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Der Feensammler

von

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Hast du es verstanden?

Hast du es gehört?

Er schleicht herum in der Nacht.

Sucht die Feen, die so einsam sind.

Nimmt sie mit.

Lässt sie steigen.

Lässt sie fliegen.

Lässt sie frei sein.

Hast du es gehört?

Hast du es gesehen?

Die wunderschönen Flügel, die er ihnen schenkt.

Die herrliche Freiheit, die er ihnen gibt.

Ihr Blut zeigt ihnen den Weg.

Ihre Tränen zeugen von dem Glück, das sie ereilt.

Hast du es gesehen?

Hast du es gefühlt?

Die kalten Hände der Männer, die seine Feen einsammeln.

Heraus reißen aus dieser wunderbaren Welt, die er ihnen schenkt.

Sie verstehen es nicht.

Hast du es gefühlt?

Hast du es verstanden?

Traurige Kinder.

Traurige Feen.

Er lässt sie fliegen.

Die Tränen versiegen.

Sie können frei sein und kein Leid wird sie je wieder ereilen.

Kein einziges, denn sie sind endlich wieder frei.

Die Nadel stach durch Stoff und darunter liegendes Fleisch. Er zog, spannte den Faden und ließ die zwei Schichten enger zusammen wachsen. Mit hoher Präzision machte er sich ans Werk und ließ sich alle Zeit der Welt. Der Stoff zeigte ein buntes Farbenmeer, das so voller Leben war, dass man das Gefühl bekam, es würde sich jeden Moment bewegen.

Die Finger waren voller Blut, während er sein Werk weiter vollzog. Mit einer Genauigkeit, als würde er nur dafür leben. Immer weiter trieb er die Nadel durch Fleisch und Stoff. Es sollte wunderbar werden. Einfach perfekt sein.

Erst als es beendet war, legte er die Nadel zur Seite und lächelte zufrieden. Sie war fertig und bereit in den Wald entlassen zu werden…

Er saß am Spielplatz auf einer Bank. Ruhig sah er den Kindern dabei zu, wie sie über das Gerüst kletterten oder mit der Schaukel in die Lüfte flogen. Manche unter ihnen trugen mehr in sich als nur die Seele eines Kindes. Viel mehr.

Hier zu sitzen und ihnen dabei zuzusehen, wie ihr Glocken gleiches Lachen erklang und sie sich gegenseitig jagten, war alles, was er sich wünschte. Denn dort fand er sie. Die verloren Seelen der kleinen Feen, die er zurück in den Wald bringen wollte.

Ihr Lachen drang zu ihm durch. Berührte sein Herz und er sah ihre Flügel. Nicht jedes Kind trug welche auf seinen Rücken. Es waren nur wenige unter ihnen, doch sie alle schrieen ihn an, dass er sie befreien sollte. Endlich aus diesem menschlichen Dasein erlöste und ihnen wieder die Möglichkeit gäbe durch die Wipfel der Bäume zu fliegen.

Er sah ihre traurigen Augen, die ihn anflehten, dass er ihnen die endgültige Freiheit schenkte. Sie wollten alle endlich wieder fliegen und nicht mehr an diesen grausamen, harten Boden gekettet sein.

An diesen Tag sah er drei Feen. Eine verzweifelter als die andere. Er konnte sich kaum entscheiden, welche er die große Freiheit schenken sollte. Ihre Schreie gingen fast in dem Lachen der Kinder unter. Dennoch sah er ihr Leid. Erkannte, wie sich ihre Seelen in den kleinen Körpern krümmten und versuchten auszubrechen. Doch das Lachen der Kinder ließ sie nicht.

Langsam war es an der Zeit. Er musste sich entscheiden, welche der Feen er heute frei ließ. Es war nicht leicht. Das war es nie. Dennoch  musste er sie treffen. Andererseits würden sie ihm in seinen Träumen erscheinen und ihm Fragen stellen. Warum er ihnen nicht geholfen hatte, als er ihr Leid gesehen hatte?

Sein heutiges Ziel war ein Junge, dessen Flügel zum größten Teil weiß waren. Rein wie der Schnee mit sanften roten Streifen, als würde Blut darüber fließen. Die Fee in diesem Leib schrie am lautesten. Sie schien schon so lange zu leiden, dass er nicht anders konnte, als ihr Flehen endlich zu erhören.

Ruhig erhob er sich und begann alles vorzubereiten. Süße Sachen mochten Feen besonders gerne, aber die weißen liebten den Geruch von Eis am meisten. Er musste die Falle nur aufstellen, dann würde das kleine Wesen ganz von alleine zu ihm kommen und er könnte ihm die Freiheit schenken. Es endlich wieder fliegen lassen.

„Du glaubst nicht, was meine Alte letztens wieder gebracht hat. Ich sag dir. Die ist total irre.“

„Los erzähl, Mann.“

Ruhig öffnete er die Tür und trat in den Raum, als er schon das Lachen seiner Kollegen hörte. Das Holster seiner Waffe schlug gegen sein Bein und die Hitze des Kaffees drang langsam durch die Wand des Bechers zu seinen Fingern durch. Ruhig stieg der Dampf in die Luft und trug das belebende Aroma zu seinem Geist hinauf, bevor er dann einen kräftigen Schluck daraus nahm und die Tür wieder hinter sich ins Schloss fallen ließ.

„Hey, John! Du glaubst  nicht, was Martha gestern wieder gebracht hat.“ Ein großer, schlaksiger Kerl kam auf ihn zu und grinste ihn breit an. Sein schwarzes Haar war kurz geschnitten und die blauen Augen wirkten offen und bereit für einen Spaß.

„Was? Hat sie endlich mal denLippenstift an deinem Halskragen entdeckt?“ Schalk lag in Johns Stimme als er weiter zu seinem Schreibtisch ging. Natürlich dicht gefolgt von seinem Kollegen.

„Häh? Wo hast du den Mist her? Nein, sie meinte doch glatt, dass ich den Kindern nicht immer so viel Unsinn beibringen sollte. Aber hey, ich seh die Plagen ja kaum. Das verbockt sie gerade echt alles selbst.“

„Und das hast du ihr natürlich auch so gesagt, nicht wahr?“ Er stellte seinen Becher auf den Tisch ab und warf einen Blick auf die neue Akte auf seinen Tisch. Wieder ein vermisstes Kind. War unterwegs und kam nicht mehr heim. Er musste den Bericht nicht lesen, um es zu wissen. Schließlich war es doch immer dasgleiche gewesen. Sie gingen raus. Spielen oder zu Freunden, aber kamen nie wieder zurück.

Mit einem frustrierten Seufzer warf er die Akte zu den anderen auf den Stapel und wandte sich dann wieder seinem Kollegen zu. „Ja, klar und irgendwie ist ihr dann eine Sicherung durchgebrannt. Sie heulte los und sagte, dass ich öfters Zuhause sein sollte. Schließlich wäre die Arbeit nicht mein Leben und unsere Kinder brauchen auch ihren Vater. Ja, genau. Irgendwer muss ja das Geld nach Hause schaffen.“

„Ach, komm schon, Tom. Wir wissen beide, dass du in deine Arbeit flüchtest. Vielleicht wäre es wirklich nicht schlecht, wenn du dich auch ein wenig mit deinen Kindern beschäftigst. Du könntest dort eine Energiequelle finden, die du vielleicht nicht dort vermutest hättest. Schließlich weißt du doch, was man sagt, oder?“

„Ja, ja. Sie werden viel zu schnell groß und dann bereut man es nur, dass man nicht mehr Zeit mit ihnen verbracht hatte, als es noch möglich war. Ich weiß, aber... ich halte es Zuhause einfach nicht aus, okay?“

John schenkte ihm ein mitleidiges Lächeln und als er gerade etwas sagen wollte, knallte jemand eine weitere Akte auf seinen Schreibtisch. „Herr Schneider, es kam eine weitere vermissten Anzeige herein! Haben Sie endlich einen Anhaltspunkt, wo die Kinder sein könnten? So kann das doch nicht weitergehen! Wir brauchen endlich irgendeinen Hinweis. Irgendein Ergebnis. Man macht mir schon die Hölle heiß. Sie wollen Ergebnisse sehen! Es sind nun schon über zehn Kinder in den letzten drei Monaten verschwunden und wir haben nicht einmal ein Staubkorn gefunden, dass uns irgendwie auf die Fährte führt!“

„Ich weiß, Herr Meier. Ich bin auch an der Sache dran, aber es gibt keine Spuren. Die Kinder haben sich verabschiedet und danach scheint sie niemand mehr gesehen zu haben.“

„Das ist unmöglich! Irgendjemand muss die Kinder gesehen haben! Sie können sich ja nicht in Luft aufgelöst haben! Verdächtige Personen an den Orten, an denen sie zu letzt gesehen wurden? Verrückte Verwandte?! Gehen die Kinder auf dieselben Schulen? Es muss doch irgendeine Verbindung geben!“

„Keine, die sie alle haben. Ein paar von ihnen besuchen immer dieselbe Schule. Gehen aber in unterschiedliche Klassen. Manche wohnen in derselben Gegend, aber andere sind dann wieder wo ganz anders. Sie sind nicht verwandt. Nicht befreundet. Ich... ich finde nichts.“

„Verdammt!“ Er schlug auf den Tisch. Sein kantiges Gesicht war rot vor Zorn und das schulterlange, braune, schon leicht ergraute, Haar hing ihm wirr in sein Gesicht. Unter seinen blauen Augen waren tiefe Augenringe. „Sie sollten mal wieder schlafen, Hauptkommissar.“

„Ich weiß nicht, wie Sie in dieser Situation so ruhig schlafen können, Herr Schneider. Stellen Sie sich doch nur vor welche Angst diese Kinder haben müssen oder was man Ihnen schon alles angetan haben könnte. Einige fehlen doch schon seit Monaten. Wir müssen sie endlich finden, Herr Schneider. Sie und den Psycho, der das hier tut.“ Er strich sich eine Strähne hinters Ohr und fuhr sich kurz über seinen wuscheligen Schnäuzer, bevor er sich dann abwandte. „Ich möchte bis Ende der Woche endlich Ergebnisse sehen. Dieses Schwein muss gestoppt werden. Egal, was er mit den Kindern tut. Es wird nichts Schönes sein. Das spür ich.“

John seufzte und ließ sich auf seinen Stuhl sinken. Tom sah ihn wie ein verschrecktes Reh an, bevor er dann entschuldigend auf seinen eigenen Tisch deutete und schon im nächsten Atemzug dorthin verschwand.

Ruhig griff er nach der ersten Akte, wobei er sich sein langes, blondes Haar in einem Pferdeschwanz zusammenband, damit es ihm nicht in die Quere kam. Noch einmal holte er tief Luft und klappte dann das Deckblatt zur Seite. Es war ein neues Kind. Wuschelige, schwarze Haare und freche braune Augen. Seine Haut war leicht gebräunt und eine Zahnlücke stach aus diesem herzhaften Lächeln heraus.

Verschwunden seit drei Tagen. Es schien auf den Weg zu seinem Vater gewesen zu sein, doch war dort niemals angekommen. Die Eltern waren geschieden. Der Junge lebte bei der Mutter und war nur alle paar Monate mal beim Vater. Unscheinbar. Er ging in die erste Klasse. Liebte den Sport und spielte in einer Fußballmannschaft. Ein kleiner Verein vor der Haustür der Mutter. Dessen Namen John noch nicht gelesen hatte, also erneut keine Verbindung. Auch der Spielplatz tauchte nur bei ein oder zwei anderen Kindern auf.

„Es gibt nichts. Nichts, was bei allen gleich ist. Von sechs bis zehn Jahren ist alles dabei. Sie wohnen verstreut in der ganzen Stadt. Geschiedene, alleinerziehende oder auch glücklich verheiratete Eltern. Was übersehe ich? Fuck! Sie müssen doch eine Sache gemeinsam haben! Irgendwas!“ Verzweifelt schloss er die Akte und schmiss sie wieder auf den Stapel. Zwölf Kinder. Es sind mittlerweile zwölf Kinder verschwunden und niemand scheint sie zu finden. Alle weg. Ihre Freunde haben sie das letzte Mal gesehen. Sie sind vom Spielplatz, vom Training, von Freunden oder gar von der Schule nach Hause gegangen, doch dort kamen sie nie an. Niemand hat sie dann noch einmal gesehen. Ihre Sachen sind zusammen mit ihnen spurlos verschwunden.

„Glaubst du, dass es ein Menschenhandelring ist?“ Die sanfte Stimme einer jungen Frau riss John aus seinen Gedanken und als er seinen Blick hob erkannte das lange, brauneHaar mit blonden Strähnen, das ein leicht rundlichen Gesicht sanft umspielte auf demimmer ein sanftes Lächeln lag, das einem jede Sorge nahm. Genauso wie das Strahlen in ihren braunen Augen, die an ein junges Reh erinnerten, erleuchtete jeden noch so dunklen Moment.

