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Sonne und Mond I

Schattenwesen
von

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Schmuck des Lebens: Mein Ebenbild 1/4

Es gibt diese Tage, an denen man aufsteht und schon weiß, dass er irgendwie anders ist. Das ist nur so ein kleines Kribbeln oder Ziehen im Bauch, das man auch gerne einmal ignoriert, doch heute lag etwas in der Luft.

Meine Mutter war wie jeden Morgen schon auf der Arbeit, wenn ich die Wohnung verlasse und so packte ich nur stumm die hergerichtete Brotzeit ein und machte mich dann auf den Weg nach draußen.

Das Einrasten der Tür durchzog die Stille und zeigte mir deutlich, dass dieser sichere Raum für mich nun eine Weile nicht existent sein würde. 

Nur kurz huschte der Gedanke daheim zu bleiben durch meinen Kopf, doch dieses seltsame, ziehende Gefühl verhindert, dass ich zurück in mein Zimmer ging. 

Anders als an den Tagen davor schien die Schule mich heute zu rufen, anstatt mich höhnisch auszulachen und mir zu empfehlen fern zu bleiben. Darum ging ich. Trotz dieser leichten Übelkeit, die sich wie jeden Morgen in meinem Bauch festkrallte und erst wieder verschwand, wenn ich zuhause in meinem Zimmer sein würde.

Ich hasste diese Momente an den Tagen: Schule. Jeder Schritt war eine Qual für mich, doch mir war auch bewusst, dass ich dorthin gehen musste. 

Halt suchend klammerte ich mich an meine Unterarme, die von Netzhandschuhen bedeckt waren, doch die Angst in meinem Herzen blieb. Ich wusste, dass es kein Zurück gab und ich diesen Weg gehen musste. Heute irgendwie mehr als sonst. 

Leicht wehte der Wind durch die Straßen und spielte mit meinem schwarzen, kinnlangen Haar, das ich versuchte hinter meinen Ohren zu bändigen. Doch dort rief eine Freiheit nach ihnen, der sie sich nicht verwehren konnten und so ließ ich jede Bemühung fallen. Ich fröstelte kurz, als der kalte Hauch über meine nackten Oberarme glitt, da mein schwarzes Sonnentop ihnen keinen Schutz gewährte. 

Wenigsten schützte mich die lange, weiße Hose unten herum und verhinderte, dass ich noch mehr fror. Dieser Sommermorgen war irgendwie kühler als erwartet, doch kaum betrat ich das Schulgelände, wurde die morgendliche Kühle von einer anderen Kälte ersetzt.

Ich spürte, wie sehr ich diesen Ort verabscheute. Dort waren ihr Gelächter und ihre spöttischen Blicke, die sich wie heiße Klingen durch meine Seele schnitten. 

Aber heute war dieses Gefühl nicht alleine und so blieb diese sonst so überwältigende Übelkeit nur ein leicht flaues Gefühl im Magen, das von diesem komischen Ziehen im Zaum gehalten wurde. 

Ein Ziehen, das sich wie das leichte Flattern von Schmetterlingen anfühlte. Ein zarter Hauch von Glück und positiver Erwartung. Es wirkte so absurd auf mich, doch ich spürte seit langem einmal wieder einen angenehmen Grund, um in dieses Gebäude der Hölle zu gehen. 

Um mich herum waren die Schüler, die ich all die Jahre kannte. Die mich schon so oft ignoriert oder zu Boden gestoßen hatten. Ich bewegte mich in diesen Strom wie in Trance und wich all den Körpern aus. Sah sie nicht, aber nahm sie dennoch wahr. 

Dieser sechste Sinn, der einen davon abhielt gegen etwas zu stoßen, lotste mich sicher zu meinem Ziel. Ein Ziel, das einen Schauer durch meinen Körper jagte und eine endlose Panik in meinem Herzen erweckte.

Als aus dem Ziehen ein heißes Pulsieren wurde und ich stoppte. Zum Unmut all der anderen, die nun immer mal wieder grob gegen mich stießen, bevor sie anfingen, mir mit leichten Flüchen aus zu weichen. 

Dort standest du. Abseits und in das Gespräch mit dem Direktor vertieft. Es fühlte sich an, als sah ich auf eine neue Version von mir selbst. Eine aus einer anderen Welt oder Dimension. Dies Lächeln, das ich so sehr vermisste, lag auf deinen Lippen und auch die entspannten Gesichtszüge gab es bei mir schon seit Jahren nicht mehr. 

Deine schwarzen, zusammen gebundenen Haare, waren eine kleine Spur länger als meine und gingen dir nur knapp unter die Schulter. 

Alles an dir wirkte offen und ungezwungen, als würdest du auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Unerreichbar für mich. 

„Hey, geh endlich weiter! Du stehst im Weg!“ Ein grober Stoß ließ mich taumeln und brach so den Sichtkontakt zu dir ab, dennoch suchte ich deinen Anblick sofort wieder.

Ich erblickte deine weiße Jacke mit den roten Streifen nur kurz, denn man schob mich schließlich weiter und so ließ ich mich von dem Strom mitreißen. 

Wer bist du? Wieso bist du hier? Warum habe ich dich noch nie zuvor gesehen? Weshalb sehen wir uns so ähnlich?

Fragen, die ich mir selbst nicht beantworten konnte und die nicht verschwanden, als ich mich auf meinem Platz im Klassenzimmer niederließ. 

Kaum spürte ich das kalte Holz unter mir, verschwand das zaghafte Flattern aus meinem Bauch und wurde von dieser brennenden Übelkeit verschlungen. 

Ich wollte von hier verschwinden und nie wieder zurückkehren, doch wie jeden Tag rührte ich mich. Auch nicht als ein süßliches Parfüm zu mir durchdrang und die Übelkeit zu einem brennenden Stein, der sich durch meine Eingeweide brannte, verwandelte. 

Es wurde nicht besser, kaum dass sich eine Mitschülerin vor meinen Tisch platzierte und mich angewidert ansah. „Hey, Tsuki! Warum siehst du jetzt wieder aus wie ein Loser? Als ich dich vorhin gesehen habe, dachte ich, dass du es endlich begriffen und mal Stil entwickelt hast. Aber scheinbar habe ich mich zu früh gefreut.“

Ihre braunen Augen verdunkelten sich durch die Abscheu, die sich durch sie wand, als sie schon arrogant mit einer Hand ihre braunen, leicht gewellten Haare über ihre Schulter warf.

Das leicht geschminkte, zarte und durchaus hübsche Gesicht verzog sich mit jeder Sekunde, die sie mich länger ansah, zu einer Fratze der Verachtung, als sich ihre Nase kräuselte und ihre rötlichen Lippen angewidert zuckten. 

„Das war nicht ich, Mitsumi“, rang ich mich zu einer Antwort durch. In der Hoffnung, dass sie dann wieder ging, doch sie zupfte nur kurz an ihrer weißen Bluse und zog den roten Rock ein wenig tiefer, sodass er wieder über ihre Knie ging. 

„Wer soll es denn sonst gewesen sein?!“, fragte sie sofort schnippisch nach, doch ich konnte nur mit den Schultern zucken und sah dann demonstrativ aus den Fenster. Ich wollte diese Unterhaltung nicht mehr führen und hoffte, dass das Mädchen vor mir diesen Wink mit dem Zaunpfahl auch verstand.

Dort war ein leises Fluchen und dann entfernten sich ihre Schritte mit einem leisen Klicken, was mich erleichtert ausatmen ließ und den glühenden Stein in meinem Magen ein wenig abkühlte.

Du warst also real. Ich habe dich mir nicht eingebildet. Du warst auf dieser Schule und sahst genauso aus wie ich. 

Die Schmetterlinge kehrten zurück und versuchten verzweifelt den Stein aus meinem Bauch zu tragen, doch sie schafften es nicht und so blieb diese Gefühlsmischung in mir. 

Eine Mischung, die ich kaum deuten konnte. Dort war dieses beflügende Gefühl, das mich heute hierher gebracht hatte, doch dann war da auch eine Angst, die sich nach und nach in Panik verwandelte. 

Eine Panik, die nach und nach alles in mir verschlang. Den Stein, die Übelkeit und schließlich auch die Schmetterlinge. Hinterließ nur diese unheimliche, alles verschlinge, schwarze Finsternis, die mir sämtliche Sinne zu rauben begann.

Was soll ich tun, wenn wir uns begegnen? Wird dir die Ähnlichkeit auch auffallen? In welche Klasse gehst du überhaupt? Wie lange bist du schon hier? Sollte ich vielleicht gehen und mich doch noch krank melden? Der Lehrer ist noch nicht da. 

Und dann? Nie wieder kommen? Das ist total lächerlich. Ich kann jetzt nicht mehr zurück. Der Unterricht beginnt bald. 

Und so blieb ich sitzen. Starrte aus dem Fenster und versuchte die Angst in meinem Inneren zu bändigen. 

Es gelang mir nicht.

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Der Schulgong zerschlug die Gespräche, die Gruppen, die sich um vereinzelte Tische versammelt hatten und auch meine Fluchtgedanken. Jetzt gab es kein Entkommen mehr.

Kaum wurde mir diese Tatsache bewusst, entzündete sich der Stein in meinen Gedärmen wieder und setzte seine Reise durch meinen Bauch fort. Das Zimmer verlassen, dieser Wunsch wuchs mit jeder Sekunde in mir. Bis zu dem Moment, als sich die Tür öffnete und unser Lehrer eintrat. 

Sofort breitete sich sein herbes Parfüm im Raum aus, während er mit festen Schritten zu seinem Pult ging. Sein leicht nach vorne gebeugter Körper wippte bei jeder Bewegung leicht mit. 

Mit einem leichten Klatschen landete seine Tasche auf dem Tisch und er streckte sich kurz aus, sackte aber im nächsten Moment schon wieder zusammen. 

Sein rotes Haar fiel ihn in leichten Locken ins Gesicht, doch er strich sie sich immer wieder hinters Ohr. Eine ungünstige Länge, doch wir kannten ihn nicht anders und daher schien er es so zu wollen.

„Meine lieben Schüler. Ich habe euch heute einen neuen Schüler mitgebracht. Sein Name ist Taiyo Hikari und er ist erst seit einer Woche in unserer Stadt, weil sein Vater aus beruflichen Gründen hier zu tun hat. Komm rein, Taiyo.“ Er winkte in Richtung Klassentür und keine zwei Atemzüge später tratst du in den Raume in. 

Ein Raunen ging durch die Menge und alle Blicke fielen sofort auf mich. Sie fühlten sich wie tausend, glühende Nadeln an, die sich in jede Pore meines Körpers bohrten. 

Ich sackte tiefer in meinen Stuhl und wünschte mir, dass ich nur verschwand, doch man erlöste mich nicht, denn die folgenden Worte hoben mein Grab aus.

„Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Seid ihr verwandt? Na ja, an sich auch egal. Neben Tsuki ist noch ein Platz frei. Setzt dich da hin.“ Der Lehrer wartete nicht einmal auf eine Antwort von uns, doch wir schüttelten dennoch simultan den Kopf.

Dort waren deine himmelblauen Augen, die mich fixierten und in denen ich einen tosenden Sturm erblickte, der verzweifelt versuchte, diese Situation zu verstehen. Du scheitertest, dennoch wich deine Verwirrung einem Lächeln, als du mit ruhigen Schritten auf mich zukamst, um dann neben mir Platz zu nehmen.

„Hallo, also, noch einmal, mein Name ist Taiyo. Schön dich kennen zu lernen.“ Du reichtest mir deine Hand, die ich verwirrt ansah. 

