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Warsong

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Herzlich Willkommen zu diesem neuen Projekt!

Ich will eigentlich gar nicht viel dazu schwafeln, nur vorweg... es ist ein Versuch, mal in eine ganz andere Richtung zu gehen und diverse Erzählstrukturen und Ideen auszuprobieren.
Und wie immer – der Autor freut sich über Unterstützung, Lob, aber auch konstruktive Kritik!

Da das Ganze einen etwas komplexeren Umfang hat, gibt es ein Glossar - unter dem Reiter "Charaktere" zu finden - in dem bestimmte Begriffe der Story genauer erklärt werden.
Damit viel Spaß beim Lesen ;)
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Mit besten Grüßen an Ruha_Ducky... ein extra langes Kapitel ;) Komplett anzeigen

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Der Fluch der Macht

„Dort, wo Tod und Teufel tanzen,

ist der Mensch bald nichts als Staub...“
 


 

Heute, 06.12.2069, 19.48 Uhr, Tokio
 

„... war Boa Hancock an diesem Abend überraschend in Asakusa unterwegs, noch dazu in Begleitung des mysteriösen, bisher eher medienscheuen Marco Phoenix, dem Head of Customer Care und Stellvertreter des CEO der Newgate Corp., dem Marktführer im ostasiatischen Raum für Sicherheits- und Militärtechnik. Die beiden wurden beim Abendessen im Baratié gesehen und schienen, Augenzeugenberichten nach, recht vertraut. War dieses Treffen rein geschäftlicher Natur oder bahnt sich da etwa eine neue Romanze der heißbegehrten Popdiva an? Insiderquellen zufolge soll sie inzwischen von ihrem langjährigen Lover und Millionär Aokiji Kuzan getrennt leben und von Dubai zurück nach Tokio gezogen sein...“
 

Marco betrat die Empfangshalle des Newgate-Tower in Ikebukuro und schüttelte den Regen von seinem langen Mantel. Die warme Luft der Heizung schlug ihm entgegen, genauso wie die Stimme der hochmotivierten Sprecherin der Boulevard-News, die auf einem Fernseher hinter dem Tresen der Sicherheitskraft gerade enthusiastisch ihren Text vortrug und zeitgleich einen Schnappschuss von Marco mit Boa Hancock am Arm einblendete. Und schon geht’s los..., seufzte Marco innerlich. Das hat ja wirklich nicht lang gedauert.
 

Er öffnete seinen Mantel und machte sich dann auf den Weg zu dem großen, stämmigen Sicherheitsmann hinüber, der ihn bisher noch gar nicht bemerkt hatte, sondern dessen Augen gebannt an dem Fernseher hingen, während er genüßlich in einen schokoladenüberzogenen Donut biss. Hinter ihm an der Wand flimmerten die Bilder der Sicherheitskameras, die jeglichen Winkel in und um das Gebäude im Blick hatten.
 

Der offizielle Empfang war an diesem Freitagabend längst verwaist, doch der Geruch von Limette und Lavendel hing noch in der Luft, ein Anzeichen dafür, dass Dadan und ihr Team das Gebäude wohl vor nicht all zu langer Zeit verlassen hatten. Dadan war die treue Seele des Hauses und zuständig für Sauberkeit und Ordnung,- sie war ruppig und unbeugsam wie Gestein, aber zuverlässig wie die Gezeiten selbst.
 

Marco überquerte die Zedernholzbrücke des Foyers, unter der sich ein künstlich angelegter Koiteich ausbreitete und mit seiner grünen Bepflanzung und den träge dahingleitenden, schillernden Fischen ein angenehm beruhigendes Ambiente erzeugte. Edward Newgate hatte ein Faible für die japanische Kultur, für Ästhetik und Detailreichtum, daher war er vor zwanzig Jahren von Amerika nach Japan ausgewandert und hatte den Hauptsitz seiner Firma hier neu aufgebaut.
 

»Oh... Mister Phoenix, Sir...«, Jozu schreckte merklich auf, als er Marco nun doch bemerkte und warf den halb aufgegessenen Donut in die Verpackung unter seinem Tresen zurück. Dann wischte er sich die Hände hektisch an seiner Uniform ab und tastete nach der Fernbedienung, um den Fernseher abzuschalten.
 

»Sie habe ich hier heute nicht mehr erwartet.« Er funkelte grimmig durch die gläserne Eingangstür in die Dunkelheit der lauernden Nacht hinaus und murmelte: »Normalerweise sollte man mich auch unterrichten, wenn jemand das Gelände betritt...«
 

»Izou hat mich definitiv bemerkt, aber er wollte wohl nicht stören bei... den Nachrichten«, meinte Marco mit einem schrägen Lächeln. Der Sicherheitsmann zog ertappt den Kopf ein, ein wahrlich seltener Anblick bei Jozu, der mit seinen beinahe zwei Metern Körpergröße, der stämmigen Statur und dem grimmigen Gesicht sonst eher der war, vor dem andere eingeschüchtert das Weite suchten.
 

Jozu verzog peinlich berührt das Gesicht. »Tut mir leid, Sir... ich... also das sollte wirklich nicht so aussehen, als würde ich... es kam gerade ganz zufällig...- egal, haben Sie etwas vergessen? Um diese Zeit sollten doch selbst Sie nicht mehr hier sein müssen.« Jozu schob ihm das Pad mit dem Mitarbeiterregister über den Tresen entgegen.
 

»Ich habe noch einen Termin mit Vater. Er erwartet mich«, erklärte Marco, während er seinen Daumen auf das Pad drückte, um sich im Gebäude anzumelden. »Und eigentlich dachte ich, dass meine Affinität für zu viel Arbeit und zu wenig Freizeit allgemein hin bekannt wäre«, scherzte er selbstironisch.
 

»Naja, das vielleicht schon, aber... wenn man die Chance hat mit der schönsten Frau der Stadt auszugehen, würden sich die Prioritäten bei so einigen Männern doch ziemlich ändern«, meinte Jozu mit einem Augenzwinkern.
 

Marco rieb sich angestrengt mit einer Hand die Augen, während er Jozu das Datenpad wieder entgegen schob. »Es war nur ein Essen. Was die Medien daraus machen, ist einfach lächerlich...«, stellte er frustriert klar. Er wusste schon, warum er sich normalerweise aus der Öffentlichkeit fern hielt und die Fäden lieber im Hintergrund zog. So funktionierte sein Leben und so mochte er es – unkompliziert und kontrolliert.
 

»Sie wissen doch, wie das abläuft, Sir. Sensationsgeile Idioten stürzen sich auf jeden Hauch einer Story und machen daraus die ganz große Show. Gelangweilte Hausfrauen brauchen doch irgendwas, worüber sie beim Tee tratschen können.« Jozu hob Marco die Packung mit den bunt glasierten Donuts entgegen, doch der lehnte dankend ab.
 

»Mir wäre es lieber, die Menschen würden diesen Belanglosigkeiten weniger Wert beimessen...«

Jozu zuckte etwas hilflos mit den Schultern. »Ist vielleicht einfacher, als sich mit den wahren Problemen auseinander zu setzen...«

»Wahrscheinlich.«
 

»Ärgern Sie sich nicht, Sie sind immerhin eine gute Abwechslung zu den andauernden Scorn-Angriffen in der Mongolei oder diese brutalen Morden, die in letzter Zeit so häufig Thema in den Medien waren... gut, dass man dieses Schwein endlich gefasst hat. Hoffentlich darf er in Impel Down verrotten!« Obwohl Jozus Stimme finstere Genugtuung vermittelte, war doch das Schaudern herauszuhören, das sie wohl alle befiel, wenn man über Impel Down sprach.
 

Impel Down kam der Hölle auf Erden wohl ziemlich nah und viele Insassen sagten, dass es schlimmer als der Tod sei – dieses Tiefseegefängnis in der Philippinensee, für MAGs und deren „spezielle Bedürfnisse“ ausgelegt. Von dort gab es kein Entkommen und keine Hoffnung, jemals wieder das Tageslicht zu sehen. Die Gefangenschaft dort war eine endlos währende, eisige Dunkelheit, die zurecht gefürchtet wurde.
 

Allerdings hatte der erst kürzlich von der Staatspolizei Japan verhaftete MAG, den die Medien den „Fear-Killer“ getauft hatten, wahrscheinlich auch nichts anderes verdient, denn einige, ziemlich grausame Morde auf der ganzen Welt gingen vermeintlich auf sein Konto. Nun war er offenbar unvorsichtig geworden, nachdem er so lang unerkannt entkommen war - hatte einfach großspurig und selten dämlich in irgendeiner Bar im Rotlichtviertel mit seinen Taten geprahlt.
 

»Sonst ist alles in Ordnung?« Marco ließ seinen Blick aufmerksam über die Aufzeichnungen der Überwachungskameras schweifen.
 

Draußen spazierte gerade Izou vorbei, der durch die dunkle Kleidung im Regen kaum zu erkennen war, mit seinem Scharfschützengewehr über der Schulter und einem der Wachhunde an der Leine, der speziell darauf trainiert wurde, gestaltwandelnde MAGs aufzuspüren. Der schlanke, dunkelhaarige Mann hob die Hand und winkte grinsend in die Kamera, als wüsste er, dass er beobachtet wurde, bevor er sich zu einem der Wachtürme an der Torzufahrt aufmachte.
 

Izou gehörte auch zu Jozus Team. Der Mann war ein hervorragender Scharfschütze, kybernetisch optimiert durch einige kostspielige optische und auditive Sensoren. Es war beinahe unmöglich ungesehen oder ungehört an ihm vorbei zu kommen.
 

Obwohl Marco wußte, dass in jeder Ecke Kameras hingen, das Sicherheitsteam hervorragend und Jozu ein wirklich ausgezeichneter Sicherheitschef war – ein Rang B Crystallomorph, der seine Haut mit Diamant überziehen und damit beinahe unverwundbar werden konnte – musste man doch jederzeit mit den eigenartigsten Dingen rechnen.
 

Durch Whitebeards schlechten Gesundheitszustand könnten sich so einige MAGs ermutigt fühlen, den Thron und die Herrschaft über Ikebukuro an sich reißen zu wollen. Machtkämpfe unter MAGs waren keine Seltenheit und meist hielt sich die Polizei aus diesen Auseinandersetzungen heraus, solange sich die Kämpfe in Grenzen hielten und keine menschlichen Zivilisten involviert wurden.
 

Erst letzten Monat hatte sich ein junger, hitzköpfiger Pyromant Zutritt zum Gebäude verschafft, um dem großen Whitebeard aus einer spontanen Laune heraus die Lichter ausblasen zu wollen. Eine selten dämliche Mutprobe und schlecht geplant, denn er war Hals über Kopf in eine Sitzung geplatzt und von Jimbei, dem Leiter der Personalabteilung und Hydromant, in hohem Bogen wieder vor die Tür befördert worden.
 

»Natürlich, Sir. Keine besonderen Vorkommnisse. Fossa macht gerade seine Runde durch das Gebäude, um nach dem rechten zu sehen«, berichtete Jozu pflichtbewußt und wischte beiläufig die letzten Krümel des Donuts vom Tresen. Dadan würde ihm sonst wohl auch gehörig die Ohren langziehen und vor der hatte sogar ein Hüne wie Jozu Respekt.
 

»Oh, ich sehe gerade, Miss Kalifa hat sich noch nicht ausgebucht. Wahrscheinlich ist sie noch oben im Büro«, bemerkte Jozu nach einem kurzen Blick auf sein Terminal.
 

»In Ordnung, danke. Gute Schicht, Jozu«, verabschiedete sich Marco und ging zu den Aufzügen. Kaum waren die Türen hinter ihm wieder geschlossen, setzte sich der Lift mit einem seichten Sirren in Bewegung.
 

Ein dezentes Blinken am Rande von Marcos Sichtfeld kündigte einen Anruf an. Er fluchte leise und ein Blick auf die Anruferkennung bestätigte seinen Verdacht – um diese Uhrzeit wagte ihn neben Pops meist nur einer zu stören. Da er aber auch genau wusste, dass Ignorieren nur eine Flut an Textmitteilungen zur Folge hätte, nahm er den Anruf notgedrungen entgegen.
 

Das optische Overlay seiner Schläfenimplantate aktivierte sich und die schmalen Brillengläser glitten über seine Augen, auf die nun das halb durchsichtige Bild von Thatch projiziert wurde. Der Marketingmanager der Newgate Corp. hielt sich in seinem Stadtapartment auf, er lümmelte selbstzufrieden auf seiner ausladenden Wohnlandschaft und grinste mit einem Glas Champagner in die Kamera.
 

Das kostspielige Ambiente hinter ihm bestach durch eine Eisskulptur der Aphrodite des Künstlers Aokiji Kuzan, die in einer dramatisch beleuchteten Glassäule dauerhaft unter den Nullpunkt gekühlt wurde. Marco konnte Thatchs Neigung zu solch extravagantem Schnickschnack noch nie nachvollziehen, aber Geschmäcker waren nun mal verschieden.
 

»Ah, der Mann des Abends...«, schnurrte Thatch und überschlug die Beine lässig. »Das war ja ein Geniestreich, du Fuchs!«, meinte er anerkennend.
 

Thatch wirkte frisch und munter, als wollte er die Stadt noch unsicher machen. Sein kostspieliger, dunkelblauer Anzug wies keine einzige Falte auf, sein braunes Haar war modisch zu einer Tolle gekämmt. Er hätte als die perfekte männliche Besetzung für den Werbespot eines teuren italienischen Parfüms herhalten können. »Erzähl mir alles! Und lass' bloß nichts aus, hörst du?! Ich will jedes schamlose Detail erfahren!«
 

Marco wusste, dass es zwecklos wäre, aber er versuchte sich trotzdem im Spiel des Unwissenden und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Rückwand des Lifts. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest, Thatch...«
 

»Ach komm schon, jetzt verkauf' mich nicht für dumm!« Auf Thatchs Fingerzeig hin schwenkte der Sichtbereich und offenbarte einen Blick auf den riesigen Flatscreen in Thatchs Wohnzimmer. Darauf flimmerte das Bild von Marco und Boa Hancock durch die Abendnachrichten. »Es ist auf allen Sendern. Aus der Nummer kommst du nicht mehr raus, mein Lieber. Diese Art Publicity wird unsere Aktien mächtig in die Höhe treiben. Gut gemacht!« Thatch prostete ihm mit seinem Champagner zu.
 

»Himmel Herrgott nochmal... was bitte ist so interessant daran, wenn ich mich mit jemanden zum Abendessen treffe?!«, knurrte Marco ehrlich angenervt. Er mochte dieses Leben in der Öffentlichkeit wirklich nicht – jeder Schritt belauert, jedes Wort aufgezeichnet.
 

Thatch - selbst Pops - war viel eher der Mann für Hochglanzmagazine, für Partys und Benefizveranstaltungen, für Interviews und Präsentationen. Marco war bisher stets der Schatten im Hintergrund gewesen, derjenige, der diskret Kontakte knüpfte und dafür sorgte, dass alles reibungslos und nach Plan verlief.
 

Thatch zog eine Augenbraue in die Höhe und bedachte Marco - oder zumindest das holographische Abbild seines Gesichtes - mit einem Blick, als zweifle er ernsthaft an dessen geistiger Gesundheit. »Ich bitte dich... die Popdiva, gerade frisch getrennt von ihrem langjährigen Lebensgefährten, trifft sich mit einem der wohl begehrtesten und mysteriösesten Junggesellen von Tokio, um zu abend zu essen. Du hast recht, was könnte daran schon interessant sein?!«, untermalte Thatch die eher rhetorische Frage durch ein theatralisches Augenrollen.
 

»Du liest eindeutig zu viel in der Klatschpresse...«, urteilte Marco.
 

»Das ist immerhin mein Job«, belehrte ihn Thatch und seufzte nachsichtig. »Du solltest wirklich öfter mal aus der Firma rauskommen. Noch hält man dich vielleicht für interessant, aber du wirst auch nicht jünger und irgendwann wird aus 'mysteriös und begehrt' ganz schnell 'wunderlich und seltsam', mein Freund.«
 

»Danke für dieses lebensrettende Statement... war's das?«, fragte Marco trocken.
 

Thatch zog die Brauen kritisch zusammen, lehnte sich nach vorn und stellte sein Champagnerglas auf dem Couchtisch ab. Er wirkte ernsthaft konsterniert, als er jetzt die Augen zusammenkniff und ihn forschend musterte. »Warte... Moment... du willst mir echt nichts erzählen?! Nicht mal ein bisschen?!«
 

»Nicht wirklich«, beharrte Marco. »Und außerdem gibt es auch nichts zu berichten.«

»Weißt du, das ist nicht fair! Ich erzähle dir auch von jeder meiner Verabredungen!«, klagte Thatch verschnupft.

»Ja... und das jedes Mal völlig ungefragt«, erinnerte ihn Marco mürrisch.

»Och, komm schon, Marco...-«
 

»Schönen Abend noch, Thatch,« beendete Marco das Gespräch entschlossen und leitete weitere Anrufe auf die Mailbox um. Die Brillengläser glitten zurück in die kybernetischen Hüllen an seinen Schläfen. Wenn es um Klatsch und Tratsch ging, war sein Freund wirklich hartnäckiger als jeder Bluthund, der die Witterung aufgenommen hatte.
 

Der Aufzug war in der vorletzten Etage des Gebäudekomplexes angekommen und Marco betrat das weitläufige Vorzimmer des Geschäftsführerbereiches. Champagnerfarbene Töne waren hier vorherrschend und machten den Raum hell und freundlich. Die gläserne Fassade offenbarte einen spektakulären Blick über das nächtliche Tokio. Noch besser konnte die Aussicht nur aus der obersten Etage des Wolkenkratzers sein, auf der Pops' Penthouse und persönliches Reich lag.
 

Marco trat an die gläserne Front heran und gönnte sich einen Moment der Ruhe, indem er die Hände in die Taschen seiner Anzughose schob und den Blick über die Stadt schweifen ließ. Von hier oben wirkte alles so ruhig und geordnet, die vielen, bunten Reklametafeln und leuchtenden Neonfahrzeuge nur noch wie vage Farbkleckse und verwaschene Lichterstreifen – wild verstreute Sternenhaufen, als würde man auf das Licht einer weit entfernten Galaxie blicken.
 

Das Geräusch von High Heels auf dem polierten Marmorboden riss Marco aus seinen Gedanken und ließ ihn sich umwenden. Wenn Jozu ihn nicht vorgewarnt hätte, wäre er vielleicht verwundert gewesen. Kalifa, die persönliche Assistentin des CEO der Newgate Corp. kam gerade aus ihrem Büro.
 

Sie hob den Blick von einigen Unterlagen, blieb stehen und wirkte im ersten Moment fast ertappt, bevor sie sich in einer geschäftigen Geste die Brille zurechtrückte und Marco eine dezente Verbeugung entgegen brachte. »Oh, Phoenix-san... guten Abend. Ich... hatten Sie einen Termin?«
 

Sie zog die Stirn kraus und Marco erkannte an dem bläulichen Flimmern ihrer Pupillen, dass sie wohl gerade ihren Kalender checkte, als sie auf ihn zu lief. »Es tut mir leid, es muss mir entfallen sein...«
 

»Nein, alles gut. Vater wollte, dass ich noch einmal vorbei komme. Vielleicht will er die letzten Details wegen der Übergabe nächste Woche besprechen«, wiegelte Marco sofort mit einem leichten Lächeln ab. Whitebeard wollte seinen Rücktritt als CEO nächste Woche bekannt geben und seinen Nachfolger offiziell benennen.
 

Kalifa war die Professionalität in Person und ein persönliches Versäumnis war für sie eine regelrechte Tragödie – Thatch war der felsenfesten Überzeugung, Marco und Kalifa müssten Zwillinge sein, die nur versehentlich bei der Geburt getrennt wurden.
 

Die blonde Frau entspannte sich sofort ein wenig, bewahrte sich aber ihre kompetente, aufmerksame Haltung. Selbst um diese Uhrzeit – nach einem langen Arbeitstag – saßen ihr taubengraues Kostüm und ihre Hochsteckfrisur perfekt. Ihr Äußeres und ihre Arbeit waren stets tadellos.
 

»Aber was machen Sie um diese Uhrzeit noch hier?«, fragte Marco. »Das Wochenende steht vor der Tür. Sollten Sie nicht längst Zuhause bei Ihrer Tochter sein?« Er kannte Kalifas Neigung, das eigene Leben gern mal hinter der Arbeit hinten anzustellen, da sie sich dem Unternehmen stets voll und ganz verpflichtet fühlte. Vielleicht verstanden sie sich deshalb auch so gut.
 

Kalifas strenges, doch recht hübsches Gesicht hellte sich merklich auf und ein zartes Lächeln huschte über ihre Lippen. »Mary übernachtet heute bei einer Freundin, als Belohnung für das letzte, erfolgreiche Schulprojekt. Sie hat den ersten Platz bei dem Wettbewerb erreicht«, erzählte Kalifa nicht ohne eine gehörige Portion Stolz in der Stimme.
 

Marco wusste, dass Kalifa ihre kleine Tochter über alles liebte. Sie war alleinerziehend, hatte eine schwere Trennung hinter sich und mehrere Ortswechsel, bevor sie ihrem Exmann entkommen war und hier in der Firma ihren Platz und eine Möglichkeit gefunden hatte, ihrer Tochter endlich ein normales Leben zu ermöglichen.
 

»Das freut mich«, erwiderte Marco mit einem warmen Lächeln. »Allerdings erklärt das nicht, warum Sie nicht Ihren kinderfreien Abend nutzen, um sich etwas gutes zu tun. Arbeit ist nicht alles, Kalifa. Die Firma wird wahrscheinlich nicht gleich untergehen, nur weil Sie sich mal einen entspannten Abend vor dem Fernseher oder ein Treffen mit Freunden gönnen«, meinte er nun augenzwinkernd.
 

Kalifas Mundwinkel zuckten leicht, bevor sie Marco einen nur allzu wissenden Blick über den Rand ihrer Brille zuwarf. »Bei allem Respekt, Sir - aber das sagen gerade Sie zu mir!?«, fragte sie kritisch. Tatsächlich war es bei weitem nicht das erste Mal, dass sie beide als letztes die Firma verließen.
 

Marco musste nun doch lachen. »Touché! Darauf kann ich wohl kaum etwas erwidern.«
 

Kalifas dunkelbraune Augen fokussierten sich auf das Fenster, fast ein bisschen wehmütig sah sie auf die Stadt hinaus. Ein leuchtend pinkes Neonbanner glitt vorbei und bewarb die Versuchungen eines einschlägigen Nachtclubs in Downtown. »Ich weiß auch nicht... ich glaube, ich hatte heute einfach ein wenig Furcht, nachhause zu gehen. Furcht, dass diese Woche endet...«
 

Marco sah sie forschend von der Seite an. Sie bemerkte seine Aufmerksamkeit und erklärte zögerlich, die Unterlagen im Arm an ihre Brust gedrückt: »Vielleicht ist es lächerlich, bestimmt ist es das, aber... ich mache mir einfach ein bisschen Sorgen. Wir alle hier achten und schätzen Whitebeard-sama sehr, Sie wissen das, Phoenix-san. Es hat sich immer angefühlt wie eine große Familie, nicht wirklich wie Arbeit... und, nun ja... sein Sohn...«
 

Sie unterbrach sich selbst und musterte Marco etwas unsicher aus dem Augenwinkel, doch der sah sie nur weiterhin erwartungsvoll und offen an. Kalifa zog die Schultern ein wenig hoch, als wäre ihr unbehaglich zumute. »Nun, sein Sohn ist... nicht wirklich wie Whitebeard-sama«, umschiffte sie das heikle Thema geschickt.
 

Marco konnte das spöttische Schnauben gerade noch so zurückhalten. Das war wirklich sehr diplomatisch ausgedrückt... und noch dazu war es eine maßlose Untertreibung. Weevil Newgate war das völlige Gegenteil von Edward Newgate – verzogen, laut, gedankenlos, ein Sturkopf und Prolet. Aber das würde und sollte er so wohl nicht sagen.
 

»Nun, er ist nicht unbedingt das, was wir uns alle wünschen, doch ich denke, er wird diesem Posten schon gerecht werden. Vielleicht sollten wir ihm eine Chance geben, an seinen Aufgaben zu wachsen«, leierte Marco steif herab und war sich sofort bewusst, dass er diese hohle Phrase in letzter Zeit wahrlich ziemlich häufig benutzt hatte.
 

Kalifa zog die Brauen hoch und wirkte alles andere als überzeugt, doch sie ersparte ihnen beiden, dieses Thema weiter vertiefen zu müssen. Sie wusste, dass Marco zu freundlich war, um sich öffentlich über Weevil zu beschweren und sie war sich auch bewusst, dass sie keinen Einfluss auf gewisse Dinge hatte.
 

»Ich denke, Sie wissen, dass sich alle hier wünschen, Sie würden die Position des CEO übernehmen, Phoenix-san.« Kalifa ließ Marco gar keine Zeit für eine Erwiderung. »Ich werde die letzten Unterlagen noch fertig machen, dann gehe ich. Einen schönen Abend noch, Sir.« Damit war sie verschwunden und ließ Marco wieder allein mit seinen Gedanken.
 

Natürlich, Whitebeard und er hatten schon über diese Option gesprochen, doch es standen viele rechtliche Hürden im Weg, denn Weevil war nun einmal Edward Newgates Sohn, er bestand großspurig auf sein Erbe und Marco hatte als Ziehsohn kaum das Recht, Ansprüche zu stellen... ganz zu schweigen von der medialen Schlammschlacht, die Weevil unter Garantie lostreten würde.
 

Eigentlich war Marco auch zufrieden mit seinem Leben, so wie es gerade war – aber er wollte und konnte das drohende Unheil in Form von Weevil Newgate, das wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebte, auch nicht einfach ignorieren. Er würde versuchen müssen, ihm ein guter Berater zu sein, um das Schlimmste zu verhindern und hoffen, dass Weevil seine menschlichen Schwächen überwinden konnte...
 

Bevor die Grübeleien Marco übermannen konnten, ging er ins Büro des CEO, schnappte sich die Unterlagen von dem übervollen Schreibtisch, um die sein Vater ihn noch gebeten hatte und machte sich auf in Richtung von dessen Penthouse.
 

Dafür betrat er den Lift erneut und hielt sein Gesicht vor den integrierten Netzhautscanner, um Zutritt zur obersten Etage zu erhalten. Dort trat Marco in den einladenden Eingangsbereich, der durch eine massive Gesteinswand - die einen natürlichen Wasserfall nachbildete - vom Rest der Wohnung abgetrennt war und Privatsphäre zusicherte. Leise plätscherte das Wasser über das schwarze Lavagestein und indirekte Beleuchtung setzte die weißen Orchideen in Szene, die wie Ranken am Fels entlang wuchsen.
 

Marco schlüpfte aus seinen Schuhen und betrat die kostbaren Tatami Matten des Wohnbereiches, umrundete die raumteilende Gesteinswand und vor ihm öffnete sich der riesige Wohn- und Essbereich des Penthouses. Alles war schlicht und funktionell eingerichtet, nicht überladen, aber auch nicht ungemütlich. Ein großes Bild der letzten Firmenweihnachtsfeier mit allen Beschäftigten hing an der Wand – Whitebeard im Kreis seiner Mitarbeiter, wie sie ihm zuprosteten und er glücklich in die Kamera lächelte.
 

An einer weiteren Wandhalterung war ein antikes Bisento befestigt, ein Geschenk von Marco an seinen Vater und darunter stand ein einzelner, gerahmter Schnappschuss, der Marco auf der Feier zum Abschluss seines Studiums zeigte. Bilder von Edward Newgates Exfrau oder seinem Sohn gab es keine. Das machte Marco zwar irgendwie stolz, beschämte ihn aber auch gleichzeitig, da er sich manchmal fragte, ob er nicht doch mit ein Grund für das schlechte Verhältnis der Drei war.
 

Das Wohnzimmer war wie zu erwarten leer, der Fernseher aus und die Küche ebenso kalt. Ein Teller mit Essen stand unangerührt und abgedeckt auf der Anrichte.
 

Die integrierte KI der Wohnung aktivierte sich und projizierte das Bildnis eines jugendlichen Mannes mit kinnlangen, braunen Haaren und einem freundlichen, offenen Gesicht in die Mitte des Wohnzimmers. »Guten Abend, Mister Phoenix. Newgate-sama erwartet Sie bereits in seinem Arbeitszimmer«, berichtete ihm die künstliche Intelligenz.
 

»Haruta, wann hat Vater die letzte Mahlzeit zu sich genommen?«, fragte Marco und hing seinen Mantel über einen der Stühle am Küchentresen.

Der halb durchsichtige, junge Mann verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Am Morgen um exakt 08.43 Uhr. Er hatte einen French Toast und einen doppelten Espresso.«

»Hat er seine Medikamente genommen?«

Die KI blinzelte kurz und das Holo flackerte. »Ich habe ihn daran erinnert...« Das war wohl die diplomatische Version von einem 'Nein'.

»Natürlich...«, seufzte Marco.
 

Dezente, klassische Musik wehte aus dem hinteren Teil der Wohnung zu Marco heran und der machte sich mit einem resignierten Kopfschütteln auf den Weg zu Pops' Arbeitszimmer, das als erstes vom Flur abzweigte, bevor sich die Wohnung im hinteren Teil in ein geräumiges Wellnessbad und ein Schlafzimmer mit Panoramablick öffnete.
 

»Du hast wieder nicht zu Abend gegessen... und hat dein Arzt nicht eigentlich gesagt, dass du dich schonen und regelmäßig deine Medikamente nehmen sollst?!«, murrte Marco säuerlich und warf die verlangten Dokumente auf den Schreibtisch, an dem Edward Newgate über der Arbeit saß. Selten brachte ihn etwas aus der Ruhe, doch die Beratungsresistenz seines Ziehvaters schaffte das sehr oft.
 

Dessen war sich Edward Newgate auch bewusst, doch er blickte nur flüchtig von der holographischen Projektion auf, an der er konzentriert arbeitete und wischte Marcos Bedenken mit einem lapidaren Handwedeln beiseite.
 

»Dieser Quacksalber kann mich mal! Wenn meine Zeit reif ist, werde ich mich mit einer Heizdecke und Herztropfen in den Park zurückziehen und Tauben füttern, bis ich sterbe... aber bis dahin mache ich, was ich für richtig halte, Kind. Also sei keine Glucke, Marco.« Damit war die Diskussion beendet und Marco wusste, dass es sinnlos wäre, weiter diskutieren zu wollen... immerhin hatte er das in den letzten Monaten sehr häufig versucht.
 

Obwohl sie nicht wirklich verwandt waren, hatten sie doch über die Jahre ihrer Zusammenarbeit eine sehr enge Bindung entwickelt, die dem Verhältnis zwischen Vater und Sohn sehr nahe kam. 2047 waren sie in den USA aufeinander getroffen, Newgate hatte sein Potential erkannt und ihn unter seine Fittiche genommen. Sie hatten schon so einige Hochs und Tiefs der Vergangenheit zusammen durchgestanden, achteten und respektierten sich gegenseitig.
 

So oft wünschte Marco in letzter Zeit, er könnte seine Fähigkeiten nun nutzen, um Whitebeards Leiden zu lindern, doch gegen den natürlichen Alterungsprozess eines Körpers konnten selbst begabte HeilerMAGs wenig ausrichten... und schon gar nicht gegen die wuchernden Tumore, Folgen der Genveränderung durch Element Alpha, die einige der ursprünglichen MAGs plagte, die das Alpha Serum noch selbst zu sich genommen hatten.
 