„Vielleicht sogar ein Pädophilenring? Das wäre schrecklich.“ Sie zog sich einen Stuhl heran und ließ sich vor ihm nieder. „Ich weiß es nicht, Rebeka. Man findet halt nichts. Ihre Kleidung und ihre Sachen, die sie bei sich trugen, sind auch spurlos verschwunden. Was sehr auf einen Ring hindeutete. Aber wäre das dann nicht landesweiter. Diese vermissten Kinder gibt es nur hier und in unseren Nachbarstädten. Das deutete doch sehr auf einen Einzeltäter hin, der hier irgendwo wohnt.“

„Vielleicht sollten wir eine großflächige Razzia machen und jede Wohnung durchsuchen.“ John musste bei diesem Vorschlag trocken auflachen. „Das können wir nicht, Beka und das weißt du. Wir brauchen Beweise und nicht nur eine Vermutung, um so etwas durchzusetzen und Stichproben bringen nichts, weil wir keine Ahnung haben nach welchen Kriterien wie aussuchen sollten. Ich finde nichts, was all diese Kinder gemeinsam haben. Rein gar nichts. Sie sind beliebt und unbeliebt. Offen und eher zurückgezogen. Ihre Eltern arbeiten quer durch alle Berufsgruppen. Es gibt nichts. Nichts was sie vereint.“

John stand auf und ging an seine Tafel an der er alle Informationen zusammen getragen hatte. Unter anderem sogar einen Lageplan mit Markierungen von den Wohnorten der Kinder und ihrer letzten Sichtung. Es wirkte so wirr, dass es kein Muster ergeben konnte. Mit einem erschöpften Seufzer griff er vier neue Pinnadeln und markierte die beiden neusten Opfer. Sie zerrissen das nicht vorhande Muster noch mehr, was ein Knurren von John forderte.

„Doch, es vereint sie eines: Sie sind Kinder und sie brauchen uns. Wir müssen sie finden, bevor es zu spät ist. Nur wir können ihnen helfen und das werden wir auch. Du kannst dich auf mich verlassen. Wir werden dieses Schwein schon finden und die Kinder auch.“

Sie legte ihm sanft eine Hand auf die rechte Schulter und sah mit ihm zusammen auf den Plan. John hoffte so sehr, dass sie recht hatte. Sie mussten ihn endlich finden, denn so konnte es nicht weitergehen. Kinder waren heilig. Niemand durfte ihnen etwas tun. Wirklich niemand...

Das Laub raschelte unter seinen Füßen. Äste brachen und Zweige knackten. Der Duft des Waldes erfüllte seine Lungen und er fühlte sich unheimlich frei. Der süßliche Duft der Freiheit vermischte sich mit jedem Schritt, den er seinem Ziel näher kam, mit dem des Waldes.

Der Stoff der Flügel glitt immer wieder über seine Beine, während das Kind in seinen Armen mit jedem Schritt schwerer zu werden schien, doch er blieb nicht stehen, sondern erreichte nach wenigen Minuten eine kleine Lichtung. Der süßliche Duft des Todes wurde immer stärker, doch ihn störte es nicht, als er den Jungen langsam zu Boden gleiten ließ. Er lehnte ihn an einen Baumstamm. Die Beine zur Seite abgewinkelt und die Hände zusammengefaltet in den Schoß gelegt.

Sanft strich er ihm über die kalte Wange. Nun sei er frei. Die Fee konnte jetzt fliegen und erneut hörte er ihr Lachen. Den Dank in ihrer Stimme, die ihn eine Freudenträne vergießen und ihndann leicht lachend annehmen ließ. Dies sei schließlich seine Pflicht. Niemand schien sonst ihre Schreie zu hören.

Er wandte sich zu den anderen, die im Gras lagen oder saßen. Die Natur kroch ihre Körper empor, während die Flügel noch voller Schönheit strahlten. Auch jetzt ging er zu jedem einzelnen Kind und entfernte den Schmutz von den Stoffen. Ignorierte dabei die nackten Körper und strich den ein oder anderen Kind noch einmal durchs Haar.

Er habe ihnen die Freiheit geschenkt und so hörte er nun das Lachen. Sie tanzten um ihn herum. Griffen nach seinen Händen und forderten ihn auf mitzumachen. Darum ließ er sich nicht zweimal bitten und so sprang er lachend zusammen mit den Feen über die Wiese. Umtanzte die Leichen und genoss diesen Moment der Freiheit. Ihre sanften Berührungen und das glockenhelle Lachen ihrer Stimmen.

Immer wieder hörte er ihren Dank, den er geschmeichelt annahm. Spürte ihre sanften Berührungen und sagte ihnen, dass sie ruhig weg fliegen könnten. Sie waren nun frei und niemand würde sie mehr halten. Endlich konnten sie dorthin gehen, wohin sie wollten. So weit sie wollten und niemand konnte sie je wieder an etwas binden.

Feen sollten fliegen. Hoch. Weit. Ohne Grenzen. Niemand sollte sie binden und er war hier um das möglich zu  machen. Er würde sie befreien. Jede Einzelne...

„Okay. Das ist der Ort, an dem man Michael das letzte Mal gesehen hat. Wir haben ein altes Shirt von ihm. Vielleicht finden die Hunde jetzt eine Spur. Der Kerl muss doch irgendwann einen Fehler machen. Er kann nicht perfekt sein.“ John stand zusammen mit Rebeka und ein paar Kollegen vor dem Haus des Jungen. Er hielt ein altes, blaues Shirt in seiner Hand, während fünf Hunde darauf warteten, dass sie endlich loslegen konnten.

„Das ist echt wichtig, Jungs. Wir haben mittlerweile zwölf vermisste Kinder und von ihnen fehlt jede Spur. Die Bevölkerung will endlich Ergebnisse sehen und wir sind es den Kleinen schuldig, dass wir herausfinden was mit ihnen passiert und wenn möglich aus ihren Alptraum befreien.“

John glitt ein eiskalter Schauer über den Rücken. Bis jetzt hatte es noch niemand direkt gewagt auszusprechen, was viele insgeheim dachten. Er hoffte, dass sie die Kinder lebend finden würden, doch mit jedem weiteren Tag und vor allem Opfer schrumpfte diese Möglichkeit ein kleines Stück weiter und machte der Hoffnungslosigkeit mehr Platz. Doch er wollte sich von dieser Möglichkeit nicht unterkriegen lassen. Nicht daran denken. Er musste sie finden. Die Eltern wollten Antworten. Also holte er noch einmal tief Luft und ging dann zu den Hunden, ließ jeden einmal an dem Shirt in der Tüte schnuppern und verschloss die Plastiktüte dann wieder.

Noch einmal holte er kurz tief Luft und ließ gedanklich ein Stoßgebet gen Himmel wandern, dass diese Aktion endlich einmal zu einem Ergebnis führen würde. Langsam war es John egal, was er fand. Er wollte nur endlich wissen, womit sie es hier zu tun hatten und dass sie entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen konnten.

„Also, Jungs, lasst die Suche beginnen“, gab Beka das Startzeichen und schon begannen die Tiere den Weg entlang zu schnüffeln. Immer wieder blieb eines der Tiere stehen, schürte so Hoffnung, nur um dann zu schnauben und weiter zu ziehen. Sie liefen auf dem Weg zu dem Vater des Kindes. Immer weiter. Stück für Stück. Jedes Mal wenn einer der Hunde stehen blieb, besah sich John diese Gegend genauer.

Das erste Mal war es an einer Ansammlung von Mülltonnen. Dort lag ein Stock, der den Hunden besonders gefiel und John hob diesen auf, um ihn dann in einer der Tüten zu stecken, die er mitgenommen hatte. Vielleicht hatte Michael damit ein wenig gespielt und ihn dann nach einem Trommelsolo hier fallen lassen. Bestimmt hatte sich eine der Anwohner über den Lärm beschwert.

„Möchtest du dich mal in den Häusern hier umhören, ob jemand Michael gesehen hat, Beka?“ Sie nickte sofort und nahm das Bild des Jungen an sich, um dann an den Türen der umliegenden Häusern zu klingen.

„Wollen wir auf sie warten, John?“ Einer der Hundeführer sah ihn fragend an, während die Tiere an ihren Leinen zogen und so weiter drängten, wodurch er abwinkte. „Nein, die Tiere folgen noch einer Fährte. Wir sollten sie nicht zu lange warten lassen. Beka macht das schon.“

Nach ein paar Meter wurden die Hunde erneut unruhig. Es war eine kleine Bank, die zu einer Bushaltestelle gehörte. Sie blieben lange dort und schnupperten um das Holzgebilde herum, bevor sie dann weiter drängten. John besah sich den Ort genauer. Der Mülleimer war leer und laut dem Fahrplan kam zu dieser Zeit auch kein Bus. Zumindest nicht, wenn der Junge sich ziemlich beständig fortbewegte. Aber war er wirklich so zuverlässig?

John notierte sich die zwei Linien, die um diese Zeit herum hier vorbeigefahren sein könnten. Vielleicht hat ja einer der Busfahrer den Jungen gesehen und mit etwas Glück sogar noch mehr. Er musste jede noch so kleine Spur verfolgen, denn nach wenigen Schritten war es vorbei.

Die Hunde begannen sich im Kreis zu drehen und hin und her zu rennen. Ihr Winseln zeigte deutlich, dass sie jetzt die Spur des Kindes verloren hatten. Hier musste es also passiert sein. An diesem Ort war der Junge verschwunden. Es war einfach nur ein Straßenrand. Nichts Besonderes. Keine Kreuzung. Keine Ampel. Nichts war hier in der Nähe, in dem man hätte lauern können und das Kind einfach wegreißen.

John sah sich um und versuchte etwas zu finden, doch es gab nichts. Ein leer stehendes Geschäft auf der Seite des Kindes und auf der anderen Seite war eine Diskothek, die zu dieser Zeit auch geschlossen war. Er versuchte in das Gebäude zu sehen, doch die Hunde drängten sich eher zum Straßenrand, als zu diesem Haus.

„John, ich glaube, dass der Junge hier in ein Fahrzeug gestiegen ist. Anders kann ich es mir nicht erklären.“

„Ja, das glaube ich auch. Aber was sollen wir tun? Finden die Hunde hier nichts? Der Junge muss sich doch gewehrt haben, oder nicht? Es war doch bestimmt ein Fremder.“

„Entweder war der Kampf kurz oder er hat nicht existiert. Zumindest gibt es keine Anzeichen dafür. Die Hunde finden nichts, was dem Jungen gehört. Nirgends ist sein Duft dran. Es ist als wäre er hier einfach verschwunden. Aber wahrscheinlich eher irgendwo eingestiegen.“

„Seine Mutter hat gesagt, dass er niemals mit Fremden mitgehen würde.“

„Dann kannte seine Mutter ihn nicht gut genug. Wir finden hier nichts mehr. Die Hunde haben die Spur verloren und es gibt hier nichts mehr.“

„Vielleicht hat die Diskothek eine Überwachungskamera. Sie könnte etwas aufgezeichnet haben.“ John wollte noch nicht aufgeben. Dieser Einsatz durfte nicht zu einem Flop werden. Er hoffte so sehr, dass Rebeka irgendeinen Hinweis auf das Kind bekommen würde. Bestimmt hatte einer der dortigen Anwohner das Kind gesehen. Irgendjemanden hat das Trommeln bestimmt gestört. Das musste so sein.

Kurz sah er nach links und rechts bevor er dann über die Straße lief und erneut etwas notierte: Den Namen des Diskothek „Hot Dancing“. Die Schaufenster waren schwarz, so dass man nicht hineinsehen konnte, während ihr Name mit einer ausgeschalteten Leuchtreklame das Einzige war, was man dort drinnen sah.

„Sie scheinen sehr auf Diskretion zu stehen.“ Erneut stand der Leiter der Hundestaffel neben ihm und besah sich das Gebäude ebenfalls, während sein Hund auf der anderen Straßenseite auf ihn wartete. „Ja, vielleicht sollte ich heute Abend mal vorbeikommen. Man kann zwar keine Kamera erkennen, aber mit etwas Glück ist sie einfach nur gut versteckt.“

„Du hast zumindest nichts groß zu verlieren. Außer ein wenig Zeit. Aber nachdem es eine deiner wenigen Spuren ist, kannst du es durchaus wagen.“

„Danke für deine Aufmunterung“, erwiderte John schnippisch und hoffte, dass sein Kollege jetzt endlich ruhig blieb, doch der Braunhaarige dachte gar nicht daran aufzuhören. „Nicht dafür, Kollege. Ich werde mit meinen Jungs jetzt wieder abziehen. Tut mir Leid, dass wir dich nicht direkt zu dem Kind führen konnten. Aber, du machst bestimmt was aus den neuen Erkenntnissen. Kopf hoch, wir kriegen den Mistkerl.“

„Ja, danke“, grummelte John und nach einem kurzen Schulterklopfen verschwand der Kollege auch schon wieder und nahm seine Jungs mit. John blieb stehen und besah sich den Ort noch einmal genauer. Irgendwo musste doch ein Hinweis auf den Jungen sein, doch die Straße wirkte so sauber, als hätte man gerade erst durchgefegt und egal hinter wie viele Mauern oder Bäume oder Bänke John sah, er fand nichts, was auch nur im Ansatz den Jungen gehören könnte.