Willst du dich wirklich mit mir anfreunden? Was versprichst du dir davon? Du solltest lieber schauen, dass du Anschluss zu den anderen findest. Ich werde dir nur Unglück bringen.

„Was ist los? Keine Angst, die beißt nicht.“ Dein Lächeln blieb, als deine Hand kurz zuckte, damit man endlich einschlug, und so atmete ich tief durch, bevor ich diese warme Geste entgegennahm.

„Tsuki.“ Ich brachte nicht mehr heraus. Dort war diese Wärme, die das Ziehen in meinem Inneren verstärkte und dieses schmerzhafte Brennen kurz löschte. 

„Schon verrückt, dass wir uns so ähnlich sehen, oder nicht?“, startetest du eine Unterhaltung, die mich kurz wehmütig lächeln ließ, bevor ich dann mit den Schultern zuckte.

„Ich... ich will mich auf den Unterricht konzentrieren.“ Dein Interesse war mir unangenehm. Ich hatte Angst, dass du nur nach einem Grund suchtest. Nach einem Geheimnis, mit dem du mich fertig machen wolltest. Wieso solltest du sonst Interesse an mir haben? Niemand hier wollte mein Freund sein? Warum also du?

„Ja, da hast du Recht. Aber dennoch. Ich finde es krass, wie ähnlich wir aussehen. Als wärst du mein verlorener Zwilling, wenn ich nicht Einzelkind wäre.“ Du lachtest auf, was mich kurz schüchtern lächeln ließ. 

Ich wollte diese Unterhaltung nicht mit dir führen und dennoch sprachst du dann unbeirrt weiter. 

„Aber mein Dad hat gesagt, dass meine Mum bei meiner Geburt gestorben ist, und daher kann ich keinen Bruder haben. Stell dir das mal vor, man entdeckt so seinen verschollenen Zwilling. Wie krass ist das denn?“ Erneut lachtest du auf, was ein Räuspern des Lehrers zur Folge hatte.

„Taiyo! Ich weiß, dass eine neue Klasse und Umgebung immer sehr aufregend ist und du bestimmt ganz schnell deine Klassenkameraden kennenlernen willst, aber dafür sind die Pausen da. Bitte konzentrieren wir uns daher weiter auf den Unterricht, ja?“ 

Ich war ihm unsagbar dankbar für diese Ermahnung. Endlich musste ich mich dieser Unterhaltung nicht mehr stellen, die mich mit jedem Wort überforderte. Normalerweise wechselte ich so gut wie gar kein Wort mit meinen Mitschülern. Dein so aufdringliches Interesse irritierte mich dadurch sehr und versuchte mich aus einer Komfortzone zu reißen, die ich mir hier mühsam errichtet hatte, um diesen kalten Alltag zu überstehen. 

Betrübt senktest du deinen Kopf und begannst ebenfalls den Unterrichtsstoff mitzuschreiben. Ich bemerkte aber, dass dein Blick immer wieder zu mir hinüber glitt. Dort war wieder diese Aufregung, die das Ziehen und die Schmetterlinge mit sich brachte. 

Ein leichtes Kribbeln jagte über meinen Arm und Rücken und fuhr hoch bis in meinen Nacken. Ich schluckte trocken und versuchte, das schwache Zittern meiner Hand zu unterdrücken. 

Sie fühlte sich kühl an und ich sehnte mich nach der Wärme deines Händedrucks. Nach diesem kurzen Halt, der mir so viel mehr versprach, doch in diesem Moment nicht zurückkam. 

Dort war nur diese feste Stimme unseres Lehrers, die den Raum erfüllte. Untermalt von dem leisen Kratzen der Kreide auf der Tafel. Wissen, das ich aufsaugen sollte, doch die Schmetterlinge in mir pusteten alles wieder aus meinem Kopf heraus. Alles bis auf die Erinnerung an deine Berührung und dein Lächeln. 

Etwas, was ich immer sehen konnte, wenn ich nur kurz zur Seite blickte. Dein offener, freundlicher Himmel, der zum Fliegen einlud und diese Freundlichkeit, die so viel mehr versprach. All das, was ich schon lange aufgegeben hatte. 

Kann ich es bei dir finden? Diese Zuflucht? Freundschaft? Verbundenheit? Vertrauen? Ich will so gerne. Kann ich? Soll ich es wagen? 

Ein leiser Klatscher riss mich aus meinen Gedanken und kaum konzentrierte ich mich wieder auf meine Umgebung erblickte ich einen kleinen, weißen Zettel auf meinen Tisch.

Suchend sah ich über den Tischrand hinaus und traf auf die stechenden Augen von Mitsumi, die mich mit ihrem Blick zu fesseln versuchte.

„Gib ihn an Taiyo“, befahl sie mir leise aber mit Nachdruck und ich griff zitternd danach. Kurz versuchte ich, ihn zu öffnen, doch das scharf geflüsterte Nein ließ mich sofort wieder stoppen. 

Du bekamst davon nichts mit, denn dein Blick war auf die Tafel gerichtet und immer wieder schriebst du etwas in das Heft vor dir. Alles in mir schrie, dass ich den Zettel weg schnipste, doch dann schob ich ihn zu dir. Ich hatte kein Recht dazu, dir den Zugang zu der Klassengemeinschaft zu verwehren. 

Du nahmst ihn zögerlich an dich und öffnetest ihn, bevor du dann die Botschaft lasest. Die Zeit lief in Zeitlupe ab, als dieser gewaltige Eisklotz all die Schmetterlinge in mir niederwalzte. 

Dein Blick hob sich und dann begegnetest du den von Mitsumi. Ihr Lächeln wurde verführerisch und sie zwinkerte dir zu, doch anstatt es zu erwidern, wurde dein Gesicht zu Stein und du zerknülltest den Brief, bevor du ihn demonstrativ auf die rechte obere Ecke legtest. So weit wie nur möglich weg von dir. 

Entsetzten trat in Mitsumis Gesicht, bevor es von Hass gestürmt wurde und sie sich dann wieder nach vorne wandte. 

„Warum hast du das getan?“, fragte ich dich und dort war wieder dein Lächeln. „Weil ich nicht glaube, dass ich neben einen Loser sitze, wie sie geschrieben hat. Außerdem will ich nichts mit Menschen zu tun haben, die andere niedermachen. Du etwa?“

Ich schüttelte kurz den Kopf, was dich noch breiter lächeln ließ. „Das ist schön, dann sind wir uns ja einig.“

Das Kribbeln kehrte bei diesen Worten wieder zurück und ich wollte mich diesen Glücksgefühlen so gerne hingeben, doch etwas stoppte mich und schickte einen eiskalten Schauer über meinen Rücken hinab.

Ich kann niemanden hier trauen. Sie wollen mich alle nur vernichten und so wird das auch bei dir laufen. Ja, ganz bestimmt. Auch du wirst mir am Ende nur leid bringen. Darum verschwinde. Verschwinde aus meinem Leben.

Doch du bliebst.

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Kaum erklang der Schulgong packte unser Lehrer seine Sachen zusammen und verabschiedete sich knapp von uns bevor er den Raum verließ. Er war noch nicht gänzlich aus der Tür verschwunden, da erhob sich schon der alltägliche Gesprächslärm und du drehtest dich zu mir um. Dein Lächeln war immer noch offen und sanft, genauso wie deine Worte: „Hey, unsere Ähnlichkeit ist echt der Hammer, oder? Damit kann man bestimmt witzige Sachen machen.“

Du strichst dir eine lose Strähne hinter dein linkes Ohr, dabei fiel mir der kleine goldene Ohrring in Form einer Sonne daran auf. Unter dieser unbewussten Bewegung schwang an deinem Handgelenk ein goldenes Armband mit einer sanften Gravur, die ich nicht deutlich sehen konnte, mit und als ich meinen Blick weiter wandern ließ, blieb er an deiner Halskette hängen, die aus zwei Schlangen bestand, die sich umeinander winden. Die eine golden, die andere silbern. 

„Ich bleibe lieber unter dem Radar“, wehrte ich deinen Vorschlag ab und kurz stockte das Lächeln auf deinen Lippen, doch dann winktest du ab. Ein kurzes metallischer Schlag erklang, als deine rechte Hand auf den Tisch fiel und sofort erblickte ich die Geräuschquelle. Um deinen Ringfinger schlang sich ein goldener Ring mit einem Rubin als Schmuckstein, was mich noch mehr verwirrte und ich instinktiv nach meinem eigenen Schmuck griff. 

„Sollte nicht der nächste Lehrer gleich kommen?“ Du sahst auf die goldene Uhr an deinem rechten Handgelenk. Auch ihr Armband war mit je einen roten Stein pro goldener Facette geschmückt. Instinktiv begann ich meinen Schmuck, so gut es ging, vor dir zu verbergen. Ich trug die gleiche Menge, nur in Silber und mit Saphiren. Anstatt der Schlangen hatte ich übereinander liegende Engelsflügel um den Hals. Einer golden, der andere silbern. Der einzige Unterschied und so jagte ein unangenehmer Schauer durch meinen Körper.

„Nein, wir haben immer fünf Minuten Pause zwischen den Stunden. Deswegen beginnt der Unterricht schon um zehn vor und nicht zur vollen Stunde.“ Ich sprach diese Worte nicht bewusst aus, sondern nur weil in deinen Augen eine Aufforderung lag, die ich erfüllen wollte, um von meiner eigenen Erkenntnis abzulenken. 

„Ach so, ich hab mich schon gewundert. Aber das ist gar keine so schlechte Idee. Du, sag mal, kann ich mich auch in den anderen Räumen neben dich setzen? Ist doch witzig irgendwie mit unserer Ähnlichkeit, oder?“ Ich zuckte mit meinen Schultern. Es war mir egal, wenn du unbedingt bei mir und somit am Rand der Klassengemeinschaft sein wolltest, dann war das deine Entscheidung und in die wollte ich dir nicht reinreden. 

„Das ist klasse. Wir werden bestimmt viel Spaß haben und.“ Das Eintreten der Lehrerin unterbrach dich und mir fehlte auch das Verlangen noch mehr zu hören. Deine Worte klangen so nett und versuchten Hoffnung zu sähen, doch ich wollte diese Saat nicht. Sie versprachen zarte Blumen zu werden, doch am Ende kamen nur alles verschlingende Fleischfresser heraus, die versuchten mich zu töten. In diesem Garten war kein Platz für fremde Pflanzen.

„Ich bin froh, dass ich dich getroffen habe. Wir werden bestimmt super Freunde.“ Deine Worte waren leise. So leise, dass ich sogar kurz glaubte, dass ich sie gar nicht hören sollte, doch als ich zu dir sah, lag dort ein sanftes Lächeln auf deinen Lippen und unsere Blicke berührten sich. Das Flattern in meinem Inneren kehrte zurück und ich konnte nicht verhindern, dass sich ein kurzes Schmunzeln in mein Gesicht verirrte. Solange bis ich den Blick von Mitsumi begegnete und der Hass und die Kälte all deine Wärme verschlang. 

Nein, wir haben keine Zukunft. Keine Freundschaft. Du wirst früher oder später zu ihnen gehen und dann alles, was ich dir bis dahin anvertraut habe, gegen mich verwenden. Ich darf mich nicht auf dich einlassen. Nein, das bedeutet nur den Untergang für mich. Darum, bleib weg. Bitte, bleib fern von mir.