Es war frustrierend für Marco, der Krankheit seines Vaters hilflos begegnen zu müssen und doch war Whitebeard mit dem Lauf der Dinge völlig im Reinen. Er pflegte oft zu sagen, dass niemand die Macht besitzen sollte, den Tod zu betrügen.
 

Wenn man den Gründer und Chef der Newgate Corp. so ansah, wollte man kaum glauben, dass der Mann inzwischen über siebzig Jahre alt war und The Fall noch persönlich erlebt hatte – noch immer war Edward Newgate eine ehrfurchtgebietende Gestalt und Persönlichkeit, großgewachsen, kräftig, mit wachen, klugen Augen und einem beeindruckenden, weißen Schnurrbart, der ihm unter seinen Angestellten und Geschäftspartnern den Spitznamen „Whitebeard“ eingebracht hatte.
 

Oberflächlich wirkte der alte Mann völlig fit, doch Marco wusste, dass dem nicht so war. Pops' Gesundheitszustand hatte sich in den letzten Jahren rapide verschlechtert, was schlußendlich der Hauptgrund war, weswegen er den Vorsitz des Konzerns nun an den Nagel hängen musste. Man würde ihn wahrscheinlich nie völlig von der Firma trennen können – „nur über seine Leiche“, wie er oft zu sagen pflegte – aber er würde kürzer treten und den Posten des CEO gezwungenermaßen abtreten.
 

Die Newgate Corp. brauchte einen starken Anführer, der den Konzern nach außen hin vertreten und Neider sowie Rivalen auf Abstand würde halten können.
 

Leider hatte Weevil weder das Format, noch den Ehrgeiz und den eisernen Willen seines Vaters – von seinem Rang als MAG mal ganz abgesehen. Edward Newgate war ein Erdmanipulator, ein Rang A Geomant. Zu seinen besten Zeiten war er mit einer Gruppe anderer Geomanten fähig gewesen, die instabilen Kontinentalplatten unter Japan wieder zu stabilisieren und zu verhindern, dass das Inselreich irgendwann im Meer versinken würde.
 

Weevil dagegen... er brachte es gerade nur auf einen D Rang als Geomant, von seinen Führungsfähigkeiten und seinen sehr offensichtlichen Charakterschwächen einmal ganz abgesehen. Das Einzige, was er irgendwie erfolgreich zustande brachte, war eine zweifelhafte Präsenz in den sozialen Medien, für die er mit seinen eher mittelmäßigen Fähigkeiten effektheischende Videos produzierte. Viele mochten ihn für seine große Klappe und seine dämlichen Aktionen.
 

Marco konnte verstehen, dass sich die Mitarbeiter wie Kalifa Sorgen machten. Ohne Whitebeard, der mit seinen Angestellten ein beinahe familiäres Verhältnis geführt hatte, würde es wohl nie mehr sein wie zuvor...
 

»Wie lief dein Abendessen?«, fragte Whitebeard scheinbar beiläufig, doch Marco war sich des lauernden Blickes unter den dichten, weißen Brauen sehr wohl bewusst, obwohl der alte Mann weiterhin mit der holographischen Miniaturstadt beschäftigt war, die das nächste Großprojekt des Konzerns darstellte.
 

Newgate Corp. investierte in eine völlige neue Produktionsstrecke, die gerade in der Tokyo Bay entstand – eine eigene, kleine Stadt, unabhängig und autonom, mit Wohneinheiten für die Arbeiter und Angestellten. Eine Möglichkeit, die rasch wachsende und aus allen Nähten platzende Metropole Tokio zu entlasten, Wohnraum zu schaffen und diesen durch Wind- und Wasserkraft auf lange Sicht mit Energie zu versorgen.
 

Die erste Präsentation ihres neuesten Projektes, des NG-100, war ein voller Erfolg gewesen. NG-100 war eine unabhängig interagierende, humanoide Robotereinheit, die speziell für den Kampfeinsatz gegen Scorn entwickelt wurde. Die Produktion sollte nun erstmalig in Serie gehen.
 

Marco ließ sich auf den Stuhl fallen, der vor dem Schreibtisch stand, knöpfte seine Anzugjacke auf und zog den Umschlag aus der Innentasche, den Boa Hancock ihm gegeben hatte. Gewisse Dinge teilte man heutzutage doch lieber noch auf altmodischem als digitalem Wege mit. Er reichte diesen an Whitebeard weiter und sah seinen Vater dabei vorwurfsvoll an.
 

»Du hast mich den Schlangen zum Frass vorgeworfen...«, beschwerte sich Marco düster, schlussendlich aber wenig überrascht. Edward Newgate hätte es wohl nie so weit gebracht, wenn er Menschen nicht bedenkenlos wie Schachfiguren einzusetzen wüsste... allerdings besaß Marco sonst auch das Privileg, dem Feld außen vor zu bleiben. »Aber sie ist geneigt, dein Angebot anzunehmen und einen Teil der Grundstücke ihrer Familie an dich abzutreten.«
 

Whitebeards Mundwinkel hoben sich amüsiert, er nahm den Umschlag entgegen, öffnete ihn und überflog den Inhalt rasch. Ein selbstzufriedener Ausdruck legte sich auf seine kantigen Züge. »Ich wusste, dass es sich auszahlen würde, dich zu schicken. Und dieser Auftrag wird wohl kaum der Unangenehmste für dich gewesen sein, nicht wahr?«, mutmaßte Whitebeard mit einem listigen Funkeln in den Augen. »Die Lady ist wahrlich die schönste Frau, die ich je gesehen habe... und ich habe schon so einige gesehen.«
 

Marco lockerte seine Krawatte und stieß den Atem genervt aus, während er einen Arm über der Stuhllehne bettete. »Ja, sie ist hübsch«, räumte er ein. »Aber dafür hängt mir jetzt gefühlt die halbe Boulevardpresse der Stadt im Nacken und morgen sinniert man wahrscheinlich schon darüber, wie unsere Kinder mal aussehen werden...«, mutmaßte er verstimmt.
 

Whitebeard lachte laut auf. »Nun, ich könnte mir wahrlich schlimmeres vorstellen!« Dann wurde er wieder ernst und faltete die Hände auf dem Tisch. Er sah Marco an, auf diese eine besondere Art und Weise, die von ehrlicher, väterlicher Fürsorge sprach. »Sie ist sicher etwas eigen, aber eigentlich kein schlechter Mensch. Sie ist hübsch und eine kluge Geschäftsfrau. Vielleicht wäre sie ja ein wenig deiner Zeit wert... Sie hat Interesse an dir.«
 

Marco konnte sich gerade noch davon abhalten mit den Augen zu rollen. Im Gegensatz zu Thatch meinte Whitebeard es ja tatsächlich gut mit ihm und war nicht nur scharf auf unternehmensfördernde Publicity. Trotzdem stand ihm der Sinn im Moment kaum danach, private Zukunftspläne zu schmieden, auch wenn er seinem Vater insgeheim recht geben musste – Boa Hancock war eine sehr begabte Amokinetin, die sich gewinnbringend zu verkaufen wusste.
 

»Sicher, sie hat Interesse... aber nur, weil ich ihr nicht aus der Hand fresse wie alle anderen. Ihre Fähigkeiten wirken bei mir nicht, das weiß sie und allein das macht mich interessant für sie. Sie ist gelangweilt«, urteilte Marco abgeklärt. Außerdem hatte ihn Schönheit allein noch nie gekümmert. »Boa Hancock will jagen... und nicht immer nur gefüttert werden.«
 

Whitebeard verzog den Mund zu einem resignierten, schiefen Grinsen. »Hach je, du bist wahrscheinlich der einzige Mann, der es fertig bringt sich zu beschweren, wenn sich ihm eine derart begehrte und schöne Frau an den Hals wirft, aber gut...«, er hob abwehrend die Hände, als Marco schon Luft für einen Einwurf holte. »Schlussendlich musst du das selbst wissen... ich dachte nur, ich könnte deinem Glück für die Zukunft vielleicht etwas auf die Sprünge helfen... es wird sicher nicht leicht...«
 

Die letzten Worte murmelte der alte Mann fast nur noch und die Lockerheit der letzten Minuten fiel schlagartig von ihm ab. Er rieb sich den Nasenrücken, wirkte plötzlich sehr erschöpft und alt. Er sah Marco mit einer Ernsthaftigkeit an, die diesen sofort wachsam werden ließ.
 

»Es gibt einen wichtigen Grund, warum ich dich heute hergerufen habe... und das war leider nicht nur, weil ich mit dir über Boa Hancock reden wollte...« Whitebeard seufzte schwer. »Tut mir leid, mein Junge... aber ich fürchte, dein Leben wird sich ändern müssen.«
 

»Pops, was ist los...?!«, fragte Marco irritiert. Nagende Unruhe und das prickelnde Gefühl von nahender Gefahr im Nacken überfielen ihn.
 

Der mentale Angriff auf Marcos Geist kam aus heiterem Himmel, plötzlich und völlig unerwartet.

Der Wachhund des Senats

In der Wohnung war mindestens ein Eindringling.
 

Marco spürte den mentalen Angriff kommen, das Vibrieren in der Luft, das die nahende Woge aus Magie ankündigte – und er reagierte völlig instinktiv, jahrelang auf solche Situationen trainiert. Es blieb keine Zeit sich zu fragen, warum die KI sie nicht gewarnt oder wie es der Angreifer überhaupt in die Wohnung geschafft hatte. In Marcos Kopf war nur Platz für den Gedanken, seinen Vater zu schützen.
 

Die integrierten Brillengläser seiner Schläfenimplantate glitten über seine Augen und schärften seine Sicht in Verbindung mit den optischen Verbesserungen seiner Netzhäute. Noch währenddessen sprang er auf, zog die silberne Sig Sauer aus dem versteckten Holster unter seiner Anzugjacke und stellte sich schützend vor Whitebeard, die Waffe entsichert, bereit, jeglichem Angreifer eine Kugel zwischen die Augen zu jagen.
 

Die Wucht des unsichtbaren, gedanklichen Angriffes traf Marco wie ein Hammerschlag, darauf ausgerichtet, seine Verteidigung mit nur einem Schlag zu schwächen. Doch die Attacke prallte wirkungslos an seiner mentalen Barriere ab. Marco fühlte die Klauen des fremden Geistes an seinem Schutzschild kratzen und nach einer Schwachstelle suchen. Fremde Gedanken glitten lockend um seinen Verstand und Marco wusste, würde er nur einen hereinlassen, wäre er der Kontrolle des fremden MAGs ausgeliefert - vermutlich ein Cogitokinet, ein Gedankenmanipulator.
 

Der unbekannte MAG schien schnell zu begreifen, dass Marcos Barriere so gut wie undurchdringbar war und stürzte sich auf ein neues Opfer. Der Druck, der auf Marcos Geist gelastet hatte, verschwand und er konnte spüren, wie sich der MAG nun stattdessen auf Whitebeard fokussierte.
 

Marco umschloss auch den Geist seines Vaters mit einer schützenden Hülle, weitete seine eigenen mentalen Barrieren auf Whitebeard aus, sodass der Angreifer auch hier keine Schwachstelle finden würde. Dann bewegte er sich schnell und geräuschlos zur Tür des Arbeitszimmers hinüber, entschlossen, endlich aus der Defensive in den Angriff zu gehen.
 

Er schickte seine eigene Magie aus und fand zwei fremde Präsenzen im Flur vor dem Zimmer. Mit einem Schritt war er herausgetreten und setzte dem Fremden, der ihm am nächsten war, die Mündung der Waffe auf die Stirn, während er in der gleichen Bewegung die andere Sig Sauer unter seiner Jacke hervorzog und auf den zweiten Fremden richtete.
 

»Shanks?!«
 

Marco hielt verblüfft inne, als er sich unvermittelt 'Red Force' Shanks gegenübersah, der ihn lässig angrinste und sich in keinster Weise durch die Waffe, die auf seinen Kopf gerichtet war, beeindrucken ließ. Er trug einen wirklich auffälligen, roten Mantel und ein schwarzes, golddurchwirktes Hemd, das reichlich zerknittert war und sah im Ganzen aus, als wäre er gerade eben erst aus irgendeiner Bar gefallen.
 

Hinter ihm stand ein grimmig aussehender, großer Kerl mit dunklen, von grau durchzogenen Haaren in einem maßgeschneiderten, schwarzen Anzug. Seine Hände steckten in Lederhandschuhen und er trug eine ziemlich deplaziert wirkende Sonnenbrille - das klischeehafte Abbild eines Auftragskillers.
 

»Beeindruckend. Wirklich beeindruckend«, meinte Shanks leichthin, doch die Spur von Anerkennung in seiner Stimme war nicht zu leugnen.
 

»Was soll das, Shanks?!«, knurrte Marco angespannt, doch er löste den Finger vom Abzug der Waffe, auch wenn er sie nicht senkte. »Ist das wieder einer deiner seltsamen Scherze? Die waren irgendwie noch nie lustig...«
 

Shanks tätschelte Marco aufbauend den Oberarm. »Hm, fehlender Humor ist zu deinem Glück keine Sünde, Marco ... du bist inzwischen wenigstens kybernetisch optimiert, wie ich sehe!? Nicht schlecht, sogar eins meiner Modelle«, stellte er überrascht fest, als er Marcos Schläfenimplantate bemerkte. »Und jetzt sei ein gehorsamer, kleiner Soldat und nimm' die Waffe aus meinem Gesicht.«
 

»Ach, mir gefällt sie da eigentlich ganz gut...«, meinte Marco eigensinnig. In der Vergangenheit war er für den rothaarigen Konzerner oft nicht mehr als das brave, sittsame Hündchen Whitebeards gewesen. Marcos Pflichtbewusstsein und kontrollierte Art hatten Shanks stets amüsiert. Vielleicht war es an der Zeit, mal die Zähne zu zeigen.
 

Shanks' stiller Begleiter trat einen Schritt nach vorn, offensichtlich bereit, Marco im Notfall auch gewaltsam zu entwaffnen. Marco lächelte ihm grimmig entgegen. Auf den Versuch lass' ich es gern ankommen...
 

»Lass' gut sein, Marco. Er ist auf meinen Wunsch hier. Lass' ihn rein«, forderte Whitebeard aus dem Raum hinter ihnen. Shanks schob die Sig Sauer mit einem selbstgefälligen Lächeln aus seinem Gesicht und betrat das Arbeitszimmer, gefolgt von seinem schweigsamen Schatten.
 

Marco blinzelte verwirrt, dann ließ er die Waffen endlich sinken und schob sie zurück in die Halterung unter seiner Anzugjacke, bevor er den beiden nachging. Er wusste nicht, wie er es finden sollte, dass die zwei Männer hier waren - normalerweise lud sein Vater nie Bekannte oder Geschäftspartner in seine eigenen, vier Wände ein. In der Hinsicht waren sie sich sehr gleich und schätzten die Trennung von Beruf und Privatem.
 

»Du hast wahrlich nicht übertrieben, Edward. Ich kenne nur sehr wenige Mentokineten und keinen einzigen, der seine Fähigkeiten so einsetzen kann wie dein Anhängsel«, sagte Shanks. Marco beschlich ein ungutes Gefühl und er blieb mit ineinander verschränkten Armen am Türrahmen stehen. Warum hatte sein Vater gerade mit Shanks über seine Fähigkeiten gesprochen... und warum wusste er davon nichts?
 

Recht irritiert sah er jetzt dabei zu, wie der rothaarige Konzerner auf seinen Vater zuging und der die beiden Besucher mit einem kräftigen Händedruck begrüßte. »Würdet ihr mich freundlicherweise aufklären, was das Ganze eigentlich soll?«, verlangte Marco misstrauisch zu wissen – immerhin hatte man gerade versucht sein Hirn zu pulverisieren. Er hoffte, dass es zumindest einen guten Grund dafür geben würde.
 

»Heute ist dein Glückstag!«, eröffnete Shanks überzeugt.

Marco hob skeptisch eine Braue. »Ach ja?! Dann wärst du aber gewiss nicht hier...«

Shanks grinste ihn nur charmant an.
 

Marco und er hatten in der Vergangenheit so ihre Reibungspunkte gehabt, allerdings hatten 'Red Force' und die Newgate Corp. auch schon an einigen Projekten erfolgreich zusammengearbeitet. Shanks war Konzernchef und wie Whitebeard Mitglied des Senats. Er war recht exzentrisch, weswegen sich die Zusammenarbeit mit ihm oft... schwierig gestaltete.
 

Aber er war klug, hartnäckig und seine Firma „Red Force“ war inzwischen einer der Marktführer weltweit was kybernetische Implantate betraf. Diese Sparte boomte verständlicherweise, denn viele NoMAGs wollten hinter den MAGs nicht zurückstehen und fühlten sich genötigt, ihre Körper auf andere Art und Weise zu optimieren. Außerdem waren kybernetische Implantate gerade beim Militär sehr gefragt im Kampf gegen die Scorn.
 

Shanks selbst hatte bei einem Vorfall vor ein paar Jahren - als er ein Kind vor einem Scornangriff beschützt hatte - seinen linken Arm verloren und diesen durch eine kybernetische Prothese ersetzt. Der Vorfall hatte Marco gezeigt, dass Shanks eigentlich kein schlechter Kerl war, aber der konnte das meist ziemlich gut überspielen.
 

»Das ist Ben Beckmann. Mein persönlicher Assistent und Leibwächter«, erklärte Shanks und deutete mit einem metallisch schimmernden Finger auf seinen Begleiter, als würde das bereits alles erklären. Er trat an Whitebeards Schreibtisch heran und betrachtete das architektonische Holomodell dort interessiert, indem er es mit einem Handbefehl drehte. »Hm, du hast sogar das Kanalsystem eingeplant, das ich vorgeschlagen habe, Edward?! Künstliche Gezeiten werden einen großen Teil des Energiebedarfes abdecken«, sinnierte Shanks mit geschäftig funkelnden Augen.
 

»Shanks...«, rief Whitebeard ihn grollend ins Hier und Jetzt zurück. »Deswegen bist du nicht hier, oder?«
 

»Jaja... schon gut«, wiegelte Shanks ab und wies abermals auf seinen Leibwächter, der grimmig und regungslos wie zuvor neben ihm Stellung bezogen hatte. »Ben ist ein Rang B Cogitokinet. Er könnte dir einflüstern, dass du versuchen solltest, aus dem Fenster dieses Penthouses zu springen und du würdest es vermutlich für eine wunderbare Idee halten«, erklärte er und ging nun auf Marco zu. »Aber es hat dich nicht mal angestrengt, seiner Attacke standzuhalten, so als wärst du irgendwie... immun«, wisperte Shanks fasziniert und blieb vor Marco stehen, um ihn eingehend zu mustern. »Und nicht nur das... du kannst deine mentalen Abwehrmechanismen auch auf andere übertragen. Wie hoch ist deine Reichweite?«, fragte er.
 

»Keine Ahnung, es war bisher nicht nötig, genaue Statistiken zu erstellen...«, raunte Marco kühl, antwortete aber widerwillig nach einem kurzen Blickwechsel mit Whitebeard: »Fünfzehn bis zwanzig Meter waren bisher kein Problem.« In der Vergangenheit hatten sie es strikt vermieden, das ganze Ausmaß von Marcos Fähigkeiten preiszugeben. Es war immer besser, nicht jedes Ass im Ärmel sofort zu offenbaren, immerhin hatten sie nicht nur Freunde.
 

MAGs konnten lernen sich gegen den Angriff eines MentalMAGs zu schützen, doch am Ende lief es dann stets auf eine Willens- und Kräfteprüfung hinaus. Wenn ein MentalMAG nur eine winzige Lücke in einer geistigen Deckung fand, war man oft verloren. Marcos Fähigkeit dagegen ließ ihn geistige Schilde erschaffen, die undurchdringlich waren.
 

Inzwischen war es wahrscheinlich bekannt, dass er den meisten Gedankentricks widerstehen konnte, doch dass er auch andere zu schützen vermochte, hatten sie bisher geheim gehalten. Genauso wie seine Fähigkeit, heilend auf einen fremden Geist einwirken zu können.
 

Shanks sah ihn eine Weile grüblerisch an und wedelte dann mit dem kybernetischen Zeigefinger belehrend vor Marcos Nase. »Weißt du, es ist nicht nett, so etwas geheim zu halten.«

»Was willst du... dass ich demnächst im Zirkus damit auftrete?!«, zog Marco die Brauen missbilligend in die Höhe.

»Du solltest diese Kraft definitiv nicht daran verschwenden, einen alten Mann zu beschützen, dessen Zeit schon längst abgelaufen ist.« Marco bleckte die Zähne wütend, doch Shanks wandte sich mit einem Zungeschnalzen ab und meinte lapidar: »Wir sollten etwas trinken.«
 

Marco sah Shanks fassungslos hinterher, wie der mit Ben Beckmann im Schlepptau das Zimmer verließ und der emotionale Teil von ihm wollte den rothaarigen Konzerner gern am Kragen packen, um ihm etwas Anstand einzuprügeln. Der andere - wesentlich rationalere Teil von ihm – wusste, dass Shanks' Worte nicht gänzlich von der Hand zu weisen waren.
 

Whitebeard schaltete die Projektion an seinem Schreibtisch ab und räumte die letzten Dokumente in die Schubladen. »Reg' dich nicht auf... du weißt doch, wie er ist.« Sie kannten sich inzwischen so lang, dass er genau wusste, was in Marco vor sich ging.

»Er ist respektlos.«

Whitebeard schmunzelte. Er schien sich an solchen Unhöflichkeiten kaum zu stören. »Ja, in der Tat... aber manches Mal braucht es jemanden, der die Wahrheit schonungslos ausspricht und so ganz unrecht hat er ja nicht«, meinte er ruhig und kam nun zu ihm herüber.

Marco sah seinen Vater erschüttert an. »Sag' so etwas nicht...«

Doch Whitebeard reagierte nur mit einem gelassenen Lächeln und klopfte Marco aufmunternd auf die Schulter. »Komm. Besser, wir lassen ihn nicht länger als nötig allein... wer weiß, was er anstellt.«
 

Marco folgte seinem Vater nach, der nun ebenfalls das Arbeitszimmer verließ. Im Wohnbereich war Shanks schon eifrig dabei die Küchenschränke zu durchforsten, wahrscheinlich auf der Suche nach Gläsern... und ziemlich sicher auf der Suche nach Alkohol. »Komm schon, Edward, wo hast du das gute Zeug versteckt?!«, tönte Shanks gedämpfte Stimme aus dem Inneren eines Schrankes, in dem sein Kopf steckte.
 

Marco holte einmal tief Luft und rieb sich die Nasenwurzel. Das respektlose Verhalten dieses rothaarigen Teufels nötigte ihm jegliches Quäntchen an Selbstbeherrschung ab, das er besaß... und eigentlich besaß er ziemlich viel davon.
 

»Haruta, öffne den Wandschrank«, befahl Whitebeard der KI der Wohnung. Sofort glitt eine Wandvertäfelung des Wohnzimmers beiseite. Dahinter flammte gedimmtes Licht auf und beleuchtete eine exquisite Auswahl an Spirituosen. »Ich nehme an, du bist immer noch ein Freund von Sake, Shanks...?«, fragte er.
 

»Oh und wie ich das bin!« Shanks' roter Haarschopf tauchte aus der Tiefe des Schrankes wieder auf und sein Gesicht hellte sich begeistert auf, als seine Augen die Auswahl erspähten. »Ich hoffe, du hast noch diese exzellente Marke aus Kobe! Erinnerst du dich noch an Kobe, Edward? An die Nacht in diesem Ryokan? Meine Güte, ich glaube, so betrunken war ich niemals wieder in meinem Leben...«, ließ Shanks sich versonnen lachend auf die Couch fallen.
 

»Das wage ich zu bezweifeln...«, murmelte Marco kritisch. Er trat nun selbst in die Küche, um ein paar Sakeschalen aus einem der Küchenschränke zu nehmen, während Whitebeard eine bauchige, dunkle Keramikflasche aus seinem Vorrat wählte.
 

Shanks' schweigsamer Leibwächter positionierte sich neben seinem Vorgesetzten und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
 

»Und jetzt... trinken wir und lauschen Shanks' sicherlich pädagogisch sehr wertvollen Eskapaden der Vergangenheit!?«, fragte Marco ironisch, als er die Trinkschalen auf den Wohnzimmertisch stellte. Ein sich aufbäumender, detailreicher Wal aus Kristall bildete dessen Standfuß, die aufspritzende Gischt hielt die gläserne Platte. Das einzig wirklich auffällige, annähernd extravagante Möbelstück der Wohnung.
 

»Glaub' mir, dabei könntest du sicher noch was für's Leben lernen«, grinste Shanks und breitete die Arme lässig über der Rückenlehne aus, als wäre er selbst Herr des Hauses. Marco verbiss sich wirklich krampfhaft einen Kommentar und appellierte geistig an seine gute Erziehung.
 

»Setz dich«, bat Whitebeard an Marco gewandt, als er nun ebenfalls auf der blütenweißen Wohnlandschaft Platz nahm und die Schälchen, die Marco gebracht hatte, mit dem kostbaren Sake zu füllen begann. Der glasklaren, golden schimmernden Flüssigkeit entströmte der Duft von wilder Kirsche und Jasmin.

Shanks klopfte auffordernd auf das Polster neben sich und schenkte Marco dabei ein unheimlich freundliches Lächeln.
 

»Ich glaube, ich stehe lieb-...«

»Ich habe beschlossen, dass du die Leitung der Firma übernimmst, Marco. Ich werde diese Entscheidung nächste Woche bekannt geben. Du wirst der nächste CEO«, eröffnete Whitebeard aus heiterem Himmel und bot seinem Ziehsohn die Sakeschale jetzt mit einem gehobenen Mundwinkel an.
 

Marco blinzelte ungläubig und brauchte ein paar Sekunden, um diese Nachricht sacken zu lassen. »Oh...« Er setzte sich nun doch und nahm den den angebotenen Alkohol eher mechanisch als wirklich bewusst entgegen. »Aber... ich dachte, die rechtlichen Aufwände wären zu hoch?! Und ich habe doch überhaupt keinen Anspruch-...«
 

»Du hast mehr Anspruch, als du selbst glaubst«, urteilte Whitebeard entschieden.
 

Marco öffnete die obersten beiden seiner Hemdknöpfe, der Kragen war ihm plötzlich zu eng, dann kippte er den Sake in einem Zug herunter. Normalerweise trank er kaum Alkohol, er mochte ihn einfach nicht, doch jetzt hieß er die kurzzeitige Betäubung willkommen. Das Brennen in der Kehle war angenehm und erdete ihn ein wenig, half, die vielen Gedanken in seinem Kopf zu sortieren. »Pops, willst du Weevil nicht zumindest eine Chance geben?«, begann er vorsichtig. »Ich meine-...«
 

»Weevil kann die Firma nicht leiten, Marco!«, unterbrach Whitebeard ihn mit donnernder Stimme. In seine Augen trat eine kalkulierte Härte, allerdings auch der schlecht verhüllte Funke maßloser Enttäuschung. »Du weißt das. Ich weiß das. Jeder hier in der Firma weiß das, es ist ein offenes Geheimnis! Und bei Gott, ich wünschte, es wäre anders, aber mein Sohn ist niemand, dem ich die Macht über solch eine Firma in die Hand geben kann! Er würde die Newgate Corp. entweder zu Grunde richten oder in eine Richtung entwickeln, die nie mein Ansinnen war!« Whitebeard biss die Zähne aufeinander und verschränkte die Arme. Marco konnte förmlich sehen, wie er innerlich mit seiner Frustration kämpfte, als er den Blick abwandte und aus dem Fenster sah.
 

Noch immer regnete es. Die Tropfen schlugen einem monotonen Trommeln gleich gegen die großen Fensterfronten und liefen in schillernden Bahnen daran herab. In der Ferne drehte ein Hubschrauber seine Kreise über der Stadt, vielleicht lieferten sich die Kartelle in Downtown mal wieder eine Schießerei.
 

Betretenes Schweigen folgte nach Whitebeards Offenbarung. Shanks hatte die Beine locker überschlagen und beobachtete die Szene aufmerksam, fast ein wenig amüsiert über den Rand seiner Sakeschale hinweg, während sein Leibwächter mit steinernem Gesicht neben ihm stand und genauso eine Statue hätte sein können, die man nur zufällig dort positioniert hatte. Seinen Alkohol rührte er nicht an.
 

Marco wandte sich unbehaglich und suchte nach den richtigen Worten. Er mochte Weevil wirklich nicht, aber es lag einfach in seiner Natur, das Beste in den Menschen sehen zu wollen und er wusste auch, dass Whitebeard die Entwicklung seines Sohnes doch insgeheim belastete. Ein etwas versöhnlicheres Ende dieser ganzen Sache würde dem alten Herrn sicher gut tun.
 

Vorsichtig sah er hinüber zu Shanks. Es erschien ihm irgendwie seltsam, das vor dem anderen diskutieren zu wollen, aber Whitebeard schien es nicht zu kümmern, also versuchte sich Marco auch nicht daran zu stören.
 

»Ich könnte ihn anleiten, ihn führen, so wie du es bei mir getan hast. Vielleicht wird er doch das Richtige tun...«, versuchte Marco diplomatisch zu vermitteln. Doch selbst in seinen eigenen Ohren hörten sich diese Worte lahm und hohl an.
 

»Das Richtige, ja?!« Whitebeard schnaubte aufgebracht und zog ein Stück Papier aus seiner Hosentasche, das er Marco provokativ gegen die Brust drückte, der instinktiv danach griff. »Sieh, was er als Das Richtige betrachtet. Er hat noch nicht einen Tag auch nur einen Finger für dieses Unternehmen krumm gemacht und mir schon die Namen der Mitarbeiter aufgelistet, die er entlassen will, wenn er CEO ist, um die Effizienz zu erhöhen...«, höhnte er bitter.
 

Marco entfaltete das Papier langsam und überflog die Zeilen mit wachsender Bestürzung. So viele Namen standen dort auf Weevil Liste, viele gute, langjährige Mitarbeiter, die dieser Kerl einfach aus einer Laune heraus auf die Straße setzen wollte. Als Marco auch noch Kalifas und Dadans Namen entdeckte, knüllte er das Papier aufgebracht zusammen. »Ich hatte ja keine Ahnung... dieser Mistkerl«, meinte er fassungslos. Bis zum Schluss hatte er gehofft, dass Weevil seine Vernunft entdecken würde - leider hatte der sich dazu entschieden, weiterhin ein Arschloch zu sein.
 

Whitebeard suchte Marcos Blick und sprach beschwörend: »Weevil darf nicht führen. Er kann es auch nicht. Für ihn ist jeder, der keine Waffe benutzen oder herstellen kann, unnützer Ballast. Er begreift nicht, was diese Firma ist. Wir sind kein Schwert, wir sind das Schild. Du verstehst das, Marco.« Seine Haltung entspannte sich etwas und der Ansatz eines Schmunzelns zupfte an seinen Mundwinkeln. »Außerdem haben die Mitarbeiter eine Petition gestartet... sie haben sich eindeutig dafür ausgesprochen, dass du mein Nachfolger wirst.«
 

»Was... wirklich?!«

»In der Tat. Sogar Dadan hat ihre Unterschrift geleistet. „Wenn er seinen Hintern nicht in den Chefsessel bewegt, dreh' ich dem Bengel den Hals um“ waren so ungefähr ihre Worte. Und Thatch hat mit wirklich sehr kreativen Schimpfwörtern um sich geworfen – Thatch! - und hat mir gedroht, dass er geht, wenn er unter Weevil arbeiten soll.«
 

Marco rieb sich überrascht, fast verlegen den Nacken. Für einen Moment war er wahrlich sprachlos. Er hätte nie erwartet, dass sich die Mitarbeiter so entschieden für ihn einsetzen würden. Er fühlte sich durch dieses Vertrauen unheimlich geehrt.
 

