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Mondblüte

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
!ACHTUNG!
Die Side Storys enthalten Spoiler zu "Wolfsherz". Wenn ihr "Wolfsherz" also noch lesen wollt, würde ich euch raten es zuerst zu tun. Grundsätzlich kann diese Story auch allein stehen, aber es kann nicht schaden, die Hauptstory wegen den Chars zu kennen.



Für alle, die es unabhängig von "Wolfsherz" lesen möchten, stelle ich die Chars hier kurz vor:

Cai - Hauptdarsteller aus Wolfsherz

Seua - Hauptdarsteller aus Wolfsherz

Moon - Nebendarstellerin aus Wolfsherz

P'Sawa -Stylist am Set

P'Star - Manager



Viel Spaß ~ Komplett anzeigen

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1. Blüte

Fasziniert beobachtete ich das Schauspiel zwischen Cai und Seua. Eng umschlungen standen sie etwas abseits vom Set. Sie berührten sich, als sei es schmerzhaft, den Anderen nur für eine Sekunde loszulassen. Mittlerweile war es wirklich schwierig, Cai allein anzutreffen. Es war schön zu sehen, aber es machte mich auch neidisch. Ich lungerte in der Nähe herum hoffte, dass sie mich bemerkten würden. Irgendwann entdeckte Cai mich, ließ von Seua ab. Das nutze ich als Chance und ging auf ihn zu.

»Kann ich mit dir reden, Cai?«

Erstaunt sah er mich an, lächelte dann aber: »Natürlich.« Trotzdem machte er keine Anstalten, sich von Seua zu entfernen.

»Auch alleine?«, merkte ich leise an. Dann ging ich um eine Ecke am Set, hörte, dass er mir folgte. Ich hoffte darauf, dass er mir helfen könnte. Immerhin war er in einer ähnlichen Situation und ich vertraute ihm. Noch dazu kannte er fast jeden aus dem Team, was auch hilfreich sein konnte. Ich fuhr mir durch die Haare, war nervöser als vor dem Casting.

»Was gibt’s?«

Es konnte doch nicht so schwer sein, sowas anzusprechen. Es war schließlich Cai, er würde es verstehen, versuchte ich mir selbst Mut zu machen.

»Kann ich dir was anvertrauen, was niemand wissen darf? Auch nicht Seua?«

Auch Seua würde nichts dazu sagen, aber je weniger Leute es wussten, desto besser. Cai nickte. Das war wohl mein Zeichen.

»Erinnerst du dich an Flower?«, begann ich vorsichtig.

Einen Moment dachte er nach, dann sagte er: »Flower? Ja. Sie ist die Dekorateurin aus dem Team, richtig?«

Ich musste schmunzeln. Natürlich kannte er sie, es war schließlich Cai.

»Ja, ist sie.«

Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, das Wichtigste hatte ich noch nicht gesagt. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, schloss ich die Augen und sagte: »Ich habe mich in sie verliebt!«

Ganz vorsichtig öffnete ich die Augen wieder, beobachtete seine Reaktion. Eine Mischung aus Erstaunen und Neugier lag in seinem Blick.

»Echt? Das ist doch schön, Moon. Ich freue mich, dass du dich ausgerechnet mir anvertraust.«

Er lehnte an der Wand des Gebäudes und ich tat es ihm gleich. Stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Ich bin mir nicht sicher, ob das so schön ist.«

Trotz meiner Zweifel durchspülte mich eine Welle der Erleichterung. Endlich hatte ich es jemandem gesagt.

»Wieso nicht?«

»Weil ich erstens keine Ahnung habe, wie ich das überhaupt angehen soll. Zweitens ist sie eine Frau. Was ist, wenn sie überhaupt keine Frauen mag? Oder mich überhaupt? Wo ist die Grenze zwischen Freundschaft und Liebe?«, redete ich vor mich hin, wobei das noch nicht einmal alle Zweifel waren. Cai legte mir eine Hand auf die Schulter, sah mich eindringlich an: »Moon, das klingt, als hättest du aufgegeben, bevor du überhaupt angefangen hast. Diese Gedanken kannst du dir immer noch machen. Wie wärs, wenn du einfach erst mal mit ihr redest?«

Wenn das so einfach wäre, hätte ich es längst getan. Flower war immer sehr beschäftigt, daher wollte ich sie nicht stören. Ich sah auf meine Schuhe:

»Und du glaubst nicht, dass es komisch ist, wenn jemand vom Cast sie einfach anquatscht?«

»Guck‘ doch mich an! Wenn mich irgendwas interessiert, frage ich die Leute einfach. Die meistens erzählen sehr gerne von ihrer Arbeit.«

Ich sah ihn an, die Begeisterung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Könnte ich nicht auch so selbstbewusst sein wie er?