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Egal wie sehr ich mir meine Einsamkeit zurückwünschte, du bliebst an meiner Seite. Deine Wärme kroch langsam meinem Arm hinauf und deine Worte legten sich wie eine sanfte Umarmung um mein Herz. All diese Nähe klang so vielversprechend und zu schön um wahr zu sein, doch die kalten Blicke der anderen verhinderten, dass ich mich in dieser Scheinwelt gänzlich verlor. 

„Normalerweise hasse ich es, wenn wir umziehen müssen. Dauernd neue Freunde finden und neue Schule. Ich hatte mich geschworen, dass ich dieses Mal einen auf Einzelgänger mache, aber dann hab ich dich gesehen und diese Ähnlichkeit. Das kann kein Zufall sein. Wir sollten der Sache auf den Grund gehen.“ Deine Stimme verstummte nicht. Sie war immer da, wenn gerade kein Unterricht stattfand. Sie war da, genauso wie die Argwohn unserer Klassenkameraden. 

„Es wäre besser, wenn du dir einen anderen Sitzplatz suchen würdest.“ Ich versuchte dich von mir zu stoßen. Deine verlockende Wärme raubte mir den Blick für die kalte Wirklichkeit. Es gab hier keine Freundlichkeit für mich. Dieses Gebäude war das reinste Kriegsgebiet für mich und auch wenn du jetzt noch ein Verbündeter zu sein schienst, so würdest du dich am Ende auf die Seite des Feindes begeben.

„Wieso denn? Ich mag es neben dir.“ Du verstandest nicht und dein irritierter Blick sprach Bände. Du solltest verschwinden, solange es noch ging, und vor allem aufhören, dich zu belügen. Neben mir war dir dein Unglück sicher, das du dann zu meinem machtest. So war es immer und so wird es immer sein.

„Außerdem ist es doch witzig, wenn wir die Lehrer mit unserer Ähnlichkeit verwirren.“ Schon wieder. Dich schien nur mein Aussehen zu interessieren. Diese trügerische Gleichheit, die alle um uns herum irritierte, doch an sich, auch wenn unsere Gesichter sich ähnelten, so war dort die Kleidung, die doch für jeden hier Zeichen genug sein sollte, aber es reichte nicht. Sie sahen uns und erkannten mich nicht.

„Wir müssen jetzt in einen anderen Raum.“ Meine Worte waren ruhig und ich packte wie alle anderen meine Sachen zusammen. Sofort folgtest du meinen Beispiel und wir verließen gemeinsam das Zimmer, um dann zum Chemieraum zu gehen. 

Fröhlich summtest du ein Lied neben mir und dein Lächeln begann auf mich abzufärben, doch als hätte sie es gespürt, rempelte mich Mitsumi grob an. Dabei riss sie mir meinen Rucksack von der Schulter. Die Tatsache, dass ich den Tragegurt aber festhielt, verhinderte, dass er zu Boden fiel, doch dein Lied verstummte.

„Was ist ihr Problem?“, knurrtest du neben mir und ich lächelte nur traurig, als ich den pochenden Schmerz in meiner Schulter ignorierte und meine Tasche wieder schulterte. „Der Gang ist breit genug. Sie hätte dich nicht anrempeln müssen. Oder ging der Angriff gegen mich? Schließlich sehen wir uns ähnlich. Vielleicht hat sie uns verwechselt.“

Deine irrsinnige Spekulation ließ mich kurz auflachen. Wie kommst du denn auf diesen Schwachsinn? Mitsumi weiß ganz genau, wer von uns beiden du bist. Sie lässt mich nur spüren, dass sie mich noch mehr hasst, weil du dich für mich und nicht für sie entschieden hast.

„Nein.“ Meine Antwort war kurz und knapp. Zu kurz für dich, denn die Verwirrung kam zurück in dein Gesicht und du kräuseltest irritiert die Augenbrauen. „Was macht dich da so sicher? Schließlich sehen wir uns echt zum Verwechseln ähnlich. Die Lehrer kriegen es ja nicht einmal gebacken, obwohl wir unseren festen Platz haben.“

Schon wieder. Kennst du denn kein anderes Thema? Interessierst du dich nur dafür? Das ist doch totaler Schwachsinn. Als wäre das so toll. In erster Linie ist es nervig. Warum kannst du nicht jemand anderen ähnlich sehen?

„Ja, ich versteh es auch nicht.“ Ich versuchte, das Gespräch zu vermeiden, doch du bliebst. Mit deinen Worten, deiner Nähe und deiner Wärme. Du wolltest nicht mehr weggehen, auch nicht als wir im neuen Raum ankamen. Natürlich war der Platz neben mir frei, weil ich von der Klasse gemieden wurde. Jetzt nicht mehr, denn sofort nahmst du ihn für dich ein. Dein Lächeln wurde breiter und in deine Augen trat ein fasziniertes Glitzern.

„Faszinierend wie ähnlich wir uns sind. Ich dachte, dass sowas immer nur unter Geschwistern möglich sei.“ Deine Stimme war nur ein Hauch, doch er reichte aus, um die Botschaft gänzlich eiskalt in mein Herz zu hämmern: Du bist nur hier, weil wir uns ähnlich sehen. Nur deswegen und aus keinem anderen Grund.

„Es heißt doch, dass jeder einen Doppelgänger auf der Welt hat. Tada, du hast deinen gefunden. Können wir das Thema jetzt gut sein lassen, okay?“ Ein dumpfer Schmerz jagte durch mein Herz und ich konzentrierte mich krampfhaft auf das Pult vor mir. Ich wollte deine Reaktion auf meine Worte nicht sehen. Nicht erkennen, was ich dir damit vielleicht angetan habe und deine Stimme verstummte für den Rest des Schultages. 

Ich hatte Recht. Ich interessiere dich nicht. Du willst nur wissen, warum wir uns so ähnlich sehen. Wäre sie nicht, dann hättest du mich niemals wahrgenommen und darum ist es gut, wenn dieser Kontakt nicht tiefer geht. Unsere Wege müssen sich trennen. So schnell wie möglich und dürfen sich nie wieder berühren. Ja, nie wieder.

Du schwiegst den Rest des Schultages, doch du bliebst an meiner Seite. Stumm und leise, doch deine Wärme war immer spürbar. Genauso wie dieser sanfte Duft nach Moschus, der mich den ganzen Tag begleitete und kaum schlug das letzte Mal der Schulgong, trennten sich unsere Wege am Tor. 

„Bis morgen, Tsuki.“ Eine so belanglose Floskel, doch Worte, die ich seit Jahren nicht mehr gehört hatte und mein geschundenes Herz sanft küssten. Deine Wärme verschwand und hinterließ die altbekannte Kälte. Sie kroch meine Arme hoch und krallte sich in mein Herz, um all die Wunden, die sich durch deine Anwesenheit langsam zu schließen begannen, wieder aufzureißen. 

Ein trauriges Lächeln legte sich auf meine Lippen und ich atmete tief durch, um dann meinen Heimweg anzutreten.

Lass mich bitte gehen. Hör auf mich mit falschen Versprechen zu locken. Ich will nur den Tag irgendwie überlegen. Daher, lass ab von mir und geh deinen eigenen Weg. Mir geht es gut, so wie es ist. Glaube mir, das ist die Wahrheit. Daher, verschwinde wieder und lass mich alleine. Denn das ist mein Leben und damit kann ich umgehen. Deine Nähe dagegen ist zu viel. So viel, dass sie mich zerstören wird.

Aber du warst nun in meinem Leben und dachtest gar nicht mehr daran zu gehen. Nicht solange es dir gänzlich gehörte und du es zerbrachst.

Wer bist du? 1/2

Mit einem leisen Klicken fiel die Tür hinter mir ins Schloss. Ich ließ meine Schultasche im Flur auf den Boden sinken und hörte schon das freudige Quieken aus meinem Zimmer. Es zauberte ein Lächeln auf meine Lippen und ließ die Schwere auf meinem Herzen verschwinden.

„Ja, dir auch ein herzliches Hallo, Akirai. Ich komme gleich. Weißt ja, erst einmal essen und telefonieren.“ Ich lachte kurz auf, als die Freiheit, die mich immer in meinem Zuhause heimsuchte, auch die letzte Schwere von meinen Schultern nahm. Meine Mutter kam immer nur kurz zur Mittagspause nach Hause, doch war nun schon wieder in der Arbeit. Wir sahen uns dadurch immer nur abends. 

Mein Weg führte mich in die Küche und dort direkt zu unserem Kühlschrank, der in einer Ecke stand. Mit einem kräftigen Ruck öffnete ich die Tür und tauchte in seinen kühlen Schlund ein, um die Tupperdose mit meiner Portion des Mittagessens herauszuholen. Es sollte noch das letzte Stück der Lasagne sein, die wir am Wochenende hatten.

Sie wanderte in die Mikrowelle und ich stellte sie kurz ein, um dann schon nach dem Haustelefon zu greifen und bei meiner Mutter in der Arbeit anzurufen. Das war unser Ritual, damit sie wusste, dass ich sicher zuhause angekommen war. Seit diesem einem traurigen Zwischenfall bestand sie darauf und wenn es sie beruhigte, dann sollte sie es haben. Ich brach mir damit keine Zacke aus der Krone. 

Es klingelte nur kurz, als schon ihre Stimme erklang: „Hallo, Tsuki, schön, dass du gut nach Hause gekommen bist. Wie geht es dir? Wie war die Schule heute?“ 

Ich lächelte, denn ihre Stimme beruhigte mich jedes Mal, auch wenn ich schon lange nicht mehr ehrlich auf diese sporadischen Fragen antwortete. „Passt schon. Schule war anders heute. Wir haben einen neuen Mitschüler bekommen.“

„Einen neuen Mitschüler? Ist er nett? Wie heißt er denn?“

„Sein Name ist Taiyo Hikari.“

„Taiyo Hikari? Ein... ein seltsamer Name.“

„Findest du? Tsuki Kage fällt hier auch eher auf.“ Ich verdrehte genervt die Augen. Wieso ignorierte sie immer wieder, dass auch wir nicht gänzlich in die Kultur passten. 

„Ja, aber wir sind Japaner. Wie wahrscheinlich ist es, dass sie auch Japaner sind?“

„Sehr sogar, weil wir uns zum Verwechseln ähnlich sehen.“

„Echt? Das ist jetzt schon verrückt.“ Sie wirkte leicht beunruhigt, doch auch wenn ich wartete, dass noch etwas kam, schwieg sie.

„Das findest nicht nur du, Mama. Taiyo war auch ganz besessen davon. Er... er war sehr anhänglich.“ Langsam ging ich aus dem Flur zurück in die Küche und ließ mich an unseren kleinen Esstisch nieder. 

„Das ist doch gut. Dann hast du endlich wieder einen Freund und kommst vielleicht öfters raus aus deinem Zimmer. Ich hatte schon Sorge, dass sowas nie passieren würde.“ Die Schwere war aus ihrer Stimme wieder verschwunden und ich wollte gerade nachhaken, doch das Klingeln der Mikrowelle unterbrach mich und meine Mutter nutzte die Chance sofort.

„Dein Essen ist fertig. Dann lass es dir schmecken. Wir reden heute Abend weiter, okay?“ Sie wirkte kurz angebunden, und kaum bestätigte ich ihr die Planung, legte sie auch schon auf. Ich selbst lauschte noch einer Weile dem Belegtzeichen, bevor ich dann ebenfalls die Verbindung unterbrach und mein Essen aus der Mikrowelle holte. 