Natürlich war der Posten des CEO nie sein Wunsch gewesen… aber er schuldete Whitebeard wahrscheinlich weit mehr, als nur sein Vermächtnis zu schützen, also würde er sich dieser Aufgabe auch stellen. Vor allem, da anscheinend so viele ihre Hoffnung in ihn setzten.
 

»Tja, nun… es sieht aus, als wäre die Sache eh längst entschieden«, meinte Marco dann mit einem schrägen Lächeln. »Ich werde mich deiner Entscheidung natürlich nicht widersetzen und mich nach Kräften bemühen, deinem Erbe gerecht zu werden, Vater«, versprach er entschlossen. Allerdings gab er zu bedenken: »Aber das wird Weevil nicht gefallen und er wird diese Entscheidung anfechten, das ist dir hoffentlich klar? Er ist immerhin dein Erbe...«
 

Shanks kicherte. Marco hatte schon fast verdrängt, dass er ja auch noch da war. »Oh... das Nächste wird ihm dann wahrscheinlich noch viel weniger gefallen«, verkündete der rothaarige Firmenchef belustigt und schenkte sich großzügig vom Sake nach. »Es wird ihn vermutlich richtig ankotzen«, meinte er schadenfroh.
 

Marco blickte verwirrt zwischen seinem Vater und Shanks hin und her. »Das Nächste...?!«, fragte er vorsichtig, nicht sicher, ob er die Antwort wirklich wissen wollte. Eigentlich gab es für seinen Geschmack genug Überraschungen an diesem Abend.
 

»Dachtest du, ich bin hier nur schmückendes Beiwerk? Wegen eurer Familienprobleme bin ich sicher nicht hergekommen«, erklärte Shanks spöttisch und gab seinem Begleiter jetzt einen fordernden Wink. »Ben, die Dokumente.«
 

Sofort zauberte der schweigsame Leibwächter einen Umschlag hervor, zog einige Papiere heraus und legte diese auf den gläsernen Wohnzimmertisch. Shanks präsentierte in einer ausladenden Geste die schrecklich hoch offiziell aussehenden Dokumente und wirkte dabei so selbstzufrieden, als hätte er gerade die anhaltende Dürre in Westindien persönlich bekämpft. Vielleicht wäre er dazu sogar im Stande, immerhin war er ein Rang A Aeromant und konnte Luftströme beeinflussen.
 

Marcos Brillengläser aktivierten sich und er lehnte sich vor, schob die Schriftstücke mit den Fingern auseinander und überflog sie rasch. Das Siegel des Senats sprang ihm förmlich ins Auge. Jedes hochtrabende Wort ließ seinen Mund trocken werden und sein Herz schneller schlagen. Er begann den gleichen Satz viermal, ohne die Bedeutung wirklich zu begreifen... sein Kopf war mit einem Mal wie leergefegt.
 

»Ich werde mich auch aus dem Senat zurückziehen und ich möchte, dass du meinen Sitz einnimmst, Marco«, enthüllte Whitebeard seelenruhig. »Dazu wirst du offiziell als mein Nachfolger und Erbe anerkannt. Damit bist du Weevil rechtlich völlig gleichgestellt.«
 

»Das ist ein Scherz...?«, wisperte Marco wie betäubt. Immer wieder las er die Worte auf dem Papier, aber an dessen Inhalt änderte sich deshalb auch nichts.

»Keineswegs.«
 

Marco lehnte sich nach vorn, faltete die Hände vor den Lippen und schüttelte den Kopf. Überwältigt stieß er die Luft aus. »Heilige Scheiße...« Er persönlich hätte nie ein Papier gebraucht, um sich Whitebeard voll und ganz zugehörig zu fühlen. Über viele Jahre wusste er sehr genau, wen er seinen Vater nennen wollte - aber nun bekannte sich Whitebeard öffentlich zu ihm und setzte damit ein sehr deutliches Zeichen... vor allem Weevil gegenüber. Das war eine Ehre, die Marco niemals für sich erhofft hatte. »Gott - Pops, wie konntest du das alles stillschweigend planen und nicht ein verfluchtes Wort sagen?!«
 

Whitebeard sah ihn mit einem nachsichtigen, väterlichen Lächeln an. »Nun, wo wäre da die Überraschung gewesen, hm? Eigentlich ist es doch eh nur noch eine reine Formalität, Marco. Dieser Schritt war schon längst überfällig. Du weißt, dass du längst mein wahrer Sohn bist. Der Sohn, den ich mir immer gewünscht habe, egal, ob Blut uns verbindet oder nicht.«
 

Marco räusperte sich und schluckte den Kloß im Hals hinab. Da waren gerade ziemlich viele Gedanken und Gefühle, die er sortieren musste. »Aber gleich noch der Senat...!? Ich weiß nicht, ob ich dem überhaupt gerecht werden kann...«, sagte Marco und fuhr sich mit beiden Händen recht überfordert durch die Haare. Politiker zu werden hatte nun wirklich nicht auf seiner Liste gestanden.
 

»Allein schon, dass du das in Frage stellst, qualifiziert dich unheimlich für diesen Posten«, mischte sich Shanks ein. »Glaub' mir, wenn du keine Ambitionen hast, bist du perfekt für den Job.«

»Aber was ist mit der Prüfung?«, fragte Marco verwirrt. Jeder Anwärter für den Senat wurde auf die Stärke seiner Fähigkeiten getestet und wenn man diese nicht bestand, war es fast ausgeschlossen, im Senat aufgenommen zu werden.
 

Shanks erklärte mit einem Achselzucken: »Na, die hast du vorhin bestanden, herzlichen Glückwunsch übrigens«, wies er mit einem Fingerzeig auf seinen stillen Begleiter. »Ein etwas beschleunigtes Verfahren sozusagen, ohne das ganze zeremonielle Tamtam«, meinte er wegwerfend und völlig beiläufig, als wäre das alles nichts weiter als eine Lappalie.
 

»Aber warum gerade ich?! Es gäbe doch sicher genügend andere Anwärter...?!«, hakte Marco unverständig nach.

»Oh, sicher, zum Beispiel dein eben gewonnener Stiefbruder, der bestimmt schon ganz heiß auf diese Stellung war, aber sein wir mal ehrlich...«, Shanks legte den Kopf schief und hob bezeichnend eine Braue. »... das wäre, als würde man einem Kleinkind eine Waffe in die Hand drücken. Manche Menschen sollten einfach keine Macht bekommen. Niemand will das verantworten. Du bist zwar eine staubtrockene Spaßbremse, aber ich muss Edward recht geben – du bist verlässlich, ehrlich, bedacht und hast ein gutes Herz. Du bist eindeutig die richtige Wahl für so ein Amt.«
 

Wow, das war wahrscheinlich das Netteste, was Shanks je zu Marco gesagt hatte. Da tat es ihm ja fast leid, dass er den rothaarigen Kerl vorhin noch erwürgen wollte... zumindest ein bisschen.
 

»Aber ich will auch ehrlich zu dir sein...«, begann Shanks und lehnte sich nach vorn, um die Ellenbogen auf die Knie zu stützen. Er verschränkte die Hände und sah Marco eindringlich an. »... es ist nicht nur Edwards wirklich überzeugenden Argumenten zu verdanken, dass du diesen Sitz erhältst. Deine Fähigkeiten spielen ebenso eine Rolle und haben den Senat in diesem Fall eine ungewöhnlich schnelle Entscheidung treffen lassen. Mentokineten sind sehr selten und deine Fähigkeiten beachtlich. Du könntest dem Senat gute Dienste leisten... in vielen Belangen«, deutete er kryptisch an.
 

Shanks langte in die Tasche seines Mantels und holte ein goldenes Etui hervor, aus dem er eine Zigarette klopfte. Er steckte sie zwischen die Lippen und aus einem seiner mechanischen Finger schoss eine Flamme hervor, an der er seinen Glimmstengel entzündete. »Kommen wir also zum eigentlich wichtigen Teil des Abends...« Er lehnte sich wieder zurück, legte einen Arm über die Sitzlehne und betrachtete Marco mit einem scharfen Blick über die Glut seiner Zigarette. »Edward hat dir sicher schon erzählt, das meine Position im Senat... etwas spezieller ist?!«
 

Marco nickte zögerlich und rieb sich angespannt die Schläfe. »Mehr oder weniger. Ich weiß zumindest, dass dich manche auch den Wachhund des Senats nennen. Ich hoffe allerdings nicht deshalb, weil du mehr bellst als wirklich beißt...«

Shanks grinste wölfisch. »Gesetze erlassen ist nicht so mein Ding. Ich bin eher die... ausführende Gewalt. Mich schicken die feinen Herren und Damen, wenn sie sich nicht die Hände schmutzig machen wollen - nichts für ungut, Edward«, zuckte er beschwichtigend mit den Schultern.

Whitebeard schnaubte und sagte an Marco gewandt: »Und manchmal schicken sie ihn auch einfach los, weil sie ihn und sein Geschwafel nicht ertragen und ihnen die Ohren bluten...«

Shanks fuhr gespielt betroffen zusammen und griff sich ans Herz. »Wie gemein!«
 

Marcos Mundwinkel bogen sich leicht nach oben und er meinte sogar in Ben Beckmanns steinernem Gesicht eine verräterische Zuckung zu erspähen.
 

»Was ich damit aber eigentlich sagen will...« Shanks stieß eine Rauchwolke durch die Nase aus, dann deutete er mit der Zigarette zwischen den kybernetischen Fingern auf Marco. »Ich brauch' die Hilfe deiner speziellen Fähigkeiten. Also verabschiede dich erst mal von dem Gedanken an schicke Cocktailpartys und stundenlanges Debattieren und das obligatorische Honig-ums-Maul-Geschmiere, dafür hast du nämlich keine Zeit und...-«

»Ja ja, schon klar. Ich verstehe.« Marco rollte mit den Augen. All das war ihm nun wirklich nicht wichtig.

»Nun, das solltest du zumindest wissen, bevor du deine Entscheidung trifft.«

»Ich war mir gar nicht bewusst, dass ich überhaupt noch eine Wahl habe...«, grummelte Marco mit einem flüchtigen Seitenblick zu seinem Vater. Er nahm ihm all das nicht wirklich übel, aber über ein Mitspracherecht hätte er sich doch gefreut.

»Hast du auch nicht, immerhin willst du deinem Großmaul von Bruder ja so richtig gehörig den Mittelfinger zeigen... aber rein formell für's Protokoll, du verstehst...?«
 

Es war Marco zwar ein wenig unangenehm, doch so ganz unrecht hatte Shanks nicht. Bei der Vorstellung von Weevils dummen Gesicht verspürte Marco eine unpassende, aber perfide Genugtuung. Er hatte es ja wahrlich nie darauf angelegt, Weevil aus dem Rennen zu drängen, der hatte allerdings aber auch nie etwas getan, um dem aktiv entgegen zu steuern.

Weevil hatte sich stets einfach auf seinem Status ausgeruht und auf die Gutmütigkeit seines Vaters gehofft. Er trat seine Privilegien mit Füßen, dumm und unwissend, wie glücklich er sich doch eigentlich schätzen konnte.
 

Marco hatte ganz und gar nicht das Glück gehabt, mit einem goldenen Löffel im Mund geboren zu werden, geschweige denn, eine normale Kindheit zu erleben. Er hatte sich jeden Fortschritt bis hierher, jedes Quentchen Erfolg, jedes Stück Normalität hart erarbeiten müssen. Als er Whitebeard vor so vielen Jahren kennengelernt hatte, war er eine Waffe gewesen, aber kein Mensch....
 

Er schüttelte die düsteren Gedanken ab. Das lag hinter ihm und rückwirkend betrachtet war dieser Weg sein Schicksal – er war daran gewachsen und zu dem Mann geworden, der er heute war. Probleme waren für ihn stets Herausforderungen, für die er die passende Lösung nur noch nicht gefunden hatte.
 

Marco straffte sich, wechselte einen Blick mit Whitebeard und nickte dann. »Na schön, wie läuft das jetzt ab... muss ich einen Eid leisten? Auf die Bibel schwören?«
 

Shanks streckte eine Hand aus und wackelte mit den nackten Fingern. »Du darfst mir den Ring küssen«, grinste er überheblich.

Marco verzog den Mund. Ja, sicher... nicht.
 

Ben Beckmann trat plötzlich völlig überraschend nach vorn und deutete eine vage Verbeugung an. »Der Senat gibt dem Gesuch von Edward Newgate hiermit statt, Marco Phoenix als seinen legitimen Erben und Nachfolger anzuerkennen und ihn zu einem Mitglied des Senats zu machen«, verkündete der schwarz gekleidete Leibwächter zeremoniell. Marco sah ihn irritiert an, selbst Whitebeard wirkte verwundert – immerhin hatte Shanks' Schatten bisher kein Wort gesagt.
 

Der rothaarige Konzerner blickte seinen Helfer frustriert an. »Also ein bisschen Spaß hättest du mir ruhig lassen können, Ben...«, beschwerte er sich unzufrieden.
 

Der Assistent holte eine schwarze Schatulle aus seiner Anzugjacke, stellte diese auf den Couchtisch und öffnete sie. Ein goldener Zylinder, ähnlich eines Stempels, kam zum Vorschein, gebettet auf schwarzem Samt. Darauf war in verschnörkeltem Latein eingestanzt: „Friede' und Gerechtigkeit verpflichtet.“ Ben Beckmann nahm das metallische Siegel auf und streckte eine behandschuhte Hand zu Marco aus.
 

»Ach je, er steht wirklich auf diesen offiziellen Scheiß...«, murmelte Shanks kopfschüttelnd, sah Marco dann aber sachlich an und hob seine eigene Rechte, um auf sein Handgelenk zu tippen. »Du bekommst das Siegel des Senats eingeprägt«, erläuterte er. »Ist wie eine Dienstmarke, die man aber weniger einfach verlegen kann und die dir sämtliche Vorzüge und Rechte des Senats gewährt. Kostenloses Bahnfahren und Treuepunkte beim Besuch im Bordell und so Kram...-«  
 

Marco blinzelte irritiert, doch zum Glück fuhr Ben Beckmann mit seiner Rede fort und unterbrach Shanks damit: »Bist du willens, dich und deine Kraft in den Dienst des Senats zu stellen, ein Wächter für Ordnung und Recht zu werden? Bist du willens, alles zu tun, um die Schutzlosen zu schützen und die Gesetzlosen zu richten?«
 

Marco blickte noch einmal versichernd zu seinem Vater, doch Whitebeard nickte ihm nur bekräftigend zu. Also erhob er sich von der Couch und öffnete den Knopf an seinem Hemdsärmel, um den Stoff nach oben zu schieben und damit sein Handgelenk zu entblößen. Dann streckte er Ben Beckmann seinen Arm entgegen und meinte nach einem tiefen Luftholen: »Nun, ich werde tun, was in meiner Macht steht...«
 

Shanks' Assistent drehte Marcos Handgelenk so, dass er auf die Innenseite das traditionelle Zeichen der stilisierten, von einem Lorbeerkranz eingerahmten, Waage auf der Haut aufbringen konnte. Ein kurzer, brennender Schmerz durchzuckte Marcos Arm, dann war die Prozedur auch schon vorbei und er betrachtete sein Handgelenk fasziniert.
 

Im richtigen Winkel schimmerte das Siegel silbern auf, doch für einen flüchtigen Blick war es beinahe unsichtbar. Vorsichtig fuhr Marco mit den Fingerspitzen über die kaum spürbaren, verblassenden Linien, dann zog er den Hemdsärmel wieder zurecht. »Tja, das der Tag so endet... hab ich ehrlich nicht erwartet«, murmelte er kopfschüttelnd, noch immer etwas neben sich. Es würde wohl eine Weile dauern, das ganze Ausmaß des eben Geschehenen zu verdauen.
 

Whitebeard erhob sich und trat vor Marco. »Du hast dir das wirklich verdient, Sohn«, meinte er aufrichtig und ergriff ihn bei den Schultern. »Mir fällt jetzt ehrlich ein Stein vom Herzen, wo ich die Firma in deinen Händen weiß. Danke, Marco.« Whitebeards Lächeln war gelöst und die Spitzen seines imposanten Bartes berührten fast die Falten um seine stolz glänzenden Augen.

»Nein, ich hab' dir zu danken, Vater... für alles«, raunte Marco mit ergriffener Stimme.
 

»Herzlichen Glückwunsch, Mister Phoenix«, erschien Harutas Hologramm in der Mitte des Raumes und lächelte ihn freundlich an. »Ich habe Sie bereits als legitimen Erben von Edward Newgate abgespeichert und werde Ihnen gern in Zukunft in vollem Umfang zur Verfügung stehen.«
 

»Na schön Shanks, bei was soll ich dir nun helfen?«, verlangte Marco schließlich zu wissen. Wahrscheinlich war es besser, das alles nicht auf die lange Bank zu schieben.
 

»Oh gut, dass du fragst!« Shanks war sofort auf den Beinen, blickte sich kurz suchend um, dann drückte er seine halb aufgerauchte Zigarette in einer der leeren Sakeschalen aus, was ihm einen bösen Blick der KI einbrachte. Ben Beckmann war so umsichtig, die Sauerei wortlos im Abfalleimer zu entsorgen. »Du darfst eine Jungfrau in Nöten retten. Das ist doch sicher die perfekte Aufgabe für einen ehrenhaften Kerl wie dich. Ich erklär' dir alles im Wagen.«
 

»... im Wagen?! Wie... jetzt?!«, fragte Marco und sah Shanks irritiert dabei zu, wie dieser schon auf dem Weg zur Tür war. Irgendwie hatte er gehofft, dass er zumindest eine Nacht bekommen würde, um sich in Ruhe an all die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen – immerhin hatte sich sein Leben gerade gefühlt um hundertachtzig Grad gedreht.
 

»Du weißt doch, Zeit ist Geld, mein Freund. Und in diesem Fall kann Zeit vielleicht sogar über Leben und Tod entscheiden«, fügte er ungewöhnlich ernsthaft an und blieb neben dem künstlichen Wasserfall des Penthouse stehen. »Also... kommst du?«, fragte er auffordernd. Eine Dringlichkeit war in Shanks' Stimme getreten, die Marco bei ihm gar nicht kannte. Plötzlich sah ihm ein gänzlich anderer Mann entgegen – ein Mann mit Prinzipien, der seine Ziele wie ein Wolf verfolgte und keine Ruhe geben würde, bis er seine Aufgabe erfüllt hatte.
 

Die ungewöhnliche Besorgnis in Shanks' Augen ließ Marco nach seinem dunklen Regenmantel greifen, der noch immer auf einem der Küchenstühle hing. »Dann lass' uns gehen.«

Blut und Schatten

Shanks' Wagen entpuppte sich als eine mittelgroße, gepanzerte Limousine, die äußerlich für den Konzerner ungewöhnlich unauffällig war, innen aber komfortabel ausgestattet. Ben Beckmann saß hinter dem Steuer und lenkte den Wagen sicher durch den nächtlichen Verkehr in Richtung Shibuya, während Shanks und Marco im hinteren Teil sich gegenüber Platz genommen hatten.
 

Marco sah eine Weile nur schweigend aus dem Fenster, während der Regen unablässig gegen die getönten Scheiben trommelte und rieb sich immer wieder geistesabwesend über das Handgelenk. Shanks ließ ihm die Zeit, um sich mit der neuen Situation vertraut zu machen und führte währenddessen ein paar gedämpfte Telefonate.
 

Draußen zogen bunt blinkende Reklametafeln vorbei und viele Geschäfte und Restaurants waren bereits weihnachtlich geschmückt, denn das christliche Fest bot immerhin genug Gelegenheiten für höhere Umsätze. Trotz der späten Stunde und des schlechten Wetters waren viele Passanten unterwegs.
 

Auf einem Tempelvorplatz drehte sich das haushohe Hologramm von Kaiser Hiroto, der eine feierliche Ansprache hielt und die militärischen Streitkräfte ehrte, die erst kürzlich in die Mongolei entsandt wurden waren, um der dortigen Armee gegen die Scornangriffe zu helfen. Viele würden wahrscheinlich nicht zurückkommen und auch eine Rede des Kaisers würde den Verlust für die Familien wohl kaum erträglicher machen...
 

Hinter den grell erleuchteten Scheiben eines Einkaufszentrums wurde die neue Wintermode effektheischend angeboten, die neuesten, schrillen Kreationen von Bentham, dem australischen Star der Modewelt. Ein paar Mitarbeiter des Zentrums hatten sich verkleidet am Eingang eingefunden und warben in weihnachtlichen Kostümen bei den vermögenden Kunden für Spenden und wohltätige Projekte. Die meisten ließen die bemühten Gestalten unbeachtet stehen. Die Party auf dem Dach des Gebäudekomplexes war wohl eindeutig interessanter.
 

Sie erreichten Shibuya Crossing und Marco blickte mißbilligend auf den riesigen, extra gezüchteten Weihnachtsbaum, den die Stadt auf dem Platz neben der Hachikō Memorial Statue aufgestellt hatte. Es gab genug Familien in der Megacity, die an Weihnachten nichts zu essen auf dem Tisch haben würden... und dann flossen Gelder in solch einen Unsinn. Marco würde die Tradition seines Vaters aufrecht erhalten und einen Teil der Gewinne des Geschäftsjahresabschlusses an Weihnachten gemeinnützigen Hilfsprojekten spenden – nicht, weil es gute Publicity brachte, sondern weil es schlichtweg richtig war.
 

Kopfschüttelnd musterte er den Baum, als sie an der Ampel standen. Das monströse Ungetüm schillerte in allen Farben des Regenbogens und auf der Spitze drehte sich ein überdimensionaler Neonstern. Allein die Kosten für den Energiebedarf dieses Dings würden wohl reichen, um eine ganze Handvoll Familien ein ganzes Jahr über die Runden zu bringen. Ein Holobanner kreiselte um die gewaltige Tanne und bewarb die große, jährliche Datingparty am Tokio Tower.
 

»Na, Interesse?«, fragte Shanks mit einem anzüglichen Grinsen, der Marcos Blick gefolgt war und das Werbebanner ebenfalls bemerkte. Er hatte ein Fach in der Mittelkonsole des Wagens geöffnet und schon wieder eine Flasche Champagner in der Hand. »Doch noch auf der Jagd, hm? Ich hab' mir gleich gedacht, dass Boa Hancock eigentlich fast ein bisschen zu extravagant für deinen Geschmack ist.«
 

Marco warf ihm einen ziemlich finsteren Blick zu. »Wir sind nur Geschäftspartner...« Langsam wurde es wirklich lächerlich.
 

»Ja, natürlich...«, rollte Shanks mit den Augen und trank mit hochgezogenen Brauen von dem Schampus, den er sich eingeschenkt hatte. »Was ist eigentlich mit dieser kleinen, charmanten Blonden, die vor ein paar Jahren ständig an deinem Hintern klebte? Seid ihr nicht mehr zusammen? Sie schien dich ja geradewegs zu vergöttern. Ich dachte eigentlich, du wärst inzwischen längst verheiratet...«, meinte Shanks und schielte vielsagend auf Marcos leeren Ringfinger.
 

»Ich wüsste ehrlich nicht, was dich das angeht...«, sagte Marco abweisend. Unbewusst verschränkte er die Arme und sah aus dem Fenster. Sein eigenes Spiegelbild blickte ihm düster entgegen.
 

»Na, wir sind doch jetzt quasi Partner. Da sollte es doch keine Geheimnisse geben«, entgegnete Shanks lapidar, fügte dann aber nach einem Achselzucken deutlich ernsthafter und ehrlich interessiert an: »Du wirktest recht glücklich damals. Deshalb frage ich mich halt, was passiert ist...«
 

Zu Marcos eigener Verwunderung antwortete er abgeklärt: »Stussy und ich haben uns schon vor drei Jahren getrennt. Es stellte sich heraus, dass ihr mehr an materiellen Dingen lag als an mir.« Er hatte wirklich geglaubt, diese Frau zu lieben... und sie war nur auf sein Geld und eine gute Stellung fixiert gewesen. Seitdem hielt sich Marco bewusst mit privater Zukunftsplanung zurück und stürzte sich mit Freude in die Arbeit.
 

»Hm, ein Fluch von Rang und Namen. Das tut mir ernsthaft leid für dich...«, murmelte Shanks und in seiner Stimme lag genügend Ernsthaftigkeit, dass Marco ihm tatsächlich glaubte.
 

»Willst du mir nicht lieber endlich mal verraten, wohin wir unterwegs sind und warum?!«, versuchte Marco das Gespräch entschieden in eine andere Richtung zu lenken. »Mein Liebesleben wird wohl kaum Grund genug sein, den Wachhund des Senats nach Tokio zu bemühen...«
 

Die Sache mit Stussy lag zwar schon einige Zeit zurück, aber noch immer sprach er ungern darüber – über seine gutgläubige Naivität. Thatch hatte ihn immer gewarnt, dass sein Gottvertrauen in die Menschen ihm irgendwann mal das Genick brechen würde... und in diesem Fall hatte er leider recht behalten.
 

Shanks hob den Zeigefinger und trank den letzten Schluck von seinem Champagner, bevor er das Glas entschieden beiseite stellte. »Da hast du recht.« Per Knopfdruck öffnete sich ein weiteres, kleines Fach der Mittelkonsole. Die Innenbeleuchtung wurde gedämpft und ein Holopaneel erschien zwischen ihnen.
 

»Was haben ein Anwalt, ein Meteorologe, eine Lehrerin, eine Fabrikarbeiterin und ein Ex-Navi Seal gemeinsam?«, fragte Shanks scheinbar zusammenhanglos und betrachtete Marco forschend, während er die Beine überschlug.
 

»... ich hoffe, das gehört zum Thema und soll nicht der Anfang eines sehr schlechten Witzes werden!?« Marco hob zweifelnd eine Braue, doch Shanks gab ihm nur einen auffordernden Wink. Marco ließ sich seufzend auf das Spielchen ein. »Na schön, keine Ahnung… was haben sie denn gemeinsam?«
 

»Ich verrate es dir - nichts! All diese Leute haben rein gar nichts gemeinsam. Nicht die Augenfarbe oder die sexuelle Gesinnung, weder die gleiche Blutgruppe, noch sind sie weitläufig verwandt. Sie leben auf verschiedenen Kontinenten und kennen sich nicht einmal. Sie haben völlig unterschiedliche Hobbys, keine Vorstrafen, nicht mal ausgefallene Laster. Sie sind nicht besonders vermögend, haben keine offenkundigen Feinde, keine zwielichtigen Bekanntschaften, noch nicht mal unbezahlte Rechnungen. Es gibt augenscheinlich keinen Grund, warum man sie aus dem Weg räumen wollen würde - und doch sind diese fünf Menschen tot. Getötet immer auf die gleiche Art und Weise - von einem Phobiokinet zu Tode gefoltert.«
 

»Du sprichst von den Fear-Morden...«, erkannte Marco beunruhigt, immerhin hatten sich die Medien in letzter Zeit lang und breit darüber ausgelassen.

»Exakt... und nun gab es den nächsten Vorfall, hier in Tokio, in Shinjuku. Vor nicht ganz zwei Tagen«, offenbarte Shanks düster.
 

»Das war nicht in den Nachrichten...«

Shanks' Mundwinkel zuckten selbstgefällig ein Stück nach oben. »Weil ich eine vorübergehende Nachrichtensperre verhängt habe... und kein Journalist möchte Streit mit mir, deshalb halten sie sich auch brav an diese Ansage.«
 

Marco sah Shanks irritiert an und ließ endlich die Verschränkung seiner Arme fallen. »Aber ich dachte, man hätte den Kerl endlich geschnappt. Die Staatspolizei hat ihn doch angeblich einkassiert...«
 

»Tja… offensichtlich wollte sich da nur jemand mit fremden Federn schmücken. Den Phobiokinetiker, denn sie erwischt haben, ist zwar alles andere als ein unbeschriebenes Blatt, aber er ist definitiv nicht derjenige, der diese Morde begangen hat...«, erklärte Shanks zerknirscht. »Inzwischen ist der Fall an den Senat übergeben. Man fürchtet langsam einen Aufschrei in der Bevölkerung. Ein MAG, der ungestraft unter den Menschen wüten kann, kommt meist nicht so gut an. Darum hat man mich hergeschickt.«
 

»Und es besteht nicht vielleicht die Möglichkeit, dass wir es hier mit einem „Trittbrettfahrer“ zu tun haben?«, fragte Marco kritisch. Leider gab es immer wieder Menschen, die sich die zweifelhaften Taten krimineller MAGs zum Vorbild nahmen, um ihnen nachzueifern – weil sie diese als Gottheiten ansahen und deren Taten als eine Art Prophezeiung betrachteten.
 

»Eher unwahrscheinlich. Unser angeblicher Fear-Mörder hat sich in den Verhören auch schnell in Widersprüchen verstrickt. Und der Vorfall hier in Tokio... am besten, du siehst es dir selbst an. Es ist schwer zu beschreiben.« Einen Moment zögerte Shanks, doch dann drückte er seinen kybernetischen Daumen auf die Schaltkonsole des Holo-Bedienpaneels. Eine Projektion flammte auf. »Bisher glichen die Morde eher einer effizienten Geradlinigkeit, als hätte der Täter ein bestimmtes Ziel und die Opfer waren nur Hindernisse. Aber dieses Mal... hat unser Mörder regelrecht gewütet, als wäre er emotional geworden.«
 

Das Licht der Projektion verdichtete sich und ein scharfes, detailreiches Bild entstand. Man sah ein Loft im traditionellen, japanischen Stil, einfach, unaufdringlich, doch sehr edel. Die gesamte Wohnung war hell und freundlich, im Außenbereich schloss sich an die gläserne Dachseite ein begrünter Balkon mit einem Yakuzi an. Mitarbeiter der Spurensicherung in weißen Anzügen liefen durch das Bild. »Das ist die Wohnung von Yamamoto Ashitaka. Vielleicht sagt dir sein Name etwas, er ist...«

»... ein ehemaliger Günstling der Kaiserfamilie und einer der letzten, unbestechlichen Staatsanwälte im Land, so heißt es zumindest«, sagte Marco.
 

Shanks nickte. »Ein aufrichtiger Mann, keine Skandale, wenig Medienpräsenz.« Das Bild wechselte und nun erschien ein großer Nebenraum, anscheinend für offizielle Anlässe gedacht. Es gab eine offene, von weißem Stein eingefasste Feuerstelle an einer Wand, eine gemütliche Sitzecke, mehrere runde Tische waren im Raum verteilt, mit Essen und Dekorationen beladen. »Ashitaka war wohl gerade dabei seinen Geburtstag zu feiern«, erklärte Shanks tonlos. Gesetzte goldene und silberne Girlanden hingen von der hohen Decke, Luftschlangen waren verspielt über die Tische verteilt. Das war allerdings auch das einzig freundliche an diesem Bild, an diesem... grotesken Stillleben, das sich Marco präsentierte.
 

Der Raum war rot. Nicht rot gestrichen, nein... er schwamm in Blut. Der glänzende Boden war ein einziger, blutiger See, die Fenster waren bespritzt, die Wände, selbst die Decke. Blut tropfte träge von den Lampen, vom Geschirr, beschmierte die weiße Sitzecke und die beigen Vorhänge - Das Blut der Gäste.
 