»Soll ich dir helfen?«

Ich konnte gar nicht antworten, da packte er meinen Arm: »Wir haben noch ein bisschen Zeit bis zur nächsten Szene, oder?«

Ich wusste überhaupt nicht, wie mir geschah, als Cai mich über das halbe Set mit sich zog. Ich vertraute darauf, dass er sich irgendetwas dabei gedacht hatte. Irgendwann kamen wir an Wolfs Zimmer an. Dort war sie. Allein. Flower war dabei Bilder an einer Wand aufzuhängen. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden, ihre Brille rutschte ihr fast von der Nase. Flower trug ein schwarzes T-Shirt, welches sie in die schwarze Hose gestopft hatte. Ihre Jacke hatte sie sich um die Hüften gebunden. Offenbar hatte sie keine Hand frei, hatte die Nägel daher im Mund. Als ich mich selbst beim Starren erwischte, wandte ich schnell den Blick ab. Cai räusperte sich:

»Flower, ich habe hier jemanden, der sich für deine Arbeit interessiert.«

Ohne Vorwarnung stieß er mich in den Raum, weswegen ich mehr stolperte als ging. Flower drehte sich um, nahm sich die Nägel aus dem Mund. Als sie uns sah, lächelte sie:

»Oh, Cai, Moon. Schön euch zu sehen!«

Ich stockte für einen Moment, fühlte meine Ohren. Ich trug meine Mondohrringe meist am Set nicht, weil sie für die Szenen unpassend waren. Warum wusste sie also sofort, wer ich war? Normalerweise hatten die Leute Probleme, mich und meine Zwillingsschwester auseinander zu halten. Denn außer der Kleidung unterschied uns nichts. Doch bevor ich auf komische Gedanken kommen konnte, sah ich Cai hilfesuchend an. Er zwinkerte mir zu, als würde er sagen: »Du wolltest doch, dass ich helfe, oder?«. Statt mir jedoch zu helfen, sagte er grinsend: »Ich muss jetzt gehen. Ich habe etwas extrem Wichtiges zu tun.«

Schon war er verschwunden. Flower hatte sich in der Zwischenzeit wieder der Arbeit zugewandt. Ich knetete meine Hände, wusste nicht, wohin mit mir. Was sollte ich sagen?

»Du interessiert dich für meine Arbeit?«, fragte sie und ihr freundlicher Ton ließ mich ein bisschen mutiger werden.

»Ja.«

Es war zwar nicht ganz die Wahrheit, aber solange es half mir ihr zu reden, musste ich es nutzen.

»Ich habe gerade leider nicht viel Zeit und ich nehme an, du auch nicht. Aber ich kann dir gerne ein andern Mal von meiner Arbeit erzählen. Meine Familie kann das schon nicht mehr hören«, sie lachte leise.

»Können wir das auch bei einem Mittagessen machen?«, sprudelte ich hervor. Verdammt! Woher kam das denn bitte? Bangend wartete ich ihre Antwort ab, traute mich kaum, in ihre Richtung zu sehen. Sie drehte sich zu mir um, strahlte mich an: »Klar!«

2. Blüte

Atemlos blieb ich vor dem Hotel stehen, um Cai davor abzufangen. Ich hatte es nicht mehr geschafft, ihn am Set zu erwischen. Cai und Seua hielten inne, als sie mich sahen.

»P’Seua, kann ich mir Cai kurz ausleihen?«

Ich kam nicht umhin, ein kurzes Aufblitzen in Seuas Blick zu sehen: »Ja, aber nur kurz.«

Scheinbar würde es verdächtig werden, wenn ich zu oft mit ihm allein sprechen wollte. Cai ließ Seuas Hand los. In jeder freien Minute, dachte ich lächelnd. Seua wartete am Hoteleingang, ich lief mit Cai bis um die Ecke.

»Ich..ich habe sie zum Essen eingeladen!«

Er zeigte mir einen Daumen nach oben: »Das ist super, Moon. Wann denn?«

Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht, die mir wirsch vom Kopf fielen.

»Morgen. Danke, Cai. Wenn du mich nicht zu ihr gebracht hättest, wäre das niemals passiert!«, brachte ich aufgeregt hervor.

