einfacher machen, meine Ziele zu verfolgen...“
 

~~
 

tbc...

Cold

Herzlich Willkommen zu Kapitel 19 - Cold!
 

Nachdem ich im letzten Kapitel versprochen habe, dass bald Klarheit folgen wird, tritt diese nun in Kapitel 19 auch wirklich endlich ein.

Dieses Kapitel ist eine Art Wendepunkt in der Geschichte, die Einleitung des vorläufigen Endes sozusagen...
 

Viel Spaß beim Lesen!
 

Kirei
 

Chapter 19 – Cold
 

~~
 

„Und? Was sagst du?“

Die sah ihn erwartungsvoll an.

Der kleine Blonde ließ seinen Blick erneut über das Geschriebene schweifen, nickte dann. „Ein paar kleine Formulierungsschwächen, aber inhaltlich definitiv okay. Ne Eins wird’s wohl nicht, aber mit einer Zwei bis Drei kannst du allemal rechnen.“

Die grinste. „Mensch, meine Eltern kriegen nen Herzinfarkt, wenn ich ihnen mit einer Zwei ankomme.“ Ein leises Lachen. „Wir können ja noch ein paar Fehler einbauen, wenn’s zum Wohl deiner Familie ist...“

„Untersteh dich, ich habe gestern den halben Tag dran gesessen.“ „Soso, aber über mich schimpfen, wenn ich am Wochenende nichts Besseres zu tun habe, als meine Aufgaben gewissenhaft zu erledigen.“, stichelte Kyo, legte Dies Mappe beiseite.

Wie so oft zuvor saß er im Schneidersitz auf Dies Sofa, hatte seine vorbereiteten Aufsätze durchgesehen, hier und da kleine Fehler ausgebessert.

„Kyo? Hallo~“

„Hm?“ Der Angesprochene schreckte aus seinen Gedanken auf. „Was hast du gesagt?“ „Circa zehn Mal deinen Namen? Wo hast du heute deinen Kopf, das ist das dritte Mal, dass du mir nicht zuhörst.“

Kyo knabberte an seiner Unterlippe herum. Theoretisch sollte er Die einiges berichten. War es praktisch aber nicht besser, ihm wenigstens diese Sache zu verschweigen? Es ging schließlich...

„Ich will’s hören. Was hast du ausgefressen?“ Die grinste leicht, stieß ihn erwartungsvoll an. „Gestern Nacht war ich unterwegs. Ein bisschen um die Häuser gezogen..“, fing Kyo zögerlich an. „Und?“

Erzähl mir lieber, was ich noch nicht weiß...

„Na ja, ich sah schon ziemlich... extrem aus, du weißt ja, wenn ich mich aufstyle, dann richtig.“ „Okay. Wo liegt das Problem?“ „Ich bin auf dem Heimweg von so einem Typen angemacht worden. Der wollte mir an die Wäsche.“

Die starrte ihn entgeistert an. „WAS?“ „HE, ganz ruhig, er hat mir nichts getan. Toshiya... er ist aufgetaucht und hat ihn verscheucht. Bin - was das angeht - mit einem gehörigen Schrecken davongekommen.“

Ich wusste, es war ein Fehler, nicht weiter hinter ihm herzuschnüffeln. Jetzt konnte Toshiya wieder den Helden spielen. Toll.

„Toshiya war ziemlich sauer auf mich. Na ja, er hat mich den Abend über wohl beobachtet und.. es hat ihm nicht wirklich gepasst. Er hat mich angeschrieen, ich ihn...“ Die zwang sich zu einem Lachen. „Das hört man doch gern.“, witzelte er. „Aber wo bleibt die tolle Pointe?“

Kyo seufzte lautlos, fuhr sich mit den Fingern durch die Ponysträhnen. „Wir haben rumgeknutscht.“

Stille. „Okay...“, machte der Redhead und räusperte sich. „Ich fürchte, in dem Thema werde ich dich nie ganz verstehen. Wie ist da bitte der Umschwung von Streiten auf Knutschen zustande gekommen?“

„Wenn ich das so genau wüsste... Ich sagte lediglich, dass es mich ankotzt, nie zu wissen, was er eigentlich will. Und plötzlich... na ja.“ „Ich sollte aufhören, mich über den Mann zu wundern. Wenn du ihn nicht mal mehr verstehst.. Wie geht es jetzt weiter?“

Kyo sah Die fragend an. „Ich kann es dir nicht sagen. Nach einer Weile ist er gegangen. Er sprach noch davon, ich sei zu anziehend, als dass er seine Ziele verfolgen könne – danach hat er mich stehen lassen.“

Die stützte das Kinn in die rechte Handfläche, grübelte nach.

Zu anziehend, um seine Ziele zu verfolgen? Was zum Teufel will der Typ eigentlich von Kyo? Wieso lässt er ihn nicht endlich in Ruhe?

„Es tut mir leid, dass ich dich damit-“ „Stopp.“, unterbrach der Rotschopf Kyos Worte. „Das ist alles, was ich von dir erwarte, okay? Ich will einfach nur ehrlich informiert werden. Die Wahrheit hören. Mehr brauche ich nicht. Zieh dich nur nicht von mir zurück, weil du mich nicht verletzen willst. Damit würdest du mir viel mehr weh tun.“

Kyo musterte ihn lange nachdenklich.

Wenn ich dich nur irgendwie glücklich machen könnte... Aber es geht einfach nicht.
 

~~
 

Er hob die Hand an den schwirrenden Kopf.

Stechender Schmerz breitete sich an seinem linken Auge aus, pochte mit jeder Sekunde weiter, bis schließlich seine gesamte linke Gesichtshälfte eine Qual zu sein schien, entflammter, unerträglicher Schmerz.

Eine Weile brauchte Kyo, ehe er reagierte. Mit einem vernichtenden Blick schob er sich an der größeren Person vorbei, missachtete den gestotterten Ausruf seines Namens, ein undeutliches „Das wollte ich nicht..“

Auch die sanftere, weibliche Stimme, die ihm in den Flur folgte, wurde ignoriert. „Kyo, bitte...“ Noch während er seine Jacke anzog, traf er die Augen seiner Mutter. „Schatz, das war nicht-“ Kyo schloss die Lider, hoffte, das Feuerwerk, das vor seinem geistigen Auge immer weiter explodierte, möge endlich verstummen.

„Es ist okay. Du kannst nichts dafür.“, murmelte er tonlos und öffnete die Haustür. „Liebling, bitte bleib hier!“ Kyo blieb an die Tür gelehnt stehen, atmete tief durch. „Ich komme wieder. Vertrau mir.“, flüsterte er und ließ das Holz damit hinter sich ins Schloss fallen.

Er musste an die frische Luft, brauchte Raum zum Atmen – brauchte Stille, um gegen das tosende Meer seines Inneren anzukämpfen. Bevor...

Bevor ich am Ende durchticke und irgendetwas zerstöre...

Wind, Dämmerung empfingen ihn, begleiteten den Achtzehnjährigen, während er weiter die Straßen entlang schlenderte, die Gedanken wirr durcheinander wirbelnd. Kyo wusste nicht, was er wollte, wohin er wollte. Nur eins war ihm klar vor Augen: für den Moment so weit wie möglich aus seiner Welt zu entfliehen.

Eine Telefonzelle erreichte sein Blickfeld, ließ ihn zum Stehen kommen. Langsam, nur unsicher, betrat er den engen Raum, kramte ein paar Münzen zusammen, wählte fast automatisch eine Nummer.

„Ja?“

„Hey...“ Ein Murmeln, leise und undeutlich. Toshiya am anderen Ende der Leitung runzelte die Stirn, setzte sich im Sessel auf und schaltete das Fernsehgerät ab. „Kyo? Was gibt’s?“ Plötzlich schien der Wunsch, Toshiya zu sprechen, ihm von seinem Kummer zu berichten, verschwunden. Erloschen im Angesicht auf den desinteressierten Tonfall, der an sein Ohr gedrungen war.

„Ich...“ Ein langes Zögern. Toshiya verdrehte leicht die Augen. „Was ist, Kyo?“, wiederholte er, klang genervt. „Wenn du glaubst, das am letzten Samstag änderte irgendetwas, muss ich dich enttäuschen. Es hatte nichts zu bedeuten, okay?“

Kyo schluckte, biss sich auf die Unterlippe. „Entschuldige.“, brachte er hervor, es klang erstickt. Keine Sekunde später klickte es in der Leitung – die Verbindung war unterbrochen. Toshiya besah den Hörer verwundert, zog die Augenbrauen zusammen.

Er klang, als sei er den Tränen nahe...

Seine Gedanken waren berechtigt. Der Klang der Stimme, die Kyo so ungehalten auf die Tatsachen hingewiesen hatte, schien unerträglich. Er spürte seine Verzweiflung weiter in sich hochsteigen, wusste endgültig nicht mehr, was zu tun war. Kyo hatte nicht auf Toshiyas Verständnis gehofft, darüber war er sich im Klaren, doch die unmissverständliche Ablehnung war dennoch nur schwer zu akzeptieren.

Was mach ich nur? Zu Die kann ich so unmöglich gehen...

Der kleine Blonde spürte seine Beine erneut weich werden, die Kraftreserven schienen restlos aufgebraucht. Mit einem hoffnungslosen Seufzer ließ er sich auf dem Boden nieder, die Knie angezogen, und hielt sich den schmerzenden Kopf.

Das kann eine heitere Nacht werden.

Es war nicht viel später, als die Tür zur Telefonzelle aufgezogen wurde. Kyo hob den Blick leicht an, blinzelte überrascht. Die Person, die nun gegen den Rahmen lehnte, milde lächelte, musterte ihn unauffällig.

„Ich hätte es wissen müssen.“, brummte sie mehr zu sich selbst, ehe sie vor Kyo in die Hocke ging und ihm ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht strich, sein Auge genauer besah. „Warum hast du es denn nicht gleich gesagt, Kyo? Das ist doch etwas ganz anderes.“

Kyo wich dem Blick aus, schüttelte leicht den Kopf, um die Gesichtshälfte wieder mit Haaren zu verdecken. „Ich – ich kam mir plötzlich so dumm vor.“, sagte er leise. Toshiya seufzte und entgegnete: „Es war unbedacht, dich gleich anzufahren. Komm.“ Er stand auf, zog Kyo sanft auf die Beine.

„Wohin?“ Ein angedeutetes Lächeln. „Nun, nach Hause möchtest du sicherlich nicht...?“ Ein ungläubiger Blick. „Jetzt komm. Bevor ich es mir anders überlege.“ Innerlich verfluchte Toshiya sich; dennoch zog er den Kleineren vorsichtig mit sich zu seinem Auto, das nicht weit entfernt in einer Parklücke stand...
 

~~
 

„AUA!“

Ein leises Auflachen.

„Ach, sonst hilft das nicht, Kyo-chan.“ Toshiya grinste, lockerte den Druck ein wenig, den der Eisbeutel in seiner Hand auf Kyos Schläfe ausübte. Ein leidender Blick war die Antwort. „Wo ist da die Logik? Ob du mir den Eisbeutel nun an den Kopf knallst oder ihn sanft dranhältst...“

Das Grinsen nahm nicht annähernd ab. „Seit wann so wehleidig? Sonst kann’s doch auch nicht hart genug sein...“ Die Miene wandelte sich in Empörung. „Du-“

Toshiya lächelte und betrachtete Kyos linke Gesichtshälfte wieder. „Ich fürchte, das gibt eine schöne Schwellung, blau, grün, alle erdenklichen Farben..“ Frustriertes Seufzen. „Ja, so fühlt es sich an.“, grummelte Kyo und schlug die Augenlider nieder. „So kann ich doch nicht in die Schule, Die wird einen Anfall kriegen...“

Toshiya führte Kyos Hand an das Eis, schob ihn dann hinüber zum Sofa. „Setz dich erst mal. Wenn – wenn du nicht weißt, wohin du gehen sollst, kannst du vorerst hier bleiben. Aber ich warne dich, erwarte nicht, dass ich mich großartig um dich kümmere, ich bin momentan sehr beschäftigt.“

Kyo sah ihn lange nachdenklich an. „Warum, Toshiya? Warum hilfst du mir immer noch?“ „Ich bin dein Wächter.“ Der große Dunkelhaarige setzte sich zu ihm, griff nach seiner Zigarettenpackung. „Auch?“ „Gerne.“

Kyo stieß ein wenig Rauch in die Luft, schloss die Augen für eine Weile. Erst, als sie wieder aufflammten, kam die Antwort auf Toshiyas Worte: „Das verpflichtet dich nicht, mich bei dir aufzunehmen.“

„Ich weiß.“ Toshiya überlegte, wog seine Gedanken ab. „Ich bin kein Mensch, dem man trauen sollte. Inzwischen müsstest du mich soweit kennen gelernt haben, dass du dem zustimmen kannst. Ich spiele gerne mit den Menschen in meiner Umgebung, es bereitet mir Freude, Herzen zu brechen, weil es mir beweist, wie leicht es mir fällt, andere für mich zu gewinnen. Aber das bedeutet nicht, dass du mir gleichgültig bist. Ich mag dich, sehr sogar. Auch, wenn ich dabei nicht gerade mit bestem Beispiel vorangehe, kann ich es nicht leiden, wie andere dich behandeln. Paradox, da meine Art auch nicht unbedingt löblich ist, doch darum geht es jetzt nicht. Ich werde versuchen, dir immer zu helfen, wenn andere dir weh tun. Du weißt also, dass meine Tür in Zeiten des Kummers immer offen stehen wird. Nur mit meinen Gefühlen wirst du nie rechnen können.“

Kyo nickte langsam, beugte sich vor, um an den Aschenbecher zu kommen.

Das ist unsinnig und widersprüchlich. Einerseits macht es dir Spaß, mir weh zu tun, wenn andere es aber tun, wirst du wütend und hilfst mir. Tatsächlich paradox. Und doch bist du der Einzige, auf den ich mich wirklich verlassen kann. Du bist wenigstens so ehrlich, mir zu sagen, was ist. Und was nicht.

Das Telefon klingelte, riss beide aus ihren Gedanken. Toshiya griff danach, hob im nächsten Augenblick die Augenbrauen. „Nishimura-san?“, fragte er, suchte dabei Kyos Blick. Dieser fuhr mit der Fingerspitze waagerecht seinen Hals entlang.

Nicht begeistert, aber überzeugend erklärte Toshiya daraufhin seiner Gesprächspartnerin: „Tut mir leid. Er ist hier bisher nicht aufgetaucht.“ Eine Pause folgte. Mit liebenswürdiger Stimme setzte der Ältere erneut an: „Nein, machen Sie sich keine Sorgen. Er wird sich mit Sicherheit noch melden, egal, wo er ist. Bitte, es geht ihm bestimmt gut, wirklich. Kyo weiß, was er tut. Ja. Sicher, richte ich aus, wenn er herkommen sollte. Ja... Baibai.“

Kaum, dass er aufgelegt hatte, seufzte Kyo lautlos, drückte seine Zigarette aus. „Ich rufe sie später an.“, versicherte er tonlos. „Sie macht sich Sorgen.“ „Das weiß ich. Aber ich kann nicht.. nicht jetzt gleich. Ich – ich könnte sie jetzt nicht beruhigen und ihr erzählen, alles sei in Ordnung.“

Toshiya sah ihn mitleidig lächelnd an. „Ich verstehe dich schon. Was ist überhaupt passiert?“ „Sie haben sich gestritten, dieses Mal unglaublich heftig. Ursprünglich wollte ich mich raushalten, doch er schrie immer lauter und... sie braucht doch Ruhe. Wie soll sie gesund werden, wenn er sie so behandelt?! Also habe ich mich doch eingemischt – das Resultat werden wir spätestens morgen früh sehen. Kaum zu fassen, wie der zuschlagen kann, mein Kopf dreht sich scheinbar immer noch...“

„Was hast du jetzt vor? So kann es doch nicht weitergehen.“ Kyo schüttelte langsam den Kopf. „Nein. Ich muss endlich Konsequenzen ziehen. Nur leider habe ich keine Ahnung, wie das aussehen soll. Es ist unmöglich, sie mit ihm allein zu lassen.“

Toshiya sah ihn aufmerksam an. „Also willst du weiter bei ihnen bleiben?“ „Ja.“ „Er wird dich kaputtmachen. Auf Dauer.“ Kyo zwang sich ein Lächeln auf die Züge. „Das bin ich doch längst.“ „Sag so etwas nicht.“ Der Jüngere atmete tief ein, deutete auf seine Brust. „Wie sonst soll ich es mir erklären, dass es nicht einmal mehr weh tut? Klar, mein Kopf, aber... in mir. Da ist alles taub. Leer.“

Kyo wandte den Blick ab, legte den Eisbeutel auf dem Tisch ab.

Und schon ist es passiert. Jetzt bist du ganz erfroren, Kyo-chan. Ich hatte dich gewarnt...