In der Mitte des Raumes waberte eine Dunkelheit, die nicht von dieser Welt schien – ein schwarzes, öliges, absonderliches Ding, das wie das Epizentrum einer Detonation anmutete, wie der letzte Rest Rauch, der sich über einem erloschenen Feuer kräuselte. Als hätten die Menschen, Ashitakas Gäste, versucht vor diesem Punkt zu fliehen, waren sie kreisrund im Raum verteilt, stoben von dort auseinander wie ein auf dem Boden zerplatzender Wassertropfen. Und alle waren in der Bewegung erstarrt, als hätte man die Stop-Taste einer Aufzeichnung gedrückt.
 

Einem älteren Mann waren die Augen fast aus den Höhlen gequollen, sein Mund war zu einem lautlosen Schrei geöffnet, die dürren Finger zu Klauen gekrümmt, die sich in die Schulter der Frau vor sich gegraben hatten, so fest, dass Blut geflossen war. Eine andere Frau war völlig von Sinnen über einen anderen Gast auf dem Boden getrampelt, der sich mit blutigen Fingernägeln verzweifelt über den Boden zu zerren versucht hatte.
 

Der gesamte Raum war voller Menschen, die übereinander gekrochen und gestolpert waren, die sich gegenseitig beiseite gedrängt hatten, nur um entkommen zu können, um vor der Raummitte zu fliehen. Unzählige Gesichter waren in schrecklicher Furcht und Pein erstarrt, die nackte Angst stand in ihren Augen.
 

Jedem einzelnen Gast hatte man die Kehle durchgeschnitten, einigen sogar Brust oder Bauch regelrecht aufgeschlitzt... und trotzdem standen viele von ihnen noch aufrecht. Wenn nicht auch hier die Mitarbeiter der Spurensicherung durch das Holo gelaufen wären, hätte man tatsächlich glauben können, dass nur jemand die Aufnahme angehalten hatte...
 

»Sie sind vor lauter Angst sprichwörtlich erstarrt und gestorben«, murmelte Shanks und zum ersten Mal, seit er den anderen kannte, meinte Marco so etwas wie den Anflug von Unbehagen in seiner Stimme zu hören. Der rothaarige Konzerner wühlte in seinem Mantel nach einer Zigarette und steckte diese zwischen die Lippen. Er brauchte zwei Anläufe, um sie zu entzünden. »Die meisten waren bereits tot, als man sich mit einer Klinge an ihnen ausgetobt hat. Also eigentlich völlig überflüssig.« Sein Blick suchte den von Marco über die Projektion hinweg. »Ich vermute, das war ein Statement...«
 

Marco schauderte. Er hatte schon viel gesehen, aber so etwas... er war froh, dass sein Abendessen bereits einige Stunden zurücklag, denn sonst hätte er wohl ernsthaft Mühe gehabt, es bei sich zu behalten.
 

Shanks beugte sich nach vorn, stützte einen Ellenbogen auf das Knie und drehte die Projektion mit einer knappen Fingerbewegung, sodass die Decke der Wohnung in Sicht kam. »Der Gastgeber... und seine Frau«, erläuterte er tonlos, als das Bild auf den Mann fiel, den man mit ausgebreiteten Gliedmaßen förmlich an die Decke genagelt hatte, neben ihm eine Frau, deren Gesicht ihm zugewandt war... als hätte sie selbst im Angesicht größten Leides nach seinem Blick gesucht. Von ihren Gesichtern war nicht mehr viel zu erkennen, die gesamte Zimmerdecke war blutbesudelt...
 

Marco schluckte hart und wandte den Blick fröstelnd ab. Ihm war übel und er war dankbar für Shanks' Umsicht, die Fenster ein Stück weit herunter zu lassen, damit kühle Nachtluft in den Innenraum der Limousine strömen konnte. »Das sieht nicht aus, als hätten wir es nur mit einem Täter zu tun... meine Güte, wer tut so etwas?! Welcher gottverdammte Grund rechtfertigt so ein Blutbad?!«, fragte Marco verständnislos, nachdem er sich tief luftholend über die Augen gerieben hatte. Diese Bilder würde er in absehbarer Zeit aber sicher nicht so schnell loswerden.
 

»Tja, das ist genau die Frage, mein Lieber...« Shanks beendete die Projektion durch einen Knopfdruck. Die Innenbeleuchtung des Wagens schaltete sich wieder ein, konnte die Düsternis aber nicht gänzlich vertreiben. Manchmal war Unwissenheit wohl wahrlich ein Segen.
 

»Bestimmt haben das Gebäude und die Wohnung doch Sicherheitskameras, gibt es denn keine Videoaufzeichnungen?«, fragte Marco und griff nach einer kleinen Flasche Wasser, die im gekühlten Fach der Mittelkonsole lagerte.
 

Shanks schnaubte unzufrieden und blies einen Schwall Zigarettenrauch aus dem halb heruntergelassenem Fenster. »Ashitaka selbst hat das Sicherheitssystem an diesem Abend abgeschaltet, ungefähr eine Stunde vor diesem Vorfall...«

Marco schaute auf und blickte Shanks mit gerunzelter Stirn an. »Er wusste, wer da kam!? Vermutlich hatten sie dann etwas gegen ihn in der Hand«, mutmaßte Marco sofort und Shanks bekräftigte das mit einem Nicken.
 

»Wir haben danach ein wenig nachgeforscht. Ashitakas ältester Sohn ist gerade auf Geschäftsreise in Europa. Er wird seit einer Woche vermisst. Ich würde vermuten, sein Leben war der Toröffner.«
 

Marco rieb sich die Schläfe, dann trank er einen Schluck von seinem Wasser. »All diese Morde... aber wofür?! Wer reist quer über den Planeten, um scheinbar wahllos Menschen zu töten?! Was ist das Motiv dahinter?«
 

»Ich vermute, es ist nicht wahllos. Das ist auf eine kranke Art und Weise systematisch...« Shanks betrachtete die Zigarette zwischen seinen Fingern, dann schnipste er sie aus dem geöffneten Fenster. »Wir sehen die Zusammenhänge nur noch nicht. Aber glücklicherweise haben wir diesmal eine Überlebende, von der ich hoffe, ein paar Antworten zu bekommen. Sie liegt im Central Hospital hier in Shibuya.«
 

Marco weitete überrascht die Augen. »Es hat wirklich jemand überlebt?! Wie?«

Shanks zuckte mit den Schultern. »Glück? Zufall? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Man hat sie im Badezimmer gefunden, wo sie sich vermutlich verbarrikadiert hatte.«

»Hat sie schon etwas gesagt?«
 

»Nun, das ist das Problem und der Moment, an dem du ins Spiel kommst«, meinte Shanks mit einem Fingerzeig auf Marco. Da der ihn fragend ansah, erklärte Shanks entgegenkommend: »Sie hat zwar überlebt, also rein körperlich, aber geistig... ist sie in keinem guten Zustand. Zumindest sagen das die Ärzte. Allerdings hat keiner dort deine Fähigkeiten. Alles andere klären wir am besten, wenn wir da sind.«
 

Den Rest der Fahrt brachten sie schweigend hinter sich und Marco war froh über die Ruhe. Nachdenklich trank er den letzten Schluck seines Wassers und sog die Nachtluft in die Lungen. Was Shanks ihm da gerade gezeigt hatte, war über alle Maßen beunruhigend und Marco hatte das unbestimmte Gefühl, dass dies alles nur die Spitze des Eisberges war...
 

Schlußendlich kamen sie am Krankenhaus an und Marco und Shanks stiegen vor dem Haupteingang bereits aus dem Wagen, während Ben Beckmann noch einen Parkplatz im zugehörigen Parkhaus für die Limousine suchte.
 

Marco schlug den Kragen seines Trenchcoats gegen den anhaltenden Nieselregen hoch und steckte die Hände in die Taschen. Die Temperaturen waren zwar noch deutlich über dem Nullpunkt, doch die anhaltende Feuchtigkeit machte die Luft klamm und unangenehm. Den letzten Frost hatte es in Tokio vor über zehn Jahren gegeben.
 

Marco eilte mit Shanks zusammen unter das Vordach des Haupteingangs, dann betraten sie den Eingangsbereich des Klinikums, in dem ein ziemliches Stimmengewirr und hektische Aufregung herrschte. Offenbar hatte ein Cryomant versucht, in der Innenstadt für ein wenig Schnee zu sorgen, doch die Aktion war wohl mächtig nach hinten losgegangen.
 

Es wurden gerade eine ganze Reihe Notfälle eingeliefert, die mit starken Erfrierungen in Gesicht und an den Händen zu kämpfen hatten. Ein Notfallteam schob einen wimmernden Mann an Marco vorbei, dessen gesamte rechte Gesichtshälfte durch Frost förmlich verbrannt war. Ein kleines Mädchen versteckte sich weinend zwischen den Beinen ihres Vaters, der an der Annahme der Klinik verzweifelt nach einem Ansprechpartner verlangte.
 

»Bitte bewahren Sie Ruhe und bleiben Sie in einer Reihe. Halten Sie bitte Ihre Datenchips für die Überprüfung Ihres Versicherungsstatus bereit und folgen Sie dann dem Aufruf des Personals, das Ihrem Behandlungsumfang zugeordnet ist.« Die KI am Tresen der Aufnahme spulte emotionslos ihr eingespeichertes Programm herunter, während Pfleger und Ärzte eilig über die Gänge huschten. Es roch penetrant nach Desinfektionsmittel und gestressten Menschen.
 

Shanks schlängelte sich gewandt durch den Wartebereich und die vielen Menschen hindurch und steuerte eine Krankenschwester an, die gerade eine aufgebrachte Familie zu beruhigen versuchte, die ihr die golden schimmernden Statusbändchen vor die Nase hielten. Sie wirkten vermögend und wenig begeistert, dass sie trotzdem warten sollten.
 

Marco beeilte sich, Shanks zu folgen, blieb aber kurz stehen, um das Stofftier eines Babys aufzuheben, das dieses fallengelassen hatte und nun mit hochrotem Gesicht kreischte. Er reichte es der jungen, reichlich verzweifelt wirkenden Mutter zurück, die ihn mit Tränen in den Augen kurz dankbar anlächelte und dem schreienden Kleinkind das Plüschtier wieder in die kleinen Hände drückte.
 

Er entdeckte das graue Bändchen an ihrem Handgelenk – ihr Versicherungsstatus räumte ihr kaum mehr als eine karge Notfallbehandlung ein. Sie würde hier vermutlich noch Stunden warten.
 

Marco stockte kurz, als er die leuchtend violett umrissene Iris der Frau bemerkte – ein deutliches Anzeichen für die Einnahme einer synthetischen Droge, die in einschlägigen Kreisen als „Beta“ bekannt war. Lange nach Dr. Vegapunk hatten Wissenschaftler, Chemiker und Labore immer wieder versucht, die Wirkung des Alpha Serums künstlich nachzubilden, doch nur mit mäßigem Erfolg.
 

Beta war ein Ergebnis dieser zwielichtigen Anstrengungen – eine Droge, die hochgradig abhängig machte, Menschen aber kurzzeitig das Gefühl geben konnte, übermenschlich zu sein. Verbesserte Reflexe, höhere Leistungsfähigkeit, schnelleres Denken, manchmal sogar kurzzeitig telepathische oder telekinetische Kräfte. Ein kurzes, sehr vergängliches Vergnügen, für das man meist einen hohen Preis zahlte, da Beta den Körper langsam zerfraß – doch für viele NoMAGs war es der einzige Weg, um mit der immer fordernder werden Leistungsgesellschaft mitzuhalten.
 

»Sind Sie wegen Ihrem Baby hier...?«, fragte Marco die junge Mutter.

Sie musterte ihn nun zögerlich und blickte nach links und nach rechts, als wäre sie nicht sicher, ob er wirklich mit ihr sprach. Dann nickte sie vorsichtig. »Er... er hat Fieber. Und er schreit schon seit Stunden. Ich...« Sie drückte das Kleinkind an sich und versuchte es durch sanftes Wiegen zu beruhigen, »... ich warte hier schon ewig und ich weiß nicht, wo ich sonst hin soll.«
 

Marco zögerte nicht, griff kurzentschlossen nach der Hand der verwunderten, jungen Frau und drückte sein eigenes Handgelenk mit dem implantierten Identifikationschip gegen das metallische Bändchen. Sofort färbte es sich golden und am Rand von Marcos BrillenHUD blinkte die Meldung auf, dass seiner Versicherungshistorie eine medizinische Behandlung hinzugefügt wird.
 

Die junge Frau blickte ihn verdutzt an und starrte sprachlos auf ihr Bändchen. »Danke, Sir...«, murmelte sie dann ergriffen.

»Lassen sie sich und ihr Kind ordentlich untersuchen«, riet er ihr noch mit einem mitfühlenden Lächeln. Dann machte er sich endlich auf dem Weg zu Shanks, während er beinahe Thatchs Stimme im Ohr hatte, die ihn einen gutherzigen Trottel schimpfte.
 

Shanks hatte inzwischen ein paar knappe Worte mit der Krankenschwester gewechselt, die ihn schon höflich, aber sehr bestimmt abweisen wollte. Es war ihr anzusehen, dass sie keinen Nerv erübrigen wollte, um sich mit etwas oder jemanden zu beschäftigen, der augenscheinlich kein Notfall war. Shanks sah sich unauffällig um, dann schob er den Ärmel seines Mantels nach oben und zeigte ihr diskret das eingebrachte Siegel des Senats.
 

Sofort änderte sich die Haltung der jungen Krankenschwester, ihr Gesicht nahm einen beinahe ehrfürchtigen Ausdruck an und sie verneigte sich demütig und mit einer gestotterten Entschuldigung. Sie wies Shanks den Weg und händigte ihm ohne zu Zögern einen Besucherausweis aus, der ihnen vermutlich jede Tür in diesem Krankenhaus öffnen würde.
 

Marco folgte Shanks und Ben Beckmann, der in der Zwischenzeit wieder zu ihnen gestoßen war, zu den Aufzügen. »Ein wirklich nützlicher Trick... sollte ich mir merken für das nächste Mal auf dem Patentamt«, stellte Marco fest, nachdem sie den Lift betreten hatten und sich die Türen hinter ihnen schlossen. Shanks sah ihn fragend an und Marco deutete erklärend auf das Zeichen auf seinem Handgelenk.
 

»Oh, ja... ich sagte doch, Senatsmitglied zu sein, hat schon seine Vorteile«, meinte Shanks grinsend, bevor er mit düsterem Gesicht anfügte: »Leider bringt es überhaupt nichts bei MC Donalds. Dabei wollte ich schon ewig meine Sammlung dieser wirklich grandiosen „Mighty Morphin Mech Cars“ vervollständigen, aber die Idiotien geben mir ständig das Falsche im Happy Meal... den nächsten, dämlichen Mitarbeiter lass' ich nach Impel Down verfrachten«, murrte der rothaarige Konzerner ehrlich angesäuert. Marco warf Ben Beckmann einen verstörten Blick zu, doch der zuckte nur mit den Schultern.
 

Sie erreichten ihre Zieletage und Marco folgte Shanks einfach, der sofort und mit einem unterdrückten Fluch nach der letzten Ecke des Ganges ein Zimmer ansteuerte, vor dem ein kleiner Tumult entstanden war. Marco vermutete Shanks Verärgerung in dem ungleichen Paar - ein Mann und eine Frau -, das vor dem letzten Krankenzimmer der Etage stand und mit dem Mann davor zu diskutieren schien.
 

Der wirkte ziemlich entschlossen, den Zweien den Zutritt zum Zimmer zu verwehren, denn er hatte sich ungerührt im Türrahmen positioniert und starrte den Kerl vor sich mit stoischem Gesichtsausdruck an, der ihm eine Dienstmarke unter die Nase hielt. »... is' mir egal, wer Sie sind. Sie komm' hier nicht rein, Zutritt nur für Befugte«, schnappte Marco den letzten Rest des Gespräches auf, als er mit Shanks und Ben die Gruppe erreichte.
 

Der stämmige Kerl mit den weißen Haaren und einem Gesicht aus Granit schien sich wohl für ausgesprochen befugt zu halten, denn er trat einen weiteren, bedrohlichen Schritt auf den Mann an der Tür zu und grollte ihm angefressen entgegen: »Ich werde durch diese Tür gehen, ist nur die Frage, ob du dann an ihr klebst oder nicht...«
 

»Ah, Smoker-san... beruhigen Sie sich...«, versuchte seine dunkelhaarige, zierliche Begleiterin ihn aufzuhalten und am Ellenbogen zurückzuziehen. Wahrscheinlich hätte sie auch versuchen können einen Bulldozer bei voller Fahrt zu stoppen - es wäre wohl das gleiche Ergebnis gewesen. Die beiden Männer starrten sich finster an.
 

»Aber, aber, Freunde, wir wollen doch keinen Streit!« Shanks schob sich galant zwischen die beiden Kontrahenten und warf nebenher einen Blick auf die Marke des Polizisten. Er legte dem Mann mit den Dreadlocks eine Hand beruhigend auf den Oberarm. »Alles gut, Yasopp... Detektive Smoker und seine hübsche Begleiterin wollten bestimmt gerade gehen...«, seine Stimme wurde aalglatt und gefährlich kalt, »... sicher hat ihnen nur noch niemand gesagt, dass das inzwischen eine offizielle Senatsangelegenheit ist, nicht wahr?!«
 

Shanks wollte den beiden die Chance geben, ihr Gesicht zu wahren, doch der weißhaarige Kerl mit der Statur eines Profiboxers ließ sich davon gar nicht beeindrucken oder gar aufhalten. Wenn es überhaupt möglich war, wurde sein Ausdruck nur noch grimmiger und er baute sich nun vor Shanks auf, auf den er mit dem Finger deutete.
 

»Ich scheiß' auf ihren Senat! Wir gehen nirgendwo hin, bis wir nicht mit dem behandelnden Arzt gesprochen haben«, grollte der Kerl mit den Eisaugen und ignorierte seine Begleiterin geflissentlich, die noch immer an seinem Arm zog, mehr Zierde als wirklich effizient. »Ihr Typen kommt mit euren verfluchten Autorisierungen daher und behindert einfach laufende Ermittlungen, führt euch auf wie Gott persönlich und mischt euch in Arbeit ein, von der ihr keine Ahnung habt! Das Mädel da drin...-« er zeigte nun auf die geschlossene Zimmertür. »... ist unsere Zeugin. Und im Moment auch eine Verdächtige in diesem Fall.«
 

Shanks tippte sich nachsinnend mit dem kybernetischen Zeigefinger gegen das Kinn. »Verdächtig!? Ach wirklich? Sie sind also der Meinung, sie hat das Ganze geplant, ganz allein alle umgebracht und sich dann selbst den Verstand weggeblasen, um den Rest ihres Lebens apathisch ans Bett gefesselt zu sein? Das klingt ja nach einem echten Geniestreich!«, stellte er sarkastisch in den Raum.
 

»Sie können sich kaum vorstellen, wie oft wir es mit Verbrechern zu tun haben, die ihrer eigenen Blödheit zum Opfer fallen. Und wer weiß schon, wie apathisch sie wirklich ist, auf Ihre Aussagen gebe ich einen feuchten Dreck!«, knurrte Detektive Smoker. »Ich werde mir selbst ein Urteil über ihren Zustand bilden, wenn ich mit dem Arzt gesprochen habe. Sie täuschen sich gewaltig, wenn Sie denken, dass wir hier einfach so das Feld räumen werden. Die Kleine gehört zum Joker Kartell, Grund genug, dass sie verdächtig ist!«
 

»Tatsächlich?! Nun, Detektive Smoker...«, Shanks Stimme senkte sich auf ein beängstigendes Niveau, »... und Sie irren sich, wenn Sie mich für einen sehr geduldigen Mann halten.« Scheinbar gelangweilt betrachtete er seine Fingernägel, während er eine Braue in die Höhe zog. »Waren Sie nicht der Einsatzleiter, als man den vermeintlichen Fear-Killer aufgegriffen hat? Und waren Sie es nicht, der vorschnell an die Öffentlichkeit verkündet hat, dass man den Mörder gefasst hat?« Shanks schnalzte mit der Zunge. »So ein Patzer kommt an mancher Stelle gar nicht gut an... aber Sie wollen doch bestimmt auch morgen noch brav zur Arbeit gehen und Ihre Rechnungen bezahlen können, oder etwa nicht?«
 

Smokers Gesicht lief hochrot an und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Marco rechnete schon damit, dass er sich wutschnaubend auf Shanks stürzen würde, doch seine dunkelhaarige Kollegin hielt ihn an der Schulter zurück, mit einer Entschlossenheit, der man der zierlichen Frau kaum zugetraut hätte. »Lassen Sie es gut sein, Smoker-san. Kommen Sie. Wir gehen. Wir können später wiederkommen«, redete sie eindringlich auf ihn ein.
 

Der Detektive starrte Shanks noch einen Wimpernschlag bedrohlich an, dann presste er die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen und drehte sich ruckartig um. Aufgebracht stapfte er davon und seine Kollegin beeilte sich, ihm zu folgen. Shanks sah den beiden kurz noch hinterher, dann öffnete er die Tür zum Krankenzimmer und gab Marco mit einem Nicken zu verstehen, dass der ihm folgen sollte.
 

»War das wirklich nötig...?«, fragte Marco gedämpft.

»Manchmal muss man die Menschen vor sich selbst beschützen... und manche verstehen leider nur diese Sprache«, meinte Shanks abgeklärt. »Aber es macht mir keinen Spaß, falls du das meinst...«, gestand er dann mit einem Seufzen.
 

Marco betrat mit Shanks das Krankenzimmer, während Ben Beckmann bei Yasopp vor der Tür zurückblieb. Der Raum war karg, aber sauber, wie man es von einem Krankenhaus erwartete. Freundliche Farbkleckse bildeten die minzgrünen Vorhänge, die leicht im Zugwind des gekippten Fensters wehten. Von draußen drang das anhaltende Rauschen des Regens und gedämpfter Straßenlärm herein.
 

Gegenüber des Krankenhauses zog sich ein mehrstöckiges Ungetüm von einem Bürokomplex in die Höhe. Die unteren Etagen waren teils noch beleuchtet, vereinzelt saßen noch Angestellte vor ihren PCs. Die oberen Etagen waren leer, offensichtlich ungenutzt wegen Baumaßnahmen, die das Gebäude noch ein bisschen höher werden lassen sollten. Planen flatterten leicht im Wind und der Regen schimmerte auf blanken Stahlträgern.
 

Das Zimmer beinhaltete zwei Betten, die sich gegenüberstanden und nur eines davon war von einer jungen Frau belegt. Davor stand ein älterer Arzt, der die Akte studierte und aufblickte, als die beiden Männer den Raum betraten. Shanks ging zu ihm hinüber und wechselte ein paar leise Worte mit ihm, während Marco die Patientin im Bett musterte.
 

Sie war vielleicht Anfang zwanzig, hatte hübsche, zarte Gesichtszüge und helle Haut. Die hellbraunen, langen Haare waren um ihr Gesicht mit den vereinzelten Sommersprossen drapiert. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, ihre Wangen wirkten eingefallen. Das Kinn und der Rand ihrer Unterlippe waren dunkel verfärbt von einem Hämatom.
 

Im ersten Moment sah es so aus, als wäre sie wach, doch Marco erkannte schnell, dass ihre großen, dunkelbraunen Augen bewegungslos an die weiße Zimmerdecke starrten. Sie reagierte weder auf ihr Kommen, noch zuckte sie auch nur mit dem kleinen Finger. Allein ihr Brustkorb unter dem Laken hob und senkte sich zumindest in regelmäßigen Abständen. Ab und an blinzelte sie träge.
 

Shanks verabschiedete den Arzt, der das Zimmer wieder verließ und trat nun ebenfalls an das Bett der jungen Frau heran. Er setzte sich auf einen Stuhl daneben. »Ihr Identifikationschip wurde offenbar bei dem Vorfall beschädigt«, erklärte Shanks, der vorsichtig ihr Handgelenk nahm, um Marco die schillernden Blutergüsse zu zeigen, die ihren Arm überzogen. Die Abdrücke von Fingern waren noch deutlich zu sehen, offenbar hatte jemand versucht sie gewaltsam festzuhalten.
 

»Aber dafür haben wir das hier...«, vorsichtig griff Shanks jetzt nach dem anderen Arm der jungen Frau und drehte das Handgelenk so, dass Marco das Tattoo dort sehen konnte – ein boshaft grinsender Smiley, das unverkennbare Zeichen eines Kartellkönigs aus Downtown. »Unser eisenharter Detektive hatte nicht ganz unrecht. Sie gehört wahrscheinlich zu Joker, entweder als seine Angestellte oder sein Eigentum. Ich hab' die Polizeidatenbanken checken lassen... ihr Name ist Trafalgar Lamy.«
 

Marco musterte die junge Frau nachdenklich. Was trieb ein Mädchen wie sie nur zu einem Unterweltboss wie Joker? Der Kerl war berüchtigt, vor allem für seine Skrupellosigkeit. Er besaß eine wirklich gut laufende Casinokette, doch sein wahres Vermögen verdiente er Gerüchten nach durch illegalen Waffenhandel und die Herstellung künstlicher Drogen, unter anderem Beta. »Denkst du wirklich, sie hat etwas mit den Morden zu tun?«
 

Shanks legte ihren Arm sanft zurück auf das Bett. »Nein, ich glaube nicht, dass sie mit den Morden unmittelbar in Verbindung steht. Sie ist ein kleiner Fisch in einem Haibecken, aber sie war sicher auch nicht aus reiner Nächstenliebe an diesem Abend bei Yamamoto. Sie wird wegen einigen Diebstählen und ein paar Betrügereien gesucht, aber es ist nicht meine Aufgabe, Diebe zu fangen. Mir ist es herzlich egal, ob sie Ashitakas Unterwäsche oder sein gutes Tafelsilber stehlen wollte... ich will wissen, was sie an diesem Abend gesehen hat.«
 

Marco öffnete seinen Trenchcoat und zog sich selbst einen Stuhl heran, um sich auf die andere Bettseite zu setzen. »Was sagen die Ärzte?«
 

»Rein körperlich geht es ihr gut, bis auf die Hämatome und eine Schnittwunde am Oberschenkel. Aber sie ist in diesem lethargischen Zustand, seit dem sie gefunden wurde...« Shanks beugte sich ein wenig über sie und schnippste mit den Fingern vor ihrem Gesicht – keine Reaktion, nicht einmal ein Blinzeln. Ihre Pupillen blieben starr. »Kannst du ihr helfen?«
 

»Ich werd's versuchen...« Marco rutschte näher an das Bett und sprach die junge Frau mit ruhiger Stimme an: »Hallo Lamy, mein Name ist Marco. Ich möchte gerne versuchen Ihnen zu helfen, dafür muss ich allerdings Ihre mentalen Blockaden ignorieren. Bitte haben Sie keine Angst.« Auch wenn es unwahrscheinlich schien, dass sie ihn überhaupt hörte, gebot es Marco der Anstand einfach, nicht unangekündigt in den Geist eines anderen Menschen einzudringen.
 

Der Verstand war genauso wie der Körper privates Territorium und es war verboten und verpönt, sich gewaltsam oder unaufgefordert Zugriff zu einem Geist verschaffen zu wollen. Nicht umsonst unterlagen MentalMAGs und die Benutzung ihrer Fähigkeiten sehr strengen Auflagen – ihre Kräfte waren die mit Abstand gefährlichsten, denn sie waren unsichtbar und konnten völlig unbemerkt Einfluss auf Persönlichkeiten und Handlungsweisen nehmen.
 

Marco legte nun die Fingerspitzen einer Hand unter Shanks' neugierigem Blick sanft an die Schläfe der jungen Frau. Er holte tief und ruhig Luft, schloss die Augen und ließ seine Magie vorsichtig fließen und nach dem Geist des Mädchens tasten. Wo üblicherweise eine Barriere bestand, ein natürlicher Widerstand - der körpereigene Wille - gegen Übergriffe, lag diese Mauer hier eingestürzt vor ihm.
 

Marcos Energie konnte ungehindert eindringen, doch er beschränkte sich auf ein erstes, oberflächliches Prüfen, ohne zu sehr in die Tiefe zu gehen. Doch schon bei dieser flüchtigen, geistigen Berührung fröstelte ihm und er zog zischend die Luft ein.
 

Der Verstand der jungen Frau war förmlich in Fetzen gerissen, so viele Verbindungen zertrennt, so viele lose Enden, ein Feld der Zerstörung... Ihr Geist war eine einzige, schwärende Wunde, an der die Reste dieser pechschwarzen Finsternis hafteten, die sie in der Wohnung des ermordeten Staatsanwaltes gesehen hatten.  
 

Mit einem unterdrückten Keuchen löste Marco die Verbindung und öffnete die Augen wieder. Shanks sah ihn abwartend an und Marco rollte die Schultern, um das eisige Gefühl abzuschütteln, das diese bösartige Verderbnis ihm beschert hatte. »Ihr Verstand hat sehr schweren Schaden erlitten, ich habe so etwas noch nie gesehen«, gab Marco ehrlich zu. »Ich kann versuchen das zu heilen, aber... das wird definitiv dauern. Das braucht Zeit.«
 

»Zeit ist wahrscheinlich so ziemlich das Letzte, was wir haben...«, grollte Shanks unzufrieden. Marco nahm es ihm nicht übel, dass er auf ein plötzliches Wunder gehofft hatte, aber so funktionierte die Sache nun mal nicht. Einen Geist zu heilen war etwas komplizierter, als bloß ein Pflaster auf eine Wunde zu kleben.
 

Shanks verschränkte die Arme und presste die Lippen nachdenklich aufeinander. Die Fingerspitzen seiner kybernetischen Prothese trommelten dumpf auf dem Kunstleder seines Mantels. »Wie ist deine Einschätzung - hat das ein Phobiokinet getan?«, fragte er dann finster. Marco konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Shanks den Verursacher dieses Desasters bis ans Ende der Welt jagen würde...
 

»Ja, diese gewaltsam gerissenen Wunden deuten ziemlich sicher auf einen Phobiokineten hin. Auf einen ziemlich mächtigen, wenn du mich fragst, wenigstens ein Rang B, wenn nicht sogar ein A Rang...«, mutmaßte Marco besorgt und musterte die apathische, junge Frau abermals. »Sie ist selbst eine mental Begabte...«
 

Aufhorchend setzte sich Shanks gerade hin und hob eine Braue. »Wie kommst du darauf?«, fragte er interessiert.
 

Marco tippte sich erklärend gegen die eigene Stirn. »Die Schutzbarrieren mental begabter MAGs sind für gewöhnlich stärker und widerstandsfähiger. Ihre Barrieren sind zwar irgendwann gefallen, doch sie hat erbitterten Widerstand geleistet. Ich habe die Ruinen ihrer Mauern gespürt. Um so etwas zustande zu bringen, muss sie geübt darin sein, sich zu schützen. Wahrscheinlich hat sie deswegen auch überlebt...«
 

»Umso wichtiger ist es, dass wir erfahren, was sie weiß und was sie gesehen oder gehört hat...«, meinte Shanks eindringlich und wischte sich mit einer Hand durch die roten Haare. »Sie ist vielleicht die Einzige, die im Moment ein wenig Licht in die Sache bringen kann.» Sein Fuß wippte ungeduldig auf und ab. »Am besten, du fängst gleich an!«, auffordernd wedelte er mit der Hand in Richtung der Patientin.
 