Cai lehnte sich vor, legte mir beide Hände auf die Schultern, seine grünen Augen glitzerten mich an: »Auf mich ist eben Verlass!«

Schnell löste ich mich von ihm, hatte das Gefühl, den Tiger im Nacken zu haben. Natürlich hätte ich Cai auch einfach schreiben können, aber ich musste mich persönlich bedanken. Ich trat von einem Fuß auf den anderen: »Ich hoffe nur, ich sage morgen nichts Komisches.«

Ich konnte es mir nicht erklären, aber es tat gut, dass es wenigstens eine Person gab, mit der ich darüber reden konnte. Cai winkte ab: »Und selbst wenn. Ich glaube nicht, dass sie es dir übelnehmen würde. Moon, du bist so cool, du machst das schon.«

Seine Worte verfehlten ihre beruhigende Wirkung nicht und halfen mir, zumindest ein bisschen an mich zu glauben.

»Danke. Aber jetzt geh‘ lieber. Sonst zerfleischt mich der Tiger noch«, sagte ich und deutete nach rechts, wo Seua in einigem Abstand mit verschränkten Armen stand.
 

Am nächsten Morgen wachte ich mit Kopfschmerzen auf. Ich hatte kaum geschlafen, bin stattdessen im Kopf immer wieder alles durchgegangen, was ich sagen könnte, was passieren könnte. Ich entschloss mich zunächst zum Set zu gehen, weil ich jemanden um einen Gefallen bitten wollte. P’Sawa war gerade in der Maske, baute seine Stationen auf. Es war noch sehr früh, daher war ich aus dem Cast die Einzige. Um ihn nicht zu erschrecken, klopfte ich an den Türrahmen. P’Sawa sah von seiner Arbeit auf: »Su…Moon, richtig?«

Ich nickte.

»Was machst du denn schon hier? Soweit ich weiß, seid ihr doch erst am Nachmittag dran«, wunderte er sich.

Ich ging ein paar Schritte in den Raum, spielte mit irgendwelchen Utensilien, sah mich um.

»Ja, ich weiß. Aber ich hätte eine Bitte, die nichts mit dem Set zu tun hat«, begann ich vorsichtig. Bei P’Sawa war es ähnlich wie bei Cai, es war leicht mit ihm zu reden, trotzdem wollte ich niemanden von der Arbeit abhalten. Er legte die Kämme, die er in der Hand hatte, beiseite, sah mich überrascht an: »Das höre ich selten, jetzt hast du mich. Wenn ich helfen kann, jederzeit.«

P’Sawa deutete auf einen der Stühle: »Ich nehme an, es hat mit Styling zu tun?«

»Ja.«

Ich nahm Platz, konnte mein Gesicht im Spiegel kaum ertragen. Dieses Nacht sah man mir mehr als deutlich an. Daher sah ich lieber auf meine Hände.

»Könntest du mich stylen, als würde ich auf ein Date gehen?«

»Du hast ein Date?«, fragte er.

»Vielleicht«, gab ich leise zurück.

»Alles klar. Wenn wir mit dem Make-Up fertig sind, mache ich dir eine schöne Hochsteckfrisur, okay?«

»Ja, gerne. Das ist lieb von dir.«
 

Alle paar Sekunden sah ich auf die Uhr. 11:56. Noch ein paar Minuten, dann würde sie kommen. Wie versprochen hatte P’Sawa mein Make-Up gemacht und eine elegante Hochsteckfrisur, von der zwei Strähnen mein Gesicht einrahmten. Es war schon praktisch, an einem Set zu arbeiten und talentierte Leute um sich zu haben. Ich selbst würde meine Haare niemals so schön hinbekommen. Diesmal trug ich auch meine Mondohrringe. Es hatte mich zwar gefreut, dass sie mich auch so erkannte, aber so konnte ich keine komischen Situationen mit meiner Zwillingsschwester entschuldigen. Weil ich nicht overdressed sein wollte, hatte ich mich für eine weiße Bluse und einen mintgrünen Rock mit weißen Turnschuhen entschieden. Fest drückte ich meine Handtasche an mich, stand vor dem Restaurant. Ich hatte das Gefühl die Zeiger meiner Uhr synchronisierten sich mit meinem Herzschlag. Dann sah ich sie auf mich zukommen. Ihr Outfit hatte sich im Vergleich zu gestern nicht wirklich geändert, nur ihre Haare trug sie diesmal offen. Sie fielen ihr gewellt über die Schultern. Eine Weile musterte sie mich und ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.

»Du siehst toll aus, Moon. Tut mir leid, dass ich in diesen Klamotten rumlaufe. Aber ich muss später arbeiten, da will ich nicht, dass irgendetwas dreckig wird«, entschuldigte sie sich. Ihr spontan eingeworfenes Kompliment ließ mich für einen Moment erstarren. Innerlich dankte ich P’Sawa für seine Arbeit. Nach einer Weile fand ich jedoch meine Sprache wieder: »Danke. Ach, das passt schon.«

Wir gingen ins Restaurant, ich ließ ihr den Vortritt. Ich war glücklich darüber, dass sie mir erspart hatte, das Restaurant auszusuchen. Sie hatte sich für japanisch entschieden. Vom Kellner wurden wir zu einem ruhigen Tisch in einer Ecke geführt, wo wir uns setzten. Auch die Bestellung war schnell gemacht, da wir uns einfach für das Mittagsmenü entschieden.