„Irgendwem muss doch auffallen, wenn jemand lauter Kindersachen entsorgt, oder nicht?“ Er begriff nicht, wie ignorant manche Menschen sein konnten, doch er hatte in seinem Leben schon so viel gesehen. Zeugen, die neben einem Verbrechen saßen und es als schlechten Scherz abgestempelt hatten. Eltern, die ihre Kinder halb tot schlugen und es für das normalste der Welt hielten. Oder gar es als normale Tat erachteten, wenn sie eine gekränkte Ehre mit einem Mord rächten.

John seufzte und steckte seinen Notizblock ein, als er schon erkannte, dass Rebeka langsam den Weg entlang kam. Ihr Gang ließ nichts Gutes erahnen. Sie wirkte geknickt und schwunglos, wodurch John schon das Schlimmste erwartete, als die Frau vor ihm zum Stehen kam.

„Fehlanzeige. Niemand hat den Jungen gesehen. Man hörte zwar das Trommeln, doch da es relativ schnell wieder nachließ, hat niemand nach draußen gesehen.“ Mit jedem Wort, das über ihre Lippen kam, sanken ihre Schultern tiefer und wäre jetzt eine Bank in der Nähe, dann hätte sie sich wohl drauf fallen lassen.

„Na ja, hier ist der Junge verschwunden. Wir können uns heute Abend mal mit dem Leiter dieser Diskothek auseinander setzen. Klar, wird niemand was gesehen haben, aber mit etwas Glück haben sie eine versteckte Kamera, die uns die andere Straßenseite zeigt und damit was mit dem Jungen passiert ist.“ Er legte ihr aufmunternd eine Hand auf die Schulter und versuchte sich an einem Lächeln. Das kurze, amüsierte Funkeln in ihren Augen zeigte ihm, dass es ihm wohl eher misslang, doch sie straffte sich und richtete sich wieder auf.

„Okay, dann lass uns den Stock ins Revier bringen. Vielleicht finden wir ja mehr als die Fingerabdrücke des Jungen darauf und heute Abend kommen wir hierher zurück. Irgendwann muss er einen Fehler machen.“ Sie lächelte wieder und schlug dann in seine dargeboten Hand ein, wodurch sie ihre Worte in die Tat umsetzen und langsam zurück zu ihrem Wagen gingen.

Sie hatten sich davon zwar mehr erhofft, doch sie gingen nicht ganz leer aus und allein dieser kleine Erfolg fühlte sich auf eine seltsame Weise unbeschreiblich gut an, denn nun war sie wieder da. Die Hoffnung, dass sie ihm doch langsam näher kamen und irgendwann. Ja, irgendwann auch erreichen würden...

Erneut saß er hier. Sie sah ihn an. Mit ihren kalten, grauen Augen und den peniblen schwarzen Dutt auf ihrem Kopf. Keine einzige Strähne hing heraus und sie überschlug ihre Beine. Der kurze, graue Rock wirkte semiprofessionell auf ihn und auch die schwarze Seidenstrumpfhose machte es nicht besser. Genauso wie das schwarze Jackett über ihrer weißen Bluse.

So oft hatte er sie schon gesehen. Diese dünnen Lippen, die immer wieder die gleichen Sätze sprachen. Ihn davon überzeugen wollte, dass es keine Feen gab und er sich ihre Stimmen nur einbildete.

Zumindest machte er sich darauf auch jetzt wieder gefasst, doch heute war etwas anders. Er hörte nicht mehr das Lachen seiner Eltern, wenn er ihnen die Feen gezeigt hatte. Spürte nicht mehr den Schmerz der Schläge seines Vaters, wenn er weiter darauf beharrte, dass es diese Wesen gab und jetzt saß er hier.

Hier in diesem Zimmer mit der Frau, die ihn seit Monaten einmal in der Woche zu einem Gespräch einlud. Ihre erste Frage war normalerweise immer, ob er die Feen immer noch sah, doch heute lautete sie anders.

Jetzt wollte sie wissen, ob er an dem Tod des Kindes schuldig war, das nur wenige Türen von ihm entfernt sein Zimmer hatte. Sie fixierte ihn und versuchte so jede seiner Regungen einzufangen. Er spürte, wie sie nach seiner Seele zu tasten versuchte, doch er sperrte sich wie immer ab. Niemand durfte diese Seele sehen. Keiner, der nicht auch an Feen glaubte und so verschränkte er seine Arme vor der Brust.

Er konnte sich noch an das Flüstern der Fee erinnern und an die traurigen Augen des Kindes. Viel mehr jedoch an das Lachen, als die Fee endlich wieder frei war und auch an das Lächeln, das sich auf die Lippen des Kindes legte, als all die Schmerzen verschwanden.

Die Frau vor ihm wartete auf seine Antwort. Fragte sogar noch einmal nach, doch er zuckte mit den Schultern und verneinte es. Er gab an, dass er dieses Kind nicht kannte und somit auch nicht wusste, wer ihm dies antun konnte.

Laut der Frau war er aber einer der wenigen, der überhaupt die Medikamente bekam, die dieses Kind umgebracht hatten, doch auch darauf zuckte er die Schultern. Er brauchte seine Medikamente doch selbst. Warum sollte er sie sammeln und dann einem Kind geben? Schließlich war er doch total gestört und sprach wirres Zeug.

Sie sah ihn an, als er plötzlich stoppte und versuchte zu verstehen, ob er die Wahrheit sagte oder ob er sie einfach nur anlog, doch er rührte sich nicht. Keine Regung huschte über sein Gesicht und sie starrte ihn an. Sekunden vergingen. Minuten. Sie schwiegen und er blieb regungslos.

Dann plötzlich fragte sie ihn, ob er den Tod nicht traurig fand, doch er zuckte mit den Schultern und gab an, dass er das Kind ja nicht kannte. Kurz blätterte sie durch ihre Aufzeichnungen und entlockte ihm dann ein kurzes Zucken, als sie erwähnte, dass dieses Kind auch an Feen glaubte und sie nicht verstand, dass sie sich wirklich nie begegnet waren und nicht darüber sprachen. Schließlich hätten sie sich doch finden müssen, wenn ihre Worte wahr waren.

Es ist das erste Mal in seinem Leben, dass er dieses beklemmende Gefühl in seiner Brust erwachen spürte und die Fee in ihm verstummte. Er schrie sie an, dass sie ihm sowieso nicht glaubte und auch dem Kind nie glaubte. Es würde auch nichts daran ändern, dass er es kannte. Was sollte er denn tun? Glaubte sie wirklich, dass er zu einem Mord fähig war? Das war doch lächerlich!

Er baute sich vor ihr auf und plötzlich war dort ein anderes Funkel in ihren Augen. Der Hochmut und die Arroganz wichen auf einmal einer alles verschlingenden Angst und er begriff, wodurch er sich schlagartig beruhigte und wieder auf den Stuhl niederließ.

In diesem Moment als das Kind starb, verstummte die Fee in ihm und er hatte sie seitdem nicht mehr gehört. Seine Medikamente waren täglich über eine Woche verschwunden. Vielleicht hatte das Kind sie ihm geklaut, aber dadurch dass er sie an sich nicht brauchte, hatte er sich keine Gedanken gemacht. Hätte er gewusst, dass dieses Kind sich damit umbringen wollte, dann hätte er es verhindert. Er wollte nicht, dass jemand starb.

Tränen rannen über seine Wangen und er hörte das raue Kratzen des Stiftes auf den Papier, bevor sie ihm erörterte, dass er als geheilt gelten würde, wenn die Stimme nicht mehr zurückkam und er dann gehen konnte. Er nickte nur und hörte wie die Fee in ihm auflachte. Endlich hatte man ihm einen Weg in die Freiheit gezeigt und ihm wurde bewusst, was er damit machen würde. Dieses Kind hatte ihm eine Aufgabe gegeben, denn nur er schien sie zu hören. Die verzweifelten Schreie der Feen...

Laute Musik dröhnte in seinem Kopf und ließ seine Ohren schmerzen. Die Luft um ihn herum war stickig und stank nach Schweiß und Alkohol. Er hasste solche Umgebungen, doch Rebeka neben ihm begann sich im Takt der Musik zu bewegen, wodurch er ihr einen ermahnenden Blick zuwarf.

„Vergiss bitte nicht, dass wir hier wegen dem Fall sind und nicht aus Vergnügen.“ Er schlängelte sich durch die Massen direkt auf die Theke zu und ignorierte dabei die leichten Empörungen, wenn er mal einen Gast ein wenig grober zur Seite schob. Schließlich ging es hier um das Leben von vielen Kindern. Er konnte sich jetzt nicht mit Höflichkeiten und ähnlichen aufhalten. Jede Sekunde zählte und er wollte diese Spur verfolgen solange sie noch heiß war.

„Hallo, wir würden gerne den Manager des Ladens sprechen.“ Er zuckte noch während des Satzes seine Marke und hielt sie dem Barkeeper, ein junger Mann mit einem bunten, kurzen Iro, der gerade ein Glas befüllte und dann dem Kunden über die Theke reichte und das Geld entgegen nahm, unter die Nase.

„Der steht vor ihnen. Was gibt es denn?“ Er gab das Wechselgeld zurück und der Gast verschwand nach einem skeptischen Blick auf die Beamten wieder in der Masse. „Hat einer meiner Kunden was ausgefressen? Die letzten Nächte waren doch ruhig. Wir haben schon lange keine Beschwerden mehr bekommen. Daher glaube ich, dass es bestimmt ein Irrtum ist.“

„Es geht nicht um Sie oder um einen Ihrer Kunden. Wir verfolgen eine Spur wegen der vermissten Kinder. Scheinbar wurde vor etwa drei Tagen ein Kind auf der Straße vor Ihrem Laden entführt. Wir hatten daher gehofft, dass Sie vielleicht eine Überwachungskamera haben und wir diese Bilder sichten könnten.“ Ruhig steckte John die Marke wieder weg, wodurch ihn der Barkeeper von oben bis unten musterte und dann kurz lächelte.

„Ja, wir haben eine Kamera und sie zeichnet auch auf. Reagiert in erster Linie auf Bewegung. Kommen Sie morgen wieder, dann können wir das Material in Ruhe anschauen. Mein Barkeeper ist heute krank und daher kann ich hier nicht weg, aber wenn Sie morgen gegen zwölf hier sind, dann kann ich Sie reinlassen.“ Erneut kam ein Gast und bestellte etwas. Mit geübten Griffen bereitete er den Drink zu und überreichte ihn im Austausch gegen Geld.

John besah sich diesen Menschen auch, doch sie waren alle nicht älter als der Kerl hinter der Theke. Ähnlich gekleidet und bei der Musik, die hier lief, wunderte ihn das Publikum immer weniger. Einer von vielen Punks mit Lederjacke und zerschlissener Kleidung.

Schließlich nickte er dem Inhaber zu. „Ist in Ordnung. Danke für Ihre Zeit. Wir sehen uns morgen.“ Er hob zum Abschied noch einmal seine Hand und deutete Rebeka dann ihm nach draußen zu folgen, nachdem sie schon damit begonnen hatte sich unter die tanzenden Leute zu mischen. Mochte sie solche Musik wirklich oder war das eine Taktik von ihr? Er verstand das nicht.

„Und? Haben sie eine Kamera?“ Kaum fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss verschwand auch der Lärm und John hoffte, dass das Klingeln in seinen Ohren nicht allzu lange anhalten würde. „Ja, sie haben eine. Morgen Mittag können wir das Material sichten. Hoffentlich können wir darauf etwas sehen.“

„Ich habe mich auch ein wenig umgehört. Aber niemand kannte den Kleinen oder hat ihn gesehen. Also der Laden war vermutlich wirklich geschlossen, als er entführt wurde.“ Sie zuckte mit den Schultern und John musterte sie von der Seite. „Das verwundert mich jetzt nicht. Warum sollte das Kind solange unterwegs sein bis diese Disko aufmacht? Das ist totaler Schwachsinn. Du wolltest nur tanzen. Gib es halt zu.“

„Ja, vielleicht wollte ich Spaß haben. Aber das ist ja nicht verwerflich, oder?“

„Doch, Beka! Hier geht es um das Leben von zwölf Kindern! Da ist es total hirnrissig, wenn man sich von Musik und Tanz von einer möglichen Spur ablenken lässt. Wir sind im Dienst und nicht auf irgendeinem Rave oder wie das Zeug heißt! Ich will diese Kinder finden und entweder du hilfst mir oder du suchst dir einen anderen Kollegen, mit dem du Spaßhaben kannst!“

Er konnte direkt sehen, wie seine Worte scharf wurden und etwas in ihr zerschnitten. Langsam, aber doch so schnell, dass er es nicht mehr aufhalten konnte und er biss sich schließlich auf die Unterlippe, bevor er sich dann  mit einem Knurren abwandte.