»So einfach ist das nicht...«, widersprach Marco entschieden und bremste Shanks in seinem Enthusiasmus. »Ich brauche dafür Ruhe. Der Geist ist ein empfindliches Konstrukt. Wenn ich nicht acht gebe, kann ich genauso viel zerstören wie aufbauen. Vielleicht ist hier nicht unbedingt der beste Ort dafür...«
 

»Hrm... und ich dachte wirklich, du wärst nützlich«, grollte Shanks halbernst. Seine Finger wanderten schon zu der Innentasche seines Mantels, wahrscheinlich um sich eine Zigarette herauszuholen, doch er stoppte in der Bewegung und schien sich doch noch zu besinnen, wo sie gerade waren. »Nun, dann werde ich wohl mit dem Arzt sprechen müssen, damit wir sie verlegen...-«
 

Eine Explosion erschütterte das Gebäude. Das Licht flackerte und erlosch dann, erdrückende Dunkelheit legte sich über den Raum. Für einen Augenblick war es beinahe totenstill, bevor die ersten Schreie durch das Gebäude hallten. Die Notbeleuchtung über der Tür sprang flackernd an und tauchte den Raum in grünes, unheimliches Licht, in genau jenem Moment, in dem Ben Beckmann die Tür aufriss. »Es gab eine Detonation irgendwo im Erdgeschoß, vermutlich um die Stromversorgung zu unterbrechen... «
 

Das Fenster des Zimmers zerbarst in einem hellen Klirren und ein pfeifendes Geschoß bohrte sich mit einem dumpfen Geräusch in die Matratze des Bettes, gefährlich nah neben dem Kopf der jungen Frau. Marco lehnte sich sofort über das wehrlose Mädchen und hob sie in seine Arme, als sich der rote Ziellaser eines Scharfschützengewehrs suchend durch das Zimmer bewegte.
 

Shanks sprang ebenfalls auf, er ging völlig unbeeindruckt zum Fenster hinüber, geradewegs hinein in die Schusslinie des Schützen, der irgendwo auf dem gegenüberliegenden Gebäude hocken musste. Doch Marco wurde sofort klar, dass keine Kugel ihn erreichen würde... denn draußen vor dem Krankenhaus zog mit einem Mal ein heftiger Sturm auf. Der Wind fuhr schneidend durch die zerbrochene Fensterscheibe in das Zimmer und Marcos Brillengläser aktivierten sich, um seine Augen vor den scharfen Böen zu schützen, während Shanks mit flatterndem Mantel ungerührt im Zentrum dieser Naturgewalt stand.
 

Der Wind pfiff durch die Häuserschlucht, der Sturm heulte sein unheimliches Echo. Die Stahlträger auf der Baustelle des gegenüberliegenden Gebäudes schwankten kreischend im Wind und der rote Laserpunkt schaukelte mit einem Mal heftig hin und her, bevor er gänzlich verschwand, als hätte eine Böe den Schützen hinfort gerissen.
 

Die roten Haare peitschten Shanks ins Gesicht, als dieser sich mit einem wilden Gesichtsausdruck umdrehte. Seine grünen Augen glommen in einem inneren Feuer und Marco konnte die Kraft spüren, die in Wellen von ihm ausging. Die Macht eines Rang A MAGs war wahrlich beeindruckend... aber Marco wusste auch, dass Shanks diesen hohen Machtausstoß nicht lange würde aufrechterhalten können. Kein MAG konnte seine Kräfte unbegrenzt nutzen, irgendwann musste sich selbst der Mächtigste unter ihnen ausruhen.
 

»Ich hoffe, du bist genauso zielsicher, wie Edward immer behauptet...«, sagte Shanks zu Marco, als er zu ihm kam und ihm die junge Frau aus den Armen nahm, um sie selbst zu tragen. »Im Gebäude kann ich meine Kräfte nicht wirklich effizient nutzen.«

Marco zog seine beiden Sig Sauer. »Denkst du, sie sind wegen der Frau hier...?«

»Höchstwahrscheinlich...«, nickte Shanks grimmig. »Aber ich werde nicht hierbleiben und sie sicherheitshalber fragen. Wir gehen über's Dach raus. Ben, ruf Lou an, er soll uns abholen«, befahl er seinem Assistenten, der sogleich mit bläulich flackernden Pupillen den Anruf tätigte. Yasopp hatte inzwischen draußen auf dem Flur vor der Tür Stellung bezogen und ein Sturmgewehr in den Händen.
 

Marco folgte Shanks aus dem Zimmer, Yasopp lief vor ihnen nun den Flur hinunter und Ben Beckmann bildete die Nachhut. Auch hier draußen bot nur noch die Notbeleuchtung spärlich Licht, ein paar Türen hatten sich geöffnet und verwirrte oder besorgte Patienten spähten vorsichtig nach draußen. Doch als sie Yasopp mit dem Gewehr im Anschlag und Marco mit gezogenen Waffen erblickten, schlossen die meisten die Tür schnell wieder.
 

Ihre kleine Gruppe erreichte die Aufzüge, doch nur einer war durch die Notstromversorgung noch in Betrieb... und bewegte sich laut Digitalanzeige gerade nach oben zu ihnen. Marco betrachtete die hochzählende Anzeige mit gemischten Gefühlen. Irgendwie hatte er die ungute Vorahnung, dass dort bereits jemand auf dem Weg zu ihnen war.
 

Zu dem Schluss schien auch Shanks zu kommen, denn er deutete mit dem Kinn weiter den Flur entlang. »Wir nehmen das Treppenhaus. Los!«, trieb er sie zur Eile an.
 

Sie hatten die Tür zum Treppenhaus fast erreicht, als hinter ihnen die Aufzugtüren mit einem sanften Pling aufglitten... und eine ganze Gruppe gut gerüsteter Söldner ausspuckten. Ihre roten Lasersucher glitten durch den düsteren Flur, die eh schon karge Beleuchtung wurde von dem Schwarz ihrer Kampfanzüge geschluckt. Eine Frau mit orangen Locken betrat mit ihnen die Etage. Ihr Kopf ruckte herum, als würde sie ihre Präsenz spüren und mit einem Fingerzeig wies sie auf Marco und die anderen: »Bringt mir die Kleine. Sofort!«
 

Yasopp trat die Tür zum Treppenhaus auf und Shanks huschte mit der Frau auf dem Arm hindurch. Marco hastete ihnen hinterher, genau wie Ben Beckmann, nur Yasopp blieb noch kurz im Türrahmen stehen, um das Feuer zu eröffnen und ihren Rückzug zu sichern.
 

Marco sprintete hinter Shanks die Treppen des gläsernen Treppenhauses hinauf und zog einen Arm schützend nach oben, als neben ihm die Scheibe zersprang, da eine Kugel sie förmlich zerfetzte. Er warf einen Blick zurück. Yasopp hastete jetzt ebenfalls hinter ihm die Stufen hinauf, denn durch die Tür ergoss sich die Flut an Söldnern, die sie sofort ins Visier nahmen.
 

Marco schwang sich um eine Kurve der Treppe, ging in die Hocke und zielte durch das Geländer auf die ersten beiden Söldner, die nach oben stürmten, um ihnen zu folgen. Eine Kugel traf den ersten in die Schulter, die Zweite bohrte sich in den Hals des Nachfolgenden. Yasopp feuerte sein Magazin ebenfalls in die rasch nachrückenden Söldner und wechselte einen kurzen Blick mit Marco, als er nachladen musste.
 

Marco nickte und gab Yasopp Feuerschutz, während der an ihm vorbei stürmte, das Magazin entleerte und routiniert nachlud. Dann übernahm er wieder das Schießen, so dass Marco nach oben vorrücken konnte. Immer wieder zerbarsten die Scheiben unter dem Kugelhagel und kühle Nachtluft blies in das Treppenhaus. In der Ferne war das Geräusch von Rotorblättern zu vernehmen und Marco hoffte wirklich, dass dies ihr Taxi hier raus war und nicht noch mehr Nachschub für ihre Angreifer.
 

Das HUD auf den Gläsern seiner optischen Implantate schärfte Marcos Sicht auch in dem düsteren Zwielicht des Treppenhauses. Er setzte einem Söldner eine Kugel genau zwischen die Augen und einen anderen brachte er durch einen Treffen in den Oberschenkel aus dem Gleichgewicht. Aber es waren viele, so viele, die da mit stampfenden Stiefeln hinter ihnen die Treppe hoch marschierten... deren Vorrat an Männern und Munition schien unerschöpflich.

Marco duckte sich unter einer dröhnenden Gewehrsalve, die hinter ihm die Mauer durchlöcherte und schwang sich dann die nächsten Stufen hinauf.
 

»Los los los!«, schrie Shanks eine Etage über ihnen. Er stand inzwischen vor der verschlossenen Tür zum Dach. Marco stürmte die Treppe hinauf, nahm jetzt immer gleich zwei Stufen auf einmal und warf einen Blick nach oben, wo Ben Beckmann eine Beretta gezogen hatte und auf die Türsicherung schoß. Oranges Mündungsfeuer blitzte noch ein, zweimal auf, dann hastete Yasopp an Marco vorbei, sein Sturmgewehr geschultert. »Keine Munition mehr...«, grollte er finster.
 

Ganz toll..., war Marcos nüchternes Resümee, eigentlich das Resümee des ganzes Abends. Er hob seine Sig Sauer, bereit, ihre Verfolger so lang wie möglich aufzuhalten, als plötzlich die Tür zum Treppenhaus dieser Etage neben ihm aufschwang. Eine Bewegung ließ ihn herumfahren und eine silberne Katanaklinge zog haarscharf an seinem Gesicht vorbei. Der Angreifer setzte sofort nach und Marco konnte gerade noch einen Arm hochreißen und die herabsausende Klinge mit dem Lauf seiner Sig stoppen.
 

Silberne, stahlharte Augen kreuzten Marcos Blick, dann wurde er beiseite gestoßen und der schwarzhaarige Kerl in der schwarz-gelben Motorradkluft wollte die Treppe hinaufstürmen, um dorthin zu gelangen, wo Ben Beckmann die Dachtür gerade mit der Schulter rammte und diese endlich aufsprang. Oh nein, vergiss' es. Marco warf sich entschlossen auf den jungen Mann und riss ihn mit sich zu Boden.
 

»Marco, komm schon!«, scholl Shanks' Stimme zu ihm herunter, der rothaarige Konzerner blickte zwischen Marco und der offenen Tür hin und her. Ein Scheinwerfer drang von draußen herein und der Wind drehender Rotorblätter zerwühlte Shanks die Haare. Von unten kamen die Schritte der Söldner immer näher.
 

Marco kassierte einen wirklich schmerzhaften Schlag gegen die Rippen, als sich der junge Mann ziemlich geschickt freimachte und mit dem Stiefel nach seiner Hand zielte, um ihm eine seiner Waffen aus den Fingern zu treten. Die Sig schlitterte auf dem Boden davon. »Verschwindet!«, rief er Shanks zu.
 

Der Fremde wirkte verbissen und sehr entschlossen, doch sein scharf geschnittenes Gesicht nahm einen beinahe verzweifelten Ausdruck an, als er nach oben blickte und zusah, wie Shanks mit der jungen Frau im Arm auf das Dach verschwand. »Nein...«, keuchte er.
 

Marco versuchte den unbekannten, jungen Mann erneut unter sich zu zwingen, er schlang ihm einen Arm um den Hals und verdrehte sein Handgelenk so lange, bis seine verkrampfenden Finger das Katana endlich los ließen. Wütend krallten sich daraufhin Fingernägel in Marcos Arm, nur ungenügend gedämpft durch den Stoff des Trenchcoats. »Was... habt ihr... meiner Schwester angetan, ihr miesen Schweine?!«, stieß der Fremde durch zusammengebissene Zähne aus. »Wo bringt ihr sie hin?«
 

Moment mal... "Schwester"?! Marco lockerte seinen Griff ganz unbewusst und der junge Mann nutzte diese Schwäche, um ihm einen Ellenbogen in den Magen zu rammen. Marco krümmte sich mit einem schmerzhaften Knurren und zog die Hand mit seiner verbliebenen Waffe hoch, genau in dem Moment, indem der junge Mann sein Katana wieder ergriff und herumwirbelte, um die Klinge auf Marcos ungeschützten Hals zu richten. Sie starrten sich über ihre Waffen hin abschätzig an.
 

»Oh, hast du einen Freund gefunden?«, säuselte eine Stimme.
 

Marco und der Fremde blickten gleichzeitig zur Tür des Treppenhauses hin, in der jetzt ein schwarzhaariger Kerl mit einem Zylinder auf dem Kopf und einem hellen Umhang mit violettem Federbesatz erschienen war. Seine Haut war ungewöhnlich blass, seine Lippen dagegen grotesk grell violett geschminkt. Er hatte einen Gehstock in den Händen, auf den er sich lässig stützte... und ein Scharfschützengewehr geschultert.
 

»Du!«, grollte der junge Mann zornerfüllt, packte sein Katana fester und sprang auf, um sich auf den anderen Mann zu stürzen.
 

»Ich denke... ihr solltet euch mal eine Auszeit gönnen...«, meinte der blasse Kerl mit einem bösen Lächeln und streckte die Hand aus. Eine Raumzeitverzerrung breitete sich kreiselnd von seiner Handfläche aus... und bewegte sich dann nach vorn, um den jungen Mann und Marco zu verschlucken.
 

Schatten und Wind rissen an Marco, als er das Gefühl hatte, unendlich zu fallen. Er wusste nicht mehr, wo oben oder unten war, als ihn das Portal schlussendlich wieder ausspuckte und er in die Dunkelheit fiel. Unsanft landete er bäuchlings auf felsigem Boden, in unangenehm kaltem Schlamm und rollte sich sofort herum, um auf die Knie zu kommen.
 

Noch immer hielt er seine letzte Sig Sauer umklammert, mit der er jetzt in die bedrohliche Finsternis zielte. Mit einem angewiderten Laut wischte er den Dreck aus seinem Gesicht und aktivierte sein optisches HUD. Durch die integrierte Nachtsicht erkannte er, dass er sich in einer Art Höhle befand. Neben ihm war der junge Mann gelandet, der sich jetzt ebenfalls stöhnend aufrichtete.
 

Das unmenschliche Kreischen in der Ferne schickte Marco einen eiskalten Schauer über den Rücken und ihm dämmerte mit Schrecken, wo sie gelandet waren. Verfluchte Scheiße... »Das ist ein Scorn-Bau.«

Scorn

Es war eisig hier unten. Die Kälte stach mit spitzen Nadeln in die Haut und Marco entkam der Atem in kleinen Dunstwölkchen. Die Wissenschaft hatte nie gänzlich herausgefunden, warum die Scorn die Kälte so bevorzugten, man hatte nur Vermutungen aufstellen können… darüber, dass der 2024 entdeckte Tempel im Mittelmeer ein Portal zu einer anderen Dimension beherbergte, zu einer Welt aus Dunkelheit und Kälte, aus der Element Alpha und die Scorn ursprünglich stammten.
 

Marco hätte nie gedacht, dass er den Scorn je wieder so nah würde kommen müssen. Er hatte vor über zehn Jahren im japanischen Militär gedient, als eine besonders heftige Welle von Scornangriffen das Inselreich heimgesucht hatte und es für ihn kaum in Frage gekommen war, dass Whitebeard den Dienst in seinem hohen Alter ableisten musste. Weevil hatte sich damals durch angebliche Krankheiten davor gedrückt, eingezogen zu werden.
 

Eine plötzliche, längst verdrängte Erinnerung übermannte Marco - daran, wie er damals bei einem Einsatz drei ganze Tage mit seiner Einheit in solch eisiger Dunkelheit hatte ausharren müssen, abgeschnitten von ihrem Trupp, das Kratzen und Knurren und unerträgliche Kreischen der Scorn die andauernde Geräuschkulisse, neben dem verzweifelten Gemurmel und gestammelten Gebeten seiner Kameraden...
 

Marco schüttelte die beklemmende Erinnerung ab und erhob sich auf die Füße. Die integrierte Nachtsicht seiner Brillengläser spendete zumindest einen fahlen, wenn auch sehr farblosen Hauch von Sicht, als er sich jetzt einmal zur Orientierung um die eigene Achse drehte. Er versuchte einen Anruf abzusetzen, jedoch ohne Erfolg. Wahrscheinlich waren sie viel zu weit unter der Erde.
 

Sie befanden sich in einem kleinen, höhlenartigen Gewölbe, von dem mehrere Gänge abzweigten und Marco wusste, dass dieser Bau ein Labyrinth war, darauf ausgelegt, ahnungslose Opfer in die Irre zu führen und Gefahren von dem Kern des Baus abzuhalten - von der Brutkammer, in der vermutlich eine Königin hockte. Er hatte nur einmal eine Scorn-Brutkönigin gesehen und war nicht sehr erpicht darauf, diese Erfahrung zu wiederholen...
 

Seine anfängliche Einschätzung war nicht ganz richtig, es war nicht völlig finster - Scorngeflecht überzog die Wände der Höhle wie Spinnweben und verdickte sich zu den Gängen hin wie schwach blau leuchtende Adern, die sich in den Fels gegraben hatten. Einem stetigen Herzschlag gleich überlief das organische Geflecht ein lautloses Pulsieren, als wären sie im Inneren eines riesigen Organismus gefangen.
 

Marco versuchte sich und seine Gedanken zu beruhigen und den pochenden Herzschlag zu regulieren, der ihm in den eigenen Ohren dröhnte. Sein Atem war beunruhigend schnell. Doch Panik war ein Luxus, den er sich jetzt nicht leisten konnte, auch wenn alles in ihm sich dagegen sträubte hier zu sein, unter der Erde, in der Dunkelheit... Du musst dich beruhigen, sonst kommt ihr hier nie raus...
 

Der junge Mann, der mit Marco hier unten gelandet war, hockte inzwischen ebenfalls wieder auf den Knien und sah sich um, bevor er Marco wie ein lauernder Panther anstarrte. Durch die einfarbige Nachtsicht wirkte sein Gesicht wie ein geisterhaft farbloser Fleck in der Dunkelheit, seine Augen zwei funkelnde Kreise, die der Kälte umher in nichts nachstanden. Das Katana lag in seiner Hand und Marco war sich nicht sicher, ob sich der Fremde nicht gleich wieder auf ihn stürzen wollte… wenn sie es in diesem Moment nicht beide gehört hätten.
 

Das Kratzen, das bedrohliche Klacken von Klauen auf Stein und das gutturale Knurren, gefolgt von einem misstönenden Laut, als würden Nägel über eine Schiefertafel gezogen, der Marco eine Gänsehaut bescherte. Dann hallte ein helles Schnauben durch die Höhlengänge, ein fast rhythmisches, wenn auch verzerrtes Pfeifen, das die Scorn ausstießen, um sich zu verständigen.
 

Beide Männer erstarrten in der Dunkelheit, sahen sich an und wussten im gleichen Augenblick, dass es nur zwei Wege hier raus geben würde... und zwar zusammen oder tot. Denn die Scorn machten keinen Unterschied zwischen Freund oder Feind, zwischen Kind oder Greis, für sie war alles eins – Beute, die es zu jagen galt. Nur Fleisch und Blut und Knochen.
 

Der dunkelhaarige Fremde erhob sich nun ebenfalls, langsam und sehr bedächtig, geschmeidig, als wüsste er, dass jedes Geräusch zu viel sein könnte und als wäre ihm lautloses Bewegen nicht fremd. Er sah auf die Sig Sauer in Marcos Hand, doch der schüttelte unmerklich den Kopf. Einen Schuss hier unten abzufeuern… das würde er nur als letzten Ausweg in Erwägung ziehen, denn dann hätten sie vermutlich gleich den ganzen Bau auf der Fährte.
 

Den Blick weiter auf Marco gerichtet, als würde er ihm längst nicht trauen, schob sich der Unbekannte Schritt für Schritt gleitend zurück in die Dunkelheit, hin zu dem Durchgang, aus dem sich ihnen etwas näherte. Vorsichtig tastete er sich an der Wand entlang und presste sich gegen den kargen Felsen, um mit der Finsternis förmlich zu verschmelzen.
 

Ein knöcherner, langer Schädel - von bläulicher Haut umspannt - schob sich langsam in die Höhle. Die Lefzen der Kreatur zitterten und die schlitzartigen Nasenlöcher weiteten sich fieberhaft. Die knöcherne Finne auf dem gekrümmten, dürren Rücken stellte sich auf und die dünne Haut dort überlief ein violettes Schimmern. Der Späher reckte seinen Kopf noch ein wenig weiter in die kleine Höhle und die gekrümmten Klauen seines vorderen Laufes gruben sich knirschend in den Fels der Wand, an der er sich festkrallte, als er sich nach vorn reckte.
 

Er hatte sie wahrscheinlich gewittert und nur der Dreck, in dem sie gelandet waren, hatte vermutlich ihren Geruch bisher ausreichend überdeckt, um nicht sofort aufzufallen. Marco drückte sich gegen die Wand, versuchte möglichst flach zu atmen und unbeweglich stehen zu bleiben. Die Scorn besaßen zwar Augen – sogar sechs, jeweils eine Dreierreihe auf jeder Kopfseite, doch ihr Sehvermögen war nicht wirklich gut ausgeprägt.
 

Dank seiner Nachtsicht sah Marco, wie der Unbekannte sich bewegte. Die Schneide des Schwertes war nur ein silberner Streif in der Dunkelheit. Die schimmernde Klinge stieß nach vorn und fuhr genau an jener verwundbaren Stelle in die weiche Haut, wo sich bei einem Menschen Kehlkopf und Schlüsselbein treffen würden. Die Kreatur quietschte erstickt auf und spie röchelnd ihr schwarzes Blut aus, bevor das Schwert auch schon zurückgezogen wurde und mit einem widerlich feuchten Geräusch den Kopf vom Rumpf trennte.
 

Der Schädel rollte ein paar Fuß weit und der Körper brach mit einem dumpfen Klatschen in den Schlamm. Die folgende Stille war fast unheimlich. Marco zählte stumm bis fünf und als dann noch nicht die Hölle über sie hereinbrach, bewegte er sich schnell zu dem gefallenen Kadaver hinüber und tauchte die Hände widerwillig in das noch warme Blut.
 

Er versuchte wirklich nicht all zu sehr darüber nachzudenken, was er tat, als er das Blut großzügig über seinem Mantel und seinen Hosenbeinen verteilte. Alles, was sie hier unten unsichtbar machen würde, konnte helfen und ihr Geruch war in diesem Bau ihr schlimmster Feind.
 

Der schlanke Mann beobachtete ihn analysierend, dann ging er ebenfalls in die Hocke und ahmte Marcos Tun mit stoischem Gesicht und effizienten Bewegungen nach. Er fragte nicht, er zauderte nicht – er begriff schnell, was für ihr Überleben wichtig war und handelte, vielleicht daran gewöhnt, dass Zögern oft über Sieg oder Niederlage entscheiden konnte.
 

Marco fragte sich unwillkürlich, was in dem Kopf des jungen Mannes wohl vorgehen mochte – was er wohl in ihm sah und ob er schon mit dem Gedanken spielte, ihn im Notfall an einen Scorn zu opfern, um selbst zu entkommen, ihn, der mutmaßlich zu denen gehörte, die seine Schwester verwundet und entführt hatten? Marco hoffte es nicht.
 

Er richtete sich wieder auf und begann nun rasch die abzweigenden Gänge des Gewölbes entlangzulaufen, um die felsigen Wände abzutasten. Dabei war er sich nur zu sehr dem bohrenden Blick des fremden Mannes im Nacken bewusst, der jede seiner Bewegungen genauestens zu beobachten und zu studieren schien. Die angespannte Stille machte das Gefühl auch nicht gerade besser. Es nagte an Marco, dass er diese eigenartige Situation im Moment nicht aufklären konnte und der Kerl ihn zwangsläufig für einen Verbrecher halten musste.
 

Trotzdem versuchte er diese Ablenkungen auszublenden und fuhr mit den Fingern weiter akribisch über den Fels, um nach den charakteristischen, tiefen Krallenspuren zu suchen, welche die Scorn zur Orientierung nutzten – mit bloßem Auge kaum zu sehen, außer man wusste, wonach man suchen musste. Die Kreaturen orientierten sich ähnlich wie Ameisen über Duftspuren und markierten den Hauptgang ihres Baus, um sich zurecht finden zu können.
 

Schon beim zweiten, abzweigenden Gang spürte Marco etwas unter den Fingerkuppen und ertastete mit einem zaghaften Gefühl der Erleichterung die Markierungen, die hier in den Fels gekratzt waren. Zumindest hatten sie jetzt einen Weg und waren nicht mehr völlig blind und orientierungslos, nicht viel, aber zumindest ein zaghafter Hoffnungsschimmer. Da er allerdings überhaupt nicht einschätzen konnte, wie tief sie in diesem Bau gelandet waren, konnten unter Umständen Stunden zu Fuß in diesem Labyrinth zwischen ihnen und der Oberfläche liegen.
 

Marco gab dem Mann hinter sich mit dem Neigen seines Kopfes ein knappes Zeichen, ihm zu folgen und schob sich jetzt langsam und möglichst lautlos vorwärts, zwischen jedem Atemzug auf mögliche Geräusche und sich nähernde Scorn lauschend. Jeder Muskel im Körper war angespannt und wachsam, Marco fühlte sich wie eine Bogensehne kurz vor dem Schuss – auch wenn sein Geist ein wenig hinterher hinkte und die Panik noch immer irgendwo im Hintergrund lauerte, sein Körper erinnerte sich an das Training, das er einst durchlaufen hatte, um für solche Situationen gerüstet zu sein.
 

Ihm war unangenehm bewusst, dass er seinen Rücken gefährlich entblößte und normalerweise konnte man sich so etwas nur leisten, wenn man seinen Kameraden kannte und vorbehaltlos vertraute. Er hatte gesehen, dass der dunkelhaarige Mann zweifellos mit seiner Waffe umgehen konnte, aber er musste darauf vertrauen, dass dessen Überlebenswille in diesem Moment größer war als sein Misstrauen gegen ihn… und tot würde er ihm hier unten wohl auch nicht viel nützen.
 

Das Scorngeflecht leuchtete ihnen fahl den Weg, kein angenehmes Licht, aber immer noch besser, als in völliger Dunkelheit vorwärts zu stolpern. Immer wieder stießen sie auf verästelte Abzweigungen und mussten anhalten, damit Marco sich neu orientieren konnte. Zwei oder dreimal lief der junge Mann deshalb gegen Marcos Rücken und auch wenn sie sich völlig fremd waren, blieben sie trotzdem eng beieinander.
 

Wieder erreichten sie eine Kreuzung und Marco drückte sich an die rissige Wand, damit er um die Ecke spähen konnte. An der nächsten Abzweigung hockten ein paar Scorn und stritten sich knurrend und geifernd um ein Stück Beutegut. Marco wollte gar nicht so genau wissen, um was es sich bei dem unförmigen Fetzen Fleisch wohl handelte…
 

Die Sig Sauer lag noch immer angenehm schwer in seiner Hand, da er sie nicht wieder geholstert hatte, vermittelte aber nur ein sehr trügerisches Gefühl von Sicherheit. Er hatte kaum noch Munition und ein Schuss hier unten würde ihre Position mit hundert prozentiger Sicherheit verraten. Zum Glück schien ihnen das Schicksal zumindest ein klein wenig gewogen, denn ihr Weg führte sie fort von der Gruppe Scorn in den nächsten Gang hinein.
 

Der Weg stieg ein wenig an, was Marco vorsichtig als gutes Zeichen wertete. Die felsigen, groben Wände des Ganges wurden langsam von Beton und Stahl abgelöst, der Boden war nach und nach befestigt und Marco vermutete inzwischen, dass sie sich in einer alten Bunkeranlage befanden - ein Überbleibsel aus dem letzten Krieg, als das Militär weltweit derlei Anlagen innerhalb kürzester Zeit aus dem Boden gestampft hatte.
 

Irgendwann passierten sie eine alte Stahltür - die durch Klauenspuren zerschrammt und verbeult war - und Marco hatte schon fast so etwas wie Zuversicht, dass sie unbeschadet aus diesem Desaster entkommen konnten, denn ihren Weg kreuzten erst einmal keine Scorn mehr und die felsigen, groben Gänge wurden nun vollends durch betonierte Wände abgelöst.
 

Die beiden Männer kamen an einigen leeren und anderen hastig verlassenen Räumen vorbei, unter anderem einem aufgegebenen Waffenlager und einer Trainingshalle sowie alten Dusch- und Umkleideräumen. Ihre Schritte hinterließen ein unheimliches, hohles Echo in der bedrückenden Stille der verlassenen Gänge.
 

Eine weitere, sehr lädierte Tür führte sie in ein altes Labor, das ebenso fluchtartig verlassenen schien wie der Rest der Anlage. Viele Ordner und Papiere lagen offen herum, als wären sie gerade noch in Benutzung gewesen, genauso wie einige Versuchsaufbauten, die man einfach unfertig stehen gelassen hatte. Marco kam an einer Tasse vorbei, an deren Boden noch die Reste eingetrockneten Kaffees klebten.
 

Stühle waren umgestoßen, Tische standen schief und die Monitore einiger PCs waren zerstört oder umgeworfen. Über allem lag inzwischen eine sichtbare Staubschicht und der blaue Schein des auch hier wuchernden Scorngeflechts. Eine sirrende, alte Neonröhre schwankte in der Mitte des Raumes schief an der Halterung und Marco deutete für den anderen Mann sichtbar auf die Lampe, zeigte dann mit zwei Fingern auf seine eigenen Augen und schloss mit einer kreisenden Fingerbewegung den Raum ein.
 

Sie waren wohl längst nicht so allein, wie sie dachten.
 

Bedacht schlichen sie voran und Marco gab sich bei jeder Bewegung Mühe, den auf dem Boden liegenden Scherben und Gegenständen auszuweichen.
 

Die schräg in den Angeln hängende Tür hinter ihnen verlor ihren letzten Halt und krachte zu Boden. Das Scheppern hallte weithin hörbar durch den Bunker.
 

Die beiden Männer erstarrten und für einen verschwindend kleinen Moment - der vielleicht drei Sekunden andauerte - dachte Marco noch, dass sie vielleicht Glück hätten… bis sie es hörten, das gutturale Knurren in der Ferne, das Geräusch unzähliger Krallen, die über Beton wetzten, welches durch den Gang hinter ihnen sehr schnell näher kam.
 

»Verdammt…« Marco riss seine Waffe hoch, als auch schon der erste Scorn durch die gefallene Tür drängte und mit weit aufgerissenem Maul auf sie zusprang. Die erste Kugel zerfetzte seine Kehle, die Zweite bohrte sich zwischen die Augen und ließ ihn wie einen nassen Sack zu Boden krachen. Ein weiterer Schuss traf einen herannahenden Scorn bei vollem Lauf in die Brust. Der Kreatur knickten die Beine weg, sie fiel und brachte einige der nachfolgenden Biester ins Straucheln.
 

Eine ganze Flut an Scorn schob sich jetzt über die schräg daliegende Tür und ergoss sich wie eine unheilvolle Welle an bläulichen Leibern in den Raum. Marco feuerte die Reste seines Magazins akribisch in die Massen, jeder Schuss ein Volltreffer, der eine Kreatur zu Fall brachte… doch über jeden gefallenen Leib kletterte schon der nächste Scorn.
 

Der fremde, junge Mann neben ihm behauptete sich unbeugsam mit seinem Katana, seine Bewegungen waren effizient und unglaublich schnell. Er führte seine Klinge mit tödlicher Präzision und dunkles Blut spritzte über den Boden und die Wände, als er einem heranspringenden Scorn mit einer fließenden Drehung seiner scharfen Klinge den ungeschützten Bauch aufschnitt.
 