Heißer Dampf stieg empor und auch der Teller war nur mit Hilfe von einem Handtuch berührbar, sodass ich ihn erst einmal auf den Tisch stellte, um mir dann Besteck zu holen. Das leise Rascheln von Stroh und Heu drang zu mir durch und mit einem Klicken sprang der Kühlschrank surrend an. Ansonsten war es still in der Wohnung. Eine Stille, die ich gerade sehr genoss, doch immer wieder erwischte ich meine Gedanken dabei, wie sie zu dir zurückkehrten. 

Dein Lächeln, deine sanften Worte und deine unumstößliche Nähe. Diese Selbstverständlichkeit, mit der du an meiner Seite bliebst. Etwas, was ich schon seit Jahren nicht mehr erfuhr, doch auch wenn sich meine Mutter darüber freute, war ich selbst zwiegespalten. Denn schon lange hatte sich mehr jemand in meine Nähe begeben, der mich später nicht verraten hatte. Alle erlagen früher oder später den Verlockungen von Mitsumi. So wird es dir auch ergehen. Ganz sicher.

Um nicht mehr an dich zu denken, ließ ich meinen Blick durch den großen Raum wandern. Wir hatten eine Drei-Zimmer-Wohnung. Küche, Ess- und Wohnzimmer teilten sich den größten Raum in der Wohnung. Dann hatte meine Mutter noch ihr eigens Reich, genauso wie ich. Vom kleinen Flur gingen alle vier Zimmer weg, daher stand dort auch nur ein kleiner Schuhschrank und die Garderobe hang an der Wand darüber. Das kleine Bad lag direkt rechts neben der Wohnungstür und war gerade groß genug für eine Person. Es hatte nur eine Dusche, ein Waschbecken und eine Toilette, aber das reichte für uns vollkommen.

Die Küche bestand nur aus Kühlschrank, einer zweiteiligen Theke und einem Herd. Auf der Theke selbst standen die Mikrowelle und der Brotkasten. Die Kochutensilien und Bestecke waren in den Schubladen und Schränken verstaut. Ich selbst saß an unserem kleinen Esstisch zwischen Herd und Couch, die zusammen mit einem Fernseher, einem Regal und einem kleinen Tischchen unser Wohnzimmer bildete.

Mein Zimmer war gegenüber von der Wohnungstür. Das meiner Mutter lag neben dem Badezimmer. Sie war klein und kuschelig, doch genau das mochte ich an ihr. Man konnte sich darin nicht verlieren und wir hatten jetzt keinen Wunsch nach mehr Platz. Es reichte gänzlich für uns Zwei, denn wer sollte schon noch dazu kommen. Ja, wir zwei waren uns genug. Mehr als genug.

Schließlich hatte die Lasagne eine essbare Temperatur und so nahm ich das Besteck in die Hand, um zum Essen anzufangen, sodass sich unter die ruhigen Geräusche der Wohnung nun das Klappern des Metalls auf den Porzellanteller einmischte und mich ruhig durch meine Mahlzeit begleitete. Genauso wie der Gedanke an dich, der stetig bei mir blieb und versuchte zu verstehen, wer du warst und warum du jetzt in mein Leben tratst. Doch ich kam auf kein Ergebnis. Noch nicht...

Wer bist du? 2/2

Ich schob mir schließlich die letzte Gabel mit Lasagne in den Mund und noch während des Kauens stand ich auf, räumte meinen Teller weg und ging mit meiner Schultasche in mein Zimmer. Sofort war dort wieder das freudige Quieken aus der wichtigsten Ecke, so wie das Rascheln im Heu. Der Raum selbst hatte nur ein Bett, einen Schreibtisch, zwei Regale und den Käfig von Akirai. 

Meine Schultasche ließ ich zum Schreibtisch rutschen, der gegenüber der Tür unter dem Fenster stand, bevor ich dann sofort zu dem Käfig schritt, um die Tür zu öffnen und meine pelzige Freundin herauszuholen. Ruhig ließ ich mich mit ihr auf mein Bett, das rechts neben der Tür stand, fallen. Sofort fiel mein Blick auf das Hängeregal, das die Wand darüber beanspruchte. Ich wusste, dass dort ein paar DVDs und Mangas zu finden waren, doch sie interessierten mich gerade nicht.

Aus Gewohnheit setzte ich Akirai auf meine Brust und sofort begann sie zu schnuppern und mein Kinn anzustupsen, damit ich sie streichelte. Normalerweise machte ich jetzt Hausaufgaben, doch mein Kopf fühlte sich wirr und flüchtig an. Egal, wohin ich meine Gedanken lenkte, sie kehrten immer wieder zu dir zurück. Zu deinem Lächeln und zu deinem ganzen Sein. 

Taiyo Hikari, ein japanischer Name, wie meiner. Wenn man ihn übersetzt, dann bedeutete er Sonnenlicht. Unsere Abstammung von diesem Land konnten wir nicht leugnen. Das schwarze Haar, genauso wie die runde Gesichtsform und die mandelförmigen Augen. 

Meine Mutter stammte aus Japan, daher war auch mein Name aus ihrer Muttersprache: Tsuki Kage. Wenn man sie übersetzte, dann würde grob Sonnenlicht und Mondschatten dabei herauskommen. Ich musste kurz lachen. Das war doch Irrsinn. Vornamen konnten sich die Eltern aussuchen, aber die Nachnamen doch nicht. Es war sicher nur ein blöder Zufall.

Ich stockte, als der Anhänger von meiner Kette über die Schultern nach unten fiel, sodass ich ihn kurzerhand wieder hervorholte. Zwei Engelsflügel lagen spiegelverkehrt aufeinander. Der eine silbern, der andere golden. Trennten sich oben und unten leicht voneinander. Ja, die Anhänger unsere Ketten waren der einzige Unterschied in unserem Schmuck. 

Das Einzige, was nicht zu unseren Namen passte, denn während du rote Steine, Gold und als Motiv die Sonne trugst, war mein Schmuck silbern, mit blauen Steinen und in der Form eines Sichelmondes. War das ein Zufallen? Konnte das noch ein Zufall sein?

Ja, vielleicht ein Schmuckstück, doch wir trugen beide einen Ring, eine Uhr, ein Armband und einen Ohrstecker. Ich wusste, dass auf meinem Armband mein Name in japanischen Schriftzeichen und mit einem Sichelmond eingraviert war. Auf der unteren Seite waren auch zwei japanische Wörter und eine Sonne. Lange hatte ich darüber nachgedacht, was es bedeuten könnte, doch nun erwachte in mir ein Verdacht. 

Konnte es sein, dass dort dein Name stand? Aber wie sollte das möglich sein? Wir kannten uns doch nicht und hatten uns heute das erste Mal überhaupt gesehen. Das war doch totaler Wahnsinn und Blödsinn sowieso.

Energisch schüttelte ich den Kopf und strich noch einmal über das weiche Fell von Akirai, die daraufhin sich zufrieden ausstreckte. Sie war ein hellbraunes Rosetten-Meerschweinchen mit unterschiedlichen großen schwarzen und weißen Flecken. Ihre Augen waren schwarz umrandet, was aussah, als würde sie eine Maske tragen. 

„Heute war ein verrückter Tag, Akirai.“ Ich schüttelte den Kopf, als ich sie ruhig weiter streichelte. „Das glaubst du mir bestimmt nicht. Wir haben heute einen neuen Mitschüler bekommen. Sein Name ist Taiyo Hikari. Ja, ich weiß, klingt genauso japanisch wie mein Name. Aber das ist nicht das Einzige, was seltsam ist. Er sieht mir nämlich sehr ähnlich. Seine Augen sind nur leicht heller als meine und auch die Haare ein wenig länger, aber sonst, könnte man uns für Zwillinge halten.“

Akirai zuckte kurz mit der Schnauze nach oben und fiepte kurz, was mich lachen ließ. „Ja, ich weiß, was man sagt. Japaner sehen alle sehr ähnlich aus. Aber das ist ja nicht alles. Er trägt ähnlichen Schmuck wie ich. Die gleiche Anzahl, nur dass seiner aus Gold mit roten Steinen ist und eine Sonne abbildet. Das kann doch kein Zufall sein. Auch unsere Namen. Sonnenlicht und Mondschatten. Das ist doch.“

Erneut lachte ich auf, als ich mir des Irrsinns bewusst wurde, bevor ich mich erhob und Akirai dadurch automatisch auf meine Hand rutschte, wo ich sie weiter ruhig streichelte. „Das kann doch nicht mehr Zufall sein, oder? Aber was ist es dann, Akirai? Was ist es, wenn kein Zufall? Schicksal? Wer bist du, Taiyo Hikari?“

Sanft stupste mich Akirai an meiner Brust an und sofort begann ich sie wieder zu streicheln, während ich weiter vor mich hinstarrte. Auf die bunte Bettdecke, die fein säuberlich am Fußende meines Bettes zusammen gelegt war. Ein schwarzhaariger Mann in roten Trainingsanzug war darauf abgebildet, umringt von goldenen Kugeln mit roten Sternen darin. 

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Morgen würden wir uns wiedersehen. Dann würdest du erneut an meiner Seite sein und mich mit unserer Ähnlichkeit nerven. Ich verstand es doch auch nicht, aber desto länger ich darüber nachdachte, umso mehr wurde mir bewusst, dass es wirklich kein Zufall sein konnte. Dort war mehr. So unglaublich viel mehr, aber wollte ich dieses mehr erfahren?

Zweifel stürmten mein Herz und ich starrte aus dem Fenster, doch ich sah nur den großen Baum, der schon immer dort stand. Seine grünen Blätter versperrten mir die Sicht auf mehr und somit glitt mein Blick weiter. Suchte nach etwas, an den er sich festhalten konnte, bevor ich mich weiter in meine Gedanken verlor. 

Taiyo Hikari, du warst nett zu mir. Von der ersten Sekunde an. Wolltest mein Freund sein. Hast die anderen abgewiesen. Schon lange hatte keiner mehr freundliches Interesse an mir. Sie zogen mich auf, grenzten mich aus, ärgerten mich und verspotteten mich. Nur weil ich in ihren Augen anders war. Anders auf Grund meiner Kleidung und meiner psychischen Krankheit.

Ich stoppte das Streicheln von Akirai, als mein Blick auf die Netzhandschuhe fiel. Dieses Kleidungsstück trug ich nicht nur weil es mir gefiel, sondern weil es auch verdeckte, was mich belastete und warum mich alle hassten und ausgrenzten. Ich biss mir auf die Unterlippe und schob die Gedanken beiseite. 

Kurz glitt mein Blick auf meinen Schulpack, der liebesbedürftig bei meinem Schreibtisch lag und danach schrie, dass ich meine Hausaufgaben machte, doch mein Kopf fühlte sich noch zu voll und vor allem schwer an. Das würde nichts bringen. Also wählte ich die andere Richtung.

Ich musste hier raus. Ein wenig frische Luft schnappen und dann kam ich hoffentlich auf andere Gedanken oder zumindest würdest du dann endlich aus ihnen verschwunden sein. So hoffte ich und mit dieser Hoffnung im Herzen trat ich auf den Flur, zog meine Schuhe an – Akirai immer noch auf den Arm – griff nach dem Haustürschlüssel und trat dann ins Freie. 

Sofort schlug ich die Richtung von unserem Stadtpark an. Ich verbrachte an schönen Tagen meistens meine Nachmittage dort. Akirai konnte dann herumlaufen und ein wenig frisches Gras fressen und ich wurde dort auch meine schweren Gedanken los. Daher hoffte ich, dass es auch dieses Mal so sein würde und man ich befreit wurde von dir, der mich überallhin verfolgte. Denn in meinen Gedanken war es immer da: Dein freundliches Lächeln und deine wunderschönen Augen. So schön und unendlich warm, dass man in ihnen versinken wollte. Nur vergehen und nie wiederkehren. Niemals wieder...