»Also, du möchtest mehr über meine Arbeit wissen?«, eine Weile verlor ich mich in diesen braunen Augen, die mich begeistert ansahen. Ich löste mich davon und sagte: »Ja. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie ihr das macht. Ich glaube, es ist schwer, einen Raum einzurichten, dass er bewohnt aussieht.«

Das interessierte mich tatsächlich. Denn wenn man irgendwo wohnte, kamen die Gegenstände nach und nach in den Raum. Sowas nachzustellen, stellte ich mir schwierig vor. Der Kellner brachte uns Wasser, Flower trank einen Schluck. Dann lächelte sie: »Es ist auch nicht einfach. Wichtig ist in erster Linie, dass man sich überlegt, wie der Charakter es einrichten würde oder was zur Szene passt.«

Gebannt sah ich sie an, rührte mein Wasser nicht an. Ich hatte das Gefühl, ich würde sonst nicht mehr die Chance bekommen, ausführlich mit ihr zu reden.

»Nehmen wir mal Wolfs Zimmer. Dann überlegt man sich, okay, er ist Austauschstudent. Da er Thailand mag wird er nach und nach Souvenirs und Bilder von Ausflügen ansammeln. Außerdem lernt er gerade Thai, da dürfen entsprechende Bücher natürlich nicht fehlen«, erklärte sie.

»Das ist richtig cool, Flower!«, ich konnte den schwärmerischen Tonfall nicht unterdrücken.

»Aber ihr könnt das nicht allein entscheiden, oder?«, stellte ich schnell die nächste Frage, um nicht aufzufallen. Auch das Essen kam, aber auch das ging an mir vorbei. Flower begann zu essen.

»Uns wird mitgeteilt, welche Sets Dekoration benötigen und wir fertigen Skizzen an. Besprechen die grobe Richtung mit dem Team und wenn das abgesegnet wird, setzen wir uns dran. Es kann trotzdem immer sein, dass nachträglich was geändert wird.«

Gespannt lauschte ich ihr. »Und woher nimmst du deine Ideen?«

Flower deutete auf mein Essen: »Willst du nicht auch erst mal essen, Moon? Bevor es kalt wird?«

Hastig nahm ich einen Bissen, hatte aber nicht wirklich Hunger. Dafür war ich ohnehin viel zu nervös.

»Meistens braucht man sich nur umzuschauen. Egal wo ich bin, ich beobachte viel, versuche mir so viele Gegenstände und Details wie möglich einzuprägen. Daher kommt auch die Inspiration.«

Wie aufs Stichwort sah ich mich tatsächlich um und mir fiel auf, dass im Restaurant Blumentöpfe von der Decke hingen. Die hatte ich gar nicht bemerkt. Ich beschloss in Zukunft aufmerksamer zu sein. Wusste sie deshalb auch, dass ich Moon war?

»Dann wundert es mich nicht, dass unsere Sets immer so schön aussehen. Ich bewundere diese Kreativität«, sagte ich und aß, um sie nicht ansehen zu müssen.

»Freut mich, dass dir Sets gefallen. Aber irgendwann bekommt man ein Gefühl dafür. Moon, ich möchte nicht die ganze Zeit über mich reden. Magst du mir nicht auch was über dich erzählen? Ich finde den Schauspielerberuf auch sehr spannend.«

Ich sah kurz auf, fühlte mich geschmeichelt, dass es sie interessierte. Daher erzählte ich vom Casting und, dass es schon immer mein Traum war, an einem Set zu arbeiten.

»Wow. Ich glaube, dann leben wir wohl beide unseren Traum.«

Wir unterhielten uns noch eine Weile, langsam taute ich ein bisschen auf und es begann Spaß zu machen. Gefühlt hörten wir gar nicht mehr auf. Als jedoch eine kurze Stille entstand, nutzte ich die Chance.

»Darf ich fragen, warum du wusstest, dass ich Moon bin?«

Sie brauchte einen Moment, um zu antworten: »Wenn man euch beobachtet, fällt schnell auf, wie unterschiedlich ihr seid. Finde ich.«

Sie hatte uns beobachtet? Bei dem Gedanken lief mir ein warmer Schauer über den Rücken. Immer wieder musste ich meine Hände an meinem Rock abwischen.

