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Wetten, dass ...?

von

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#1

Als Leader einer international erfolgreichen Rockband war Kaoru es gewöhnt, dass er sich ins Zeug legen musste, damit alles so verlief, wie er es sich vorstellte. Besonders Touren außerhalb Japans stellten eine ganz eigene Herausforderung dar. Seit frühster Kindheit wusste er, dass der Schlüssel zum Erfolg, egal in welcher Disziplin, darin lag, ehrgeizig und zielorientiert zu arbeiten und sich auf nichts anderes, als sein logisch strukturiertes Denken zu verlassen. Sentimentale Gefühle waren gut und schön für alle, die eine Familie gründen wollten, sich sozialen Projekten verschrieben hatten oder an und mit Menschen arbeiteten. Nichts von alldem traf auf ihn zu.

Hinter vorgehaltener Hand nannten ihn alle, die schon einmal mit ihm zusammengearbeitet hatten, einen Workaholic, weil ihm die Arbeit stets das Wichtigste war, aber wer gab schon etwas auf die Meinung anderer? Er jedenfalls nicht; schönen Dank auch. Seinem Perfektionismus – und nein, diesen Charakterzug konnte und wollte er nicht abstreiten – war es zu verdanken, dass er während der Wintermonate ausschließlich in ungemütlicher Dunkelheit erwachte. An wirklich jedem Morgen, um genau zu sein, selbst wenn er sich den Luxus eines freien Tages gegönnt hatte, und das ohne Wecker, verstand sich. Seine innere Uhr funktionierte tadellos, jedenfalls hatte er das bis eben noch angenommen. Kein Wunder also, dass sich unverzügliche Irritation einstellte, als er die Augen öffnete und sich ein gleißend heller Sonnenstrahl zielsicher durch seine Netzhaut bis ins Zentrum seines Hirns brannte.
 

Stöhnend drehte er sich von dem stellaren Angreifer weg, versteckte seinen dröhnenden Schädel unter der Bettdecke und verfluchte die Welt, die sich eindeutig gegen ihn verschworen hatte. Warum nur plagten ihn plötzlich diese grausamen Kopfschmerzen und weshalb rumorte es in seinem Magen? In seinem Mund herrschte ein Geschmack, als wäre über Nacht ein Tier auf seine Zunge gekrochen und dort verendet, was zumindest das pelzige Gefühl darauf erklärte. Ob er sich etwas eingefangen hatte?
 

Seine Irritation schnellte in neue Höhen, als Erinnerungsfetzen der letzten Nacht wie ein Stroboskop vor seinem inneren Auge aufzublitzen begannen und das Sperrfeuer in seinem Hirn verzehnfachten. Verdammt, wo waren Schmerztabletten, wenn man welche brauchte? Und warum hatte er sich überreden lassen, mit Die und Toshiya auf den erfolgreich abgewickelten Werbevertrag anzustoßen? Er hätte es besser wissen müssen, schließlich war er alles andere als trinkfest und erst recht keine zwanzig mehr. Nicht einmal mehr dreißig und die Vierziger gingen mit strammen Schritten ihrem Ende entgegen, worüber er gar nicht so genau nachdenken wollte.

Großartig. Nun gesellte sich zu seinem verständlichen Wunsch, mit dem Kopf gegen die nächstbeste Wand rennen zu wollen, noch eine gehörige Portion Selbstmitleid. Er war alt. Alt und verkatert und eindeutig zu spät für jedes Meeting, das an diesem Morgen angesetzt gewesen wäre.

Normalerweise hatte er seine Termine im Kopf, alle, ohne jemals einen zu vergessen, aber heute konnte er von Glück reden, wenn er noch wusste, wie er hieß und mit welchem Kanji sein Nachname geschrieben wurde.
 

„Ugh.“ Ächzend rollte sich Kaoru auf die Seite, schob erst ein, dann das andere Bein über die Bettkante und versuchte, so lange wie möglich in der Horizontalen zu bleiben. Mit jedem Zentimeter, den er sich aufrichtete, wurde der Druck in seinem Kopf stärker und sein Magen machte Anstalten, sich selbst zu verdauen. Die Welt hasste ihn eindeutig und er konnte dieses Gefühl nur aus vollem Herzen zurückgeben. Eine Hand über den Mund gepresst und die Augen kaum weitgenug geöffnet, um zu erkennen, wohin er ging, stolperte er durch die Schlafzimmertür und über den schmalen Flur. Gut, dass er schon seit Jahren in diesem Appartement lebte, denn ohne die Vertrautheit seiner Umgebung hätte er das Badezimmer nicht rechtzeitig erreicht und was dann geschehen wäre, daran wollte er lieber nicht denken.
 

Genauso wenig wollte er sich daran zurückerinnern, was er dort die nächste halbe Stunde über getan hatte, als er nach Duschgel und Zahnpasta duftend mit leicht tropfenden Haaren und einem Handtuch um die Körpermitte geschlungen wie ferngesteuert zurück auf den Flur schlurfte. Das Dröhnen in seinem Schädel hatte dank einiger Schmerztabletten nachgelassen, dafür fühlte sich sein Magen jetzt noch flauer an. Aber sich deshalb keinen Kaffee zu gönnen, kam nicht infrage. Schlimm genug, dass seine heiß geliebte Routine für die Katz war, auf seinen einzigen Luxus am Morgen zu verzichten, käme einem Sakrileg gleich. Bevor er jedoch seine zweckmäßig ausgestattete Küche erreichte, lenkte er seine Schritte hinüber zur Eingangstür, wo auf dem Fußboden die Tageszeitung auf ihn wartete. Einen Postschlitz nach amerikanischem Vorbild einbauen zu lassen, war die beste Optimierungsidee gewesen, die er seit seinem Einzug hier gehabt hatte. Wer wollte sich noch im Halbschlaf schon mit dem Zeitungsboten unterhalten? Er sicher nicht.
 

Als sich Kaoru also bückte, um die Tageszeitung aufzuheben, fielen ihm gleich mehrere Dinge auf.

Erstens stand neben seinen ordentlich platzierten Schuhen unter den drei Wandhaken, die ihm als Garderobe dienten, ein fremdes Paar Biker-Boots.

Zweitens hing am rechten Haken ein schwarzer Designerwollmantel, den er zwar kannte, der jedoch nicht ihm gehörte.

Und drittens lag neben der schmalen Kommode, die ihm meist als Ablagefläche für Schlüssel und Handy diente, unordentlich hingeworfen eine schwarze Umhängetasche auf dem Boden.

Kaoru richtete sich auf, die Zeitung in der rechten Hand und atmete tief durch. Bei dieser Gelegenheit bemerkte er noch ein viertes Detail, das ihm bis eben tatsächlich nicht aufgefallen war – es roch nach Kaffee und würziger Misosuppe.

#2

Kaorus Mundwinkel zuckten mehrmals unkontrolliert, weil sie sich nicht entscheiden konnten, ob sie seine Lippen zu einem Lächeln nach oben oder zu einer mürrischen Kurve nach unten ziehen wollten. Verübeln konnte er es ihnen nicht, denn nicht einmal er selbst war sich darüber im Klaren, wie er zu seinem unverhofften Übernachtungsgast stand. Es musste Jahre her sein, dass er zum letzten Mal in die Verlegenheit gekommen war, Die bei sich nächtigen zu lassen. Seine Wohnung war sein Reich, sein Refugium, und er schätzte es nicht, sie mit jemandem zu teilen. Nicht umsonst war er überzeugter Single und hatte nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, sich ein Haustier zuzulegen. Er brauchte keine Gesellschaft, um sich wohlzufühlen, zumindest war dieser Satz in den letzten Jahren zu seinem Mantra geworden. Was also machte der andere hier? War Die zu betrunken gewesen, um sich von einem Taxi nach Hause bringen zu lassen? Und wo war Toshiya?
 

„Oh bitte nicht.“ Kaoru fuhr sich durchs Haar, das ihm zu allen Seiten vom Kopf abstand, bevor er Daumen und Zeigefinger gegen seine Nasenwurzel presste. Sollte sich der Bassist auch noch bei ihm einquartiert haben, würde sein Schädel explodieren, da war er sich sicher. Nicht, dass er etwas gegen den jüngeren Mann hatte, wenn dem so wäre, hätte einer von ihnen das viertelte Jahrhundert ihrer Zusammenarbeit schließlich nicht überlebt, aber Toshiyas Energie konnte er nur in kleinen, wohlüberlegten Dosen ertragen. Geschlagen schlurfte er zurück ins Schlafzimmer und zog sich Jogginghosen und Hoody über. Etwas, was er in seiner Verfassung noch weniger ertragen konnte als Gesellschaft, war besagter Gesellschaft halb nackt gegenüberzustehen.
 

Während seines kurzen Umwegs hatten sich seine Mundwinkel entschieden, seine Lippen in eine neutrale Position zu bringen, bevor er die Küche betrat. Die saß allein am kleinen Tisch, augenscheinlich in sein Handy vertieft, doch das leise Knarren einer Bodendiele reichte aus, um seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit auf Kaoru zu lenken. Tiefbraune Augen fixierten ihn und die Wärme, die stets in seinem Blick lag, schien durch die dunkelroten Haare, die sein Gesicht in langen, gewellten Strähnen umrahmten, noch intensiver geworden zu sein.
 

Rot.

Kaoru würde ihn immer mit dieser Farbe in Verbindung bringen. Nicht mit dem Feuerrot, das sich in das kollektive Gedächtnis ihrer Fans gebrannt hatte, sondern genau mit diesem Farbton, der ihn an gefallenes Herbstlaub erinnerte.
 

Für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte er in jeder Bewegung, fühlte sich zurückversetzt in eine Zeit, als eine eigene Wohnung noch ein weitentfernter Wunsch und Dies melodisches „Guten Morgen“ jeden Tag das Erste gewesen war, was er gehört hatte. Die Vergangenheit schob sich über Dies Gesicht, rundete seine Wangen und tilgte Fältchen, die er so vehement zu kaschieren versuchte. Plötzlich war es, als wäre keine Zeit vergangen, als stünden sie erst noch vor dem großen Durchbruch, der die letzten Jahrzehnte ihres Lebens geprägt hatte. Sein Herz schlug hart gegen seinen Brustkorb und ein nachdrückliches Ziehen machte ihm das Atmen schwer. Sein erster Gedanke galt seinem Kardiologen, der ihm schon seit Monaten dazu riet, es langsamer angehen zu lassen, doch Kaoru war noch nie der Mensch gewesen, der sich selbst etwas vormachen konnte. Er kannte dieses Gefühl, diese angestrengten Kontraktionen eines Muskels, der überflüssig wäre, würde sein Leben nicht von ihm abhängen.
 

„Ich hab mich noch immer nicht an die roten Haare gewöhnt“, brummte er, fuhr sich noch einmal durch den Wust auf seinem Kopf und ließ sich schwer auf den Stuhl Die gegenüber fallen.
 

„Dir auch einen schönen guten Morgen, Kaoru.“
 

„Ja, ja.“ Er griff nach der Kaffeetasse, die für ihn bereitstand und der Kanne, bevor er sich eingoss. „Ernsthaft, musste das sein? Erst Shinya und jetzt du, ich hab das Gefühl, als müsste jeden Moment Kisaki durch die Tür spazieren.“
 

„Na komm, zum fünfundzwanzigsten Bandjubiläum kann man sich schon mal an die Anfänge zurückerinnern.“
 

„Solange ihr nicht von mir verlangt, meine Haare lila zu färben, soll es mir recht sein.“ Er seufzte, trank einen großen Schluck seines Kaffees und seufzte erneut. „Was grinst du so und was machst du überhaupt hier? Hast du dich gestern so abgeschossen, dass ich es nicht verantworten konnte, dich vom Taxi nach Hause bringen zu lassen?
 

„Vielmehr das komplette Gegenteil. Toshiya und ich hatten unsere liebe Mühe damit, deinen rotzbesoffenen Arsch in den fünften Stock zu hieven. Wie lange geht hier der Aufzug schon nicht mehr?“
 

„Drei Monate, die Hausverwaltung ist angeblich dran. Und wo ist Toshiya?“
 

„Vermutlich auf dem Weg zu seiner Familie, er war gestern noch der Nüchternste von uns. Willst du etwas essen?“
 

Familie? Ach ja, Kaoru erinnerte sich. Nun, da die meisten pandemiebedingten Einschränkungen bei öffentlichen Veranstaltungen gefallen waren, hatten das Management und er beschlossen, zum Jahreswechsel eine aufwendige Silvestershow auf die Beine zu stellen. Wie erwartet waren vor allem Toshiya und Shinya darüber nicht sonderlich glücklich gewesen, da sie traditionell das Neujahr mit ihren Familien feierten. Zur Versöhnung aller hatte er daher entschieden, seine Kollegen eine Woche in den Weihnachtsurlaub zu schicken. Natürlich war es nicht das gleiche, das neue Jahr einige Tage zu früh zu feiern, aber so konnte sich wenigstens niemand darüber beschweren, gar nicht freibekommen zu haben. Und das Beste an der Sache war, dass er heute tatsächlich kein Meeting versäumt hatte. Der Anruf bei Fujida würde ihm somit erspart bleiben – halleluja.
 

Die schien keine Antwort von ihm erwartet zu haben, denn gerade stellte er ihm eine kleine Schale Suppe vor die Nase. So flau, wie sich sein Magen noch immer anfühlte, hatte er damit gerechnet, der intensive Geruch würde ihm den Rest geben, aber tatsächlich war das Gegenteil der Fall. Der erste Schluck der salzigen Brühe war wie ein Tropfen Wasser auf ausgedörrtes Land und weckte Lebensgeister, die er bis eben noch tot geglaubt hatte.
 

„Schmeckt gut, hast du selbst gekocht? Ich wusste gar nicht, dass ich alle Zutaten hier habe.“
 

„Hattest du nicht, aber uber Eats macht es möglich. Obwohl ich zugeben muss, dass ich auch gern für dich gekocht hätte.“
 

„Mh.“ Kaoru versuchte, dieser Aussage nicht zu viel Bedeutung beizumessen, und fragte sich stattdessen, wie er so tief hatte schlafen können, dass er nicht einmal das Klingeln an der Wohnungstür gehört hatte. Oder hatte Die den Lieferanten extra abgepasst, um ihn nicht zu wecken? Nein, so viel Umsicht traute er dem anderen nicht zu. Sein Herz hingegen schien anderer Meinung und reagierte auf Dies Fürsorglichkeit mit erneutem Ziehen. Dummes Ding.
 

„Hast du schon gegessen?“
 

Die nickte. „Ich bin schon eine ganze Weile wach. Mein Rücken ist einen Gästefuton nicht mehr gewöhnt.“
 

Kaoru verbarg sein Grinsen hinter einem weiteren Löffel Suppe. Ja, ja, das Alter ging eben auch an seinem Freund nicht spurlos vorbei, auch wenn er ihm ständig das Gegenteil weismachen wollte.

„Ihr hättet mich abhalten sollen, so viel zu trinken.“
 

„Hast du schon einmal versucht, dich von etwas abzuhalten?“ Die lachte herzhaft, überschlug die Beine und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Du wolltest gestern partout nicht mit der Sprache rausrücken, was dir die Laune verhagelt hat, also dachten wir uns, bevor du noch unleidiger wirst, lassen wir dir lieber deinen Spaß.“
 

„Unleidiger? Ich war noch nie in meinem Leben unleidig.“
 

„Nein, natürlich nicht. Dann kannst du mir jetzt sicher erzählen, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist. Immerhin haben wir gestern einen riesen Werbevertrag unterschrieben, das hätte doch selbst dich zufriedenstellen müssen.“
 

Tja, was genau war gestern vorgefallen, dass seine Laune auf direktem Wege in den Keller verfrachtet hatte? Gute Frage. Bis eben hätte er noch ungelogen behaupten können, dass er rein gar nichts mehr wusste. Je länger er jedoch Die gegenübersaß und in sein viel zu gut gelauntes Gesicht sah, desto klarer wurden seine Erinnerungen. Es hatte alles mit diesen unerträglich vertrauten roten Haaren begonnen.

#3

Seinen Freund gestern so zu sehen, war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen.

Dies neue, alte Haarfarbe hatte seinen Verstand mit der Erinnerung an ein Geständnis geflutet, das ihm so schwergefallen war, wie nichts zuvor und danach in seinem Leben. Die Enttäuschung und Scham von damals war so augenblicklich zurückgekehrt, als hätten die Narben seiner Seele nie Zeit gehabt, zu heilen. Er hatte geglaubt, alles, was vor so vielen Jahren zwischen Die und ihm geschehen war, längst mit Logik überdeckt zu haben, aber sein dummes, altes Herz war anderer Meinung gewesen.

 

Seine Gefühlswelt war erneut im Chaos versunken, genau wie an diesem fatalen Silvester 1996, als sie mit La:Sadie's endgültig abgeschlossen hatten und frei waren, ihren musikalischen Traum endlich zu verwirklichen. Die und er hatten sich erst vor etwas mehr als einem halben Jahr kennengelernt, aber für Kaoru hatte es sich von der ersten Minute an so angefühlt, als hätte er in ihm den Menschen gefunden, dessen Nähe ihm immer gefehlt hatte, ohne, dass er sich darüber klargewesen war. Sie hatten sich sofort verstanden, eine WG gegründet, jede freie Minute miteinander verbracht … aber es war nicht genug gewesen.

 

~*~

 

Es war kalt auf dem Hochhausdach, ein eisiger Wind fuhr unter seine Jacke und durch sein langes Haar, ließ ihn frösteln. In der molligen Wärme ihrer WG hatte Kaoru es noch für eine gute Idee gehalten, sich auf diese Silvesterparty zu mogeln, um ihre Kontakte in der Musikbranche auszuweiten. Gerade jedoch wünschte er sich, er hätte auf Die gehört, der einen SAW-Marathon als ihre Abendunterhaltung für heute vorgeschlagen hatte. Wenigstens war der Alkohol gut und reichlich vorhanden, auch wenn er die weitläufige Meinung, er würde von innen heraus wärmen, spätestens jetzt widerlegen konnte. Vielleicht lag sein Unwohlsein aber auch nur an dieser unerträglichen Nervosität, mit der er sich schon seit Stunden herumschlug.

 

Er hatte schon so oft versucht, mit Die über das zu sprechen, was ihm schlaflose Nächte bescherte, doch hatte nie den richtigen Zeitpunkt gefunden. Heute aber würde es soweit sein. In wenigen Minuten, um genau zu sein.

 

„Ich sagte dir doch, du sollst dir etwas Wärmeres anziehen.“ Plötzlich stand er vor ihm, der Mann, der seit Wochen seine Gedanken für sich vereinnahmte.

 

„Die!“, entfuhr es ihm lauter als beabsichtigt.

 

„Warum so überrascht? Du tust gerade so, als hätten wir uns nicht gemeinsam hier eingeschlichen.“

 

„Pst, wenn dich jemand hört, werfen sie uns noch raus.“

 

„Na und?“ Die zuckte mit den Schultern und schenkte ihm ein so entwaffnendes Lächeln, dass Kaoru für eine Sekunde wegsehen musste, um keine Dummheit zu begehen.

 

Etwas Warmes, Weiches legte sich um seinen Nacken – Dies Schal, wie er nach einem schnellen Blick auf den Stoff feststellte.

„Danke“, murmelte er und steckte ihn in den Kragen seiner Jacke, „aber jetzt frierst du.“

 

„Keine Ursache und nein, ich bin von der heißen Bowle gut aufgewärmt, du solltest dir auch eine Tasse holen.“

 

„Ja, nachher, aber … Die?“

 

„Mh?“

 

Nur noch eine halbe Minute bis Mitternacht, wenn er nicht endlich mit der Sprache rausrückte, würde er nie mehr ausreichend Mut aufbringen können. Verstohlen sah er sich um, aber der Großteil der Partygesellschaft hatte sich am Rand des Daches versammelt, um einen guten Blick auf das Feuerwerk zu haben. Nur eine Gruppe von sechs Männern stand in einem Kreis in ihrer Nähe, war jedoch so laut und mit sich selbst beschäftigt, dass sie mit Sicherheit nichts mitbekommen würden.

 

„Ich muss dir etwas sagen.“

 

„Klar, raus damit.“ Dies Wangen waren gerötet, seine Augen funkelten und noch nie zuvor hatte er für Kaoru schöner ausgesehen.

 

„Ich …“ Kaoru stockte, atmete tief durch und kratzte mit fest geschlossenen Augen das letzte Fünkchen Mut zusammen, bevor er ohne weiter darüber nachzudenken, endlich all das sagte, was ihm so sehr auf der Seele brannte. „Ich bin froh, dich kennengelernt zu haben. Du bist mir in den wenigen Monaten zu einem so guten Freund geworden, das hätte ich nie für möglich gehalten. Normalerweise brauche ich viel Zeit für mich allein, um meine Akkus wieder aufzuladen, aber mit dir ist das anders. Die, du gibst mir so unheimlich viel, und ich muss dir endlich sagen …“

Hinter ihnen begannen die Leute von zehn rückwärts zu zählen und mit einem Mal stieg Panik in Kaoru hoch. Was, wenn ihm die Zeit davonlief? Was, wenn er seine einzige Chance verpasste, Die zu sagen, wie viel er ihm wirklich bedeutete?

„Die, ich empfinde so viel mehr als nur Freundschaft für dich, ich …“

 

Die letzten beiden Worte seines Satzes wurden vom Knallen und Dröhnen der Feuerwerkskörper übertönt.

Dies Blick ruhte unverwandt auf ihm, doch wo er sonst immer eine einladende Wärme in den dunklen Augen erkennen konnte, herrschte nun nichts als eisige Kälte. Hinter Kaoru explodierte eine Rakete, tauchte sie beide in rotes Licht.

 

„Wir sind nicht schwul, Kaoru, weder du noch ich.“

 

Das war alles, was Die zu diesem Thema jemals gesagt hatte. Keine Minute später hatte Kaoru eine Tasse heiße Bowle in beiden Händen und der warme Arm seines Freundes lag um seine Schultern, während sein Inneres langsam zu Eis erstarrte. Sie hatten sich das Feuerwerk angesehen, hatten geredet, gelacht und viel zu viel getrunken, als wäre nichts geschehen. Als hätte er Die nicht sein Herz zu Füßen gelegt, ihm nie gestanden, was er wirklich für ihn empfand. In all den Jahren hatte ihn Die nie auf sein Geständnis angesprochen. Vermutlich hätte sich selbst an ihrer innigen Freundschaft nichts geändert, hätte sich Kaoru ab dem Tag nicht langsam aber stetig zurückgezogen.

 

~*~

 

Kaoru unterdrückte ein weiteres Seufzen und riss sich mit aller Macht von seinen Erinnerungen los. Vermutlich hatte ihn gestern eine Art Midlife-Crisis übermannt und er brauchte nur wieder etwas Abstand, um sich zu fangen. Es war schließlich absolut lachhaft, dass ihn ein Ereignis, das mehr als fünfundzwanzig Jahre in der Vergangenheit lag, plötzlich so aus der Bahn warf.

 

„Da muss ich deine notorische Neugierde enttäuschen, es gibt nichts zu erzählen“, stellte er mit deutlicher Verspätung klar, zuckte mit den Schultern und leerte seine Suppe. Er mochte es nicht, Die anzulügen, aber ihm den wahren Grund zu verraten, weshalb er sich gestern so abgeschossen hatte, kam absolut nicht infrage.

„Ich war gestern nur überreizt und musste mein Hirn mal zwingen, etwas abzuschalten. Es war doch ein wenig viel in den letzten Wochen.“

 

„Ja, aber das auch nur, weil du dir nie helfen lässt.“

Sein scharfer Blick schien Die unvorbereitet zu treffen, denn er zuckte so heftig zusammen, dass er beinahe mit dem Stuhl hintenübergekippt wäre. Hoppla, seit wann hatte sein Unmut eine so direkte Wirkung? Oder sah er so verboten aus? Letzteres würde ihn nicht wundern, denn normalerweise steckte der andere seine finsteren Blicke mit links weg. Beschwichtigend hob Die beide Hände und zauberte im nächsten Moment ein derart entwaffnendes Lächeln auf seine Lippen, dass Kaoru beschloss, eine weitere Schüssel Suppe wäre genau das Richtige. Alles, um diesem Lächeln zu entfliehen.

„Wie dem auch sei, es ist gut, dass ich hier bin.“

 

„Ziehe ich mir deinen ewigen Zorn zu, wenn ich das anzweifele?“

Am Herd stehend und Die kurzzeitig den Rücken zugekehrt, wechselte er seine Taktik und versuchte es zur Abwechslung mit Nonchalance. Gemessen am Grad von Dies beleidigter Miene, mit der er sich konfrontiert sah, als er sich wieder an den Tisch setzte, funktionierte das entweder perfekt oder überhaupt nicht. Er entschied sich für die erstere Variante, tauchte den Löffel in die Suppe und pustete.

„Aber wo wir schon beim Thema sind, weshalb bist du hier? Ich werde mich gestern nicht so abgeschossen haben, dass du den Babysitter spielen musstest, oder?“

 

„Nein, so schlimm war es zum Glück nicht.“ Die Lachte dieses leise, alberne Lachen, dass sich jedes Mal wellenartig in Kaorus Körper ausbreitete und ihn, egal, was gerade vorgefallen war, zufriedener zurückließ. Verflucht, wie er es hasste, so beeinflussbar zu sein. Er spürte, wie sich seine Miene zu verschließen begann, mürrisch und abweisend wurde, ohne, dass er etwas dagegen tun konnte.

„Nun schau nicht so. Ich bin hier, weil du mich eingeladen hast, die Weihnachtstage mit dir zu verbringen.“

 

„Bitte was habe ich?“

 

„Ich kann es sogar beweisen, hier.“

#4

Fassungslos starrte er auf Dies Handydisplay, von dem aus ihn der virtuelle Abspielknopf einer Sprachnachricht zu verhöhnen schien.

„Ich kann nicht glauben, dass du das aufgezeichnet hast.“

 

„Genaugenommen war es Toshiya, und wenn ich mir deine Reaktion so ansehe, bin ich froh, dass er den Mitschnitt gemacht hat. Du hättest mir das alles ohne den doch nie geglaubt.“

 

„Ich glaube das auch jetzt noch nicht.“

 

„Hör es dir gern so oft an, wie du es für nötig hältst, ich hab Zeit.“

 

„Oh, wie großzügig du doch bist.“

Kaoru brummte, was jedoch nur erneut eines dieser unsäglich angenehmen Lachen des anderen zur Folge hatte. Zähneknirschend drückte er auf das Display und sofort war die Geräuschkulisse einer gut besuchten Bar zu vernehmen.

 

„Also, dann wiederhole ich das Ganze jetzt noch mal fürs Protokoll“, erklang Dies angeheiterte Stimme aus dem kleinen Lautsprecher, gefolgt von seinem eigenen Nuscheln, dass er nun beim zweiten Hören als „Welches Protokoll?“ Identifizieren konnte. Er musste zu dem Zeitpunkt wirklich schon einiges getrunken haben, wenn seine Zunge derart schwer gewesen war. Kaoru seufzte lang gezogen, versuchte jedoch, gedanklich nicht abzudriften und sich auf das Gesprochene zu konzentrieren.

„Ich, Die, wette mit dir, Kaoru, dass ich es in den kommenden drei Tagen schaffe, dir das schönste Weihnachten zu bescheren, das du je hattest.“

 

„Ich wette dagegen.“

 

„Ja, Kaoru, das ist der Sinn einer Wette“, kicherte Toshiya und er hätte schwören können, zu hören, wie der Bassist seine Schulter tätschelte.

 

„Wenn du also“, fuhr Die fort und trank hörbar einen Schluck, „am 25. Dezember mit einem Lächeln auf den Lippen aufwachst, habe ich gewonnen.“

 

Im Hintergrund glaubte Kaoru, ihren Bassisten leise murmeln zu hören, der sich fragte, wie Die das wohl überprüfen wollte, und ja, dieser Gedanke war ihm auch schon gekommen. Sein vergangenes und sehr betrunkenes Ich hatte diesen Fehler im System jedoch nicht bemerkt und nur noch einmal lautstark bekräftigt, dass er dagegen wettete. Sein Augenrollen zu unterdrücken, wurde mit jeder verstreichenden Sekunde schwerer.