„Vielleicht solltest du dich hinlegen. Das Grübeln tut deinem Kopf nicht gut.“ Ein stummes Nicken. Toshiya erhob sich, ging vor dem Kleineren her in das altbekannte Schlafzimmer. Er reichte Kyo ein Hemd, das zweifellos ihm gehörte. „Das liegt hier schon die ganze Zeit rum... Ich wusste, warum ich es dir nicht vorbeigebracht habe.“, erklärte er mit einem angedeuteten Lächeln.

Kyo sagte nichts, wieder einmal schien er mit seinen Gedanken zu weit abgeschweift, um noch vollkommen anwesend zu bleiben. „Ich... wenn du morgen aufwachst, bin ich vermutlich nicht mehr hier. Bleib, so lang du willst. Vielleicht sehen wir uns morgen Abend ja noch. Ach ja – und ruf deine Mutter bitte noch an.“ Toshiya ging zur Tür, nahm Kyos erneutes Nicken nur aus dem Augenwinkel war.

„Versuch zu schlafen.“ „Toshiya?“ „Hm?“ „Danke.“ Ein weiteres Lächeln. „Das bin ich dir wohl schuldig.“ Damit schloss sich die Tür, ließ Kyo somit allein in dem großen Raum zurück. Der Achtzehnjährige sah sich seufzend um.

Wie kalt und leer dieses Zimmer ohne Toshiyas Nähe wirken konnte – es war kaum zu glauben...
 

~~
 

„So. Er ist also bei dir?“

„Ja.“

„Schläft seelenruhig in deinem Bett?“

„Er war erschöpft.“

„Kaum fassbar, wie viel Vertrauen er noch immer in dich setzt.“ Ein gefälliges Lächeln. „Ich hätte dir nicht zugetraut, ihn so in der Hand zu haben. Bedenkt man, wie du ihn behandelst, ist es unvorstellbar, dass er dir weiter aus der Hand frisst.“

„Ich weiß.“

Ein Blinzeln. „Wir sind nicht gesprächig heute, wie? Nimmt dich das Schicksal unseres armen Auserwählten so mit?“ Die im Spott versteckte Rüge schien seine Sinne wachzurütteln. „Wie? Nein, natürlich nicht, Meister. Ich war nur in Gedanken...“

„Berichte mir von deinen Gedanken.“ „Ich – ich überlegte.. Warum sollten wir die Flügel vernichten? Wäre es nicht viel – viel... effektiver, sie auf unsere Seite zu ziehen? Ihre Macht für unsere Zwecke zu kontrollieren? Ich denke, ich würde das hinbekommen, wenn Ihr also genug Vertrauen in mich setzt-“

„Kein weiteres Wort. Wage es nicht.“ „Aber Meister-“ „Ich forderte dich auf zu schweigen.“ Es klang so scharf, dass die jüngere Stimme verstummte. „Entschuldigt.“ „Mein Guter. Wir hatten diese Diskussion schon einmal, erinnerst du dich? Ich dulde diese Eskapaden mit der Gegenseite nicht, VERSTEHEN WIR UNS?“

Ein Zusammenzucken. „Jaah.“ Gemurmelt. „Ich habe dich nicht ganz verstanden, wie war das?“ „Ja, Meister.“ Der Zorn in den blassen Zügen verblasste, wandelte sich in ein kühles Lächeln.

„Siehst du.“, machte er, zog die zweite Gestalt zu sich heran. „Es ist alles viel einfacher, wenn du auf mich hörst, nicht wahr?“ „Natürlich, Meister.“

Zufriedenheit. „Vergiss nie, wem deine wahren Gefühle gehören. Dann kannst du nichts verlieren.“ „Meine Treue gehört Euch, Meister.“ Es klang kraftlos, der Wunsch zu kämpfen schien endgültig verloschen.

„Dann sind wir uns ja einig, Toshiya...“
 

~~
 

Ein zierliches, tonloses Seufzen, als er sein Zimmer betrat, einen Blick auf die schlafende Gestalt warf. Der junge Mann setzte sich an die Bettkante, fuhr liebevoll durch das Blondhaar. Er betrachtete die sorgvoll gerunzelte Stirn des jungen Gesichts.

Keine Bange, Kyo. Bald wird alles vorbei sein. Alles.

Stunden später, in derselben Nacht. Kyo lag längst wieder wach, der leichte Schlaf, in den er kurzweilig gefallen war, hatte sein Ende gefunden. Sein Kopf, in dem es nun unaufhörlich hämmerte, machte ihm zu schaffen. Sein Kopf und die Kälte, die immer weiter in ihm hochkroch.

Es war eine kühle Dezembernacht, doch es musste die Tatsache sein, dass Toshiya neben ihm lag und doch so weit entfernt von ihm schien, die die Kälte so enorm steigerte. Kyo wusste nicht, wann Toshiya des Nachts heimgekehrt war, er hatte ihn nicht bemerkt. Doch inzwischen füllte zumindest seine Anwesenheit den Raum aus.

Mit einem Seufzen drehte Kyo sich auf die andere Seite, in der Hoffnung, vielleicht so den dringlichst erwünschten Schlaf zu finden.

„Du solltest schlafen.“

Eine leise, unerwartete Feststellung.

Kyo sah Toshiya fragend an. Ihm war nicht bewusst gewesen, nicht der einzige Schlaflose zu sein. „Du auch.“ Ein abwesendes Lächeln. „Ich brauche nicht viel Schlaf.“

Ein leichtes Frösteln, Kyo warf einen Blick auf das Fenster. Trotzdem es geschlossen war, schien es die winterliche Kälte hereinzulassen. „Du frierst?“ Als Frage gestellt, dennoch mehr eine Feststellung. Kyo verzog kaum merklich das Gesicht. „Es ist kalt.”

Eine Weile herrschte Schweigen, einerseits nachdenklich, jedoch nicht weniger gezwungen. „Komm schon her.” Ein irritiertes Blinzeln, an Toshiya gerichtet. Er wusste nicht, wie dieser Umschwung gekommen war, der ihn wenig später in den Armen des Älteren liegen ließ, einfach nur, um der inneren Kälte zu entkommen. Doch die Tatsache, dass Toshiya inzwischen mehr Wärme ausstrahlte als er, war bedenklich.

Es tat gut, die Nähe des Menschen zu verspüren, der einem mehr als alles andere bedeutete, doch Kyo konnte es nicht genießen. Keine Illusionen mehr, er wollte sich keiner unnützen Hoffnung hingeben. Diese Hoffnungslosigkeit war es, die sein Herz hart und schmerzvoll gegen seine Rippen hämmern ließ.

Mit einem erneuten, diesmal lautlosen Seufzen schloss Kyo Augen, betete, nur möglichst schnell in den erlösenden Schlaf zu fallen, der Situation entkommen zu können.
 

~~
 

You were the love I’ve always dreamed of

Now I know, I walked away too soon

No matter how far away you are

I'll be there, high upon the moon

Shining over you... [1]
 

~~
 

tbc
 

~~
 

[1] - Auszug aus Hyde's "Shining Over You"

zakuro

So, da wir uns langsam dem Ende nähern, wird natürlich wieder etwas mehr Wert auf die Cliffhanger gelegt... xD Verzeiht mir das.

An dieser Stelle will ich gar nicht zu viel quatschen, ich wünsche euch einfach viel Vergnügen mit Kapitel 20 - zakuro..
 

Chapter 20 – zakuro
 

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Die hob überrascht die Augenbrauen, als direkt an der Hauswand eine ihm bekannte Gestalt in seinem Blickfeld auftauchte. Er beschleunigte seinen Schritt, kam an der Haustür zum Stillstand.

„Kyo? Wieso warst du nicht in der Schule?“, begrüßte er seinen Freund leicht verwundert, musterte ihn fragend. Wieso der kleine Blonde im frühen Dezember eine Sonnenbrille auf der Nase trug, musste er nicht verstehen, dem war er sich gewiss.

Kyo hob den Blick nur sachte an. „Können wir im Haus darüber reden?“, fragte er zögerlich. „Eh, klar.“ Dies Verwirrung stieg, während er die Tür aufschloss, Kyo in die warme Wohnküche geleitete.

Erst, als sie gemeinsam auf der Eckbank an der Theke saßen, wiederholte Die seine Frage. Er fügte noch grinsend hinzu: „By the way, wir haben Winter – und die Sonne scheint hier in der Küche selbst im Sommer nicht.“ Kyo schien mit sich selbst zu ringen, setzte die Sonnenbrille schließlich jedoch ab und schüttelte leicht den Kopf, um die vor Blicken schützenden Haare aus dem Gesicht zu vertreiben.

Schweigen regierte die folgenden Augenblicke. Der Redhead sah ihn sprachlos an, visierte Kyos linke Gesichtshälfte, die sich am Auge bläulich gefärbt hatte, einen Schimmer von Violett aufwies – nur am Rand zeichnete sich die Verletzung leicht grünlich ab.

„W-Wer... wer zum Teufel war das?“, brachte der Ältere letztendlich hervor. Kyo schwieg eisern weiter. „Doch nicht etwa – Toshiya?“ „Was?! Natürlich nicht.“ Plötzlich schien das Leben in ihn zurückgekehrt zu sein. Kyo verneinte strikt, atmete tief durch, ehe er zu einer Erklärung ansetzte:

„Toshiya würde mir nie einfach so ins Gesicht schlagen. Nein, diesen schönen Lidschattenersatz habe ich meinem Vater zu verdanken.“ „WAS?“ Dies Miene wurde immer ungläubiger. „Aber.. wieso-“ „Er hatte scheinbar verdammt schlechte Laune.“ „Bitte? Deswegen wird er dich wohl kaum geschlagen haben, oder?!“

„Nein.“ Kyo rieb sich vorsichtig die Stirn. „Er hat Streit mit meiner Mutter angefangen. Ich wollte sie schützen, ihr helfen – wie immer. Nun, dieses Mal habe ich definitiv die falsche Karte gezogen.“

Die sah den Jüngeren unsicher an, wusste nicht, was zu sagen oder tun war. „War es das erste Mal?“ Kyo schüttelte wieder den Kopf. „Das erste Mal seit langem, sagen wir es so. Als ich noch klein war, musste ich in der Schule sehr oft lügen, woher die ganzen blauen Flecken und Blutergüsse kamen. Aber eines Tages reichte es meiner Mutter, sie hat sich endlich, nur dieses eine Mal, durchgesetzt und ihm klar gemacht, dass sie ginge, sofern er mich nochmals so zurichtete. Danach ging es lange Zeit gut. Okay, in den letzten Monaten gab es wieder verstärkt hier mal ne Ohrfeige oder da eine rein, aber so... Nun, die Schule musste ich aufgrund sichtbarer Schläge schon ziemlich lange nicht mehr schwänzen.“

Big Red fuhr sich durchs Haar, ächzte kaum hörbar. „Scheiße mann, wieso höre ich das jetzt erst?! Okay, ich wusste, bei dir läuft es nicht so gut, aber-“ Kyos Mundwinkel verzogen sich zu einem freudlosen Lächeln. „Wo wir momentan doch ohnehin schon in der Wahrheitsphase stecken... da wollte ich dir das auch nicht mehr verheimlichen.“

Er trommelte mit den Fingerspitzen auf dem Rand der Küchentheke herum, rastlos. Bis Dies Frage ihn zurück in die Wirklichkeit holte. „Wie ging es dann weiter gestern?“ „Bin davongelaufen. Wie immer, wenn ich nicht mehr weiter weiß.“ „Nun komm, das ist ja wohl mehr als verständlich!“

Es klang so entrüstet, dass Kyos leere Miene doch ein angedeutetes Lächeln schmückte. „Und danach? Du hast doch nicht etwa im Freien gepennt?“

„Nein. Ich bin – ebenfalls wie immer – zu Toshiya gerannt und habe mich ausgeheult. Mehr oder weniger zumindest.“ Die blinzelte, nun vollends verwirrt. „Ernsthaft? Und – er hat dich nicht gleich abserviert?“

„Im Gegenteil. Anfangs dachte ich, er ließe mich hängen, doch Toshiya hat mich tatsächlich bei sich übernachten lassen, sich um mich gekümmert und... ja, ich glaube, er hat mich sogar getröstet.“ Kyo fuhr mit der Zungenspitze sein Lippenpiercing entlang, vollkommen in seine Erinnerungen versunken.

„Ich verstehe den Typen absolut nicht. Wenn es ihm so viel Freude bereitet, auf deinen Gefühlen herumzutrampeln, ist es doch unlogisch, dir nun wieder zu helfen.“ Kyo hob die Augenbrauen, setzte zu einer Erklärung an: „Bis gestern ging es mir ebenso. Aber ich kapiere jetzt, wo der Unterschied liegt. Es geht um das >Wer<. Toshiya ist scheinbar der Ansicht, er könne es sich erlauben, mir weh zu tun, es macht ihm wohl sogar Spaß. Doch das gestern ging nicht von ihm aus. Ich schätze, es macht ihn wirklich wütend, wenn andere Menschen mein Wohl gefährden – sobald es nicht mehr er ist, der mir das Leben schwer macht, bekommt er Mitleid mit mir. Vollkommen verrückt, ich weiß.“

Die grinste gezwungenermaßen. „Bin froh, dass du es jetzt mal selbst gesagt hast.“, merkte er an, streckte zaghaft die Hand nach Kyos Gesicht aus, um vorsichtig über die Verfärbung zu streichen. „Tut’s doll weh?“

Kyo zuckte die Achseln. „Die Schmerztabletten in Toshiyas Medizinschrank sind echt spitze. Möchte nur nicht wissen, wie es mir geht, wenn die nachlassen...“

„Komm her. Du kannst bei uns einziehen, meine Eltern haben bestimmt nichts dagegen-“, setzte Die plötzlich an, doch Kyo widersprach ihm bereits. „Die, ich kann nicht alle paar Tage von A nach B laufen. Ich werde vielleicht heute Nacht noch bei Toshiya bleiben, doch dann geht es zurück nach Hause. Es hat keinen Zweck, abzuhauen und Gras über die Sache wachsen zu lassen – ich muss mich dem Problem stellen.“

„Aber...“ Die unterbrach sich selbst, abgelenkt von dem Schmetterling, der vor ihnen in der Luft auf- und abtanzte. „Mann, du störst.“, machte er genervt. „Hey, das Vieh ist immer da, wenn’s mir dreckig geht, ne.“, lachte Kyo gequält und hob den Handrücken. Wie erwartet ließ der Schwalbenschwanz sich darauf nieder, bewegte die Flügel nur noch sachte auf und ab.

„Der Kleine klebt immer an mir, manchmal ist es echt tröstend, ihn zu sehen.“, meinte Kyo nachdenklich, die Augen weiter auf das zarte Tier gerichtet. „Sicherlich.“, lenkte Die ein. „Worum es mir nur geht: Willst du echt wieder heim? Zu deinem Vater?“

Kyo Lichter flackerten kurz hinüber zu ihm. „Gehe ich jetzt, verlasse ich mein Zuhause, obwohl ich es nicht will. Soll ich mich vertreiben lassen, obwohl nicht ich es bin, der den Streit provoziert? Nein. Ich lasse mich nicht klein kriegen, da kann er noch so harte Geschütze auffahren.“ Die stöhnte unterdrückt. „Dammit, deinen Kampfgeist möchte ich haben. Es ist unglaublich, was du alles unter einen Hut bekommst. Wie zum Himmel machst du das?“

„Ach Die... Sieh nicht immer nur meine Vorzüge. Ich habe oft genug Phasen, in denen ich nicht mehr kann – und ungerecht werde ich auch immer wieder. Mit mir auszukommen kann echt nervenaufreibend sein, aber was erzähle ich dir das..“ Kyo grinste leicht, es war kein echtes Grinsen, doch Die bewunderte ihn schon für die Tatsache, dass er es versuchte.

Mein Kyo.. wenn ich dir nur helfen könnte. Doch es tun sich immer mehr Abgründe auf, die mir alle Mittel nehmen. So ein Mist!
 

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„Tut’s noch sehr weh?“ Ein mildes Lächeln, unterstrichen von einem Kopfschütteln. „Iie, kaum noch. Man sieht es zwar noch recht gut, doch der Schmerz hält sich in Grenzen.“ Kyo senkte den Blick auf seine Füße, die einige Zentimeter über dem Erdbeben baumelten. Er saß auf der Schulmauer; seit der Unterricht vor wenigen Minuten sein Ende gefunden hatte, verweilten die zwei Jungen gemeinsam an jener Stelle; Kyo, weil er keinen Drang verspürte, sein Heim aufzusuchen, und Die, um Kyo nahe zu sein, ihm mit aller möglichen Kraft zu helfen.

„Und du lebst jetzt allen Ernstes weiter zu Hause?“ „Was sollte ich sonst tun? Ich sagte schon einmal: Ich habe es satt, vor meinem Leben wegzulaufen.“ Kyo entzündete eine Zigarette, die er seinem besten Freund zuvor abgenommen hatte, und inhalierte den beruhigenden Rauch.

Plötzlich jedoch schien seine Aufmerksamkeit sowohl von der Zigarette als auch von Die abzuschweifen, als ein dritter Schatten zu ihnen trat. Mit weiten, fragend geöffneten Augen musterte er Toshiya, der matt lächelte, sich neben ihn lehnte.