Gleich und doch verschieden 1/3

Der Geruch von frischen Gras, Blumen und Bäumen stieg in meine Nase. Akirais weiches Fell strich sanft über meinen Hals, bevor sie kurz über meine Haut schleckte. Ich lauschte dem ruhigen Gesang der Vögel und ließ die warmen Sonnenstrahlen die trüben Gedanken vertreiben. 

Der Kies knirschte leise unter meinen Schuhen, als ich den sandigen Weg entlang ging und die entgegenkommenden Personen mit einem kurzen Nicken grüßte. Einige kannte ich vom Sehen und manche sogar beim Namen, da wir uns regelmäßig hier trafen. Der Park war nicht weit von meiner Wohnung entfernt und langweilig genug, sodass meine Klassenkameraden ihn nicht aufsuchten. 

Ein freudiges Quicken drang an mein Ohr, als wir uns langsam unserem Lieblingsplatz nährten: eine Bank im Schatten eines großen Baumes. Weit weg von dem Sportplatz oder dem Café, das hier für das leibliche Wohl der Besucher sorgte. Ich war nur einmal dort, aber hatte es sofort bereut, als ich Mitsumi und ihren Freundinnen dort begegnet war. 

Warum können sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Es sollte doch nicht allzu schwer sein einander zu ignorieren. Ich verlangte ja nicht einmal, dass sie mich mochten oder gar Zeit mit mir verbrachten. An sich wollte ich nur diese Zeit, so gut es ging, überstehen und dann ein Leben aufbauen, in dem man mich schätzte und mit Freunden, die mich verstanden. 

Ich nahm schließlich auf der Bank Platz und setzte Akirai sanft in die Wiese ab. Sie blieb immer an meiner Seite und mümmelte zufrieden das frische Gras. Daher machte ich mir keine großen Sorgen, dass sie weglaufen könnte. Erneut strich eine sanfte Brise über mich hinweg und ließ mich genießerisch die Augen schließen.

Ich hörte von weiter weg die Stimme von Menschen, doch der fröhliche Gesang der Vögel übertönte sie die meiste Zeit, sodass ich diese Einsamkeit genoss und den Frieden auf mich wirken ließ. Ich wünschte mir, dass jeder Tag so sein könnte und ich nie wieder zurück in die kalte Wirklichkeit musste, doch mir war klar, dass diese Momente immer nur von kurzer Dauer waren und ich mich der kalten Realität stellen musste.

Ein zufriedener Seufzer glitt über meine Lippen, als ich meine Bewegung hinter mir spürte und im nächsten Moment lagen schon ein Paar Hände auf meinen Augen. Ich stoppte und unterdrückte den panischen Impuls aufzuspringen, denn die Hände waren viel zu groß und rau, um Mitsumi zu gehören. Auch schlich mir ein herber Duft in die Nase, die jegliche Weiblichkeit ausschloss. Zumindest wenn es um meine Klassenkameradin ging.

Der Puls tippte sanft gegen meine Haut. Er war zu schnell. Fast so schnell wie mein eigener, der unter der Aufregung hochgefahren war. Ich wartete auf eine Frage oder Ähnliches. Irgendetwas, was den Fremden verraten würde, doch es kam nichts. Nur eine neue Brise, die das Gezwitscher der Vögel und Stimmengewirr der Menschen mit sich brachte.

Akirai drückte sich an mein Bein, was mich stutzig machte, doch als dann ihr panischer Schrei zu mir durchdrang, schnellte ich sofort nach vorne und griff nach ihr, um sie auf den Arm zu nehmen. „Akirai!“

Mein Blick fiel auf eine weiße, schwarz getigerte Angorakatze, die vor mir stand und mein Meerschweinchen mit neugierigen, hellblauen Augen musterte. Ihr Gesicht war braun und hatte auf ihrer Stirn ein schwarzes M. Sie trug rehbraune Stiefel und war sehr gepflegt. Ich hatte diese Katze noch nie hier gesehen. 

„Kirika! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht die Tiere von anderen auffressen sollst?! Du kriegst zuhause genug zum Fressen!“ Deine Stimme hinter mir klang amüsiert und nur halb so ernsthaft, wie sie sollte, nachdem deine Katze gerade mein Meerschweinchen bedroht hatte.

Aber das konnte doch nicht sein. Wieso warst du jetzt schon wieder hier bei mir? Gab es denn kein Entkommen von dir? Was sollte ich jetzt tun? 

Ich drehte mich ruckartig zu dir um und wollte einen Schritt ausweichen, als du so nah bei mir warst. Nur die Bank zwischen uns, doch ich stieß gegen einen felligen Widerstand, der mich straucheln ließ. Mit einem Ausfallschritt erlangte ich mein Gleichgewicht zurück und sah in dein breit grinsendes Gesicht.

„Was machst du hier?“, hauchte ich fassungslos. Wie konnte es sein, dass du hier warst? Du wolltest dich doch nicht mit den anderen treffen, oder doch? War ich denn nirgends vor dir sicher?

„Ich gehe mit meiner Katze Kirika spazieren. Sieht man das nicht?“ Dein Lächeln wurde noch einmal eine Spur breiter. Amüsierte dich mein Anblick? Warst du hier, um mich auszulachen? Wolltest du wie alle über mich herziehen, weil ich mein Meerschweinchen dabei hatte? Wieso konntest du mich nicht ignorieren?

„Doch, irgendwie schon, aber du bist mir bestimmt nachgeschlichen“, murmelte ich eher zu mir selbst, doch du hörtest meine Worte und lachtest sogar kurz auf. „Nein und ja. Ich bin echt erst wegen des Spaziergangs mit Kirika hergekommen, damit sie ihren täglichen Auslauf bekommt. Aber dann habe ich dich gesehen und bin dir gefolgt, um zu sehen, was du tust und um sich vielleicht mit dir zu unterhalten. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du was zum Fressen für Kirika dabei hast.“ 

„Akirai ist nichts zum Fressen!“, empörte ich mich, doch du lachtest erneut auf, was mir einen Stich ins Herz versetzte und ich schluckte trocken, um dieses Gefühl loszuwerden. Du durftest mich nicht so berühren oder gar verletzten. Deine Worte und Taten sollten nicht dieses Gewicht für mich haben. Unwichtig, du solltest unbedeutend für mich sein. Egal. Einfach nur egal. 

„Ja, das habe ich ja nie behauptet. Aber Kirika ist halt auch nur eine Katze. Vielleicht wollte sie auch nur spielen.“ Mit ruhigen Schritten kamst du um die Bank und standest nun knapp vor mir. Dein Parfüm verdrängte den Duft der Natur um mich herum und ich versank erneut in deinen himmelblauen Augen. Diese glitten immer wieder zu meinem Schmuck. 

„Es klang nicht so als wollte Kirika wirklich nur spielen“, flüsterte ich gebannt und starrte auf deine Lippen, die sich zu deinen nächsten Worte elegant bewegten: „Ja, Kirika kann da gerne mal ein wenig grob sein. Aber ich bin mir wirklich sicher, dass sie dein Meerschweinchen nicht fressen wollte.“

„Akirai. Sie heißt Akirai.“ Warum sagte ich dir das? Es ging dich nichts an, doch das sanfte Lächeln, das sich nun in deinem Gesicht zeigte, hinterließ ein angenehmes Ziehen in meinem Bauch. 

Deine Augen wandern erneut nach unten und deine nächsten Worte zerrissen den Bann und schleuderten mich wieder zurück in die Wirklichkeit: „Schon komisch wie ähnlich wir uns sind. Wir tragen sogar sehr ähnlichen Schmuck. Als würden wir damit verzweifelt jemand suchen.“

Du kamst einen Schritt näher und dein Atem strich sanft über meine Wange, bevor der Schmerz zurückkam. Es ging dir immer nur um die Ähnlichkeit. Nur deswegen standest du vor mir. Allein aus diesem Grund hattest du mich angesprochen. Wäre diese Tatsache nicht, dann hättest du mich wie alle anderen ignoriert. 

Diese Erkenntnis schmerzte mehr, als jedes Wort von dir es jemals konnte, und ich versuchte, ihn hinter einem traurigen Lächeln zu verstecken. Doch an dem erschrockenen Flackern in deinen Augen erkannte ich, dass es mir nicht gelang.

„Wie alt bist du?“ Eine simple Frage, die ich mich jedoch kurz zögern ließ. Warum stelltest du sie mir überhaupt? Wir waren in derselben Klasse. Daher konnten wir gar nicht allzu weit entfernt vom Alter sein. Ich holte kurz tief Luft, weil ich Angst hatte, dass mir meine Stimme sonst den Dienst versagen würde. „Ich bin sechszehn Jahre alt.“

Das Flackern in deinen Augen wurde wilder und dein Lächeln verschwand der Verwirrung, die dir diese Antwort bescherte. Kurz erwachte der Impuls in mir dich nach ihrem Grund zu fragen, doch dann war dort wieder dieses Gefühl, dass ich so wenig wie möglich mit dir zu tun haben möchte. Ich sollte am besten gehen und nie wieder zurücksehen. Dich vergessen und vor allem mich nicht weiter auf dich einlassen. Das Ganze konnte doch nur schief gehen. Sowas hatte noch nie funktioniert. 

„Ist dir in deinen Netzhandschuhen nicht zu warm, so dünne Maschen wie die haben.“ Du schienst die Unterhaltung noch fortführen zu wollen und instinktiv legte ich meine Arme aufeinander und hielt sie fest. Es war mir unangenehm, wenn man mich auf sie ansprach, doch noch schlimmer würde es sein, wenn das Gespräch auf das fiel, was sie verdeckten. 

„Nein, es geht schon. Man gewöhnt sich an vieles. Ich finde es angenehm sie zu tragen.“ Du hobst skeptisch eine Augenbraue und wolltest noch einmal nachsetzen, doch ich ging einen Schritt zurück. Ich wollte mich nicht weiter mit dir unterhalten. Nicht die Fragen beantworten, die dann immer kamen. Dir nicht erzählen, wie es in meinem Inneren wirklich aussah. Du würdest es auch nur gegen mich benutzen, wie alle anderen vor dir.

Noch zwei weitere Schritte, als ich schon über meine Schulter deutete. „Ich... ich muss jetzt auch wieder gehen.“ Mit diesen Satz drehte ich mich schon um, doch deine Stimme blieb und mit ihr auch du.

„Halt! Wo willst du denn schon wieder hin?“ Deine Schritte knirschten synchron mit meinen durch den sandigen Weg, den wir entlang gingen, und ich wich deinen Blick aus. Sah lieber auf die Katze, die neben uns herlief und streichelte Akirai noch einmal beruhigend durch das Fell.

„Nach Hause. Ich habe meine Hausaufgaben noch nicht fertig und meine Mutter kommt bald heim. Sie hat es nicht gerne, wenn ich dann noch nicht fertig bin.“ Es war eine Lüge. Meine Mutter war eine herzensgute Frau und sie war fast nie auf mich wütend. Zumindest nicht wegen so Kleinigkeiten wie Hausaufgaben. Nicht einmal damals wurde sie zornig. Nein, nur unendlich traurig. Ich hatte so eine Mutter nicht verdient.