 

„Okay, du bist also damit einverstanden“, erklang nun wieder Dies Stimme, „dass ich die nächsten drei Tage bis Weihnachten bei dir übernachte, damit ich meinen Teil der Wette ausführen kann?“

 

„Aber sicher doch!“, rief der betrunkene Kaoru aus und der Wunsch, sich selbst zu ohrfeigen, stieg in nie gekannte Höhen.

 

„Super, dann müsst ihr nur noch eure Wetteinsätze verkünden“, erklärte Toshiya und klang für seine gegenwärtigen und noch immer verkaterten Ohren viel zu begeistert von alldem.

 

„Gut, also, mal überlegen … wenn ich gewinne, und das werde ich, muss Die meine Gitarren auf vordermannbringen. Alle, auch die bei mir zu Hause.“

 

Wenn Kaoru etwas nennen musste, was an dieser Farce positiv war, dann war das die Wettschuld, die er sich für Die überlegt hatte. Dass er sich selbst betrunken noch daran erinnerte, wie ungern er seine Babys reinigte, sprach Bände. Die meisten seiner Gitarren wurden ohnehin regelmäßig von ihren Technikern überholt, aber wie dick die Staubschicht auf denen in seinem Musikzimmer war, hatte er aus guten Gründen schon sehr lange nicht mehr überprüft. Dementsprechend schaffte es Dies Reaktion, ihm wenigstens ein kleines Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern.

 

„Alle? Das sind mehr, als ich habe, und das sind schon weit über fünfzig. Da bin ich ja ewig beschäftigt.“

 

„Wir müssen nicht wetten, wenn du dir das nicht zutraust.“

 

„Nein, ich meine doch, doch, das passt schon.“

 

„Entstauben, putzen, polieren, neue Saiten aufziehen, technische Funktionskontrolle …“

 

„Danke, Kaoru, ich weiß, wie man sich um Gitarren kümmert.“

 

„Ich wollte nur verdeutlichen, dass ich mich nicht mit bloßem Staubwedeln zufriedengebe.“

 

„Botschaft angekommen. Also gut, dann bin jetzt ich dran.“ Eine längere Pause folgte, in der Kaoru sich sicher war, Dies breites Grinsen regelrecht hören zu können. Er hätte es auch sehen können, direkt hier, live und in Farbe, hätte er nur den Kopf gehoben und in Dies Richtung geblickt. Aber das ersparte er sich und seinem angeschlagenen Nervenkostüm.

„Wenn du verlierst, darf ich deine Haare lila färben und fürs Silvesterkonzert lässt du dir von den Stylisten noch Extensions verpassen.“

 

„Eh~, wieso das?“

 

„Na, damit unser Retrolook perfekt ist.“

 

„Uh, das ist eine Klasse Idee! Da mach ich auch mit“, freute sich ihr Bassist und Kaoru wurde das Gefühl nicht los, dass Toshiya sie beim Wort nehmen würde. Er sah ihn schon im stilechten Lolita-Kostümchen vor sich und das, wo seine Statur heute mit der von damals absolut nichts mehr gemein hatte. Das konnte ja was werden.

 

„Da hörst du es.“

 

„Okay, damit kann ich leben. Also ist das alles?“, fragte sein dummes, betrunkenes Ich aus der Vergangenheit und war sich nicht im Geringsten bewusst darüber, welche Konsequenzen dies für den Kaoru der Zukunft haben würde.

 

„Ja, das ist alles.“

 

„In Ordnung, die Wette gilt!“

 

Kaoru hörte noch, wie sie diese hirnrissige Schnapsidee mit einem Handschlag besiegelten, dann endete auch der zweite Durchgang der Aufzeichnung. Wo er eben noch zu überrumpelt von seiner eigenen Dummheit gewesen war, setzte nun Resignation ein. Eine Wette war eine Wette und er würde sich nicht die Blöße eines Rückzuges geben. Er hatte nicht einmal bedenken, zu verlieren. Nein, er war sich sehr sicher, dass er gewinnen würde, schließlich hatte er für dieses Fest des stupiden Konsums noch nie etwas übrig gehabt. Daran würden Dies Bemühungen auch nichts ändern. Das eigentliche Problem war die Umsetzung. Heute war der 23. Dezember, noch zwei Tage bis zur Deadline, die der andere sich gesetzt hatte. Zwei Tage, welche Die mit ihm verbringen würde, zwei Nächte, die er auf seinem Gästefuton, in seiner Wohnung, in seiner unmittelbaren Nähe schlafen würde. Würde Kaoru die nächsten Tage überleben, war der Nervenzusammenbruch hinterher bereits vorprogrammiert.

 

„Nun mach nicht so ein Gesicht. Du hast es mit deinem Wetteinsatz sowieso besser getroffen als ich, oder nicht? Schließlich warst du mal ziemlich stolz auf deine langen, lila Haare.“

 

„Ja, als sie meine Eigenen waren.“ Kaoru rieb sich über die Nasenwurzel und versuchte krampfhaft, noch etwas Gutes an dieser Sache zu finden, scheiterte jedoch kläglich. „Wie bist du nur auf die dumme Idee gekommen, zu wetten? Ich war betrunken, zählt das überhaupt?“

 

„Oho, will sich da jemand aus der Affäre ziehen?“

 

„Sicher nicht.“

 

„Außerdem war das deine Idee.“

 

„Meine?“

 

„Ja. Ich sagte ja schon, dass du mies drauf warst, und irgendwann hast du begonnen, Toshiya und mir zu erklären, warum du Weihnachten nichts abgewinnen kannst. Ich meinte darauf nur, dass ich es schaffen würde, Weihnachten selbst für dich zu einer schönen Zeit zu machen, und daraufhin kam von dir dann nur ein „Wetten, dass du das nicht schaffst?“ Tja, genau genommen hab ich also nur deine Wette angenommen.“

 

Resigniert schloss Kaoru die Augen, schluckte das gefühlt hundertste Seufzen des Morgens herunter und nickte.

Also gut, wenn dem so ist, will ich mal nicht so sein und dir eine faire Chance geben.“

 

„Du hast es mit Mister Christmas höchstpersönlich zu tun, ich hab schon so gut wie gewonnen.“

 

„Das werden wir ja sehen, Mister Christmas.“ Kaoru stolperte über die englischen Wörter, was erneut mit einem strahlenden Lächeln belohnt wurde. Wenn Die nur endlich damit aufhören würde. „Na gut, dann klär mich auf, was deine Pläne für die nächsten Tage sind.“

#5

Natürlich hatte Die ihm nichts verraten, wie sollte es auch anders sein? Kaoru stand im Schlafzimmer vor dem geöffneten Kleiderschrank und starrte unentschlossen auf den kleinen Stapel Pullover im Fach auf Augenhöhe.  Er genoss zwar die Ruhe, die sich seit Dies Weggang über die Wohnung gelegt hatte, aber gleichzeitig machte sich eine gewisse Unruhe in ihm breit. Ihm wäre es lieber gewesen, zu wissen, worauf er sich einließ, statt mit einem schnöden „Zieh dir etwas Warmes an“ abgespeist zu werden. Wie lange der andere wohl brauchen würde, um seine Sachen zu packen und wieder hierher zu fahren? Eine halbe Stunde? Länger? Wie lange würde sein Refugium noch ihm gehören, bevor er es für die nächsten achtundvierzig Stunden teilen musste?

 

Über sich und seine Gedankenspiralen genervt, die ihn ohnehin noch nie weitergebracht hatten, nahm er augenrollend einen dicken, cremefarbenen Wollpullover vom Stapel und zog ihn sich über. Er war ihm zu weit und zu lang, wie die meisten seiner gestrickten Oberteile, aber in seinem alter ging Gemütlichkeit über alles. Eine warme Hose und ein zweites Paar Socken folgten, dann wusste er erneut nichts mehr mit sich anzufangen. Langsam schloss er den Kleiderschrank, doch auf halbem Wege überlegte er es sich anders und zog die Türen noch einmal auf. Er musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um hinter alten Tourshirts und einem Sammelsurium an Mützen und Kappen das Gesuchte zu finden.

 

Für einen endlosen Augenblick hielt er den roten Stoff nur in beiden Händen. Er war so lang, dass sich die Enden über seine besockten Füße legten und er erinnerte sich daran, Die früher damit aufgezogen zu haben, dass sein Schal lang genug wäre, um ihn damit zu mumifizieren.

 

Ein seltsamer Laut entkam ihm, als er das Gesicht im weichen Stoff vergrub und tief einatmete. Nach all den Jahren roch der Schal nur noch nach seinem Schrank, keine Spur mehr von dem Parfüm, das Die zu jener Zeit getragen und Kaoru so sehr an ihm gemocht hatte. Ob es die Marke heute überhaupt noch gab? Ruckartig hob Kaoru den Kopf, legte den Stoff unordentlich zusammen und stopfte ihn zurück ins hinterste Eck, wo er ihn wieder vergessen konnte. Am besten für weitere sechsundzwanzig Jahre.

 

„Kaoru, Kaoru, du bist so ein Idiot.“

Ohne einen Blick zurück verließ er den Raum, schloss die Tür und ging ins Wohnzimmer. Schwer ließ er sich auf seinen Sessel fallen, lehnte sich gegen die weiche Polsterung und schloss die Augen. Der Tag war anstrengend gewesen und dabei hatte er das Schlimmste noch vor sich.

 

Über diese und andere lebensverändernde Erkenntnisse musste er eingeschlafen sein, denn ein angenehmer Druck gegen seine Schläfen holte ihn langsam wieder ins Hier und Jetzt zurück. Er seufzte, ließ die Augen jedoch noch geschlossen und genoss stumm, wie der Rest seiner Katerkopfschmerzen von sanften Fingern wegmassiert wurde.

Halt mal.

Ruckartig hoben sich seine Lider und er hätte am liebsten seinen Körper verlassen, nur um nun nicht direkt in Dies Augen sehen zu müssen. Die Züge des anderen wirkten tiefenentspannt und seine Lippen zierte ein feines Lächeln, in dem mehr zu liegen schien, als Kaoru auf den ersten Blick erkennen konnte.

 

„Was genau tust du da?“ Als er seine Stimme und die Fähigkeit, zu sprechen, nach Sekunden, die sich wie eine halbe Ewigkeit angefühlt hatten, wiedergefunden hatte, war sie rau und viel zu dünn.

 

„Du hast selbst im Schlaf noch so ausgesehen, als würde es hinter deiner Stirn hochhergehen. Ich wollte dir nur etwas Linderung verschaffen.“

 

Linderung. Aha. Das Gefühl, welches Kaorus Inneres gerade in Aufruhr versetzte, hatte absolut nichts mit Linderung zu tun.

„Das hast du schon sehr lange nicht mehr gemacht.“

 

„Ich weiß, aber das kann sich ändern, wenn du willst.“

 

„Mh …“, brummte er unverbindlich und alles andere als überzeugt davon, dass das eine gute Idee war. Gestern noch hätte er dazu aus vollem Herzen nein sagen können, jetzt jedoch machte es ihm der ehrliche Blick aus dunklen Augen unmöglich, dieses gut gemeinte Angebot so harsch zurückzuweisen. Außerdem wurde er das Gefühl nicht los, dass die Ruhe, welche Die so unbedingt auszustrahlen versuchte, nur die vor dem Sturm war und ihm gar nicht gefallen würde, was er für ihre Nachmittagsunterhaltung geplant hatte. Sein Freund war und blieb ein zu großes Kind, das viel zu viele Flausen im Kopf hatte. Ob er ihn noch einmal daran erinnern sollte, dass ihre Wette darin bestand, ihm das schönste Weihnachten aller Zeiten zu bescheren?

 

„Hat es denn geholfen?“

 

„Was denn?“

 

„Na, das Massieren.“

 

Kaoru richtete sich auf, als Dies warme Finger verschwanden, und rieb sich kurz über die Stirn.

„Ja, ich denke schon. Mal sehen, wie lange es anhält.“ Er versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie verdammt gut diese kleine Massage wirklich getan und welches Durcheinander sie in ihm ausgelöst hatte. Wie oft in der Vergangenheit hatte Die genau auf diese Weise seine Kopfschmerzen vertrieben? Sogar noch nach dem Desaster auf dem Hochhausdach, bis Kaoru es irgendwann nicht mehr zugelassen hatte. Er hatte diese Vertrautheit, diese Nähe nicht mehr ertragen und seinen Freund immer weiter von sich gestoßen. Die letzten Jahre war er prima damit gefahren und Die schien es akzeptiert zu haben … Was also war heute anders?

 

Mit neutraler Miene, das Chaos in seinem Inneren wieder fest hinter dicken, mentalen Türen verschlossen, stand er auf und ging in den Flur, um seine Sachen zusammenzupacken.

„Verrätst du mir wenigstens, wohin es geht, oder machst du heute aus allem ein Geheimnis.“

 

„Letzteres. Du kannst schon einmal anfangen, dich daran zu gewöhnen, dass ich in den nächsten Tagen die Zügel in der Hand haben werde.“

Was hatte Die heute nur mit diesen komischen Formulierungen? Kaoru hatte seine liebe Mühe damit, jede Reaktion auf diese Aussage zu unterdrücken, als sein dämliches Gehirn in Gefilde abgleiten wollte, wo es nichts zu suchen hatte. Vor allem nicht in der Gegenwart des anderen und nicht, wenn er eine Wette zu gewinnen hatte!

„Du sagst gar nichts? Ich hatte mit heftigen Protesten gerechnet.“

 

„Wieso?“ Er zuckte äußerlich unbeeindruckt mit den Schultern, obwohl es in ihm ganz anders aussah. „Ich sagte doch, ich gebe dir eine faire Chance.“

 

„Du bist … ich bin überrascht, positiv überrascht.“

 

Kaoru drehte den Kopf weg, weil er wusste, dass er die offenkundige Freude in Dies Gesicht gerade nicht ertragen konnte. Machte der andere das mit Absicht? Aber nein, das würde voraussetzen, dass er seine Gedanken lesen konnte. Kaoru traute ihm zwar vieles zu, aber das nun wirklich nicht.

 

„Wollen wir los?“

 

„Klar, ich parke neben dir in der Tiefgarage.“

 

„Du bist mit dem Wagen wieder hergekommen?“

 

„Ja. Unser Ziel liegt etwas außerhalb, da wäre es zu umständlich gewesen, mit den Öffentlichen hinzufahren.“

 

„Verstehe.“

#6

Etwas außerhalb war eine ziemliche Untertreibung, denn ihr Ziel hatten sie erst nach über einer Stunde Fahrt erreicht. Kaoru wusste nicht, was er von dem gigantischen Gebäude halten sollte, das ihn von außen an eine Fabrikanlage erinnerte, aber Die würde schon wissen, was er tat.

 

„Da sind wir“, verkündete sein Freund keine Minute später, parkte unweit des Gebäudes und schaltete den Motor ab. Kaoru verkniff sich einen Kommentar und folgte stattdessen einer Familie mit Blicken, die soeben im Inneren des Kolosses verschwanden. Auf einem großen Schild über den automatischen Schiebetüren des Eingangsbereichs stand in grellblauen Lettern der Name des weitläufigen Areals geschrieben, von dem er noch nie etwas gehört hatte. Die schien seine Skepsis vorausgeahnt zu haben, denn bevor er etwas sagen konnte, landete ein dünner Flyer in seinem Schoß.

„Den kannst du dir auf dem Weg zu den Kassen schon mal durchlesen“, erklärte er, schnallte sich ab und stieg aus dem Wagen, sodass Kaoru nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen.

 

Das Winter Wonderland versprach Schneespaß für die ganze Familie. Skifahren, Schlittschuhlaufen, Rodeln, Schneeschuhwanderungen und sogar das Besteigen eines künstlichen Gletschers waren möglich. Alles überdacht und in klimatisch perfekt regulierter Umgebung. Wenn er den Flyer eben richtig gelesen hatte, waren die eisigen Aktivitäten nicht einmal auf den Winter beschränkt, sondern wurden ganzjährig angeboten. Er war sich nicht sicher, was er davon halten sollte, denn die Vorstellung, bei über dreißig Grad Außentemperatur und hoher Luftfeuchtigkeit den Tag plötzlich bei Minusgraden zu verbringen, klang nicht sonderlich erstrebenswert.

Den technischen Aufwand ließen sich die Betreiber einiges Kosten, doch trotz seiner mehrmaligen Proteste hatte Die darauf bestanden, ihn einzuladen. Kaoru machte sich eine mentale Notiz, sich bei Gelegenheit zu revanchieren.

 

Die kalte Luft schlug ihnen sogleich entgegen, als sie die Schleuse hinter sich ließen und das Wunderland betraten. Kaoru hörte Kinder fröhlich kreischen, Erwachsene gelöst miteinander plaudern und das unterschwellige Rauschen der Kühlanlage, die ihre Umgebung tatsächlich in winterliches Weiß tauchte. Spätestens jetzt war er heilfroh, auf Die gehört und sich sehr warm angezogen zu haben. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn eine Attraktion wie diese unangenehm überlaufen gewesen wäre, aber Die schien den perfekten Zeitpunkt abgepasst zu haben. Interessiert sah er sich um, entdeckte Skifahrer, die eine recht steile Abfahrt hinunterbretterten und zwischen ihnen sogar den ein oder anderen Snowboarder.

Auf der zugefrorenen Oberfläche eines künstlich angelegten Sees drehten Schlittschuhfahrer ihre Kreise und um ihn herum hatten drei Langläufer älteren Semesters die Loipe für sich auserkoren.

 

„Der Wahnsinn“, murmelte er, vollkommen überrascht von der schieren Größe der Anlage.

 

„Oder?“ Die grinste offenkundig sehr stolz auf sich und seine Idee. „Das Wunderland ist toll, ich bin so froh, dass es endlich wieder ohne jegliche Einschränkungen geöffnet hat.“

 

„Das glaub ich dir. Ich muss ungelogen zugeben, dass ich mit vielem gerechnet habe, aber mit dem hier sicher nicht.“

 

„Es gefällt dir also? Punkt für mich, Strike!“

 

„Gewöhn dich nicht dran.“

 

„Das kann und werde ich nicht versprechen.“

 

„Aber mal im Ernst, wirklich weihnachtlich ist es hier nicht, bist du dir sicher, dass du deine Wette nicht etwas aus den Augen verloren hast?“

 

„Zieh mal lieber keine voreiligen Schlüsse, du hast noch nicht alles gesehen.“

Oje, er kannte den Ausdruck, der gerade über Dies Gesicht huschte. Wenn sein Freund bis eben noch nicht hundertprozentig investiert in sein Vorhaben gewesen war, ihm Weihnachten schmackhaft zu machen, war er es spätestens jetzt. Mist, er sollte wirklich aufhören, seine eigenen Gewinnchancen zu sabotieren … wenn da nur nicht dieses Funkeln in Dies Augen wäre, das er so gerne sah.

„Kannst du Skifahren?“ Die Frage riss ihn aus seinen Überlegungen und erst jetzt bemerkte er, dass sie vor einer großen Hütte aus massiven Holzstämmen angekommen waren, wo sie sich mit allerlei nötigen und unnötigen Dingen ausrüsten konnten.

 

„Können ist übertrieben, ich bin als Kind und Jugendlicher ab und an mit meinen Eltern in den Bergen gewesen und hab auch den ein oder anderen Skikurs gemacht, aber ob davon noch was hängen geblieben ist, ist fraglich.“ Kaoru hielt Die die Tür zur Hütte auf, aus der ihnen herrlich warme und nach würzigem Punsch duftende Luft entgegenkam.

 

„Willst du es versuchen oder tasten wir uns langsam ran.“

 

„Langsam im Sinne von?“

 

„Wir könnten uns auf die Loipe wagen. Langlauf ist zwar auch anstrengend, aber bei Weitem nicht so anspruchsvoll wie Abfahrtski.“

Vor Kaorus geistiges Auge schob sich das Bild der drei rüstigen Rentner, die er eben auf ihren Langlaufskiern um den See hatte rutschen sehen, und sein nettes Gehirn fügte Die und ihn sogleich in diese idyllische Szenerie mit ein. Himmel, nein, er war zwar alt, aber nicht so alt.

‚Midlife-Crisis‘, trällerte eine fröhliche Stimme in seinen Gedanken, die erschreckende Ähnlichkeit mit Toshiyas aufwies.

Kaoru verzog das Gesicht und im gleichen Moment hob Die beschwichtigend beide Hände.

„Schon gut, schon gut, friss mich nicht. Langlauf ist also gestrichen. Wie sieht es mit einer kleinen Schneeschuhwanderung aus? Das Gelände hier ist weitläufiger, als es auf den ersten Blick aussieht.“

 

Noch weitläufiger? Kaoru konnte die Proportionen des Gebäudes von außen jetzt schon nicht mehr mit den Dimensionen im Inneren in Einklang bringen. Er trat einen Schritt auf die Seite und zog Die am Ärmel mit sich, um eine Familie mit zwei sehr aufgeregten Kindern vorzulassen.

„Mh …“ überlegend rieb er sich übers Kinn, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, wenn wir jetzt schon hier sind, will ich es versuchen. Früher fand ich Abfahrtski super, vielleicht bin ich ja gar nicht so eingerostet.“

 

„Das ist die richtige Einstellung.“

 

Die drückte seine Schulter und schenkte ihm ein rundum zufriedenes Lächeln, das Wärme durch seinen ganzen Körper schickte. Warum war er noch gleich so dick angezogen? Ach ja, weil er sich in wenigen Minuten in den Schnee stürzen würde und das alles nur, um seinem Freund nicht die Genugtuung zu geben, ihre Wette zu gewinnen. Schließlich würde es einer Kapitulation gleichkommen, wenn er sich weigerte, bei Dies Plänen mitzuspielen. Er musste ja keinen Spaß dabei haben und sich auch nicht so eigenartig wohl fühlen, nur weil er den anderen damit glücklich zu machen schien.

‚Ja ja, red dir das nur ein‘

Und er sollte damit aufhören, seine innere Stimme wie Toshiya klingen zu lassen – das war dezent irritierend.

 

„Hey, Kaoru, kommst du?“

 

Die winkte ihm, als stünden sie nicht in einer überschaubar großen Hütte sondern wären Kilometer voneinander entfernt. Ein kleiner Teil in Kaoru, den er als seinen Überlebensinstinkt identifizierte, wünschte sich, es wäre so. Der weitaus größere Teil jedoch war nicht in der Lage, seinem Freund etwas abzuschlagen, und ergab sich mit wehenden Fahnen seinem Schicksal.

 

„Komme schon.“

#7

Er hätte wissen müssen, dass ihm das kleine bisschen Zuversicht früher oder später zum Verhängnis werden würde. Sie hatten sich in der Hütte nicht nur mit Skiern und Skischuhen, Stöcken und dicken Handschuhen ausrüsten können, sondern sich auch Schneehosen geliehen. Gerade für Letztere war Kaoru mehr als dankbar, als er zum unzähligen Mal unsanft auf dem Hintern landete. Ihm war bewusst, dass er in den letzten Jahren an Ausdauer und Gelenkigkeit eingebüßt hatte und dass es höchste Zeit wurde, regelmäßigen Sport wieder in seine Routine zu integrieren, aber, dass er sich so dämlich anstellte, hatte er nicht vorhersehen können.
 

Im Gegensatz zu ihm hatte Die die Zeit seines Lebens. Kaoru hatte aufgehört, zu zählen, wie oft sein Freund schon an ihm vorbeigerauscht war und mit jedem Mal sah es halsbrecherischer aus. Mit ausreichend Sicherheitsabstand kam Die auch jetzt, begleitet von einer eindrucksvollen Fontaine aus Eis und Schnee, einige Meter vor ihm zum Stehen. Lachend nahm er seine Sonnenbrille ab und schob sie sich in die Haare. Sein strahlendes Lächeln blendete Kaoru mehr als das ihn umgebende Weiß und spätestens jetzt war er sich sicher, dass irgendwer heute einen gehörigen Groll gegen ihn hegte. Wie sonst wäre es zu erklären, dass Die sein Talent komplett unangestrengt zur Schau stellen konnte und dabei noch so unverschämt gut aussah? Kaoru presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Wenn jeder zukünftige Kater zur Folge hatte, dass seine Hormone verrücktspielten und ihm Dinge vorgaukelten, mit denen er vor weit über zwei Jahrzehnten abgeschlossen hatte, würde der gestrige Abend das letzte Mal gewesen sein, dass er etwas getrunken hatte, das schwor er sich hier und jetzt.
 

„Du hast dir da aber ein eigenwilliges Plätzchen für eine Pause ausgesucht.“
 

„Haha, Angeber“, murrte er in seinen Bart und versuchte vergebens, wieder auf die Beine zu kommen.
 

„Hast du dir was getan?“, erkundigte Die sich, plötzlich etwas besorgt wirkend, und kam im Watschelgang näher. Kaorus Mund formte sich zu einem kleinen Schmunzeln. Na schön, er musste zugeben, dass ihn die alles andere als elegante Fortbewegungsweise seines Freundes wieder etwas mit der Welt versöhnte. Dennoch brummte er unzufrieden mit der Gesamtsituation, als er die ihm hingehaltene Hand ergriff und sich aufhelfen ließ. Breitbeinig wie ein neugeborenes Reh versuchte er, sich auf den Skiern zu halten, aber nach all den Stürzen fühlten sich seine Knie wie Gelee an und seine rechte Hüfte schmerzte leicht.
 

„Warum kannst du das so gut?“, wollte er etwas eingeschnappt wissen und konnte sich gerade noch davon abhalten, die Arme vor der Brust zu verschränken. Es war aber auch unfair, oder etwa nicht? Immerhin hatte Die ähnlich viel um die Ohren wie er, wann also fand er die Zeit, neben den Stunden, die er ohnehin im Fitnessstudio zubrachte, auch noch Skifahren zu gehen?
 

„Ich bin hier schon öfter gewesen. Hab letztes Jahr sogar einen Snowboardkurs gemacht, aber ich muss zugeben, dass das nichts für mich ist. Mit Skiern ist man doch irgendwie flexibler.“
 

„Ja, ich fühle mich unglaublich flexibel.“
 

Die gluckste und legte ihm einen Arm um die Schultern.

„Ach komm, dir fehlt nur die Übung.“

Kaoru bezweifelte das ganz stark und sein Gesichtsausdruck musste Bände sprechen, denn Dies nächste Worte klangen eindeutig beschwichtigend.

„Aber jetzt lass uns erst einmal die Ski zurückgeben und uns Schneeschuhe ausleihen, dann können wir uns etwas die Gegend ansehen. Hinter der Piste soll es ein Weihnachtsdorf geben, da müssen wir unbedingt hin.“
 

„Müssen wir das?“
 

„Natürlich müssen wir das. Ich muss dir schließlich beweisen, dass ich meinen Plan nicht aus den Augen verloren habe“, trällerte Die gut gelaunt und wackelte mit den Augenbrauen.
 

Kaoru hingegen seufzte nur. Wieder einmal biss ihn eine seiner Aussagen in den Arsch, schönen Dank auch. Am liebsten hätte er nun auf stur geschalten und sich so lange mit den Skiern herumgeplagt, bis er es endlich schaffte, den Idiotenhügel in einem Rutsch nach unten zu fahren. Er hasste es, zugeben zu müssen, dass er etwas nicht konnte. Doch Die hatte ihm in den letzten beiden Stunden kein einziges Mal das Gefühl gegeben, versagt zu haben, und vielleicht war das der Grund, weshalb er schließlich nickte. Vielleicht lag es aber auch an Dies Arm, der noch immer erdend um seine Schultern lag und dessen Wärme er selbst durch ihre dicke Kleidung hindurch zu spüren glaubte.
 

Kaoru räusperte sich und zog sich unauffällig aus ihrer halben Umarmung zurück.