„Hey.“ Auch Die traf den Blick des Ältesten, sie nickten einander zu, schweigend, doch ohne Feindseligkeit. „Was machst du hier?“, wunderte Kyo sich und legte den Kopf leicht schief. „Wie geht es dir?“, stellte Toshiya eine Gegenfrage, ohne auf Kyos Worte einzugehen.

„Ganz okay, tut kaum noch-“ Das Lächeln des Dunkelhaarigen unterbrach ihn. „Wie es deinem Gesicht geht, sehe ich, Kyo-chan. Ich wollte in Erfahrung bringen, wie es zu Hause läuft.“

„Lala. Meine Mam ist in Dauersorge, sie tut mir echt leid... und er – na ja, er behandelt mich reserviert, aber vorsichtig. Ich komme mir vor, als würden mich alle nur noch mit Samthandschuhen anfassen...“ „Besser als mit der Mörderfaust neulich.“, kommentierte Toshiya düster. Seinen Zügen war zu entnehmen, wie groß der Groll war, den er gegen das Handeln des Familienvaters hegte.

Die sah ihn nachdenklich an, machte für sich aus, nur dieses eine Mal seine Meinung in Toshiyas Worten wieder zu finden. Ungewöhnlich genug, doch es erleichterte ihn, nicht noch einen weiteren Grund auferlegt zu bekommen, Toshiya zu hassen.

„Da liegt noch ein Buch auf meinem Nachttisch herum, gehört definitiv nicht mir..“ Kyo runzelte die Stirn. „Hast du es mitgebracht?“ „Hol’s dir doch.“ Toshiya grinste schief und stieß sich von der Mauer ab. „Ich bin jedenfalls anwesend heute..“

Verschwunden, so plötzlich, als sei er mit einem Liderzucken von der Bildfläche gerannt. Kyo wechselte einen fragenden Blick mit Die. „Hat er gerade so etwas wie eine indirekte Einladung verlauten lassen?“ Der Redhead nickte langsam. „Scheint so, als wolle er dich unbedingt da haben heute Abend.“

Und schon wird er mir wieder um zig Level unsympathischer. Was hat er jetzt schon wieder vor? Kyo erneut benutzen, um seine Bedürfnisse zu befriedigen?

„Ich weiß genau, was du jetzt denkst.“ Kyos Stimme holte den Rotschopf zurück in die Wirklichkeit. „Hmm?“ „Ich weiß nicht, was Toshiya will. Aber ich schätze, ich sollte es herausfinden...“

Dies Lippen verzogen sich zu einem freudlosen Lächeln. „Du wirst zu ihm gehen und er... er wird dich einmal mehr ausnutzen und mit dir spielen.“ Es klang so bitter, dass Kyo unwillkürlich fröstelte. Der Achtzehnjährige hob die Hand, strich über Dies Wange. „Vertrau mir. Ich passe auf, was ich tue.“

„Das kannst du ja doch nicht, wenn es um ihn geht.“ Kyo seufzte lautlos. „Ich habe auch zwei Nächte bei ihm verbracht, ohne mich in irgendwelche Dummheiten verwickeln zu lassen, ne. Immer schön dran denken.“ „Ich mache mir nur Sorgen.“

„Danke, Die. Ich weiß das echt zu schätzen, doch..“ „Ich weiß, du gehst trotzdem. Habe nichts anderes erwartet oder verlangt.“ „Und dennoch wäre es dir lieber.“ Die setzte ein Grinsen auf, unecht und kaum glaubwürdig. „Mir wären einige Dinge anders lieber.“, verkündete er mit einem witzelnden Ton, den Kyo ihm nicht abnahm.

„Die...“, machte er bittend und knabberte auf seiner Unterlippe herum, unschlüssig. „Jaa~, tut mir leid. Vergiss, was ich sagte.“ „Sicher nicht. Vergiss lieber, wo ich heute hingehe, bevor ich dir den Nachmittag versaue.“

Kyo erhob sich von seiner Sitzgelegenheit, zog seine Jacke zurecht, ehe er sich wieder zu Die umwandte. „Ich muss langsam heim, sie wird sich Sorgen machen.“ Big Red nickte zustimmend. „Okay. Dann bis morgen – und hey: Keine neue Katastrophe mehr diese Woche, wie?“ Kyo zwang sich ein kurzes Lachen heraus, trennte sich von seinem besten Freund und schlug den Weg heim ein.

Ach Die... Was soll das bloß werden...?
 

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„Wieso nur wusste ich, du würdest auftauchen?“

Kyo lächelte angedeutet und trat ein, drehte sich sofort zu Toshiya um.

„Du wolltest es so.“ Ein leichtes Nicken. „Erkannt.“ „Worum geht es?“ Die Miene des Älteren zeigte Verwirrung. „Na-“ „Ich bitte dich. Kein einziges meiner Bücher liegt noch hier – denkst du, ich hätte dir das abgekauft?“

Toshiya konnte sich ein amüsiertes Grinsen nicht verbieten. „Und dennoch kommst du hierher? In die Höhle des Löwen?“ „Der Löwe hat mich längst gefressen, was soll mir noch passieren?“

Es klang ernst, sodass die Worte ihre spottende Atmosphäre nicht entfalten konnten. „Also, was willst du mir sagen, was Die nicht hätte hören dürfen?“ Kyo vergrub die Hände in den Jackentaschen, ließ Toshiya nicht aus den Augen.

„Ich möchte dir nichts sagen.“, erkannte jener daraufhin, steckte sich eine Zigarette an. „Deine Anwesenheit hat dem Raum hier einfach gefehlt.“

Ein Blinzeln, das Überraschung ausdrückte. „Wie...?“ Toshiyas Lächeln wirkte abwesend; er sank in seinen Sessel und musterte Kyo nun seinerseits, wie er sichtlich verständnislos ein paar wenige Schritte von ihm entfernt stand, unsicher erschien.

„Das Leben eines Wächters ist sehr leer. Keine Freunde, die man einweihen darf, keine Beziehungen, um niemanden zu gefährden. Auch mein Leben war sehr leer, ehe es dich gab. Du hast es zum ersten Mal seit sehr langer Zeit geschafft, es zu füllen – das fehlt jetzt. Ich hatte mich daran gewöhnt.“

Die Sätze, so klar und verständlich gesprochen, verwirrten Kyo eindeutig noch mehr. Er setzte sich nur zögerlich Toshiya gegenüber, wog seine Worte gut ab. „Du weißt, ich fahre damit gern fort.“, erklärte er schließlich leise.

Ein mattes Grinsen. „Das ist unmöglich. Oder glaubst du, zwei Eiswürfel könnten einander auf Dauer wärmen?“ Kyos Blick richtete sich wieder auf ihn. „Du bist kein Eiswürfel.“ „Nein, seit ich dir deine Wärme genommen habe, bin ich das nicht mehr. Doch ich kann dich nicht glücklich machen, das wissen wir im Prinzip beide. Du bräuchtest jemanden, der dich wirklich liebt. Aufrichtig und ernsthaft. Einen Menschen, der alles für dich täte. Ich kann keins dieser Dinge übernehmen.“

Toshiya überschlug die Beine, trank sanft von seiner Zigarette. „Wer ist es dann?“ Kyos Frage brachte den großen Dunkelhaarigen zum Stirnrunzeln. „Wer ist was?“ Kyo richtete den Blick auf seine Hände. „Ich weiß schon lange, du liebst nicht mich. Doch du hast Gefühle in dir, du handelst zu emotional und unbeherrscht, um das abzustreiten.“

Toshiya seufzte kaum hörbar. „Möchtest du mich das ernsthaft fragen?“ „Ja.“

Du kleiner Masochist. Wieso tust du dir selbst so unnötig weh?

„Also gut. Es gibt da jemanden. An diese Person kommt niemand ran, keiner kann ihr das Wasser reichen. Nicht einmal du.“ Kyo spielte mit seinem Silberring, ohne Toshiya dabei außer Acht zu lassen. „Wer ist diese Person? Kenne ich sie?“

„Nein.“ „Was ist so besonders an ihr?“ Toshiya gab seiner Kippe gelassen den Todesstoß, sich Kyos aufmerksamen Augen wohl bewusst. „Er lässt mich nicht an sich heran. Gibt mir das Gefühl, mich prinzipiell nicht zu brauchen – dennoch bin ich seine größte Vertrauensperson. Er ist unglaublich klug, stilvoll und ruhig... Genau genommen behandelt er mich in gewisser Weise nicht anders als ich dich.“

„Toshiya fügt sich einem anderen Menschen?“ Kyo legte den Kopf zurück, sah dann wieder hinüber zu seinem Gesprächspartner. „Also gibt es doch eine Möglichkeit, deine Gefühle einzufangen. Ich habe einfach den falschen Weg gewählt...“

„Nein. Du bist der falsche Mensch.“ Kyo fuhr nachdenklich mit der Zungenspitze über seine Unterlippe. „So, wie du von ihm sprichst, habe ich den Kampf wohl schon lange verloren. Ich hoffe, du verzeihst mir, wenn ich dennoch nicht aufgebe.“

„Du zerstörst dich selbst.“ „Das ist mir gleich. Ich kann nicht behaupten, dass es in ein paar Monaten auch noch so sein wird, doch ich kann dich nicht loslassen. Nicht jetzt. Das liegt vorrangig an der Tatsache, dass ich es nicht will. Du bist der einzige Mensch in diesem verdammten Leben, der mich je wirklich glücklich gemacht hat. Ich bleibe nicht einfach stehen und sehe zu, wie mein Glück wieder in den nächsten Zug steigt und mich im Dunkeln zurück lässt.“

Toshiya suchte den Blick des Jüngeren, hielt ihm mühelos stand. „Das ist verständlich. Doch Gefühle wirst du nie erzwingen können. Sie sind nicht da, so sehr ich dich auch schätze.“ „Das reicht mir.“, antwortete Kyo leise. „Ich will einfach nur in deiner Nähe sein, das ist alles, was ich brauche.“

Toshiya erhob sich von seinem Platz, stützte die Hände links und rechts an den Armlehnen des Sessels ab, in dem Kyo saß. „Nein.“, flüsterte er ihm ins Ohr. „Es reicht dir eben nicht. Wenn du ehrlich bist, hoffst du darauf, ich könnte auf den Einfall kommen, dich wieder einmal in meinem Bett haben zu wollen. Und was ist dann? Dann hattest du deine Nähe für eine Weile – und wirst sie wieder haben wollen. Doch so oft sich dieses Spiel auch wiederholen möge, es wird nie reichen. Du wirst nie genug bekommen, da dir mein Herz nie gehören wird. Soll ich dich also weiter benutzen, wann es mir beliebt? Ich habe damit kein Problem, Kyo-chan. Mir schadet es nicht. Es ist dein Herz, das mit jedem weiteren Moment der Nähe mehr zerbricht. Ich habe dieses Spiel aus Rücksicht beendet, weil du mir viel zu sehr ans Herz gewachsen bist, um dich weiter zu quälen. Willst du es also wirklich erneut beginnen?“

Kyo sah auf in das Gesicht, das dem seinen so nahe war. Der Gesichtsausdruck des Älteren war undeutbar, sagte nichts über sein Inneres aus. „Ich – ich... so viel Nähe brauche ich nicht-“ „So?“ Ein erneutes Flüstern. Toshiya hatte sich zu ihm gesetzt, seine Hand im Nacken des Achtzehnjährigen platziert, ihn mittels jener Hand dichter zu sich gezogen.

„Und jetzt..“, begann er ruhig, „sage mir, du würdest mich von dir stoßen.“ Kyo schluckte innerlich, senkte den Blick. „Okay. Okay, ich kann es nicht. Zufrieden?“ Toshiya zog seine Hand zurück, lächelte mitleidig. „Nein, weniger. Alles, was ich möchte, ist, dass du dir über die Ausmaße im Klaren bist. Du wärst nicht der Erste, der meinetwegen fällt. Wirf mir nicht irgendwann vor, ich hätte dich zerstört – ich habe dir oft genug gezeigt, wer ich bin. Wie ich bin.“

Kyo nickte langsam. „Ich habe schon lange erkannt, wer du bist. Dennoch will ich nicht aufgeben. Ist das Antwort genug?“ Ein flüchtiger Kuss erreichte seine Lippen. „Du bist dumm, Kyo. Schrecklich dumm...“ „Und wenn schon.“, war die gemurmelte Antwort. „Ich war nie glücklich. Momentan bin ich wenigstens zeitweise etwas in der Richtung..“

Eine Weile schwiegen sie einander an, so nah – und doch in Gedanken völlig fern.

„Erlaube mir noch eine Frage.“ Toshiya richtete den Blick wieder zu ihm. „Wie kannst du mit anderen Menschen Beziehungen eingehen, solange du ihn liebst? Das ist nicht als Vorwurf aufzufassen, ich verstehe nur nicht-“ „Jeder geht anders damit um. Du lässt niemanden außer mir an dich ran, weil du nur mich willst. Ich hingegen hole mir das, was ich will, unabhängig von meinen Gefühlen. Genau genommen ist es nichts anderes, als würdest du nebenbei etwas mit Daisuke anfangen.“

Kyo biss sich unwillkürlich auf die Unterlippe. „Ich bin für dich, was Die für mich ist.“, wiederholte er abwesend. „Nicht direkt.“, widersprach Toshiya ernsthaft, strich durch das weiche Blondhaar. „Wäre ich nicht das, was ich nun einmal bin, wäre das zwischen uns nicht so hoffnungslos zum Scheitern verurteilt.“ Er lehnte sein Gesicht behutsam gegen Kyos Haarschopf, hauchte leise gegen die Strähnen: „Doch die Dinge sind, wie sie sind. Dem haben

wir uns alle zu fügen.“

Damit erhob er sich wieder, wanderte weiter zum Fenster. Kyo beobachtete das über alles geliebte Profil lange. „Man könnte dagegen ankämpfen.“ „Ich füge mich lieber. Kämpft man dagegen an, macht man vieles nur noch schlimmer.“

Ein unterdrücktes Stöhnen. Kyo stand ebenfalls auf, sah jedoch hinüber zur Tür. „Es wäre dir lieber, wenn ich ginge, nicht?“ Ein verstecktes Lächeln. „Denkst du das wirklich?“

Zögern. „Bei dir weiß man nie genau. Ganz abhängig davon, inwiefern deine Laune gerade schwankt.“ Toshiya durchquerte den Raum mit wenigen Schritten, verschwand im Schlafzimmer, kehrte wenig später wieder.

„Da.“ Er hielt Kyo ein Buch entgegen. „Wie?“ „Das hätte ich dir in die Hand gedrückt, wenn du nicht von vornherein klargestellt hättest, dass du kein Buch mehr hier hast.“ Toshiya grinste leicht. „Was hältst du davon, wenn wir die Löschtaste drücken, was unser bisheriges Gespräch angeht?“

Er tippte mit der Fingerspitze gegen Kyos Oberkörper, fuhr hinunter bis zur Hüfte, wieder hinauf. „Gibt bessere Dinge, um die Zeit zu nutzen.“, merkte er weiterhin grinsend an, ein belustigtes Blitzen in den Augen.

Kyo verdrehte die Augen. „Erinnere mich daran, dich für deine Stimmungsumschwünge zu verfluchen, sobald ich wieder bei Sinnen bin.“, verlangte er, ehe er sich auf die Zehenspitzen stellte, Toshiya zu sich hinunterzog.

Er wusste noch immer nicht, was wirklich in seinem Wächter vorging. Der Nachmittag hatte nicht die erwünschte Klarheit gebracht, noch war er sich darüber bewusst, was Toshiya mit seinen vielen verschiedenen Handlungsmustern bezweckte. Keines der Puzzleteile wollte sich zusammensetzen, doch wie auch immer das Bild am Ende aussehen mochte – für diesen Moment war alles okay.
 

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tbc

Die Ruhe vor dem Sturm

So, hier sind wir also - Kapitel 21 und ich, die ich diesmal mit einem lachenden und einem weinenden Auge das Kapitel hochlade.

Warum lachend?

Weil ich höchst amüsiert sämtliche Theorien und Ideen gelesen habe, die nicht nur in der Comment-Ecke zu finden waren, sondern mir zum Teil sogar per ENS geschickt wurden. Einige Leute sind wirklich kreativ, das muss man sagen - ich war begeistert! Ganz im Ernst. ^.^

Eine andere Bemerkung aber ebenfalls: Ich habe schon an anderen Stellen vorgewarnt, denn ein traditionelles "Happy End" wird es am Ende dieser Geschichte nicht geben - je nachdem, was man unter Happy End versteht.

Mein weinendes Auge berichtet natürlich davon, dass nach diesem Kapitel nur noch ein weiteres plus Schlusssequenz folgen; da ich diese beiden Dinge zusammen hochladen werde, heißt es also: Noch einmal Warten, dann ist Schluss.

Und dann?