„Dann wohnst du hier in der Nähe?“, haktest du weiter nach und liefst ruhig neben mir her. Dein Blick suchte meinen, doch ich starrte auf den Boden vor unseren Füßen. Deine Frage fuhr wie ein Blitz durch mich hindurch und ließ mich ruckartig den Kopf heben. Du darfst niemals erfahren, wo ich wohne! Dann werde ich dich ja nie wieder los! 

Ich sah sich mit weit aufgerissenen Augen an, bevor ich mich wieder fing und dann mit den Schultern zuckte. „Kann schon sein.“ Meine Finger suchten die tröstende Nähe von Akirai und ihr sanftes Schlecken beruhigte zusätzlich. Ihre Nähe gab mir den Mut, den ich für dieses Gespräch brauchte.

„Wie kann schon sein? Du musst doch wissen, wo du wohnst.“ Meine Antwort war dir nicht genug. Ich knurrte tief, während ich weiter lief und hoffte, dass du die Verfolgung endlich aufgabst. Doch deine Schritte verschwanden nicht von meiner Seite.

„Ja, klar, weiß ich, wo ich wohne. Aber woher soll ich wissen, was für dich nah ist?!“, beantwortete ich aggressiv seine Frage und begegnete wütend seinen Blick. Seine Augen huschten unruhig über mein Gesicht und ich konnte sehen, wie es dahinter arbeitete. Immer wieder öffnete sich leicht dein Mund, doch dann kam keine Antwort über deine Lippen.

Ich biss mir schließlich auf die Unterlippe. An sich wollte ich nicht laut werden, doch deine Nähe setzte mich immer unter Druck und ich wollte, dass du nur verschwindest und mich in Ruhe ließt. Das konnte doch nicht allzu schwer sein.

Dennoch blieb ich schweigend vor dir stehen und auch du sagtest kein Wort mehr, sondern sahst mich nur an. Dein Blick schien alles von mir zu wollen und nahm jede noch so kleine Information gierig auf, um dann eine eisige Kälte an dieser Stelle zu hinterlassen. Jede Sekunde wuchs mein Wunsch zu verschwinden, bis er mich zu erdrücken schien.

„Was habe ich dir getan? Warum bist du so abwesend zu mir? Liegt es an unserer Ähnlichkeit oder bin ich dir zu aufdringlich?“ Deine Frage war nur ein Flüstern im Wind, das hauchzart meine Ohren umspielte und mein Herz schwerer machte. Der Biss auf meine Unterlippe wurde stärke und ich schmeckte Blut. Sofort ließ ich los, aber drehte mich im gleichen Moment von ihm weg, um meinen Weg fortzusetzen.

Ich wusste nicht, was ich dir antworten sollte. Alles in mir schrie danach, dich von mir zu stoßen, doch dort war auch dieses kleine Fünkchen in mir namens Hoffnung, das sich tapfer gegen all die Grausamkeiten stemmte, die mein Geist für dich bereit hielt. Diese kleine sanfte Stimme, die mir zuflüsterte, dass du es sein könntest. Dieser Mensch, der endlich wieder ein Freund für mich werden könnte. Ein Freund, den ich mir so lange schon wünschte. 

„Komm, Kirika. Wir gehen nach Hause.“ Die Trauer in deiner Stimme war echt und versetzte mir einen Stich in meine Brust. Kurz stockte mein Schritt, doch dann war dort das Schlecken von Akirai und ich holte zittrig Luft. Nein, es war gut so. Solange ich alleine blieb, konnte mir keiner mehr weh tun. Dann war ich sicher und das war das Einzige, was zählte. 

Dennoch konnte ich die einzelne Träne nicht zurückhalten, die über meine Wange lief und auf der schnüffelnden Nase von Akirai zerplatzte. Sofort schleckte sie die nasse Spur weg, doch dieses beklemmende Gefühl in meiner Brust konnte sie mir damit nicht nehmen. Es bohrte sich tiefer, sodass ich mich an meinen Vorsatz klammerte und ihn mir immer wieder in Gedanken vorsagte: Sicher sein und am Leben bleiben. Für Mutter. Damit sie nie wieder so sehr weinen muss. Nie wieder...

Gleich und doch verschieden 2/3

Die langsam untergehende Sonne tauchte mein Zimmer in ein mystisches Rot, das zum Träumen verleitete. Ich saß an meinem Schreibtisch über meine Hausaufgaben gebeugt und versuchte verzweifelt, diese Gleichung zu lösen. Normalerweise gingen mir so etwas leicht von der Hand. Vor allem Mathematik war noch nie ein Problem für mich, doch jetzt waren dort keine Zahlen und Formen, sondern immer wieder dein Gesicht. 

Ein leises Quieken neben mir holte mich zurück in die Wirklichkeit und dein Abbild verschwamm vor meinen Augen. Akirai saß auf dem Schreibtisch und stupste mich sanft mit ihrer Nase an. Ich streichelte sie dankend und lächelte leicht. „Danke, Akirai. Ich muss jetzt wirklich schauen, dass ich fertig werde, sonst kommt Mutter nach Hause und ich sitze immer noch hier. Dann gäbe es nur wieder dumme Fragen, weil so etwas normalerweise nicht vorkommt, und darauf kann ich getrost verzichten.“

Ich schüttelte kurz meinen Kopf, um auch noch den letzten Rest von dir zu vertreiben. Kurz tief Luft holen und dann war der Fokus da. Kein Lächeln, das mir die Sicht raubte und auch keine Schmetterlinge, die meine Gedanken zerstreuten. Mein Stift flog wie von Geisterhand über das Papier und erledigte die Hausaufgaben im gewöhnten Tempo. 

„So, das wäre geschafft, Akirai.“ Ich streckte mich erleichtert, kaum dass ich das letzte Heft wieder in die Schultasche steckte, und lächelte leicht, als sie schon an den Rand des Schreibtisches getrottet kam, um hochgenommen zu werden. Natürlich nahm ich sie wieder auf den Arm und kraulte sie sanft am Kopf.

„Danke, dass du mir dabei geholfen hast, den Fokus nicht zu verlieren. Ohne dich wäre ich jetzt noch nicht fertig. Dieser Taiyo bringt echt mein ganzes Leben durcheinander. Warum kann er sich nicht mit jemand anderen anfreunden wollen. Nur weil wir uns ähnlich sehen? Das ist doch totaler Quatsch.“ Ich schnaubte und hörte ihr leises Quieken und ein kurzes Gurren, was mich leicht beruhigte. 

Mein Blick war auf mein Fenster gerichtet. Die Straße lag ruhig vor mir und die Bäume tanzten leicht unter dem sanften Wind. Es schien immer noch die Sonne, sodass einige Passanten vorbeigingen. 

„Ja, du hast recht. Ich sollte mich nicht so von ihm beeinflussen lassen. Aber irgendwie ist das Alles-.“ Ich stockte, als ich meinen Augen nicht mehr trauen konnte. Auf der Straße gingst du mit deiner Katze, die brav wie ein Hund neben dir herlief. 

Wieso warst du jetzt hier? Bist du mir etwa gefolgt? Nein, dafür warst du eindeutig zu langsam unterwegs, aber warum tauchtest du jetzt erst hier auf? Wohnst du etwa hier in der Nähe? Gab es denn gar kein Entkommen vor dir?

Ich sah dir nach, wie der Wind mit deinem Haar spielte. Dein Kopf war leicht gesenkt, deine Hände in der Hosentasche und auch die Schultern hingen herunter. Auch gingst du nicht, sondern schlürftest eher. Deine Katze dagegen schritt leichtfüßig und mit erhobenem Schwanz neben dir her. 

Ein Schauer glitt über meinen Rücken, als du stehen bliebst und dich dein Tier mit fragendem Blick kurz umrundete. Was war los mit dir? Es konnte nicht sein, dass mein Verhalten dich so stark beeinflusste. Du könntest dich mit jedem anfreunden. Die ganze Klasse wollte dein Freund sein, also solltest du von mir ablassen. Aber du bliebst jetzt stehen und fuhrst dir mit einer Hand durchs Gesicht.

Deine Arme bewegten sich wild gestikulierend und die Passanten, die an dir vorbeigingen, sahen dich irritiert an, doch du reagiertest nicht auf sie, sondern unterhieltest dich weiter mit deiner Katze. 

„Der ist schon ein komischer Vogel, Akirai“, flüsterte ich und kraulte weiter mein Meerschweinchen in meinen Armen. Es war ein seltenes Verhalten, das hatte man mir schon öfters gesagt, doch Akirai genoss meine Nähe sehr. Vielleicht weil sie sonst keinen Artgenossen hatten, doch ein zweites Tier erlaubte mir meine Mutter nicht. Egal, wie oft ich ihr mit artgerechter Haltung kam. 

Erneut ein sanftes Brummen und leichtes Quieken, als dein Oberkörper kurz in sich zusammenfiel, doch nur für eine Sekunde, dann standest du schon wieder aufrecht und dein Kopf bewegte sich. Langsam in meine Richtung, genauso wie dein Körper, der sich mit drehte, bevor sich unsere Blicke trafen.

Ein Schauer glitt über meinen Rücken und Schmetterlinge explodierten in meinem Bauch. Durch deren Wucht stieß ich mich erschrocken von meinem Tisch mit so viel Kraft ab, dass wir laut krachend gegen meine Zimmertür prallten. Ein Angstschrei von Akirai war die Folge, genauso wie sie zusammen zuckte und sich tiefer in meine Armbeuge verkroch, um dann ein besänftigendes Gurren ertönen zu lassen. 

„Sorry, Akirai. Das wollte ich nicht, aber er durfte uns nicht sehen. Dann wäre es vorbei mit der Ruhe gewesen. Kommt nicht mehr vor, versprochen“, sprach ich sanft auf sie ein und kraulte sie wieder hinter den Ohren. 

Hast du mich gesehen? Es hat sich zumindest so angefühlt. Wieso sahst du zu mir hoch? Das war doch total bescheuert! Kommst du jetzt hier her?

Ich lauschte in den Raum, ob die Türklingel ertönte, doch es blieb still. Nur die leisen Geräusche von Akirai und das Rauschen meines Blutes im Ohr. Entweder hattest du mich nicht gesehen oder nicht erkannt. Egal was davon, meine Ruhe schien aktuell noch in Sicherheit zu sein.

Umständlich zog ich mich samt Stuhl mit den Beinen wieder zurück an meinen Tisch. Gut, dass mein Zimmer so klein war, sonst würde das jetzt anstrengender sein. Das letzte Stück griff ich nach der Tischplatte und zog mich gänzlich heran. Sofort sah ich wieder auf die Straße, doch von dir war nichts mehr zu sehen. Du warst verschwunden und erneut lauschte ich in die Wohnung.

Würdest du jetzt doch noch klingeln? Suchtest du gerade nach meinen Namen und überlegtest, ob es richtig war? Was sollte ich tun, wenn du jetzt wirklich vor meiner Tür standest? Aufmachen? Ignorieren? So tun als wäre ich gar nicht da und hoffen, dass du unseren Blickkontakt als Trugbild abstempelst?

Meine Gedanken blieben ungestört und nur das Ticken der Uhr im Wohnzimmer erfüllte die Stille. Du kamst nicht hierher, sondern warst so verschwunden. Auf dem Weg nach Hause oder irgendwo anders hin. Konnte mir ja egal sein. Wieso warst du schon wieder in meinen Gedanken? Das war doch totaler Schwachsinn! Geh raus! Geh endlich raus da!