„Das wird wohl das Beste sein, bevor ich mir doch noch etwas breche.“
 

Die grinste nur, drückte mit einem seiner Stecken in den Schließmechanismus der Skibindung und stieg vom Brett. Mit dem zweiten Ski verfuhr er auf gleiche Weise und dann half er auch ihm, sich von diesen Todesinstrumenten zu befreien. Die Ski über ihre Schultern gelegt stapften Sie den Hügel hinunter und wenig später standen sie erneut in der Verleihhütte.
 

„Wollen wir uns erst noch mit einer Tasse Glühwein aufwärmen, bevor wir uns wieder hinaus in die Kälte wagen?“
 

Kaoru hatte schon ein tief empfundenes „Ja, bitte“ auf den Lippen, als er sich an seinen Schwur von eben zurückerinnerte. Den Teufel würde er tun und in seiner unberechenbaren Verfassung Alkohol trinken.
 

„Lieber nicht, ich hab keine Lust auf aufgewärmte Kopfschmerzen.“
 

„Mh, das ist ein Argument.“ Für den Bruchteil einer Sekunde huschte so etwas wie Enttäuschung über Dies Gesicht, aber der Ausdruck war so schnell wieder verschwunden, dass er sich fragte, ob er sich das nicht nur eingebildet hatte. Warum auch sollte Die deswegen enttäuscht sein?

„Der Heidelbeerpunsch ist ohne Alkohol …“
 

„Ja? Na, dann.“ Kaoru schob sich an seinem Freund vorbei zum Ausschank, bevor Die erneut auf die Idee kommen konnte, alles bezahlen zu wollen. Kurz darauf hielt er die dampfenden Tassen in beiden Händen und steuerte auf einen rustikalen Stehtisch zu, von dem aus Die ihm gewunken hatte.

„Hier.“ Eine der Tassen über den Tisch schiebend zog er sich die dicken Handschuhe aus und wärmte erst einmal seine Eispfoten wieder auf. Aus Lautsprechern, die irgendwo über ihnen angebracht sein mussten, dudelten leise Weihnachtslieder und Kaoru war selbst erstaunt darüber, dass ihn diese Tatsache weit weniger nervte, als sonst. Vielleicht lag es daran, dass ihm die Melodien für einmal nicht aggressiv in die Gehörgänge plärrten, wie es um diese Jahreszeit in sämtlichen Kaufhäusern üblich war. Vielleicht lag es aber auch an der heimeligen Umgebung. Unweit von ihnen brannte ein Feuer in einem kleinen Schwedenofen, hinter Die war ein Fenster, von dem aus er auf die schneebedeckte Piste sehen konnte und selbst die Kinder, die hier und da herumhuschten, waren für einmal nicht unerträglich laut und lästig.
 

Oder – und Kaoru befürchtete stark, dass dies der wahre Grund für seine derzeitige Zufriedenheit war – es lag einzig und allein an Die. Er hatte es Kaoru gleichgetan und sich von den Handschuhen befreit, nur mit dem Unterschied, dass er seinen Punsch auch trank, statt ihn nur anzustarren und den Sinn des Lebens in der roten Flüssigkeit zu suchen.

Schon wieder Rot, diese Farbe verfolgte ihn, oder?

Kaoru ertappte sich dabei, wie er mit einem Mal ganz still wurde, als Die begann, leise das aktuelle Weihnachtslied mitzusummen. Seine Finger griffen die Tasse fester und er zwang sich, endlich auch einen Schluck zu trinken, bevor ihn diese sanfte Stimme noch mehr einlullen würde.
 

„Und? Bist du jetzt wieder etwas versöhnlicher gestimmt?“
 

„Wie?“ Beinahe hätte er sich an seinem Getränk verschluckt. Was musste Die auch aus heiterem Himmel beschließen, ihre Unterhaltung fortsetzen zu wollen? Ging das nicht mit Vorankündigung?

„Dafür hätte ich in erster Linie unversöhnlich sein müssen, was ich nicht war.“
 

„Na ja, aber etwas eingeschnappt warst du schon, weil es mit dem Skifahren nicht so geklappt hat, wie du es dir vorgestellt hast, oder?“
 

„Erwischt.“ Kaoru versteckte sein schiefes Grinsen hinter der Tasse und ließ sich den restlichen Punsch schmecken. Die schüttelte nur deutlich amüsiert den Kopf, tat es ihm gleich und nahm die Pfandmarken, um ihre Tassen zurückzubringen.
 

„Also, bereit für ein weiteres Abenteuer?“
 

„Wenn du mich so fragst, nein.“
 

„Denk an die faire Chance, die du mir geben willst“, trällerte Die, nahm ihre Schneeschuhe, die sie sich vorhin schon geliehen hatten, und trabte voran aus der Hütte.
 

„Womit habe ich das nur verdient?“, fragte er niemanden im Speziellen und auch keine höhere Macht sah sich beflissen, ihm darauf eine Antwort zu geben. Und so kam es, wie es kommen musste – keine fünf Minuten später hatte er erneut etwas an den Füßen, an das er sich erst einmal gewöhnen musste.

#8

„Wir sehen aus, als hätten wir eine Gruppe Tennisspieler überfallen und uns ihre Schläger umgeschnallt.“ Er hob den rechten Fuß und wackelte mit dem Schneeschuh in der Luft herum, um seine Worte zu verdeutlichen.
 

‚“Ja, einen Schönheitspreis gewinnen wir mit den Dingern sicher nicht, aber das ist ja auch nicht unser Ziel.“
 

„Stimmt. Dein Ziel ist es einzig und allein, zu gewinnen, nicht wahr? Dann leg dich mal ins Zeug und trichtere mir diesen tollen Geist der Weihnacht ein, Mister Christmas, damit wir nicht beide umsonst hier unsere Zeit verschwenden.“

Wenn er Dies selbst erwählten Spitznamen nur oft genug aussprach, würde er bald nicht mehr einen Knoten in die Zunge bekommen, da war er sich sicher – fast. Kaoru grinste schief und wackelte mit seinen behandschuhten Fingern, als würde er Feenstaub über ihre Köpfe rieseln lassen.
 

„Und da behauptest du immer, ich wäre kindisch“, brummte Die und versuchte nicht einmal, sein Augenrollen zu verstecken. Plötzlich wirkte er verstimmt, was der Stoß gegen Kaorus Schulter, als er sich an ihm vorbeischob, noch verdeutlichte.
 

„He“, murrte er und stapfte Die hinterher. War der andere jetzt wirklich eingeschnappt? Aber warum? Etwas verunsichert starrte er auf den Rücken seines Freundes und versuchte krampfhaft, herauszufinden, ob er gerade etwas Falsches gesagt hatte. Mist, das passierte, wenn er nicht nachdachte, bevor er seinen Mund aufmachte. Ob er sich entschuldigen sollte? Nicht, dass er wirklich einen Grund dafür sah, immerhin hatte er Die weder beleidigt noch etwas getan, womit er ihn geschädigt hätte … zumindest glaubte er das. Trotzdem, allein bei dem Gedanken, Die könnte wütend auf ihn sein, sträubte sich alles in ihm.

Wie sehr er sich wünschte, nun in ihrem Studio zu sein. Wenn dort etwas schief lief oder er sich aufgrund von Stress einmal im Ton vergriffen hatte, wusste er wenigstens, wie er alles wieder geradebiegen konnte, aber hier?
 

„Was ist, alter Mann, wo bleibst du?“
 

Dies Rufen riss ihn aus seiner Gedankenspirale und verblüfft musste er feststellen, dass sein Freund mehrere Dutzend Meter vor ihm stand und augenscheinlich auf ihn wartete.

„Bist du gerannt?“
 

„Nein, aber du hattest gerade wohl einen sehr wichtigen Denkprozess am Laufen, der dich am Weitergehen gehindert hat.“
 

„Touché.“ Kaoru rieb sich über den Hinterkopf und stapfte voran, bis er aufgeholt hatte. „Kommt nicht wieder vor.“
 

„Das will ich hoffen, schließlich wolltest du mir eine faire Chance geben und gedanklich dermaßen abzudriften, ist eher kontraproduktiv. Worüber hast du nachgedacht?“ Die hakte sich bei ihm unter und bevor Kaoru diese ungewohnte Nähe in irgendeiner Form kommentieren konnte, ging sein Freund mit strammen Schritten weiter.
 

„Mir ist nur gerade eine Idee gekommen, wie wir den neuen Song so arrangiert bekommen, dass wir die Längen in der Mitte umgehen“, beantwortete er etwas verspätet Dies Frage und beglückwünschte sich dafür, dass er so überzeugend lügen konnte – schon wieder. Prompt meldete sich sein schlechtes Gewissen zu Wort, aber er ignorierte es, so gut es ging. Ehrlich mit Die zu sein und ihm auf die Nase zu binden, dass er gerade mit sich debattiert hatte, ob es angemessen war, sich zu entschuldigen, hörte sich selbst in seinen Gedanken viel zu jämmerlich an. Dann lieber eine Notlüge und Dies seltsam eingeschnapptes Verhalten schleunigst wieder vergessen. Sein Freund schien den Vorfall ohnehin nicht so ernst genommen zu haben, denn er redete munter vor sich hin und gestikulierte wild in Richtung der Kuppe.
 

„… leihen uns einen Rodel und fahren stilecht damit ins Weihnachtsdorf, wenn das nicht deine Weihnachtsgeister weckt, weiß ich auch nicht.“
 

„Rodeln?“ Eine seiner Brauen wanderte knapp bis unter den Haaransatz, während er Die von der Seite her musterte. „Wir gehen beide stramm auf die Fünfzig zu und da willst du rodeln? Wenn der Tag vorbei ist, hat mindestens einer von uns gebrochene Knochen, und ich werde das Gefühl nicht los, dass ich das sein werde.“
 

„Ach komm, Kaoru, man ist nur so alt, wie man sich fühlt. Sei kein Spielverderber.“
 

„Wenn es danach geht, bin ich dreihundertachtundzwanzig. Ich bin also kein Spielverderber, sondern nur um mein Leben besorgt. Und jetzt geh mal einen Schritt langsamer, sonst holt mich meine Lunge nie wieder ein.“
 

„Du solltest wirklich etwas Sport machen.“
 

„Bitte, verschon mich mit deinen Gesundheitspredigten.“ Kaoru schnaubte, was sich dank der Steigung mehr wie ein rachitisches Keuchen anhörte. „Früher lag mir nur Shinya damit in den Ohren, aber seit Toshiya und dich der Fitnesswahn gepackt hat, ist das echt kaum noch zu ertragen.“
 

„Unser Plan ist, dich mürbe zu machen, bis du endlich einsiehst, dass wir recht haben.“
 

„Da habt ihr schon verloren, ich habe Besseres mit meiner Zeit anzustellen, als mich in einer Muckibude zu Tode zu schwitzen.“
 

„So krass ist das gar nicht, außerdem gibt es auch andere Wege, um fit zu werden.“

Bildete Kaoru sich das nur ein, oder lag bei diesen Worten in Dies Augen besonders viel Schalk? Sein Gehirn schien das auf jeden Fall zum Anlass zu nehmen, ihm diverse Möglichkeiten aufzuzeigen, wie er auch ohne Sport mit Dies exklusiver Hilfe fitter werden konnte … Resolut drehte er sich von seinem Freund weg, zog das Tempo an und stapfte den Weg weiter hinauf. Seine Lunge fand die zusätzliche Anstrengung gar nicht komisch, aber da musste sie jetzt durch.

„Kaoru?“, hörte er Dies verwirrtes Rufen, blieb jedoch nicht stehen. Er musste wirklich damit aufhören, sich selbst zu sabotieren und die Narben seiner Seele noch weiter aufzureißen. Erst das lauter werdende Knirschen des Schnees und dann eine Berührung an seiner Schulter ließen ihn innehalten.

„Warte doch mal. Wenn du so voran sprintest, bekommst du nichts von deiner Umgebung mit.“
 

Kaoru hatte schon einen schnippischen Kommentar a la „Wow, Weiß in Weiß, welch spannende Umgebung“ auf den Lippen, schluckte ihn jedoch herunter, als er sich zu Die umdrehte. Er hätte nicht sagen können, woran es lag, dass ihm plötzlich die Luft zum Atmen fehlte. Waren es Dies Augen, die von der Kälte und ihrem Aufstieg leicht geröteten Wangen oder die zarten Schneekristalle, die sich auf seinem roten Haar niedergelassen hatten?
 

Die Zeit war ein eigenartiges Konzept. Manchmal raste sie davon und manchmal verlangsamte sie sich so sehr, dass sich eine Sekunde wie ein halbes Leben anfühlte. Gerade jedoch schien sie komplett stillzustehen, während Kaorus Hand sich ohne sein Zutun gehoben und eine vorwitzige Schneeflocke fortgewischt hatte, die sich auf Dies Braue niedergelassen hatte.
 

„Es schneit“, hörte er sich wie aus weiter Ferne sagen und sah die Zustimmung in Dies Gesicht, das ihm mit einem Mal erschreckend nahegekommen war.

Räuspernd trat er einen Schritt zurück und noch, bevor er sich für sein unpassendes Verhalten entschuldigen konnte, deutete sein Freund nach oben. Ohne nachzudenken, folgte er dem Fingerzeig und staunte nicht schlecht.

„Es schneit ja wirklich. Und da dachte ich, die hätten die Schneekanonen angeworfen.“ Über ihnen war das Glasdach an manchen Stellen geöffnet worden, um den Schnee hereinzulassen, der gerade tatsächlich vom Himmel fiel.
 

„Cool, oder?“
 

„Ja, wirklich cool.“ Kaoru lachte leise in sich hinein und fuhr sich durchs Haar. „Lass uns weitergehen, der Stand mit den Rodeln ist gleich dort vorne.“
 

„Wie jetzt, ich dachte, du hättest Angst um dein Leben?“
 

„Tja, ich bin zu dem Schluss gekommen, dass du auf meine alten Knochen wirst aufpassen müssen, wenn du eine reelle Chance haben willst, unsere Wette zu gewinnen.“
 

Kaoru hatte sich wieder in Bewegung gesetzt, aber war entweder nicht schnell genug gewesen oder Die hatte zu laut gemurmelt, denn irgendwie war er sich sicher, dass er das nicht hatte hören sollen. Seine Ohren wurden heiß und er verfluchte sich dafür, dass er seine Emotionen heute einfach nicht unter Kontrolle hatte.
 

„Ich würde viel öfter auf dich aufpassen, wenn du es nur zulassen würdest.“

#9

„Bist du dir sicher, dass die Dinger sicher sind?“

Kaoru starrte mehr als skeptisch auf das grellgrüne Gefährt, dass Die ihm gerade übergeben hatte. Es erinnerte ihn vage an eine Wahlnussschale aus Plastik. Am hinteren Ende war ein Sitz angebracht, der, wenn man ihn Fragte, nicht einmal breit genug für einen Kinderpopo war und am vorderen Ende befand sich eine Schnur, mit der er entweder lenken oder sich in Todesangst festhalten konnte. Letztere Verwendungsmöglichkeit erschien ihm die Logischste, und er fragte sich wirklich, ob Die wusste, was er tat. Ihm war schon klar, dass er ihre Wette verlieren würde, sollte einer von ihnen das Zeitliche segnen, oder? Ohne diese überlebenswichtigen Fragen jedoch zu stellen, folgte er dem anderen den Berg wieder bis ganz nach oben.

„Sollten wir uns nicht lieber langsam vortasten und vom Verleih aus starten? Ab dort ist es nicht mehr gar so steil und …“
 

„Quatsch, wenn schon, denn schon. Und um deine Frage zu beantworten, ja, ich bin mir sehr sicher, dass die Rodel sicher sind. Schau doch, die Gruppe Kinder dort drüben hat den Spaß ihres Lebens.“
 

„Auch nur, weil deren Knochen nicht alt und spröde sind.“
 

„Das Einzige, was hier spröde ist, bist du, alter Mann.“
 

„Ach, halt die Klappe und fahr endlich los, bevor ich es mir noch anders überlege.“
 

„Siehst du, das ist die richtige Einstellung.“
 

„Die~!“ Sein Freund lachte herzhaft, als Kaoru ihm einen kleinen Schubs verpasste, richtete seinen Rodel aus und schaffte es tatsächlich, seine langen Beine so zu drapieren, dass er in der Nussschale Platz fand, und keinen Moment später in wildem Tempo den Berg hinunter sausen konnte.

„Wunderbar, wenn er sich jetzt das Genick bricht, kann ich meine freien Tage mit der Suche nach einem neuen Gitarristen verbringen“, brummte Kaoru in seinen Bart, doch seine Lippen zierte ein verstohlenes Lächeln.
 

Die bremste und kraxelte von seinem Rodel, bevor er sich suchend umblickte und feststellen musste, dass Kaoru noch immer wie angewurzelt an Ort und Stelle stand.

„Jetzt komm schon!“, hörte er die Stimme seines Freundes nur leise zu ihm nach oben wehen, gefolgt von einem ausladenden Winken, als hätte Kaoru nicht ohnehin jede seiner Regungen wie gebannt verfolgt.
 

„Ich werde das so bereuen, ich weiß es.“ Mit einem ungenierten Ächzen, das ihm einen besorgten Seitenblick einer Mutter einbrachte, die ihren Sprössling gerade auf den Schoß zog, um gemeinsam den Berg hinunterzufahren, klappte er sein eingerostetes Gestell zusammen und kauerte sich auf den Rodel. Gerade, als er sich fragte, wie er das Todesgefährt nun in Bewegung setzen sollte, machte es sich selbstständig.

„Oh, Shit!“, brachte er noch heraus, bevor der Fahrtwind seinen nicht wirklich begeisterten Ausruf mit sich forttrug.
 

„Kaoru, bremsen!“
 

„Wie denn?“
 

„Beine raus und Hacken in den Schnee!“
 

„Okay!“
 

„Wuah!“ Die schaffte es gerade so, aus dem Weg zu springen, als Kaoru mit deutlich zu hoher Geschwindigkeit direkt auf ihn zuraste. Seine Fersen gruben sich in den Schnee, sein rechtes Bein traf auf Widerstand, der Rodel drehte sich einmal um die Eigene Achse, bevor er samt Kaoru wie ein Mehlsack zur Seite kippte. Aus einiger Entfernung hörte er Dies gackerndes Lachen und das Knirschen von Schritten im Schnee, die schnell näherkamen.

„Alles in Ordnung? Lebst du noch?“
 

„Nein, du hast es geschafft, mich umzubringen.“
 

„Mh, dann bist du aber eine sehr gesprächige Leiche.“ Dies Füße kamen zuerst in sein Blickfeld, dann ging sein Freund in die Hocke und grinste ihm mit leicht schief gelegtem Kopf wie der Inbegriff eines Lausejungen ins Gesicht. „Und wieder stelle ich deine Wahl eines Plätzchens zum Ausruhen infrage.“
 

„Und ich für meinen Teil stelle deine Zurechnungsfähigkeit infrage, aber das ist nichts Neues. Willst du mir nicht endlich aufhelfen?“
 

„Oh, doch, natürlich.“ Eilig richtete sich der andere auf und wieder hielt er ihm die Hand entgegen. Kaoru griff nach ihr, doch statt sich hochzuziehen, zog er Die mit einem Ruck neben sich in den Schnee. Sich zur Seite wegdrehend kämpfte er sich zurück in eine stehende Position und hatte einen lockeren Schneeball genau zum richtigen Zeitpunkt parat, als Die sich halb lachend, halb motzend aufsetzte.

„Ugh, hey, was soll das?“
 

„Frag nicht so blöd. Wenn du von mir verlangst, mich wie ein Kind den Berg hinunterzustürzen, kann ich mich auch sonst wie eines benehmen. Angriff!“ Er lachte triumphierend, als auch sein zweiter Schneeball sein Ziel nicht verfehlte, doch Dies Rache ließ nicht lange auf sich warten.
 

Wie lange sie sich den Schnee um die Ohren geworfen hatten, hätte er hinterher nicht sagen können. Was er jedoch wusste war, dass sein Bauch vor lauter Lachen schmerzte, seine Lungen von der kalten Luft brannten und seine Kleidung auch schon einmal deutlich trockener gewesen war.

„Können wir uns auf ein Unentschieden einigen?“, fragte er keuchend, nachdem er erneut nur knapp einem von Dies Schneebällen ausgewichen war.
 

„Okay, weil du es bist.“ Die ließ den Schnee fallen, der sein nächstes Geschoss hätte werden sollen, und klopfte sich Feuchtigkeit und Kälte von der Kleidung. Kaoru tat es ihm gleich, ging auf ihn zu und deutete einen Stoß an, den Die mit Leichtigkeit parierte.
 

„Wollte nur sichergehen, dass du nicht nachlässig wirst.“ Grinsend sah er auf und direkt in Dies Augen, die mit den Eiskristallen um ihn herum um die Wette funkelten. Egal, was er eben noch hatte sagen wollen, die Fähigkeit zu sprechen verließ sein Gehirn ebenso schnell, wie ein langes Ausatmen seine Lungen. Kaoru blinzelte und blinzelte noch einmal, ohne sich aus seiner Starre lösen zu können.
 

Durch die hohen Fenster und das Glasdach der Anlage fiel nur noch dämmriges licht und die Betreiber hatten die Beleuchtung im Inneren den vorherrschenden Lichtverhältnissen angepasst. Kaoru war niemand, der sich für stimmungsvollen Lichteinsatz interessierte, aber selbst ihm fiel auf, dass sie damit ein beinahe romantisches Ambiente geschaffen hatten. Gerade, als er sich räuspern wollte, um dieser irrealen Situation zu entgehen, stockte ihm erneut der Atem.
 

„Du siehst aus, wie eine Vogelscheuche.“ Die zog seine Handschuhe aus und fuhr durch seine Haare, die, so fühlte es sich zumindest an, tatsächlich nach allen Seiten hin abstanden.
 

„Glaubst du, du siehst besser aus?“, brachte er etwas zu leise heraus, aber immerhin hatte seine Stimme nicht versagt. Was man von seiner Atmung und seinem Herzschlag nicht ganz behaupten konnte.
 

„Ach, das war es mir wert.“ Von seinem Handgelenk zog Die einen dünnen, schwarzen Haargummi, raffte seine langen Strähnen zusammen und band sie in einem unordentlichen Dutt. „So, wäre das auch erledigt.“ Die Handschuhe wieder angezogen bückte er sich nach seinem Rodel und nahm auch die Schnur von Kaorus auf.

„Lass sie uns zurückbringen und dann ins Weihnachtsdorf gehen. Ich hab einen Bärenhunger und brauch dringend etwas Warmes zu trinken.“
 

„Klingt gut.“
 

Der Teenager, der ihre Rodel in Empfang nahm, musterte sie mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck und Kaoru fragte sich für einen Moment, ob er sie erkannt haben könnte. Aber nein, vermutlich wunderte er sich nur über die alten Männer, die sich die letzte halbe Stunde wie die Kinder vor seinen Augen im Schnee gebalgt hatten. Er konnte es sich nicht verkneifen, ihm ein überhebliches Grinsen zuzuwerfen, bevor sie sich auf den Weg zum Weihnachtsdorf machten.
 

„Wegen dir bekommt der junge heute sicher Albträume. Hast du gesehen, wie er uns nachgeschaut hat?“
 

„Warum? Ich hab ihn doch nur angelächelt.“
 

„Das war kein Lächeln und das weißt du.“
 

Schmunzelnd war es nun an Kaoru, sich bei seinem Freund unterzuhaken und ihn, kaum hatten sie die Ansammlung an Ständen und Hütten erreicht, in die Richtung zu dirigieren, aus der es wunderbar nach gegrillten Würsten duftete. Vielleicht würde er heute noch einem Herzinfarkt entgehen,, wenn er sich Die anpasste und nicht immer das Reh im Scheinwerferlicht markierte, sobald der andere ihm freundschaftlich näherkam. 

#10

Kaoru fühlte sich wie erschlagen, ihm war noch immer kalt und eine heiße Dusche hatte sich in seinem Leben noch nie besser angehört. Dennoch ertappte er sich dabei, wie er Dies Auto mit einem feinen Lächeln auf den Lippen verließ. Er war wirklich froh, dass sein Freund es erneut auf sich genommen hatte, sie zu fahren, denn er selbst wäre vermutlich hinterm Steuer eingeschlafen. Er war so erschöpft gewesen, dass er sich nicht einmal darüber hatte aufregen können, als Die einen Radiosender entdeckt hatte, der das Innere des Wagens mit weihnachtlichen Klängen geflutet hatte. In erster Linie waren es die allseits bekannten, wenn auch seiner Meinung nach nicht beliebten, englischsprachigen Weihnachtslieder gewesen, doch Kaoru glaubte, sich zu erinnern, auch andere Sprachen herausgehört zu haben. Japanisch, natürlich, vielleicht auch Spanisch und … Deutsch? Er wusste es nicht mehr, weil er ihre Autofahrt in einer Art Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wachen verbracht hatte. Es sprach Bände, wie sehr er Die vertraute, dass er sich sicher genug gefühlt hatte, um ein Nickerchen zu machen.
 

„Puh, ich bin komplett durchgefroren, nicht einmal die Heizung im Auto hat was gebracht.“
 

„Dito“, bestätigte Kaoru und schleppte sich die letzten Stufen hinauf in den fünften Stock. Noch nie hatte er die Unfähigkeit seiner Hausverwaltung mehr verflucht als gerade eben.

„Was zum …“

Überrascht starrte er auf die diversen Dinge, die, kaum war er vor seiner Wohnungstür angekommen, ihm den Zutritt zu eben jener Wohnung versperrten. Eine Tüte, zwei Schachteln in unterschiedlichen Größen und …

„Ist das ein Weihnachtsbaum? Die?!“
 

„Ah, perfekt. Ich hatte gehofft, dass die Lieferung rechtzeitig kommt.“
 

„Lieferung? Was hast du angestellt?“
 

„Glaubst du denn, mein Plan bestünde nur darin, mit dir Wintersport zu machen und dich in ein Weihnachtsdorf zu entführen? Nee, mein Lieber, ich hab noch mehr weihnachtliche Dinge in der Hinterhand.“
 

Kaorus Mund öffnete und schloss sich, ohne dass ihm auch nur ein Wort über die Lippen kam. Schlussendlich entschied er sich für ein tief empfundenes Kopfschütteln und deutete auf den eingepackten Baum.

„Den räumst du beiseite.“
 

„Na klar. Wenn du mir die Tür aufhältst, trage ich ihn dir sogar bis ins Wohnzimmer.“
 

„Da ist kein Platz.“
 

„Platz ist in der kleinsten Hütte und nun red nicht rum, sondern sperr auf.“
 

„Muss das sein?“
 

„Kaoru~, wo bleibt deine Fairness?“
 

„Die ist erfroren“, murrte er, aber öffnete wie gefordert die Tür und hielt sie fest, damit Die den Baum hineinhieven konnte, nachdem er sich sogar noch brav die Schuhe ausgezogen hatte. Manchmal besaß dieses zu große Kind doch so etwas wie Anstand. Kaoru presste Daumen und Zeigefinger gegen seine Nasenwurzel und atmete tief durch, während aus dem Wohnzimmer leise Flüche und ein unheilvolles Klirren zu hören waren.

„Die? Was war das?“
 

„Nichts, nichts, alles in Butter hier.“
 

„Wer’s glaubt, wird selig.“ Mit einem tief empfundenen Ächzen bückte er sich nach Dies Stiefeln, stellte sie an die Garderobe und seine gleich daneben. Irgendwie … Einen langen Moment betrachtete er die Schuhe, bevor er sich energisch losriss. Seine Gedanken am heutigen Tage gehörten wirklich verboten. Warum brachten zwei Paar Stiefel, die nebeneinander im Flur standen, sein Herz dazu, schon wieder verrückt zu spielen? Das waren nur Schuhe, verdammt.
 

„Kannst du mir die kleinere der beiden Kisten bringen, bitte?“
 

„Natürlich“, nuschelte Kaoru in seinen Bart, gab der großen Kiste einen zufriedenstellenden Tritt, der sie über die Türschwelle beförderte, und bückte sich nach der Kleineren.