„Wir sehen uns dann morgen um zwölf wieder hier. Gute Nacht, Beka.“ Er ging einfach weg. Ließ ihr keine Möglichkeit mehr irgendwie zu reagieren und verfluchte sich selbst, dass er diese Sätze aussprach. Er stand schon seit so vielen Tagen unter Strom, dass es für ihm normal wurde und jetzt war er plötzlich explodiert. Ohne Vorwarnung und vor dem falschen Menschen, aber er wollte sich nicht entschuldigen. Sie nahm es zu sehr auf die leichte Schulter und mit dieser Einstellung konnte er jetzt gerade nicht umgehen.

So stieg er in sein Auto und fuhr nach Hause, um zumindest noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen und sich für den morgigen Tag vorzubereiten. Auf diesen Bändern musste irgendetwas zu sehen sein und dann würde es endlich vorwärts gehen.

Die restliche Nacht war schlaflos für John und so stand er schon gegen halb zwölf vor dem Gebäude und hatte seine sechste Tasse Kaffee in der Hand. Er nahm einen tiefen Schluck, doch auch sie war nicht in der Lage die dunklen Augenringe zu vertreiben oder gar den Impuls zu gähnendauerhaft zu unterdrücken.

Ich komme heute nicht. Soll woanders helfen. Er drehte sein Smartphone in der Hand, als er erneut die Nachricht von Rebeka las. Er wusste den wahren Grund und dennoch konnte er auch jetzt nicht über seinen Schatten springen. Darum kam nur ein kurzes Okayaus seinen Fingern und er schob das Telefon wieder in seine Hosentasche, bevor er den Becher mit einem Zug leerte und in den nächsten Mülleimer warf.

Unruhig sah er erneut auf seine Uhr. Noch fünfzehn Minuten dann würde sein Termin sein. Er hätte ihn drängen sollen, dass sie sich eher trafen. Schließlich zählte doch jede Sekunde, um die Chance hoch zu halten, dass sie die Kinder noch lebend fanden.

Die Zeiger schienen sich in Zeitlupe zu bewegen und egal wie oft er auf das Ziffernblatt sah, sie schienen kaum merklich weiter gewandert zu sein. „Geht das Teil überhaupt noch oder ist sie stehen geblieben?“, murmelte er leise und schüttelte seinen Arm, bevor er dann an der Uhr lauschte. Doch dort war es. Das leise Ticken des immer weiter wandernden Zeigers. Sie lief, nur für ihn viel zu langsam.

Unruhig lief er vor dem Gebäude auf und ab. Sah in die dunklen Fenster und begann sogar zeitweise die Bäume der kleinen Allee zu zählen, die sich von beiden Seiten wegbewegte. Alle Häuser schienen unbewohnt zu sein. Nur diese eine Diskothek. Ein perfekter Ort für ein etwas lauteres Geschäft und für ein Verbrechen am helllichten Tag.

„Da sind Sie ja endlich!“ John rannte auf den Diskothekenbesitzer zu, als dieser mit seinem Auto am Straßenrand anhielt und ausstieg. „Ja, aber ein wenig Schlaf brauch ich halt auch. Hab den Laden erst gegen fünf Uhr zugemacht. An sich habe ich noch nicht einmal gefrühstückt.“

Der Punk kramte in seinen Hosentaschen und holte den Schlüssel heraus, um das Lokal zu öffnen und dann zielstrebig durch den zwielichtigen Raum zu gehen und eine weitere Tür neben der Theke zu öffnen und John hinein zu bitten. Immer noch hing der Geruch der Party in der Luft und John erblickte einige Gläser und Flaschen, die noch am Boden herum standen.

„Ich mach immer erst sauber bevor ich aufsperre. Also, ja, das ist der Saustall der gestrigen Party. Aber das sollte Sie nicht interessieren. Was sie wissen wollen, finden wir hier.“ Er schaltete das Licht ein und man sah auf einen Monitor, der den Platz vor dem Lokal darstellte. Dort stand das Auto des Inhabers. Ein kleiner blauer Zweitürer.

„So, welches Datum brauchen Sie nun?“ Ruhig nahm der junge Mann am Tisch Platz auf dem ein kleiner Laptop stand und startete ihn. „Vor fünf Tagen bitte. Wir suchen diesen kleinen Jungen.“ John legte das Foto des vermissten Kindes auf den Tisch und kurz sah der Buntschopf darauf. „Hm... Kinder... traurige Sache. Was ist mit ihm?“

„Er ist verschwunden. Wie viele andere auch und die Hunde haben auf der anderen Straßenseite die Spur verloren. Wahrscheinlich ist er dort in ein Fahrzeug gestiegen.“

„Na, dann hoffen wir mal, dass wir etwas finden. Verbrechen an Kindern geht ja mal gar nicht.“

„Kein Verbrechen ist in Ordnung.“ Mit wenigen Klicken öffnete der Inhaber einen Ordner und suchte dann nach dem passenden Datum. „Haben wir auch eine ungefähr Uhrzeit?“

„Alles nach zwei Uhr Nachmittag ist möglich.“

„Na, dann wird es interessant.“ Ruhig spulte er zu dem passenden Moment und dort sahen sie nichts. Nur immer wieder einzelne Fahrzeuge vorbeifahren. Sie ließen das Bild schneller laufen und plötzlich ab drei Uhr parkte ein weißer Lieferwagen direkt vor der Kamera. Man sah nichts mehr von der anderen Straßenseite.

„Shit!“, fluchte John, als die Zeit verging und sich nichts rührte. Kurz schien das Fahrzeug mal zu wackeln, doch das könnte auch der Wind gewesen sein, denn dann verging erneut fast eine halbe Stunde bevor er dann wegfuhr. Kein Nummernschild. Nichts auffälliges. Nur ein weißer Lieferwagen, wie er fast an jeder Ecke zu finden war.

„Ah, jetzt fällt es mir wieder ein. Der Wagen gehört zu uns. Da haben wir gerade die Getränkevorräte aufgefüllt.“ Kurz lachte der Punk auf und John sah ihn geschockt an, wodurch der Laut in seiner Kehle hängen blieb. „Aber den Jungen habe ich nicht gesehen, Mann.“

Ein Schnauben glitt über Johns Lippen. Als hätte er wirklich mit einer anderen Antwort gerechnet. Schließlich war es doch immer dasselbe. Sie hörten nichts. Sie sahen nichts. Es geschah nichts um sie herum. Keiner wollte Ärger und alle anderen waren den Meisten egal.

„Wobei... ich habe ein schwarzes Auto auf der anderen Seite parken sehen. Es war irgendwann plötzlich da und dann als wir mit dem Ausladen und Einräumen nach einer Stunde fertig waren, war es schon wieder weg.“

„Lass mich raten. Sie haben sich nicht zufälligerweise das Nummernschild gemerkt?“

„Nein, warum sollte ich es mir merken? Es war von hier und das war auch schon alles, was hängen geblieben ist. Vielleicht wäre mehr hängen geblieben, wenn es aus einem anderen Landkreis gekommen wäre. Aber so... ich merk mir doch nicht jedes Nummernschild, das vor meiner Tür steht. Sorry, Mann.“ Der Punk schaltete den Laptop aus und drehte sich zu John um, wodurch dieser ein wenig enttäuscht die Lippen zusammenpresste.

„Na ja, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Wenn Sie also keine weitere Fragen haben, dann würde ich mir jetzt ein Frühstück organisieren.“ Ruhig stand der Besitzer auf und schloss den Deckel des Laptops, bevor er dann in Richtung Ausgang ging.

„Nein, nein. Sie haben mir schon ein wenig geholfen. Ich würde heute Abend meine Kollegen vielleicht vorbeischicken, um das Videomaterial zu holen. Vielleicht finden die noch etwas.“ John folgte dem jungen Mann und auf der Straße verabschiedeten sie sich mit einem kurzen Handschlag.

„Sollten Sie sich doch noch an etwas erinnern, dann können Sie mich jederzeit anrufen und ich danke Ihnen für ihre Kooperation.“ Der Punk nickte nur kurz und dann trennten sie sich. Es war weniger als sich John erhofft hatte, doch wenigstens hatte er wieder einen weiteren Hinweis. Vielleicht führte dieser ihn doch noch ein Stück näher zu dem Täter. Hoffentlich lebten die Kinder noch...

Es war nur ein Wimmern. Sanft und zart. Als hätte es die Hoffnung schon längst aufgegeben. Es ging fast in dem Lachen der Kinder unter, doch er konnte es hören. Das Schluchzen und den Schmerz, der sich in jede Faser seines Körpers bohrte, dennoch rührte er sich nicht und sah den tobenden Kindern zu.

Sie wirkten alle gleich. Zumindest im ersten Moment, doch dann als das Lachen kurz zu verstummen schien, erkannte er auf dem Rücken eines kleinen Mädchen die zarten Konturen der Feenflügel. Die Maske des Lachens zerbröckelte und zeigte so viele Tränen, dass das Gesicht zu einer Fratze des Trauerns wurde.

Er konnte ihr Leid körperlich spüren und mit jeder Sekunde, die er sie länger betrachtete, wurden die Flügel klarer. Sie waren rosa mit blauen Spiralen darauf. Ein eindeutiges Zeichen, dass die Kleine auf Fruchtbonbons stand. Praktischerweise hätte er sogar aktuell welche in seiner Tasche, weil er die auch unheimlich gerne aß.

Dennoch rührte er sich nicht, sondern blieb sitzen und sah den Kindern weiter beim Spielen zu. Er lauschte ihrem Lachen, doch er ließ die Fee keine Sekunde aus den Augen. Immer wieder sprang sie über den Platz. Ihr rotes Haar funkelte im Sonnenlicht, während ihre grünen Augen unter der Last der zwei Seelen zu zerbrechen schienen.

Plötzlich nahm eine Frau neben ihm Platz. Sie telefonierte lautstark mit ihrem Handy. Beteuerte, dass sie auf dem Spielplatz sei und das Kind nicht aus den Augen ließe. Er stand auf und entfernte sich. Diesen Lärm ertrug er nicht. Er hatte schon bemerkt, dass die Eltern vorsichtiger wurden, doch nach diesem Mädchen schien niemand zu sehen. Kein Erwachsener trat auch nur ein einziges Mal an es heran, während es weiterspielte und tobte.

Nach und nach wurden die Kinder weniger und er spürte, dass die Fee auch nach Ruhe schrie. Die Bewegungen wurden langsamer und immer öfters schloss sie ihre Augen, wodurch er anfing Bonbon aus seiner Tasche fallen zu lassen, während er langsam vom Spielplatz ging. Sein Auto parkte nur wenige Straßen weiter. Mit jedem Schritt ließ er eine Süßigkeit aus seiner Tasche fallen. Er drehte sich nicht um. Ging einfach weiter und hörte die Freude der Fee hinter sich. Sie folgte ihm. Wie immer. Feen konnten Süßigkeiten nicht widerstehen.

Erst als er an seinem Auto ankam, blieb er stehen und lehnte sich dagegen. Sein Blick glitt die Straße entlang. Es war niemand da. Keiner sah sie. Sie waren alleine. Wie immer. Als das Kind nur noch wenige Schritte entfernt war, stieg er auf der Rückbank ein und ließ das Fenster hinunter.

Es dauerte nur wenige Augenblicke und der Kopf des Kindes tauchte im Fenster auf. Er sprach sie an. Ihr Blick huschte zu ihr und er lächelte sie an. Prompt wurde es erwidert. Er erzählte ihr von den Feen und dass er ihr helfen würde eine Fee zu werden. Schließlich trug sie diese Veranlagung schon tief in sich.

Das Mädchen jubelte und wünschte sich diese Verwandlung zu vollziehen. Sie wollte fliegen und ihre Flügel sehen. Ruhig streckte er die Hand aus und zeigte ihr die restlichen Bonbon. Sie musste nur einsteigen, dann würde sie diese bekommen und er würde ihr Flügel schenken.

Das Grinsen auf ihren Lippen wurde noch breiter und nach einer kurzen Zustimmung öffnete sie die Autotür und stieg zu ihm auf den Rücksitz. Ruhig sah er sie an und bewunderte ihre Flügel. Strich über sie und erzählte ihr wie sie aussahen. Er konnte sie schließlich schon sehen und würde sie bald für alle anderen sichtbar machen. Das Mädchen fand sie wunderschön und hoffte, dass sie diese auch irgendwann sehen könnte. Es würde nicht mehr lange dauern, sie brauchte also keine Angst haben.

Mit aller Seelenruhe beobachtete er sie beim Essen. Es verging fast eine halbe Stunde, in der er ihr zuhörte, wie sie von ihren Träumen erzählte und er erzählte ihr, was er von den Feen wusste. Sie lachten zusammen und als das letzte Bonbon aufgegessen war, forderte er sie auf sich anzuschnallen, bevor er den Platz wechselte und den Motor startete.

Das Kind tat, was er von ihm verlangte und erzählte fröhlich weiter. Von ihren Eltern, die immer viel zu beschäftigt waren, aber sie war ihnen deswegen nicht böse. Schließlich taten sie dies um ihr alles geben zu können.

Er hörte ihren Wunsch, dass ihre Mama doch mal wieder neben ihr sitzen bleiben würde bis sie eingeschlafen war und so beteuerte er ihr, dass sie ab sofort nie wieder alleine sein würde. Schließlich wurde er sie zu anderen Feen bringen sobald sie ihre Flügel haben würde.