Akira quiekte wieder und schleckte kurz über meine Hand, die sich krampfhaft in meinen anderen Arm gekrallt hatte. Nur langsam ließ ich locker und lächelte meine pelzige Freundin dankend an. „Du hast Recht. Es macht keinen Sinn, darüber zu grübeln.“

Kurz sah ich auf meine Armbanduhr und erhob mich dann, um Akirai in ihren Käfig zu setzen. Sofort huschte sie durch das Einstreu und zu ihrem Heuhaufen, um etwas zu fressen. Ich griff nach ihrer Schüssel für das Frischfutter, um in der Küche ein paar Gemüse und Obstsorten aufzuschneiden. 

Als ich am Wohnzimmer vorbeiging, verriet mir ein Blick auf unsere weiße Wanduhr, dass meine Mutter auch bald nach Hause kommen würde. Zeit für das Abendessen also, doch die Schmetterlinge, die immer noch zaghaft in meinem Bauch herumflatterten, ließen gar keinen Platz für Hunger, doch mir war klar, dass ich etwas essen musste. Denn sonst kamen nur Fragen von meiner Mutter. Fragen, die ich jetzt nicht beantworten konnte, weil ich ihre Antwort selbst noch gar nicht kannte. Nicht kennen wollte...

Gleich und doch verschieden 3/3

Vor mir stand ein gedeckter Tisch für zwei Personen zum Abendessen. In meiner Hand lag noch die Butterdose, die ich nun lautlos abstellte und mir mein Ergebnis stolz besah. Es gab kein warmes Abendessen bei uns, sondern immer nur eine Brotzeit. Meine Mutter hatte zum Kochen keine Zeit. Sie aß selbst in der Mensa in ihrer Arbeit und brachte mir dann meistens eine Portion mit, die ich mir am nächsten Tag nach der Schule warm machen konnte. 

Für mich war das in Ordnung und an sich kannte ich es nicht anders. Seit ich in die Schule ging und meine Mutter länger arbeiten konnte, war dies so. Auch wenn ich mir mehr Zeit mit ihr wünschte, so war mir schon sehr bald klar, dass sie dies nicht tat, um mir aus dem Weg zu gehen, sondern um mir ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Bei einer Frage von ihrer Seite aus, wäre meine Antwort aber, dass ich lieber mehr Zeit mit ihr hätte und dafür auf ein paar Unannehmlichkeiten verzichten würde. 

„Puh, was für ein Tag. Ich bin froh, dass ich endlich zuhause bin.“ Sie kam in den Raum und streifte sich dabei einen blauen Pullover über den Kopf. Ihre braunen Mandelaugen sahen mich erschöpft an und sie strich sich eine ihrer losen, schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ein Rebell, der sich nicht in den Pferdeschwanz sperren lassen wollte. Die Jeans war genauso alt wie ihr Oberteil und verspottete die weißen Socken, die sie vom Fußboden trennten. 

„Du hättest doch auf mich warten können, dann hätte ich dir beim Tisch decken geholfen.“ Sie sah mich kurz tadelnd an, bevor sie sich auf ihrem Stuhl niederließ und schon nach dem ersten Brötchen griff. 

„Nein, das ist schon in Ordnung. Du hast ja den ganzen Tag gearbeitet und das Decken des Tisches bringt mich dann ja doch noch nicht um.“ Ich lächelte sie an und ließ mich ebenfalls nieder, bevor ich mir dann auch ein Brötchen nahm, um es aufzuschneiden. Die Abende mit meiner Mutter waren mir heilig. Dieses gemeinsame Essen war der wichtigste Moment des Tages für mich und ich hatte auch nicht vor einen davon zu verpassen.

„Dann ist es ja gut.“ Sie lachte auf und das Lächeln blieb auf ihren Lippen. „Aber nun erzähl mal, was hat es mit deinem neuen Mitschüler auf sich? Am Telefon kam das Ganze zu kurz herüber und ich bin echt neugierig. Normalerweise erzählst du nichts aus der Schule.“

„Sein Name ist Taiyo Hikari.“ Ein angenehmes Ziehen erwachte bei deinem Namen in meinem Bauch und ich hielt meinen Blick gesenkt. „Er kam heute neu zu uns und hat sich sofort neben mich gesetzt.“

„Das klingt doch schön. Vielleicht könnt ihr ja Freunde werden“, unterbrach mich meine Mutter kurz und ich seufzte. Langsam schüttelte ich meinen Kopf und dachte an unsere Gespräche zurück, die nur einen Schluss zuließen. „Nein, er hat nur Interesse an mir, weil wir uns so ähnlich sehen. Die Lehrer verwechseln uns und das macht ihm Spaß, derweil müssten sie nur auf den Schmuck sehen. Denn dort unterscheiden wir uns. Seiner ist nämlich golden und rot anstatt silbern und blau.“

Ich beschmierte meine Hälften, um eine Ausrede zu haben, dass ich meine Mutter nicht ansah. Die Angst, dass sie etwas in meinem Gesicht erkennen könnte, war zu groß, sodass ich mich lieber weiter in mein Tun vertiefte. Sie mochte es nicht, wenn ich sofort beide Hälften belegte, doch ich aß eh immer mindestens ein Brötchen, sodass sie den Protest mittlerweile aufgegeben hatte. Die eine Hälfte belegte ich mit einer Scheibe Schinken, die andere bestrich ich mit Streichwurst und biss dann von dieser herzhaft ab. 

„Das ist schon komisch.“ Ihre Stimme klang nachdenklich und sie stoppte kurz das Essen. Etwas huschte über ihr Gesicht, doch es war zu schnell, um es zu ergreifen. Verschwand schon hinter dem nächsten Bissen und Schulterzucken. 

„Ich habe ihn heute noch einmal im Park getroffen. Sofort hat er mich mit Fragen gelöchert und irgendwann ist ihm dann auch mal mein Schmuck aufgefallen. Da ist er dann vollständig eskaliert.“ Ich schüttelte den Kopf und versuchte so, die Erinnerung an unser außerschulisches Treffen zu vergessen, doch es blieb in meinem Kopf. Du bliebst in meinem Kopf.

„Weißt du, wie alt er ist?“, fragte sie nach und starrte weiter geradeaus, was ein nagendes Gefühl in meinem Bauch erweckte. Sie sah mich immer an, wenn wir miteinander sprachen. Jetzt wirkte es, als würde sie wo ganz anders zu sein. Vielleicht war irgendwas auf der Arbeit passiert und sie war erschöpfter als sie sich eingestand. 

„Nein, er hat zwar nach meinem Alter gefragt, aber ich nicht. Ich schätze aber, dass er ungefähr in meinem Alter sein wird. Schließlich gehen wir in dieselbe Klasse. Es ist mir an sich egal, wie alt er ist.“ Ich zuckte erneut mit den Schultern und aß den Rest der ersten Hälfte auf, um mich dann auf die Zweite zu konzentrieren. 

„Diese Ähnlichkeit ist wirklich komisch. Willst du ihn mir nicht einmal vorstellen? Am Wochenende wäre doch eine gute Gelegenheit oder nicht?“ Ich sah sie an, als wäre sie von einem anderen Stern. Hatte sie mir nicht zugehört? Ich hatte kein Interesse daran dich besser kennenzulernen. Du solltest wieder aus meinem Leben verschwinden und mich in Ruhe lassen. So wie alle anderen auch. 

„Mum, ich bin nicht mit ihm befreundet und habe auch nicht vor es zu sein. Er ist so anders als ich. So aufdringlich und will mich bestimmt nur wie alle anderen ärgern. Der ist mir viel zu anstrengend, um mit ihm befreundet zu sein“, blockte ich ihren Vorschlag ab und schüttelte mit Nachdruck meinen Kopf. 

Ein Bissen ermöglichte mir eine kurze Pause, bevor ich dann weitersprach, kaum dass ich herunter geschluckt hatte: „Er hatte eine Katze bei sich. Die lief neben ihm her wie ein Hund. Und da bezeichnen mich manche als total durchgeknallt, weil ich Akirai auf meiner Schulter trage. Da haben die noch nicht ihn mit seiner Katze gesehen.“

Ich konnte die gewisse Tierliebe verstehen, doch es wirkte so falsch auf mich, wie du mit deiner Katze umgingst, dass es außerhalb meines Verständnisses war und es mich nur meinen Kopf schütteln ließ.

„Weißt du, wo er wohnt?“, überging meine Mutter meine Erzählungen und ich schnaubte trotzig, bevor ich noch einmal abbiss, um dann zwischen den Bissen zu antworten: „Hab ich nicht gesagt, dass ich mit ihm nichts zu tun haben will? Ist mir doch egal, wo der wohnt. Der kann bleiben, wo der Pfeffer wächst.“

Skepsis kroch in ihre Augen und ließ sie die Augenbrauen zusammenziehen. „Dafür redest du sehr viel über ihn. Sicher, dass du ihn nicht doch irgendwie magst?“

Was sollte das? Sie hatte doch nachgefragt und wollte alles Mögliche wissen! Jetzt sollte ich der Vernarrte sein?! Das ist lächerlich! Du warst mir egal. Ich brauchte deine Freunde. Nie wieder. 

Ich schluckte die Wut hinunter und entlud sie in meinem nächsten Bissen, um meiner Mutter mit dem nötigen Respekt begegnen zu können. „Du warst doch diejenige, die mehr über Taiyo wissen wollte. Ich erzähle dir nur, was ich weiß. Also, hör auf mir, irgendein Interesse zu unterstellen.“

Damals wollte ich mein durchaus existentes Interesse an dir noch nicht wahrhaben. Denn laut Leonardo Davinci suchen wir alle nach unserem Abbild in unserem Gegenüber und desto mehr dies vorhanden war, umso attraktiver war dieser für uns. Durch meine Homosexualität warst du also der perfekte Kandidat für mich, doch ich wollte es nicht wahrhaben. Mich nicht in jemanden verlieben, der mich so bedrängte. Außerdem ging das doch niemals gut. Nur keine Schwäche zeigen. Ich durfte nie wieder Schwäche zeigen. 

„Ist doch okay. Jetzt beruhige dich mal wieder. Ich habe nichts dergleichen behauptet, wenn es dir dann besser geht.“ Sie steckte ihren letzten Bissen in den Mund und ihr entspannter Gesichtsausdruck schürte die Wut in meinem Inneren. Es wirkte, als würde sie nur mit mir spielen und mich nicht ernst nehmen. Diese Gedanken hasste ich. Sie schmerzten und brachten diese alles verschlingende Leere in meinem Inneren zurück. 

Ich schob mir auch den letzten Rest meines Brötchens in den Mund und beruhigte mich mit jedem Bissen ein Stück mehr. Die Wut verrauchte langsam wieder, doch die Angst blieb. Dieses flatternde Gefühl in meiner Magengrube, das eine leichte Übelkeit mit sich brachte. Ich wollte dich nicht in meiner Nähe haben, wenn du so interessiert an mir warst. All diese Informationen könntest du gegen mich verwenden und wenn ich dich in mein Herz ließ, dann war die Gefahr da, dass du es zerquetschtest. 

Das waren alles Risiken, die ich nicht mehr eingehen wollte. Ich wollte nur noch die Zeit in dieser Schule überleben und dann hoffentlich in ein Umfeld kommen, in dem sie mich akzeptierten. Mich, mit all meinen Fehlern und Problemen, die man bis jetzt immer nur zu Sperren formte, um sie mir in den Leib zu rammen. 

Wir standen auf und räumten stillschweigend den Tisch ab. Normalerweise saßen wir dann noch im Wohnzimmer zusammen, doch mir war die Lust auf Gesellschaft gründlichst vergangen. So zog ich mich in mein Zimmer zurück, um den heutigen Tag noch einmal Revue passieren zu lassen. 