„Was ist da drin?“, rief er, „Wackersteine?“
 

„Die Halterung für den Baum, die muss so schwer sein, damit er nicht umfällt.“
 

„Noch ein Grund, warum das eine dumme Idee ist.“ Bevor er zu Die ins Wohnzimmer ging, schob er noch die Tüte mit dem Fuß in die Wohnung und knallte der Welt dann endlich die Tür vor der Nase zu. Dumm nur, dass Die auch zu dieser Welt gehörte, sich jedoch nicht auf gleiche Weise aussperren ließ.
 

„Kaoru, ich brauch die Halterung!“
 

„Ja doch, daran hättest du auch denken können, bevor du die halbe Botanik in meine Wohnung schleppst. Hier.“
 

„Packst du sie bitte noch aus?“
 

Er verkniff sich ein Augenrollen, denn irgendetwas sagte ihm, dass Die sich gerade köstlich amüsierte. Kaoru hatte absolut keine Ahnung, wie er nur auf diesen Gedanken kam. Ob es an dem breiten Grinsen lag, dass er seinem Freund am liebsten aus dem Gesicht gewischt hätte?
 

„Du bewegst dich auf sehr, sehr dünnem Eis, mein Guter.“
 

„Motz nicht.“ Die bedeutete ihm, das schwere Ungetüm von Christbaumständer neben seinem Sofa zu platzieren. Erstaunlich geschickt und vor allem schnell hatte er den Baum in die Halterung gestellt und mit wenigen Handgriffen fixiert. Die machte das wirklich nicht zum ersten Mal, das stand fest.

„Siehst du, schon steht er.“
 

„Ja, das schon, aber noch etwas schiefer und du kommst damit ins Guinnessbuch der Rekorde.“
 

„Genau das ist das Ziel, Einstein.“ Die schnippte ihm leicht gegen die Stirn, bevor er sich ihm zu Füßen warf. Nun gut, in Wahrheit kniete er sich nur hin, um unter den Baum sehen und die Halterung so ausrichten zu können, damit er hoffentlich irgendwann auch gerade stand.
 

„Mehr nach rechts“, kommentierte Kaoru sein Tun und wechselte die Seite, als Die seiner Anweisung nachgekommen war.

„Jetzt noch ein Stück nach vorn … zu weit. Wieder etwas zurück, nein, näher zum Fenster …“
 

„Passt es jetzt?“

Kaoru ließ sich auf das Sofa fallen, lehnte sich gegen die Polster und streckte die Beine aus.

„Kaoru?“
 

„Mh?“
 

„Steht der Baum jetzt gerade?“
 

„Nö.“
 

„Wie, nö?“ Die kroch unter dem Baum hervor und warf erst ihm einen irritierten Blick zu, bevor er die Tanne ausführlich musterte.

„Ich weiß nicht, was du willst, die steht doch gerade.“
 

„Ich hab nie was anderes behauptet.“
 

„Was? Du sagtest doch …“ Kaoru lachte leise und erst jetzt schien auch Die zu verstehen, dass er ihn nur auf den Arm genommen hatte.

„Okay, das hab ich verdient.“
 

„Das und noch so vieles mehr.“
 

„Wie bitte?“
 

„Ich hab gefragt, ob du auch ein Bier willst.“
 

„Unbedingt.“
 

Kaoru nickte, erhob sich und ging in die Küche, um besagtes Bier zu holen. Seine Füße waren noch immer kalt und er sehnte sich mit jedem verstreichenden Moment mehr nach einer heißen Dusche. Aber er würde sich noch gedulden müssen, denn auch wenn Die sich mehr oder weniger selbst eingeladen hatte, war er ein Gast, und der Gast ging nun mal vor.
 

„Bitte sehr, der Herr.“
 

„Die Firma dankt, kanpai!“ Die Flaschen klirrten leise, als sie sie aneinanderstießen, während sie vor dem einigermaßen geraden Baum standen und vor allem Die sein Werk begutachtete, als wäre es ein architektonisches Meisterstück.
 

„Du musst zugeben, dass sich ein bisschen Grün in deiner Wohnung richtig gut macht.“
 

„Etwas weniger hätte es auch getan. Wenigstens riecht er gut.“
 

„Schon oder? Das ist der Grund, weshalb ich eine echte Tanne besorgen wollte, was übrigens gar nicht einfach war, aber für das richtige Weihnachtsfeeling gehört dieser spezielle Duft unbedingt dazu.“
 

„Ich verstehe echt nicht, warum du das alles machst. Nur, um diese dämliche Wette zu gewinnen?“ Er setzte sich und Die tat es ihm gleich, saß sogar näher bei ihm, als er es für angemessen gehalten hätte, aber er sagte nichts.
 

„Natürlich mache ich das in erster Linie, um zu gewinnen.“ Interessiert betrachtete er Dies Profil und musste feststellen, dass sein Freund plötzlich eigenartig ernst wirkte. Hatte er etwas Falsches gesagt oder mit seiner mürrischen Laune endgültig die Stimmung verdorben?

„Aber es ist auch schön, Weihnachten nicht allein zu verbringen. Fast wie früher, findest du nicht auch?“
 

„Schon … irgendwie.“

Weder Die noch er selbst fuhren regelmäßig an Weihnachten zu ihren Familien. Falls es sich in einem Jahr ergab, war das so, aber sie verschoben nicht absichtlich Termine, um Zeit zu haben. Die hielt es da meist wie Toshiya und Shinya, die ihre Eltern zum Neujahrsfest besuchten, aber Kaoru blieb um diese Zeit gern für sich. Aber früher, ja, früher, als er noch mit die zusammengewohnt hatte, war das ganz anders gewesen.

„Zugegeben, es hatte schon was für sich, am Weihnachtsabend mit dir um die Häuser zu ziehen.“
 

„Erinnerst du dich noch, wie herrlich wir uns immer über die Pärchen amüsiert haben, die Stunden vor den Konditoreien Schlange standen, nur um einen dieser überteuerten Weihnachtskuchen zu ergattern?“
 

„Du hast dich köstlich amüsiert. Ich finde, für einen richtig guten Weihnachtskuchen kann man den Aufwand schon betreiben.“
 

„Nicht dein Ernst? Die sind doch viel zu süß und zu üppig mit den Bergen an Sahne und Zucker.“
 

„Sagt derjenige, der schon zum Frühstück Toast mit pappsüßer Erdnussbutter und Traubengelee isst. Vor allem Traubengelee … das schmeckt doch wirklich nach nichts außer Zucker.“
 

„Das ist Jahre her, das zählt nicht mehr.“
 

„Ach nein? Und was ist mit deinen heiß geliebten Karamellbonbons, die quasi nach einem Zahnarztbesuch schreien?“
 

„Die sind Kult, Kult darf süß sein.“
 

„Bitte erinnere mich das nächste Mal daran, dass Logik bei dir vergebene Liebesmühe ist.“
 

„Wird gemacht.“ Die lachte herzhaft und lehnte sich kurz gegen seine Seite. Kaorus Finger kribbelten, wollten den anderen näher gegen sich ziehen, seine Wärme genießen. Stattdessen hielt er sich lediglich an seiner Bierflasche fest und bemühte sich redlich, gleichmäßig weiterzuatmen. Seine Stimme war kratzig und er musste sich räuspern, bevor er einen anständigen Ton herausbekam, nachdem Die endlich wieder auf Abstand gegangen war.
 

„Du solltest duschen gehen, damit ich meine eingefrorenen Knochen auch bald aufwärmen kann.“
 

„Okay.“
 

„Handtücher liegen auf der Waschmaschine.“
 

„Danke.“

Zwei harte Herzschläge lang fühlte er Dies Blick noch auf sich ruhen, dann verschwand er im Flur. Wenig später hörte Kaoru die Badezimmertür, aber statt dem Rauschen der Dusche war es erneut die Stimme seines Freundes, die an seine Ohren drang.

„Die Tüte kannst du übrigens stehen lassen, die räume ich nachher weg.“
 

„In Ordnung.“
 

„Und die große Schachtel auch.“
 

„Ist gut, aber was ist da überhaupt drin?“
 

„Die Grundausstattung für den Baum.“
 

„Grundausstattung?“, murmelte Kaoru in seinen Bart und ahnte Schlimmes.
 

„Den Rest besorgen wir morgen.“

Und mit diesen Worten bewahrheitete sich auch die zweite Vorahnung des Tages.

#11

Der nächste Morgen empfing Kaoru in altbekannter Dunkelheit, so wie es sein sollte. Eine ganze Weile blieb er liegen, den Blick zur Zimmerdecke gerichtet und dachte über den vergangenen Tag nach. Den Versuch, die Ereignisse als eine Art Traum abzutun, musste er spätestens dann aufgeben, als er den Fehler machte, sich auf die Seite zu drehen. Gott, ihm tat jeder Knochen weh.

Wenig später schleppte er sich ächzend und mit dem ein oder anderen derben Fluch auf den Lippen ins Bad, ohne seiner Umgebung viel Interesse zu schenken. Vor dem ersten Kaffee war er schlichtweg nicht aufnahmefähig. So erklärte sich auch seine Verblüffung, als er wenig später die Küche betrat und erneut nicht nur mit dem Duft von frischem Kaffee, sondern auch von einem recht munter wirkenden Die begrüßt wurde.
 

„Ich glaub, ich hab gerade ein Déjà-vu, bist du krank?“, entfuhr es ihm unhöflicher, als er beabsichtigt hatte.
 

„Guten Morgen, Die, hast du gut geschlafen? Oh, vielen Dank der Nachfrage, Kaoru, mein Rücken scheint sich langsam an den Gästefuton zu gewöhnen“, trällerte sein Freund, bevor er ihn abwartend musterte.
 

„Ich … ja … guten Morgen, Die. Du hast recht, das war unhöflich von mir, tut mir leid. Aber trotzdem, warum bist du schon wach?“
 

„Alles gut, ich weiß ja, dass du zwar ein Frühaufsteher, aber kein Morgenmensch bist.“ Die schenkte ihm ein brillantes Lächeln und deutete auf die zweite Tasse auf dem Tisch.

„Setz dich, ich hab dir schon eingegossen.“
 

„Danke, aber das wäre nicht nötig gewesen; alles, auch das Kaffeekochen und so.“
 

„Ich dachte mir, wenn ich mich schon bei dir einquartiert habe, sollte ich mich wenigstens etwas deinen Gewohnheiten anpassen und da gehört es dazu, früh aufzustehen und dich mit deinem Lebenselixier zu versorgen. Außerdem haben wir heute viel vor.“
 

„Haben wir das?“, fragte er lauernd und nichts Gutes ahnend. Er setzte sich Die gegenüber, hielt seine dampfende Tasse in beiden Händen und hob abwartend eine Augenbraue.
 

„Natürlich haben wir das, sagte ich dir doch gestern schon.“
 

„Ich hatte gehofft, du würdest mich nur auf den Arm nehmen.“
 

„Nope.“
 

„Mir tut jeder Knochen weh, muss das sein?“ Kaoru lehnte sich in seinem Stuhl zurück und versuchte, seine Unlust mit großen Schlucken Kaffee hinunterzuspülen.

„Verrate mir wenigstens, worauf ich mich heute einstellen muss.“
 

„Jedenfalls nicht auf sportliche Aktivitäten, so viel kann ich dir versprechen.“
 

„Immerhin.“
 

„Ich pack schon mal zusammen, trink in Ruhe deinen Kaffee, frühstücken können wir auch in der Innenstadt.“
 

„Du willst in die Innenstadt fahren? Bist du lebensmüde oder so?“
 

„Hab doch mal ein bisschen Vertrauen in mich, Mister Grumpy.“
 

„Mister Grumpy, hu?“, brummte Kaoru stilecht in seinen Bart und musste sich ein Schmunzeln verkneifen, während er dabei zuhörte, wie Die im Flur seine Sachen packte. Sein Englisch reichte gerade so weit, dass er verstand, was sein Freund mit diesem Spitznamen aussagen wollte und er musste zugeben, dass Die damit gar nicht so unrecht hatte. Er war gerade wirklich etwas missgelaunt, aber ihm tat alles weh und außerdem machte es Spaß, Die etwas zu necken. Große Lust, sich ins Getümmel der Stadt stürzen zu müssen, hatte er dennoch nicht. Was sollten sie überhaupt dort? Weihnachtsgeschenke auf den letzten Drücker kaufen? Na, immerhin lief Kaoru dann nicht Gefahr, diesem weihnachtlichen Zirkus doch noch etwas abzugewinnen. Es gab schließlich nichts, was für ihn weniger erstrebenswert wäre, als Menschenmassen im Weihnachtsstress und er mittendrin.
 

~*~
 

Falls Kaoru gedacht hatte, diesen Teil von Dies Plan schon so gut wie für sich entschieden zu haben, hatte er sich schwer getäuscht. Die U-Bahn war um diese frühe Uhrzeit angenehm leer, wie auch die Straßen und sogar das große Kaufhaus, in das es sie verschlagen hatte.
 

„So, da sind wir“, verkündete Die, als hätte Kaoru keine Augen im Kopf.
 

„Und was wollen wir hier?“
 

„Ich hab bislang nur die Halterung für den Baum, die Lichterkette und die Decke für darunter besorgt.“
 

„Ja~ …“
 

„Was heißt, dass wir uns jetzt nach Baumschmuck umsehen werden.“
 

„Baumschmuck …“, echote Kaoru und hätte mit Worten nicht beschreiben können, wie unterirdisch seine Begeisterung gerade war.

„Weißt du was? Ich hab eine grandiose Idee. Du kaufst einfach irgendwas und ich verzieh mich derweilen in die Buchabteilung. Ich wollte mir schon lange den neuen Dan Brown Roman zulegen.“
 

„Meinst du Inferno?“
 

„Ja.“
 

„Das ist doch schon seit Jahren auf dem Markt.“
 

„Siehst du mal, wie wenig Zeit ich zum Lesen habe.“

Die hatte sich bei ihm untergehakt – das schien zur Gewohnheit zu werden – und dirigierte ihn zu den Rolltreppen.

„Die Buchabteilung ist im Untergeschoss.“
 

„Schön, wir müssen aber in den ersten Stock.“
 

„Ich hab aber keine Ahnung von Baumschmuck und es interessiert mich auch nicht.“
 

„Abwarten.“
 

Nur mit Mühe konnte sich Kaoru ein Seufzen verkneifen, während die Rolltreppe sie ihrem Ziel immer näher brachte. Wieder einmal musste er feststellen, dass er keine Chance hatte, wenn Die sich etwas in den Kopf setzte.

„Es ist erstaunlich ruhig hier“, stellte er fest, als er nach unten sah und auf der Verkaufsfläche tatsächlich nur eine Handvoll Angestellte zu erkennen glaubte.

„Öffnet das Kaufhaus nicht eigentlich erst um zehn?“
 

„Möglicherweise kenne ich den Storemanager und hab den Gefallen eingefordert, den er mir noch schuldig war.“
 

„Du hast was?“
 

„Glaubst du denn, ich jage dich im größten Weihnachtstrubel in ein Kaufhaus? Ich habe vor, zu gewinnen, schon vergessen?“
 

Für einen langen Moment konnte er Die nur fassungslos ansehen. Er konnte nicht glauben, was sein Freund sich alles einfallen ließ und auf sich nahm, nur um diese dämliche Wette zu gewinnen. Wer tat so etwas, bitte? Sein Herz, das sich bis eben in Dies Gegenwart beinahe normal verhalten hatte, fing nun an, in doppeltem Tempo zu schlagen und wohlige Wärme durch seinen Körper zu jagen. Die, der bis über beide Ohren grinste, machte es ihm noch schwerer, den aufziehenden Tumult in seinem Inneren zu ignorieren. Oh, bitte, könnte der Tag nicht bereits vorbei sein? Nein, natürlich nicht, das war zu viel verlangt, und zu allem Überfluss legte Die ihm gerade den Arm um die Schultern, um ihn erneut zu dirigieren, bis sie in der Schöner-Wohnen-Abteilung angekommen waren.
 

„Du bist … Das ist … Wie kommst du nur auf so eine Idee?“, stammelte er schlussendlich mit einiger Verspätung und schüttelte den Kopf. „Wenn du, was die Band angeht, auch solche Einfälle hättest …“ Dies Finger schnellte vor und legte sich über seine Lippen.
 

„Sag nichts, was du später bereust. Erstens habe ich auch die Band betreffend gute Einfälle und zweitens willst du jetzt ganz bestimmt nicht über die Arbeit reden.“
 

„Wollen schon …“ Kaoru schmunzelte und trat einen Schritt zurück, um der Berührung zu entgehen, die seine Lippen viel zu interessant fanden.
 

„Du bist unmöglich, aber das hindert mich trotzdem nicht daran, mit dir gemeinsam Baumschmuck auszusuchen.“
 

„Das habe ich befürchtet.“
 

„Was hältst du von orange? Das ist die Trendfarbe dieses Jahr.“
 

„Schrecklich.“
 

So oder so ähnlich verlief ihre Unterhaltung für die nächste halbe Stunde. Kaoru schlug alles aus, was ihm zu grell, zu kitschig oder zu kindlich war, bis er ganz am hinteren Ende der Abteilung etwas erspähte, was ihm tatsächlich gefiel.
 

„Die sind in Ordnung, denke ich.“
 

„Oh, wie hübsch, Eiszapfen.“ Die zog einen der filigranen Anhänger von der Kunsttanne, an deren Ästen sie ausgestellt waren, und begutachtete ihn genauer.

„Nicht das, was ich mir ausgesucht hätte, aber das schlichte Design passt zu dir. Du bist eben ein Mann, der weiß, was er will, und nicht mehr davon abrückt, wenn er sich erst entschieden hat, nicht wahr?“
 

„Mh, wenn du das sagst.“ Kaoru hatte sich nach einer der Schachteln gebückt, die unter dem Auslagentisch gestapelt waren, und kämpfte damit, diesem eher fragwürdigen Kompliment nicht zu viel Bedeutung beizumessen. Täuschte er sich, oder war bei Dies Worten soeben ein eigenartiger Unterton in seiner Stimme mitgeschwungen? Er schielte nach oben, aber sein Freundhatte sich einer anderen Auslage zugewandt und beachtete ihn nicht weiter. Nein, er musste sich das nur eingebildet haben.

„Es gibt auch noch Tannenzapfen im gleichen Stil, aber die gefallen mir nicht wirklich.“
 

„Lass mich raten, an denen ist dir schon zu viel Glitzer dran?“
 

„Das wird es sein.“
 

„Und wie findest du die Schneeflocken?“
 

„Die sind okay.“
 

„Uh, nicht zu viel Begeisterung auf einmal.“ Die lachte und schlug neckend gegen seine Schulter.

„Ich würde sagen, fünf Packungen von den Eiszapfen, fünf von den Schneeflocken und den großen Stern als Spitze. Damit sollte dein Bäumchen zwar festlich, aber nicht zu überladen aussehen.“
 

„Und was hast du da noch gefunden?“
 

„Das, mein lieber Kaoru, ist ein Geheimnis.“
 

„Warum frage ich überhaupt noch? Heißt das, ich kann endlich nach meinem Buch sehen?“
 

„Mh ja, ich brauch auch noch ein paar Kleinigkeiten für meine Neffen zum neuen Jahr. Am besten ich nehme den Baumschmuck mit zu den Kassen und sehe mich dann ein bisschen um. Treffen wir uns in zwanzig Minuten im Café im Untergeschoss? Das ist gleich gegenüber der Buchhandlung.
 

„Hat das denn schon geöffnet?“
 

„Hiro, der Storemanager, von dem ich vorhin gesprochen habe …“ Kaoru nickte als Zeichen, dass er sich erinnerte. Wie konnte er vergessen, was Die dem armen Kerl abverlangt hatte? „… hat mir gestern noch Bescheid gegeben, dass wir auch vor Ladenöffnung im Café Frühstücken können.“
 

„Das muss wirklich ein überaus großer Gefallen gewesen sein, den er dir schuldig war.“
 

„Nein, nein, er fand meine Idee nur cool und war recht begeistert davon, mir helfen zu können.“
 

„Ich frag mich gerade, wer von euch beiden verrückter ist: Du, weil du den Einfall hattest oder er, weil er dich dabei unterstützt hat.“
 

„Manchmal ist es gut, etwas verrückt zu sein, macht das Leben interessanter. Bis nachher, Mister Grumpy.“
 

„Wehe du lässt das zur Gewohnheit werden!“, rief er diesem zu großen Kind hinterher, erhielt jedoch nur eine winkende Hand als Antwort.

„Grumpy, pah, der würde sich wundern, wäre ich wirklich so mürrisch, wie er immer behauptet.“ 

#12

Kaoru hatte geplant, auf direktem Weg in die Buchhandlung zu gehen, sich seinen Roman zu kaufen und sich dann ins Café zu setzen, um in aller Ruhe auf Die zu warten. Während er die Rolltreppe hinunterfuhr, stieg ihm jedoch ein bekanntes Potpourri aus diversen Düften in die Nase, das typisch für eine Parfümerieabteilung war. Wenn er schon mal hier war, könnte er doch …
 

Es war unsinnig, nach einem Parfüm Ausschau zu halten, das vor über fünfundzwanzig Jahren auf den Markt gekommen war. Die Marke gab es sicher nicht mehr, außerdem hatte er den Namen vergessen. Wonach genau sollte er also suchen? Aber die Idee hatte sich festgesetzt. So fand er sich kurz darauf zwischen den Regalreihen wieder, den Blick über die Aberhunderte Fläschchen gleiten lassend, in der Hoffnung, eines von ihnen würde ihm bekannt vorkommen. Und tatsächlich, da war es.
 

„Ich glaub das nicht“, murmelte er und ging auf eine Auslage zu seiner Linken zu. Er konnte es nicht fassen, da stand es, tatsächlich, er erkannte den Flakon wieder. Kein Wunder, schließlich hatte er seinen armen Vorgänger mindestens ein halbes Dutzend Mal beinahe vom Waschbeckenrand gefegt, weil ihr Badezimmer in der WG viel zu klein gewesen war. Er nahm den Tester in die Hand, zog die Kappe ab und roch am Sprühkopf. Der vertraute Duft nach Tabakblüte, Akazie und dunkler Schokolade stieg ihm in die Nase und bevor er realisieren konnte, dass er einen Fehler gemacht hatte, fluteten Erinnerungen an längst vergessene Momente seinen Verstand.
 

Die, in einer Militäruniform, sein rotes Deckhaar zu allen Seiten hochtoupiert, während ihm die längeren Strähnen bis weit über den Rücken reichten.

Die, verkatert und verschlafen mit nichts weiter am Leib als einem viel zu weiten T-Shirt und einem schiefen Lächeln.

Die, seine Akustikgitarre auf dem Schoß und einen Bleistift zwischen den Zähnen, mit dem er von Zeit zu Zeit seine neuste Komposition auf einem Notenblatt festhielt.

Die, der sich an ihn klammerte, ungesund blass im Gesicht, weil er seine Nervosität vor dem ersten Auftritt von Dir en grey kaum noch ertragen konnte.
 

Energisch schüttelte er den Kopf, um die Geister der Vergangenheit zu vertreiben. Ebenso resolut schloss er das Fläschchen wieder und stellte es zurück. Gerade wollte er gehen, da räusperte sich jemand hinter ihm.
 

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“

Er drehte sich herum und sah sich einer jungen Verkäuferin gegenüber, die ihn mit einem geschäftsmäßigen Lächeln auf den Lippen musterte.

„Dieses Parfüm ist etwas ganz Besonderes, es ist erst seit ein paar Monaten wieder erhältlich.“
 

„Wirklich?“
 

„Ja. Die Produktion wurde bereits 2010 eingestellt, aber die Liebhaber dieses Duftes haben nie aufgehört, nach einer Wiederauflage zu bitten. Im Herbst dieses Jahres war es dann soweit.“ Die Verkäuferin strahlte ihn an, als würde sie sich ehrlich über die Rückkehr dieses Duftes freuen. Kaoru wusste, dass das nur Teil ihrer einstudierten Höflichkeit war, aber musste sich eingestehen, dass er ihren Enthusiasmus ansteckend fand.
 

„Ich …“ Seine erste Reaktion bestand dennoch darin, sich aus der Affäre ziehen und unverrichteter Dinge verschwinden zu wollen. Aber irgendetwas in ihm wollte diesen Duft unbedingt kaufen und Die schenken, was eine absolut dämliche Idee war, und trotzdem fühlte er sich nicken.

„Wissen Sie was? Ich nehme es.“
 

„Eine gute Entscheidung. Darf ich es Ihnen einpacken?“
 

„Gern.“
 

„Dann folgen Sie mir bitte. Welches Geschenkpapier darf ich verwenden?“
 

Kaoru war der Verkäuferin zur Kasse gefolgt und betrachtete nun die Auswahl der Verpackungsmöglichkeiten hinter dem Tresen. Die meisten der Rollen zierten Abbildungen von Spielzeug, Weihnachtsbäumen oder gemütlich lächelnden Weihnachtsmännern und waren eindeutig für Kinder gedacht. Der Rest war in Farben gehalten, die Kaoru erneut als viel zu grell empfand. Nur eines erschien ihm passend und wieso auch nicht? Er hatte ohnehin bereits mehrmals festgestellt, dass ihn diese Farbe verfolgte.
 

„Das Dunkelrote bitte und die weiße Schleife dazu.“
 

„Sehr gern.“

Routiniert verpackte die Verkäuferin das Parfüm, schien sich sogar extra Mühe zu geben, die Schleife hübsch aufzufächern, bevor sie ihm das kleine Kunstwerk überreichte.
 

„Vielen Dank“, murmelte er, erneut ein eigenartiges Gefühl in der Magengrube. Hätte er nur Nein gesagt und wäre gegangen. Doch für mentales Lamentieren war es nun zu spät. So bezahlte er und ließ einen Augenblick später das Päckchen in der Innentasche seiner Jacke verschwinden.
 

Auf schnellstem Weg ließ Kaoru die Parfümabteilung hinter sich, fuhr ein weiteres Stockwerk nach unten und suchte Schutz in der vertrauten Umgebung der Buchhandlung. Bücher waren gut, Bücher hielten keine Erinnerungen an Die zwischen ihren Seiten gefangen. Doch auch hier kam er nicht zur Ruhe. Den Roman hatte er schnell gefunden, aber dafür die Lust verloren, weiter durch die Regale zu stöbern. Genau genommen hatte er gerade zu nichts Lust. Er hatte keinen Hunger, wollte nicht länger hier in diesem fast menschenleeren Kaufhaus sein und allein der Gedanke daran, dass er seine Wohnung auch heute wieder mit Die teilen musste, bereitete ihm Unbehagen. Vielleicht wäre es besser, aufzugeben. Er könnte seinem Freund sagen, dass er gewonnen hatte, dass er ihm das beste Weihnachten ermöglicht hatte, das er je erlebt hatte und sie dieses Schauspiel endlich beenden sollten. Aber Die würde ihn durchschauen, das tat er immer und Kaoru hätte nichts gewonnen.
 

Ohne jeden Elan betrat er das Café. Von Die war noch nichts zu sehen, also entschied er sich für einen Tisch hinten rechts, wo er alles im Blick und die Wand im Rücken hatte. So war es ihm am liebsten. Er mochte keine Überraschungen. Das Päckchen schien derweilen ein Loch in das Futter seiner Jacke zu brennen und nicht aufzuhören, ihn an seine dumme Entscheidung zu erinnern. Mürrisch schlüpfte er aus der Jacke, legte sie neben sich auf die Bank und zog sein Buch aus der Tüte.

Solange Die noch nicht hier war, konnte er genauso gut zu lesen beginnen. So war zumindest sein glorreicher Plan. Die Realität sah anders aus, denn er hatte das Buch zwar aufgeschlagen, aber starrte nur die Seiten an, ohne zu erkennen, was dort geschrieben stand.
 

Wie war er nur auf die dämliche Idee gekommen, Die etwas zu Weihnachten schenken zu wollen?

Weihnachten war ein Fest für verliebte Paare oder Menschen, die diese besondere Zeit des Jahres zum Anlass nahmen, sich näher zu kommen, nicht für Freunde. Außerdem hatten sie sich noch nie etwas geschenkt. Nicht zu Weihnachten, nicht zum neuen Jahr und selbst zu ihren Geburtstagen brachten sie höchstens ein Gastgeschenk zur Party mit, weil sie eben nur Freunde waren. Sie waren Bekannte und Arbeitskollegen, aber standen nicht in einem Verhältnis zueinander, das ein Weihnachtsgeschenk rechtfertigte.
 