Ruhig lauschte er ihren weiteren Erzählungen. Aus der Schule und ihrem Leben. Alles würde besser werden, wenn sie eine Fee sein würde, davon war sie auch überzeugt und irgendwie hatte sie immer gehofft, so ein Wesen sein zu können. Sie fand diese kleinen Kreaturen schon immer bezaubernd und mochte Tinkerbell von allen Figuren am Liebsten. Zuhause hatte sie sogar eine Figur von ihr.

Nach einer Weile fuhr er mit ihr in eine Tiefgarage und sie stiegen aus. Er erklärte ihr, dass ihre Flügel oben in seiner Wohnung sein würden und er dort auch noch mehr Bonbons hätten. Zwar würde er ihre Schwingen noch anfertigen müssen, doch sie konnte derweil so viele Süßigkeiten essen wie sie wollte. Aber nur wenn sie jetzt still sein würde.

Der zustimmende Jubel ließ ihn lächeln und so liefen sie gemeinsam die Treppen empor, um dann in seine Wohnung zu gehen. Es waren nur zwei Stockwerke und das Mädchen blieb still. Brav lief es neben ihm her und stürmte aufgeregt in die Wohnung. Sie zog ihre weißen Turnschuhe und rote Jacke aus, bevor sie dann neugierig die Zimmer erkundete. Er tat es ihr gleich, ging aber sofort in das Hinterster, um sich dort an die Nähmaschine zu setzen.

Ihre Erzählungen gingen weiter. Sie berichtete ihn von jedem Gegenstand, den sie fand und zählte die Fische in dem Aquarium neben der Couch im Wohnzimmer. Er stimmte ihr immer wieder zu, während er bei künstlichen Licht in dem abgedunkelten Zimmer ihre Feenflügel nähte.

Kurz kam sie zu ihm und sah auf das Paar, die sie wunderschön fand. Sie konnte es kaum erwarten diese anprobieren zu können. Er beteuerte, dass dies nur ging, wenn sie schlafen würde. Aber sie war ja noch gar nicht müde, aber das war gar nicht schlimm, denn er würde ihr dabei helfen. Sie jubelte und eilte dann wieder davon, um dies brühwarm den Fischen zu erzählen.

Es dauerte nur noch wenige Augenblicke und das Flügelpaar war endlich fertig, wodurch er sie ruhig zu sich rief. Sofort war das Kind da und ließ sich auf den ihr angebotenen Stuhl nieder. Er zeigte sie ihr und fragte nach ihrer Meinung. Erneut jubelte sie und wollte sie sofort haben, doch sie sollte sich noch ein wenig gedulden.

Er ging zu einem dritten Tischchen, das in der Ecke stand und zog eine Flüssigkeit in eine Spritze, bevor er zu ihr zurückkam. Es würde kurz wehtun, aber sie musste keine Angst haben. Danach würde sie schlafen und als Fee wieder aufwachen. Ein kurzer Freudenschrei erklang und er griff ruhig nach ihrem Arm. Schob den Ärmel des pinken Shirts empor auf dem ihm ein blonder Cockapoo mit pinker Fliegerbrille und Suit entgegen schaute. Eine animierte Kinderfigur wahrscheinlich, doch er kannte sie nur vom Sehen, weil sie heutzutage auf vielen Mädchenshirts zu sehen war.

Kurz zuckte das Mädchen unter dem Stich zusammen, doch sie machte keinen Laut, was ihn kurz ein wenig verwundert, und so konnte er ihr in Ruhe das Schlafmittel injizieren. Er beteuerte, dass sie nun langsam müde werden würde und schon bald wird sie dann als neue Fee aufwachen. Sie freute sich darauf und schlief noch während diesem Satz ein.

Ruhig hob er sie hoch und legte sie auf den großen Arbeitstisch, um ihr die Kleidung auszuziehen und diese wie immer in einem Eimer neben den Tisch zu werfen. Später würde er diese unter seinem Hausmüll verstecken und erst raus bringen kurz nachdem die Müllabfuhr gekommen war.

Er drehte das Kind zur Seite und fuhr liebevoll über den nackten Rücken, bevor er dann die Flügel an der richtigen Stelle platzierte, um mit dem ersten Stich zu beginnen.

Das warme Blut glitt über seine Finger und benetzte den pinken Faden. Ließ ihn im künstlichen Licht glitzern, während er weitermachte. Jeder Stich saß und befestigte die Flügel stärker an der weißen Haut des Kindes. Er spürte, wie mit jeder Sekunde, die verstrich, das Blut langsamer aus den Wunden floss, bevor es dann gänzlich abebbte und die Wärme Stück für Stück aus dem kleinen Leib entwich.

Kaum hatte er den letzten Stich vollzogen und den Faden vernäht, hörte er den freudigen Aufschrei der Fee und sah sie durchs Zimmer fliegen. Er entschuldigte sich sogleich bei ihr, weil sie noch ein wenig warten musste, denn er würde sie erst in ein paar Tagen zu den anderen bringen können, doch er war ja hier. Sie war also nicht mehr alleine. Nie wieder...

Da stand er nun. Die Fotos der zwölf Kinder lächelten ihn hämisch an. Das Netz zwischen den Pinnnadeln wirkte als hätte es eine Spinne auf Drogen gefertigt. Nicht einmal als er den letzten Sichtungspunkt des jüngsten Opfers befestigt hatte, konnte er ein Muster erkennen. Sie alle bewegten sich in ihrem gewohnten Umfeld. Kein Kind verschwand weiter als fünf Kilometer von seinem Wohnungsort, dennoch betrug der höchste Abstand gute hundert Kilometer. Der Radius war einfach viel zu groß für eine Suche und nur weil sie in diesem Bereich verschwanden und wohnten hieß es noch lange nicht, dass sie auch dort irgendwo festgehalten wurden.

Immer wieder sah John auf den Zettel mit der Notiz eines schwarzen Zweitürers. Er hatte die Datenbank schon danach durchforstet, aber auch da war das Feld viel zu riesig für einen Beamten alleine. Schließlich hatte er nicht einmal eine Automarke, um es ansatzweise einordnen zu können. Doch das Nummernschild war zumindest von hier. Vielleicht sollte er doch noch einmal...

„Na? Endlich eine neue Spur?“ Tom trat an ihn heran. In der Hand hielt er zwei Tassen Kaffee von denen er eine John reichte und dieser schwer seufzte. „Ja, irgendwie schon. Der Besitzer der Disco, vor dem der Junge wahrscheinlich verschwunden ist, hat einen schwarzen Zweitürer dort parken sehen. Er hat sich aber nicht das Kennzeichen gemerkt, nur dass er scheinbar aus unserem Landkreis ist.“

„Also, dann haben wir doch schon einen Anhaltspunkt. Lass es durchs System laufen und dann statten wir jeden davon einen Besuch ab. Allemal besser als hier zu sitzen und blöd zu schauen.“

„Ja, da hast du Recht, Tom. Hilfst du mir dabei? Oder bist du gerade noch an deinem Drogenfall dran?“ John nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Tasse. Hui war der heiß, doch dann machte er wenigstens richtig wach. Er brauchte seine ganze Konzentration.

Der Drucker surrte und spuckte eine Seite nach der anderen aus. „Es sind echt viele. Wir werden wohl noch den ein oder anderen brauchen.“

„Wie sieht es mit Beka aus? Sie war doch sonst an deiner Seite.“

„Sie ist an einem anderen Fall dran.“ Johns eher plumpe Antwort ließ Tom eine Braue nach oben ziehen und er sah den anderen eine Weile an.

„Was denn?! Das hat sie mir so geschrieben!“

„Ja, genau und Frauen schreiben ja immer genau das, was sie auch meinen. Ach, komm. Du bist zwar aktuell solo unterwegs, aber so viel Hirn solltest du schon besitzen, sonst hast du hier wirklich nichts verloren. Wobei, das würde vielleicht erklären, dass du seit Wochen auf der Stelle trittst.“

Das war jetzt nicht Toms Ernst. John tötete seinen Kollegen gerade mit Blicken, aber er tat ihm nicht den Gefallen zu sterben. „Du kannst es gerne selber übernehmen. Ich finde bestimmt auch einen anderen interessanten Fall.“

„Ne, danke. Du wolltest solchen Psychos hinterher laufen. Ich bin mit meinen Junkies mehr als zufrieden.“ Tom hob abdankend die Hände, dennoch trat er an die Tafel heran. John schritt neben ihn und ließ seinen Blick noch einmal über all die Infos wandern. Zwölf Kinder, die gemeldet wurden. Wer wusste wie viele es gab, deren Fehlen gar nicht aufgefallen ist?

Nein, John wollte soweit nicht denken und schloss die Augen, um sich zu zwingen von diesen Gedanken abzulassen. „Welches kranke Schwein tut so etwas? Das sind Kinder, die haben doch keinem was getan.“

„Kinder bringen viel Geld auf dem Menschenmarkt.“

„Glaubt ihr wirklich, dass es sich um einen Ring handelt?“

„Na ja, wir haben immer noch keine Leichen und an sich alles abgesucht in der Umgebung. Es liegt also durchaus sehr nahe, dass sie noch am Leben sind und irgendwo...“ John wollte es nicht aussprechen und das musste er auch nicht. Tom verstand auch so und seufzte schwer.

„Dann findet ihr sie nie wieder. Das ist dir doch klar, oder?“

„Ich darf die Hoffnung nicht aufgeben, Tom. Dann sind diese Kinder wirklich verloren. Wenn wir den Ring finden und sprengen, dann haben wir auch eine Chance sie zu finden. Kontaktmänner und alles. Erst wenn ich die Flinte ins Korn werfe, dann sind sie wirklich verloren.“

„Ich weiß ja, ohne Leiche kein Mord und so. Aber könnte es nicht möglich sein, dass sie nur gut versteckt sind? Vielleicht sind sie ja doch noch irgendwo und vielleicht ist es auch kein Ring, sondern ein Einzelner und hält sich die Kinder im Keller. Du weißt ja, der menschliche Abgrund kennt keine Grenzen.“

„Ja, ich weiß und irgendwie hoffe ich, dass sie noch irgendwo am Leben sind. Aber sieh dir doch diesen Radius an. Das macht doch kein einzelner Mensch, Tom.“

„Aber ein Ring konzentriert sich nicht auf einen Umkreis. Die holen sich ihre Menschen oder in dem Fall Kinder doch überall her. Ich bin jetzt dafür, dass du Beka anrufst, dich für den Bullshit, den du mal wieder verzapft hast, bei ihr entschuldigst und wir noch ein paar Kollegen fragen, ob sie uns helfen diese Liste abzuarbeiten. Vielleicht kriegen wir dann eine neue Spur. Das klingt doch nach einem Plan, oder?“

John besah sich das Brett noch einmal auf dem die Fäden langsam ineinander verschwammen und auch die Gesichter der Kinder zu einer einzigen Maske der Schmach verschmolzen. Sie alle waren verschwunden und wenn er nicht bald größere Fortschritte machte, dann würden noch viele weitere folgen. Nur weil er nicht fähig war etwas zu finden gesellten sich immer mehr zu  ihnen.

„Bitte! Bitte, helfen sie mir! Meine Tochter! Meine Tochter ist nicht mehr vom Spielen zurückgekommen!“ Panisch stürmte eine Frau in die Wache. In der einen Hand hielt sie ein Foto und in der anderen ein Taschentuch mit dem sie ihr eh schon verschmiertes Make-Up weiter zerstörte. Ihr rotes Haar hing wirr in ihr Gesicht. Strähnen hatten sich aus dem Zopf gelöst und flogen mit jeder Bewegung enthusiastisch mit.

Dann erblickte sie John und die blauen Augen fixierten ihn sofort, bevor sie dann auf ihn zu stolperte. „Bitte, sie müssen mir helfen. Meine kleine Amelie ist gestern nicht mehr vom Spielplatz zurückgekommen. Sie wollte um sechs Uhr Zuhause sein. Freunde haben sie pünktlich gehen sehen, aber sie kam nicht an. Ich habe schon alles abgesucht und...“

Die Tränen erstickten ihre Stimme und sie versteckte ihr Gesicht hinter dem Taschentuch. John stellte seine Tasse auf den Tisch ab und nahm dann das Foto entgegen. Erneut ein Kind, das ihn voller Lebensfreude anlächelte. Sie hatte das feuerrote Haar ihrer Mutter, doch grüne Augen.

„Wie alt ist ihre Tochter?“ Er deutete ihr Platz zu nehmen und folgte dann seiner eigenen Anweisung, bevor er sich einen Notizblockschnappte und bereit machte ihre Worte aufzuschreiben. Tom blieb neben ihm stehen, nahm das Bild entgegen und hängte es zu den anderen Kindern.