»Normalerweise können die Leute uns nicht auseinanderhalten«, gab ich leise zu. Aber vermutlich hing es einfach mit ihrer Beobachtungsgabe zusammen. Sie lehnte sich vor, sah mich besorgt durch ihre Brille an: »Ist es komisch, dass ich das kann?«

Ich schüttelte den Kopf, wollte gerade antworten, da klingelte ihr Handy. Seufzend zog sie es aus der Tasche.

»Sorry, da muss ich drangehen.«

Flower entfernte sich vom Tisch und ich lehnte mich enttäuscht zurück. Ich wünschte mir, ich könnte noch ewig mit ihr reden. Ihre Abwesenheit nutzte ich dafür, um die Rechnung zu begleichen. Nach ein paar Minuten kam sie zurück, hatte einen entschuldigenden Ausdruck aufgesetzt.

»Es tut mir leid, aber ich muss ans Set. Es kamen noch ein paar Änderungen rein, die wir sonst bis zum Nachmittag nicht schaffen«, erklärte sie.

Wir nahmen uns ein Taxi zurück zum Set, denn alleine wollte ich auch nicht dort bleiben. Meinen nächsten Plan hatte ich schon im Visier. Trotz ihrer Proteste bezahlte ich auch das Taxi. Am Set schien sie überhaupt nicht zu bemerken, dass ich ihr folgte. Erst als sie an ihrer Baustelle angekommen war, sah sie mich fragend an.

»Ich möchte helfen«, sagte ich, krempelte symbolisch die Ärmel hoch. Das Gespräch mit ihr hatte mich mutiger werden lassen. Flower bekam Unterlagen in die Hand gedrückt, sah mich unsicher an.

»Das ist nett, Moon. Aber ich weiß nicht, ob das geht. Nicht, dass ich mich nicht freuen würde, aber ich kann doch niemanden vom Cast beanspruchen. Was wäre denn, wenn du dich verletzt?«, brachte sie Zweifel an. Vielleicht hatte sie wirklich recht und ich wollte zu viel. Gerade als ich enttäuscht den Rückweg antreten wollte, sagte sie:

»Ich spreche mit P’Star, okay?«

Der Gedanke, dass ich doch noch helfen könnte, ließ Vorfreude in mir aufsteigen. Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen.

3. Blüte

P’Star schien etwas verwirrt zu sein, warum plötzlich jemand vom Cast mit dem Team arbeiten wollte. Trotzdem gab er seine Zustimmung, unter der Bedingung, dass ich vorsichtig sein würde. In dem Kittel sah ich zwar aus wie jemand aus dem Chemielabor, aber es störte mich nicht. Flowers und meine Baustelle heute war ein Hörsaal. Sie zeigte mir wie man die Skizzen verstehen musste und wo ich die entsprechenden Gegenstände finden konnte. Während sie kompliziertere Sachen übernahm, wie zusammenschrauben, platzierte ich einfach Gegenstände. Es machte Spaß, aber leider hatte ich weder viel Zeit mit ihr zu reden noch sie anzusehen. Flower huschte durch den Raum, war so in ihre Arbeit vertieft, dass sie nichts um sich herum wahrnahm. Als sie kurz innehielt, um ihr Werk zu betrachten, kam jemand aus dem Team und gab ihr eine Liste. Ich stand zu weit weg, konnte nicht hören, worüber sie sprachen. Ihr Gesichtsausdruck verwandelte sich in einen genervten und sie rief:

»Bis heute Abend? Und ihr wollt niemanden mitschicken?«

Flower ließ die Schultern sinken, kam auf mich zu.

»Moon, das ist mir etwas peinlich, aber darf ich dich um etwas bitten?«
 

Da niemand sonst Zeit hate, fuhr ich mit ihr zum Einrichtungshaus, um die restlichen Sachen zu besorgen. Endlich konnte ich den Kittel hinter mir lassen. Während ich glücklich neben ihr herlief als sie den Wagen schob, sah sie eher gequält aus. Konzentriert ging sie die Liste durch, mittlerweile befanden wir uns in der Deko-Abteilung. Flower seufzte:

»Es gefällt mir nicht, dass wir dich wie eine Praktikantin benutzen, Moon. Statt hier zu sein, solltest du dich vor deinem Einsatz ausruhen. Wenn nur nicht immer so viele Leute ausfallen würden.«

Als wir den Gang mit den Bilderrahmen betraten, suchte ich ihren Blick: »Ich bin gerne deine Praktikantin, Flower! Außerdem ist es doch nur eine Ausnahme.«