Kaoru war kurz davor, aufzuspringen und zurück in die Parfümerieabteilung zu gehen, um dieses Resultat von kurzzeitiger geistiger Umnachtung loszuwerden, da setzte sich ihm jemand gegenüber.

Und selbstverständlich war es nicht irgendwer, sondern Die, in all seiner kaum zu ertragenden Pracht.
 

„Du siehst aus, als wäre dir eine Laus über die Leber gelaufen, ist was passiert?“
 

„Nein, nein, ich war nur vertieft in den Roman.“
 

„Hast du deshalb noch nichts bestellt?“
 

„Ja, außerdem wäre es unhöflich gewesen, nicht auf dich zu warten.“
 

„Verstehe.“ Die musterte ihn mit einem eigenartigen Ausdruck im Gesicht, bevor er der Servicekraft ein Zeichen gab, dass sie bestellen wollten.

„Für mich bitte einen Oolong Tee und das Frühstück Nummer zwei..“
 

„Ich nehme das Gleiche.“
 

„Wie; keinen Kaffee? Ich bin erstaunt.“

Kaoru zuckte nur mit den Schultern und sparte sich eine Antwort. Was hätte er auch sagen sollen?

‚Die, deinetwegen rast mein Herz und ich fühle mich, als würde ich jeden Augenblick einen Infarkt bekommen?‘ Ja, das würde der andere sicher verstehen und bestimmt auch keine weiteren Fragen stellen.

„Ist das eigentlich die neuste Art, dich geistig herauszufordern?“
 

„Bitte? Was meinst du?“
 

„Na, einen Roman auf dem Kopf stehend zu lesen.“
 

Kaoru blinzelte und blinzelte noch einmal, bevor er spüren konnte, wie seine Ohren heiß wurden. Verdammt, Die hatte recht. Er hatte das Buch die ganze Zeit über verkehrt herum gehalten und es nicht einmal bemerkt.

„So oft, wie ich dir oder Toshiya gegenübersitze und auf euren Notenblättern mitlese, fällt mir das gar nicht mehr auf.“
 

„Aha, das ist … wirklich sehr interessant.“

Kaoru verzog keine Miene, während auf dem Gesicht seines Freundes ein strahlendes Lächeln erblühte. Die hatte ihn durchschaut, natürlich hatte er das, aber zu seinem grenzenlosen Erstaunen ließ er die Sache auf sich beruhen.

„Du hast also alles gefunden, was du kaufen wolltest?“
 

„Ja. Und du auch, wenn ich mir die vielen Tüten so betrachte. Hast du den halben Laden leergekauft?“
 

„So in etwa.“

Die Servicekraft kehrte an ihren Tisch zurück und brachte ein unglaublich üppiges Frühstück mit. Omelette auf Reis, ein Fruchtsalat, ein Smoothie, einen Korb mit mehreren kleinen Croissants und dazu passende Marmeladen in kleinen Glasschälchen.
 

„Himmel, wer soll das alles essen?“
 

„Wir. Schließlich haben wir Zeit, also, lass es dir schmecken.“

#13

„Endlich wieder zu Hause.“ Kaoru atmete erleichtert aus, als er die Tür zu seiner Wohnung öffnete und eintrat. Die hatte all seine Taschen bis auf eine gleich ins Auto gebracht, während Kaoru sich um den Baumschmuck gekümmert hatte. Selbigen parkte er nun unzeremoniell auf dem Sofa und seinen Hintern gleich daneben. Noch einmal entkam ihm ein erleichtertes „Endlich“, bevor er seine Beine ausstreckte und für einen langen Moment die Augen schloss. Die Fahrt zurück hatte sich weitaus weniger stressfrei gestaltet wie die am frühen Morgen, sodass er gerade nur froh war, heute niemanden mehr sehen zu müssen.

 

„Tut mir leid, dass es jetzt doch so ein Akt war, wieder aus der Stadt herauszukommen. Wir hätten früher losfahren sollen“, rief Die noch im Flur stehend und erinnerte ihn daran, dass es doch einen Menschen gab, an dessen Gesellschaft er sich heute noch erfreuen musste; oder durfte? Er war sich da noch immer nicht ganz sicher. Ächzend erhob er sich und ging in die Küche. Vorhin war es ihm unvernünftig erschienen, noch einen Kaffee zu trinken, aber wenn er jetzt nicht bald etwas Koffein in sein System bekam, würde er an Ort und Stelle einschlafen.

 

„Schon gut, ist ja nicht deine Schuld. Willst du was trinken? Ich setze Kaffee auf.“

Dies Antwort ließ auf sich warten, also bereitete er alles für eine ganze Kanne vor.

 

„Hast du eine Cola für mich?“

 

„Klar.“

Nun gut, Kaffee wurde nicht schlecht, zumindest nicht in seiner Gegenwart. Gerade als er eine Flasche Cola aus dem Kühlschrank nahm und ihm dabei diverse Lebensmittel ins Auge stachen, die er nicht gekauft hatte, wurde die Tür mit Nachdruck zugeschoben.

 

„Sei nicht so neugierig.“

 

„Neugierig? Entschuldige, dass ich in meinen Kühlschrank geschaut habe, um für dich eine Cola zu holen, kommt nicht wieder vor. Was ist das überhaupt alles?“

 

„Entschuldigung angenommen und geht dich nichts an.“ Die grinste ihn frech an, als hätte er im Leben noch nie etwas von Sarkasmus gehört. Kaoru verkniff sich ein Schnauben und einen Kommentar gleichermaßen, drückte ihm die Flasche in die Hand und holte eine Kaffeetasse aus dem Oberschrank. Unbeeindruckt schlurfte sein Freund mit seiner Errungenschaft ins Wohnzimmer, während Kaoru nichts anderes übrig blieb, als ihm unschlüssig hinterherzusehen. Ein kleiner Teil in ihm war neugierig, was sich der andere noch alles einfallen lassen würde, immerhin ließ der Inhalt des Kühlschranks einiges vermuten. Der weitaus größere Teil jedoch wünschte sich, den Nachmittag in Ruhe verbringen zu können. Er hatte die Nase voll von all dem Weihnachtstrubel, er wollte keinen Baum, keine Ornamente, kein Parfüm und auch keinen Die, der ihn so schrecklich verwirrte.

 

„Kaoru? Kommst du mal?“

Langsam aber sicher musste er davon ausgehen, dass sein Freund doch Gedankenlesen konnte. Wie sonst wäre es zu erklären, dass er immer genau zu wissen schien, wenn Kaoru über ihn nachdachte? Oder – und das war die weitaus logischere Option – es lag schlicht und einfach daran, dass seine Gedanken seit gestern ständig um Die kreisten.

„Kaoru!“

 

„Ja, ich komme ja schon.“

Geschlagen stellte er die Tasse zurück in den Schrank und trabte ebenfalls ins Wohnzimmer.

„Was denn? Ich wollte mir gerade einen Kaffee machen.“

 

„Das kannst du später noch“, bestimmte Die und deutete auf das Kabelgewirr zu seinen Füßen.

„Jetzt brauch ich deine Hilfe mit der Lichterkette.“

 

„Ich hab keine Ahnung von Lichterketten.“

 

„Brauchst du auch nicht. Das ist ganz normaler Kabelsalat und ich weiß, wie gut du im Entwirren bist.“

Die bückte sich und zog einige der Kabel beiseite, um den Anfang zu finden. Kaoru tat es ihm gleich, aber zu zweit machten sie das Chaos nur schlimmer.

„So ein Mist aber auch“, fluchte sein Freund halblaut, „ich hätte die Lichterkette nicht auf einmal aus der Packung holen sollen.“

 

„Offensichtlich nicht. Nimm bitte deine Finger weg. So hektisch, wie du bist, machst du es nicht besser.“

 

„Ja, aber …“

 

„Nichts, aber. Du kannst mir in der Zwischenzeit meinen Kaffee machen, wenn du etwas tun willst.“

 

„Ja klar, Kaffee! Kommt sofort.“ Wie ein übergroßer Gummiball sprang Die auf und verschwand so schnell in der Küche, dass es Kaoru nicht gewundert hätte, hätte er Brandspuren auf dem Fußboden hinterlassen. Er schmunzelte, setzte sich auf die Couch und zog das Gewirr aus Lichtern und Kabeln auf seine Beine. Wenn er gewusst hätte, dass es Die so sehr freute, ihm einen Gefallen zu tun, hätte er ihn schon früher um eine Kleinigkeit gebeten. Oder vielleicht auch nicht, denn ihm wurde schon wieder ganz warm ums Herz und das war definitiv eine Gefühlsregung, an die er sich weder gewöhnen wollte, noch sollte.

 

Es hatte etwas Meditatives an sich, Ordnung in das Chaos auf seinem Schoß zu bringen. Auf dem niedrigen Tischchen vor ihm stand seine dampfende Kaffeetasse, von der er immer mal einen Schluck trank und dabei feststellen musste, dass Die ihn genauso zubereitet hatte, wie er ihn mochte. Er konnte die Gefühle nicht beschreiben, die ihm daraufhin erneut zusetzten, und versuchte lieber, sich von ihnen nicht beeinflussen zu lassen. Dennoch ertappte er sich dabei, dass er seinem Freund den ein oder anderen verstohlenen Blick zuwarf, während dieser es sich mit seinem Handy im Sessel bequem gemacht hatte.

 

„Fertig“, murmelte er eine Weile später und war beinahe enttäuscht, dass die Lichterkette nun wieder gerade und ohne Knoten vor ihm ausgebreitet auf dem Boden lag. „Was jetzt?“

 

„Jetzt hast du am besten ein Auge drauf und hältst die Kabel immer schön gerade, damit wir keinen Knoten mehr hineinbekommen, während ich sie um den Baum lege.“

 

„In Ordnung, das sollte ich hinbekommen.“

 

Die grinste ihn breit an und die offensichtliche Freude darüber, dass Kaoru für einmal einfach zugestimmt hatte, statt sich in Gegenargumenten zu verlieren, war so ansteckend, dass sich auch auf seinen Lippen ein schiefes Lächeln zeigte.

 

Die nahm das eine Ende der Kette, steckte den Stecker ein und begann, sie von unten nach oben um den Baum zu winden. Hier und da korrigierte er die Lage eines Stranges, hob die ein oder andere Schlaufe auf einen höheren Ast, bis er schlussendlich zufrieden und nichts mehr von der Lichterkette übrig war. Nach welchem Plan sein Freund dabei vorgegangen war, war ihm bis zum Schluss ein Rätsel, aber als Die die beiden Enden der Lichterkette miteinander verband und den Stromkreis schloss, musste selbst er zugeben, dass der Baum bereits jetzt sehr festlich aussah. Was so ein paar Lichter nicht alles ausmachten.

 

„Und? Wie findest du es?“

 

„Sieht gut aus“, gab er unverhohlen zu und erwiderte Dies Strahlen mit einem kleinen, deutlich privateren Lächeln.

 

„Dann musst du ihn jetzt nur noch dekorieren.“

 

„Ich?“

 

„Natürlich du, es ist schließlich dein Baum.“

 

„Aber das Ganze war und ist deine Idee, also machen wir das schön zusammen.“ Kaoru war bereit, Die mit seinem patentierten Leaderblick in Grund und Boden zu starren, doch sein Freund zuckte nur unbeeindruckt mit den Schultern und packte die Schachteln mit Baumschmuck aus.

„Warum …“, begann er und musterte den anderen stirnrunzelnd, „werde ich das Gefühl nicht los, dass ich dir gerade in die Karten gespielt habe?“

 

„Ich weiß gar nicht, was du meinst.“ Den Unschuldsblick hatte Die ungelogen perfekt drauf, allerdings kannten sie sich schon zu lange, als dass Kaoru das freche Funkeln in den dunklen Tiefen verborgen geblieben wäre. Geschlagen seufzte er und wollte gerade eine der Schachteln mit den Eiszapfen vom Sofa nehmen, als ihn Die zurückhielt.

„Warte kurz, ich hab noch etwas für dich, bevor wir anfangen.“

Die verschwand im Flur und kam einen Augenblick später mit einem Stoffbündel zurück ins Wohnzimmer.

„Zieh deinen Pullover aus.“

 

„Was? Warum?“

 

„Weil zwei Pullover übereinander selbst dir zu warm werden.“ Hätte sein Freund keine Ohren besessen, sein Grinsen würde einmal um seinen ganzen Kopf reichen, als er besagtes Bündel hochhielt. Ein schwarzer Pullover kam zum Vorschein, der akzeptabel gewesen wäre, befände sich auf der Vorderseite nicht die Abbildung eines grimmig dreinschauenden grünen Kobolds mit Weihnachtsmütze auf dem Kopf.

 

„Der Grinch.“

Kaoru erkannte die Figur auch nur, weil er Jim Carrey als Schauspieler schätzte und bislang jeden seiner Filme gesehen hatte.

„Was steht da?“

 

„It’s not so bad afterall.“

 

„Und das heißt?“ Die wusste haargenau, dass sein Englisch zu wünschen übrig ließ, warum also hatte er es nicht gleich übersetzt? Ah ja, deshalb, sein anhaltendes Grinsen sprach Bände.

 

„Es ist ja doch nicht so schrecklich.“

 

„Was?“

 

„Weihnachten, natürlich.“

 

„Natürlich. Und du willst nun, dass ich den Pullover anziehe?“

 

„Ganz genau.“

 

„Um in Weihnachtsstimmung zu kommen.“

 

„Das auch.“

 

„Und warum noch?“

 

„Weil wir dann perfekt zusammenpassen.“

Die deutete vielsagend auf seinen eigenen Weihnachtspullover, den er bereits seit heute Morgen trug. Er war grau mit einem pausbäckigen Santa auf der Vorderseite und darunter stand in roten Lettern „Ho ho ho!“ geschrieben. Alles in allem also ein Design, das so anders war, dass Kaoru es nicht als perfekt zusammenpassend bezeichnen würde. Seine Skepsis musste ihm quer übers Gesicht geschrieben sein, denn mit dem Einfallsreichtum der Verzweiflung setzte Die noch ein Argument obenauf.

„Außerdem ist er ganz warm und flauschig, genauso, wie du es magst.“ Die wippte mit den Augenbrauen und streichelte vielsagend über den Stoff. „Ga~anz weich.“

 

„Dumpfbacke“, murrte Kaoru und rollte mit den Augen, aber zog sein Oberteil über den Kopf und streckte die Hand nach dem Pullover aus.

„Gib schon her.“

Sicher klang er mürrischer, als er war, aber er konnte ja schlecht zugeben, dass er Dies Idee gar nicht so übel fand. Noch immer hatte er den Arm ausgestreckt, aber keinen Pullover erhalten.

„Was ist jetzt?“

Den Kopf leicht geneigt musterte er Die, der ihn wiederum mit einem eigenartigen Blick betrachtete. Zugegeben, Kaoru hatte heute Morgen vergessen, sich ein T-Shirt unter seinen Pullover zu ziehen und stand seinem Freund nun etwas freizügig gegenüber, aber das war längst kein Grund, ihn so anzustarren. Die hatte ihn schon mit weitaus weniger Stoff am Leib gesehen.

„Die?“

 

„Ehm ja, hier, entschuldige.“

 

Manchmal war sein Freund wirklich eigenartig. Kaoru verbarg sein Schmunzeln, indem er sich den Pullover über den Kopf zog und anschließend die Arme ausbreitete.

„Zufrieden?“

 

„Da bin ich mir gerade nicht sicher“, nuschelte Die und in seinem Blick lag nicht nur die Wärme, die Kaoru so vertraut war, sondern noch etwas anderes. Ein eigenartiges Gefühl der Aufregung machte sich in seinem Magen breit und ließ seine Handflächen feucht werden.

 

„Was …?“

 

„Der Pulli passt perfekt.“

Die reichte ihm die erste Schachtel mit Eiszapfen und tat so, als wäre gerade überhaupt nichts passiert. Kaoru war bereit, den Vorfall als Hirngespinst abzutun, wäre da nicht noch immer dieses Feuer in Dies Blick. Es reizte ihn, zog ihn wie magisch an, weil er wissen wollte, was es zu bedeuten hatte.

„Ich schlage vor, du fängst mit dem Dekorieren an, während ich für Stimmung sorge.“

 

Stimmung? Kaoru brauchte keine Stimmung. Stimmung war das Letzte, was er gerade wollte. Wie wäre es mit Ruhe, Einsamkeit, Gelassenheit? Ja, das wären Worte, mit denen man ihn gerade glücklich machen könnte, aber sicher nicht mit Stimmung. Die ging zu seiner Musikanlage hinüber und er ertappte sich dabei, wie er ihn am liebsten zurückhalten und zur Rede stellen wollte. Was war das gerade gewesen? Kaoru wollte Erklärungen und wollte sie doch nicht. Vermutlich hatte er sich diese Hitze in Dies Blick nur eingebildet. Wunschdenken nannte man das, wobei er sich fragte, wo dieser Wunsch so plötzlich hergekommen war. Hatte er ihn nicht längst beerdigt, gemeinsam mit seinem Traum, irgendwann mehr für Die zu sein, als nur ein Freund?

 

„Kaoru? Ist alles in Ordnung mit dir?“

Eine Berührung an der Schulter riss ihn aus seinen ungewollten Überlegungen und erneut waren es Dies dunkle Augen, in denen er zu ertrinken drohte. Es wäre so einfach, er müsste sich nur etwas vorbeugen …

 

„Ja, alles in Ordnung. Ich habe mich nur gerade mental darauf vorbereitet, mir von Britney Spears die Gehörgänge putzen zu lassen.“

 

„So schlimm?“

 

„Schlimmer.“

 

„Soll ich die Musik wieder ausmachen?“

 

„Nein, nein. Ist Weihnachten nicht auch das Fest, an dem man die eigenen Wünsche hintanstellt und tut, was andere glücklich macht?“

 

„Du lernst schnell, ich bin stolz auf dich.“

 

„Ja.“ Kaoru nickte und begann, die ersten Eiszapfen an den Baum zu hängen.

‚Ich bin auch sehr stolz auf mich.‘

#14

Die ließ nicht zu, dass er in seinen trüben Gedanken versank. Mit beneidenswertem Elan und nahezu kindlicher Begeisterung verteilte er die Schneeflocken am Baum, während sich Kaoru ganz genau überlegte, an welchen Ast er den nächsten Eiszapfen hing. Im Prinzip sollte ihre komplett unterschiedliche Herangehensweise nicht zueinander passen, aber binnen kürzester Zeit sah das Bäumchen richtig gut aus; fast wie eingefroren. Die Lichterkette ließ die Glasornamente wie kleine Prismen funkeln und vor den Fenstern hatte es erneut zu schneien begonnen. Alles in allem ein nahezu anheimelndes Bild, wie Kaoru unverhohlen zugeben musste. Er stand ganz still, für einige Herzschläge gefangen im Moment, der ihm vorkam, als wäre er aus der Zeit gefallen.
 

Die hing gerade seine letzte Schneeflocke an einen Ast, während noch immer Weihnachtslieder das Wohnzimmer erfüllten. Kaoru konnte nicht anders, als ihn zu beobachten; das funkeln in den dunklen Augen, die roten Strähnen, die ihm etwas wirr ins Gesicht hingen, die vollen Lippen, die sich zum Gesang bewegten. Erst jetzt realisierte er, dass sein Freund mitsang. Vielleicht probte er schon für seinen nächsten Auftritt mit Decays? Kaoru schmunzelte, während Die textsicher den Refrain des Liedes begleitete, an anderer Stelle nur summte und sich rhythmisch zum Takt der Musik bewegte.
 

Er konnte sich das ein oder andere Lachen beim besten Willen nicht verkneifen, besonders als der andere auch noch begann, um den Baum herumzutänzeln. Gerade legte Kaoru eine weitere, nun leere Schachtel zurück in die Tüte und holte sich die mit dem großen Stern für die Spitze – die letzte, wie er erstaunt feststellte – als er plötzlich eine Berührung an der Hand spürte.
 

„Tanz mit mir!“, rief Die halb lachend aus und zog ihn mit sich.
 

„Was? Nein! Die …“ Kaoru versuchte, sich aus der lockeren Umarmung zu befreien, in die sein Freund ihn gezogen hatte, musste aber so heftig lachen, dass es ihm nicht gelang. Die bewegte sich wie ein verrückt gewordenes Eichhörnchen um ihn herum, hielt seine Hände und schubste ihn immer wieder an, um ihn zum Mitmachen zu animieren. Das Lied wechselte zu einer Rocknummer, die der andere mit viel zu viel Energie und Freude sogleich mitschmetterte.
 

„Rockin' around the Christmas tree, have a happy holiday. Everyone dancing merrily, In the new old fashioned way.“
 

„Die, hör auf“, bat er lachend und nach Luft schnappend.
 

„Ganz bestimmt nicht.“
 

„Ich bin ein alter Mann, hab Mitleid.“
 

„Zehn Monate, Kaoru, du bist gerade einmal zehn Monate älter als ich. Das ist kein Grund.“
 

„Hast du eine Ahnung.“
 

„You will get a sentimental feeling, when you hear, voices singing let's be jolly, deck the halls with boughs of holly!“
 

Er hatte keine Ahnung, was Die genau sang, aber er tat es mit einer Inbrunst, dass Kaoru beinahe die Luft wegblieb, so heftig musste er lachen. Er krallte sich an den Schultern seines Freundes fest, die Stirn gegen seine Brust gelehnt und war gerade ehrlich froh, um die Arme, die sich mit einem Mal fest um seine Mitte legten.
 

„Oh Die, du bist so herrlich verrückt.“
 

„Genau das liebst du doch so sehr an mir, nicht wahr?“
 

Kaoru erstarrte innerlich und registrierte erst jetzt, dass Die tatsächlich aufgehört hatte, sich zu bewegen. Da war kein Schieben und Ziehen mehr, kein Wiegen zum Takt der Musik oder in die Luft gereckte Arme. Nein, Dies Arme lagen warm an seinem Rücken und sein Kopf leicht gegen den seinen gelehnt. Verdammt, was taten sie hier? Wie hatte er sich nur so gehenlassen können und warum machte der andere auch noch mit? Sah er mittlerweile so einsam und verbittert aus, dass sein Freund glaubte, er hätte eine Umarmung nötig?

Kaoru fühlte, wie sich alles in ihm verkrampfte. So etwas hätte nicht passieren dürfen. Fest presste er die Lippen aufeinander, zog sich von dieser unerträglichen Nähe zurück, nahm Abstand von der Wärme, die sich bis in den letzten Winkel seines Körpers schleichen wollte. Den Blick starr auf einen Punkt rechts über Dies Schulter gerichtet, trat er einen Schritt zurück und brachte dringend nötige Distanz zwischen sie.
 

„Nur noch der Stern fehlt, dann haben wir es endlich geschafft.“, murmelte er, bückte sich nach der Verpackung, die ihm aus der Hand geglitten sein musste, und reichte sie Die.

„Mach du das, du bist größer.“

Er drehte sich weg, kaum hatte der andere nach der Schachtel gegriffen und verließ das Wohnzimmer.
 

Er glaubte noch, seinen Namen gehört zu haben, aber da hatte er bereits die Badezimmertür hinter sich geschlossen. Das Geräusch des Schließmechanismus hallte viel zu laut in seinen Ohren wider, als er sich gegen das kühle Holz lehnte und die Augen schloss. Noch immer gaukelten ihm seine Synapsen vor, Dies Wärme spüren zu können und seinen Duft in der Nase zu haben. Wie konnte sich etwas, das so fundamental falsch war, so unendlich gut anfühlen? Er wollte noch einmal so gehalten werden, wollte sein Gesicht gegen Dies Hals verbergen, wollte …
 

Genau das liebst du doch so sehr an mir.

Liebst du an mir.

Liebst du.

Liebst.
 

„Schluss jetzt“, zischte er seinen unsinnigen Gedanken zu, drückte sich ab und ging zum Waschbecken hinüber. Das kalte Wasser klärte seinen Geist, vertrieb den rosaroten Schleier vor seinen Augen und rückte die Realität erneut in den scharfen Fokus, der typisch für seine Art zu denken war.
 

Die hatte sich nichts bei dieser Umarmung gedacht. Genauso wenig wie er mehr als nur jahrelange Freundschaft in all seine Berührungen und Gesten legte. Sein einziges Ziel war es, die Wette zu gewinnen und dabei vielleicht noch Zeit mit ihm zu verbringen – als Freund, nicht mehr. Die konnte nichts dafür, dass seine Emotionen verrücktspielten und mehr in harmlose Taten und Aussagen hineininterpretierten!
 

„Du reißt dich jetzt zusammen, ist das klar?“

Finster funkelte er sein Spiegelbild an, rieb sich das Gesicht trocken und straffte die Schultern. Es war egal, welche Motive Die verfolgte. Fakt war, dass er seit gestern Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um Kaoru eine schöne Zeit zu bereiten. Den Teufel würde er also tun und ihm nun die Laune vermiesen.

Ja, er mochte Weihnachten nicht und ja, sein Herz war ein dummes, nutzloses Ding, das nur Probleme machte, aber Die hatte die faire Chance verdient, die er ihm versprochen hatte, und daran würde er sich halten.
 

Als Kaoru das Bad wieder verließ, war es still in seiner Wohnung. Die musste die Anlage abgeschaltet haben und ein schneller Blick ins Wohnzimmer und in die Küche zeigte ihm, dass von seinem Freund keine Spur zu sehen war. Selbst die Verpackungen des Baumschmucks waren wieder ordentlich in der Tüte verstaut und Dies leere Flasche Cola stand neben dem Spülbecken. War er etwa gegangen? Nein, sein Mantel hing noch immer an der Garderobe, nur die Schuhe fehlten – da ging Kaoru ein Licht auf. Erleichtert atmete er aus, nahm seine Schachtel Zigaretten von der Kommode und quetschte sich im Wohnzimmer am Baum vorbei, um die Balkontür öffnen zu können.
 

„Hey.“ Die lächelte ihn an, eine brennende Zigarette in der Hand, auf die er mit der anderen deutete. „Ich hätte gefragt, aber wollte dich nicht stören.“
 

„Alles gut.“ Er winkte ab, zog die Tür hinter sich zu und stellte sich neben Die. „Seit wann rauchst du wieder?“
 

„Ich hab nicht wieder damit angefangen, wenn du das meinst. Es überkommt mich nur noch ab und an. Zum Glück aber eher selten.“
 

Kaoru schluckte die Entschuldigung herunter, die ihm auf der Zunge lag. Er war sich sicher, dass sein alles andere als eleganter Abgang gerade eben dazu beigetragen hatte, dass Die das Verlangen nach einer Zigarette überkommen hatte. Gut nur, dass sie nie über so etwas wie Gefühle sprachen und großzügiges Ignorieren von unangenehmen Geschehnissen zwischen ihnen zum guten Ton gehörte.
 

„Ich hoffe, das bleibt auch so, sonst sehe ich mich schon einem erbosten Toshiya gegenüber, weil er denkt, ich hätte schlechte Gewohnheiten in dir geweckt.“
 

„Mit ihm wirst du doch locker fertig.“
 

„Mh, er ist in den letzten Jahren ziemlich gut darin geworden, anderen ein schlechtes Gewissen einzureden. Das kann auf Dauer recht nervenzehrend werden, was ich mir gern ersparen würde.“
 

„Verstehe, dann verspreche ich, es bei einer sporadischen Ausnahme zu belassen.“
 

„Das wollte ich hören.“ Kaoru schmunzelte und irgendetwas in Dies Augen veränderte sich. War es Erleichterung, die er dort lesen konnte? Aber wieso? Kaoru drehte den Kopf zur Seite und sah interessiert hinunter auf die Straße, wo sich der Schnee in einer dünnen Schicht auf dem Grünstreifen niedergelassen hatte. Alles war interessant, wenn er so nur Dies Blicken entgehen konnte.
 