„Sie ist sieben Jahre alt. Noch nie war sie zu spät. Sie weiß, dass sie mit keinen Fremden mitgehen soll und kommt auch immer zur abgemachten Zeit nach Hause. Es ist ganz normal, dass sie sich alleine mit Freunden auf den Spielplatz trifft. Das hat schon seit sie sechs Jahre alt ist ganz gut funktioniert. Denn wissen Sie, mein Mann und ich müssen sehr viel arbeiten und ich kann sie doch nicht den ganzen Tag in ihrem Zimmer einsperren. Kinder müssen raus. Sie wollen rennen und sich bewegen.“

„Alles gut, Frau...“

„Schmidt. Marie Schmidt. Meine kleine Amelie ist so fröhlich. Wer würde einem kleinen Kind denn etwas antun?“

„Haben Sie bei Ihren Freunden nachgefragt?“

„Natürlich! Ich bin doch nicht dumm, Herr Polizist! Sie war mit ihnen auf den Spielplatz! Ist aber dann sogar früher gegangen, um pünktlich Zuhause zu sein! Keiner hat sie danach mehr gesehen! Und... ich habe gehört... Oh mein Gott, ich hätte sie nicht alleine gehen lassen dürfen. Aber... aber mein Chef... ich sollte noch etwas für einen Kunden erledigen. Ich... ich hätte sie begleiten müssen. Bitte! Bitte! Sie müssen meine kleine Amelie finden! Ich... ich könnte mir das nicht verzeihen, wenn ihr etwas passiert! Ich lasse sie dann auch nie wieder aus den Augen! Versprochen! Aber bitte! Bitte bringen sie mir mein Kind zurück!“

Plötzlich umklammerte sie schmerzhaft das Handgelenk von John. Er zuckte zurück und legte dann sanft eine Hand auf ihre. Tätschelte diese und löste sie dann zärtlich aber mit Nachdruck, um sie kurz in seine zu nehmen.

„Frau Schmidt. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um ihnen Amelie zurück zu bringen. Bitte nennen sie mir die Adressen von Amelies Freunden und den Spielplatz, auf den sie normalerweise geht. Ich werde mich mit ihnen unterhalten und den Ort genauer ansehen. Sie können mir glauben, ich werde nicht eher ruhen, bevor ich ihre Tochter und all die anderen Kinder gefunden haben. Ihr Leid ist bei uns in guten Händen. Sie können uns vertrauen. Wir finden ihre Kleine. Ganz bestimmt. Sollte Ihnen noch etwas einfallen, dann können Sie mich jederzeit anrufen. Egal ob Tag oder Nacht. Ich werde abheben.“ Er überreichte ihr seine Visitenkarte und stand dann mit ihr gemeinsam auf, um sie aus der Wache zu führen.

Kaum hatte er die Tür hinter ihr geschlossen, seufzte er schwer und massierte sich die Schläfen, um das leichte Drücken auf sie zu minimieren. Das durfte doch nicht wahr sein? Was für einen Rhythmus hatte dieser Kerl? Das war doch nicht normal.

„Da haben wir Nummer Dreizehn.“ Mit einem mitleidenden Lächeln trat Tom an John heran, der sich von der Tür abstieß und zurück zu seinem Schreibtisch ging.

„Ja, er wird immer schneller oder es ist doch ein Ring. Wo versteckt er die Leichen?! Die müssen doch irgendwem auffallen!“ Er griff nach seinem Telefon und tippte eine kurze Nachricht an Beka: Es tut mir Leid. Ein weiteres Kind ist verschwunden. Wir brauchen dich. Komm bitte sofort ins Revier.

Er schnappte nach der Liste mit den Autos und hielt sie in die Luft: „Wir haben einen Spinner zu schnappen! Wer will helfen?!“ Drei weitere Kollegen hoben die Hand und kamen zu ihm.

„Also, ich habe hier eine Liste von Autos, die auf die Beschreibung des Punks passen. Wenn jeder ein paar davon übernimmt, dann kriegen wir das vielleicht sogar heute noch über die Bühne. Leiht euch am Besten noch einen Hund aus. Wir haben hier noch ein paar Shirts der Kinder. Vielleicht finden sie eine Spur in irgendeinem der Wägen.“ Er zerschnitt das Papier und drückte jedem einen Streifen in die Hand, wodurch die vier Männer um ihn herum nickten, bevor sie dann schon ihre Jacken holten und das Revier verließen.

Kurz darauf vibrierte sein Handy, doch der Anfang der Nachricht gefiel ihm schon gar nicht: Tut mir Leid. Ich werde hier auch gebraucht. Du schaffst das bestimmt auch mit ein paar Kollegen, die diesen Fall ernst genug nehmen.

John schnaubte und schickte nur ein kurzes Okayzurück, um sich dann seine Jacke anzuziehen und mit zwei Papierstreifen aufzubrechen. Wenn sie noch auf eingeschnappte Pute machen wollte, dann sollte sie ruhig. Er schaffte es auch ohne sie. Ihm taten nur die Kinder Leid, aber das war etwas mit dem musste Rebeka selber fertig werden. Das war nicht sein Problem. Nein, definitiv nicht sein Problem...

Erneut strich er eine Zeile auf seinen Zetteln durch. Der Erste war schon gänzlich geschwärzt und auch vom Zweiten blieben nicht mehr viele übrig. Leise winselte der Hund an seiner Seite und auch der Kollege, der ihn an der Leine hielt, wirkte müde und abgespannt. Sein haselnussbraunes Haar hing wirr in sein Gesicht und er strich es sich immer wieder hinters Ohr.

„Zeus wird langsam müde. Wie viele haben wir noch vor uns?“ Er strich kurz über die Seite des Hundes, wodurch dieser anfing mit dem Schwanz zu wedeln und John beneidete das Tier, das so schnell Freude spüren konnte.

„Nach diesem nur noch zwei Stück. Wir haben es bald geschafft.“ John straffte seine Schultern und sah an der Fassade des Wohnblocks empor. Hier hatten sie zumindest den Stock des Jungen gefunden. Vielleicht würde dies endlich zu einem Durchbruch führen.

„Sasha Richter“, las er leise den Namen für sich und begann an die Tür zu treten, um dann die Klingelschilder zu überfliegen. Es gab in dem Haus fünf Parteien. Bestimmt hatte Beka jeden davon befragt, aber damals wussten sie ja noch nichts von dem Auto. Vielleicht hatte der Kerl sie ja dreist angelogen. Er drückte auf die Klingel als Zeus unruhig wurde.

„Er wittert etwas.“

„Ja, hier ist der Junge entlang gegangen. Ich hoffe, dass dies nicht zu Verwirrung führt.“

„Na ja, wird es nicht. Entweder er bleibt im Auto oder er rennt zur Straße. So oder so kriegen wir unsere Antwort.“

„Dann hoffen wir mal, dass er nicht davonrennt. Ich... ich will endlich vorankommen.“

„Das kann ich verstehen.“ Ein bemitleidender Blick traf John von der Seite und bevor er darauf reagieren konnte, ertönte eine krächzende Stimme durch die Gegensprechanlage: „Ja? Wer ist da?“

„Die Polizei, Herr Richter. Wir hätten ein paar Fragen an Sie und würden gerne Ihren schwarzen Toyota Yaris sehen.“

„Schon wieder? Ich habe der Dame von neulich alles gesagt. Zu der Zeit war ich auf der Arbeit. Haben Sie das nicht überprüft?“

Fettnäpfchen.

Erneut war dort der mitfühlende Blick des Kollegen und John rieb sich nur über die Stirn. „Ja beziehungsweise nein. Haben wir noch nicht. Aber wir haben neue Anhaltspunkte und... wir wollen nur kurz ihr Auto sehen. Das dauert keine zehn Minuten dann sind wir wieder weg.“ John hasste es, wenn er kurz davor war zu flehen. Er wollte keine Zeit verschwenden und einen Durchsuchungsbefehl holen, sondern hoffte einfach auf die Kooperationsfähigkeit der Mitbürger.

„Ich weiß zwar nicht, was mein Auto damit zu tun haben soll. Aber okay. Ich komme gleich runter.“ Es erklang ein Klacken, als der Mann die Verbindung trennte und Stille einkehrte. John hasste es zu warten und spürte, wie er mit jeder Minute, die verstrich unruhiger wurde.

„Bist du dir sicher, dass er kommt und nicht abgehauen ist?“ Sein Kollege sprach leise und sah immer wieder nervös von der Tür zu John und ließ auch seinen Blick über die Straße wandern.

„Sollte das der Fall sein, dann ist er jetzt schon über alle Berge. Wir warten jetzt noch fünf Minuten und dann gehen wir. Ich werde dann wohl mit einem Durchsuchungsbefehl zurückkommen müssen.“ John zuckte mit den Schultern und er hörte schon wie sein Kollege Luft holte, um etwas zu erwidern, als plötzlich Leben in den Flur hinter der Tür kam.

Keine fünf Sekunden später öffnete sich die Haustür und ein schmaler Mann mittleren Alters trat heraus. Er hatte eine blaue Jogginghose und ein weites weißes Shirt, das schon bessere Zeiten gesehen hatte, an. Seine lichten, braunen Haare wirkten fettig und strohig. Die grünen Augen sahen müde zwischen den beiden Beamten hin und her.

„Mein Auto steht in der Tiefgarage. Folgen sie mir ruhig.“ Er deutete ihnen einzutreten und schritt dann sofort durch eine Tür, die direkt dahinter lag, um dann die Treppen hinunter zu gehen. Zeus sah sich interessiert um und schnüffelte ein wenig herum.

Der Gang nach unten wirkte eng und die Betonstufen waren schmal. John musste aufpassen, wie er trat, damit er nicht stolperteund den restlichen Weg rutschtend zurücklegte. Er hasste solche Treppenhäuser, in denen er leicht gebückt gehen musste und auch an den Seiten Angst haben musste, dass er sich anstieß. Wenn er hier wohnen würde, dann würde er sein Auto lieber fünf Straßen weiter parken, als diese Treppe benutzen zu müssen.

Eine Feuerschutztür öffnete sich unter ihrem Gewicht nur langsam, doch der Mann vor ihm stoppte nicht, sondern lief dann einfach weiter. Hier unten standen fünf Autos. In einer Parklücke war der schwarze Toyota zu sehen. Immer wieder sah John zu dem Schäferhund, der seine Nase interessiert über den Boden huschen ließ und auch an allem roch, was ihm vor die Pfoten kam.

„Hat er eine Spur?“ Er wusste nicht, wie er das Verhalten des Tieres deuten sollte und auch sein Kollege zuckte nur mit den Schultern. „Irgendetwas scheint hier zu sein. Aber seine Reaktion ist zu schwach für eine tatsächliche Spur. Vielleicht haben wir im Auto mehr Glück.“ Sie unterhielten sich gedämpft damit der Mann vor ihnen keinen Verdacht schöpfte, doch sein skeptischer Blick über die Schulter verriet etwas anderes.

„Das ist mein Wagen.“ Das Auto piepte, als es geöffnet wurde und die Blinker leuchteten einmal auf. „Ich weiß zwar nicht, was Sie darin zu finden hoffen, doch toben Sie sich aus. Zwar hoffe ich, dass der Köter mir nicht alles voll sabbert, aber ich glaube, dass Ihre Dienststelle dann bestimmt für die Reinigung aufkommt, oder?“

„Natürlich, aber Zeus sabbert nicht. Da brauchen Sie keine Angst haben.“ Ruhig trat sein Kollege mit dem Hund an das Fahrzeug und gab den kurzen Befehl, wodurch sich das Tier in den Innenraum stürzte.

Aufgeregt schnüffelte er an jeden noch so kleinen Gegenstand in dem Auto. Blieb an einzelnen Bereichen ein wenig länger hängen, doch jedes Mal wenn John glaubte, dass er bald Anschlagen würde, wanderte der Hund weiter.

Zeus musste etwas finden. Irgendetwas. Dieses Auto musste das Entführungsauto sein. Es passte alles so gut zusammen. Er wohnte auf dem Weg des Jungen. Zwar behauptete er zur Tatzeit nicht da gewesen zu sein, aber Menschen konnten auch lügen. Er hätte auch ohne Probleme den Jungen sehen, verfolgen und dann hierher entführen können. Aber solange Zeus nicht anschlug, waren ihm die Hände gebunden.

Der Hund wanderte nach vorne und beschnüffelte den Fahrerraum und Beifahrerplatz. Ausgiebig. Sein schwerer Atem hing in der Luft und das Kratzen der Krallen über den Stoff zerriss immer wieder die Stille.

„Hey, wenn der was kaputt macht, dann müsst ihr das bezahlen! Ich hab keine Lust, dass der mir Löcher in meine Stoffe reißt! Haben wir uns da verstanden?“, wütete der Mann sofort los als Zeus mal kurz abrutschte.