Und trotzdem wurden sie zurückgedrängt, langsam, aber sehr beständig. Lange würden sie das nicht aushalten. Sie würden überrannt werden und das war nur noch eine Frage der Zeit. Wir müssen hier raus, dessen war sich Marco mehr als bewusst, als er das letzte Ersatzmagazin in seine Sig Sauer hämmerte.
 

Er schob sich um einen Labortisch herum und ein Scorn folgte ihm nach, sprang auf die Tischplatte und zertrampelte knirschend Reagenzgläser und Ampullen unter seinen Klauen, während er Marco mit peitschendem Schwanz fixierte und ein wütendes Fauchen ausstieß, das gleich vier Reihen messerscharfer Zähne in dem kräftigen Kiefer entblößte.
 

Der scharfe Schweif schoss vor und Marco huschte zur Seite, duckte sich unter der Attacke hindurch und bohrte dem Scorn den Lauf seiner Waffe von unten in den Kiefer. Dann drückte er ab. Zähflüssiges Blut und Hirn verteilten sich im Raum, bevor die Kreatur zur Seite kippte und in den Scherben auf dem Tisch liegen blieb.
 

Dann pflügte er mit der nächsten Kugel einen weiteren Scorn aus der Luft, der aufjaulend in seine knurrenden Gefährten fiel und einige der Geschöpfe gegen die Wand krachen ließ, da sie mit ihren Klauen schnell den Halt auf dem gefliesten Boden verloren. Schuss um Schuss feuerte Marco auf die schier unendliche Menge an Scorn, bis die Reihen sich einfach nicht mehr lichten wollten – auf jeden toten Scorn schienen zwei neue zu kommen. Höchste Zeit zu verschwinden...
 

Marco drehte sich gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie ein weiterer Scorn auf einen der Tische sprang und sich geduckt an den jungen Mann von der Seite heran pirschte, der damit beschäftigt war, gleich zwei der angreifenden Kreaturen auf Abstand zu halten. Der Schweif des herannahenden Scorn zuckte wie eine Kobra durch die Luft und die bläulich glühende, tödliche Spitze schob sich aus den Knochenschuppen am Ende des Schwanzes.
 

Das Gift der Scorn war schmerzhaft und immer tödlich. Marco hatte schon einige Soldaten an diesem Toxin elendig zu Grunde gehen sehen, gestandene Männer, die kurz vor ihrem Ende geweint und geschrien hatten wie kleine Kinder. Im besten Fall starb man nur an dieser Vergiftung, im schlimmsten Fall… konnte man nach seinem Tod zu etwas anderem, zu einer seelenlosen Hülle, einer Kreatur ohne Verstand und Geist werden, nur noch getrieben von Instinkten und dem Schwarmkollektiv der Scorn.
 

Marco hob die Sig Sauer, zielte auf den Schädel der Kreatur, drückte ab… und hörte das ernüchternd helle Klicken des leeren Magazins, was ihn innerlich fluchen ließ. Der Schwanz des Scorn erhob sich drohend, bereit, jederzeit zuzustoßen und Marco handelte ohne großartig darüber nachzudenken.
 

Er schnappte sich eines der zerbrochenen Reagenzgläser von einem Tisch, hastete zu dem jungen Mann hinüber und tauchte unter der Attacke des Scorn hinweg. Mit den scharfen Rändern seiner improvisierten Waffe riss er die Kehle der Kreatur auf, während er in der gleichen Bewegung den Fremden beiseite stieß und damit vor dem herabsausenden Schweif und dessen tödlicher Spitze rettete.
 

Der sterbende Scorn verspritzte sein Blut in einer pulsierenden Fontäne, dann kippte er nach vorn und riss noch im Fallen die Klauen hoch, womit er Marco am rechten Oberarm erwischte. Die scharfen Krallen zerfetzten seinen Mantel und drangen tief in die Haut darunter.
 

Marco registrierte die Verletzung mit einem frustrierten Knurren, doch durch das ausgestoßene Adrenalin spürte er den Schmerz eigentlich kaum - damit würde er sich später beschäftigen müssen. Viel schlimmer war, dass der Blutgeruch die Scorn erst recht aufzustacheln schien.
 

Die beiden Männer traten den Rückzug an, hinaus aus der einzig verbliebenen Tür des Labors und hinein in einen langen Gang, der sich nach der nächsten Ecke verbreiterte und hoffentlich nach draußen führen würde. Marco ließ sich mit dem Rücken gegen die Tür fallen und rammte sie damit ins Schloss, bevor er die elektronische Türsteuerung aktivierte. Zu ihrem unwahrscheinlichen Glück hatte die Verriegelung noch etwas Restenergie und der Riegel glitt vor. Nur Sekunden später erbebte die Tür unter dem Ansturm der Scorn, die sich auf der anderen Seite dagegen warfen.
 

»Das wird sie nicht lange aufhalten…«, bemerkte der junge Mann neben ihm realistisch, der sich ebenfalls gegen die Tür stemmte. Es war war das erste Mal, dass er seit dem Krankenhaus überhaupt etwas sprach. Seine stürmisch grauen Augen glitten kurz analysierend über Marcos Verletzung, als würde er sich insgeheim fragen, inwiefern sie das behindern konnte, doch er schwieg dazu.
 

»Nein, aber hoffentlich lang genug…«, pflichtete Marco ihm bei und drückte die Hand mit zusammengebissenen Zähnen auf die Wunde an seinem Oberarm. Die Kratzer waren glücklicherweise nicht so tief, dass sie lebensbedrohlich gewesen wären, doch zumindest tief genug, um stark zu bluten. Noch dazu brannte die Wunde wie Feuer. »Wir müssen weiter.«
 

Sie eilten den Gang entlang, immer ein Auge hinter sich, wo sich die Tür bereits unter der Attacke der Scorn verbog. Marco betete, dass die Kreaturen nicht so schlau wären, sich einen anderen Weg zu suchen, um plötzlich vor ihnen aufzutauchen… denn damit wären sie erledigt. Er hatte keine Munition mehr und war angeschlagen und so fähig der schwarzhaarige Mann neben ihm auch mit seinem Schwert war, er würde wohl kaum eine ganz Horde Scorn allein zurückschlagen können.
 

Gehetzt stolperten sie am Ende des Ganges durch eine doppelflüglige Tür in eine riesige, weitläufige Produktionshalle, die offenbar im Krieg als Montageort für Militärtechnik, schwere Panzer und kleinere Flugzeuge genutzt worden war. Ein Netzwerk aus Schienen und hydraulischen Aufzügen durchzog die Halle, mit dem man die Kriegsmaschinerie nach der Montage wohl aus dem Bunker befördert hatte. Auch hier lag über allem das bläuliche Licht des Scorngeflechts.
 

Beinahe wäre Marco ein Laut der Erleichterung entwichen und er dankte allen Göttern, als er die riesigen Bunkertore entdeckte, die nach außen hin geöffnet waren… und den Blick freigaben auf die sternenklare Nacht dahinter, felsiges Gestein und karge Büsche. Die frische Luft, selbst die Kälte erschien ihm jetzt wie ein Segen nach der Zeit unter der Erde. Noch besser war fast nur der Anblick des zurückgelassenen, alten M380 'Newtech' Truppentransportpanzers, der verschrammt und abgenutzt wie ein betagtes Fossil vor den Toren stand.
 

Das Ding war vermutlich älter als Marco selbst - eines der ersten Modelle, welches über die Bänder der Newgate Corporation gerollt war - aber aus Erfahrung heraus zuverlässig und so ziemlich unverwüstlich. Wenn das Ding noch etwas Kraftstoff und Energie übrig hätte, dann hätten sie vielleicht tatsächlich eine Chance, von hier zu entkommen…
 

Marco hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als ein donnerndes Krachen hinter ihnen erklang und vermuten ließ, dass die verriegelte Tür schlussendlich doch nachgegeben hatte. Marco lief zu der Torsteuerung hinüber, in der wahnwitzigen Erwartung, dass sie noch funktionieren und die Tore des Bunkers schließen würde, um die Scorn hier drinnen für eine Weile einzusperren. Er hämmerte die Handfläche auf den großen Knopf neben dem Tor und… nichts geschah.
 

Hektisch blickte Marco über die Schulter. Was er sah, jagte seinen Puls in die Höhe und ihm einen eisigen Schauder den Rücken hinab. Durch die doppelflüglige Tür drangen die Scorn jetzt in die Halle, eine Welle aus blau schimmernden Körpern, in deren Zentrum ein Brutwächter auf massigen Gliedmaßen in die Halle stapfte. Dessen Brüllen ließ den Berg erbeben.
 

Ein metallisches Kreischen erklang und übertönte sogar das Knurren der herannahenden Scorn. Marco benötigte einen Augenblick, um zu begreifen, dass es die Bunkertore selbst waren, deren alte Scharniere protestierend ächzten und die tonnenschweren Tore erbebten, als würde eine gewaltige Macht an ihnen zerren… und mit einem hellen Knarzen begannen sie sich tatsächlich zu bewegen.
 

Verwirrt runzelte Marco die Stirn und seine Augen blieben an dem fremden, jungen Mann hängen, der sich draußen vor dem Tor positioniert hatte. Sein eh schon scharf geschnittenes Gesicht hatte sich angestrengt verzogen, sodass seine Kieferknochen überdeutlich hervortraten. Mit zusammengebissenen Zähnen stemmte der Fremde den Absatz seines Stiefels in die aufgewühlte Erde, seine schmalen Brauen waren konzentriert gesenkt, die Hände hatte er ausgestreckt und begann die massigen Metallflügel des Tores so allein mit seinem Willen zu schließen.
 

Ein Telekinet…, erkannte Marco überrascht, doch das war es gar nicht, was ihm für eine Sekunde den Atem stocken ließ. Es waren die Augen des jungen Mannes, dessen Iriden, die sich golden verfärbt hatten und wie zwei Zwillingssonnen in der Dunkelheit strahlten. Eine Welle aus Macht brandete gegen Marcos mentalen Schild, ein kurzer Impuls nur, so gewaltig, wie er es noch nie gespürt hatte und so flüchtig, dass er es beinahe als Einbildung abgetan hätte.
 

Marco riss sich von dem faszinierenden Anblick los und beeilte sich, durch die sich nun rasch aufeinander zubewegenden Flügel des Tors zu huschen. Das Tor schloss sich mit einem dumpfen Donnern und sperrte die Scorn hinter ihnen ein. Dann ließ der junge Mann die Arme kraftlos sinken und taumelte ein paar Schritte zurück in Richtung des alten Truppentransporters, gegen den er sich abgekämpft mit dem Rücken lehnte.
 

Mit einem Mal war es sehr still. Die Scorn waren vorübergehend ausgebremst, doch Marco machte sich keine Illusionen. Ein Scornbau hatte immer mehrere Ausgänge und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Kreaturen ihre Fährte wieder aufnehmen würden. Aber zumindest für den Moment hatten sie sich eine Atempause geschaffen.
 

Marco sah sich kurz um - es war beinahe Vollmond und ein silbriger Schimmer lag über der Umgebung - dann näherte er sich dem jungen Mann mit langsamen Schritten und hob währenddessen das Katana auf, das dieser fallengelassen hatte.
 

Die Haut des Fremden - vorher von einer gesunden, goldenen Bräune - war nun fahl, der dunkle Kinnbart und die längeren Koteletten hoben sich deutlich von der blassen Haut seines Gesichtes ab. Er hatte die Augen geschlossen, unter denen jetzt dunkle Schatten lagen, doch als er sie wieder öffnete und Marco ansah, waren die Iriden grau wie zuvor.
 

»Alles in Ordnung…?«, fragte Marco vorsichtig und reichte dem anderen sein Schwert mit dem Griff voran zurück. Eigentlich hatte er gerade unzählige Fragen, aber er bezweifelte, dass er eine Antwort erhalten würde.
 

Der junge Mann sah ihn einen Augenblick nur stumm an - wahrscheinlich wunderte er sich, das Marco ihm die Waffe überhaupt zurück gab - nickte dann aber und nahm sein Schwert wortlos entgegen. Erst jetzt fiel Marco auf, dass die Finger und der Handrücken des Fremden tätowiert waren.
 

Kein Mann der großen Worte, hm? Marco behielt den anderen noch kurz analysierend im Auge, um sicherzugehen, dass er nicht doch aus den Latschen kippen würde, dann ging er neben dem Truppentransporter in die Hocke und tastete die Radkästen nach dem versteckten Öffnungsmechanismus ab, den jedes 'Newtech' Fahrzeug als Sicherung besaß.
 

Die Sicht verschwamm Marco kurz vor den Augen und er stützte sich mit einer Hand gegen den Radkasten, während er mit der anderen seine Augen rieb. Die Digitalanzeige am Rande seines Sichtfeldes verkündete, dass es bereits nach fünf Uhr morgens war. Offensichtlich hatten sie länger unter der Erde verbracht als anfänglich gedacht oder aber der Essomant im Krankenhaus hatte sie mit dem Portal nicht nur durch den Raum, sondern eben auch ein Stück weit durch die Zeit geschickt.
 

Die Uhrzeit, abflauendes Adrenalin und der Blutverlust schienen wohl langsam ihren Tribut zu fordern und Marco spürte die Erschöpfung hinterhältig in seine Knochen kriechen. Noch dazu blinkten einige verpasste Anrufe auf dem Display seiner Brillengläser, aber wichtiger war jetzt erst mal, dass sie hier weg kamen.
 

Mühsam stemmte er sich wieder nach oben, als er den gesuchten Knopf endlich gefunden hatte und sich die seitliche Luke des Transporters zischend öffnete. Der Geruch von Staub, altem Metall und abgestandener Luft schlug ihnen in einer Wolke entgegen.
 

Marco wollte gerade in den Wagen klettern, als ihn die Klinge des Katanas von seinem Vorhaben abhielt, da sie warnend vor seiner Kehle in der Luft stehen blieb - allerdings ein Stück weit entfernt und längst nicht so bedrohlich wie zuvor. Er blickte zur Seite. Der Gesichtsausdruck des jungen Mannes war noch immer beachtenswert stoisch, aber die kalkulierte Härte schien ein wenig aus seinem Blick gewichen zu sein.
 

»Wo ist meine Schwester?«
 

Marco ließ den Kopf abgeschlagen sinken, dann sah er den Mann neben sich aber wieder an und bemühte sich um einen möglichst neutralen und ruhigen Tonfall: »Hör' zu, ich verstehe, dass du Antworten willst. Die würde ich an deiner Stelle vermutlich auch wollen. Aber glaube mir, wenn ich dir sage, dass deine Schwester vermutlich gerade sicherer ist als wir und ich würde hier gern verschwinden, bevor noch mehr von den Viechern auftauchen...« Er deutete über seine Schulter und der stählerne Blick des Fremden folgte ihm nachdenklich. »Ich beantworte dir deine Fragen, wenn wir das Ding hier zum laufen und ein bisschen Abstand zwischen uns und diesen Bunker gebracht haben.«
 

Abwartend sah Marco den jungen Mann an und dieser senkte das Schwert nach einer Weile dann doch. Er schob die Klinge sogar zurück in die Halterung auf seinem Rücken. Dann kletterte er vor Marco in den alten Militärtransporter, als wollte er keine Zeit weiter mit unnützen Worten verschwenden.
 

Marco folgte ihm achselzuckend nach und zog die Luke hinter sich wieder zu. Die grünliche Innenbeleuchtung erwachte flackernd zum Leben und Marco musste sich ziemlich ducken, um in dem gedrungenen Innenraum nicht mit dem Kopf anzustoßen.
 

Er schwang sich auf den Fahrersitz und drückte ein paar Knöpfe, bevor er den alten Transporter zu starten versuchte - mit eher mäßigem Erfolg. Der Anlasser jaulte kläglich ein paar Mal auf, dann blieb es still. »Verflucht, komm' schon…«, flehte Marco zerknirscht und hämmerte den Handballen auf die Konsole, während der junge Mann auf dem Beifahrersitz Platz nahm.
 

Der nächste Versuch war erfolgreicher. Röhrend und hustend erwachte das alte Gefährt, die Displays schalteten sich flackernd ein und die Scheinwerfer rissen einen hellen Fetzen künstlichen Lichtes in die nächtliche Umgebung. Marco lehnte den Kopf zurück und schickte ein stummes Dankesgebet an den Himmel. Dann rammte er den Gang ein und lenkte den schwerfälligen Transporter die schmale Felsenstraße den Hügel hinunter.
 

Rings umher war nicht viel mehr als die eher karge Landschaft im Mondlicht zu erkennen, die Scheinwerfer beleuchteten einen staubigen, trockenen Steinpfad vor ihnen, der vom Regen ausgewaschen und abschüssig war. Marco hatte einige Mühe den breiten und schwerfälligen Transporter heil die kurvenreiche Strecke hinab zu bringen. Unten angekommen öffnete sich die Straße in eine weitläufige Ebene. In der Ferne waren die dunklen Schemen eines Waldgebietes zu erkennen.
 

»Ich gehe davon aus, dass deine Schwester bei Sha-… bei meinem Bekannten untergekommen ist. Als das Krankenhaus angegriffen wurde, wollten wir sie raus bringen, weil wir vermuteten, dass diese Söldner hinter ihr her waren«, wandte Marco sich dann pflichtschuldig an den jungen Mann neben sich, der ihn aufmerksam ansah. Inzwischen hatte sein Gesicht wieder mehr Farbe.
 

Kurz haderte Marco mit sich, ob er den Senat erwähnen sollte, aber schlußendlich entschied er sich dafür, denn der junge Mann würde sich vermutlich eh nicht von seiner Schwester fernhalten lassen und am Ende sowieso davon erfahren. »Er ist Senatsmitglied. Glaub' mir, bei ihm ist sie sicher.«
 

Der junge Mann schnaubte leise, fast höhnisch, als würde er das ernsthaft in Frage stellen, ließ aber sonst nicht wirklich erkennen, ob ihn diese Informationen zufrieden stimmten. Allgemein verriet sein Gesicht gar nichts, er hatte den Blick wieder nach vorn gewandt und starrte angestrengt in die Nacht hinaus. In seinem Kiefer zuckte ein Muskel. »Was kümmert den Senat meine Schwester?«
 

Marco klopfte mit dem Fingerknöchel gegen die Tankanzeige, die im bedrohlich roten Bereich zitterte. Leider änderte das nichts daran, dass ihr Tank so gut wie leer war. »Sie hat einen Mordanschlag in Shinjuku überlebt und ist damit vermutlich die einzige Zeugin. Der Senat will wissen, was sie gesehen hat.«
 

Der Fremde neben ihm versteifte sich merklich. »Was…«, die sonst eher samtige Stimme des jungen Mannes holperte kurz und der Hauch einer Emotion schimmerte hindurch. »Was fehlt ihr? Warum lag sie im Krankenhaus?«, krächzte er rau und Marco bemerkte aus dem Augenwinkel, dass er die Fäuste auf dem Schoß ballte.
 

Marco dachte angestrengt nach, wie man das wohl möglichst schonend erklären konnte. »Sie war vermutlich der Attacke eines ziemlich mächtigen Phobiokineten ausgesetzt. Ihr Verstand… hat schweren Schaden erlitten. Deshalb war ich dort. Ich bin Mentokinet und ich will versuchen, ihren Geist wiederherzustellen.«
 

Der Kopf des jungen Mannes ruckte zu ihm herum und in seinen Augen brannte ein silbernes Feuer. »Hat man den Verantwortlichen schon gefasst...?«, fragte er mit erschreckend ausdrucksloser Stimme. Marco hatte augenblicklich keine Mühe sich vorzustellen, dass er selbst nach Impel Down gehen würde, um Gerechtigkeit für seine Schwester einzufordern.
 

»Leider nein«, räumte Marco kopfschüttelnd ein. »Man hofft, dass deine Schwester Lamy bei der Aufklärung helfen kann, falls sie-... wenn sie wieder genesen ist«, erklärte er überzeugt.
 

»Glaubst du, das du ihr wirklich helfen kannst...?«, fragte der junge Mann tonlos. Es klang nicht zweifelnd, sondern war nur eine einfache Abwägung der Faktenlage.
 

»Ich denke schon«, versicherte Marco ernst und warf einen erneuten Seitenblick zu seinem Nebenmann, der ihn ergründend ansah. »Es wird Zeit brauchen, aber ja, ich glaube, ich kann sie heilen.« Und das tat er wirklich, bemerkte er in diesem Augenblick. Vielleicht hatte Shanks recht und er hatte seine Fähigkeiten zu lange vor der Welt verborgen, hätte vielleicht viel öfter schon Menschen helfen können...
 

Die goldenen Ohrringe des jungen Mannes schimmerten in dem grünlichen Licht der Transporterkonsole, als er jetzt die Arme vor der Brust verschränkte und sich in Schweigen hüllte. Damit war das Gespräch wohl fürs Erste beendet. Marco war das ganz recht, so konnte er endlich den wahrscheinlich längst überfälligen Anruf absetzen. Ihr quasi nicht mehr vorhandener Benzinvorrat ließ immerhin vermuten, dass es nicht mehr lang dauern konnte, bis der Transporter liegen blieb.
 

Jozu nahm schon nach dem ersten Klingeln ab und sein holographisches Abbild erschien auf dem Display von Marcos Brillengläsern. Der stämmige Sicherheitsmann wirkte geradezu erleichtert und bedeutete irgendjemanden außerhalb des Bildes, still zu sein. Das aufgeregte Stimmengewirr im Hintergrund erstarb augenblicklich. »Sir… Gott sei Dank, Sie leben! Wir haben uns alle verdammte Sorgen gemacht, nachdem uns der 'Red Force' Boss von den Vorfällen im Krankenhaus berichtet hat. Wo zum Teufel stecken Sie denn? Wir haben halb Shibuya nach Ihnen abgesucht!«
 

»Tja, das weiß ich leider auch nicht so genau…«, antwortete Marco mit einem schiefen Schmunzeln. Es war wirklich beruhigend, die Stimmen von zuhause zu hören. Plötzlich schoben sich die Gesichter von Izou, Thatch und Fossa ins Bild. »Oh mein Gott, Marco, du siehst ja furchtbar aus!«, war Thatch entsetzt - Thatch, der sonst nie vor sieben Uhr in der früh aufzustehen gedachte. Dementsprechend desolat sah er auch aus.
 

Jozu drängte die protestierenden Männer vehement wieder aus dem Sichtbereich und Marco fragte seinen Sicherheitschef: »Kannst du Sabo dazu schalten?«
 

»Natürlich, Sir. Ich glaube, er ist eh noch im Labor.«
 

Sabos blonder Schopf erschien jetzt im Split Screen, der technische Leiter ihrer Forschungsabteilung zog sich blaue Kopfhörer von den Ohren und selbst durch die Übertragung konnte Marco den lauten Bass der Musik hören. Der junge Techniker grinste breit und schob die Schutzbrille nach oben in seine wirren Haare, nachdem er den Schneidbrenner beiseite legte, mit dem er eben noch gearbeitet hatte.
 

»Hallo Marco!«, strahlte ihn die Frohnatur heiter an, beneidenswert frisch und munter trotz der Uhrzeit. »Oh... aber vermutlich sollte ich jetzt lieber sagen: 'Hey Boss'!?«, zwinkerte Sabo verschwörerisch.
 

Prima, die Nachricht hat sich ja offenbar schon schnell verbreitet... Marco griff über sich und schaltete an einem Hebel das Ortungssystem des Transporters ein, in der Hoffnung, dass es nach den vielen Jahren noch funktionieren würde. Seit dem Krieg verzichteten die meisten Menschen wohlweislich darauf, sich noch selbst GPS Sender implantieren zu lassen. »Sabo, ich bin in einem alten M380 'Newtech' Truppentransportpanzer unterwegs. Kannst du ihn für mich orten, wenn ich dir die Kennung durchgebe?«
 

Sabo schürzte die Lippen gespielt gekränkt. »Bitte beleidige mich nicht…«, dann ließ er lässig die Fingerknöchel knacken. »Das ist wohl eine meiner leichtesten Übungen. Schieß' los!«
 

Marco nannte dem jungen Techniker die nötigen Zahlen und wartete kurz, während Sabo die Daten in seinen PC hämmerte. Der Transporter rollte ächzend durch ein Schlagloch und der Motor röchelte bereits bedrohlich.
 

»Ich hab‘ ihn gefunden! Aber… warum zum Teufel bist du in der Präfektur Yamanashi? Ich orte den Transporter in der Nähe von Hokuto«, stellte Sabo mit verwirrt gerunzelter Stirn fest.
 

»Das ist eine lange Geschichte…«, antwortete Marco, in genau jenem Moment, indem der Transporter seinen Geist aufgab und stotternd sein Leben aushauchte. Marco fluchte und betätigte versuchsweise erneut die Zündung, doch der Motor blieb stumm. Resigniert fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare und schaltete die Scheinwerfer ab, damit zumindest noch ein wenig Energie für das Ortungssystem und die Heizung übrig blieb. »Jozu, schick' ein Team her, das uns abholen soll«, wies er seinen Sicherheitschef an.
 

»Uns?!«, fragte Jozu geschäftig nach, während er den anderen außerhalb des Sichtbereiches bereits knappe Anweisungen gab.
 

»Hm, ich habe Begleitung, eine weitere Person«, erwiderte Marco mit einem kurzen Seitenblick auf seinen schweigsamen Beifahrer. »Und bringt sicherheitshalber ein paar Waffen mit, gut möglich, dass Scorn in der Nähe sind«, informierte er noch.
 

Jozu nickte pflichtbewusst. »In Ordnung, Sir. Ich schick' ein Team raus. Lassen Sie das Ortungssystem laufen, wir beeilen uns.«
 

Marco beendete den Anruf und lehnte sich gegen die Kopfstütze, um zumindest für einen kurzen Moment die Augen zu schließen. Die Erschöpfung überrollte ihn mit einem Mal ziemlich hinterhältig. Träge tastete er nach der Wunde an seinem Oberarm. Sie blutete noch immer, wenn auch nicht mehr so stark wie zuvor. »Ich bin übrigens Marco«, holte er die wohl längst überfällige Vorstellung nach, um irgendwie wach zu bleiben. »Wie heißt du?«
 

Eine ganze Weile blieb es ruhig und Marco rechnete schon gar nicht mehr mit einer Antwort, doch dann durchschnitt die dunkle, doch angenehme Stimme des jungen Mannes die Stille. »Law.«
 

Marco drehte den Kopf langsam zu seinem Nebenmann, nur um verwundert dabei zuzusehen, wie der junge Mann die dunkle Schwertscheide ablegte und dann seine verschmierte Motorradjacke auszog. Er riss einen Ärmel seines schwarzen Longsleevs ruckartig an der Schulter ab und teilte den Stoff in einige, schmale Streifen. Weitere Tattoos kamen auf Laws Haut zum Vorschein, ein Muster auf seinem Unterarm und verschnörkelte Linien, die seinen Oberarm bedeckten. Unter der Farbe und der bronzenen Haut bewegten sich sehnige Muskeln.
 

Law war ziemlich irritiert von seinen eigenen Handlungen, als er sich jetzt auf dem Sitz drehte und den großen, blonden Kerl abschätzend musterte. Er sollte diesem fremden Mann eigentlich kein Stück weit über den Weg trauen und trotzdem verriet er ihm seinen Namen… und glaubte ihm sogar jedes Wort, jede Information, die er vorhin von ihm erhalten hatte.
 

Law hatte einen Großteil seines Lebens unter Lügnern und Täuschern verbracht, manchmal wusste er schon selbst noch kaum, was die Wahrheit oder was bloß Hinterlist war. Doch der Kerl neben ihm war nicht so - er war ganz anders als die Menschen, mit denen Law normalerweise zu tun hatte. Das war ihm schnell klar geworden, spätestens in dem Moment, als Marco sich in dem Bunkerlabor so völlig widersinnig und idiotisch zwischen ihn und den Scorn geworfen hatte.
 

Er selbst wäre vermutlich niemals so ein Risiko für einen völlig Fremden eingegangen. Er fand diese Handlungsweise lächerlich, töricht… und trotzdem unleugbar faszinierend, wie jemand so selbstlos sein konnte. Fast war Law versucht Marco danach zu fragen, zu ergründen, was ihn in diesem Moment wohl angetrieben hatte, doch er ließ es bleiben.
 

Der Kerl würde seine Schwester hoffentlich heilen und dann würden sich ihre Wege wieder trennen. Was sollte sie danach schon noch verbinden? All die Beziehungen und Kontakte in Laws Leben waren auf die ein oder andere Art und Weise kalkuliert und zweckmäßig… und trotzdem war er gerade drauf und dran, ganz unzweckmäßig die Verletzung des Blonden versorgen zu wollen. Er soll Lamy helfen, da kann ich wohl kaum riskieren, dass er am Ende an einer entzündeten Wunde stirbt..., rechtfertigte Law sein Vorhaben vor sich selbst.
 

»Lass‘ mich die Wunde ansehen«, verlangte er kühl, doch Marco schien sich an seiner rauen, distanzierten Tonlage nicht zu stören.
 

»Du musst wirklich ni-…«, wollte der stattdessen selbstlos abwehren.
 

»Nein, muss ich nicht«, stimmte Law ihm sachlich zu. »Aber ich will hier nicht nur tatenlos rumsitzen und das sollte behandelt werden, sonst kann es sich entzünden«, hielt er eigensinnig dagegen. Sein entschlossener Blick ließ eigentlich auch keine Widerrede zu.
 

Law würde wohl kaum zugeben, dass er sich irgendwie schuldig fühlte, weil Marco sich die Verletzung wegen ihm zugezogen hatte und er ihm deshalb helfen wollte. Absurd… wann hast du das letzte Mal schon wirklich so etwas wie Schuld empfunden!? Und er musste seinen Händen und seinen Gedanken irgendetwas zu tun geben, um sich von den erdrückenden Informationen abzulenken, die er erfahren hatte… und von der Tatsache, dass er gerade so gar nichts tun konnte.
 

Lamy war irgendwo in Tokio unter der Obhut eines Fremden und Zeugin in einem Mordfall und Doflamingo kümmerte das wahrscheinlich nicht mal sonderlich, obwohl der sie garantiert schon wieder auf so eine riskante Mission geschickt hatte – und er selbst hockte hier zusammen mit diesem großen Kerl in dieser beengenden Rostlaube, beschmiert von oben bis unten mit Scornblut, während seine Schwester unter den Augen des Senats in einem mentalen Koma lag, dem Wahnsinn vermutlich gerade näher als dem Leben… und ich kann sie nicht schon wieder verlieren... ich kann nicht...
 

Law verspannte sich sichtbar und biss die Zähne aufeinander. Er umklammerte das Stoffstück in seiner Hand so fest, dass seine Knöchel hervortraten und sich die Buchstaben auf seinen Fingern deutlich abzeichneten.
 

Marco sah ihn abwägend an und als würde er instinktiv spüren, dass Law eine Aufgabe bräuchte, befreite er seinen Arm dann doch umständlich aus dem zerfetzten Trenchcoat. Das dunkle Hemd darunter sah kaum besser aus und hing in blutigen Fetzen an dem überraschend kräftigen Oberarm des Blonden. »Na dann... viel Erfolg...«, murmelte Marco mit einem schiefen Schmunzeln.
 

»Ich vermute, das Hemd wirst du wohl eh nicht mehr tragen wollen…«, sagte Law trocken, wartete aber gar nicht auf eine Erwiderung, sondern riss die störenden Stoffreste vorsichtig ab, um die Wunde gänzlich offenzulegen. Die Scornklauen hatten sich tief ins Fleisch gegraben, aber soweit Law sehen konnte, waren zumindest keine Sehnen verletzt.
 