Gute Frage, meine Lieben. Fakt ist, ageha no hane II existiert. Inzwischen füllen über 100 Seiten mein Worddokument, und eine leise Stimme zwitschert mir, dass es schade wäre, sie auf meiner Festplatte vergammeln zu lassen. Sollte also Interesse bestehen: Ich bitte um Kommentare zu diesem Thema, vielleicht schließe ich den 2. Teil dann gleich an das Ende der Geschichte an. ^_^
 

Nun aber genug von mir, viel Spaß beim Lesen!
 

Kirei
 

Chapter 21 – Die Ruhe vor dem Sturm
 

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Er hatte das Gesicht verzogen, ganz deutlich zu bemerken.

Die musterte Shinya eindringlich. „Was ist?“ Ein abwesender Blick. „Hm?“ „Wieso hast du so geguckt?“ Der Blonde zuckte mit den Schultern. „Epileptische Anfälle.“ „HAHA. Was hast du gesehen?“

„Gesehen?“ Es klang scheinheilig unwissend. Der Redhead murrte. „Mann, nerv nicht rum. Ich weiß genau, dass du alles siehst, was mit Kyo zusammenhängt. Was ist los bei ihm?“ Shinya seufzte, rührte in seiner Tasse herum.

„Das willst du doch gar nicht wissen, Daisuke.“ Sein Herz rutschte augenblicklich ein Stück. „Ich hätte es wissen müssen...“, murmelte der Jüngere frustriert, stellte seine Teetasse beiseite. „Was hast du erwartet? Ich kann mir keinen anderen Grund ausmalen, warum Toshiya ihn herbestellte. Natürlich wird unser Guter einfach nur mal wieder in einer Phase der Einsamkeit stecken, die Kyo nun beenden soll.“

„Und er ist natürlich dumm genug, auch noch zu funktionieren, wenn Toshiya es will.“, rutschte es Die heraus; er hatte es nicht sagen wollen, nicht vor Shinya. „Das hängt nicht mit Dummheit zusammen. Er liebt ihn. Auf krankhafte Art und Weise. Alle... wirklich alle Lebewesen sind dazu bereit, sich ausnutzen zu lassen, sobald sie richtig zu lieben beginnen. Das muss ich dir nicht erzählen. Also vergib ihm dieses törichte Handeln. Stelle dich darauf ein, in den nächsten Tagen dürfte wieder eine Phase der Nähe anstehen, Toshiya braucht ihn momentan.“

Die lauschte den sachlichen, ruhigen Worten gedankenverloren. „Warum? Was hat der Arme denn?“ „Er wird nicht beachtet. Es gibt Wesen, die ihm wirklich am Herzen liegen, doch die interessieren sich herzlich wenig für Toshiya. Das tut selbst ihm weh – also wird er nach dem Hühnerleiterprinzip nun wieder Kyo weh tun. Er ist typisch menschlich, was diese Dinge angeht: Kriege ich einen Tritt von oben, trete ich nach unten weiter aus. Und der, der ganz unten steht, in diesem Falle Kyo, kriegt das gesamte Ausmaß ab, ohne sich wehren zu können.“

„Denkst du, er empfindet etwas für Kyo?“ Shinya musterte das wehmütige Gesicht des anderen. „Ich weiß es nicht. Tut mir leid.“ „Das alles.. wäre nicht halb so schwer, wenn Toshiya ihn lieben würde. Nur ein kleines Bisschen. Ich will Kyo nur einmal wieder so glücklich sehen wie in den Momenten, als zwischen ihnen noch alles gut lief.“

Shinya legte ihm die Hand aufs Knie, lächelte warm. „Kyo muss verrückt sein, Toshiya deiner Person vorzuziehen. Wie auch immer... Ich verstehe ihn, sehr gut sogar – ich habe dir ja schon einmal darüber berichtet – , doch verrückt ist es dennoch.“

Die lächelte, nicht überzeugend, doch zumindest ansatzweise echt. „Na ja, nun ist das Schlimmste eingetreten. Mieser kann es nicht mehr kommen, da kann ich wohl getrost gehen, was?“ Shinyas Blick schweifte hinüber zur Uhr. „Es ist Freitagabend und du gehst schon heim? Kyo wirst du heute kaum mehr antreffen.“

„Nee, ich geh nicht nach Hause. Vielleicht mach ich heute mal nen Abend a la Kyo, so toll mit Verdrängungstechnik...“ Die schnitt eine Grimasse und schlenderte in Richtung Tür. „Danke für die Seelsorge, Shin. Tut immer wieder gut.“

Shinya lehnte sich gegen den Türrahmen, nickte leicht. „Gern geschehen. Mach keine Dummheiten, egal, was da drin abgeht.“ Er tippte vorsichtig gegen Dies Brust. „Da geht gar nix.“, erklärte Die bestimmt. „Vielleicht sollte ich doch mein Zimmer aufsuchen, so ohne Shin, der auf mich aufpasst..“

Der Ältere verdrehte leicht die Augen. „Sag doch gleich, ich soll dich begleiten. Dieses Drumherumreden überlassen wir besser Kyo.“ „Okay. Kommst du mit?“ Big Red grinste, nun schon wieder ein wenig fröhlicher. „Natürlich.“ „Prima. Dann komm.“

Shinya schloss die Tür hinter sich ab, schüttelte lächelnd den Kopf und folgte dem Größeren.

Was sind Menschen nur für seltsame Wesen...
 

~~
 

Toshiya sah durch die geöffnete Balkontür hinein in den halbdunklen Raum, durch den zunehmenden Mond stark erhellt, in silbriges Licht getaucht. Die Außentemperaturen waren eisig, brachten die kleinen Härchen auf seinen Armen dazu, sich aufzustellen. Dennoch wirkte die kühle Luft angenehm auf seiner Haut.

Mit einem Lächeln musterte er das Wesen zwischen Decke und Kopfkissen, mehr als wirres Blondhaar und ein über den Rand der Matratze gen Boden hängender Arm war von Kyo nicht auszumachen.

Wie kann ein Auserwählter nur so völlig stillos und verplant sein – und dabei doch so viel Charme besitzen? Er ist bezaubernder als alle anderen Menschen vor ihm, obgleich er so ein simpler Dummkopf ohne Verstand ist, der sein eigenes Herz mit dem Presslufthammer zerschlägt. Verwunderlich.

„Es war zu erwarten.“

Ein leises Flüstern, direkt hinter ihm. Toshiya zuckte unwillkürlich zusammen, fuhr herum. In einer Ecke des Balkons, vom Zimmer aus nicht zu erblicken, stand Shinya. Er musterte Toshiya mit verschränkten Armen, Missbilligung im Gesicht.

Der Schwarzhaarige versuchte, seine Miene ärgerlich wirken zu lassen. „Was“, zischte er kaum hörbar, „fällt dir ein? Ich tauche auch nicht unerwartet in deiner Wohnung auf. Hatten wir uns nicht mal auf die TÜR geeinigt?“

„Erstens: Ich bin nicht in deiner Wohnung, sondern auf dem Balkon. Zweitens: Du hast dich nie an irgendwelche Regeln gehalten, wieso sollte ich mich dem also fügen? Und drittens: Du solltest dich wirklich etwas schämen.“

Shinyas Worte klangen ungewohnt kalt, es wirkte, als habe er seinen letzten Funken an Sympathie für Toshiya verloren. „Was? Weil ich Spaß habe und du den Moralapostel spielst?“, fragte der Größere zynisch und zog die Balkontür sachte zu.

„Du nutzt ihn so dermaßen schamlos aus, das ist einfach nur erbärmlich.“ Toshiya verdrehte die Augen. „Er bettelt doch darum, dass ich mir nehme, was ich will. Ich habe ihm klipp und klar gesagt, nicht er besitzt meine Gefühle. Und trotzdem wollte er mich. Ich kann ihn vor mir warnen, so oft ich nur will, dieses dumme Kind da drinnen WILL mich nicht verstehen. Er glaubt, er würde mich inzwischen kennen, könnte einschätzen, auf was er sich einlässt, wenn er sich mir trotz allem aussetzt – ich kann für seine Naivität nichts.“

Shinya blinzelte leicht. „Nein, willst du dich am Ende rechtfertigen..?“ Es klang spöttelnd. „Oh Toshiya, wann entscheidest du dich endlich für eine Seite? Dieses ewige Hin- und Herspringen zwischen Gut und Böse bekommt deinem Nervenkostüm nicht ganz, wie mir scheint. Seit wann lässt du dir von mir ein schlechtes Gewissen anhängen?“

„Ich habe kein schlechtes Gewissen!“, fauchte Toshiya nun endgültig verärgert. „Es ist mir doch gleich, ob dieser wahnsinnige Narr an mir draufgeht. Er weiß, was er sich antut. Also ist es mir völlig egal, was mit ihm ist. Ich benutze ihn, wann es mir passt und solange es mir passt. Wenn er kaputt ist, schmeiße ich ihn weg und suche mir ein neues Spielzeug. War das jetzt deutlich genug, du nerviges Biest?!“

„Das ist abstoßend, Toshiya.“ „Hörst du schlecht? Das ist mir EGAL. Es gibt nur eine Person auf dieser gottverdammten Welt, die mir etwas bedeutet. Soll Kyo doch an mir zerbrechen, wenn er glaubt, er könne mich ändern, hat er es eben nicht anders verdient. Tu mir einen Gefallen, Shinya, und verschone mich mit diesem Mitleidsgequatsche. Ich habe genug Herzen zerstört, das solltest du wissen. Eins mehr interessiert mich da auch nicht mehr.“

Shinya schüttelte langsam den Kopf. Leise sagte er: „Ich bitte dich, wer soll dir das noch glauben? Du zitterst beinahe, weil dich deine Worte selbst treffen. Gesteh dir doch endlich ein, dass Kyo einen größeren Platz in deinem Herzen besitzt als dieses gefühlstote Monster, das dich beherrscht.“

„PASS auf, was du sagst! Für ihn würde ich alles tun. Meinetwegen würde ich Kyo den nächsten Abgrund hinab stoßen, wenn er es wollte. Also erzähl du mir nicht, wie es in MIR aussieht.“ Toshiya kehrte Shinya den Rücken zu, zog die Tür zurück in den Raum schwunghaft auf. Noch einmal drehte er sich herum, erklärte dem Älteren leise: „Lass es ein für alle mal gut sein, Shinya. Dich braucht hier niemand mehr.“

Damit schloss sich das Glas, sperrte Shinya aus. Der Blonde seufzte leise und sah hinauf in den Himmel, fing den Anblick des Mondes ein.

Toshiya... wann endlich wirst du deine eigene Dummheit erkennen?

Der große Dunkelhaarige selbst setzte sich an den Bettrand, streichelte abwesend durch das Blondhaar, platzierte einen zarten Kuss auf den kleinen Schimmer von Gold.

Eine Regung, Kyo wandte sich um zu ihm. „Hm?“, machte er, klang verschlafen. Ein Lächeln, gefolgt von einer leisen Antwort. „Gar nichts. Ich wollte dir nur sagen, dass ich dich sehr gern habe..“

Kyo hob unmerklich die Augenbrauen, erwiderte dann das Lächeln leicht verwirrt. „Das... danke.“ Er stützte sich auf die Ellenbogen, hauchte Toshiya einen vorsichtigen Kuss auf die Lippen.

Mit einem weiteren Lächeln auf den Lippen schloss Toshiya die Arme um den schlanken Körper, fast schützend und wachsam. Er fuhr nachdenklich mit den Fingerspitzen durch die weichen Haarsträhnen, seufzte lautlos.

Es tut mir leid. Es tut mir endlos leid, wie ich dich benutze. Glaube mir, wenn ich dich lieben könnte – ich täte es auf der Stelle. Doch nun ist es zu spät.

Ich verspreche dir... am Ende wird alles gut sein.
 

~~
 

Lachend verpasste er ihm einen Schlag in die Seite, schüttelte den Kopf.

„Du unsäglicher Holzkopf.“, beschwerte der Jüngere sich und atmete zufrieden aus. Der weihnachtliche Vormittag war angenehm verlaufen, in Begleitung seines besten Freundes hatte er einen letzten Weihnachtseinkauf gestartet, sein mühsam gespartes Geld damit endgültig im Weihnachtsgeschäft Tokyos gelassen.

Theoretisch war Kyo für Weihnachten nicht zu haben, der Kitsch, der Konsum, der sich hinter diesem Fest versteckte, erschien ihm abstoßend, doch Die schaffte es jedes Jahr wieder, ihn mit seiner vorweihnachtlichen Freude anzustecken.

Die Stimmung unter den beiden war locker, ein stückweit aufgekratzt. Inzwischen schlenderten sie bereits wieder heim. Kyo verbrachte das Fest bei seinem besten Freund, der dieses Jahr ansonsten allein hätte feiern müssen, da seine Eltern sich auf einer Europareise befanden.

Ein weiterer Grund, warum dieses Weihnachtsfest perfekt sein würde. Er verbrachte es nicht zu Hause, keine Möglichkeit, es in einem Streit oder Diskussionen enden zu lassen, wie es sonst üblich war.

Es war bereits später Abend, die beiden jungen Männer saßen auf der Couch im Wohnzimmer und sahen einen Film. Die zappelte ununterbrochen herum, gab Kyo hin und wieder einen Knuff in die Seite, malträtierte die Nerven des Jüngeren.

„Kyo~~“ „DAISUKE. Du bist doch keine drei mehr, kannst du nicht bis morgen früh warten, bis du an den Weihnachtsbaum sprintest und deine Geschenke aufreißt?“, fragte Kyo lachend und bewarf den Größeren mit Popcorn. Die äffte ihn nach, entgegnete dann gespielt leidend: „In Westeuropa machen die Leute das auch immer am Abend des 24., warum soll ich mich dann bis morgen gedulden? Zum Teufel mit den Traditionen, es ist eh schon nach Mitternacht.“

Kyo verdrehte die Augen. „Himmel, du bist so kindisch.. als ginge es dir um Traditionen. Du willst doch nur wissen, was sich hinter meinem Geschenk verbirgt.“ „Japp. Und hinter dem meiner Eltern, meiner Großeltern, hinter Shinyas...“

Kyo hob die Augenbrauen. „Shinya?“ „Hai, Shinya war gestern da und hat mir vertraulich zwei Geschenke angedreht.“, grinste der Redhead. „Da auf dem einen dein Name stand, schätze ich mal, es ist für dich..“

Der kleine Blonde verzog das Gesicht. „Toll, ich hatte nicht mal den Einfall, Shinya etwas zu schenken... Gott, ich kenne ihn so gut wie überhaupt nicht..“ „Er dich dafür umso besser.“, lachte Die und trank einen Schluck Cola. „Was schenkst du Toshiya?“ Kyo lächelte leicht. „Ich habe lange nachgedacht.. weißt du, er hat einfach alles. Und was er nicht besitzt, kann er sich selbst kaufen. Was schenkt man einem Menschen wie ihm?“

„Gute Frage. Ich glaube, spätestens an dieser Stelle wäre ich gescheitert.“ „Es gibt eine Sache, die er nicht besitzt – und die er mit keinem Geld der Welt kaufen kann. Weißt du, dass ich Toshiya noch nie richtig habe lachen sehen? Also werde ich mir in nächster Zeit alles nötige abverlangen, um ihn zum Lachen zu bringen.“

Die lächelte verzückt. „Du schenkst ihm ein Lachen? Das ist zuckersüß, tschuldige, wenn ich dich so bezeichne..“ „Natürlich nicht nur, er kriegt auch einen Brief, ein Gedicht, Kleinkram eben... Ach ja: und du kriegst nen Arschtritt für das Süß.“

Big Red lachte. „Bin ja mal gespannt, was er dir schenkt.“ Kyo nickte langsam. „Ich auch. Falls er mir überhaupt etwas schenkt. Bei Toshiya weiß man das nie so genau...“ „Tut er.“, rutschte es Die plötzlich heraus. „Woher willst du das denn wissen?“

„Na ja~“, druckste der Ältere. „Er wusste doch, dass wir zusammen feiern... da hat er mich gebeten, es aufzubewahren...“

„WAS?! WIESO SAGST DU MIR DAS NICHT EHER?“ Auf Kyos Reaktion hin lachte der Rotschopf lauthals los. „Du baka, das wäre doch keine Überraschung mehr gewesen... nun, was sagst du jetzt zu den europäischen Methoden?“

Kyo zuckte mit den Schultern. „Kick die Traditionen in die Tonne, Europa rules.“, erkannte er trocken und zog Die mit auf die Beine, hinüber in die Ecke, aus der das funkelnde Licht der Lichterketten, welche sich um die Blautanne schlangen, bereits lockte.