„Ich würde deine Küche für zwei Stunden oder so in Beschlag nehmen, wenn dir das recht ist.“
 

„Mh?“ Kaoru sah auf und legte fragend die Stirn in Falten. „Warum das denn?“
 

„Muss ich dir wirklich erklären, was man in einer Küche macht?“
 

„Nein, aber …“
 

„Siehst du.“ Die tätschelte seine Schulter, als wäre er ein kleines Kind, dem man die Welt erklären musste. Kaoru schnaubte und schob die frechen Finger beiseite, was von einem von Dies berühmten, albernen Kichern begleitet wurde. Oh, Himmel, warum machte er es ihm nur so verdammt schwer?

„Du hast sicher etwas zu tun, oder? Deinen Roman lesen, zum Beispiel.“
 

„Und du erwartest allen Ernstes von mir, dass ich dich unbeaufsichtigt in meiner Küche weiß Gott was tun lasse?“
 

„Genau das. Sie wird sich freuen, dass in ihr mal anständig gearbeitet wird und sie nicht nur fürs Kaffeekochen oder Nudelsuppe aufwärmen herhalten muss.“
 

„Ich kann mir auch Reis kochen.“
 

„Wow, da tun sich gleich ganz neue, kulinarische Welten auf.“
 

„Hau schon ab, bevor ich es mir anders überlege.“
 

„Geht klar, Chef.“
 

Die schob sich an ihm vorbei und war so schnell in der Wohnung verschwunden, als befürchtete er, Kaoru würde doch noch seine Meinung ändern. Viel mehr, als geschlagen den Kopf zu schütteln, blieb ihm jedoch nicht übrig. Seine Zigarette war bereits heruntergebrannt und so zündete er sich eine Weitere an, während er alles daran setzte, nicht erneut in seinen Gedankenspiralen zu versinken.

#15

„Ich wusste gar nicht, dass du kochen kannst, und dann auch noch so gut. Ich bin schwer beeindruckt.“ Die schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, doch diesmal hatte er sich mental darauf vorbereitet und konnte es erwidern, ohne dass sein Herz gleich wieder verrücktspielte.

 

„Es schmeckt dir also?“

 

„Schmecken ist gar kein Ausdruck. Ich hab noch nie so kross gebackenes und gleichzeitig so zartes Hühnchen gegessen, wie dieses hier.“

 

„Du übertreibst.“

 

„Ich neige nicht zu Übertreibungen und für inhaltloses Lob bin ich auch nicht zu haben. Das solltest du wissen.“

 

„Jetzt hör auf und iss weiter, sonst machst du mich noch ganz verlegen.“

 

„Ich finde ja, dass das Rot auf deinen Wangen sehr gut zu deiner neuen Haarfarbe passt. Autsch!“

Die hatte ihm lachend gegen die Schulter geboxt, was seiner gesunden Gesichtsfarbe jedoch keinen Abbruch getan hatte. Kaoru versteckte sein Schmunzeln hinter einem weiteren Bissen des frittierten Hühnchens und ließ es sich schwer zufrieden schmecken. Neben dem Fleisch hatte sich sein Freund, der offensichtliche Hobbykoch, die Mühe gemacht, Kartoffelspalten anzubraten, und servierte das Ganze mit einer Art Salsa und einem gemischten Salat. Ein rundum perfektes, von der japanischsten aller Weihnachtstraditionen inspiriertes Essen.

 

 Ihm waren ungelogen beinahe die Augen herausgefallen, als er vor etwas mehr als fünfzehn Minuten seine Küche betreten hatte und mit diesen Köstlichkeiten empfangen worden war. Die hatte es geschafft, den normalerweise schmucklosen und zweckmäßigen Raum in einen gemütlichen Ort zu verwandeln, in dem man auch mal mehr Zeit verbringen wollte. Die schon recht verkratzte Oberfläche seines Küchentischs war unter einer dunkelgrünen Tischdecke versteckt – Kaoru erinnerte sich gar nicht daran, so etwas wie eine Tischdecke zu besitzen – eine dicke Bienenwachskerze in Form eines Sterns stand mittig darauf und um sie herum waren Tannenzweige drapiert. Er würde behaupten, Letztere hatte Die dem Weihnachtsbaum im Wohnzimmer abspenstig gemacht, konnte diese Theorie jedoch nicht beweisen. Die Stoffjalousien waren vor das Fenster gezogen und schienen die Welt auszusperren, als hätte sie sich nur auf sie beide reduziert. Kaoru schüttelte kaum merklich den Kopf, als seine Gedanken wieder einmal mit ihm davonlaufen wollten und konzentrierte sich stattdessen wieder auf das Essen.

 

„Also“, begann er und musterte Die interessiert. „Verrätst du mir, seit wann du so gut kochen kannst?“

 

„Ich hatte während der heftigsten Phase der Pandemie viel Zeit, mir Kochsendungen und –tutorials anzusehen und einige Dinge gleich auszuprobieren. Vermutlich ist da ein bisschen was hängen geblieben.“

 

„Dann musst du ein Naturtalent sein, anders ist das nicht zu erklären.“

 

„Kaoru~!“

 

„Schon gut, schon gut, ich hör auf. Aber es schmeckt wirklich hervorragend. Danke, dass du dir so eine Mühe gemacht hast.“

 

„Ich tue alles, um zu gewinnen.“ Die grinste schief und zwinkerte ihm zu. Obwohl Kaoru wusste, dass diese Aussage zum größten Teil als Spaß gemeint war, sank sein Herz und nahm ein Stückchen seiner bis eben noch unbeschwerten Freude mit sich. Es wurde höchste Zeit, dass er sich wieder unter Kontrolle bekam. Diese Gefühlsschwankungen gingen ihm nicht nur tierisch auf die Nerven, sie zehrten auch an seiner Energie. Wie kleine Vampire, die ihn von innen heraus aussaugten.

 

„Hey, ist alles in Ordnung mit dir? Du siehst gerade so in Gedanken aus.“

 

„Wie? Ja, tut mir leid, das war ich auch.“ Kaoru winkte ab, als er, noch bevor Die den Mund geöffnet hatte, erahnen konnte, dass sein Freund nachhaken würde.

„Es war nichts Wichtiges. Gib mir bitte mal die Salsa, die habe ich noch gar nicht probiert.“

 

„Hier.“

Kaoru nahm das Schälchen entgegen und tat sich üppig auf.

„Sei nicht zu großzügig damit, ich befürchte, sie ist mir …“

Die letzten Worte gingen in einem heftigen Hustenanfall seinerseits unter, der ihm die Tränen in die Augen trieb und den Atem raubte.

 

„Scheiße Mann“, keuchte er und schnappte nach Luft. „Wie viele Chilis hast du da reingemacht?“

 

„Nur eine.“ Die sah ihn mitleidig an, konnte jedoch das verräterische Zucken seiner Mundwinkel nicht verhindern. „Ich hab nur zu spät gelesen, dass ich die Kerne und die weiße Haut hätte entfernen müssen. Darum meinte ich, du sollst nicht so viel auf einmal nehmen. Iss am besten ein paar Kartoffeln, die mildern das Brennen ab.“

Kaoru tat, wie vorgeschlagen und trank gleich noch ein ganzes Glas Weißwein hinterher.

„Besser?“

 

„Ja.“ Dies große, dunkle Augen ruhten nach wie vor auf ihm und sie hätten nicht deutlicher ausdrücken können, wie leid seinem Freund dieser kleine Fauxpas tat. Kaoru konnte nicht anders, er fuhr sich durchs Haar und ließ das Lachen frei, das mehr als jede Schärfe in seiner Kehle kitzelte.

„Du bist wirklich einmalig. Sogar ich weiß, dass man Chilis auskratzen sollte, wenn man es nicht ganz besonders scharf haben möchte.“

 

„Im Eifer des Gefechts kann man so etwas schon mal vergessen. Geht es wirklich wieder?“

 

„Ja ja, alles gut, mach dir keinen Kopf.“ Demonstrativ schnitt er sich ein Stück vom Hühnchen ab, bestrich es mit nur wenig der Salsa und schob es sich in den Mund. „Es ist wie immer, die Dosierung macht das Gift. So schmeckt es prima.“

 

„Puh, da bin ich jetzt wirklich erleichtert. Willst du noch ein Glas Wein?“

 

„Gerne.“

 

~*~

 

Satt und zufriedener als er sich in den letzten achtundvierzig Stunden gefühlt hatte, saß Kaoru einige Zeit später auf dem Sofa. Die hatte darauf bestanden, allein die Küche aufzuräumen, und selbst seine mehrmaligen und deutlichen Proteste hatten ihn nicht vom Gegenteil überzeugen können.

 

„Ich hoffe, du hast noch Platz gelassen“, erklang plötzlich Dies Stimme und keinen Augenblick später stand auf dem kleinen Sofatisch vor ihm eine Leckerei, die Kaoru sicher seit über zwanzig Jahren schon nicht mehr gegessen hatte.

„Ich bring gleich noch Tee.“

So schnell Die aufgetaucht war, war er auch wieder verschwunden und ihm blieb nichts weiter übrig, als den Weihnachtskuchen sprachlos anzustarren. Sein Freund hatte wirklich an alles gedacht – typisches Weihnachtsessen, festliche Stimmung und nun auch noch sein, wenn er ehrlich war, liebster Nachtisch überhaupt. Wer konnte schon nein zu Sahne, Erdbeeren und saftigem Kuchen sagen? Er sicher nicht.

 

„Willst du uns nicht lieber ein Stück abschneiden, statt den Kuchen nur wie eine göttliche Erscheinung anzuhimmeln?“

 

„Nee, ich muss mir erst klar darüber werden, ob ich das nur träume. Sag nicht, du bist auch noch unter die Konditoren gegangen?“

 

Die schüttelte leise lachend den Kopf.

„Das Lob kann ich nicht annehmen, der ist gekauft.“

 

„Wo hast du den bitte versteckt? Im Kühlschrank war der nicht.“

 

„Auf dem Balkon.“ Die setzte sich und goss ihnen Tee ein, bevor er nach dem Messer griff und den Kuchen anschnitt. „Ich hatte schon Sorge, du würdest die Schachtel entdecken, während du draußen beim Rauchen warst.“

 

„Dann war dein Gerede von den Pärchen, über die du dich früher lustig gemacht hast, weil sie Stunden vor der Konditorei standen …?“

 

„Nur mein eher wenig unauffälliger Versuch, herauszufinden, ob ich mich richtig daran erinnert habe, dass du ein Fan von Weihnachtskuchen bist.“

 

Kaoru schlug sich die Hand vor die Stirn und schüttelte lachend den Kopf.

„Da bin ich dir mit wehenden Fahnen in die Falle getappt.“

 

„Oh ja, das bist du.“ Die lachte und schlug ihm leicht gegen die Schulter.

 

Kaoru hätte nicht beschreiben können, wie er sich in diesem Moment fühlte. So viele Ideen, so viel Aufwand und all die Mühe, die sein Freund sich gegeben hatte … und das alles nur für ihn.

„Die?“

 

„Mh?“

 

„Ich muss dir etwas sagen.“

 

„Himmel, wenn du so anfängst, bekomme ich Zustände. Was hab ich verbrochen?“

 

Kaoru gluckste und schüttelte den Kopf.

„Nichts hast du verbrochen, aber schön, dass du gleich ans Schlimmste denkst.“

 

„Na hör mal, mit dir als Leader kann man nie wissen.“

 

„Das ist nur der Beweis, dass ich euch gut erzogen habe.“

 

„Pah!“ Die verschränkte die Arme vor der Brust, aber seine Lippen zierte ein freches Grinsen. „Jetzt rück schon raus damit, was du sagen willst, und spann mich nicht länger auf die Folter.“

 

„Ich hab verloren.“

 

„Ehm … was meinst du? Ich kann dir nicht folgen.“

 

„Ich meine unsere Wette. Ich muss zugeben, dass ich verloren habe. Du hast es tatsächlich geschafft, mir das anstrengendste, nervenaufreibendste, kräftezehrendste und dennoch schönste Weihnachten zu bereiten, das ich je in meinem Leben hatte. Du hast dir den Sieg also mehr als verdient.“

 

Die musterte ihn mit einem eigenartigen Ausdruck im Gesicht. Kaoru hätte geglaubt, der andere würde sich freuen, gewonnen zu haben, doch gerade schien es vielmehr so zu sein, als wäre das Gegenteil der Fall.

 

„Ist das deine Art mir durch die Blume zu sagen, dass ich deine Gastfreundlichkeit nun lange genug für mich beansprucht habe?“

#16

Kaorus Mund klappte auf, ohne dass ihm ein Wort über die Lippen gekommen wäre. Bitte was? Wie kam Die nur auf so eine unsinnige Vermutung?

„Nein!“, rief er lauter aus, als beabsichtigt, und hatte unbewusst eine Hand ausgestreckt, die nun auf dem Unterarm des anderen ruhte. „Ich meine das ehrlich so, wie ich es gesagt habe. Es geht mir nicht darum, dich loszuwerden. Wie kommst du nur auf so etwas?“ Für einen langen Moment sah ihn sein Freund an, ohne etwas zu sagen. Dann erblühte ein so wunderschönes Lächeln auf seinen Lippen, dass Kaorus Herz für mehrere Schläge einfach aussetzte, bevor es in doppeltem Tempo erneut zu schlagen begann.

 

„Na, wenn das so ist, nehme ich den Sieg sehr gerne an. Gut, dass ich die Haarfarbe gleich mitbestellt habe.“

 

„Du hast was?“

 

„Nur nichts dem Zufall überlassen; das hab ich von dir gelernt.“

 

„Ich habe ein Monster erschaffen“, seufzte Kaoru und verbarg sein Gesicht hinter einer Hand.

 

„Die Dramaqueen kaufe ich dir nicht ab, also Schluss mit diesem Schauspiel, der Kuchen wird nicht besser, wenn er noch länger herumsteht.“

 

„Du hast recht. Es gibt keinen besseren Weg, als sich eine Niederlage mit Bergen an Sahne und Erdbeeren zu versüßen.“

 

„Das ist die richtige Einstellung. Wollen wir einen Weihnachtsfilm anschauen?“

 

„Du hast schon gewonnen.“

 

Die lachte. „Ja, aber ich hätte jetzt trotzdem Lust darauf, mir einen Film mit dir anzusehen. Du darfst auch entscheiden, welchen.“

 

„Solange es keine schnulzige Romanze ist, ist mir gerade alles Recht. Ich bin mit meinem Kuchen ausreichend beschäftigt.“

 

„Dann bin ich für den Klassiker der Weihnachtszeit schlechthin.“

 

„Und der wäre?“

 

„Stirb langsam.“

 

Kaoru schmunzelte mit geschlossenen Lippen, den Mund voller Kuchen und sein Herz voller Zuneigung für diesen unmöglichen Mann, der ihm in den letzten beiden Tagen so viel gegeben hatte.

 

„Okay, damit kann ich mehr als leben.“

Ein weiteres, etwas zu großes Stück Kuchen fand den Weg in seinen Mund, während Die die Mediathek auf seinem Fernseher nach besagtem Film durchforstete. Gerade als er ihn gefunden hatte und die ersten dramatischen Klänge des Vorspanns den Raum erfüllten, hörte Kaoru noch ein anderes, leiseres, aber nicht minder vertrautes Geräusch. Die versuchte krampfhaft, sich ein Lachen zu verkneifen.

 

„Lass es schon raus, bevor du noch platzt, und dann sag mir, was so witzig ist.“

 

„Du“, prustete sein Freund und deutete mit dem Zeigefinger auf ihn. „Du siehst aus, wie ein schlechter Santa-Cosplayer.“

 

„Bitte was?“

Kaoru konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Die auch schon sein Handy gezückt und ein Foto geschossen hatte.

„Schau selbst.“

Blinzelnd sah er auf das Display, welches wenig unerwartet sein Konterfei zeigte. Womit er jedoch nicht gerechnet hatte, war die Sahne, die seinen Bart wie vereinzelte Schneeansammlungen zierte.

 

„Oh Shit“, gluckste er und fuhr sich über den Mund. „Alles weg?“

 

„Fast.“ Noch immer grinsend rieb Die mit dem Daumen über seinen Mundwinkel. Kaorus Lippen zuckten, sein Freund erstarrte für einen Herzschlag und ihre Blicke verhakten sich ineinander.

 

‚Es ist so einfach‘, flüsterte eine kleine Stimme in seinen Gedanken, während sich Dies Finger in seine Haut zu brennen schien. ‚Lehn dich vor, nur ein kleines Stück, er kommt dir sicher entgegen. Trau dich.‘

 

Ein unerwartetes Scheppern ließ ihn zusammenfahren und Die gleichermaßen. Kaoru fühlte sich, als hätte ihm jemand einen Eimer eiskalten Wassers über den Kopf gekippt und er brauchte einige Atemzüge, um sein rasendes Herz wieder zu beruhigen. Die hatte sich nach dem Übeltäter gebückt – die Fernbedienung, die von seinem Schoß gerutscht war – und lehnte sich nun entspannt gegen die Polster. Sein Blick war interessiert auf den Fernseher gerichtet, derweilen sich Kaoru wie das sprichwörtliche Reh im Scheinwerferlicht fühlte. Intellektuell verstand er, was gerade geschehen war, nur emotional begriff er überhaupt nichts mehr. Schon zum zweiten Mal am heutigen Tag machte Die es ihm erschreckend leicht, mehr in seine Taten hineinzuinterpretieren. Warum? Was bezweckte er damit? Sein Herz wollte hoffen, sein Verstand es ignorieren und er selbst am liebsten schreien, so schrecklich verwirrt war er.

 

~*~

 

Er hatte den Schluss des Films noch mitbekommen und auch, dass Die den zweiten Teil gestartet hatte. Die Handlung hingegen hatte er bereits nicht mehr verarbeiten können, während ihm unaufhörlich die Augen zugefallen waren.

 

Jetzt, eine undefinierbare Zeitspanne später, blinzelte er gegen die Rückstände des Schlafes an, die ihn unnachgiebig wieder zurück in ihre einladende Dunkelheit locken wollten. Was hatte ihn geweckt? Der Fernseher konnte es nicht sein, denn er schwieg, obgleich er nicht ausgeschalten war und den Stand-by-Bildschirm seines Streaming-Anbieters zeigte. Kaoru verzog das Gesicht, als er seinen Kopf bewegte – da war er, der Grund für sein Erwachen. Sein Nacken meldete sich mit wütendem Stechen und Ziehen, was kein Wunder war, wenn er seine Schlafposition näher analysierte. Im Sitzen, mit in den Nacken gelegtem Kopf auf dem Sofa einzuschlafen, war nun einmal das perfekte Rezept für Verspannungen aller Art. Hinter vorgehaltener Hand gähnend versuchte er, sich aufzurichten, kam jedoch nicht weit. Ein Gewicht auf seinem Schoß hielt ihn an Ort und Stelle – Dies Kopf, wie er verblüfft feststellen musste.

 

Sein Freund war tatsächlich auf ihm eingeschlafen. Kaoru hätte gelacht, hätte er nicht befürchten müssen, es würde in Hysterie und zwangsläufig daraus hinauslaufen, dass er Die aufweckte. Wie viel Pech konnte ein einzelner Mann nur haben? Es war so unfair, Kaoru hätte schreien können – schon wieder.

 

Statt jedoch diesem verständlichen Wunsch nachzukommen, hielt er ganz still und betrachtete das Profil seines Freundes. Die sah so friedlich aus, wie er dalag. Das gelbliche Licht des Fernsehers zauberte warme Kontraste in sein Gesicht, die Wimpern zeichneten sich als dunkle Halbmonde von der sonst hellen Haut ab und die Lippen … Dies Lippen waren leicht geöffnet, sahen unglaublich weich und einladend aus. Das Kribbeln seiner Fingerspitzen war kaum zu ertragen, als er sie gegen die weiche Haut der Schläfe legte, einige, dunkelrote Strähnen beiseiteschob. Die rührte sich nicht, atmete tief und gleichmäßig, gefangen in den Armen des Schlafes. Kaoru wurde mutiger, zeichnete die Konturen des Kiefers nach, erschauerte, als ihn erste, raue Bartstoppeln kitzelten. An den Lippen hielt er inne, zögerte, haderte mit sich, nur um jede Vernunft über Bord zu werfen und die geschwungenen Linien nachzuzeichnen. Er hatte das Gefühl, als würden Funken von seinen Fingerspitzen ausgehend seinen Arm hinaufsteigen, sich zu einem Feuersturm vereinen, der durch seinen Körper jagte, bis er sich als lodernde Glut in seinem Herzen niederließ. Jeder logische Gedanke war ihm abhandengekommen, verdrängt von so vielen widersprüchlichen Emotionen, dass ihm übel wurde. Dies Lippen bewegten sich, strichen über seine Fingerkuppe, zart und flüchtig wie der Flügelschlag eines Schmetterlings.

 

‚Es ist so einfach‘, flüsterte es erneut in seinen Gedanken, als würde die Unvernunft ihn höchstpersönlich ins Verderben stürzen wollen. ‚Er würde es nicht einmal merken. Du wartest schon so lange, nimm dir endlich, wonach dir verlangt, er will es doch auch. Immer wieder reizt er dich – mit Worten, mit Taten. Nimm, nimm, nimm!‘

 

Kaoru legte den Kopf in den Nacken, die Augen starr an die Zimmerdecke gerichtet und die eigenen Lippen fest aufeinandergepresst. Was hatte er verbrochen, um so auf die Probe gestellt zu werden? Er fühlte sich, wie ein Verdurstender in der Wüste, der in der Ferne eine Oase erblickte. Er wusste, dass sie nichts weiter als ein Trugbild war und dennoch sehnte sich jede Zelle in seinem Körper danach, dorthin zu eilen, denn nur dort konnte er seinen brennenden Durst stillen. Er atmete ein, hielt die Luft an, zählte bis zehn und atmete wieder aus. Einmal, zweimal, ein drittes Mal, bis sich der Sturm in seinem Herzen gelegt hatte und das Beben seines Körpers zu einem schwachen Schaudern geworden war.

 

„Die“, wisperte er, den Blick nun wieder auf seinen Freund gerichtet. Er ballte die Hände zu Fäusten, atmete ein letztes Mal tief durch und sprach erneut: „Die, wach auf.“ Sacht rüttelte er ihn an der Schulter, wollte ihn wecken, ohne ihm einen Schrecken einzujagen.

 

„Mmh? Was’n?“

 

„Du bist auf mir eingeschlafen und mir schlafen wiederum die Beine ein.“

 

„Hu?“ Dunkle Augen blinzelten zu ihm auf, erst noch trüb vom Schlaf, dann langsam immer klarer werdend. „Wo bin ich?“

 

„Bei mir zu Hause, auf dem Sofa und auf meinem Schoß.“

 

„Deinem Schoß?“

 

„Ganz genau.“ Kaoru konnte nicht anders; trotz seiner anhaltenden Verwirrung und dieser Versuchung direkt vor ihm schlich sich ein schiefes Lächeln auf seine Lippen. Die war so herrlich konfus, wenn er gerade aufgewacht war.

 

„Tut mir leid, ich muss eingeschlafen sein.“ Die fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht, verbarg sich für einen kurzen Moment hinter ihnen.

 

„Ach nee, und da dachte ich, du benutzt mich einfach gern als Kuscheltier.“

 

„Das auch.“ Laut gähnend richtete sich sein Freund auf, reckte und streckte sich ausgiebig wie eine Katze. „Bist du schon länger wieder wach?“

 

„Nö, ich bin auch eben erst aufgewacht, weil ich mir irgendwas im Nacken verlegt habe.“ Von seiner süßen Last befreit – und ja, er verfluchte sein Hirn für diese Analogie – erhob Kaoru sich und rieb über besagte Stelle.

 

„Soll ich dich massieren?“

 

Einen wahnwitzigen Augenblick lang war er versucht, zu nicken und Dies Angebot anzunehmen. Doch mittlerweile war seine Vernunft zurückgekehrt und so lehnte er dankbar, aber mit Nachdruck ab. Geschäftig räumte er ihre Teller, Tassen und Gläser auf das Tablett, welches Die früher am Abend neben das Couchtischchen gestellt hatte und trug es in die Küche. Sein Freund war ihm gefolgt, den Teller mit dem restlichen Kuchen in beiden Händen und die Augen noch immer so klein, dass Kaoru sich ernsthaft fragte, ob Die gerade überhaupt etwas sehen konnte.

 

„Lass mich das machen“, bat er, nahm ihm den Kuchen ab und holte aus dem Unterschrank zu seiner Rechten eine passende Dose. „Mach dir doch schon mal dein Nachtlager fertig, ich räum den Kuchen nur noch in den Kühlschrank.“

 

„Okay“, nuschelte Die und setzte ein herzhaftes Gähnen hinterher. So verschlafen erinnerte ihn sein Freund an sein früheres Ich. Wie oft hatte er Die so gesehen, als sie noch in einer Wg zusammengewohnt hatten? Kaoru wusste es nicht, aber sicherlich waren es Dutzende Male gewesen. Manchmal wünschte er sich diese Zeit zurück, wollte noch einmal so jung sein wie damals, noch einmal die Chance haben, alles zu verändern. Aber Wünsche waren etwas für Träumer und Kaoru war vieles, aber sicher kein Träumer.

 

„Brauchst du noch etwas?“, murmelte er einige Minuten später im Türrahmen zum Wohnzimmer lehnend und die schläfrige Gestalt seines Freundes musternd.

 

Die drückte sich auf einen Ellenbogen hoch, um ihn besser ansehen zu können, und schüttelte den Kopf.

„Danke, ich bin versorgt. Schlaf gut, Kaoru.“

 

„Gute Nacht, Die, schlaf du auch gut.“

 

Er erlaubte es sich nicht, Die länger zu mustern, sonst hätte er zugeben müssen, wie gern er Ordnung in die vom Schlaf wirren roten Strähnen gebracht hätte oder wie einladend sein Freund aussah, obwohl er auf einem Gästefuton auf dem Boden lag. Er hätte bemerken müssen, wie verführerisch Dies Lippen glänzten und dass sein Schlafshirt viel zu weit und ihm über die Schulter gerutscht war. Nein, er konnte sich sehr gut einreden, dass ihm das alles nicht aufgefallen war. Wie denn auch? Er war selbst müde, da konnte man sich viel einbilden.

#17

‚Mmmh, Die.‘

Es roch herrlich nach Kaffee und eine zarte Berührung an seinen Lippen hob seine Mundwinkel. Oh, wie er es liebte, diesen Traum zu haben. Hier, in der Welt zwischen schlafen und wachen war er endlich ehrlich zu sich und konnte sich eingestehen, was er im hellen Licht des Tages vor sich selbst nie zugeben würde. Er seufzte verschlafen und wollte sich gerade tiefer in seine Decke kuscheln, als er ein Geräusch vernahm, das absolut nicht in seine Traumwelt passen wollte – der Auslöser einer Kamera.

‚Was zum …‘

 

Träge öffnete er ein Auge, das zweite folgte wesentlich schneller, als er begriff, dass er nicht allein in seinem Schlafzimmer war. Die kniete vor seinem Bett, das Handy noch verräterisch gehoben und ein so breites Grinsen im Gesicht, dass Kaoru gar nicht fragen musste, was zum Henker der andere hier tat.

 

„Du hast nicht wirklich gerade ein Foto von mir gemacht, während ich noch geschlafen habe?“, knurrte er und war mit einem Mal hellwach.

 

„Schau nicht so, als würdest du mich gleich fressen wollen. Ich brauchte einen Beweis, dass ich wirklich gewonnen habe. Und hey, ich hab dir Kaffee gemacht.“

 

„Du bist lebensmüde.“

 

„Och, Kaoru, sei nicht so. Schau doch, du hast gelächelt. Das wird mein neues Bild, wenn du anrufst.“

 

Missbilligend verzog er den Mund, während er auf Dies Handy starrte und versuchte, sich selbst in dem selig lächelnden Gesicht zu erkennen. Ob sein Freund auch noch so selbstzufrieden dreinschauen würde, wüsste er, wovon Kaoru geträumt hatte, als das Foto entstand? Sicher nicht. Er drehte sich zum Nachttisch, wo wie versprochen eine Tasse Kaffee auf ihn wartete und trank einen großen Schluck.