Sie legte mir ihre Hand auf den Arm: »Danke, das ist wirklich eine große Hilfe.«

Eine flüchtige, kleine Berührung, die mir ein angenehmes Kribbeln durch den Körper fahren ließ. Ich war wirklich froh, dass ich sie eingeladen habe. Denn ich konnte nicht nur viel über sie lernen, in dieser kurzen Zeit, sondern wusste auch, dass es nicht nur eine Schwärmerei war. Flower und ich besorgten die Sachen, da wir uns beeilen mussten, teilten wir uns auf. Irgendwann war der Wagen voll und wir machten uns erschöpft auf den Weg zur Kasse. Aus meiner Frisur hatten sich mittlerweile einige Strähnen gelöst. Zusätzlich zu den Sachen im Wagen, musste ich auch noch einiges tragen. Als mir immer wieder eine Strähne ins Gesicht fiel, versuchte ich sie wegzupusten, weil ich keine Hand frei hatte. Doch es gelang mir nicht.

»Sag‘ doch was«, sagte sie lachend und strich mir die Strähne hinters Ohr. Immer wenn sie mich berührte, war sie sehr vorsichtig, als müsse sie erst herausfinden, ob es okay wäre.

Währenddessen hoffte ich, dass es öfter passieren würde.
 

Mein sogenanntes Praktikum sollte länger dauern als ich dachte. Immer wenn es ging, versuchte ich zu helfen. P’Star verstand meine Motivation weiterhin nicht, doch es schien ihn auch nicht zu stören. Immerhin konnte ich vom Team lernen und in meiner Freizeit stand es mir ohnehin frei, zu tun was ich wollte. Es baute mich auf, denn am Ende des Tages hatte Flower immer ein Lächeln für mich übrig. Sie erzählte auch gerne von ihrer Familie und ihrer Unizeit, sodass ich nach und nach mehr über sie herausfand.

»Glaubst du, dass du bei »Wolfsherz« im Abspann noch als Cast oder schon als Team geführt wirst?«, witzelte sie gerade, als wir ein paar Blumen zu einem Außenset transportierten. Ich lachte: »Hoffentlich beides.«

Wir stellten die Blumen ab und ich wischte mir mit dem Handrücken über die Stirn. Es war ziemlich warm und der wolkenlose Himmel ließ die Sonne gnadenlos auf uns scheinen.

»Zumindest sollten sie drüber nachdenken. Ich habe noch nie jemanden vom Cast gesehen, der so engagiert dem Team mitgeholfen hat«, erklärte sie und stellte die Blume ab. Ich wandte mich lieber ab, wollte nicht, dass sie mir irgendetwas ansah. Was sollte ich was dazu sagen? Hinterher würde Flower denken, ich hätte mich nie für ihre Arbeit interessiert.

»Ich mache das gerne«, sagte ich schnell und sah auf die übergroßen Gartenhandschuhe, die überhaupt nicht zu dem weißen Sommerkleid passten, welches ich trug. Als Flower mir eine Hand auf die Schulter legte, drehte ich mich um.

»Ich weiß. Kann ich mich dafür irgendwie erkenntlich zeigen?«, ihre Tonfall war ungewohnt leise. Der Sonnenhut, der ihr schief auf dem Kopf saß, ließ sie frech aussehen. Das war eine Chance, die ich mir nicht entgehen lassen konnte.

»Ja.«
 

Nach Drehschluss zog ich mich schnell wieder um, ließ meine Haare offen. Es war schon nach 22 Uhr und ich wusste nicht, ob meine Verabredung noch klappen würde. Ich ballte die Hand zur Faust. Ausgerechnet heute, wo ich mit ihr verabredet war, hatte am Set nichts geklappt. Es war, als hätten wir in Zeitlupe gearbeitet. Schnell sah ich noch in einen der Spiegel, die in der Maske standen. Cai, der es sich auf einem der Stühle bequem gemacht hatte, fragte: »Was hast du es denn so eilig, Moon?«

»Ich bin verabredet«, sagte ich hastig, war schon mit einem Bein aus der Tür.

»Dann viel Spaß.«

Kaum hatte er das ausgesprochen, rannte ich. Um die Uhrzeit war auf dem Campus nicht mehr viel los, vereinzelt sah man noch Leute vom Team abbauen. Trotzdem wusste ich, dass sie längst Feierabend hatte. Unzählige Korridore, Türen und Treppen später, erreichte ich endlich das Dach. Wir wollten uns vor über einer Stunde treffen, ich würde es ihr nicht übelnehmen, wenn sie nicht warten würde. Ich stieß die Tür zum Dach auf, vor dem Zaun stand eine Bank. Flower war auch da. Sie hatte tatsächlich gewartet! Mit weichen Knien ging auf den Zaun zu, sah, dass sie Getränke und Snacks vorbereitet hatte. Ohne etwas zu sagen, setzte ich mich neben sie.