Mit einem breiten Grinsen hockte Die sich hin, verkündete: „Ich komme mir vor wie ein kleines Kind.“ Kyo, sich dazusetzend, antwortete: „Tja, muss dran liegen, dass dein Hirn sich seit ein paar Jahren nicht mehr weiterentwickelt hat...“

Nach weiterem Gelächter bekam der Jüngere einen Schlag in die Seite und wurde angeherrscht: „Jetzt aber Andacht, das ist ein sehr romantischer Augenblick.“ Schief grinsend stimmte Kyo zu. „Nun fang schon an.“

„Hm~“ Die musterte die kleine Ansammlung von verpackten Geschenken, die vor ihnen unter dem Christbaum lag. „Ich finde, du kriegst erst mal meins. Frohe Weihnachten.“ Er reichte Kyo einen Geschenkkarton. Der Kleinere musterte es einen Moment, dachte nach. „Das sieht schon so megamäßig nach einem Playstation Spiel aus, weißt du das?“, grinste er und machte sich daran, das Papier sorgfältig zu öffnen.

„Kami-sama, wie machst du das nur? Ich muss immer alles aufreißen.“ Kyo lächelte, ohne eine Antwort zu geben, betrachtete schließlich das Geschenk in seinen Händen sprachlos. Er sah Die fragend an. „Bist du wahnsinnig?“, hauchte er. „Das ist doch viel zu teuer...“ Das Spiel in seiner Hand, erst vor kurzem auf den Markt gekommen, stand schon lange auf seiner Wunschliste, doch er hatte keine Ahnung gehabt, wie er den hohen Preis aufbringen sollte, schon gar nicht kurz vor Weihnachten.

Sich immer wieder bedankend drückte er seinen besten Freund an sich, freute sich unübersehbar allzu sehr über Dies Geschenk. Jener meinte schließlich cool: „Mann, bitte, war doch nicht mit anzusehen, wie du das Ding neulich dauernd angesabbert hast...“ Damit brachte er Kyo zum Lachen, bis jener schließlich auf ein Geschenk weniger gebräuchlichen Formats deutete. „Da ist für dich.“

Mit einem freudigen Geräusch entfernte Die das Papier um einiges schneller. „Hey cool!“, machte er schließlich, musterte den verschnörkelten Silberbilderrahmen begeistert. Innerhalb des Rahmen befand sich ein Schwarzweißfoto, das ihn und Kyo zeigte, eine nicht allzu alte Aufnahme, die er über alles liebte. „Danke, Kyo~~“

Ein Lächeln. „Ist nicht ganz so spektakulär, aber ich dachte, es gefällt dir vielleicht..“ „Es ist wundervoll, sei ruhig!“, protestierte Die und fuhr mit der Fingerspitze über das Glas. „Du solltest öfter so lachen wie auf dem Foto.“ „Hm..“

Bevor Stille den Raum regieren konnte, rief Die heiter: „HE, jetzt will ich wissen, was Toshiya dir schenkt.“ „Welches ist es?“ „Tada.“ Die reichte ihm eine kleine, schön verpackte Schachtel.

Zögerlich, sehr langsam öffnete Kyo das Geschenkpapier, hob dann den Deckel der kleinen Schatulle an. Er blinzelte verblüfft, griff nach dem Schmuckstück, das sich ihm zeigte. Es war eine Silberkette, an der ein langes, glitzerndes Kreuz baumelte.

„Wow.“, machte Die, die Augen auf die Kette gerichtet. Kyo bewegte ein paar Mal die Lippen, ehe er murmelte: „Eh.. aber – das.. das gehört doch ihm...“ Ein erneuter Blick in die Schachtel ließ ihn den kleinen Brief bemerken, den er nun auseinanderfaltete. Sofort vertiefte er sich in die wenigen Zeilen, ein nicht zu verhinderndes Lächeln auf den Lippen.
 

Kyo-chan,
 

fröhliche Weihnachten! ^,^

Bevor du nun denkst, mir könne das Geld ausgegangen sein, weil ich dir mein eigenes Kreuz schenke... nein, nicht ganz deswegen. Der Grundgedanke dabei war, dass ich dir etwas geben möchte, das wirklich von mir stammt – das mit mir zusammenhängt und dich an mich denken lässt. Ich habe schon oft bemerkt, wie du das Kreuz angestarrt hast, deswegen hoffe ich, es gefällt dir.

Möge es dich beschützen, wenn ich nicht in deiner Nähe sein kann – also trage es immer bei dir.

Ich habe dich sehr gern.
 

Toshiya
 

Kyo musterte erneut das schöne Schmuckstück, ehe er es umnahm, immer noch verzückt vor sich hinstrahlend. Die warf ihm einen schiefen Blick zu. „Mann, da muss ja was drin stehen...“, merkte er an.

„Wie? Nein, nein...“ Kyo kratzte sich am Hinterkopf, sammelte ein paar Worte zusammen. „Ich freue mich bloß.“

Und wie ich das tue. Danke, Toshiya. Danke für dieses unglaubliche Gefühl, das du immer wieder in mir auslöst...
 

~~
 

„Die Zeit ist gekommen.“

Toshiya sah fragend auf in das vom Schatten verdunkelte Gesicht.

„Seid Ihr sicher, Meister?“

Ein zufriedenes Lächeln.

„Morgen schon, Toshiya. Morgen. Ich hoffe, du hast dich von ihm verabschiedet?“

Der Jüngere nickte langsam. „Ja..“

„Schön. Dann lassen wir das Spiel beginnen...“
 

~~
 

tbc ...

Let's put an end - The Final?

Oh Gott, oh Gott.
 

Jetzt ist's vorbei.

Das vorletzte [und vermutlich längste] Kapitel, oh mann. Ich hoffe sehr, dass ihr das letzte erst lest, bevor ihr mir Briefbomben schickt und den Tod an den Hals wünscht xD -- aber hey, Kommentare zu diesem Kapitel nehme ich trotzdem ;D

Was soll ich sagen? Die Resonanz zu ageha no hane II war groß, schätze, ich sollte es tatsächlich hochladen. ^^

Nun aber beginnen wir erst einmal mit dem Anfang vom Ende...
 

LG
 

Kirei
 

Chapter 22 – Let’s put an end – The Final?
 

~~
 

„Natürlich machen wir das!“

Kyo schenkte dem großen Rotschopf ein Lächeln und nickte langsam. „Meine Mutter wird gucken, wenn wir gleich plötzlich in der Tür stehen..“ „Genau das ist unser Vorhaben, oder? Sie ist ein Schatz, doch ich schätze, ohne ihr Kyo-baka wird ihr dieser Weihnachtsmorgen nicht gefallen.“, erklärte Die lebhaft und schob ihn weiter.

„Daisuke, du bist einfach nur...“ Kyo verstummte und schüttelte langsam den Kopf, bedachte den Älteren lieber mit einem liebevollen Blick. Dieser blieb nun stehen und neigte den Kopf zur Seite. „Du hast mich Daisuke genannt...?“

Kyo drehte um, kam vor dem viel größeren Jungen ebenfalls zum Stehen. „Und?“ „Das tust du nur, wenn es sehr ernst ist oder du mir meine Dummheit signalisieren willst.“ Ein leises Lachen. „Iie, ich will dir nicht zeigen, wie dumm du bist. Schätze mal, das weißt du...“

Die hob die Augenbrauen an. „Warum dann dieser Ernst?“ „Du bist meine Gedanken wert, ne. Vielleicht haben wir noch nie so viel Ärger gehabt wie in den letzten Monaten, doch zeitgleich war unsere Freundschaft nie so eng. Ich wollte dich immer aus meinem Leben ausschließen, um dich vor diesem ganzen Scheiß zu schützen. Schon strange, wie dämlich ich war. Mir hätte klar sein sollen, dass ich damit immer eine unsichtbare Mauer zwischen uns stehen ließ, die dir viel Kummer bereitete. Vielleicht sogar mehr als die Wahrheit um das, was

ich dir zu verheimlichen versuchte. Möglicherweise ist es egoistisch, doch inzwischen bin ich wirklich froh über die Veränderung.“

Die kratzte sich am Kopf. Und das am frühen Morgen mitten in Tokyo.. Dennoch lächelte er warm, griff nach Kyos Hand, während er ihn weiter zog. „Mag schon sein, dass ich mir viele Sorgen um dich mache. Trotzdem ist es mir so lieber. Du redest über dich, zeigst Gefühle. Hast du eine Ahnung, wie oft ich mich in den letzten Wochen vor Toshiyas Auftauchen fragte, warum du so kalt bist? So emotionslos und... leer? Ich habe dich in der letzten Zeit so oft unglücklich gesehen, fertig mit der Welt eben... doch ein winziger Funken war an dieser Emotionalität, der mir gefiel. Du wirktest plötzlich so – so lebendig.“

Die beiden tauschten einen Blick, geprägt von Zuneigung und gegenseitigem Verständnis. „Danke, Die. Echt für alles. Du bist der beste Freund, den man sich wünschen kann.“ Kyos Stimme klang ernst, eine Intensität schwang mit ihr durch die kalte Winterluft. „Man tut, was man kann.“

Manchmal tut es mir leid, dich immer wieder von mir stoßen zu müssen. Ich wünschte, ich könnte dich ebenso lieben wie du mich. Du hättest es verdient. Doch ganz gleich, was kommen mag, selbst wenn dir mein Herz nicht in diesem Sinne gehören mag... ich würde alles für dich tun. Allein schon deiner treuen Seele wegen.

Du unsäglicher Baka.. ganz gleich, wie viel Unsinn du mir täglich darbieten magst, deine Seele ist so rein wie ein blütenweißes Tuch. Ich weiß es einfach. Manchmal denke ich, du solltest mit anderen Menschen zusammenhängen. Mit Leuten, die ... normal sind. Die dich nicht in einen derartigen Strudel aus Sorgen und absurden Geschichten hineinziehen. Doch ich bin zu selbstsüchtig, um dich gehen zu lassen. Ich brauche dich als besten Freund und Gefährten. Mein Die.

„Wachst du noch mal wieder auf?“ „Hm?“ Kyo schreckte aus seinen Gedanken hoch. „Was hast du gesagt?“ „Ich habe dich auf die schöne Szenerie hier aufmerksam gemacht. Ich weiiiß, wir stehen nicht auf den Weihnachtskitsch, doch sie es dir mal an. Alles glitzert und leuchtet und der Schnee noch dazu... Es ist hübsch.“ Die grinste und drehte Kyo an den Schultern einmal um die eigene Achse, damit er all die weihnachtlich geschmückten Läden und Buden betrachten konnte.

„Ja, ganz nett..“ „Gib’s zu, es gefällt dir~“ „Nein, ich mag dieses k-“ „Konsumorientierte Denken unserer verkorksten, antisozialen Gesellschaft nicht.“, leierte Die Augen verdrehend Kyos Standardantwort herunter. „ICH WEIß. Sieh es aus einem anderen Blickwinkel.“ „Der da wäre?“

Die grinste. „Lass dein verliebtes Herz mal n bisschen höher schlagen, du stehst doch wie jeder verschossene Mensch auch auf Kitsch.“ Das Verschmitzte in seinen Zügen war trotz des Themas echt. Kyo runzelte die Stirn. „Was soll der Unsinn mit dem Weihnachtsschmuck? Wollten wir nicht zu mir?“ „Ich möchte dein Gesicht noch mal so leuchten sehen wir gestern Abend, als du das Kreuz umgelegt hast.“, erklärte Die geradeheraus und zupfte an der Silberkette, die sich um Kyos Hals wand und dank der unverschlossenen Jacke fast vollständig zu sehen war.

Kyos lächelte verlegen und stieß Dies Hand beiseite. „Ach, lass mich doch...“ Er marschierte strikt weiter, sich darüber bewusst, dass der Redhead ihm folgen würde. Als er den Blick jedoch wieder auf die Straße hob, stutzte er und erstarrte. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie Die dasselbe tat.

Die Stimmen – mit einem Mal preschten sie wieder los, redeten ihn nieder. Kyo hatte es nie erwähnt, es weder Toshiya noch Die oder Shinya anvertraut, doch sie hatten sich lange Zeit in Schweigen gehüllt, ihn allein zurückgelassen. Nun jedoch brachen sie Unheil verkündend über ihn herein.

„Kyo..“ Ein atemloses Flüstern seines Namens. „Was geht jetzt...?“
 

~~
 

Kyo schüttelte den Kopf, ahnungslos.

„Nichts Gutes, fürchte ich.“, murmelte er, ließ seine braunen Lichter unablässig die von Gebäuden gesäumte Einkaufsstraße entlang schweifen. Alles stand still. Als sei die Zeit stehen geblieben, war dort nichts mehr. Die Straße wie leergefegt, menschenlos und einsam, keine Bewegung, keine Regung – kein Leben?

Alles um sie herum hüllte sich in erdrückendes Grau, der Zauber der Weihnachtsstimmung war verloschen. Nichts schien mehr zu stimmen.

Kyo griff bedächtig nach Dies Hand, setzte sich hastig in Bewegung, zog den Älteren dabei mit sich. „Kyo! Was passiert-“ „Frag mich nicht, aber hier stimmt etwas ganz und gar nicht!“, rief Kyo und beschleunigte seinen Schritt. „Wir müssen sofort Toshiya suchen. Er soll uns sagen, was abgeht.“

Die hielt inne, die beiden jungen Männer befanden sich inzwischen auf einer Kyo allzu bekannten Brücke. Kyo fuhr zu dem Rotschopf herum. „Die!“, sagte er eindringlich. „Nun komm schon.“ „Ich – lass uns lieber zu Shinya gehen. Ich denke nicht, dass Toshiya uns helfen-“

Kyo stöhnte entnervt. „DAS ist nicht der Zeitpunkt für Eifersucht, Die, okay?! Schon mal gemerkt, wir stecken gerade in einem Schwarzweißfilm und in ganz Tokyo zeigt sich keine Menschenseele mehr. Was liegt da näher, als meinen Wächter aufzusuchen?“

Die wollte antworten, unterbrach sich jedoch selbst, den Blick starr nach links gerichtet. „Zum Teufel... was ist das eigentlich...?“ Kyo folgte den Augen Big Reds, erfasste mit seinen glänzenden Lichtern ein riesiges Kreuz, das sich am Geländer vor der Kulisse der Stadt vor ihnen zeigte. Mit einem Stirnrunzeln traf Kyo Dies Blick. „Da ist wohl eher die Frage, was das soll..“

Ein Klatschen erklang hinter ihnen, ein unheilvolles, spöttisch in ihren Ohren klingendes Klatschen. Im Bruchteil einer Sekunde waren beide Jungen herumgewirbelt, erfassten zeitgleich die Gestalt, die wenige Meter von ihnen entfernt stand, mit verschränkten Armen und einem kalten Lächeln auf den Lippen.

„Toshiya!“, rief Kyo erleichtert. „Was hat das zu bedeuten? Erklär-“ „Ruhe.“ Ein einziges Wort, kühl und scharf. Die große, dunkle Gestalt machte ein paar wenige Schritte auf sie zu. „Nun, Kyo-chan... wie gefällt dir mein Geschenk? Ich sagte doch, du bekämst ein Kreuz von mir.“

Kyos Gesichtsausdruck wich Unglauben. „Was.. was hat das zu bedeuten, Toshiya?“, fragte er leise. „Ich möchte dir jemanden vorstellen, Kyo. Du wolltest doch schon immer wissen, wem mein Herz gehört, nicht wahr? Nun bekommst du die einmalige Chance, nein, dir liegt die Ehre vor, ihm zu begegnen. Er hat diese Welt für dich betreten – unglücklicherweise hat seine Anwesenheit ein paar Naturgesetze durcheinander gebracht, daher diese leichten Farbenprobleme, die alles lahm legten, was nichts mit dir zu tun hat – doch nun ist der Zeitpunkt gekommen.“

Der große Dunkelhaarige legte eine Kunstpause ein, fuhr dann fort: „Er ist eine Art Gottheit, das höchste Wesen meiner Familie – es gefällt ihm sehr, als Lestat der Neuzeit dargestellt zu werden. Du wirst sehen, was es mit diesem Charme auf sich hat...“

Kyo biss sich auf die Unterlippe. „Toshiya, was redest du..? Deine Familie? Lestat?“, fing er verwirrt an, wurde aber unterbrochen. „Sei still und zeige gefälligst Respekt, wenn ich von ihm spreche..“, zischte Toshiya, das falsche Lächeln schien von ihm abgefallen zu sein.

Nachdem wieder Schweigen Tokyo regierte, stahl es sich jedoch zurück auf Toshiyas weiße Haut und er beendete seine Ankündigung: „Nun, Kyo-chan.. Genieße seinen Anblick, solange er dir zugute kommt. Mein Meister...“

Mit einer ausladenden Geste deutete er nach rechts, brachte Kyo und Die dazu, ihre Köpfe aus ihrer Sicht in die linke Richtung zu drehen, wo ihnen langsam eine Gestalt entgegentrat. Die Person war von hoher Gestalt, schlank und in schwarzen Stoff gehüllt. Die geisterhaft blasse Haut, die die Züge des schmalen Gesichts auf eine unbestimmte Weise attraktiv machte, hob sich im Kontrast zu den dunklen Augen ab, in deren Tiefe es sich zu verlieren galt. Als einziger Farbschimmer das halblange, violette Haar.