Ich habe dich schon in der Aula getroffen. Auch alle anderen haben dich dort gesehen und jeder war von unserer Ähnlichkeit fasziniert. Ganz besonders du. Immer ging es nur darum. Du wolltest nie etwas anders wissen. Sprachst kein anderes Thema an. Nur unser scheinbar gleiches Aussehen. Du wolltest nur mit mir reden und zwangst mir den Kontakt zu dir förmlich auf, indem du mir nicht mehr von der Seite wichst, bis zum Schultor. Erst da konnte ich dir entkommen, aber auch wenn du nicht mehr bei mir warst, aus meinen Gedanken verschwandest du nie.

Als wir uns im Park trafen, wollte ich am Liebsten auch wieder weglaufen, doch du hast endlich mal an etwas anderem Interesse gezeigt. An mir und an Akirai. Nicht nur an unserer Ähnlichkeit, doch irgendwas ging auch da wieder schief. Die Frage nach meinem Wohnort war mir zu privat, weil ich Angst bekam, dass du mich dann gar nicht gehen lassen würdest. 

Ich konnte dir nicht vertrauen. Egal, wie oft du es beteuertest, dass du anders warst und dir meine Mobber egal waren. Ich konnte dich nicht nähern an mich heranlassen. Was wenn auch du mich attackiertest? Insgeheim waren doch alle gleich, oder? Jeder schlug auf den Schwächeren ein, um sich selbst stärker zu fühlen, oder? Auch du? Oder warst du anders? Konnte ich dir vertrauen? Ganz bestimmt nicht. Denn am Ende waren sie doch alle gleich...

Unvergesslicher Traum 1/5

Finsternis umschloss mich. Dort war nur das kühle Laken unter mir, das verzweifelt versuchte, meine erhitzte Haut zu kühlen. Eine sanfte Berührung huschte über meine Körper. Zart und doch so ergreifend, dass es eine Verlangen hinterließ und ein leises Stöhnen über meine Lippen kroch.

Mein Atem war schwer und ich wand mich unter den neckischen Fingern, die ein Feuer in mir entzündeten, das mich gierig verschlang. Immer wieder versuchte ich, einen klaren Gedanken zu fassen, doch sie entglitten mir. Wer berührte mich gerade?

Lippen pressten sich leidenschaftlich auf meine und forderten mich zu einem Kuss heraus, den ich noch nie in meinem Leben erlebt hatte. Begierig drang die Zunge in meinen Mund ein und forderte mich zu einem wilden Tanz auf, der auch die letzten Zweifel und Gedanken aus meinem Kopf wirbelte. 

Mit einem Stöhnen löste sich der Kuss auf, bevor die Lippen ihren Weg fortsetzten. Über meinen Wangenknochen, meinen Hals, mein Schlüsselbein und Brust. Bis hinunter zu meiner Bauchdecke, die unter der Berührung leicht zuckte. Doch sie war nicht alleine. Die Hände strichen begierig über meine Seiten und meine Hüfte. 

Ein kurzer Biss, dessen Schmerz meine Trunkenheit kurz durchbrach und ich nur ein empörtes „Hey“ über meine Lippen brachte. Der Rest des Satzes blieb mir im Halse stecken, denn ich begann zu sehen und was ich erblickte, erstickte das Feuer in mir sofort. 

Schwarze Haare, himmelblaue Augen und ein Lächeln, das ich aus den wenigen glücklichen Momenten vor dem Spiegel kannte. Du lagst auf mir und triebst meinen Körper in den Wahnsinn. Es waren deine Lippen, die mir sämtliche Gedanken geraubt hatten. Deine Hände, die mich in Brand gesteckt hatten. 

„Nein!“ Erschrocken fuhr ich hoch und starrte in mein von Mondlicht erhelltes Zimmer. Mein Schlafanzug klebte unangenehm an meiner Haut und ich strich eine nasse Strähne aus meinem Gesicht, während ich mich suchend umsah. 

Du warst nicht da. Ich war alleine und dort war nur das leise Rascheln im Heu. Akirai war wieder unterwegs und ich erlaubte es mir tief durchzuatmen, um das Chaos in meinem Inneren kurz zu beruhigen. 

Meine Haut kribbelte leicht unter der Erinnerung an deine Finger und ich schleckte mir unbewusst über meine Lippen, als der Kuss zurückkam. Nein! Ich durfte so nicht denken. Dies alles nicht fühlen. Das war falsch. 

Meine Finger krallten sich in meine Haare und der leichte Schmerz ließ mich meine Gedanken wieder klarer fassen, doch dein Anblick blieb. Diese lustverschleierten Augen, die stumm nach so viel mehr baten und die sinnlich geöffneten Lippen, die so viel versprachen. 

Ich schluckte trocken, als die Hitze in meinen Körper zurückkehrte und meine Gedanken wieder leicht benebelte. Stopp! Ich sollte nicht daran denken. Nicht an deinen Körper, der so willig über mir war und nicht an deine Zunge, die mir sämtlichen Zweifel nahm. 

Aber du bliebst. Dein Bild hatte sich auf meine Netzhaut gebrannt und immer wenn ich die Augen schloss, warst du da. Mit deinem Versprechen und diesen willigen Blick, der den Weg zu einem unbegreiflichen Glück öffnen würde. 

Ich ließ mich zurückfallen und starrte an die Decke. Lauschte dem leisen Rascheln von Akira in ihrem Käfig und versuchte, meine immer noch leicht erregte Atmung zu beruhigen, doch dein wiederkehrendes Gesicht machte dieses Unterfangen hoffnungslos. 

Kurz sah ich auf den digitalen Wecker auf meinem Nachtkästchen. Es war gerade einmal zwei Uhr. Zu früh, um überhaupt ans Aufstehen zu denken. Ein Stöhnen glitt über meine Lippen und ich starrte erneut an die Decke. Dort war wieder dein Gesicht, doch nicht so wie ich es kannte, sondern immer noch mit diesen lustverschleierten Blick, der eine neue Welle aus Hitze durch meinen Körper schickte.

Ein Grummeln verließ meine Kehle und ich stöhnte. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich wollte nicht mehr an dich denken. Du solltest in solchen Träumen gar nicht vorkommen, dennoch tatst du es und ließt nicht von mir ab. Nicht in diesem Moment und auch nicht zwei Atemzüge später. 

Leise drang das Quieken von Akirai zu mir durch und kurz erwachte der Wunsch in mir, sie aus dem Käfig zu holen und mich ein wenig mit ihr zu beschäftigen. Doch die Vernunft stoppte den Gedanken noch bevor er sich in einen Befehl umwandeln konnte. Morgen war Schule. Ich sollte schlafen, und zwar so schnell wie möglich.

Ja, morgen saß ich wieder in diesem Gebäude. Mit den Menschen, die mich mieden und mit dir. Erneut waren dort dein Blick und dein heißer Atem auf meiner Wange, der einen Schauer über meinen Rücken jagte. Ein leises Stöhnen kroch aus meiner Kehle und ich hasste mich dafür. War es nun wirklich schon so weit, dass ich dich begehrte? Ich wollte das doch gar nicht. Dich nicht in meinem Leben und vor allem nicht in meinem Herzen! Das war falsch und würde niemals gut gehen! 

Murrend drehte ich mich auf den Bauch und versteckte meinen Kopf unter dem Kissen, um so dir und der Welt zu entkommen. Doch du ließest mich nicht gehen. Dein Blick blieb. Zusammen mit deinen Küssen und diesen wunderbaren Fingern, die so zärtlich zu mir waren. Stop!

Nein! Das durfte nicht passieren! All das war nicht gut. Es sollte sich nicht so anfühlen. Du würdest solche Gefühle niemals erwidern. Egal, wie sehr ich es mir wünschte. Dies war hoffnungslos und ich sollte sie schon im Keim ersticken. Niemals würde ich dich so nah an mich heranlassen. Das würde nur schief gehen. Ganz sicher. 

Mit dem verzweifelten Wunsch dir so zu entkommen, drehte ich mich unter dem Kissen hin und her. Suchte immer wieder eine bequeme Position, doch egal wohin ich ging, du warst immer da. Dein Kuss, deine Begierde und deine zarten Finger, die über meine erhitzte Haut strichen. Du ließest mich nicht gehen. 

Mit einem genervten Stöhnen kroch ich unter meinem Kissen wieder hervor und sah auf die Uhr. Gerade einmal eine halbe Stunde vergangen. Ich sollte endlich schlafen, solange die Zeit gegen mich arbeitete und mir so die Möglichkeit gab morgen nicht wie ein Zombie auszusehen. Doch mein Blick glitt zurück an die Decke und ich lauschte dem Rascheln im Heu, das mit einem leisen Quieken begleitet wurde. Einem Atemzug später nagte Akirai schon fordernd an ihren Gitterstäben und ich stöhnte. Sie hatte mitbekommen, dass ich wach war, doch ich konnte sie nicht herausholen. Morgen war schließlich immer noch Schule.

„Nein, Akirai. Das geht nicht. Ich kann dich nicht rausholen, weil ich früh aufstehen muss“, sprach ich sie mit Nachdruck an und das Nagen stoppte sofort. Ich war immer wieder überrascht wie gut sie auf meine Worte reagierte. Fast so als würde sie diese wirklich verstehen und solche Situationen ließen mich durchaus daran glauben. Aber wie wir Menschen auch hörte sie halt nicht immer auf das, was man ihr sagte. 

Mit einem Seufzen schloss ich erneut meine Augen in der verzweifelten Hoffnung, dass ich doch noch ein wenig Schlaf fand, doch du ließest mich nicht. Dort waren wieder deine Augen und die leicht geröteten Wangen. Diese feucht glänzenden Lippen und dein leises Stöhnen, das mir so viel versprach. All das, wonach ich mich schon immer gesehnt hatte. Doch ich wollte es nicht. Nicht von dir und so öffnete ich grummelnd meine Augen wieder.

Die Decke kehrte zurück in mein Blickfeld und Trotz machte sich in meiner Brust breit. Ich wollte schlafen. Ich musste schlafen und du standest mir hartnäckig im Weg. Irgendwas anders. Ich musste an irgendwas anderes denken. Etwas, was deinen Anblick aus meinem Gedächtnis schleuderte. 

Kurz kam mir Mitsumi in den Sinn und ihre schrille Stimme, wenn sie mit ihren Freundinnen sprach. Alleine bei der Erinnerung klingelten meine Ohren und ich hatte Angst einen Gehörsturz zu bekommen. Doch sie vertrieben deine verschleierten Augen und die Hitze aus meinem Körper.

Sofort klammerte ich mich an dieses Bild und auch wenn ich nun vielleicht von ihnen träumte, war es besser, als noch einmal mit dir im Bett zu landen. Alles war besser als das. Ich atmete noch einmal tief durch und versuchte, meinen Kopf nur mit Mitsumi zu füllen. Es gelang mir und zauberte ein leichtes Lächeln auf die Lippen. Endlich warst du verschwunden.

Dort war wieder das Rascheln von Akirai im Heu und ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich mich in meine Decke kuschelte. Ich schloss die Augen und lauschte ihrem Treiben, als ich schon merkte, wie mein Körper leichter wurde. Mein Atem wurde flacher und dort war sie wieder. 

Die sanfte Umarmung des Schlafes, die mich sanft aber gnadenlos in ihre Welt zog. In diese Welt, die erbarmungslos alles von mir offen legte: Meine Wünsche, meine Ängste und meine Sorgen. Aber mein Plan ging auf. Du kamst nicht zurück. Zumindest nicht in dieser Nacht...



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