„Ja, machen Sie sich da mal keine Sorgen. Zeus passt schon auf. Bitte vergessen Sie nicht, dass es hier um das Leben unschuldiger Kinder geht. Wir tun alles, um den Kerl zu schnappe, okay?“ John versuchte den Mann zu beruhigen, doch dieser sah ihn dann nur skeptisch an. „Was labbern Sie da, Mann? Sie untersuchen gerade mein Auto und sagen mir eiskalt ins Gesicht, dass Sie an sich versuchen michhinter Gitter zu bringen.“

„Wir gehen nur einer Spur nach. Dies dient auch Sie weiter als Verdächtigen auszusortieren, wenn der Hund nichts findet und das sieht sehr danach aus.“ John knirschte mit den Zähnen, als er den enttäuschten Blick seines Kollegen bemerkte. Das Schnüffeln von Zeus wurde immer schwächer und schließlich begann er sogar zu gähnen, bevor er aus dem Wagen sprang und sich schüttelte. „Keine Spur, John. Tut mir Leid.“

„Ich hab euch doch schon gesagt, dass ich mit den verschwundenen Kindern nichts zu tun habe. Wenn ihr mal auf eure Zeugen hören würdet, deren Alibis vernünftig überprüft, dann hättet ihr euch diese Zeitverschwendung definitiv sparen können.“ Der Mann schnaubte, zupfte sich sein Shirt zurecht und wandte sich dann in Richtung Treppenaufgang. „Und ich würde jetzt wieder schlafen gehen, wenn wir hier fertig sind. Gute Nacht!“

John konnte es nicht glauben. Er starrte auf den Zettel, auf den nur noch zwei Namen standen. Von seinen Kollegen hatte er nur negative Rückmeldungen gegeben. Sie hatten nur noch zwei Versuche. Dann würde auch diese Spur im Sande verlaufen.

„Zeus war hartnäckiger, als bei den anderen. Vielleicht war eine kleine Spur da. Wir sollten uns diesen Kandidaten merken und zur Not mit einem Durchsuchungsbefehl zurückkommen. Vielleicht gibt ja seine Wohnung was her.“ John spürte die aufmunternde Hand seines Kollegen auf seiner Schulter, wodurch er diesen anlächelte. „Danke, Chris. Aber mit welcher Begründung kann ich einen Durchsuchungsbefehl verlangen? Ich habe keine Beweise, dass er irgendwas mit dem Jungen zu tun hat. Im Gegenteil, er scheint ein Alibi zu haben und auch Zeus hat nichts gefunden.“

„Vielleicht hat er sein Auto sauber gemacht und mit Duftspray eingesprüht? Irgendwas war da aber. Zeus war viel gründlicher als sonst. Er hatte eine kleine Spur, aber sie war zu schwach. Da bin ich mir sicher. Ich kenne meinen Hund. Da war was, aber leider nicht stark genug. Du solltest dir diesen Kerl genauer ansehen. Bis jetzt ist er der Verdächtigste.“

John überlegte kurz und machte dann ein Ausrufezeichen neben dem Namen, bevor er Chris zunickte und dann mit ihm wieder nach oben ging. „Komm, lass uns die anderen Zwei noch machen und dann schauen wir weiter. Dieser Tag wird nicht hoffnungslos sein. Das spüre ich. Wir sind ihm einen Schritt näher. Da bin ich mir mehr als sicher.“

„Ich auch, John. Ich auch. Wir schnappen den Penner. Da bin ich mir sicher. Du wirst ihn kriegen. Ganz bestimmt.“ Zeus hechelte zustimmend und sah kurz zwischen den beiden Männern hin und her, bevor sie sich wieder die enge Treppe empor kämpften und dann das Gebäude verließen. Noch einmal sah John auf den Wohnblock zurück. Seine weiße Fassade konnte einen neuen Anstrich gebrauchen, genauso wie die gleichfarbigen Fensterrahmen. Jedes Fenster war mit Vorhängen verziert und hinter dem ein oder anderen konnte man einen Schatten vorbeihuschen sehen. War es möglich? Dass dort Kinder leiden mussten und niemand bekam etwas mit? Es wäre nicht das erste Mal.

„Wir sehen uns wieder“, flüsterte er dem Gebäude zu, als er in seinen Dienstwagen stieg und mit Chris zur nächsten Adresse fuhr. Ja, er würde wieder kommen und dann würde er erfolgreich sein. Da war er sich sicher, dort würde er etwas finden. Entweder die Kinder oder einen alles entscheidenden Hinweis. Er musste nur einen Richter überzeugen, damit dieser ihm einen Durchsuchungsbefehl ausstellte. Zwar wusste er noch nicht wie, aber auch da würde John eine Antwort finden. Da war er sich mehr als sicher...

Er saß in der Mitte eines Pilzkreises. Das Lachen der Feen war um ihn herum. Es hörte sich unheimlich schön an. Er kam gerne hier her. An diesem Ort fühlte er sich geliebt und geborgen. Keine schrägen Blicke. Niemand zeigte mit dem Finger auf ihn und keiner lachte ihn aus.

Er beteuerte den Feen, dass er sie mochte und ihnen immer helfen würde. Ja, er wusste selbst, dass er so eine Seele in sich trug. Wie sehr wünschte er es sich auch fliegen zu können. Frei zu sein. Eine Fee zu sein.

Plötzlich war dort die Stimme seiner Mutter. Sie rief nach ihm. Wie immer verjagte ihre schrille Stimme die scheuen Wesen und er saß alleine in diesem Kreis. Das feuchte Moos fühlte sich kalt und unnahbar unter seinen Fingern an. Es hatte all seine Geborgenheit verloren. Das helle Klingeln verschwand immer mehr in der Angst, die ihre Herzen befiel.

Er rief nach ihnen. Flehte sie an, dass sie blieben. Doch sie verschwanden immer weiter, desto näher das Rufen seiner Mutter kam. Der Zauber zerbrach endgültig, als ihre ungeschickten Füße den Kreis zerrissen. Sie trampelte die Pilze nieder und zerstörte dadurch die Verbindung zu der Welt der fliegenden Wesen.

Sie fragte, ob er sie nicht gehört hätte. Er solle ihr antworten, doch er hatte schon längst vergessen, warum dies überhaupt wichtig sein sollte. Sie hätte Angst um ihn gehabt. Schließlich wäre dieser Wald riesig und man könnte sich leicht in ihm verlaufen.

Er aber nicht. Seine Feenfreunde würden ihn immer führen und niemals zu Schaden kommen lassen. Dort war wieder dieser bemitleidende Glanz in ihren Augen, der mit jedem weiteren Erwähnen der Feen ein Stück weiter von Hass aufgefressen wurde.

Sie habe ihm gesagt, dass er diesen Schwachsinn sein lassen sollte. Wenn er nicht aufhören würde, dann müsste sie ihn einweisen lassen. Früher ging es vielleicht noch als kindliche Spinnerei durch, doch jetzt wäre er zu alt dafür. Niemand würde ihn so ernst nehmen.

Er blieb sitzen und starrte weiter auf die Pilze um ihn herum. Die armen Früchte, die sie einfach umgenietet hatte und so die Verbindung zerbrach. Dies sollte nach manchen Überlieferungen Unglück bringen. Ob sie das überhaupt wusste?

Ihr Gesicht wurde kurz blass, als sie seine Frage hörte, doch dann war dort wieder dieser Zorn, der ihr jegliche Menschlichkeit raubte. Seine Mutter verwandelte sich vor seinen Augen erneut in dieses Monster, dem er nicht entkommen konnte. Das jede Fee auffressen und ihn in eine kalte Welt zurück zerren wollte.

Überall wo sie ihn berührte, entbrannte ein Schmerz, der versuchte seinen Glauben an die Feen zu verschlingen. Er spürte, wie ihr Hass an seinen Feenflügeln zerrte und hoffte, dass sie dieses Mal nachgaben und endlich verschwanden. Doch sie blieben für immer da. Er war eine Fee und das würde er sich niemals nehmen lassen. Egal, wie sehr sie sich auch anstrengte. Sein Glaube würde immer bleiben.

Dort war er wieder. Der Vorwurf, der versuchte ihm ein schlechtes Gewissen zu machen. Dass man sie auslachen würde, wenn er jeden von seinen Feen erzählte. Er solle doch endlich damit aufhören. Sie wollte wissen, was sie getan hätte, damit er sie so sehr strafte und ins Lächerliche ziehen wollte.

Erneut beteuerte er, dass er nicht log und auch ihr nicht schaden wollte. Die Feen wären echt und wenn sie doch nur einmal genau hinhören würde, dann könnte sie diese auch hören. Verwirrung trat in ihr Gesicht, als er neben sich auf das Gras klopfte. Wenn sie leise seien, dann könnte es durchaus sein, dass die Feen zurückkämen.

Er hatte so sehr gehofft, dass sie sich einfach neben ihm niederließ, doch erneut war dort diese Unverständnis und der Zorn, der daraus geboren wurde. Der Schmerz kam zurück und immer wieder nur diese eine Frage nach dem Grund.

Hatte sie ihn nicht dahin gehend erzogen, dass er nicht log? Warum verlangte sie es dann nun von ihm? Wieso konnte sie ihn nicht so annehmen, wie er war? Weshalb wollte sie sich nicht neben ihn setzen und seine Welt sehen? Liebte sie ihn nicht? Wer oder gar was war er für sie? Nur ein Statussymbol? Etwas, was sie verzweifelt versuchte so zu formen, dass es der Welt gefiel? Wieso sah sie sein wahres Ich nicht?

Plötzlich packte sie ihm grob an seinem Handgelenk und riss ihn in die Höhe. Zerrte ihn trotz seiner verzweifelten Gegenwehr hinter sich her. Weg von dem Kreis, den sie dadurch noch mehr zerstörte. Dort war das ängstliche Fiepen der Feen. Er spürte ihr Mitleid und wünschte sich, dass er bei ihnen bleiben könnte.

Immer wieder war dort diese eine Frage von seiner Mutter, die nach dem Grund suchte, weshalb man sie mit solch einem Kind bestrafte.

Solch ein Kind.... solch einKind... solch ein Kind....

Er war kein Kind, sondern eine Fee. Warum sah sie das nicht? Sie solle ihn gehen lassen, wenn sie es nicht verstand. Wenn sie ihn nicht wollte, dann würde er einfach hier bleiben. Hier bei den Feen, die ihn liebten. Sie solle ihn gehen lassen. Vergessen. Er brauchte ihre Liebe nicht, wenn sie seine Freunde nicht sah.

Solch einen Unsinn hätte sie noch nie gehört. Selbst wenn sie wollte, könnte sie ihn nicht hier lassen. Sie hatte die Verantwortung für ihn und somit musste er mit ihr kommen. Da hätten sie beide keine Wahl.

Unsanft stieß sie ihn in das rote Familienauto. Ein Kombi mit viel Platz. Viel Abstand zwischen ihn und seinen Eltern. Er solle sich anschnallen oder auch nicht. Dann könnte sie an den nächsten Baum fahren und die Sache hätte sich auch erledigt.

Er wusste, dass es nur ein Bluff war. Niemals würde sie ihr Auto wegen ihm beschädigen, dennoch ließ er sie in dem Glauben, dass ihre Drohung einen Effekt hätte und schnallte sich an. Vielleicht würde es irgendwann von Nutzen sein, wenn sie glaubte, dass sie noch irgendeine Macht über ihn hätte.

Er solle sich von dem Wald verabschieden. Es wäre das letzte Mal, dass sie ihn dorthin bringen würde. Sie hatte keine Lust mehr ihn dann stundenlang zu suchen nur weil er irgendwelchen Hirngespenstern hinterher lief. Schließlich hatte sie durchaus besseres mit ihrer Zeit zu tun und auch er sollte seine Prioritäten noch einmal überdenken.

Er schwieg und merkte, wie ihre Stimme immer mehr zu einem Rauschen wurde. Sehnsüchtig sah er dem Wald dabei zu, wie er Stück für Stück am Horizont verschwand und mit ihm das Lachen der Feen. Wie gerne würde er für immer dort bleiben. Zwischen ihren Reihen und mit ihnen feiern. Sie liebten ihn wenigstens...

„Sie hat mit uns gespielt. Ganz lange. Dann wurde sie müde. Sie ging zu ihr Zuhause.“ Der Junge sah John mit großen, grünen Augen an. „Ist sie nicht da?“ John konnte nur traurig den Kopf schütteln. „Oh nein! Der Mann hat sie geholt!“

„Was für ein Mann?“ John wirkte irritiert, wodurch sich die Mutter des Kindes einschaltete. Sie hatte das gleiche blonde Haar wie das Kind. Nur ihre blauen Augen waren anders. „In letzter Zeit sind viele Kinder verschwunden und daher haben manche Eltern angefangen ihre Kinder zu sensibilisieren. Ich habe Markus auch deutlich gemacht, dass er mit keinen Fremden mitgehen darf und alles verdächtige meinem Mann oder mir sagen soll. Früher habe ich Markus alleine auf den Spielplatz gehen lassen, aber seitdem begleiten wir ihn eigentlich immer.“

„Also haben sie Amelie auch gesehen?“ John machte sich ein paar Notizen, als die Frau schließlich nickte. „Ja, sie war müde, wie Markus gesagt hatte und ging dann vom Spielplatz. Sie hob immer wieder etwas vom Boden auf. Keine Ahnung, was das war. Ich musste auf mein Kind aufpassen. Er kletterte gerade auf einer schwierigen Passage am Gerüst. Ich... ich hätte sie begleiten müssen. Aber sie meinte, dass es schon okay sei. Sie kenne den Weg. Ich fühl mich so schlecht.“

„Es ist nicht Ihre Schuld. Ist Ihnen zufälligerweise noch etwas auf dem Spielplatz aufgefallen? Irgendein Mensch, der da nicht hingehört? Zu keinem Kind oder gar fremd war? Jeder noch so kleine Hinweis könnte schlimmeres verhindern. Also denken sie bitte ganz genau nach.“ John machte sich bereit jede noch so kleine Information aufzuschreiben, doch als sie ihre Lippen ein wenig kraus zog, wusste er die Antwort schon, bevor sie kam.