Jede einzelne Bewegung war fließend; ruhig und dennoch nicht langsam – eine unglaubliche Aura ließ jegliche noch so kleine Geste bezaubernd, ja, förmlich respekteinflößend wirken.

Das Wesen, Kyo mochte es wie auch Toshiya nach ihrer ersten Begegnung nicht als Mensch bezeichnen, kam nebst diesem zum Stehen und wandte sich langsam zu den beiden Jüngeren um.

Ein langer, intensiver Blick. „Wer ist er?“ Ein kaum merkbares Nicken in Richtung Die. „Kleines Missgeschick, er sollte nicht hier sein..“ „Sorge dafür, dieses Missgeschick auszubessern.“ „Jawohl.“

Mit einem entschuldigenden Lächeln wandte Toshiya sich Die zu. „Tut mir leid, mein Guter, aber du bist mal wieder – wie immer – im Weg... Sieh Kyo noch einmal an, es wird deine letzte Gelegenheit dazu sein.“ „Du mieses Stück! Was hast du vor?!“, fauchte Die, plötzlich von einer unsäglichen Wut gepackt.

„Das“, flüsterte Toshiya, „wirst du nicht mehr erfahren...“

Unerwartet und heftig riss es Die von den Füßen, er wurde zurückgeschleudert und prallte mit einem unschönen Geräusch gegen das Brückengeländer, wo er regungslos liegen blieb, die Augen fest geschlossen. Unübersehbar das Blut, das sich langsam über dem Asphalt ausbreitete.

„DAISUKE!“

Der Schrei war Kyos Kehle entrungen, doch als er auf seinen besten Freund zustürmen wollte, rührte sich nichts an ihm mehr. Es schien, als sei er nicht länger Herr seiner Handlungen. Erneut schoss sein Blick hinüber zu Toshiya, der mit einem vergötternden Lächeln im Gesicht die fremde Gestalt auf Kyo aufmerksam machte, den Jüngsten unter ihnen selbst aber ignorierte. „Kaoru-sama... dies sind die Flügel, die Ihr suchtet.“

„Nun...“ Erneut erklang die tiefe, sinnliche Stimme. „Endlich begegnen wir einander, kleiner Erbe.“ Nur ein Fingerschnipsen war nötig – schon fand Kyo sich selbst zurückgeschleudert wieder, weniger heftig, mit dem Körper an das alles überragende Kreuz gepresst.

„Toshiya, was hat das verdammt noch mal zu bedeuten?!“, fauchte er, kämpfte mit aller Macht gegen jene unsichtbare Kraft an, die ihn am Kreuz zu halten schien, die Arme waagerecht an beide Seiten des Holzes gepinnt.

Jener lachte hell auf, ging auf ihn zu. „Hast du das noch immer nicht verstanden, du dummes Ding? Ich bin nicht dein Wächter. Ganz im Gegenteil, ich bin der, den du in den dunkelsten Momenten deines Lebens gefürchtet hast. Der Verräter, der dir dein Herz klaute, um es vor deinen Augen zu zerbrechen – nun sind all deine finsteren Ängste der Vergangenheit eingetroffen. Ans Kreuz gefesselt, der Macht der Dunkelheit ausgeliefert. Und all das Dank mir.. dem Einzigen, dem du blind vertrautest. Na, wie fühlt es sich an...?“

Kyos Rangeln, sein Kampf gegen die unsichtbaren Fesseln war abgestorben. Er sah Toshiya in einer Mischung aus Verzweiflung und Unglauben an. „Das ist nicht wahr...“ Die Worte verließen seinen Mund leise, betreten.

„Seht ihn Euch an, Meister. Er glaubt mir noch immer nicht.. Was kann man da bloß tun?“ Kaoru musterte die Miene seines ergebenen Dieners fast belustigt. „Gewisse Details sollten wir ihm gönnen, ehe er diese Welt verlässt, nicht wahr, Toshiya?“ „In Ordnung.“

Toshiya trat erneut dichter an Kyo heran, bis er direkt bei ihm stand, das heftig hämmernde Herz förmlich spüren konnte. „Nun, Kyo-chan. Womit fangen wir an? Dass du der Familie der Finsternis auf den Leim gegangen bist? Dich gegen alles Gute gewendet hast, um deinen Gefühlen zu folgen?

Unsere Familien sind von je her verfeindet gewesen, haben sich einen jahrelangen, erbitterten Kampf um die Macht geliefert. Doch es kam nie zu einem Ergebnis. Ihr mit euren Kräften habt unsere Reihen immer weiter und weiter ausgerottet, bis ihr schließlich in der Überzahl wart, nur noch ein Lebewesen aus unserer Familie übrig gelassen hattet... Deine Vorfahren haben meiner Familie alles genommen, haben die einst mächtigste Generation der Dunkelheit in die Knie gezwungen, sie um ihre Würde gebracht. Das ist der Grund, weswegen mein Meister, der Einzige, der überlebte, deiner verfluchten Familie Rache schwor.

Er schwor bei seiner Ehre, euch bis auf das letzte Glied in der Kette auszulöschen und dann eure gesamte Macht in sich aufzunehmen.. Er hat nun über Generationen hinweg jedes Mitglied deiner Familie zerstört, mittels meiner Hilfe dem Erdboden gleich gemacht. Doch scheinbar waren wir immer zu langsam, jedes Mal tauchte ein neuer Erbe auf. Immer... bis zu diesem Zeitpunkt.

Dieses Mal ist alles anders, Kyo-chan. Du bist der letzte Erbe, das letzte Flügelpaar – mit dir werden wir endlich beenden, was vor Jahrhunderten in einem bitteren Kampf begann. Wir haben unsere Strategie vollkommen verändert. Es gelang uns, dich bereits nach deiner Geburt ausfindig zu machen. Dein gesamtes Leben ist nach unseren Leitfäden verlaufen, um diesen einzigen Tag, den heutigen, vorzubereiten.“

Kyo, bisher schweigend und mit schmerzvoll abgewandten Blick Toshiyas hasserfüllten Worten lauschend, sah wieder auf. Die letzten Sätze hatten einen Impuls in ihm geweckt. „Was willst du damit sagen...?“, fragte er leise.

Ein eisiges Lächeln, so unglaublich kalt, dass Kyo daran zu erfrieren glaubte. „Das weißt du immer noch nicht? Was glaubst du, warum deine Kindheit so einsam verlaufen musste? Die unkontrollierte Wut deines Vaters, immer wieder ausbrechend, wenn sie zu sinken schien. Die Krankheit deiner Mutter, die unbestimmte Schwäche, die sie an diesen Tyrann eines Mannes band.. und deine eigene Unfähigkeit, über deinen Kummer zu sprechen.

Du musstest vereinsamen, damit ich es leichter haben würde, mich dir zu nähern, dein Vertrauen zu erlangen. Siehst du? Selbst deine Eltern hatten unter dir zu leiden..“

Kyo biss sich erneut fest in die Unterlippe, versuchte, das unglaubliche Gefühl der kalten Wut, des gleichzeitig heiß flammenden Zorns, nicht ausbrechen zu lassen. „DU bist Schuld, dass meine Mutter erkrankt ist? Mein Vater so ein verdammtes Arschloch war? DU hast mein ganzes verdammtes Leben so versaut?!“

Toshiya lächelte scheinbar erfreut. „Endlich hast du es verstanden. Ich bin stolz auf dich, Kyo-chan..“ Er hob die Hand, streichelte sanft mit den kalten Fingerspitzen über Kyos Wange. „FASS MICH NICHT AN!“ Kyos Kampfgeist schien erwacht. Er kämpfte verbissen gegen die unlösbaren Fesseln an, warf Toshiya dabei aufgebrachte Bemerkungen entgegen.

„Du hast mich von Anfang an belogen und betrogen? Die ganze Zuneigung, jeder kleine FETZEN an Freundlichkeit war nur gespielt?! NICHTS, verdammt noch mal NICHTS von all dem entsprach der Wahrheit? WIESO?! WIESO, Toshiya?“

Toshiya beobachtete schweigend das aufgewühlte Gesicht, lauschte Kyos eindringlichen Fragen regungslos. Er realisierte die Tränen, die in die großen, braunen Lichter traten, die Wimpern berührten und schließlich überliefen, Kyos Wangen hinunter rannen. Eine Mischung aus Wut und Verzweiflung, Enttäuschung und Angst – ein tödlicher Mix.

„Das habe ich dir soeben lang und breit erklärt, Kyo. Ich hasse dich und deine verfluchte Familie. Kaoru-sama will dich tot sehen. Also will auch ich es.“ Kühle Worte, die nicht einmal mehr von Toshiyas Spott durchzogen waren. Dort war nichts mehr, nichts außer der Kälte, die die große Erscheinung ummantelte.

„Toshiya.“ Der Gerufene drehte sich um zu Kaoru, der hinter ihn getreten war. „Lasse mir das Wort.“ „Ja, Meister.“ Der Größere nickte ergeben, machte einen Schritt zurück.

„Nun, Flügel... Ich gebe zu, ein wenig überrascht zu sein. Oder ist es Enttäuschung, die sich in mir widerspiegelt? Du bist nichts, ein Insekt, das ich ohne Aufwand zerquetschen werde. Ursprünglich erhoffte ich mir von meinem letzten Kampf mit der Familie des Schwalbenschwanzes mehr... Doch deine Würdelosigkeit macht es mir leichter.“

Ein Lächeln, kälter als Eis, huschte auf das helle Gesicht. „Wie fühlt es sich an, ans Kreuz genagelt zu sein?“, fragte er leise, direkt an Kyos Ohr. Jener spürte, wie sein Puls schneller ging, sein Herz noch heftiger gegen seine Rippen krachte. Die Ausstrahlung seines Feindes war angsteinflößend, ließ seinen Körper auf die Signale, die er ausstrahlte, reagieren.

„Das Kreuz symbolisierte schon immer Schmerz, nicht? Dieser törichte Messias, den ihr Menschen erschuft... am Kreuze vergangen. Auch den Vampiren, die ich zu meinen nächsten Verwandten zähle, war das Kreuz immer ein Feind. Und nun wird es auch dich dem Tode weihen...“

Kaorus Blick wanderte über den schlanken, muskulösen Körper des Wehrlosen, blieb mit den aufmerksamen Augen an dem Schmuckstück hängen, das um Kyos Hals baumelte. Der dunkle Meister hob die Augenbrauen, eine kleine Geste, die ihn in seiner Kälte unterbrach.

„Siehe an...“, machte er, es klang zischend. Sich zu Toshiya umdrehend deutete er auf das Silberkreuz. „Wer hätte das erwartet?“ Toshiya öffnete den Mund, bewegte ein paar Mal die Lippen, wie ertappt.

„Das – das habe ich ihm geschenkt. Mir fiel nichts Besseres ein, er musste doch irgendetwas zu diesem lächerlichen Menschenfest bekommen.“, erklärte er schließlich gelassen. Kaorus Lippen verwandelten sich in einen schmalen Strich. „Entferne es.“

„Was? Aber Meister, es ist doch nur ein-“ „ICH SAGTE, ENTFERNE ES!“ Toshiya zuckte zusammen, als sein Herr die Stimme so erschreckend laut hob. Er näherte sich Kyo erneut, riss das Kreuz mit einem Ruck ab. „Gomen, Kyo-chan, muss ich dir dein Geschenk wieder nehmen.“, lächelte er spöttisch, wollte das Kreuz in seiner Manteltasche verschwinden lassen.

„Gib es mir.“ „Wie...?“ Kaoru hielt ihm die gewölbte Handfläche entgegen. Nur zögerlich überließ Toshiya ihm das Schmuckstück. Kaoru betrachtete das Kreuz eine Weile, zerbrach es schließlich.

Mit einem Zischen stieg ein unsichtbarer Dunst hervor. „So...“, flüsterte der Violetthaarige, seine Augen verengten sich beängstigend. „Ein Schutz innerhalb dieses billigen Schmucks? Hast du mir etwas mitzuteilen, Toshiya...?“ „Was? N-Nein, das ist ein alter Zauber.. für mich. Bitte, Meister, das müsst Ihr mir glauben!“

Kyo, vergessen innerhalb dieser Unterhaltung, zerrte weiter an den unauffindbaren Fesseln, chancenlos. Der Zauber, der ihn zurückhielt, war stärker als er. Doch die Stimmen in seinem Kopf sprachen klarer – also verfiel er in Schweigen und versuchte, ihnen zuzuhören.

Beginne, deine Kräfte zu nutzen, Erbe..

Kyo runzelte die Stirn.

Aber wie?

– Erwache...

„HEY! Nimm deine Finger von ihm, du nerviges Stück!“ Kyo zuckte erschrocken zusammen, folgte Toshiyas wütendem Blick hin zu Die. Vor dem Bewusstlosen hatte sich eine Person hingekniet, die sich nun ausdruckslos erhob und zu Toshiya hinüberging.

Kyo musterte schweigend, wie Shinyas Gesicht – es wirkte leer und doch kochend vor Wut – sich verzog, als er die Hand hob, Toshiya eine schallende Ohrfeige verpasste.

„Was fällt dir ein?!“, fauchte Toshiya, stieß Shinya zurück. „DAS FRAGE ICH DICH! Hast du noch nicht genug zerstört? Glaubst du ernsthaft, deine verkommene Seele wird je Ruhe finden, wenn du ausgerechnet Kyo dem Tod überlässt?“

In dieser Sekunde fiel es Kyo wie Schuppen von den Augen. Es war, als hallten Dies Worte durch seinen Kopf. Ein Wächter darf sich dir gar nicht so zeigen, ich habe mich erkundigt... „Shinya..“, kam es erstickt über seine Lippen.

Shinya drehte sich, Kaoru ignorierend, zu ihm herum. „Es tut mir leid.“, flüsterte der Hellblonde. „Ich wollte dir das ersparen.“ „Wieso hast du es mir nicht gesagt?!“, rief Kyo hitzig. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du mein Wächter bist? Du hast mich weiter ins Messer laufen lassen, ich-“

Toshiyas Lache unterbrach seine Worte. „DER? Dein Wächter? Oh Kyo-Schatz, du redest Unsinn. Dein Wächter, weißt du, wo DER ist? Der liegt unter der Erde, dafür habe ich gesorgt.. Nein, nein, nein... Shinya ist noch eine ganz andere Gattung, nicht wahr, mein kleiner Engel...?“

Der Spott war in Toshiyas Stimme zurückgekehrt. Shinya schluckte, man konnte es am Zucken seiner Halsschlagader sehen. „Ich bin nicht dein Wächter, Kyo.“, flüsterte er. „Ich bin nur hergekommen, um dich zu schützen.“

Kyos Augen musterten ihn prüfend. „Wer ist er dann?“, fragte er misstrauisch, an Toshiya gewandt. „Oh, das ist eine interessante Geschichte, nicht wahr, Shinya? Du musst wissen, Shinya war einst ein Engel. Ein Engel, hier auf Erden tätig, um gute Taten zu vollbringen.. die bemitleidenswerteste Art des Guten überhaupt. Doch – wie soll ich sagen – in den letzten Jahren hatte ich nicht viel zu tun. Ich brauchte ein Hobby, also begann ich, möglichst viele auf Erden stationierte Engel mittels meiner dunklen Macht zu verführen, sie in meine Sammlung an gebrochenen Herzen einzufügen, um sie schließlich zu verraten. Shinya war der Letzte, den ich um seinen Posten als Engel brachte, weil er mir verfiel... Nun, inzwischen lautet sein Status >Gefallener Engel< und keine noch so gute Seele da oben interessiert sich mehr für ihn. Tragisch, nicht wahr?“

Shinya musterte ihn vernichtend. „Sei ruhig, du mieses-“ „Oh, oh, oh, VORSICHT. Oder willst du als Staubhaufen enden? Shinya, du warst mir zu lästig in letzter Zeit. Es reicht.“ Ein erneutes Fingerschnipsen, nachdem Toshiya sich sein Vorhaben durch Kaorus Nicken bestätigen lassen hatte.

Mit einem Schrei flammte alles um Shinya herum auf, das lodernde Feuer umschloss seinen Körper, bis er schließlich kraftlos zu Boden sank, sich nicht mehr rührte. Kyo spürte neue Tränen, die in seinen Augen brannten, sich den Weg seine Wangen hinab bahnten. Erst war Die durch ihn zu Schaden gekommen, nun auch noch Shinya – die Einzigen, die ihm vielleicht noch hätten helfen können, die Einzigen, die ihm wirklich beigestanden hatten, mussten nun dafür bezahlen, in seiner Nähe gewesen zu sein.

„Du Monstrum! Was tust du allen Menschen, die ich liebe, an?! WIE KANNST DU ES WAGEN?!“ Es brach einfach aus ihm heraus, die Verzweiflung, die so schmerzhaft in ihm loderte, ihn bei lebendigem Leibe verbrennen wollte. In den weit aufgerissenen braunen Augen flackerte ein Feuer, wie Toshiya es nie zuvor gesehen hatte.