»Moon. Da bist du ja!«, auch wenn es fröhlich klang, fühlte ich mich schrecklich.

»Es tut mir so leid, Flower. Heute hat irgendwie nichts geklappt!«, meine Hände gruben sich in das Holz der Bank. Sie reichte mir eine Dose Cola: »Erhol‘ dich erstmal. Ich habe schon gesehen, dass es länger dauern wird. Wenn ich mich mit Schauspielern verabrede, rechne ich ohnehin nicht damit, dass sie pünktlich sind. Das ist einfach zu schlecht planbar.«

Ich sah sie mit großen Augen an, doch nichts deutete daraufhin, dass sie sauer war. Ich hatte Glück, dass sie am Set arbeitete und mir so viel Verständnis entgegenbrachte. Ich nahm die Dose an mich: »Danke. Trotzdem hast du gewartet.«

Sie sah in die Ferne und nickte: »Du hast es dir gewünscht und außerdem..«, für einen Moment geriet sie ins Stocken: »Habe ich mich darauf gefreut.«

Ich konnte überhaupt nicht verarbeiten, was sie sagte. Als mein Herz kurz vor dem Explodieren war, mahnte mein Kopf mich zur Vorsicht. Sie könnte sich schließlich freuen, einfach mit einer Freundin abzuhängen.

»Das ist schön«, sagte ich vor mich hin, als sie plötzlich näher rückte.

»Es ist vielleicht komisch, aber, darf ich deine Haare anfassen, Moon?«

Je näher sie kam, desto intensiver nahm ich ihren Duft wahr, desto mehr begann ich zu zittern.

»Mhm«, brachte ich hervor, um meine Zustimmung zu signalisieren. Als ihre Finger meinen Kopf berührten, bekam ich Gänsehaut. Musste mich davon abhalten, die Augen zu schließen. Flower ließ ihre Finger durch meine Haare gleiten.

»Deine Haare sind so schön«, sagte sie schwärmerisch.

Ich konnte nicht antworten, umklammerte stattdessen die Coladose, als würde mein Leben davon abhängen. Immer wieder geisterten die gleichen Gedanken in meinem Kopf herum. Trotz des schönen Moments war ich zu feige, irgendetwas zu sagen. Auf einmal nahm sie meinen Kopf in beide Hände, drehte ihn zu sich. Unsere Blicke trafen sich und in ihren Augen lag etwas, was ich nicht deuten konnte. Ich war nur noch eine Statue. Traute mich nicht mal zu blinzeln.

»Was ist, wenn ich dir sage, dass ich dich süß finde? Was ist, wenn ich dir sage, dass ich mir wünsche, du würdest dich nicht nur für meine Arbeit interessieren?«, fragte sie und ich musste mich selbst dran erinnern zu atmen.

4. Blüte

Ich blinzelte ein paar Mal. Hatte sie das wirklich gerade gesagt? Ihr erwartungsvoller Blick lag auf mir, doch ich brauchte eine Weile, um mich zu sammeln. Flowers Blick wurde traurig:

»Moon, es…«, setzte sie an. Ich wusste, dass ich jetzt schnell sein musste. Es war Zeit für die Wahrheit, diese Gelegenheit würde ich kein zweites Mal bekommen.

»Flower. Was ist, wenn ich dir sage, dass es mir genauso geht? Was ist, wenn ich dir sage, dass ich mich mehr für dich als deine Arbeit interessiere?«, mit klopfendem Herzen sah ich sie an. Die Freude, die ich in ihren Augen aufblitzen sah, zeigte mir, dass es sich gelohnt hatte.

»Wirklich?«

Ich nickte: »Ich weiß, es war ein bisschen gemein mich ranzuschleichen, Flower. Aber, dass ich gerne helfe, war nicht gelogen.«

Sie nahm meine Hand in ihre und ich erwiderte den sanften Druck. Ich war überrascht, dass Flower so mutig war.

»Dass es dir Spaß macht, ist nicht zu übersehen. Außerdem scheint die Strategie erfolgreich gewesen zu sein.«

Ich nahm all meinen Mut zusammen, legte ihr meinen Kopf auf die Schulter. »Ja, auch wenn sie nicht allein meine Idee war«, murmelte ich. Flower erwiderte meine Geste, in dem sie ihren freien Arm um mich legte und mich an sich zog. Ich spürte diese Berührung am ganzen Körper, hatte mich schon lange nicht mehr so wohlgefühlt. Noch dazu konnte ich mein Glück kaum fassen. Es war wie eine Szene aus einem Film. Sie, die Nacht und meine kleine Wahrscheinlichkeit. Lange genossen wir die nächtliche Atmosphäre, lauschten dem Wind und dem Rauschen der Autos.