Law versuchte sich unter dem intensiven Blick Marcos nicht allzu unbehaglich zu fühlen, als er jetzt nach dessen Arm griff, um die tiefen Krallenspuren zumindest oberflächlich zu reinigen, mit einer Vorsicht, die er sich selbst kaum zugetraut hätte. Aber die Tatsache, dass er dem anderen vermutlich sein Leben verdankte, war schwer von der Hand zu weisen… und irgendwo in ihm war wohl doch noch nicht jegliche Emotion abgestorben.
 

Das freundliche Gesicht seines Vaters blitzte in Laws Erinnerung auf, der mit einem milden Lächeln vor ihm gehockt und ihm die aufgeschürften Knie nach einem Sturz sanft behandelt hatte. Sein Vater war ein warmherziger, ruhiger Mann gewesen und ein hervorragender Arzt, der Law schon in früher Kindheit gefördert und viel gelehrt hatte. Vielleicht, wenn die Dinge anders gelaufen wären, wäre er jetzt selbst inzwischen Arzt…
 

Law presste die Lippen aufeinander und schüttelte die bittere Erinnerung vehement ab. Er warf den blutigen Stofffetzen beiseite und griff nach einem weiteren, um nun damit zu beginnen, die Wunde zu verbinden. Er arbeitete schweigend und war dankbar, dass Marco ihm auch kein Gespräch aufzudrängen versuchte.
 

Ab und an hob Law doch den Blick von der Arbeit seiner Finger und musterte den anderen Mann verstohlen. Marco wirkte erschöpft, er hatte die Stirn seitlich gegen die Kopfstütze gelehnt und die Augen geschlossen. Obwohl es vermutlich verschwendete Zeit war, konnte Law nicht aus seiner Haut und versuchte seinen Gegenüber zu analysieren.
 

Marcos Alter war schwer zu schätzen, doch Law ordnete ihn in etwa auf Anfang Dreißig ein. Seine Klamotten - obwohl wie seine eigenen mit Scornblut getränkt - waren eindeutig Maßanfertigungen, schlicht, aber edel und mit Sicherheit kostspielig. Er hatte einen guten, aber nicht zwingend auffälligen Geschmack.
 

Für einen Typ, der aussah, als käme er eindeutig aus den reichen Vierteln Tokios, trug er die blonden Haare zu einem fast verwegenen Undercut geschnitten und über die markanten Kieferlinien und sein Kinn zog sich ein dezenter Bartschatten. Er sei Mentokinet, hatte er gesagt. Diese Art MAG war verflucht selten und Law zweifelte keine Sekunde daran, dass er wahrscheinlich im Moment tatsächlich die einzige Hoffnung für Lamy in ihrem Zustand war.
 

Marcos Schläfenimplantate trugen das Label der ‚Red Force‘, die teuerste und beste Marke für kybernetische Verbesserungen zur Zeit auf dem Markt. Ein einfacher Büroangestellter würde sich solche Implantate in Militärstandard wohl kaum implantieren und sicher auch nicht leisten können. Also musste er vermögend sein oder zumindest gute Beziehungen zur Upper Class haben.
 

Der Kerl konnte überraschend gut mit einer Schusswaffe umgehen, dass hatte er in dem Bunker vorhin mehr als einmal beeindruckend zur Schau gestellt. Er wirkte körperlich fit und seine Statur ließ einen trainierten Körperbau vermuten… War er Soldat? Vielleicht Bodyguard für einen dieser reichen Kerle, eventuell für diesen Bekannten aus dem Senat?
 

Law hob den Kopf von seiner Arbeit… und sah direkt in die wieder geöffneten, wirklich bemerkenswert blauen Augen des anderen, die ihn direkt anblickten. Um Marcos helle Iriden zogen sich golden schimmernde Kreise, ein Indiz dafür, dass vermutlich auch die Netzhäute operativ verbessert waren.

Law war so vertieft in seine Überlegungen und sein Tun gewesen, dass er um sich herum kaum noch etwas mitbekommen hatte. Eigentlich völlig untypisch für ihn.
 

Mit einem Räuspern beendete er sein Werk und knüpfte einen stabilen Knoten, um den provisorischen Verband an Ort und Stelle zu halten. »Es ist sicher nicht perfekt, aber es sollte für den Moment reichen. Du solltest das später nochmal richtig reinigen und behandeln lassen. Ich schätze, es werden aber trotzdem Narben zurückbleiben«, meinte Law tonlos. Dann zog er sich fast ein bisschen zu hastig auf den eigenen Platz zurück.
 

»Danke«, sagte Marco ehrlich und bewegte den Arm probehalber ein wenig. Der provisorische Verband hielt, war nicht zu straff, aber auch nicht zu locker. Eine recht perfekt Arbeit, viel zu akkurat für einen kompletten Laien.
 

Law ließ sich mit einem kleinen Nicken in seinen Sitz zurücksinken und zog seine gepolsterte Motorradjacke wieder über. Die Heizung lief zwar noch, doch das ausgekühlte Gefährt hatte kaum genügend Zeit gehabt, um ausreichend Wärme zu produzieren. Sein Schwert bettete er quer über seinen Oberschenkeln.
 

»Du hast ein Team angefordert und du kennst dich scheinbar gut mit dieser Technik hier aus...«, Law schloss mit einer knappen Handbewegung das Innere des Transporters ein. »Gehörst du zum Militär?«, fragte er scheinbar beiläufig, doch seine klugen, grauen Augen und der wachsame Blick straften seine ausdruckslosen Worte Lügen.
 

Marco ahnte, dass Law ihn einschätzen wollte - das er wissen wollte, mit wem er es zu tun hatte und wem er das Wohl seiner Schwester anvertrauen sollte. Er haderte einen Moment mit der Antwort, selbst unsicher, wieviel es klug wäre zu offenbaren. Immerhin war es ziemlich wahrscheinlich, dass Law wie seine Schwester für den Kartellkönig Joker arbeitete.  
 

»Ich… arbeite für die Newgate Corporation. Wir haben ein internes Sicherheitsteam«, antwortete er, was schlussendlich nicht gänzlich gelogen war. »Aber ich habe auch vor vierzehn Jahren im Militär gedient, als Japan sehr unter den Scorn litt. So ein altes Ding hat mir damals mehr als einmal den Arsch gerettet«, erklärte er und klopfte wohlwollend auf das Lenkrad des Transporters.
 

»Tatsächlich…«, erwiderte Law fast ein bisschen verblüfft. Zu der Zeit war er selbst gerade einmal zwölf Jahre alt gewesen und damit schien der Kerl doch älter zu sein, als er anfänglich gedacht hatte. Law hatte haarsträubende Geschichten von diesen Kämpfen damals gehört und jeder, der damals gedient hatte, musste die Hölle durchgemacht haben. »Deshalb konntest du dich also in diesen Tunneln so gut zurechtfinden…«, sagte Law und erkannte nüchtern, dass er ohne Marco da unten wahrscheinlich niemals wieder herausgekommen wäre.
 

»Hm… obwohl ich wirklich auf eine erneute Erfahrung dieser Art hätte verzichten können…«, murmelte Marco abgekämpft. Er zog den blutigen Trenchcoat wieder über seine Schultern und lehnte sich gegen den Sitz, das Gesicht Law noch zugewandt. »Ich saß mal drei Tage mit ein paar Kameraden in der Dunkelheit und Kälte eines Scornbaus fest... das war kein schönes Erlebnis... ich kann bis heute kaum unter die Erde gehen, ohne mit Panik kämpfen zu müssen«, gestand er rau und wusste eigentlich selbst gar nicht, warum er Law, den er kaum kannte, das erzählte, worüber er sonst nie mit irgendjemanden sprach.
 

Der junge Mann betrachtete ihn nachdenklich, dann sah er mit ernstem Gesicht wieder nach draußen, wo inzwischen die ersten, fahlen Ausläufer des Morgens über den Horizont krochen. »Dafür hast du dich wirklich gut dort unten geschlagen...«, meinte er geradeheraus, ohne einen Hauch von Spott. »Ich fürchte, ohne dich hätte ich dort niemals wieder lebend herausgefunden, also... Danke, dass du da warst«, sagte Law völlig überraschend und wandte sich Marco wieder zu. Sein Blick hatte sich verändert, war weniger distanziert und ließ vermuten, dass vielleicht nicht nur Marco mit Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen hatte...
 

Marco selbst zog einen Mundwinkel zu einem schiefen Schmunzeln nach oben. »Keine Ursache...«

Zeichen

Der 'Newtech' Slightjet zog einen trägen Kreis um den Newgate-Tower, bevor Curiel zum Landen auf der hauseigenen Plattform ansetzte, die sich seitlich wie ein überdimensionaler, ovaler Balkon an das obere Viertel des Gebäudes schmiegte.
 

Inzwischen war die Sonne über den Horizont gekrochen und die Stadt erwacht. Die Automobile und Menschen huschten von hier oben gesehen wie Ameisen durch die Straßen und wo die Neonbanner der Stadt bei Nacht einen futuristisch geheimnisvollen Hauch verliehen, wirkte Tokio bei Tage geradezu langweilig. Nur eine weitere, übervolle Megametropole, die den Glamour der Nacht abgeworfen hatte und nun ernüchternd kalt und grau und reizlos war.
 

Marco sprang aus dem eben gelandeten Jet und duckte sich unter der dröhnenden Zugluft der horizontalen Turbinen hinweg, die seine Haare und seinen Mantel aufwirbelten. Hinter ihm kam Law dicht auf, der seine Jacke über der Brust festhielt und sich beeilte, dem Blonden zu folgen.
 

Jozu wartete mit verschränkten Armen wie ein unbezwingbarer Felsen bei der Tür zum Fahrstuhl, neben ihm Kalifa, die ihren Rock und die ordentliche Hochsteckfrisur hinter Jozus massiger Gestalt vor dem scharfen Wind zu schützen versuchte. Es war selbstverständlich, dass das Sicherheitsteam am Wochenende arbeitete, aber das Kalifa ebenfalls hier war, überraschte Marco dann doch.
 

Kalifa wirkte erleichtert, als Marco und Law bei ihnen ankamen, Jozu stattdessen musterte den jungen Mann hinter Marco grimmig und mit professionellem Blick, als wollte er das Gefahrenpotenzial abschätzen, das er hier womöglich zu erwarten hätte.
 

»Sie wissen schon, dass Sie eigentlich Wochenende haben...?!«, fragte Marco an Kalifa gewandt, wobei er die Stimme ein wenig hob, um die langsam herabdrehenden Turbinen des Jets zu übertönen.
 

Kalifa schmunzelte leicht. »Ihr Vater bat mich, noch ein paar... organisatorische Dinge zu übernehmen und da konnte ich natürlich nicht Nein sagen. Und so wie ich das hier sehe«, sie musterte Marcos und Laws desolate Erscheinungen über ihre schmale, randlose Brille hinweg, »ist es wohl gut, dass ich da bin. Ich habe ihnen bereits frische Kleidung geordert.«
 

»Sie sind ein Engel«, meinte Marco dankbar und das entlockte der strengen Assistentin ein aufrichtiges Lächeln.
 

Hinter ihnen kamen nun auch Izou und Namur herangetrottet, beide hatten ihre Gewehre geschultert und blieben hinter ihnen in einem unauffälligem, doch präsentem Abstand stehen. Curiel indes war der Letzte, der den Jet verließ, doch er widmete sich noch den routinierten Sicherheits- und Wartungschecks des Flugzeuges. Als ihr bester, hauseigener Pilot war ihm besonders daran gelegen, dass es der Technik an nichts fehlte.
 

Sie betraten nun zu sechst den Lift, wobei Namur und Izou sich wie zufällig rechts und links von Law positionierten. Auf Marcos Anweisung hin hatten sie ihm sein Katana zwar gelassen, doch das hieß natürlich nicht, dass sie dem unbekannten, jungen Mann vertrauten. Jozu hatte seinen Leuten sicher die eindeutige Anweisung gegeben, Law nicht aus den Augen zu lassen.
 

»Ich lasse Ihnen die frische Kleidung in den Freizeitbereich der Mitarbeiter bringen, Phoenix-san. Sicher wollen Sie und Ihr Begleiter erst einmal eine Dusche nehmen. Danach steht auf der Gästeetage ein Frühstück für sie bereit und Mister Force erwartet sie dort. Wir haben eines der Gästezimmer zu einer provisorischen Krankenstation für die junge Frau umgestaltet, die hierher gebracht wurde«, teilte Kalifa Marco geschäftig mit, während sie nebenher ein paar Punkte auf ihrem Digitalpad abhakte.
 

Marco bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Law sich rührte und wahrscheinlich schon etwas sagen wollte... und sofort zuckten Izous und Namurs Hände zu ihren Waffen. Doch im nächsten Moment schien er es sich anders zu überlegen und schwieg, wenngleich ein spöttischer Ausdruck über sein Gesicht huschte, als er die Reaktion der Männer bemerkte. Marco vermutete, dass Law eigentlich schnellstmöglich zu seiner Schwester wollte, doch offenbar schien er einzusehen, das sie so verdreckt vielleicht nicht unbedingt bei dem komatösen Mädchen auftauchen sollten.
 

Sie erreichten die Ebene mit dem Freizeitbereich für die Mitarbeiter, der unter anderem ein gut ausgestattetes Fitnessstudio, eine kleine Saunalandschaft und einen eigenen Sanitärbereich beherbergte. Jozu versuchte noch mit Marco zu diskutieren, da er darauf bestehen wollte, dass Namur und Izou sie begleiten sollten, doch Marco wehrte das entschieden ab, obwohl er Jozus Sorge durchaus verstehen konnte. Unzufrieden musste sich der Sicherheitschef trotzdem geschlagen geben und zog mit seinen Männern und Kalifa ab. Damit waren Marco und Law allein.
 

»Tut mir leid, sie sind ein wenig nervös, wenn Fremde im Haus sind...«, erklärte Marco mit einem nachsichtigen Lächeln. Er selbst machte sich keine sonderlichen Sorgen, dass der junge Mann ihn hinterrücks ermorden könnte - was hätte der auch schon davon? Er hätte in den letzten Stunden wohl mehr als einmal die Möglichkeit gehabt, Marco sein Katana zwischen die Rippen zu jagen.
 

»Das ist schon in Ordnung. Ich würde Fremde in meinem Haus sicher auch nicht aus den Augen lassen...«, räumte Law achselzuckend ein, während er neben Marco herging und sich aufmerksam umsah. Allgemein wirkte der junge Mann stets und ständig wachsam und Marco fragte sich unwillkürlich, ob er seine Deckung eigentlich jemals fallen ließ.
 

Wie versprochen lagen ein paar einfache, aber saubere Wechselsachen für sie bereit, die wahrscheinlich dem Fundus der Arbeitskleidung für die Mitarbeiter entstammten. Es gab getrennte Duschbereiche und sie zogen sich jeweils in einen davon zurück. Marco war mehr als froh, die mit Scornblut getränkten Klamotten endlich los zu werden und quälte sich ein wenig umständlich aus seinem zerfetzten Hemd. Er war gerade dabei den Gürtel seiner Hose zu öffnen, als ihn ein Räuspern unterbrach und er sich umsah.
 

Law stand hinter ihm, barfuß, sonst aber noch völlig bekleidet, und starrte fast ein wenig überrascht auf Marcos nackten Rücken. Doch er besann sich schnell und deutete erklärend auf den provisorischen Verband an Marcos Arm. »Ich... dachte, du brauchst vielleicht Hilfe mit dem Verband, damit du die Wunde mit klarem Wasser auswaschen kannst. Dann sollte das aber definitiv nochmals gründlich desinfiziert werden.«
 

Marco war ein wenig verwundert über die unerwartete Fürsorge, nickte Law aber einwilligend zu und dieser kam zu ihm herüber, um ihm die blutigen Stoffstreifen vorsichtig abzuwickeln. Allein mit einer Hand hätte Marco wahrscheinlich wirklich Probleme damit gehabt.
 

»Ein beeindruckendes Tattoo...«, meinte der junge Mann dann aus heiterem Himmel und Marco blinzelte, bevor er begriff, dass Law wohl deshalb eben so überrascht gewesen war, weil er die riesigen, türkisflammenden Phönixschwingen gesehen hatte, die Marco auf den Rücken tätowiert trug und die seine Schulterblätter überspannten.
 

»Eine unbedachte Jugendsünde...«, erklärte Marco leichthin und Law hob für einen Moment den Blick, um ihn mit leicht schräg gelegtem Kopf forschend und kritisch gehobener Braue anzusehen. »Na schön... so unüberlegt war es nicht. Es hat eine ziemlich theatralische Bedeutung für mich, eigentlich recht albern und banal und wenn ich von einer Jugendsünde rede, klingt's einfach verwegener...«, gestand Marco dann mit einem schiefen Grinsen.
 

Marco hätte es kaum für möglich gehalten, doch ein winziges Schmunzeln zupfte an Laws Mundwinkeln, aber er senkte den Blick rasch wieder auf seine Finger, die geschickt und fliegend den Verband lösten. Eigentlich hätte Marco Law gern nach der Bedeutung seiner Tattoos gefragt, vor allem, als er jetzt die Ausläufer eines weiteren Tattoos auf der Brust des jungen Mannes unter dem runden Halsausschnitt des kaputten Shirts hervorlugen sah, doch vermutlich wäre das schlichtweg unpassend und viel zu privat, immerhin kannten sie sich... wie lang? Vielleicht acht Stunden?!
 

Nachdem Law fertig war, zog er sich auch schon wieder zurück und ließ Marco allein. Nach der längst überfälligen Dusche machten sie sich dann auf in die Gästeetage des Towers. Kalifa hatte Laws Konfektionsgröße mit nur einem Blick beinahe perfekt abgeschätzt, bemerkte Marco erstaunt. Der junge Mann trug jetzt ein einfaches, dunkles Poloshirt und eine lockere Stoffhose, in denen sein schlanker, aber trainierter Körperbau wesentlich sichtbarer war als in den Motorradklamotten zuvor.
 

Sie verließen den Lift und betraten den großen, gemütlichen Aufenthaltsraum, der den Ausgangsbereich zum Gästetrakt des Towers darstellte. Das Zentrum des Raumes bildete ein flaches Podest aus dem Holz der japanischen Zeder. Darauf stand ein langer, niedriger Tisch und darum waren viele, dezent farbige Zabuton drapiert. Es gab eine europäisch angehauchte, gemütliche Sitz- und Leseecke mit einem gut bestückten Bücherregal und einem modernen Flat-Screen an der Wand, in einer weiteren Ecke stand ein kleiner Tisch mit einem Shogi-Brett neben einem herrlich bewachsenen Zimmerbrunnen.
 

Mannshohe, schlanke Bambusstängel dienten als Begrünung und gleichzeitig als Raumtrenner. Eine Seite des Zimmers bestand aus einem riesigen Panoramafenster, gerahmt von kunstvoll und akkurat geschnittenen Bonsai-Bäumen in schlichten Tontöpfen. Die mechanischen Außenjalousien hatten sich dem Stand der Sonne automatisch angepasst und ließen sanftes Morgenlicht herein.
 

Auf dem Tisch in der Mitte war ein üppiges Frühstücksbuffet angerichtet und dort saßen Shanks und eine dunkelhaarige Frau, die jetzt ihr gedämpftes Gespräch unterbrachen, als Marco und Law den Raum betraten. Die beiden erhoben sich von ihrem Platz und kamen zu ihnen herüber. Die unbekannte Frau trug einen einfachen, cremefarbenen Cardigan, darunter einen schlichten Pullover und eine legere, dunkle Hose. Ihr Haar war zu einem zweckmäßigen Zopf gebunden. Sie verbeugte sich höflich, bevor sie ihnen freundlich entgegen lächelte.
 

Ihr Haar hatte einen satten, dunklen Ton mit einem Hauch von Grün darin und ihre Augen strahlten in einem kräftigen Braun. Sie war keine überragende Schönheit, doch ihre warmherzige Aura und ihr offenes Lächeln, das ihr Gesicht zum Leuchten brachte, machten sie durchaus attraktiv.
 

Shanks musterte Law nachdenklich, schien sich in der Hinsicht aber auf Marcos Urteilsvermögen zu verlassen und stellte dessen Hiersein damit auch nicht weiter in Frage. Während ihres Rückfluges hatte Marco Shanks mit einer knappen Chatnachricht auf den aktuellsten Stand der Geschehnisse gebracht.
 

Shanks wandte sich an Marco und meinte ehrlich: »Ich bin froh, dass ihr aus diesem Scornbau in einem Stück rausgekommen seid… ich hätte mir wohl ernsthaft Vorwürfe machen müssen, wenn ich dich schon kurz nach deiner Ernennung verloren hätte. Wie hätte ich das dem restlichen Senat erklären sollen, hm?« Sein Grinsen wirkte nicht ganz so lässig wie sonst und Marco bekam den Eindruck, dass Shanks dies wohl durchaus ernst meinte.
 

Aus dem Augenwinkel bemerkte Marco Laws forschenden Blick und ihm fiel ein, dass er dem jungen Mann ja nicht gesagt hatte, dass er ebenfalls zum Senat gehörte, doch Shanks fuhr bereits fort: »Wir müssen uns sicher so einiges erzählen, aber zuallererst… meine Herren, das ist Makino«, stellte er die Frau an seiner Seite vor. »Meine Haus- und Hofzauberin und...-«
 

»Seine Ärztin«, verbesserte Makino ihn augenrollend. »Manchmal auch sein schlechtes Gewissen, je nachdem, was er gerade braucht...«, meinte sie mit einem schelmischen Augenzwinkern. Marco musste schmunzeln und fand sie gleich sympathisch. »Sie sind sicher Marco Phoenix«, wandte sich Makino an den Blonden. »Es freut mich, Sie endlich persönlich kennen lernen zu dürfen. Shanks hat schon viel von Ihnen erzählt.«
 

»Ach tatsächlich...?«, fragte Marco eher besorgt.
 

»Natürlich nur die guten Sachen«, warf Shanks beschwichtigend ein. »Dass du ein grandioser Langweiler bist und... - Au!«
 

Makinos Ellenbogen traf den rothaarigen Konzerner in die Rippen, während sie Marco ein entschuldigendes Lächeln schenkte. Shanks rieb sich mit vorgeschobener Unterlippe die Seite, doch er hielt die Klappe und beschwerte sich gar nicht, was man als durchaus interessantes Zeichen werten konnte.
 

»Makino ist eine der besten Ärztinnen des Landes und eine Koryphäe in der Transplantationchirurgie. Normalerweise arbeitet sie in meiner Hauptniederlassung in Osaka. Ich habe sie extra einfliegen lassen. Sie wird für die Dauer der Behandlung die körperliche Gesundheit unserer jungen Patientin überwachen«, erklärte Shanks nicht ohne gewissen Stolz in der Stimme und überraschend lammfromm.
 

Makinos kluge, dunkle Augen sahen nun Law an, der bisher merklich angespannt, aber schweigsam ein wenig hinter Marco gestanden hatte. Sie schenkte ihm ein einnehmendes Lächeln. »Sie müssen der Bruder der Patientin sein. Kommen Sie, Sie wollen Ihre Schwester sicher sehen«, sagte sie und wies ihm den Weg mit einer einladenden Handbewegung in Richtung eines der Gästezimmer.
 

Law folgte der Ärztin nach, Marco und Shanks ebenfalls, doch blieben beide im Türrahmen des Zimmers stehen, das man tatsächlich innerhalb kürzester Zeit zu einer passablen, kleinen Krankenstation umgestaltet hatte. Marco musste Kalifa bei Gelegenheit unbedingt für die tadellose Organisation danken, die Frau war einfach unbezahlbar.
 

Law setzte sich an das Bett seiner Schwester und griff behutsam nach ihrer Hand, während Makino ihm mit ruhiger Stimme ein knappes Update über den Gesundheitszustand der jungen Frau gab. Sein Gesicht blieb weitestgehend recht beherrscht, doch er hielt die Finger seiner Schwester so vorsichtig, als hätte er Angst sie zu zerbrechen und strich ihr zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht. Eigentümlich gefesselt beobachtete Marco den jungen Mann, der selbst jetzt so kontrolliert wirkte und kaum etwas von dem preisgab, was in ihm vorgehen mochte.
 

Marco fiel etwas ein und er fragte Shanks: »Hast du schon mal davon gehört, dass sich die Augenfarbe ändern kann, wenn ein MAG seine Kräfte benutzt?« Die goldenen Augen des jungen Mannes wollten ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen und er weigerte sich, das, was er bei dem Bunker gesehen hatte, als schlichte Halluzination abzutun.
 

Shanks runzelte die Stirn und wirkte verwundert. Er schüttelte den Kopf. »Nein, noch nie. Warum fragst du?«

»Ach, ich hab' da neulich nur mal etwas gelesen...«, wiegelte Marco ab. »Vergiss es, war nicht so wichtig...«
 

»Du weißt schon, dass dein neuer Freund mit ziemlicher Sicherheit auch zum Jokerkartell gehört, oder?«, fragte Shanks nun leise, mit verschränkten Armen an den Türrahmen gelehnt, während seine wachsamen Augen Law keine Sekunde aus den Augen ließen. Allein, wenn er Makino ansah, wurde sein Ausdruck merklich weicher, was Marco interessiert zur Kenntnis nahm.
 

»Er scheint in Ordnung zu sein. Und wenn es nötig ist, dann bürge ich auch für ihn...«, stellte Marco entschieden klar, was Shanks verwundert eine Braue heben ließ. Marco deutete auf das Siegel an seinem Handgelenk. »Das muss ja schließlich zu etwas nütze sein...«
 

Shanks schüttelte nur mit einem Schnauben den Kopf. »Noch immer der unverbesserliche Menschenfreund, hm?! Ich kann dir nur raten, vorsichtig zu sein. Über seine Schwester ist schon wenig bekannt, aber über ihn...«, Shanks machte eine verpuffende Bewegung mit den kybernetischen Fingern, »... quasi gar nichts, flüchtig wie ein Nebelfetzen. Und es gibt Gerüchte, dass Joker einen sehr fähigen, persönlichen Assassine in seinen Reihen beschäftigt, mehr Geist als Mensch, dem selbst ziemlich viele hartgesottene Hunde in Downtown nicht im Dunkeln begegnen wollen...«
 

»Was willst du damit sagen? Soll ich mir etwa Bannsprüche an den Türrahmen nageln!?«, fragte Marco spöttisch.

»Ich will gar nichts sagen. Sei einfach nicht so arglos. Im Moment mag er zahm sein, da er etwas von dir will und sicherlich kann er nützlich sein, aber du solltest ihm kein Stück weit über den Weg trauen.«

»Danke, aber ich glaube, ich bin alt genug, um zu wissen, was ich tue...«, meinte Marco kühl.
 

Shanks' Blick ließ vermuten, dass er davon weniger überzeugt war, doch er beließ es mit einem Achselzucken dabei. Er wechselte das Thema und nickte zu seiner Ärztin hin, die ihrer jungen Patientin gerade eine Infusion für die künstliche Ernährung setzte. Solange Lamy so apathisch war, konnte sie nur auf diesem Weg versorgt werden. »Makino ist nicht nur wegen dem Mädchen hier...«
 

Marco sah Shanks fragend an und der gab ihm mit einem Wink zu verstehen, dass sie sich ein wenig von dem Zimmer entfernen sollten. Draußen vor der Tür zog er einen kleinen, transportablen Holotransmitter aus der Hosentasche und aktivierte diesen in seiner Handfläche, woraufhin ein Bild projiziert wurde. »Während du mit Jokers Herzbube feucht-fröhliche Abenteuer erlebt hast, habe ich die Überwachungsaufnahmen des Krankenhauses angefordert und nochmal genauer unter die Lupe genommen. Viel brauchbares war nicht dabei, diese Söldner waren eindeutig Profis, die wussten, was sie tun, aber mir ist das hier aufgefallen…«
 

Shanks zoomte einen körnigen, einfarbigen Ausschnitt heran, der eine Handvoll der gut ausgestatteten Söldner eingefroren in der Bewegung zeigte, bis nur noch einer der schwer bewaffneten Gestalten im Fokus war - der Mann zielte mit seinem Sturmgewehr um eine Ecke und entblößte ein Stück seines Halses, knapp unter seinem Ohr, nicht verdeckt vom Helm und auf diesem Stückchen Haut…
 

»Ist das ein Tattoo?!« Marco verengte die Augen und lehnte sich näher. Das Zeichen war klein, fast zu übersehen und schnörkellos. Ein perfekter Kreis, vertikal durchbohrt von einem langen Strich, der nach oben aus dem Kreis ragte und spitz zulief. »Sagt dir dieses Symbol etwas?«
 

Shanks Gesichtsausdruck wurde finster. Jegliche Lockerheit der letzten Minuten war verschwunden und zurück blieb nur die harte Maske des Senatsvollstreckers. »Nein, und ich würde dem wahrscheinlich auch gar nicht so viel Wert beimessen, wenn ich nicht durch Zufall gestern das hier bekommen hätte…« Er schloss die Aufnahme des Krankenhauses und wischte mit der Fingerspitze durch ein paar Unterordner seiner gespeicherten Dateien auf der Holooberfläche, bis er die Gesuchte gefunden hatte. Er tippte sie an projizierte diese ebenfalls über seine Handfläche.
 

Das Bild zeigte jetzt Shanks, der einen dunkelgrauen, schlichten Anzug und eine getönte Brille trug. Er schien sich auf dem Hinterhof eines alten, traditionellen Izakaya mit einer Gruppe ebenso dunkel gekleideter Männer zu treffen - auf dem Bild reichte er einem von ihnen gerade die rechte Hand, in der Linken trug er einen silbernen Aktenkoffer. Die anderen standen um sie in einem Halbkreis und überwachten die Umgebung. Die ganze Szenerie wirkte schon ziemlich klischeehaft zwielichtig.
 

»Weißt du, was das Interessanteste an diesem Bild ist...?«, fragte Shanks.

»Dass du aussiehst wie der abgebrannte Abklatsch eines Yakuza?!«

»... dass es vorgestern Abend aufgenommen wurde, in Osaka, als ich bereits im Flugzeug nach Tokio saß.«
 

Marco stockte und musterte Shanks ungläubig, dann sah er sich den Bildausschnitt nochmals genauer an. Die gedämpfte Neonreklame beleuchtete die Gesichter zwar nur ungenügend und der dichte Dunst aus der Kneipenküche machte das Bild verwaschen, aber das war eindeutig Shanks - die gleiche legere, doch unterbewusst bedrohliche Ausstrahlung, die unverkennbar roten Haare, selbst das spöttische Grinsen auf den Lippen. »Unglaublich…«, murmelte er fassungslos.
 

»Ja, schrecklich, nicht wahr?! Ich meine, so etwas würde ich nie im Leben anziehen, schau' dir diesen Schnitt nur mal an! Grauenhaft!«, empörte sich Shanks beleidigt. »Wer auch immer mich da nachgeahmt hat, hat keinen Sinn für Ästhetik...«, urteilte er scheinbar gleichmütig, doch seine funkensprühenden Augen straften seine lockeren Worte Lügen. »Aber... spannend ist doch das hier.«
 

Wieder zoomte Shanks einen Ausschnitt des Bildes mit aufgespreizten Fingerspitzen heran, auf dem einer der Männer, mit denen er sich augenscheinlich traf, im Profil gut zu erkennen war. Er hatte das gleiche Symbol auf den Hals tätowiert wie der Söldner im Krankenhaus. »Ich habe bei den Aufnahmen der Klinik dann nochmals genauer nachgesehen… Marco, einige von denen hatten kybernetische Verbesserungen der 'Red Force'.«
 

»Bist du sicher...?«, fragte Marco zweifelnd, denn die Tragweite dieser Wahrheit wäre verheerend. Wurde Shanks' Firma unterwandert?