Er teilte seine Lippen, um zu einer Antwort anzusetzen, wurde jedoch von Kaorus erhobener Hand zum Schweigen gebracht. „Sht.“, machte er gelassen. „Wir wollen doch keinen Ausbruch unseres Erben provozieren, Toshiya. Seine Energie darf erst mit seinem Tode freigesetzt werden, wenn sie uns zugute kommen soll...“

Er wandte sich an Kyo, herrschte diesen kühl an: „Und du schone meine Nerven, dieses ewige Zetern missfällt mir. Benimmt sich so der Letzte einer alten Magierfamilie? Deine Unwürde ist noch schlimmer zu ertragen als diese lächerlichen Tränen.“

Kyos Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er ballte die Hände zu Fäusten, während er zurückherrschte: „Fang mal bei dir an, du überholte Quasselstrippe! Wer hält mich denn hier so stillos fest, anstatt sich mir unter fairen Bedingungen zu stellen?! DAS ist unwürdig. Wenn ich könnte, hättest du längst so welche sitzen, dass dir die Magie auch nicht mehr viel nützte, ich-“

„Kyo!“, unterbrach Toshiya ihn und zog Kaoru sanft ein Stück von dem Jüngsten weg. „Lauscht seinen Worten nicht, Meister. Er ist ein dummes Kind, das nichts verstanden hat. Was glaubst du, Kyo, wieso die Stimmen nicht mehr zu dir gesprochen haben? Wieso der Schwalbenschwanz dich im Stich ließ? Du hast alle Hinweise, die sie dir schickten, missachtet, sie vor den Kopf gestoßen, um weiter einem Traum hinterher zu jagen – mir. Du hast dir dein Grab selbst geschaufelt, also wage es nicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen.“

Kyo schloss für einen Moment die Augen, kämpfte verbittert mit seiner Fassung.

Bitte... ich brauche Hilfe, irgendwie.. ich werde nicht draufgehen, nicht jetzt, nicht hier! Schickt mir doch verteufelt noch mal Hilfe!

Kaoru lachte hell auf. „Wie amüsant. Er fleht und winselt in Gedanken, um sich nicht vor uns bloßzustellen... Hast du noch immer nicht erkannt? Wir kennen jeden deiner Gedankengänge in- und auswendig, kleines Flügelpaar.“

Der dunkle Meister wartete keine Antwort ab, ließ seine alles erfassenden Augen über den grauen Himmel gleiten, um den Stand der farblosen Sonne zu prüfen.

„Sie steht in direkter Gerade zum Kreuz.“

„Ja...“

Kaoru wechselte einen weiteren Blick mit seinem jüngeren Gefährten. Mit einem zufriedenen Lächeln erkannte er: „Es wird Zeit, sich zu verabschieden. Hast du noch einen letzten Wunsch, Kyo?“

Es klang spottend, verhöhnend, doch der kleine Blonde ignorierte es, die Augen starr auf Toshiyas emotionslose Miene geheftet. „Ja.“, murmelte er leise. „Er soll es tun.“ Ein Augenpaar, das zu ihm aufschoss. Kaorus Lachen erklang ein zweites Mal. „Wie herzergreifend... Ich bin untröstlich, mein Schmetterling, diesen Wunsch muss ich dir verwehren. Wir wollen doch, dass deine Macht von mir Besitz ergreift – dem Henker des Opfers Kräfte...“

Es ging schnell.

Viel zu schnell.

Der Bruchteil einer Sekunde, in dem Kyos Augen den Schwalbenschwanz erfassten, der hinter Kaoru auf- und abtanzte, ehe alles schmerzend hell und grell wurde; eine Druckwelle, wie er sie noch nie zuvor erlebt hatte, die seine unsichtbaren Fesseln löste. Ein Aufprall, als etwas seinen Körper erreichte, noch bevor er zu Boden sank, überrascht über das plötzliche Versagen seiner Ketten. Kyos Gedanken drehten sich. Der Tod fühlte sich wirklich merkwürdig an.

Zu...

Lebendig?

Er riss die Augen auf, versuchte, trotz der Blendung etwas wahrzunehmen. Nur bruchstückweise klärten sich die Konturen, nahmen seine Sehorgane das gewöhnliche Tageslicht wieder an.

Ein Laut des Unglaubens ertönte, gefolgt von einem zweiten Geräusch, einem schmerzerfüllten Laut.

„Toshiya...“ Ein Flüstern. Kyo, noch immer auf den Knien, rappelte sich nur halb auf, um ein paar Zentimeter voran zu kommen, auf wackeligen Beinen neben Toshiya zu Boden zu stürzen. „Toshiya! Was hast du gemacht, du Idiot?!“

Heftiges Atmen, stoßweise und mit Schmerzen verbunden. Der große Dunkelhaarige presste sich seine linke Hand vor den Oberkörper, doch das Blut, das aus der offenen Wunde strömte, ließ sich nicht zurückhalten.

Trotz der Pein ignorierte Toshiya die Verletzung, blickte auf in das Gesicht des Menschen, der sich über ihn gebeugt hatte, ihn verwirrt und entsetzt zugleich besah. Er zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, brachte nur mühsam hervor: „Nur einmal... wollte ich – etwas richtig machen...“

Die Tränen, so locker sie doch saßen, füllten erneut Kyos Augen aus. Er umschloss die zitternde Hand Toshiyas und drückte sie fest, schüttelte langsam den Kopf. „Warum...?“ „Es tut mir so leid.. alles...“ Ein Husten, gefolgt von Atemnot. „Und jetzt ist es zu spät..“

Erneutes, diesmal jedoch heftiges Kopfschütteln. „Nein! Du – das wird wieder, und dann-“ Ein heiseres Lachen. „Nun gehe ich erst mal drauf.“, keuchte Toshiya leise, hob seine andere Hand an Kyos Gesicht, streichelte zittrig über die tränenbenetzte Wange.

„Nicht weinen... Lächle für mich. Nur noch dieses eine Mal.“ Kyo biss die Zähne zusammen, versuchte, gegen das Gefühl der Kraftlosigkeit anzukommen, nur, um Toshiyas Bitte nachzukommen. Ein klägliches Lächeln war es, das auf seine Züge trat, doch Toshiya erkannte es an.

„Es ist so schön.. bewahre es für mich.“ Wieder begann der Verletzte zu husten, kämpfte um jeden Atemzug. Das unheilverkündende Nass rann weiter über Kyos Wangen, als er das stumpfe Schimmern des Schmerzes in Toshiyas Augen wahrnahm.

„Toshiya..“, flüsterte er noch einmal. „Lass mich nicht alleine zurück. Bitte...“ Toshiyas Augenlider sanken, öffneten sich wieder. „Du – kannst es. Ich weiß es...“ „Nein! Ich kann nicht, nicht ohne-“ „Sht...“ Toshiyas rechte Hand zog ihn weiter herunter, die Stimme war zu leise, zu dünn geworden, um ihn anders noch zu verstehen.

„Ich liebe dich..“

Kyo blinzelte, starrte fassungslos hinab in das mehr und mehr vom Schmerz durchzogene Gesicht. „Denk dran.. wenn du ihn besiegst...“

Erneut schlossen sich die Augen.

Ohne sich wieder zu öffnen.

„Toshiya?“ Kyos Atem wurde unregelmäßiger, er spürte sein Herz ungesund schnell schlagen. Er zog seine Hände weg von der blutigen Verletzung, rüttelte ihn leicht an den Schultern. „Toshiya! BITTE! Wach auf, Toshiya!!!“

Ein Schatten fiel auf die beiden herab. Kyo unterbrach seine verzweifelten Versuche, dem regungslosen Körper ein Handeln abzuverlangen, und sah auf zu Kaoru, der Toshiya mit Missgunst begutachtete.

„Törichter Narr..“, murmelte er. „Dachtest du, du wirst ihn damit retten?“

Es klang desinteressiert. Die Tatsache, wie Kaoru über seinen Gefährten sprach, wie wenig es ihn berührte, dass Toshiya den Tod gewählte hatte, um Kyos Leben zu sichern, und die Art, wie er dieses Handeln verhöhnte – es schien erneut jene Wut freizusetzen, die bereits in ihm hochgekommen war, es jedoch nicht zum Ausbruch geschafft hatte.

Die Brücke begann zu beben.

Kaorus Blick, für einmal nicht mehr von abstoßender Selbstgefälligkeit durchzogen, schoss zu Kyo hinunter. „Verharre! Wage es nicht, zu erwachen, du nutzloses Ding!“ Doch was auch immer es war, das dort so haltlos in dem Jüngeren erwachte, sich ausbreitete – es hatte Auswirkungen auf ganz Tokyo. Gebäude wackelten über dem zitternden Erdboden, stürzten ein, zumindest teilweise; alle Naturgewalten schienen sich gleichzeitig einig geworden, das dunkle Ritual zu unterbrechen, eine Apokalypse der natürlichen Mächte.

Die Sonne, bisher ein farbloser Ball, nur von tristem Grau durchzogen, erstrahlte wieder in ihrem hellsten Glanz, brannte hinab auf die Erde, somit auch zu Kaoru, dem Höchsten der Dunkelheit.

Zu hell schließlich auch für Kyo, um die Augen offen zu halten, das Letzte, was er vernahm, bevor auch er beiseite geschleudert wurde, durch den Schlag die Besinnung verlor, war ein gepeinigter Schrei.
 

~~
 

tbc ...

under the sun

VORSICHT:

Falls ein Upload-Fehler geschehen sein sollte [wäre nicht das erste Mal ^^;]: Das ist bereits das letzte Kapitel, bitte lest erst Chapter 22, bevor ihr euch dieser Sequenz widmet!!

Wenn ihr Kapitel 22 bereits gelesen habt - immer weiter. ^_~
 

Chapter 23 – under the sun
 

~~
 

Bei dem Erdbeben in Tokyos Stadtteil Shinjuku gestern Vormittag, das eine hohe Anzahl an Läden und Wohnungen zerstörte, wurden auf unerklärliche und doch glückliche Weise nur wenige Menschen verletzt, ein junger Mann jedoch getötet. Die Aufbauarbeiten-

Der Fernsehbildschirm verwandelte sich in tiefes Schwarz.

Die warf seinem jüngeren Freund einen behutsamen Blick zu. Er hatte bemerkt, wie Kyos Gesichtszüge während des Nachrichtenbeitrags immer ausdrucksloser wurden, das Gerät daher abgestellt.

Die Augen des Redheads flackerten weiter zu Shinya, der leise seufzte, sich über die schmerzende Schulter strich. Seine Handgelenke, Arme waren stellenweise mit Verbänden umwickelt, sollten die letzten Überreste der feindlichen Attacke zum Heilen veranlassen. Auch an Dies Hinterkopf ließ sich eine Verletzung ausmachen, eine Platzwunde, verbunden mit der Gehirnerschütterung, die ihm solch elendige Kopfschmerzen bereitete. Doch seine Kopfschmerzen waren nichts, nichts im Vergleich zu dem, was die Miene seines besten Freundes widerspiegelte.

Kyo starrte hinab auf seine Handflächen.

Nichts... dort war nichts an ihm, abgesehen von dem Verband, der die Haut seines rechten Handgelenks verdeckte. Eine Verstauchung, nichts von Bedeutung. Wieso war er, ausgerechnet er verschont geblieben? Er, der Auslöser dieses Infernos, das Shinya, Die und andere, ihm fremde Menschen verletzt, weiteren das Zuhause genommen – eben jener Katastrophe, die Toshiyas Leben mit sich fort getragen hatte.

Toshiya...

Die öffnete den Mund, suchte nach Worten, um Kyo seinen Trost auszusprechen. Angesichts der verdächtig schimmernden Augen aber schien jedes Wort sinnlos, unwürdig. Seine Unschlüssigkeit erkannte Shinya schnell, daher beschloss er, an Dies Stelle das Wort zu ergreifen.

„Kyo.“ Ein leichtes Nicken. Kyo sah nicht auf, reagierte nicht weiter – nickte einfach nur. „Es tut mir leid.“ Nun hoben sich die dunklen Tiefen doch zu ihm an. „Was?“, flüsterte die kindlich-hohe Stimme leise.

„Du hattest in mir nicht die Unterstützung, die ich dir geben wollte. Ich war nicht auf diesen frontalen Angriff gefasst, sonst hätte ich ihn abgewehrt.. es tut mir leid. Ich wünschte, ich wäre dir eine größere Hilfe gewesen.“

Kyos Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das an Bitterkeit nicht mehr zu übertreffen war. „Du entschuldigst dich, weil du für mich ein Risiko eingegangen bist? Weil du meinetwegen Schmerzen hast?“

Shinya blinzelte leicht, suchte Dies Blick. Jener räusperte sich vernehmlich und erkannte: „Schuldzuweisungen bitte an diesen inzwischen nicht mehr existenten Pseudo-Rächer... Shinya, ich bin mir sicher, du hast getan, was du konntest. Und du, Kyo.. hör auf. Hör einfach auf, dich für unsere Verletzungen verantwortlich zu machen. Wir sind dir freiwillig in diese Scheiße gefolgt, ne. Weil wir dich lieben und dir helfen wollten.“

Seine Worte waren klug und der Wahrheit entsprechend, und doch hätte er seinen letzten Satz nicht ungeschickter wählen können. Kyo, seit dem Erwachen in der Unfallchirurgie sehr schweigsam, hatte nur vage die letzten Momente vor dem Ausbruch seiner Kräfte geschildert, Toshiyas Liebesgeständnis dabei nicht direkt erwähnt – doch nun, da die Aussage erneut fiel, schien die Erinnerung daran hervorzubrechen.

„JA, genau das ist es! Weil ich zu schwach war, mich zu wehren, meine Verantwortung selbst zu tragen.. meine wichtigsten Freunde sind verletzt – und er.. er ist TOT. Und wieso?! Weil ihr mich liebt, nur meinetwegen...“

Es war in einem aufgebrachten Schwall über Kyos Lippen gedrungen. Nun, da die Stille wieder den Raum beherrschte, senkte der kleine Blonde hastig den Blick, um die erneuten Anzeichen von Schwäche zu verstecken.

Die seufzte abgrundtief, erhob sich vorsichtig, um sich neben Kyo auf dem Sofa niederzulassen, die im Schoß verkrampften Hände zu lockern. „Kyo, rede nicht so.“, flüsterte er liebevoll in das blonde Haar. „Niemand, absolut niemand von uns trägt für irgendetwas die Schuld. Und Toshiya hat dich mit seinem Leben beschützt, weil er es nun einmal sichern wollte. Denkst du, es machte ihn glücklich, dich jetzt von Vorwürfen geplagt zu sehen? Er hat sich letzten Endes für das Richtige entschieden, für dich... Sei stolz auf dieses Opfer, das er brachte. Es zeigt, wie unglaublich er an dir hing.“

Ein unterdrücktes Schluchzen. „Ich wünschte, er hätte es nicht getan... Warum hat er mich nicht sterben lassen?!“ Es klang erstickt, verzweifelt. Bestürzt sah Die hinab auf den blonden Schopf, nicht sicher, was zu sagen oder zu tun.

Shinya hingegen schien es genau zu wissen, als er ebenfalls aufstand, Kyo auf die Beine zog – ihm dann nach einigen Sekunden des Schweigens eine Ohrfeige verpasste.

„Wach. Gefälligst. Auf.“, flüsterte er, jedes seiner Worte dabei scharf wie eine Dolchspitze. „Er hat seine Fehler mit dem Leben bezahlt, um dich zu retten, dich und die Ordnung dieser Welt. Und SO würdigst du diese Handlung? In dem du über sie klagst? Er hätte dich sterben lassen können. Doch Toshiya wollte dich leben sehen. Also-“

„Hör auf, Shinya!“, unterbrach Die ihn strikt und griff nach Kyos Hand, führte ihn daran zurück zu sich auf das weiche Sofa. Er schloss sanft die Arme um den kleineren Körper, sagte behutsam: „Nimm es ihm nicht übel. Wir wissen, dass du Toshiyas Entscheidung eigentlich würdigst.. aber er hat Recht. Du kannst weinen, schrei meinetwegen, mach irgendetwas Dummes – doch tu dir nicht selbst so unnötig weh.“

Kyo erwiderte nichts mehr, verweilte gegen Dies Oberkörper gelehnt, mit leicht zuckenden Schultern als einzigen Hinweis auf die lautlosen Tränen, die unerbittlich hervorströmten. Shinya begegnete Dies Blick ruhig, mit einem angedeuteten Lächeln.

Ich bin stolz auf dich.

Ein einzelner Gedanke, der in Dies Kopf auftauchte, nicht ihm gehörte.

Er braucht dich jetzt mehr als alles andere. Sei ihm ein guter Freund.

Die runzelte die Stirn. Dies hörte sich so endgültig an, dass es ihm Unbehagen bereitete.