»Glaubst du, wir können einfach so weitermachen?«, fragte ich in die Nacht hinein.

Kaum merklich nickte sie: »Ja, können wir.«
 

Flower und ich trafen uns danach öfter, auch außerhalb des Sets. Ich schaffte es auch, sie meiner Schwester vorzustellen. Sun war nicht begeistert von dem Gedanken, dass ich mich für jemanden interessierte. Doch es lag nicht daran, dass Flower eine Frau war, sondern viel mehr, dass sie Angst hatte, verwechselt werden zu können. Diese Angst konnten wir ihr jedoch schnell nehmen. Mit Flower machte es immer Spaß, sie war witzig und musste sich meist alle fünf Minuten irgendetwas aufschreiben. Sie sprudelte nur vor Ideen. Jeder Tag mit ihr am Set war ein guter Tag für mich.
 

Am Tag der Premiere schlich ich mich aus der Maske. Da wir als Cast bis zum Abend ohnehin nicht viel zu tun hatten, würde es nicht auffallen. Außerdem hatte Sun mir versprochen, sich im Notfall als mich auszugeben. Es gab schließlich noch genug Leute, die das nicht merken würden. Eine kurze Suche reichte schon, um Flower zu finden. Seufzend musste ich zusehen, wie sie irgendwelche Lichter in Richtung des Saals schleppte. Nicht einmal heute konnte sie aufhören zu arbeiten, obwohl es nicht einmal ihre Aufgabe war. Ich folgte ihr in den Saal, fand mich auf der großen Bühne wieder. Viele Leute waren hier am Arbeiten, installierten Technik. Fasziniert sah ich mich um. Hier würden wir also unsere erste Folge sehen. Der Raum war selbst mit Licht noch ziemlich dunkel. Flower wurden die Lampen von jemandem abgenommen. Sie wollte gerade den Rückweg antreten, da packte ich sie am Arm.

»Moon?«

Bevor sie weitersprechen konnte, zog ich sie hinter den Bühnenvorhang.

»Flower, warum arbeitest du denn schon wieder?«, ich versuchte nicht allzu vorwurfsvoll zu klingen. Sie legte ihre Hände an meine Hüften, zog mich an sich. Die plötzliche Berührung brachte mich aus dem Konzept, ließ mich kurz innehalten.

»Damit ihr nachher eine gute Premiere haben könnt. Ich kann nicht untätig herumsitzen, wenn alle arbeiten, Moon«, erklärte sie. Auch wenn es nicht wie eine Ausrede klang, musste ich mich vergewissern.

Ich sah sie eindringlich an: »Aber P’Star hat dich nicht gezwungen, oder?«

Flower lachte: »Nein. Wahrscheinlich weiß er es nicht mal.«

Lächelnd schüttelte ich den Kopf. So war sie nun mal. Egal ob sie Dekorateurin war oder nicht, sie liebte die Arbeit am Set und tat alles dafür. Auch ich legte meine Arme um sie. Ich wollte meine Chance wahrnehmen, heute zwei Premieren zu feiern. Hier hinter dem Vorhang waren wir sicher, niemand würde uns sehen. Langsam näherte ich mich und küsste sie. Unsicher erwiderte sie den Kuss, es schien, als wären wir beide nicht sehr erfahren. Trotzdem war es das erste Mal, dass ich mich komplett fallen lassen konnte. Dieser zurückhaltende Kuss bedeutete mir unheimlich viel. Denn es hieß, dass ich endlich über meinen Schatten gesprungen war. Obwohl die Hürde am Anfang unglaublich hoch schien. Als wir uns lösten lächelte sie mich an:

»Wie romantisch, hier auf der Bühne.«

»Natürlich, es ist schließlich eine Premiere. Und du wirst jetzt nicht mehr arbeiten!«

Lachend zog ich sie hinter dem Vorhang hervor in Richtung Ausgang. Ich würde persönlich dafür sorgen, dass diese Premiere wunderschön für sie werden würde.
 

Kurz bevor wir mit dem Cast in den Wagen stiegen, der uns zum roten Teppich bringen würde, umarmte ich Cai. Etwas perplex klopfte er mir unsicher auf den Rücken: »Alles gut, Moon?«

Ich lehnte ich ein bisschen zurück, strahlte ihn an: »Noch viel mehr als das. Danke, Cai!«

Der strafende Blick des Tigers konnte mir nichts mehr anhaben. Ich hatte mein Glück gefunden und es hatte kaum mehr gebraucht, als mich Cai anzuvertrauen. Dafür würde ich ihm ewig dankbar sein.
 

22.03.2023

Halcy



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