„Nein, tut mir Leid. So genau habe ich nicht darauf geachtet. Wissen Sie, Markus ist ein sehr lebhaftes Kind. Ich muss immer aufpassen, was er tut, sonst verletzt er sich noch.“

Helikopter-Mutter. Ein Wunder, dass sie ihn überhaupt irgendwann alleine gehen ließ.

„Er durfte früher wirklich alleine gehen?“

„Nun ja, nur wenn ich wusste, dass auch andere Erwachsene dort sein würden. Der Spielplatz ist ja nicht allzu weit weg. Ich kann ihn sogar sehen, wenn ich auf meinen Balkon stehe.“

Okay, so viel zum Thema alleine gehen lassen. Sie wird bestimmt dann die ganze Zeit auf dem Balkon stehen und ihn beobachten. Na ja, immerhin besser, als solche Eltern, die wirklich immer an ihrem Kind kleben. Nicht ideal, aber durchaus annehmbar.

„Ist Ihnen dort irgendwann einmal jemand aufgefallen? Ein Mensch, der öfters da ist und Kontakt zu fremden Kindern sucht? Schließlich sind auf dem Spielplatz neben Amelie noch zwei weitere Kinder verschwunden. Vielleicht haben Sie ihn ja nur am Rande wahrgenommen.“

„Nein, ich habe leider niemanden großartig gesehen.“ Sie schüttelte den Kopf und dann mischte sich Markus ein. „Aber ich. Ein Mann saß auf der Bank und sah uns an. Er ist nicht immer da. Da mit Amelie war er auch da. Ging vor uns allen. Ist aber kein Papa. Hat nicht mit Kind gesprochen.“

„Weißt du noch wie er aussieht??“ Doch ein Hinweis! Vielleicht beschreibt er ihm jetzt den Mann von dem Toyota Yaris. Das wäre perfekt!

„Sehr alt. Bestimmt schon hundert oder so. Graue Jacke. Braune Haare. Voll groß war er. Dünner als Papa.“ Okay, die Beschreibung war zwar lieb gemeint, aber sie half John nicht wirklich, jedoch schien der Täter auf seine Opfer zu lauern und sie zu beobachten. Es könnte also schon sehr helfen, wenn sie die umliegenden Spielplätze eine Weile beobachteten.

„Ich hab was gefunden.“ Markus eilte plötzlich in sein Zimmer und kam dann nach wenigen Augenblicke zurück, um John ein buntes Bonbonpapier unter die Nase zu halten. „Das hat Amelie fallen lassen. Sie mag Bonbons total gerne. Vielleicht von dem Mann?“

„Das könnte durchaus sein. Danke, kleiner Mann. Ich werde das mitnehmen und im Labor untersuchen lassen. Mit etwas Glück hast du uns gerade sehr dabei geholfen deine Freundin wiederzufinden.“ Er tätschelte den Kopf des Jungen und steckte das Papier dann in eine kleine Plastiktüte. Schon einmal erfolgreicher als die letzten Gespräche. Scheinbar begann er unachtsam zu werden. Das konnte zu einem wahren Vorteil für John werden.

„Danke für Ihre Hilfe. Passen Sie weiter gut auf Markus auf. Ich hoffe, dass wir den Mistkerl bald erwischen und die Angst dadurch verschwinden kann. Ihr, vor allem du Markus, habt mir sehr geholfen. Falls Ihnen noch etwas einfällt, gebe ich Ihnen meine Karte und Sie können mich jederzeit anrufen.“ Er überreichte der Dame seine Visitenkarte und verabschiedete sich dann bei den Beiden um die Wohnung zu verlassen und sich noch einmal auf den Spielplatz umzusehen. Wenn der Kerl dort gewartet hatte, dann hat er vielleicht sogar irgendwelche Spuren hinterlassen. John hoffte es sehr. So sehr, dass er mittlerweile über jeden noch so kleinen Fortschritt dankbar war. Egal, wie niederschmetternd oder gar verstörend er auch sein würde. Er wollte endlich Klarheit. Was geschah mit den Kindern? War es nur eine Entführung? Kinderpornographie? Serienmorde? Menschenhandel? Was war es? Er wollte es wissen. Endlich wissen und der Preis dafür war ihm egal. Er würde jeden Betrag zahlen. Wirklich jeden...

Das Lachen der Kinder drang an Johns Ohr. Sie liefen um ihn herum und schienen ihn nicht wirklich wahr zu nehmen. Er ließ seinen Blick über die Erwachsenen schweifen. Die Meisten standen in kleinen Gruppen von bis zu vier Personen zusammen und unterhielten sich, während ihre Blicke immer wieder zu den spielenden Kindern glitten.

Vereinzelte Eltern saßen auch auf den Bänken, lasen ein Buch oder spielten an ihrem Handy. Nichts außergewöhnliches. Wie bei jedem anderen Spielplatz auch. Ruhig lief er über den Platz und sah sich alles an. Ein Klettergerüst, Schaukeln, Wippe, Sandkasten, Trampolin, Affenschaukel, Seilrutsche und eine richtige Rutsche. So viel Auswahl gab es wirklich selten und die Kinder nutzten jedes angebotene Gerät.

Der Boden war sauber. Nicht einmal eine Zigarettenkippe war zu finden. War jetzt wirklich die Stadtreinigung schon hier gewesen und hatte alle Beweise vernichtet? Wie viel Pech konnte ein Mensch nur haben? An so viele Dinge konnte dieser Mensch doch wirklich nicht denken, oder doch? Hatte er es mit einem ausgekochten Genie zu tun?

John seufzte schwer und begann sich eher auf die Umgebung der Bänke zu konzentrieren, als man ihn plötzlich grob am Arm packte. „Hey, was schnüffelst du hier rum?“

Ein bulliger Kerl stand vor ihm. Sein Shirt spannte sich und seine dunklen Augen fixierten John bedingungslos. Das kurze Haar konnte jede dunkle Farbe haben. Durch die Stoppeln erkannte man es kaum und auch der Dreitagebart ließ  nur vermuten welche Farbe in seinem Genpol die Oberhand hatte.

„Ich suche nach Beweisen.“ John wollte sich mit einem kräftigen Ruck aus der Umklammerung befreien, doch stattdessen wedelte er nur herum und der Griff wurde sogar noch ein wenig stärker.

„Beweise für was? Wir wollen hier keine Fremden, verstanden? Drei Kinder sind genug. Verzieh dich oder zeig mir sofort dein Kind!“ Der Mann ließ nicht locker und John spürte, wie Zorn in ihm hochkochte. Waren wir jetzt schon bei Selbstjustiz angelangt, oder was?

„Ich ermittle in dem Fall der vermissten Kinder. Also, lassen Sie mich bitte meine Arbeit machen.“ Er versuchte ruhig zu bleiben damit die Situation nicht eskalierte, doch der Griff wurde noch härter und begann schmerzhaft zu werden.

„Wo ist dann deine Marke?“

„Hier.“ Sofort zog John sie von seinem Gürtel und hielt sie dem Kerl ins Gesicht. „Und jetzt seien Sie so gut und lassen mich meine Arbeit machen.“

Kaum hatte der Muskelmann das goldene Abzeichen gesehen, ließ er auch schon John los, hob entschuldigend die Arme und ging zwei Schritte zurück. „Oh, sorry, Mann. Ich wusste nicht, dass du wirklich zur Polizei gehörst. Wir... wir haben alle nur noch Angst um unsere Kinder. Bitte versteh das.“

„Kein Problem.“ John zupfte seine Kleidung zurecht und sah dann noch einmal auf den Mann. „Aber ist Ihnen vielleicht in den letzten Tagen ein anderer Fremder aufgefallen? Oder jemand ohne Kinder?“

„Wieso gehen Sie davon aus, dass er keine Kinder hat?“, mischte sich plötzlich eine schlanke Frau ein und trat auf sie zu. Ihr braunes Haar war von blonden Strähnen durchsetzt und ging ihr bis zur Taille. „Ein Kind ist doch das ideale Alibi für einen Spielplatz, oder nicht?“

„Unsere Profiler sind davon ausgegangen. Sein Handlungsradius ist zu groß dafür. Er ist zu mobil. Außerdem habe ich selbst meine Zweifel, dass ein Familienvater so viele Kinder entführt.“ John fühlte sich ein wenig bedrängt, als auch noch eine zweite Mutter dazu kam.

„Wieso gehen Sie davon aus, dass es ein Mann ist?“

„Meine Profiler...“

„Ja, diese Antwort kennen wir schon. Sie verlassen sich auf die Angaben Ihrer Kollegen. Sehr lobenswert, aber auch eingeschränkt. Wenn Sie sich nur auf Männer konzentrieren, kann es sein, dass Ihnen die Täterin, die ganze Zeit vor der Nase herum tanzt und Sie sie nicht einmal bemerken.“

„Sollte man nicht in allen Richtungen ermitteln?“

„Genau, sonst könnte man etwas sehr wichtiges übersehen.“

„Dazu fehlen uns die Mittel. Ich gebe mein Bestes und bis jetzt haben sich unsere Profiler fast nie geirrt. Also, kann man ihnen durchaus vertrauen.“

„Fast nie?! Also lief es schon einmal schief!“

„Ja, alles läuft irgendwann mal schief! Aber wenn etwas hundertmal funktioniert und dann einmal versagt, sollte man die Methode ja nicht gleich in die Tonne treten.“ Warum diskutierte er hier überhaupt mit den Eltern? Das war doch so sinnlos! Er sollte lieber weiter nach Beweisen suchen! Ihm rannte doch die Zeit davon!

„Sie geben Ihr Bestes? Ermitteln Sie alleine?“

„Zum größten Teil, ja.“

„Sind euch unsere Kinder so wenig wert!? Nur ein Bulle! Das ist ja lächerlich! Wie viele sind schon verschwunden?! Fünfzehn? Zwanzig? Und nur du ermittelst?! Das ist doch ein Scherz!“ Erneut war dort der feste Griff von dem Kerl, der John sogar kurz die Luft raubte, weil er so plötzlich kam und ihn an den Armen fixierte.

„Wenn ich Hilfe brauche, dann kann ich auf Kollegen zurückgreifen, aber ich habe die Leitung über diesen Fall. Sie können mir vertrauen. Ich werde den Kerl schnappen und die Kinder finden.“

„Hah, das glauben Sie noch selber? Er tanzt Ihnen seit Monaten auf der Nase herum und Sie kommen keinen Schritt weiter. Was haben Sie bisher denn?“

„Das ist Ermittlungsgeheimnis und daher kann ich es Ihnen nicht sagen! Schließlich könnte jeder von Ihnen der Täter sein, wenn es  nach Ihnen ging.“

„Soll das ein Scherz sein?!“ Misstrauische Blicke wurden zwischen den drei Eltern ausgetauscht und John spürte, wie die Spannung sich langsam in Misstrauen umwandelte. Ohje, da hatte er das falsche gesagt.

„Laut unseren Profilern fallen Sie aber aus dem Raster raus.“ Er versuchte noch die Wogen zu glätten, doch die Blicke blieben und von allen dreien kam nur ein Schnauben, als sie dann schon in unterschiedlichen Richtungen davon gingen.

Mit einem Seufzen drehte sich John wieder um und begann die Gebüsche näher zu betrachten und auch bei der Bank irgendwas zu finden und tatsächlich. Hinter einem Fuß von einer der zwei Bänke lag so ein Bonbonpapier, wie er es schon von Markus bekommen hatte.

Sofort holte er ein Plastiktütchen heraus, um es mit dessen Hilfe aufzuheben und zu verpacken. Vielleicht würden sie darauf Fingerabdrücke finden, die sie zu einem möglichen Täter führen könnten.

Das hoffte John so sehr. Er brauchte endlich einen Erfolg. Einen richtigen Hinweis. Sein Boss wollte Ergebnisse sehen und die konnte er ihm damit endlich liefern. Er trat nicht mehr auf der Stelle. Scheinbar lockte der Kerl, die Kinder mit Süßigkeiten, die er sogar dabei hatte. Er ging mit dem Vorsatz ein Kind zu entführen auf den Spielplatz. Das ist alles geplant. Keine Impulshandlung und das machte ihn unheimlich gefährlich, aber erklärte auch, dass sie bis jetzt sonst nichts von ihm fanden. Denn er hatte es hier mit einem teuflischen Genie zu tun.

Ein Schauer ergriff ihn, als ihm die Größe seines Feindes bewusst wurde, doch unter dieser Ehrfurcht entbrannte auch ein leidenschaftliches Inferno, denn er würde ihn schnappen und jeden noch so kleinen Fehler von ihm finden bis diese ihn endlich zu ihm führen werden. Er entkam ihm nicht. Niemals...



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