 

„Hast du ein Glück, das du an den Kaffee gedacht hast.“

 

„Ich kenne dich zu gut, um so einen Anfängerfehler zu begehen.“ Die erhob sich, steckte sein Telefon in die hintere Tasche seiner Jeans und ging zur Tür. „Willst du etwas frühstücken oder legen wir gleich mit deiner Verschönerung los?“

 

„Wovon redest du jetzt schon wieder?“

 

„Lila Haare, schon vergessen?“

 

„Oh nein.“ Kaoru stöhnte und rieb sich über die Stirn. Verdammt, seinen Wetteinsatz hatte er tatsächlich nicht mehr auf dem Schirm gehabt. „Wäre es nicht besser, wenn du das die Stylisten machen lässt?“

 

„Nee, mein Lieber, so leicht lasse ich dich nicht vom Haken. Das Färben bekomme ich gerade noch hin, du hast also nicht die geringste Ausrede.“

 

„Einen Versuch war es wert.“

 

„Also, was ist jetzt, erst frühstücken oder erst färben?“

 

„Erst die Farbe, dann hab ich es hinter mir.“

 

„Geht klar“, trällerte Die und verließ sein Schlafzimmer. Wieder entfloh ein leidender Laut Kaorus Kehle, bevor er sich vorsichtig, um seinen Kaffee nicht zu verschütten, zurück in die Kissen sinken ließ. Wenn ihm bis zu diesem Moment noch nicht klargewesen war, dass sein Freund viel zu viel Spaß an dieser ganzen Wettsache gefunden hatte, dann war es jetzt soweit. Er stellte den Kaffee auf den Nachttisch und drehte sich auf den Bauch, das Gesicht ins Kissen gepresst. Konnte er nicht einfach wieder einschlafen? In seiner Traumwelt war es so friedlich gewesen und es hatte dort sogar auch nach Kaffee geduftet und …

Ruckartig hob er den Kopf, zwei Finger auf seine Lippen gelegt und den Blick starr auf einen Punkt vor ihm gerichtet. Er hatte das nur geträumt, oder? Oder? Sein Magen machte einen unangenehmen Purzelbaum und seine Gliedmaßen kribbelten, als würde sich sämtliches Blut um sein Herz versammeln, das wie wild gegen seinen Brustkorb hämmerte.

Natürlich hatte er das nur geträumt, schließlich war seinem Freund überhaupt nichts anzumerken gewesen. Die war eine ehrliche Haut und sein Pokerface ungefähr so gut wie Kaoru Balletttanzen konnte – also miserabel. Er hätte daher auf jeden Fall etwas bemerken müssen, wäre das, was er geträumt hatte, wirklich geschehen. Ja, genau so musste es sein. Alles war nur ein Traum gewesen.

 

Er nickte sich selbst bestätigend, setzte sich auf die Bettkante und umschloss die noch immer warme Tasse mit beiden Händen.

„Kein Grund zur Panik, Kaoru, altes Haus. Denk an deinen Blutdruck“, sprach er sich gut zu und verdrängte schnellstmöglich jeden weiteren Gedanken.

 

Dieses kluge, aber schwer umzusetzende Vorhaben hielt genauso lange, wie er sich im Bad verstecken konnte. Sobald er sein temporäres Refugium verlassen hatte, war er verloren. Die hatte ihn unverzüglich in Beschlag genommen, einen seiner Küchenstühle ins Bad gezerrt, den Boden mit aufgeschnittenen Müllsäcken ausgelegt und ihn auf besagtem Stuhl platziert. Und da saß er nun, die Augen geschlossen und angespannt bis unter die wortwörtlichen Haarspitzen, denn die Finger seines Freundes kämmten gerade viel zu angenehm durch sein Haar. Sorgfältig teilte Die eine Strähne ab, um im Anschluss die Farbe darauf zu verteilen. Dieser Vorgang wiederholte sich wieder und wieder, bis Kaoru nichts weiter übrig blieb, als jeden genießenden Laut herunterzuschlucken und zu hoffen, Die würde seine Gänsehaut nicht bemerken. Beim Friseur genoss er es über alle Maßen, eine Kopfmassage zu erhalten, aber keine Massage war je vergleichbar mit dem gewesen, wie er sich jetzt gerade fühlte. Wäre er ein Kater, er hätte zu schnurren begonnen. Ihm sollte das, was Die tat, nicht so gefallen, seinem Körper und den Schauern, die ihm über den Rücken jagten, war das aber herzlich egal. Man konnte sicher sterben, weil sich etwas zu gut anfühlte, oder? Kaoru war sich sicher, das bald herauszufinden, wenn sein Freund noch länger brauchte.

 

„Ist dir kalt?“

 

„Nein, warum?“

 

„Du zitterst.“

 

„Ich zucke, weil ich kitzlig bin, das ist ein Unterschied.“ Kaoru hoffte, dass sich die Spitzen seiner Ohren gerade nur warm anfühlten und nicht tatsächlich rot geworden waren.

 

„Ich bin gleich fertig.“

 

„Und dann?“

 

„Dann lässt du die Farbe einwirken. Das wird etwas länger dauern, ich hab extra was Mildes genommen, weil deine Haare schon blondiert sind.“

 

„Mhmh“, brummte Kaoru, als würde er auch nur die geringste Ahnung von den Dingen haben, über die Die gerade sprach.

 

„Während du wartest, kannst du dich ja schon mal rasieren.“

 

„Wie bitte? Warum sollte ich das tun?“

 

„Na, wir wollen den Retrolook spätestens zum Konzert doch perfekt haben.“

 

„Also reicht es, wenn ich mich dann rasiere.“

 

„Och, Kaoru, tu mir den Gefallen.“

 

„Was? Nein. Warum denn?“

 

„Bitte, bitte?“

Leider hatte Die den Stuhl so platziert, dass Kaoru einen direkten Blick in den Spiegel über dem Waschbecken hatte und somit auch auf seinen Freund, der direkt hinter ihm stand. Für die großen, bettelnden Hundeaugen war in ihrer Band normalerweise Toshiya zuständig, aber Die schien sich über die Jahre das eine oder andere von ihm abgeschaut zu haben.

„Ich hab noch eine klitzekleine Kleinigkeit vor und dazu musst du einfach rasiert sein.“

 

Wie eine Ohrfeige meldete sich die Erinnerung an seinen Traum zurück und ließ ihn schwer schlucken. Er senkte den Kopf, natürlich nur, damit Die auch die Haare im Nacken mit Farbe bedecken konnte und nicht, weil er befürchten musste, sein Freund würde ihm seine Gedanken von der Nasenspitze ablesen können.

 

„Na schön, von mir aus, rasiere ich mich eben.“

 

„Das wollte ich hören. So, fertig.“

Die ging zum Waschbecken, wusch sich die Farbe von den Händen und reinigte gleich noch den Pinsel und die Farbschüssel, bevor er ihm ein schwarzes Handtuch um den Kopf legte.

„So, damit tropft nichts und du kannst dich frei bewegen.“

 

„Danke. Ach, Die?“

 

„Ja.“

 

„Weißt du, ob ich Eier im Kühlschrank habe?“

 

„Ich weiß, dass dein Kühlschrank bis auf eine Packung Umeboshi und Fischsoße komplett leer war. Aber jetzt hast du welche.“

 

„Gut, dann mach ich Rührei, willst du auch?“

 

„Gerne.“

 

Kaoru schüttelte den Kopf, während er in die Küche schlurfte. Irgendwie war es schön, diese absolut banalen Gespräche mit seinem Freund führen zu können. Beinahe, als hätte er sich daran gewöhnt, Die um sich zu haben. Das nannte man dann wohl Ironie des Schicksals.

 

~*~

Kaoru musste zugeben, dass ihm die Haarfarbe stand, nur an sein nacktes Gesicht würde er sich erst noch gewöhnen müssen. Wie lang war es her, dass er zum letzten Mal so glattrasiert war?

 

„Und? Wie ist die Farbe geworden? Darf ich reinkommen?“

 

„Klar.“

 

Die tauchte hinter ihm im Spiegel auf und musterte seine Haare kritisch, während Kaoru wortwörtlich die Spucke wegblieb.

„Was hast du gemacht?“

Schwarz umrandete Augen funkelten ihn frech an und ein roter Mund verzog sich zu einem eben solchen Lächeln.

„Ich hatte geplant, dass wir nachher noch in die Stadt fahren, einen Fotoautomaten in Beschlag nehmen und stilechte Puris von unserem Retrolook machen. Gerade hat es aber ziemlich zu schneien begonnen, also gebe ich mich mit einem Handyfoto zufrieden. Aber auf das Make-up verzichte ich nicht. Darum solltest du dich rasieren.“

 

„Meine Begeisterung kennt keine Grenzen.“

 

„Da ist er ja wieder, mein Mister Grumpy.“ Die lachte und schlug ihm gegen die Schulter. „Und da dachte ich schon, er wäre mir abhandengekommen.“

 

„Haha.“

 

„Nun zieh nicht so ein Gesicht. Ich kümmere mich um deine Haare, du machst den Rest und dann werden Fotos gemacht.“

 

„Du verspielst damit deinen Sieg.“

 

„Tu ich nicht. Gewonnen ist gewonnen.“

 

„So viel Aufwand für ein Foto.“

 

„Nein, nicht nur für ein Foto.“ Kaoru sah auf und über den Spiegel in Dies Gesicht. Sein warmer Blick ruhte auf ihm und die roten Lippen zierte ein fast zärtliches Lächeln.

„So viel Aufwand für eine Erinnerung.“

 

Er schluckte, wusste darauf jedoch nichts zu sagen.

„Dann leg schon los.“

 

„Wird gemacht, Boss.“

 

Kaorus Motto war es auch früher schon gewesen, Dinge mit Stolz zu ertragen, die er nicht ändern konnte. Diese Einstellung kam ihm auch jetzt zugute, als Die ihm eine Tasche mit Schminkzeug überreichte und sich dann an seinen Haaren austobte. Und wieder stellte sich ihm die Frage, wie lange es mittlerweile her war, dass er sich selbst geschminkt hatte?

‚Stolz, Kaoru, ertrage es mit Stolz.‘

#18

Seit Minuten standen Die und er vor dem Weihnachtsbaum im Wohnzimmer, den der andere als Hintergrund für ihre Fotos auserkoren hatte. Vermutlich musste an dieser Stelle nicht erwähnt werden, wie wenig Lust er darauf hatte, nun zu posieren, oder? Nein, sicher nicht. Das schien auch Die bemerkt zu haben, denn der finstere Blick, mit dem er gerade in Grund und Boden gestarrt wurde, hätte selbst ihren Strahlemann Toshiya in eine Salzsäule verwandelt.
 

„Kannst du mir einen Gefallen tun?“
 

„Und der wäre?“
 

„Könntest du bitte für ein einziges Foto nicht so dreinschauen, als hätte ich dich vor den Baum geprügelt?“
 

„Schon gut, schon gut, entschuldige, ich reiß mich zusammen.“

Kaoru musste sich ein Lachen verkneifen. Er stellte immer wieder fest, dass es einfach nur herrlich war, Die etwas zu ärgern. Übertrieben blähte er die Wangen auf und verzog den Mund, schließlich musste er seine eingefrorene Miene wieder auftauen, und Dies amüsiertes Glucksen war noch die Kirsche obenauf.
 

„Bleib so!“, rief sein Freund in diesem Moment aus und grinste seinem Handy breit entgegen.
 

„Bist du jetzt zufrieden mit den Bildern?“
 

„Eines noch, okay?“
 

Kaoru nickte ergeben und Die, der bis eben neben ihm gestanden hatte, trat einen Schritt zurück, sodass er nun hinter ihm stand. Noch bevor Kaoru fragen konnte, was er vorhatte, legte sich ein Arm um seine Mitte und Dies warmer Atem kitzelte über sein Ohr.
 

„Bitte recht freundlich.“

Kaoru fühlte sich nicht nur, wie das sprichwörtliche Reh im Scheinwerferlicht, er musste auf dem Foto auch bestimmt so aussehen. Aber Die war endlich zufrieden mit seiner Auswahl an Bildern, denn sein warmer Arm verschwand und keine Sekunde später war auch sein Handy wieder verstaut.

Kaoru blinzelte – irgendwie war ihm das alles gerade zu schnell gegangen.

„Soll ich dir die Bilder nachher schicken?“, rief Die aus dem Flur und erst jetzt kam wieder Leben in ihn.
 

„Ehm ja, mach das.“ Er fuhr sich durchs Haar oder versuchte es zumindest, blieb jedoch auf halbem Wege stecken. Sein Freund hatte ganze Arbeit geleistet und gefühlt eine Dose Haarspray für seine Retrofrisur verwendet. Aber apropos Die, wohin war der andere verschwunden?

„Bist du im Bad?“, rief er auf dem Weg in die Küche. Er brauchte unbedingt etwas zu trinken, sein Mund fühlte sich wie die Wüste Gobi an.
 

„Ja~a! Muss mich wieder vorzeigbar für die Welt dort draußen machen.“
 

Kaoru hielt inne, das Glas mit Leitungswasser auf halbem Weg zu seinem Mund eingefroren, als er begriff, was Dies Worte zu bedeuten hatten. Sein Freund würde fahren; er hatte die Wette gewonnen, seine Mission somit beendet und nun würde er ... Das heftige Ziehen in seinem Herzen traf Kaoru derart unvorbereitet, dass ihm beinahe das Glas aus den Fingern gerutscht wäre.
 

„Kaoru? Ist alles in Ordnung mit dir? Du siehst plötzlich so blass aus.“

Die war in die Küche gekommen. Fort war die wilde Rockerfrisur, die langen Strähnen waren in einem Pferdeschwanz gebändigt und bis auf einen dünnen Kajalstrich, der seine Augen betonte, war auch jegliches Make-up verschwunden.
 

„Es ist nichts.“
 

„Bist du dir sicher?“

Die kam näher, legte ihm eine Hand auf den Unterarm und schien kurz davor zu sein, seine Temperatur fühlen zu wollen. Kaoru zauberte von irgendwoher ein schiefes Lächeln auf seine Lippen und nickte.
 

„Ja, ich bin mir sicher. Hast du schon nachgesehen, ob die Straßen frei sind? Ich will nicht hören müssen, dass du auf halbem Weg zu deinen Eltern im Schnee stecken geblieben bist.“
 

„Och, würdest du dir dann Sorgen um mich machen?“
 

„Um jeden, aber nicht um dich.“
 

„Das wollte ich hören.“ Die lachte und zog das Glas aus Kaorus Fingern, um einen Schluck zu trinken – alter Schmarotzer.

„Aber es sieht gut aus, ich will nur gleich los, damit ich ankomme, bevor es dunkel wird.“
 

„Sehr vernünftig.“ Wieder zog es in seinem Herzen und kein Leugnen der Welt hätte ihm vorgaukeln können, dass dieses Gefühl etwas anderes als Sehnsucht war. Er wollte Die nicht gehen lassen, nicht jetzt, wo er sich endlich an seine Gegenwart gewöhnt hatte.
 

„Du könntest mitfahren“, schlug Die vor und fast glaubte Kaoru, so etwas wie Hoffnung in den dunklen Tiefen erkennen zu können.

„Meine Mutter würde sich freuen, dich mal wiederzusehen.“
 

„Das ist keine gute Idee.“ Kaoru schüttelte den Kopf, um seine Worte zu verdeutlichen. „Stell dir nur vor, meine Mutter würde herausbekommen, dass ich mit zu dir gefahren bin, statt sie zu besuchen.“
 

„Hast du denn vor, zu ihr zu fahren?“
 

„Nein, das ist es ja. Und du weißt, wie Mütter sind, die kriegen alles raus.“
 

„Damit hast du allerdings nicht ganz unrecht.“

Die grinste, aber diesmal blieb das vertraute Funkeln in seinen Augen aus.

„Dann mache ich mich mal auf den Weg, aber vorher …“

Er stellte das Glas auf die Arbeitsplatte und holte eine kleine Schachtel aus der Kängurutasche seines Hoodys.

„Frohe Weihnachten, Kaoru.“
 

Überrumpelt starrte Kaoru auf das hübsche Päckchen in Dies Händen und fühlte sich plötzlich heillos überfordert.

„Wir haben uns noch nie etwas geschenkt.“
 

„Ich habe dir vorher auch noch nie ein perfektes Weihnachten versprochen, oder?“
 

„Nein, hast du nicht.“ Kaoru griff nach dem Geschenk. Es war leicht, passte in beide seiner Handflächen und war in tannengrünes Geschenkpapier gewickelt.

„Danke“, murmelte er, während sein Blick unschlüssig zwischen Die und dem Päckchen hin und her huschte.
 

„Willst du es nicht aufmachen?“
 

„Ehm ja, doch.“

Die goldene Schleife löste sich ohne merklichen Widerstand und das Papier klappte fast von allein auf. Offensichtlich war es von jemandem eingepackt worden, der Ahnung davon hatte, was Kaoru wiederum an das Parfüm erinnerte, das noch immer sicher in seiner Jacke verstaut lag. Ob er es holen sollte? Wie war noch gleich die Etikette des Geschenkegebens? Oder sollte er erst nachsehen, was Die ihm geschenkt hatte und es dann holen?
 

„Spannst du dich und mich absichtlich auf die Folter?“
 

„Was? Nein, ich hab nur überlegt, ob …“ Kaoru unterbrach sich und schüttelte den Kopf. „Sorry, ich bin wohl etwas eingerostet, was das angeht.“
 

„Wäre mir nicht aufgefallen.“
 

Kaoru erwiderte Dies Grinsen ein wenig verlegen, bevor er sich endlich überwinden konnte, den Deckel der weißen Schachtel zu öffnen, die unter dem Papier zum Vorschein gekommen war. Zunächst konnte er nichts erkennen, weil eine dicke Lage Watte den Blick auf den Inhalt versperrte. Aber erst einmal in Fahrt gekommen stellte auch sie kein Hindernis mehr dar und keine Sekunde später hatte er freie Sicht auf sein Geschenk.

Seine Mundwinkel zuckten und zuckten noch einmal, bevor ihm ein überraschtes Auflachen über die Lippen kam.
 

„Die sind perfekt“, murmelte er und strich mit dem Zeigefinger über den Hals der kleinen roten Gitarre aus Glas. Ihr Zwilling war in Lila gehalten und auch hier zeichnete er den geschwungenen Körper nach, bevor er seinem Freund ins Gesicht sah.

„Unsere Gitarren, hu?“
 

„Ich hab die beiden gesehen und musste sie einfach mitnehmen.“ Die strahlte übers ganze Gesicht und allein ihn so zu sehen, wäre Kaoru schon genug des Geschenks gewesen. Trotzdem konnte er nicht verhehlen, dass er sich riesig über Dies Aufmerksamkeit freute.

„Und ich dachte mir, wenn du in den nächsten Jahren vielleicht mutiger wirst und auch mal einen bunten Weihnachtsbaum aufstellst, hast du schon die ersten beiden Ornamente dafür.“
 

„Du denkst an alles.“ Kaoru rollte gutmütig mit den Augen, bevor er wieder ernst wurde und sich räusperte.

„Vielen Dank, ehrlich.“
 

„Sehr gern.“
 

„Ich hab auch etwas für dich.“
 

„Wirklich?“
 

Er ersparte sich eine Antwort und ging stattdessen lieber in den Flur, um das kleine Päckchen zu holen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er wenig später zurückkehrte und es seinem Freund hinhielt.
 

„Es ist nichts Besonderes. Ich hab es nur gesehen und musste an dich denken, also ich meine, daran, was du alles organisiert und bezahlt hast und dachte mir, es würde dir vielleicht gefallen und …“
 

„Kaoru.“
 

„Ja?“
 

„Darf ich es haben?“
 

„Ehm ja, natürlich, es ist ja für dich.“ Gerade so schaffte er es, das unbehagliche Kichern herunterzuschlucken, das mehr als untypisch für ihn gewesen wäre. Seine Finger jedoch dazu zu bringen, das Päckchen auch loszulassen, war eine ganz andere Herausforderung. Kaoru fühlte sich, wie in Watte gehüllt, während er dabei zusah, wie Die die Schleife von seinem Geschenk zog und es langsam entpackte. Der Drang, davonzulaufen und so zu tun, als wäre dieser Moment nie geschehen, wurde mit jeder verstreichenden Sekunde stärker. Er war für so etwas einfach nicht gemacht. Er brauchte Strukturen und einen Plan in der Hinterhand und nicht diese verfluchte Ungewissheit. Geschenke waren immer ein Risiko. Was, wenn es dem Beschenkten nicht gefiel? Was, wenn er das Geschenk schon besaß? Was, wenn es keinen angemessenen Wert hatte?
 

„Kaoru“, hauchte Die gerade und so Angehauchter wäre am liebsten tot umgefallen.
 

„Ja?“
 

„Wo hast du das her? Ich suche schon seit Jahren nach diesem Duft. Den haben sie doch vom Markt genommen, oder? Wow, das ist … Dass du dich überhaupt noch daran erinnern konntest …“

Noch bevor Kaoru eine von Dies Fragen hatte beantworten oder auf eine andere Weise auf das Gesagte reagieren können, fand er sich in einer so festen Umarmung wieder, dass ihm gleich aus mehreren Gründen die Luft wegblieb.

„Vielen Dank. Du weißt gar nicht, was mir das bedeutet.“
 

Nein, das wusste er tatsächlich nicht, aber er wusste gerade ohnehin so einiges nicht. Wie man atmete, beispielsweise, oder wie er sein Herz jemals wieder dazu bringen konnte, ruhig und gleichmäßig zu schlagen. Die hob den Kopf, um ihn ansehen zu können, und ihm blieb nichts weiter übrig, als in den glänzenden Augen zu versinken. Da war sie wieder, die Wärme und Zuneigung, die ihn schon vor sechsundzwanzig Jahren hoffnungslos an diesen Mann gebunden hatte.
 

„Die“, hörte er sich wispern. Seine Rechte hob sich ohne sein Zutun, Finger legten sich an Dies Wange, schoben sich sacht in sein Haar.

„Sag mir, dass ich spinne, dass ich mir alles nur einbilde … bevor es zu spät ist.“
 

„Es ist längst zu spät, Kaoru, das war es schon vor sechsundzwanzig Jahren.“

Mit jedem Wort war Die ihm näher gekommen, bis er die letzten beiden nicht mehr hören, sondern nur noch als warmen Hauch auf seinen Lippen spüren konnte. Wie an Bleischnüren geführt fielen ihm die Augen zu, kaum hatten sie gemeinsam auch noch die letzte Distanz zwischen ihnen überwunden.
 

Kaoru hatte sich immer vorgestellt, dass Die zu küssen, einem Feuerwerk gleichkommen würde. Hitze, Feuer, Explosionen und ein schwindelerregender Rausch an Emotionen, der ihm den Verstand raubte. Die Realität war jedoch eine vollkommen andere. Die zu küssen, war wie nach einem langen Tag in der Kälte nach Hause zu kommen und sich unter eine warme Decke zu kuscheln. Es war süß, wie nur das erste Stück einer Tafel Schokolade sein konnte, wärmte ihn, wie seine Lieblingsstrickjacke und war so befreiend wie der erste Sonnenstrahl nach einem ganzen Tag im Studio. Die zu küssen, war alles, was er sich je gewünscht hatte und noch so vieles mehr.

#19

Schon seit einer ganzen Weile saß Kaoru regungslos auf dem Sofa und sah aus dem Fenster. Draußen war es noch hell gewesen, als Die gefahren war, nun war die Sonne längst untergegangen und noch immer fielen vereinzelte Flocken vom Himmel. Er sollte langsam das Licht einschalten, aber ihm gefiel das unaufdringliche Leuchten des Weihnachtsbaums. Außerdem ließ es sich so besser nachdenken und nachdenken musste er unbedingt. Er wollte in seinen Erinnerungen versinken, in ihnen baden, sich ihnen ganz und gar hingeben, denn zum ersten Mal seit sechsundzwanzig Jahren besaß er Erinnerungen an seinen Freund, die ganz und gar ungetrübt waren.

 

~*~

 

Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, als er endlich wieder ausreichend denken konnte, um sich aus ihrem Kuss zu lösen.

„Die, wir sollten nicht …“

„Kaoru, bitte, gib dem hier … gib mir eine Chance. Ich bin nicht mehr der verunsicherte Junge, der sich nicht anders zu helfen wusste, als sich selbst zu verleugnen. Ich bin auch nicht mehr der Mann, der dachte, nur mit einer Frau an seiner Seite sich und seine Familie glücklich machen zu können. Es tut mir so leid, dass ich damals nicht den Mut hatte, anders zu reagieren, dass ich dir nicht sagen konnte, wie ich wirklich empfinde. Bitte, geh nicht wieder auf Abstand, lass mich dir beweisen, dass ich mich geändert habe.“

„Die.“

„Ja?“

„Ich hab nicht vor, auf Abstand zu gehen.“

„Nicht?“

„Nein. Ich habe mehr als mein halbes Leben auf diese Chance gewartet, ich lasse sie jetzt sicher nicht ziehen.“

„Aber du sagtest doch …“

„Hättest du mich nicht unterbrochen, wüsstest du, was ich sagen wollte.“

„Tschuldige, verrätst du es mir?“

„Natürlich. Ich wollte sagen, dass wir nichts überstürzen sollen, mehr nicht.“

„Oh, aber wir überstürzen doch gar nichts.“

„Ach nein? Und was machen dann deine Hände unter meinem Shirt?“

„Ehm, ja das …“

„Du bist unmöglich.“

Ihr zweiter Kuss war herrlich unkoordiniert, als er das Lachen von Dies Lippen trank und dabei ganz vergaß, dass noch immer Hände über die nackte Haut seines Rückens streichelten.

*

Er hatte Die den roten Schal zurückgegeben. Es war ihm schwerer gefallen, als er gedacht hätte, und gleichzeitig war da ein Gewicht, das sich nach sechsundzwanzig Jahren endlich von seinem Herzen gehoben hatte.

 „Den hast du noch?“

„Er gehört dir, natürlich habe ich den noch.“

Ihr dritter Kuss war nicht mit den ersten beiden vergleichbar, denn diesmal hatte Die die Initiative ergriffen. Er war alles, was seinen Freund ausmachte. Feurig, leidenschaftlich, unüberlegt und, nach einem Moment des Innehaltens, liebevoll, beinahe zurückhaltend.

*

Er hatte darauf bestanden, dass Die zu seinen Eltern fuhr, obwohl die Worte wie Asche auf seiner Zunge geschmeckt hatten und der Gedanke, seinen Freund gehen zu lassen, kaum zu ertragen war.

„Ich kann bleiben, wenn du magst. Der Schnee bietet mir die perfekte Ausrede, ohne dass mir jemand böse wäre.“

„Fahr zu ihnen, du hast es ihnen versprochen.“

„Aber, sollten wir nicht erst über alles reden?“

„Doch, unbedingt, aber nicht jetzt. Nun sieh mich nicht so an. Wir haben so lange gewartet, jetzt läuft uns die Zeit auch nicht davon, außerdem … Ich muss das alles erst verarbeiten, verstehst du? Bevor ich darüber reden kann, meine ich.“

„Ich …“

„Was ist?“

„Ich hab Angst, dass du es dir anders überlegst, sobald ich weg bin.“

„Warum sollte ich das tun? Die letzten beiden Tage waren die Hölle für mich, weil ich mich mit jeder Minute in deiner Gegenwart mehr zu dir hingezogen gefühlt habe. Denkst du wirklich, ich mache jetzt einen Rückzieher und lebe den Rest meines Lebens so weiter?“

„Kaoru, es tut mir so leid. Alles, auch die letzten beiden Tage. Ich wollte doch nur Zeit mit dir verbringen und nicht, dass du dich quälen musst.“

„Pscht, alles gut, hörst du? Das war nicht als Vorwurf gemeint. Ich bin froh, dass du hier warst. Dank unserer Wette und deines Sturkopfs habe ich endlich den Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr zurückkann. Natürlich gibt es Dutzende Gründe, weshalb es eine dumme Idee ist, etwas mit meinem Freund und Arbeitskollegen anzufangen, aber weißt du was? Fuck it! Ich will einmal in meinem Leben unvernünftig sein.“

„Gott, Kaoru, ich auch.“

Ihr vierter Kuss war wie eine Kollision zweier Planeten – versengend, zerstörerisch und dennoch das spektakulärste Gefühl, das Kaoru je verspürt hatte.