„Es war schön, euch kennen gelernt zu haben.“ Shinya hockte sich vor den beiden Jüngeren hin, lächelte ansatzweise weiter. „Die Zeit mit euch war wundervoll. Vielen Dank für eure Freundschaft.“ „Du gehst? Jetzt?!“ Die schüttelte den Kopf. „Das kannst du doch echt nicht bringen, wieso ausgerechnet an diesem Zeitpunkt?“

„Gehe ich, wenn der Schmerz nachgelassen hat, wird mein Verschwinden einen neuen Stich hinterlassen. Es ist an der Zeit, dass ich heimkehre...“ Shinyas Miene wurde trauriger, jedoch nicht bedrückt. „Nun, da Kyos Kräfte erwacht sind, wird der Rat einen neuen Wächter beordern, der sich um ihn kümmert. Ich wünsche euch viel Glück, ihr zwei. Bewahrt euch eure Freundschaft.“

Shinya umarmte Kyo sanft, drückte auch Die, ehe er sich zur Tür wandte, mit einem letzten Winken verschwand.

Kyo wischte sich schwer schluckend die nassen Wangen trocken, unnütz zwar, da die Tränen nicht aufhören wollten zu fließen, doch er versuchte es in dem Bewusstsein, Interesse für Shinyas Weggehen zeigen zu müssen.

„Er wird fehlen.“, murmelte seine Stimme leise, zittrig. Die nickte ächzend. „Mit wem soll ich denn in Zukunft hinter dir herspionieren?“, versuchte er es mit einem Witz, konnte Kyo jedoch kein Lachen entlocken. Nicht heute, nicht unter diesen Umständen.

Der Blick des Jüngeren wirkte wieder abwesend, steckte Die an, stürzte auch den sonst so unerschütterlichen Rotschopf in düstere Gedankenwelten.

Oh Kyo.. was muss nun in dir vorgehen? Warum wirst du für deine Tiefe so gestraft? Der Gedanke, dass der Mensch, den man am meisten liebt, für einen gestorben ist, ist doch unerträglich! Und noch dazu die Tatsache, dass Toshiya dir seine Liebe wenige Momente zuvor das erste Mal aufrichtig gestand – es ist grauenvoll. Wieso verdammt hat man ihnen nicht einen Augenblick des gemeinsamen Glücks gelassen? Nicht einen...?
 

~~
 

„Ich habe etwas für dich.“

Kyo sah auf in das lächelnde Gesicht.

Die setzte sich auf den Schreibtisch des Jüngeren, kickte dabei ungewollt einen Schreibblock dem Erdboden entgegen. „Ups..“

Der Kleinere bückte sich danach, sammelte ein paar der einzelnen Blätter auf. Die beobachtete ihn dabei, musterte die Papiere, die nach und nach von Kyo auf den Schreibtisch gepackt wurden.

Eine Zeichnung erregte dabei seine Aufmerksamkeit. Der Redhead zog das Blatt unter den anderen hervor, besah das mit Bleistift gezauberte Gesicht mit einem warmen Lächeln. „Hast du das gezeichnet?“, fragte er, obgleich er natürlich wusste, wie unnötig diese Frage war.

„Hm...“ „Du hast ihn echt gut getroffen.“, lobte Die begeistert, vielleicht zu munter, um seine gute Laune echt wirken zu lassen. Das neue Jahr war noch nicht lange eingetroffen, zu frisch noch waren die Wunden in Kyos Herz, um ihn zum Lächeln oder gar Lachen zu bringen. Es würde lange dauern, Wochen, wahrscheinlich sogar Monate, bis Die den Menschen wieder zu Gesicht bekam, den er über alles schätzte. Doch er war fest entschlossen, ihn zu stützen und ihm das Lächeln wiederzugeben.

„Aber zurück zum Thema – dabei, passt eigentlich sehr gut... mein Geschenk.“ Kyo sah ihn verwirrt an. „Hm?“ Die grinste leicht, griff in seine Jackentasche, beförderte etwas zu Tage: eine Silberkette, an der ein Kreuz baumelte. Das Kreuz zeigte an einer Stelle eine kleine Unebenheit, war ansonsten jedoch völlig intakt.

„Die kleine Schramme da hat der Juwelier nicht mehr weggekriegt, aber der Rest ist so gut wie neu.“, erzählte Die zufrieden, hielt Kyo das Schmuckstück entgegen. Der Jüngere betrachtete es schweigend, griff dann vorsichtig danach.

„Wie...-“, fing er an, wurde unterbrochen. „Ich habe die zwei Teile fast direkt neben mir gefunden, als ich aufgewacht bin. Du warst noch bewusstlos, Shinya auch – ich war wohl der Einzige, der das Eintreffen der Sanitäter überhaupt mitbekam. Na ja, ich habe die Stücke mitgenommen, bevor sie bei den Aufräumarbeiten verloren gehen konnten, dachte mir, du wolltest sie vielleicht haben.. doch dann kam mir der Gedanke, man könne es doch eigentlich reparieren lassen. And here we are.“ Er schenkte Kyo ein zahnreiches Lächeln.

Kyos Augen ließen das fragile Silberstück in seinen Händen nicht aus den Augen, fast zitterten seine Finger, als er wieder den Kopf hob, Die ein leises Danke aussprach. „Das.. vielen Dank, Die. Du weißt nicht, was mir dieses Kreuz bedeutet...“

„Nein, das weiß ich nicht.“, stimmte Die sanft zu. „Doch ich weiß, was du mir bedeutest. Und ich möchte dich lächeln sehen..“ Er nahm Kyo die Kette aus den Händen, hängte sie ihm sorgsam um den Hals. „Tada.“

Kyo zwang sich, kämpfte mit sich – doch seine Gesichtsmuskel schienen sich gegen ihn verschworen zu haben, wollten ihm kein Lächeln schenken.

„Es geht einfach nicht...“, flüsterte er mit gesenkten Augenlidern, umklammerte den Anhänger wie den kostbarsten Schatz auf Erden. Die nickte verständnisvoll, legte die Arme liebevoll um den kleineren Körper. „Ist okay, Kyo, ich weiß doch. Versprich mir nur, mich an deinen Gefühlen teilhaben zu lassen, verschließe dich nicht vor mir.“

Kyo lehnte sein Gesicht gegen Dies Oberkörper, dankbar für die Wärme und Liebe, die sein bester Freund ihm schenkte. Doch trotz der Dankbarkeit, des Trostes, wollten die Wunden sich nicht schließen.

Der Gedanke, Toshiya nie wieder sehen zu dürfen, war immer präsent, ließ sich nicht verscheuchen. Und er verletzte – bohrte einen Dolch durch das bereits angegriffene, zerbrechliche Glas seines Herzens...
 

~~
 

Es war spät in der Nacht.

Längst waren seine Eltern zu Bett gegangen, Ruhe war eingekehrt in die kleine Dreizimmer-Wohnung. Kyo saß auf der Fensterbank, starrte hinauf in den vom Mond erhellten Himmel, die Finger fest um das über alles geliebte Kreuz geschlossen.

Während seine Augen weiter den Himmelstrabanten visierten, schweiften seine Gedanken – wie zu oft in den letzten Tagen – ab, drehten sich in der Endlosschleife weiter.

Es ist grausam, wie Mond und Sonne aufeinander trafen... Nicht wahr? >Gut und Böse< , wer entscheidet darüber? Festgelegte Regeln, die niemand aufgeschrieben hat und trotzdem jeder befolgt. Sind wirklich alle, die auf der Seite der vermeintlich Bösen kämpfen, schlecht?

Seine Gesichtszüge hellten sich ein kleines Bisschen auf, die sanfte Erinnerung an Toshiya umhüllte ihn wie ein warmer Schatten.

Nein. Du bist das beste Beispiel für die Ausnahmen, die Regeln bestätigen. In unserem Falle trafen zwei Welten aufeinander; doch ich, der ich auf der Seite des Lichtes stehe, war schon immer fasziniert von der Dunkelheit, der Nacht und dem Tode. Vielleicht liegt es an der Manipulation, die dein Meister von je her auf mich ausübte – du warst die Verkörperung dessen, was ich mir all die Jahre wünschte. Feinde... waren wir das jemals wirklich? Sicherlich, du ließest mich immer wieder an mir und meinem Wesen zweifeln, doch ebenso viel Kraft und Selbstbewusstsein hast du mir geschenkt. Ohne dich wäre ich nicht der Mensch geworden, der ich heute bin – ohne deine grausamen Absichten, die sich am Ende doch wandelten. Ich weiß nicht, wann der Zeitpunkt kam, von dem an du auf meiner Seite standest, mich in deinem Innersten lieben und schützen wolltest. Doch du hast es am Ende getan.

Toshiya... Ich vermisse dich so. Der Gedanke, dich niemals wieder zu sehen, ist unerträglich. Er schmerzt, scheint mir mein Herz immer weiter auseinander zu reißen.

Du sagtest einmal zu mir, ich füllte dein Leben aus.

Saa... Du hast dies ebenso mit meinem getan. An jenen Stellen, an denen vor unserem Aufeinandertreffen Einsamkeit und Selbstzweifel mein Innerstes füllten, warst plötzlich du. Hast gegen meine Verschlossenheit gekämpft, mir die Bedeutung meines Lebens gezeigt. Es ist mir gleich, ob dieses Interesse für mich nur gespielt war – am Ende war jedes Gefühl echt. Das ist es, was zählt.

Doch nun bist du fort. Und mit dir jeder Sinn. Wie konntest du in den wenigen Monaten, die wir miteinander verbringen durften, so viel Sinn in mein Leben bringen, dass es nun, ohne dich, so schrecklich leer wirkt? Leerer als je zuvor...?

Ein leises Seufzen, gefolgt von einer einzelnen Träne, die seine zarte Wange hinab rann. Kyos Lichter richteten sich auf die Sterne, die den Mond umgaben.

Fandest du damals wirklich, ich sei so schön wie der Stern im Planetarium?

Ich denke nicht. Du aber warst es definitiv – und wirst es für mich immer sein.

In Zukunft werde ich wohl immer, wenn ich einen schönen Nachthimmel sehe, an das Licht in deinen Augen denken müssen, mich an dein Lächeln zurückerinnern und versuchen, es dir gleichzutun... zu lächeln.

Danke, Toshiya. Trotz allem. Danke, dass ich dich lieben durfte.
 

~~ Owari ka? ~~
 

* * * * *
 

So, was bleibt zu sagen?

Erst einmal ein dickes DANKE an alle, die im Laufe dieser langen Geschichte nicht die Lust verloren und tapfer weitergelesen bzw. -kommentiert haben -- ihr seid großartig! ^___^ Ich freue mich riesig, wie vielen animexx-usern diese Geschichte ans Herz gewachsen ist, da sie mir wirklich viel bedeutet.

Dementsprechend hoffe ich, euch mit dem Ende nicht völlig vergrault zu haben - denn wie schon versprochen wird Teil 2 schon bald folgen!

Und für alle, die neugierig sind, gibt es hier einen klitzekleinen Schnupperauszug. Wie er zu verstehen ist, bleibt vorerst euch überlassen... ^.~
 

Groß und schlank, die bezaubernd engelhaften und doch in gewisser Weise verführerischen Züge, nicht zu erkennen, ob sich hinter der unschuldigen Miene wirklich das Reine der funkelnden Augen verbarg... Toshiya. Auf niemanden sonst konnte diese Beschreibung besser zutreffen, kannte Kyo doch keinen anderen Menschen, der gleichzeitig so charmant und doch so manipulativ war.
 

Hoffentlich bis bald in ageha no hane II -- macht's gut! ^.^



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Von:  Astrido
2010-09-07T20:25:00+00:00 07.09.2010 22:25
toll. ich mag es sehr gerne. die ganzen verworrenen beziehungen hast du schön verstrickt. mir ist nur nich so ganz klar, wer jetzt eigentlich kyo´s wächter gewesen ist.
und wieso shinya gehen musste.
eigentlich finde ich ja, wenn du die namen änderst, könntest du es auch als buch veröffentlichen^^ oder so ähnlich.
bin gespannt auf teil 2
Von: abgemeldet
2007-04-02T19:37:37+00:00 02.04.2007 21:37
sag mal bin ich jetz nur schon zu doof oda hast du nich aufgeklärt wer kyos wächter is????
*total verwirrt bin*

aba so ne hammergeile geschichte... ^^ obwohl ich jua eher zu kyo x die tendiere.... ^^

*so mal anfang werd teil 2 zu lesen ^^*
Von:  Kanoe
2007-02-27T16:10:19+00:00 27.02.2007 17:10
wow... einfach wow.. umfangreich mit handlung hintergründen einen aufbau.... respeckt ist wunderbar.
Von:  Charline
2006-12-07T15:45:49+00:00 07.12.2006 16:45
*schnief*
Was für eine geniale Story!
hab die gesamte story grad durchgelesen und ich bin... oh man, ich konnt nicht mehr, mir kamen echt die tränen, als toshiya gestorben ist ;_____;
ich hab zwar schon damit gerechnet, dass er kyo doch noch helfen würde...und dann bringst du ihn um!!! T________________T
nach dem er sowas zu kyo gesagt hat!!!!!! >__<
ich werd sofort den zweiten teil lesen, und dann kriegste zu jedem kapi nen kommi!^^ nicht nur zum schluss, nachdem ich blitzmerker mal gecheckt hab, was das für ne geile story ist! XD
also, ich les dann mal den zweiten teil!^^

*knuff*
Charline
Von:  Mamitasu
2006-11-22T11:50:12+00:00 22.11.2006 12:50
einfach schön...
Hab die gesamte Story grad gelesen und muss sagen einfach klasse. Auch wenn das Ende traurig ist, tut es der ganze Sache keinen Abbruch.
Ich bin begeistert von allem, der Story, des Schreibstils und der Darstellung der Charaktere.
Den zweiten Teil werd ich mir auch zu Gemüte führen und wenn ich weiß was ich dazu sagen kann, kriegst du auch dort ein Kommentar. Bin gespannt was du dir für den zweiten Teil hast einfallen lassen.
Von:  RosalynRedgrave
2006-11-11T22:04:10+00:00 11.11.2006 23:04
*_____________________________*
woah~ ich heule immer noch...wie konntest du mein Toto sterben lassen >_< er war so faszinierend...
*sniff*
hach...was soll ich noch großartig sagen...die ganze Geschichte ist einfach toll und wie immer so schön beschrieben...

Ich freu mich schon auf Teil 2! Der Auszug hört sich schon mal sehr gut an^^

Weiter so,
dein treuer Fan
Totchi
Von:  misanthropical
2006-11-07T22:10:29+00:00 07.11.2006 23:10
ich hoffe Toshiya ist tod. Ich kann ich nicht leiden -.- (deinen, nicht das Orginal XD)

Nyo, ich liebe deinen Schreibstiel und deinen Dai *-*
Ich freue mich auf den zweiten Teil :-)
Von: abgemeldet
2006-11-07T17:42:31+00:00 07.11.2006 18:42
Is Toshiya jetz wirklich tot? ;_;~
Endgültig?
Kein doch ganz plötzliches wieder-auftauchen? T___T~
*sfzt*
Mein Kommi wird heute echt nich so gut.. und das tut mir Leid... ich frag mich nur...
Wenn nur ein toter aufgefunden wurde.. was ist dann mit Kaoru?
Oder war es Kaoru?
Oder is Kaoru einfach... zu "nichts" geworden?
Nja aber ich bin so froh das Die nichts passiert is .O.~
Und Shinya kann ruhig weg bleiben T_TV~
*Anti-Shinya*
Gomen xDDD

Aber Toto... der kann doch nich tot sein T_____________T~

Nja ich freue mich sehr auf Ageha no Hane II und hab schon ne Befürchtung wer da oben gemeint sein könnte T_Tv~

LG~
bis zum 1. Kap von Ageha no Hane II ;O;~

Kisha~
Von: abgemeldet
2006-11-07T17:27:30+00:00 07.11.2006 18:27
OMG ;_____;~
Ich.. weiß gar nicht was ich sagen soll T___T~
Ich will nicht das Toshiya stirbt... ich wusste er würde Kyo niemals sterben lassen ;__;~ Aber trtozdem... als ich es dann gelesen hab.. vor allem das "Ich liebe dich", das noch über seine Lippen rann... *sfzt*
Wieso hätte nicht verdamnmnt noch mal Shinya sterben können, der is mir immernoch so verdammt unsympatisch >_<
Und was ist mit Die? ;___;~
Der is doch nicht etwa echt tot? T__T~
Wah ich muss weiterlesen gehn... .O.~
Gomen das der Kommi so kurz geworden is .O.
Von: abgemeldet
2006-11-06T18:55:25+00:00 06.11.2006 19:55
Oh Mann... Man sollte sowas nicht bei der Arbeit lesen (geht bei mir zur Zeit leider nicht anders), ich hatte gegen Ende der Geschichte einen dicken Kloß im Hals (und just in dem Moment kommt natürlich ein Kunde rein >.<).

Irgendwie erinnert mich Toshiya im Nachhinein doch leicht an Professor Snape, weil er einfach so eine Art hat, bei der man wirklich KEINE Ahnung hat, woran man eigentlich bei ihm ist. Bis dann zum Schluss dieses fast schon kindliche "Ich wollte wenigestens einmal alles richtig machen" (oder so ähnlich) kam.

Ich freu mich schon auf Teil II ^^


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