*

Er hatte Die zur Tür gebracht.

„Fahr vorsichtig, hörst du.“

„Ich kann bleiben.“

„Die, mach es dir und mir nicht noch schwerer. Du weißt, dass es so am besten ist.“

„Kannst du nicht einmal die Logik vergessen? Was ist damit, dass du unvernünftig sein wolltest.“

„Vermutlich habe ich meine Portion an Unvernunft bereits aufgebraucht. Es tut mir leid.“

„Schon gut, komm her.“

Ihr fünfter Kuss war bittersüß, weil sie beide wussten, dass sie Zeit brauchten und doch nicht voneinander lassen wollten. Er war in Dies Arme gesunken, die sich so einladend für ihn geöffnet hatten, hatte sich gegen den größeren Körper gelehnt und sich halten lassen. Er, der Leader, der Mann, dem seine emotionale Unabhängigkeit über alles ging, hatte sich für einen kurzen Moment erlaubt, schwach zu sein, und es hatte sich richtig angefühlt.

 

~*~

 

Vor einer halben Stunde hatte Kaoru die Nachricht erhalten, dass sein Freund gut bei seinen Eltern angekommen war und er hatte sich sehr zurückhalten müssen, nicht etwas Dummes zu tun und ihm doch zu folgen. Alles zog und zerrte an ihm, als wäre Die plötzlich zum Zentrum seines Universums geworden. Jede Distanz zwischen ihnen war zu viel und dennoch war er froh, nicht nachgegeben zu haben. Es stimmte, er brauchte Zeit, um zu begreifen, dass alles, was er sich je gewünscht hatte, plötzlich in seiner Reichweite lag. Er lachte, fuhr sich durchs Haar und starrte nach oben an die Zimmerdecke, als stünden dort die Geheimnisse des Lebens geschrieben.

 

„Ich fasse es nicht. Ich fasse es einfach nicht.“

 

Und genau da lag sein Problem. Es fühlte sich nicht real an, als hätte er alles nur geträumt, als wären die vergangenen Stunden nicht passiert. Wie sollte er sein Herz nur dazu bringen, einzusehen, dass es plötzlich all das fühlen durfte, was er ihm bislang verboten hatte? Dass Die zu lieben, nicht mehr sein kleines, schmutziges Geheimnis war, welches das Potenzial hatte, alles zu vernichten, was ihm jemals etwas bedeutet hatte, sondern dass es sich genauso gut und richtig anfühlen durfte, wie es das bereits seit ihrem ersten Kuss tat? Die hatte ein Feuer in ihm entfacht, das sein Innerstes mit Licht und Wärme flutete, selbst bis in den letzten Winkel, genau dort, wo sich all seine Gefühle für ihn versteckten. Es war so ungewohnt, seine Selbstbeherrschung loslassen zu dürfen. Er fühlte sich orientierungslos wie ein Vogel, der sein Leben in Gefangenschaft verbracht hatte und nun plötzlich freigelassen wurde.

 

Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seiner Gedankenspirale und ließ ihn gleichzeitig erschrocken nach Luft schnappen.

 

„Ja?

 

„Na, schiebt dein armer Kopf bereits Überstunden?“

 

„Die.“ Kaoru seufzte unhörbar, ließ sich gegen die Rückenlehne des Sofas sinken und schloss die Augen. „Du kennst mich einfach zu gut.“

 

„So schlimm?“

 

„Schlimmer, aber das ist okay. Da muss mein Kopf jetzt durch.“

 

„Ein Wort und ich fahr wieder zurück.“

 

„Nein, schon gut.“

 

„Sicher?“

 

„Die~. Du sollst Zeit mit deiner Familie verbringen, statt mit mir zu telefonieren oder mir unmoralische Angebote zu machen.“

 

„Uh, ich bin gern unmoralisch. Soll ich weitermachen?“

 

„Nein, sollst du nicht. Gibt es einen Grund, weshalb du anrufst?“

 

„Anders als den, dass ich deine Stimme hören wollte? Nein.“

Kaoru biss sich auf die Unterlippe, um das kleine, verliebte Seufzen zu unterdrücken, das mit aller Macht freigelassen werden wollte.

„Ich hab die erste große Begrüßungsrunde hinter mich gebracht und bin gerade in meinem Zimmer. Es ist wirklich immer wie eine Zeitreise, hier zu sein. Habe ich dir schon einmal erzählt, dass meine Eltern mein Jugendzimmer nie verändert haben?“

 

„Nein, hast du nicht.“

 

„Sogar das Foto von uns beiden steht noch auf meinem Schreibtisch.“

 

„Von welchem genau redest du?“

 

„Das nach unserem letzten Auftritt mit La:Sadie’s. Weißt du, welches ich meine?“

 

„Ja, ich denke schon.“

Kaoru erhob sich, ging zum gegenüberliegenden Wandschrank hinüber und öffnete eine der unteren Türen. Ein gezielter Handgriff förderte ein gerahmtes Bild zutage, welches er leicht lächelnd musterte. Er war nie mutig genug gewesen, es für alle sichtbar aufzustellen – selbst in seiner eigenen Wohnung nicht. Noch etwas, das sich jetzt ändern würde.

„Ich habe meines gerade in der Hand.“

 

„Wirklich?“

 

„Ja.“

Kaoru streichelte über das Gesicht seines jugendlichen Freunds auf dem Bild. Er erinnerte sich noch, wie ekelhaft nasskalt es an diesem Abend gewesen war, aber sowohl er als auch Die hatten nach der Show eine Zigarette gebraucht. Das Foto war in der schäbigen Gasse aufgenommen worden, in der sich der Lieferanteneingang des Klubs befunden hatte. Graffiti und andere Schmierereien zierten die graue Betonwand im Hintergrund und ein schmaler Streifen der ebenso grauen Feuerschutztür war hinter seiner rechten Schulter zu erkennen. Auch damals waren Dies Haare in diesem schönen Herbstrot gefärbt gewesen und waren der einzige richtige Farbklecks auf dem gesamten Foto. Aber sein strahlendes Lächeln war es, das Kaorus Herz jedes Mal berührte, wenn er es ansah. Er selbst hingegen hatte viel zu ernst in die Kamera gesehen, weil er all seine Konzentration hatte aufbringen müssen, damit ihm seine Gefühle für seinen Freund nicht anzusehen waren. Kaoru wusste noch wie heute, wie unendlich schwer ihm das gefallen und wie groß die Verlockung gewesen war, endlich alle Zurückhaltung fahren zu lassen und sich gegen den größeren Körper zu lehnen. Seine langen Haare waren zu einem Zopf geflochten gewesen, nur der Pony stand in wilden Strähnen von seinem Kopf ab. Auf dem Foto wirkten sie schwarz, obwohl sie auch damals in einem dunklen Lila gefärbt gewesen waren.

„Und? Hattest du schon Gelegenheit, das Bild mit dem von heute zu vergleichen und festzustellen, dass wir wie gealterte Cosplayer unserer selbst aussehen?“

 

„Ich weiß gar nicht, was du willst. Für mich sehen wir jetzt sogar besser aus.“

 

„Nimm lieber die rosarote Brille ab.“

 

„Alter Pessimist.“

 

„Realist.“

 

„Ist doch fast das Gleiche.“

 

„Aber nur fast.“

 

Dies leises Lachen rann wie zärtliche Finger über seinen Rücken und ließen eine dicke Gänsehaut zurück.

 

„Du, Kaoru? Weißt du noch, wer uns damals fotografiert hat?“

 

„Ich glaube, das war Kyo.“

 

„Natürlich.“

 

„Mh?“

 

„Nichts, nichts.“

 

„Leg auf, Die, ich geh jetzt duschen.“

 

„Mann, sag doch so etwas nicht.“

Kaoru blinzelte, was bitte war an seiner Aussage so schlimm gewesen? Keinen Moment später ging ihm ein Licht auf und ein schiefes, durchaus als selbstzufrieden zu bezeichnendes Lächeln schlich sich auf seine Lippen.

„Soll ich nicht doch zurückfahren? Oder du könntest herkommen.“

 

„Nein. Ich wünsch dir später schöne Träume.“

 

„Das sollte verboten werden.“

 

„Was denn?“

 

„Das Grinsen, das ich nur zu genau aus deiner Stimme heraushören und mir perfekt vorstellen kann.“

 

„Gute Nacht, Die.“

 

„Ich ruf morgen wieder an, wenn das für dich in Ordnung ist.“

 

„Das ist mehr als in Ordnung … und, Die?“

 

„Mh?“

 

„Frohe Weihnachten.“

#20

Dreißig Minuten vor Mitternacht schlug Kaoru den letzten Akkord an, der sich im tosenden Kreischen ihrer Fans verlor. Er spürte, wie sich ein zufriedenes Schmunzeln auf seine Lippen schlich, während in der Halle die Deckenbeleuchtung angeschaltet wurde, sodass er die Menschenmassen im Zuschauergraben richtig erkennen konnte. Es war ein erhebendes Gefühl, die Freude und Ausgelassenheit in den vielen Gesichtern zu sehen, viel zu lange war es her, dass sie ein Konzert ohne jegliche Einschränkungen hatten spielen dürfen. Kyos Mikrofon gab einen letzten, klagenden Laut von sich, als der Sänger es auf den Boden fallen ließ, bevor er sich schwer atmend auf seine Box hockte. Auch er sah über das Meer ihrer Fans hinaus, ebenso wie Toshiya und Die. Selbst Shinya hatte sich schneller als sonst von seiner Verkabelung befreit und sich hinter seinem Schlagzeug hervorgekämpft. Kaoru kam näher, bildete mit seinen vier Kollegen einen losen Halbkreis in der Bühnenmitte. Dies Strahlen traf ihn trotz seiner eigenen Freude unerwartet, ebenso wie der Arm, der sich plötzlich um seine Schulter legte.
 

„Na, Leader?“, rief Toshiya nah gegen sein Ohr, damit er ihn auch über den Lärm der Fans verstehen konnte, „halten wir uns an unseren Plan und beenden das Konzert voll retro oder lassen wir es lieber?“
 

Er konnte nicht anders. Bei dem Wort ‚retro‘ musste er an Toshiya herabschauen und das Kleidchen mustern, dessen kurzer Saum kaum unter dem Bandshirt hervorlugte, welches der Bassist sich, wie sie alle, während der letzten Pause übergeworfen hatte. Toshiya hatte seine Ankündigung wahr gemacht und war tatsächlich in voller Gothic-Lolita-Montur auf die Bühne gekommen. Irgendwann würde Kaoru ihn fragen müssen, welche ihrer Stylistinnen Überstunden machen musste, um sein altes Kostüm für seine jetzige Figur rechtzeitig für die Show abzuändern.
 

„Ziehen wir es durch!“, rief er, bevor sich die abwartenden Blicke seiner Kollegen noch tiefer unter seine Haut brennen konnten. Toshiya lachte, ehrlich erfreut, wie es schien, Dies Grinsen wurde nur noch breiter, Shinya rollte mit den Augen und Kyo zuckte lapidar mit den Schultern, obwohl sich auch auf dem Gesicht des Sängers ein zufriedenes Schmunzeln nicht verstecken konnte.
 

Das Jubeln der Fans schwoll zu einem ohrenbetäubenden Crescendo an, als sie sich in einer Reihe aufstellten. Kaoru stand neben Toshiya, Kyo in der Mitte, darauf folgte Shinya und am anderen Ende Die. Sie fassten sich an den Händen, den Blick nach vorn gerichtet, gingen in die Knie und auf sein Zeichen sprangen sie alle gleichzeitig in die Luft. Kaoru lachte ausgelassen. Ausnahmsweise war es ihm egal, was die Fans von ihm dachten oder dass er ein Image aufrechtzuerhalten hatte, schließlich feierten sie nur einmal im Leben ihr fünfundzwanzigstes Bandjubiläum.
 

Kaum hatten sie alle wieder festen Boden unter den Füßen und warfen eifrig ihre Plektren und in Shinyas Fall Drumsticks in die Menge, wurden am hinteren Ende der Halle die großen Türen geöffnet. Die ersten Zuschauer kehrten ihnen den Rücken und strömten nach draußen, während der Jubel in den vordersten Reihen noch immer nicht nachgelassen hatte. Sie hatten absichtlich vor Mitternacht ihre Show beendet, zum einen, weil sie den Fans die Möglichkeit geben wollten, sich das große Feuerwerk der Stadt anzusehen und zum anderen, weil Toshiya und selbst Shinya deutlich gemacht hatten, dass sie das neue Jahr nicht auf der Bühne begrüßen wollten.
 

„Komm mit.“

Wieder berührte ihn jemand an der Schulter, aber diesmal war es Dies Stimme, die nahe an seinem Ohr erklungen war und ihm einen wohligen Schauer über den Rücken gejagt hatte.
 

„Wohin?“

Er stellte diese Frage, ein Automatismus, nicht mehr, denn keinen Moment später folgte er seinem Freund von der Bühne. Seine Gitarre war er vorhin schon losgeworden, doch nun drückte ihm Kenichi vom Staff seinen Parka in die Arme, kaum war er vom Zuschauerraum aus nicht mehr zu sehen.

„Ehm, danke, aber …“
 

„Komm schon, wir haben nicht mehr viel Zeit.“ Ohne darauf zu achten, wer sie sehen konnte und wer nicht, ergriff Die erneut seine Hand, verflocht aber diesmal auch ihre Finger miteinander und zog ihn hinter sich her. Kaoru war so verblüfft, dass er sich nicht einmal darüber beschweren konnte, so herumgeführt zu werden, außerdem war ihm gerade ganz warm ums Herz geworden. Die schien es ehrlich nicht zu scheren, ob irgendwer ihr Verhalten seltsam oder unangebracht finden könnte. Das war ein gutes Zeichen, oder? Kaoru wollte daran glauben.
 

~*~
 

„Wir brauchen einen Schlüssel, um aufs Dach zu kommen“, merkte er an, nachdem er Die mehrere Treppen nach oben gefolgt war und nun alles daran setzte, nicht wie ein Sterbender nach Luft zu japsen. Was hatte der andere auch so rennen müssen? Und noch viel wichtiger war die Frage, was Die hier überhaupt wollte?
 

„Tja, gut dass ich den Schlüssel hier habe, nicht wahr?“
 

„Woher …?“
 

„Stell nicht so viele Fragen.“ Die drehte sich zu ihm herum, besagten Schlüssel in der Hand, und musterte ihn. Da war er wieder, der warme Glanz in den dunklen Augen, dem Kaoru schon seit ihrem ersten Treffen vor so vielen Jahren verfallen war. Lange Finger strichen ihm eine vorwitzige Strähne aus der Stirn, bevor sie sich an seine Wange legten und sein Kinn zärtlich ein Stückchen nach oben drückten. „Du bist nicht der Einzige mit guten Kontakten.“
 

„Ah, gut zu wissen“, nuschelte er gegen die weichen Lippen, die ihm plötzlich ganz nahegekommen waren. Sofort kehrte das wilde Kribbeln in seinen Körper zurück, welches er über die letzten fünf Tage tatsächlich zu vermissen gelernt hatte. Himmel, wie sehr er sich nach diesem Mann gesehnt hatte. Ohne sein bewusstes Zutun hatten sich seine Arme gehoben, sich um Dies Hals gelegt, um ihn noch näher gegen sich zu bringen.
 

Ihr Kuss geriet so schnell außer Kontrolle, dass er hinterher nicht hätte sagen können, ob er seinen Freund gegen die Wand neben der Tür gepresst hatte oder ob Die selbst dagegen gesunken war, weil ihn seine Beine nicht mehr getragen hatten. Immer wieder löste er sich für Sekunden von dem süßen Mund, haschte mit den Zähnen nach der Unterlippe oder riskierte einen Blick in diese wunderschönen Augen, in denen nun ein Feuer wie flüssige Lava loderte.
 

„Kaoru“, nuschelte Die gegen seinen Mund und umschloss sein Gesicht mit beiden Händen, um ihn wenige Zentimeter auf Abstand zu bringen. Doch selbst, als er dieser offensichtlichen Aufforderung folgeleistete, kam sein Freund ihm hinterher, sprach seine nächsten Worte so nah an seinen Lippen, dass er jede Silbe erspüren konnte.

„Wir müssen aufs Dach, ich will das neue Jahr mit dir gemeinsam begrüßen und das Feuerwerk sehen.“
 

„Na klar, ich halte dich nicht auf“, murmelte er ebenso leise zurück und haschte, ganz entgegen seiner Aussage, erneut nach Dies Lippen.
 

„Kaoru~!“
 

„Schon gut, schließ die Tür auf, bevor wir hier im Treppenhaus noch Wurzeln schlagen.“

Mehr als zufrieden bemerkte er, dass sich die Finger seines Freundes recht unkoordiniert an die Arbeit machten. „Mmmh, schnurrte er, etwas auf den Zehenspitzen stehend, um an Dies Ohrläppchen heranzukommen. „Irgendetwas sagt mir, dass deine Finger nicht vor Überanstrengung zittern.“ Er küsste die weiche Haut direkt hinter Dies Ohr und grinste, als sein Freund knochentief erschauerte.
 

„Du bist unfair.“
 

„Ansichtssache.“
 

„Ha! Endlich offen. Komm schon, sonst verpassen wir alles.“

Mit einem leisen Glucksen ließ Kaoru sich erneut dirigieren und fand sich keine Minute später zwischen Abluft- und Lüftungsanlagen auf dem gekiesten Dach der Konzerthalle wieder. Vereinzelt stiegen bereits Raketen in die Luft, aber im Großen und Ganzen war die Nacht noch ruhig.
 

„Zwei Minuten bis Mitternacht“, verkündete Die nach einem schnellen Blick auf sein Handy und ging weiter bis zur Umzäunung, die nun als Einzige zwischen ihnen und dem dreißig Meter entfernten Boden stand. Kurz wurde Kaoru beim Blick nach unten schwindlig, sodass er sein Augenmerk lieber wieder auf den Mann an seiner Seite richtete.
 

„Ich hab dich die letzten Tage über vermisst“, sagte sein Freund in genau diesem Moment und drehte sich zu ihm. Kaoru tat es ihm gleich und kaum standen sie sich gegenüber, ergriff Die beide seiner Hände, zog sie gegen seine Lippen und küsste seine Fingerknöchel. „Wäre es an mir gewesen, wäre ich am gleichen Tag wieder zurück zu dir gefahren.“
 

„Dann war es ja gut, dass wenigstens einer von uns einen kühlen Kopf bewahrt hat.“

Die schnaubte und rollte mit den Augen, was eine so typische Reaktion war, dass Kaoru lachen musste. „Jetzt komm schon, so schlimm war es doch gar nicht. Außerdem … wenn es dich beruhigt …“ Kaoru stockte – er war nicht der Typ für große Gefühlsbekundungen, aber … „Du hast mir auch gefehlt.“
 

„Es tut gut, das zu hören, danke.“

Das Lächeln, welches Die ihm daraufhin schenkte, war es wert gewesen, über seinen Schatten zu springen, das stand definitiv fest.
 

„Was machst du?“ Kaoru sah mit gerunzelter Stirn dabei zu, wie Die seinen roten Schal – ja, es war der Schal, den er ihm vor Tagen zurückgegeben hatte – von seinem Hals wickelte, nur um ihn im nächsten Augenblick um Kaorus zu legen.
 

„Ich wollte nicht nur des Feuerwerks oder des neuen Jahrs wegen mit dir hier oben sein.“
 

„Nein?“
 

Die schüttelte den Kopf. „Ich will mir etwas wünschen.“
 

„Das ist nicht unüblich zum Jahresbeginn, aber dafür brauchst du mich nicht.“
 

„Doch.“ Kaorus rechte Braue wanderte fragend ein Stück nach oben. „Na ja, du bist der Einzige, der mir diesen Wunsch erfüllen kann.“
 

„Okay, jetzt bin ich neugierig, raus damit.“
 

„Kannst du dich noch an die Worte erinnern, die du vor sechsundzwanzig Jahren auf einem Dach fast wie diesem hier zu mir gesagt hast?“

Kaorus Augen weiteten sich und er musste schwer schlucken, bevor er auf irgendeine Weise agieren konnte. Seine Reaktion fiel daher auch eher minimal aus, als er zu nicht mehr imstande war, als zaghaft zu nicken.

„Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als diese Worte noch einmal von dir zu hören.“
 

„Warum?“ Die Frage war nicht mehr als ein substanzloses Hauchen, aber Die hatte ihn verstanden. Eine Hand legte sich gegen seine Wange, ein Daumen zeichnete die Kontur seines Wangenknochens nach und dunkle Augen hielten ihn in ihren Tiefen gefangen.
 

„Weil ich nach all dieser Zeit endlich so auf deine Worte reagieren möchte, wie ich es mir seither wieder und wieder erträumt habe.“
 

„Die, ich …“

Hunderte Explosionen um sie herum läuteten den Beginn eines neuen Jahres ein. Lichtblitze tauchten ihre Gesichter in einen Regenbogen aus Farben, zeichneten Schatten und warfen ihre Konturen in so starken Kontrast, dass die Spuren der Zeit wie weggewischt wirkten. Plötzlich waren sie wieder jung, in ihren Zwanzigern und standen am Beginn einer Karriere, die das nächste Vierteljahrhundert ihres Lebens bestimmen würde. Kaoru fühlte sich so aufgeregt, wie damals, als er Dies Geste spiegelte, seine Hand zwischen Wange und Hals ruhen ließ. Er konnte den wilden Puls seines Freundes fühlen und schöpfte Mut aus der Tatsache, dass Die ebenso aufgeregt wie er zu sein schien.

„Ich bin froh, dich kennengelernt zu haben. Du bist mir in den wenigen Monaten zu einem so guten Freund geworden …“ Kaoru hielt inne, schüttelte den Kopf und schenkte Die ein schiefes Lächeln. „Ich glaube, das passt so einfach nicht mehr, hu?“
 

„Nicht wirklich, aber ich hätte auch nichts dagegen, es noch einmal im Original zu hören.“
 

Erneut schüttelte er den Kopf. „Manche Stücke haben es verdient, neu aufgelegt zu werden, findest du nicht auch?“
 

„Ich würde meinem Leader nie widersprechen.“
 

Er schnaubte, ließ sich durch das freche Grinsen auf dem Gesicht seines Freundes jedoch nicht aus dem Konzept bringen und fuhr fort: „Vom ersten Augenblick unseres Kennenlernens an hatte ich das Gefühl, als hätte ich in dir den Menschen gefunden, den ich immer vermisst habe, ohne es bis dahin bemerkt zu haben, weißt du das?
 

„Mir ging es nicht anders.“
 

„Ich weiß, dass es meine Schuld war, dass wir uns in den letzten Jahren auseinandergelebt haben und das tut mir …“
 

„Kaoru, nicht.“ Dies Lächeln war zärtlich geworden, genau wie der Kuss, den er ihm auf die Stirn drückte. „Es braucht keine Entschuldigungen.“
 

Kaoru nickte, gönnte sich einen Moment der Stille zwischen ihnen und spürte, wie er mit einem Mal ganz ruhig wurde. Fort waren die Nervosität und die Aufregung, die seinen Magen zum Verrücktspielen brachten. Plötzlich wusste er genau, was er sagen wollte, wusste, dass nach all der Zeit endlich der richtige Moment gekommen war.
 

„Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal den Mut aufbringen würde, dir zu sagen, was ich empfinde, aber deine Beharrlichkeit und vor allem diese absolut dämliche Wette …“ Die kicherte und auch er konnte nicht anders, als breit zu grinsen, „... haben mir gezeigt, dass manche Dinge es wert sind, sie noch einmal zu versuchen. Die, ich empfinde noch immer so viel mehr als nur Freundschaft für dich; und mir ist klar geworden, dass ich nie aufgehört habe, dich zu lieben.“
 

Die Augen seines Freundes schimmerten verräterisch feucht. Kaoru konnte nur einen kurzen Blick auf sie erhaschen, bevor sie sich schlossen und Die sich mit der Stirn gegen die seine lehnte.
 

„Ich liebe dich auch, Kaoru. Ich habe so oft davon geträumt, es dir zu sagen, mutig zu sein und zu meinen Gefühlen zu stehen. Es tut mir so unendlich leid, dass es bei mir immer etwas länger dauert.“
 

Kaoru lachte, ein befreiter wie gleichermaßen erstickter Laut, bevor er seinen geliebten Dummkopf in einen Kuss zog, der besser als alle Worte beschreiben konnte, wie wertvoll Die und dieser Moment für ihn waren.
 

„Frohes Neues, Die.“
 

„Dir auch.“
 

„Ich möchte mir jetzt auch etwas von dir wünschen.“
 

„Ja? Dann raus damit.“
 

„Ich wünsche mir, dass du den ersten Tag des neuen Jahres mit mir verbringst.“
 

„Nichts lieber als das.“
 

„Und viele Tage danach.“
 

Ihre Blicke verhakten sich ineinander, als Die langsam nickte und gegen seine Lippen wisperte: „Jeden Einzelnen, Kaoru, jeden Einzelnen.“
 


 

~ The End ~



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  -Pharao-Atemu-
2023-08-11T14:28:11+00:00 11.08.2023 16:28
Hach
Irgendwie so schön wie die Story ist, so traurig ist sie. Sechsundzwanzig Jahre ist eine verdammt lange Zeit. Und es hat sich sehr viel verändert auf dieser Welt.
Das wird mir bei solchen Geschichten selbst oft klar.
Antwort von:  yamimaru
18.08.2023 09:07
Ja, 26 Jahre sind wirklich eine sehr lange Zeit, aber trotz der vielen Veränderungen ändern sich manche Dinge halt doch nicht. Kaorus Gefühle zum einen und Dies unglaublich lange Leitung, was das Eingestehen von Gefühlen angeht, zum anderen. *lacht* Ich freue mich, dass dir die Story, trotz der verursachten Melancholie gefallen hat. Danke dir für deinen Kommentar, ich hab mich sehr darüber gefreut.
Von:  MarryDeLioncourt
2023-01-08T17:59:46+00:00 08.01.2023 18:59
Ach wie süß die beiden <3. Sehr schöne FF und ne echt sweete Idee mit dem Retrolook auf der Bühne als krönender Abschluss ;).

Antwort von:  yamimaru
15.01.2023 10:06
Vielen, lieben Dank, dass du die Story gelesen und mir einen Kommentar dagelassen hast.<3 Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat und die Idee mit dem Retrolook gut ankam. Ich muss ja zugeben, ich würde sie alle zusammen gern mal wieder in den alten Outfits sehen, auch wenn Toshiya sicher witzig in seinem Gothic-Lolita-Dress aussahh. ;D
Von:  yamo-chan
2023-01-05T22:18:45+00:00 05.01.2023 23:18
Hach ist das schööön! <3
Genau das habe ich heute gebraucht.
Also dann, frohe Weihnachten ;)
Antwort von:  yamimaru
06.01.2023 08:29
Hach, das freut mich aber sehr, dass ich mit dem Kapitel für ein gutes Gefül sorgen konnte. ^^
Vielen Dank für dein Feedback. ;)
Und dir natürlich auch frohe Weihnachten. *lacht*
Von:  yamo-chan
2023-01-01T12:41:07+00:00 01.01.2023 13:41
Aaaawwwww ❤️💜❤️💜❤️💜
Antwort von:  yamimaru
05.01.2023 14:02
*yay* Ich freu mich riesig, dass dir das Kapitel so sehr gefallen hat!
Von:  yamo-chan
2022-12-29T21:15:23+00:00 29.12.2022 22:15
Hi :)
Ich hätte nicht gedacht, dass ich das am 29. Dezember sagen würde, aber ich freue mich auf Weihnachten 😂❤️💜
Antwort von:  yamimaru
05.01.2023 14:02
Na, das freut mich doch zu hören, wenn ich auch verspätet noch für Weihnachtsstimmung sorgen konnte. *lacht* Vielen Dank, dass du meine Story liest und es mich mit deinem Kommentar auch hast wissen lassen. <3


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