»Ziemlich sicher, ich kenne meine Produkte…«, knurrte der rothaarige Konzerner merklich angefressen. »Und die verkaufe ich für gewöhnlich nicht an terroristische Söldnergruppierungen...«
 

Marco fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und ließ seine Hand im Nacken liegen. Er zog die Stirn düster in Falten. »Also haben wir es vermutlich auch bei den Morden nicht nur mit einem Einzeltäter zu tun. Das scheint eine Organisation zu sein und viel weitreichendere Kreise zu ziehen, als anfänglich angenommen«, fasste er nüchtern zusammen. Shanks pflichtete ihm mit einem knappen Kopfnicken bei. Der Rothaarige wirkte ernsthaft besorgt und das gab wiederum Marco wirklich zu denken.
 

»Ja, zu diesem Schluss bin ich auch gekommen… und das gefällt mir alles immer weniger.« Shanks beendete die Projektion und ließ das kleine Gerät wieder in seiner Hosentasche verschwinden. »Es wusste so gut wie niemand, dass ich auf dem Weg nach Tokio bin, weil es eine Senatsangelegenheit ist. Das ist für mich besonders beunruhigend. Also, wer auch immer das auf diesem Bild war, derjenige ist erschreckend gut informiert über mich, über meinen Tagesablauf, wahrscheinlich auch über meine sonstigen Gewohnheiten. Ich weiß nicht, wie lange das schon geht oder wer dahinter steckt, aber ich muss diese undichte Stelle in meiner Firma finden und bis dahin kann ich niemandem in meinem Umfeld trauen…«
 

Verständlich. Ein ranghoher Gestaltwandler, ein sogenannter Dermamant, konnte nicht nur das Aussehen, sondern unter Umständen auch jegliche genetische Eigenschaften wie die Netzhautbeschaffenheit oder Fingerabdrücke nachbilden... falls er an eine entsprechende Probe seines Originals herankam. Somit wäre Shanks‘ Doppelgänger in der Lage jegliche Sicherheitsvorkehrungen, sei es in seinem Heim oder seiner Firma, zu umgehen.
 

»Woher hast du das Foto eigentlich...«, fragte Marco.

Shanks schnaubte und winkte ab. »Eine absurde Geschichte. Ein alter Rivale ist schon seit Jahren davon besessen, mich in einer kompromittierenden Situation zu erwischen, um mir das Leben schwer machen zu können. Er hat diesen Schnappschuss an einen befreundeten Journalisten geschickt und der hat mich informiert, was in diesem Fall ein mehr als glücklicher Zufall war. Mein alter Freund würde sich wahrscheinlich in den Hintern beißen, wenn er wüsste, dass er mir dadurch unbeabsichtigt geholfen hat...«
 

Shanks sah Marco jetzt sehr ernst an, jeglicher Schalk war aus seinen Augen verschwunden. »Deshalb habe ich Makino hierher beordert. Das Mädchen war ein willkommener Vorwand, denn freiwillig wäre diese sture Frau wohl niemals gegangen…«, ein nachsichtiges, fast zärtliches Lächeln zog für einen Augenblick an seinen Lippen, »Marco, sie und das Mädchen, du musst sie beschützen, wenn ich zurück nach Osaka gehe, um Antworten zu finden. Kann ich dich darum bitten? Du und Edward, ihr seid die Einzigen, denen ich im Moment vorbehaltlos vertrauen kann.«
 

»Natürlich, keine Frage,« sagte Marco sofort. »Sie kann hierbleiben, so lang du es für nötig erachtest.«
 

»Danke…«, wisperte Shanks ehrlich erleichtert und legte Marco kurz die Hand auf die Schulter, um diese dankbar zu drücken. Sie mochten in der Vergangenheit nicht immer einer Meinung gewesen sein, doch sie wussten, dass sie sich im Ernstfall aufeinander verlassen konnten.
 

Makino kam nun zu ihnen herüber und als hätten sie sich die letzten Minuten bloß über das Wetter unterhalten, löste sich jegliche Anspannung aus Shanks' Gestalt und machte einem verschmitzten Grinsen Platz, das er seiner Ärztin wie eine Provokation entgegen warf. Makinos Mundwinkel zuckten ebenfalls, doch sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf Marco. »Mister Phoenix, der junge Mann sagte mir, Sie wurden durch eine Scornklaue verletzt. Darf ich mir das bitte ansehen?«, fragte sie freundlich und wies auf die Untersuchungsliege im Raum, bevor sie ihre Einweghandschuhe abzog und sich die Hände am Spender an der Tür desinfizierte.
 

Marco blickte kurz zu Law hinüber, der jedoch am Bett seiner Schwester saß und weiterhin völlig auf die junge Frau fixiert schien. »Oh, das ist wirklich nicht so dring-…«
 

»Nein, lass' es«, hob Shanks eine Hand und unterbrach Marco damit entschieden. »Versuch' gar nicht erst, den starken Mann zu markieren. Sie wird nicht eher Ruhe geben, bis du dich ergibst«, prophezeite er unheilvoll.
 

Makino hob das Kinn. »Männer sollten endlich begreifen, dass keine Heldenhaftigkeit darin liegt, den Helden nur zu spielen…«, wies sie den Rothaarigen keck zurecht. Ihre Augen funkelten vergnügt und Shanks grinste als Antwort.
 

Marco fügte sich, immerhin wollte er sich auch nicht lächerlich machen und wahrscheinlich wäre es tatsächlich besser, die Wunde ordentlich versorgen zu lassen. Er setzte sich auf die Liege und schob den Ärmel seines lockeren Shirts hoch. Makino zog sich frische Handschuhe über und begann die Verletzung nun sanft zu desinfizieren. Dabei meinte sie anerkennend: »Trafalgar Law hat eine gute Erstversorgung geleistet, dadurch hat sich die Wunde nicht entzündet. Sie hatten Glück, ich habe schon ganz andere Scornverletzungen gesehen... und die sahen bei weitem nicht so harmlos aus, das können Sie mir glauben.«
 

»Nun, ich schätze, Blumen sind nicht so sein Ding... vielleicht haben Sie eine Idee, wie ich mich angemessen erkenntlich zeigen kann, dass ich doch noch nicht ins Gras beißen muss?!«, fragte Marco die Ärztin leise und mit einem schrägen Grinsen.
 

Makino sah flüchtig auf und musste ebenfalls schmunzeln. »Ich denke, wenn Sie seiner Schwester wirklich helfen können, wird das bestimmt mehr als ausreichend sein.« Sie sah kurz über die Schulter zu ihrer Patientin. »Sie ist noch so jung, hat ihr ganzes Leben noch vor sich. Sie sollte wirklich nicht in diesem Zustand sein...«
 

Shanks war derweil zu den Geschwistern hinüber getreten. Law sah sofort auf, wie ein Raubtier, das Gefahr witterte. Sein Gesichtsausdruck wurde fast noch verschlossener, als er den rothaarigen Konzerner abschätzend musterte, der mit lässig in den Hosentaschen vergrabenen Händen vor dem Krankenbett stehen blieb.
 

Fast beschützend legte Law eine tätowierte Hand auf die Bettdecke seiner Schwester und jegliche Sanftheit verschwand aus seinem Blick. Zurück blieben nur eine unausgesprochene Drohung, Stahl und Eis und Feuer - eine ungeheuer fesselnde Mischung, wie Marco fand.
 

Einen Moment betrachtete Shanks Law und dessen Schwester nachdenklich, dann verlangte er übergangslos von dem jungen Mann: »Erzähl' mir, was im Krankenhaus passiert ist.«
 

In Laws Augen flammte sofort Widerstand auf. Anscheinend konnte er mit dieser herrischen Art wenig anfangen oder es weckte ungute Assoziationen in ihm. Selbst Marco zog die Brauen missbilligend bei diesem barschen Tonfall zusammen. Vielleicht mochte Law zu Jokers Kartell gehören, doch das war aus Marcos Sicht schlichtweg kein Grund ihn vorzuverurteilen, immerhin hatte sich der junge Mann bisher nichts zu schulden kommen lassen.
 

»Ich glaube, was Shanks gerade eigentlich fragen wollte, bevor er seine Manieren vergessen hat...«, warf Marco bestimmt ein und ignorierte Shanks' spöttisches Schnauben, »... würdest du uns bitte berichten, was aus deiner Sicht im Krankenhaus vorgefallen ist?« Makino grinste verstohlen, während sie Marco den frischen Verband um den Oberarm wickelte.
 

Law schien noch einen Moment mit sich zu hadern und sah seine Schwester an, als könnte ihm das stumme Mädchen eine Antwort auf eine unausgesprochene Frage liefern, bevor er die Geschehnisse knapp und sachlich zusammenfasste: Er hatte Lamy gesucht und herausgefunden, dass sie im Krankenhaus in Shinjuku lag. Dort hatte man ihn selbst als Angehörigen nicht zu seiner Schwester vorgelassen und das hatte ihn misstrauisch gemacht. Er hatte einen Mann bemerkt, der sich ebenfalls nach seiner Schwester erkundigt hatte und weil er diesen nicht kannte, war Law ihm gefolgt, als der das Krankenhaus wieder verlassen hatte.
 

»Der dunkelhaarige Typ mit dem Zylinder und der ungesunden Hautfarbe…?«, vermutete Marco. Law nickte dem Blonden zu. Sein Daumen strich beiläufig über Lamys Handrücken, während er sprach, doch er schien sich dieser beschützenden Geste gar nicht so bewusst zu sein.
 

»Er ist in den gegenüberliegenden Bürokomplex gegangen und ich habe ihn erst auf der Baustelle auf den oberen Etagen wiedergefunden. Er hatte sich dort schon mit seinem Scharfschützengewehr positioniert... und dann zog dieser unnatürliche Sturm auf und er fiel...« Jetzt sah Law Shanks doch an und eher widerwillig sagte er zu dem Rothaarigen: »Ich schätze mal, ich schulde Dir zumindest Dank...«
 

»Woher willst du wissen, dass ich das war?«, fragte Shanks lauernd.

»Marco sagte, dass du Senatsmitglied bist und mir ist bekannt, dass der Senat einen Rang A Aeromant in seinen Reihen hat. Es war naheliegend«, meinte Law achselzuckend und Marco wurde unsinnigerweise bewusst, dass Law ihn gerade zum ersten Mal beim Namen genannt hatte.
 

»Dann erfolgte die Detonation im Erdgeschoss des Krankenhauses. Überall brach Panik aus und ich konnte dadurch unbemerkt in die Klinik gelangen. Ebenso wie der Scharfschütze, der seinen Sturz leider überlebt hatte. Ich verfolgte ihn und wollte ihn zur Strecke bringen… und dabei bin ich auf euch gestoßen. Ich dachte, ihr gehört zu diesen Typen«, erklärte er damit wahrscheinlich sein rabiates Verhalten und seinen schonungslosen Angriff auf Marco.
 

Shanks musterte Law ergründend, schien aber zu dem Schluss zu kommen, dass der die Wahrheit sagte. Damit zog er etwas aus seiner Hosentasche und streckte das kleine Stück Metall, das er in der Hand hielt, dem jungen Mann entgegen. »Weißt du, was das ist?«
 

Law beäugte Shanks argwöhnisch mit herabgezogenen Brauen, doch dann griff er zögerlich nach dem Gegenstand und drehte ihn in den schlanken, tätowierten Fingern. Makino war inzwischen mit Marcos Behandlung fertig, der zog sein Shirt wieder zurecht und trat nun neben Shanks, in dem Moment, indem Law den Kopf schüttelte und sachlich meinte: »Das habe ich noch nie gesehen.«
 

»Wir fanden es in den Sachen deiner Schwester«, erklärte Shanks und nahm den kleinen Gegenstand von Law wieder entgegen, um ihn nun an Marco weiterzureichen. Es war eine etwa handtellergroße, metallische Platte, mit herausstehenden Gravuren und gezackten, ungleichen Rändern, fast wie ein abstraktes Puzzlestück.
 

Shanks wandte sich an Marco. »Du erinnerst dich sicher daran, dass Yamamoto Ashitaka die Sicherheitssysteme seiner Wohnung vor seinem Tod deaktivierte. Allerdings habe ich mir die Aufnahmen einige Stunden vor dem Abend noch einmal angesehen und siehe da, ich fand Ashitaka, wie er das da...«, er wies mit einem Fingerzeig auf die kunstvolle Metallplatte in Marcos Hand, »... aus dem Safe in seinem Büro nimmt, gut sichtbar und offen für alle Kameras, als wollte er, dass er dabei gesehen wird. Als hätte er gewusst, dass er den Abend unter Umständen nicht überleben würde. Leider sieht man nicht, wohin er es brachte. Den Safe fand die Spurensicherung aufgebrochen und irgendetwas sagt mir nun, dass diese Typen im Krankenhaus exakt danach gesucht haben.«
 

Das Metall in Marcos Hand bekam eine fast bedrohliche Schwere und schien sich zu winden und zu wispern, wie ein lebendiges, uraltes Wesen. Unbehaglich hob er es mit spitzen Fingern vor die Augen und betrachtete es von allen Seiten. »Aber... was ist das?« Besonders wertvoll sah es nicht gerade aus, eher wie ein zerbrochenes, antikes Erbstück und Teil von etwas viel größerem.
 

»Oh, viel wichtiger ist doch gerade die Frage... wieso hatte es deine Schwester bei sich?«, fragte Shanks Law und es war eindeutig eine schlecht verhüllte Anklage, die in seiner Stimme schwang.
 

»Keine Ahnung...«, erwiderte der junge Mann eisig. Marco konnte förmlich zusehen, wie er die Mauern um sich wieder in die Höhe zog. Wahrscheinlich hielt er sein Entgegenkommen der letzten Minuten schon für einen Fehler.

»Was wollte deine Schwester an diesem Abend dort bei Yamamoto?«, hakte Shanks unerbittlich nach.

»Ich weiß es nicht«, kam die scharfe Antwort zurück.
 

Shanks hob zweifelnd eine Braue. »Du weißt irgendwie überraschend wenig, dafür, dass du ihr Bruder sein willst... Du bist dir hoffentlich im Klaren darüber, dass der Fund dieses Dings in den persönlichen Sachen deiner Schwester recht verdächtig ist, oder?«
 

»Shanks... wir sind hier nicht im Gerichtssaal und das ist kein Verhör...«, versuchte Marco den Rothaarigen mit warnender Stimme zu bremsen. Selbst Makino runzelte missbilligend die Stirn, war aber klug genug, sich nicht einzumischen, als sie den Blutdruck ihrer Patientin überprüfte.
 

Laws Hände ballten sich zu Fäusten und sein Gesicht nahm einen fast mörderischen Ausdruck an. Die dunklen Schatten unter seinen Augen verstärkten das bedrohliche Funkeln seiner stahlgrauen Iriden nur noch. »Das ist absurd. Meine Schwester hat niemanden umgebracht«, stellte er mit gefährlicher Ruhe klar.
 

Shanks verschränkte die Arme vor der Brust. »Oh, das habe ich auch nicht behauptet... aber sie wird sicher nicht umsonst wegen Diebstahls und Betrugs in mehreren Fällen gesucht, nicht wahr!? Ich vermute, sie war an diesem Abend nicht nur dort, um nette Konversation zu betreiben, oder!?«
 

Law presste die Lippen zu einer dünnen, blutleeren Linien aufeinander. Die beiden maßen sich über das Bett hinweg mit finsteren Blicken und die Luft zwischen ihnen schien förmlich vor Anspannung zu knistern. Marco wusste, dass er langsam einschreiten musste, denn weder würde Shanks einlenken und auch wenn er Law noch nicht lange kannte... der junge Mann wirkte nicht gerade wie jemand, der freiwillig nachgeben würde.
 

Marco trat zwischen die zwei Männer und wandte sich an Shanks, eine Hand beschwichtigend gehoben. »Das führt doch jetzt zu nichts, sich in vagen Vermutungen zu verstricken. Wir sollten Laws Schwester einfach selbst fragen, wenn sie wieder ansprechbar ist«, schlug er diplomatisch vor und blickte nun auch Law halb über die Schulter hinweg an, der gefährlich nah an einer innerlichen Detonation schien. »Ich zumindest glaube ihm, wenn er sagt, dass er nichts darüber weiß...«
 

»Ach Herrgott... ich hasse es, wenn du recht hast«, Shanks warf den Kopf frustriert in den Nacken und stieß ein ergebenes Seufzen aus, dann klopfte er Marco nachsichtig auf die Schulter. »Du bist eindeutig zu gut für diese Welt, Marco...« Er ließ sich jetzt auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Krankenbettes fallen. Law ließ ihn nicht aus den Augen, lockerte seine angespannte Haltung aber ein wenig.
 

Marco schob eine Hand in seine Hosentasche und betrachtete erneut das metallische Fundstück in der anderen, bevor er es Shanks zurück reichte. »Am hilfreichsten wäre jetzt vielleicht einfach, wenn wir aufklären könnten, was das ist und warum diese Söldner dahinter her waren. Es gibt Gerüchten zufolge einen Informationshändler, einen Cyberkineten hier in Tokio, vielleicht kann der etwas herausfinden oder weiß etwas über dieses Ding. Doch er soll seinen Standort regelmäßig wechseln und ist dadurch ziemlich schwer zu finden…-«
 

»... nicht, wenn man weiß, wo man suchen muss…«, murmelte Law. Wahrscheinlich hatte er rein aus Reflex heraus gesprochen und bemerkte seinen Fehler nun selbst, als Marco ihn abwartend ansah. Er biss sich auf die Zunge und stieß die Luft resigniert aus. »Es gibt jemanden, der seinen Standort kennt und gegen eine entsprechende Gegenleistung auch ein Treffen vereinbaren kann«, erklärte er Marco dann.
 

»Und du weißt, wo dieser besondere jemand zu finden ist, nehme ich an?«, hakte Shanks interessiert nach. Er hatte die Beine überschlagen und trommelte abwartend mit den kybernetischen Fingern auf der Stuhllehne.
 

Law zuckte leicht mit den Schultern, sein Blick wirkte verschlossen. »Möglicherweise…«, antwortete er dem rothaarigen Konzerner kurz angebunden, ohne ihn wirklich anzusehen. Er schien nicht gerade sonderlich viel Lust zu haben, ihnen zu helfen.
 

Shanks stieß ein ungläubiges Schnauben aus. Seine Augen verengten sich. »Möglicherweise ist mir doch etwas zu wenig. Dir scheint nicht bewusst zu sein, um was es hier geht…-«
 

»Es interessiert mich auch nicht. Ich will mit euren Senatsangelegenheiten nichts zu tun haben«, stellte Law mit schneidender Stimme klar.
 

»Oh... aber du willst sicher, dass wir deiner Schwester helfen, nicht wahr?!, fragte Shanks gefährlich lässig und stützte das Kinn auf seine Faust, während er Law berechnend ansah. »Vielleicht sollten dich unsere Angelegenheiten dann doch ein klein wenig interessieren, findest du nicht auch?«
 

In Laws Augen flackerte Unsicherheit, die jedoch schnell von kalter Wut abgelöst wurde. Sein Blick suchte Marco und wurde daraufhin fast anklagend. »So sieht also die selbstlose Freundlichkeit des Senats aus... ich hätte es wissen müssen«, zischte er ernüchtert.
 

Marco sah Shanks empört an. »Ich knüpfe meine Hilfe nicht an irgendwelche Bedingungen!«, wehrte er ab, denn das hätte jeglicher seiner Moralvorstellungen widersprochen. Marco vermutete - hoffte! - dass Shanks hier nur hoch pokerte und in gewisser Weise konnte er sein Handeln sogar verstehen, doch es widerstrebte ihm merklich, als ein solch kalkulierter Mistkerl zu erscheinen.
 

Shanks allerdings ignorierte ihn völlig und war gänzlich auf Law fixiert. »Hör mir jetzt gut zu, Law…«, begann er mit bedrohlich ruhiger Stimme. »Deine Schwester hat genug Vorstrafen auf dem Kerbholz, dass ich sie nach ihrer Genesung sicher mindestens ein paar Monate in Untersuchungshaft belassen könnte, ganz zu schweigen von eurer sehr offensichtlichen Verbindung zu Joker. Außerdem ist solch eine medizinische Behandlung, die deine Schwester benötigt, ziemlich teuer... also solltest du vielleicht ein wenig entgegenkommender sein, denkst du nicht?«
 

Laws Gesicht wurde weiß vor Zorn. Seine Hände krallten sich angespannt in die Bettdecke und ein goldener Funke flammte in den grauen Augen des jungen Mannes auf. Makino fasste erschrocken nach dem Vitaldatenmonitor, als die umstehenden Geräte und Schränke zu zittern und zu wackeln begannen und der stählerne Medizinschrank in der Ecke des Raumes sich quietschend zusammenfaltete, als wäre er nichts weiter als eine dünnwandige Coladose. Die Luft lud sich statisch auf und die Lampe an der Decke flackerte bedrohlich.
 

Shanks zog die Brauen hoch und setzte sich aufrechter hin. »Oh, interessant… du bist also auch ein MAG, na komm, lass' mal sehen, was du drauf hast...«, raunte er provozierend. Seine eigene Macht erwachte wie ein brüllender Tiger zum Leben.
 

»Hey... Shanks, das reicht jetzt! Lass' gut sein!«, erhob Marco die Stimme, bevor sich die beiden wirklich noch an die Gurgel gehen konnten. Zwei völlig entfesselte MAGs waren wohl das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, vor allem, da sich sein kranker Vater nur ein paar Etagen über ihnen im Tower befand.
 

Law schien ebenfalls zu bemerken, dass es vielleicht keine gute Idee wäre, sich hier auf ein offenes Kräftemessen mit dem Senatsmitglied einzulassen, wo doch seine Schwester in diesem Zimmer lag. Ruckartig stand er auf und stürmte aus dem Raum, als bräuchte es deutlich mehr als nur gutes Zureden, um sich zu beherrschen.
 

Marco warf Shanks einen bösen Blick zu, bevor er sich beeilte, dem aufgewühlten, jungen Mann zu folgen. Einerseits befürchtete er einen unkontrollierten Wutausbruch des Telekineten, auf der anderen Seite allerdings machte er sich tatsächlich ein wenig Gedanken um Law und wollte die ganze Sache auch nicht so ungeklärt stehen lassen.
 

Er fand den jungen Mann draußen im Aufenthaltsraum, wo er unruhig vor der Fensterfront auf und ab tigerte, das Gesicht kalt und hart. Sein Kopf ruckte herum, als er Marcos Schritte hörte. Er wirkte nicht gerade erfreut, aber auch nicht so, als würde er ihm im nächsten Moment den Kopf abreißen wollen.
 

»Das eben tut mir wirklich leid...«, begann Marco vorsichtig und steckte die Hände in die Hosentaschen, als er langsam zu Law hinüber ging. »Shanks hat es eindeutig übertrieben. Niemand will dich zu irgendetwas zwingen, es ist nur so, dass wir deine Hilfe wohl durchaus gebrauchen könnten. Ich werde deiner Schwester aber so oder so helfen und wegen dem Geld musst du dir auch keine Gedanken machen, ich kann erst einmal für die Behandlung aufkom...-«
 

»Läuft das für gewöhnlich so bei dir? Du wedelst mit deinem Geld und all deiner Macht und dann lösen sich all deine Probleme in Luft auf?«, fuhr Law Marco eisig an und bedachte ihn mit einem Blick, der einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte.
 

Marco verzog den Mund und wich einen Schritt zurück, ein Stück weit ehrlich gekränkt über diesen Vorwurf. »Es scheint dir schwer zu fallen, das zu glauben, aber ich will nur helfen...«, erwiderte er verhalten. Er versuchte es nicht allzu persönlich zu nehmen, dass Law so dachte, denn immerhin konnte der gute Gründe haben, so misstrauisch zu sein.
 

»Oh bitte«, schnaubte Law höhnisch. »Niemand will einfach nur helfen. So selbstlos ist keiner...«, sein analysierender Blick glitt von oben bis unten über Marcos Gestalt, während er die Arme abwehrend verschränkte, »... nicht mal du. Jeder will irgendetwas. Also, was willst du?« Er hob das Kinn herausfordernd.
 

Marco hielt seinem Blick ungerührt stand, denn er hatte so die leise Ahnung, das ein Zögern oder Unsicherheit in diesem Moment alles verderben konnte. »Ich schwöre dir, dass ich keine Gegenleistung für meine Hilfe erwarte und ebenso, dass deiner Schwester freies Geleit zugesichert wird, wenn sie genesen ist, sobald sie uns gesagt hat, was sie weiß und es nicht mit dem Gesetz kollidiert. Ihre Vorstrafen werden nicht herangezogen, um sie festzusetzen. Euch wird niemand aufhalten und ihr könnt gehen, wohin ihr wollt, selbst, wenn du uns nicht hilfst«, versprach er fest, während er das Handgelenk drehte und Law entgegen streckte, um ihm damit das Siegel des Senats zu offenbarten. Das Wort eines Senatsmitgliedes war bindend und unumstößlich.
 

Marco war bewusst, dass er sich mit solchen Versprechungen ziemlich weit aus dem Fenster lehnte und er das vielleicht vorher mit Shanks hätte abklären sollen, aber... nun, er trug das Siegel des Senats ja wahrscheinlich nicht nur zur Zierde und außerdem musste er sich eingestehen, dass der junge Mann etwas an sich hatte, was ihn unbestreitbar faszinierte.
 

Law war wie ein ungezähmtes Raubtier, dass die helfende Hand wahrscheinlich eher abbeißen würde, als sich füttern oder berühren zu lassen - vermutlich hatte Shanks nicht ganz unrecht und er war gefährlich, aber irgendwie spürte Marco auch, dass der junge Mann in seinem Leben bisher wahrscheinlich wenig Freundlichkeit oder gar Selbstlosigkeit erfahren hatte.
 

Er selbst wäre heute auch nicht hier, wenn Whitebeard ihm damals nicht eine Hand gereicht hätte und vielleicht war es an der Zeit, dass er diese Gefälligkeit jetzt einem anderen erwies.
 

Law wirkte für einen Augenblick beinahe irritiert und starrte ungläubig auf das Senatssiegel, bevor er Marco wieder ansah und offenbar versuchte, aus diesem schlau zu werden. Eine tiefe Falte grub sich zwischen seine Augenbrauen, als er diese ergründend zusammenzog und die Augen nachdenklich verengte. Dann verlangte er tonlos: »Ich will ein Zimmer hier, damit ich für die Dauer der Behandlung meiner Schwester in ihrer Nähe sein kann.«
 

Marco nickte sofort. »Natürlich, kein Problem«, sagte er ruhig. Ihm war klar, dass Law ihn auf die Probe stellte und auszutesten versuchte, wie weit seine Hilfsbereitschaft wirklich reichte. Er hätte fast geschmunzelt, als Law die Stirn fast ungläubig furchte und die Verschränkung seiner Arme endlich fallen ließ.
 

»Dann werde ich ein paar Sachen holen gehen.«

»Willst du vorher noch etwas essen?«

»... was?«

»Frühstück?!« Marco deutete auf den noch immer viel zu vollen Tisch. Kalifa hatte offensichtlich vorgehabt, halb Tokio verköstigen zu wollen. »Es wäre eine Verschwendung, das alles wegwerfen zu müssen.«
 

Law haderte sichtlich mit sich und eigentlich rechnete Marco schon fest damit, dass er die Gastfreundschaft ablehnen würde... doch der junge Mann nickte stumm und setzte sich tatsächlich, um sich folglich auch zögerlich zu bedienen. Marco fiel auf, dass er sich bevorzugt an das traditionelle, japanische Frühstück hielt und von westlichem Brot gänzlich die Finger ließ.
 

Er notierte dies gedanklich und rief Kalifa an - während er sich selbst eine Tasse Kaffee eingoss - um das Herrichten eines weiteren Zimmers zu organisieren und um eine Telefonschaltung zum Verteidigungsminister zu planen, denn irgendjemand sollte sich wahrscheinlich um diesen Scornbau in Yamanashi kümmern.
 


 

*
 


 

Law betrat die Wohnung, die er sich mit Lamy teilte und schob die Tür hinter sich geräuschvoll ins Schloss, bevor er sich entkräftet mit dem Rücken dagegen lehnte. Er jetzt, erst hier in den eigenen vier Wänden, gestattete er sich seine Erschöpfung zu zeigen. Er schloss einen Moment die Augen und versuchte dem Zittern Herr zu werden, das seinen Körper überrollen wollte. Er war müde und ausgelaugt, die Anspannung der letzten Stunden forderte nun ihren Tribut und zu allem Überfluss meldeten sich die hämmernden Kopfschmerzen hinter seiner Stirn gleich mit doppelter Härte…
 

Mit einer kraftlosen Bewegung warf er sein Katana und die schwarze Sporttasche - die er mit seinem Motorrad eben noch aus Shinjuku geholt hatte - auf die kleine, aber gemütliche Wohnlandschaft, die unweit hinter der Tür stand, da der Eingangsbereich der Wohnung auch gleichzeitig ihre Küche und ihr Wohnzimmer darstellte. Davon zweigten die Türen zum Bad und zu ihren beiden Schlafzimmern ab, alles übersichtlich, aber dennoch geräumiger gestaltet, als es wohl in den meisten Wohnungen hier in Downtown der Fall war.
 

Allein schon getrennte Schlafzimmer waren ein Luxus, ebenso wie eine Aussicht - hinter der Wohnlandschaft befanden sich zwei Fenster, die zwar nur den Ausblick auf einen dreckigen Hinterhof und ein schmutzig graues Wohnblockdach boten, aber immerhin… der Himmel war durch die Häuserschluchten zu erahnen.
 

Für Lamy war diese Wohnung ein Palast, Law war sie schon immer wie ein goldener Käfig vorgekommen, ein Gefängnis, finanziert durch Jokers Blutgeld. Denn genau das waren sie für Doflamingo am Ende - hübsche Vögel, die für ihn zu singen hatten, wann auch immer er es wollte...
 

Mit einem unwilligen Laut schleuderte Law seine Stiefel von den Füßen und lief mit energischen Schritten zum Kühlschrank hinüber, um sich eine Flasche Wasser daraus zu nehmen - viel mehr gab das alte Ding mit dem flackernden Licht eh nicht mehr her. Aber zumindest war das Wasser kalt.
 

Er stützte sich auf die kleine, aber gut ausgestattete Kochinsel, während sein Blick durch die Wohnung schweifte und seine Augen plötzlich überall die Spuren seiner Schwester wahrnahmen - in den dahingeworfenen, bunten Socken auf dem Sofa, den offenliegenden Kochbüchern auf dem Küchentresen, der alten Violine, die er extra für Lamy besorgt hatte und mit deren schrägen Tönen sie ihn regelmäßig in den Wahnsinn trieb, dem pinken Lippenabdruck ihres Kussmundes auf dem zerkratzten Spiegel neben der Eingangstür, worunter sie mit Lippenstift einen albernen Smiley für ihn gemalt hatte…
 

Laws Augen brannten und er rieb sie mit Daumen und Zeigefinger. Sie ist nicht tot, reiß dich zusammen…, ja, Lamy war nicht tot, doch er hätte besser auf die aufpassen müssen. Das war einfach seine Pflicht als großer Bruder und dabei hatte er kläglich versagt. Er hatte seine Familie schon einmal verloren, nochmal würde er das vermutlich nicht überstehen…
 

Er öffnete eine Schublade der Küche, um sich die Kopfschmerztabletten herauszufischen. Er nahm gleich zwei und spülte sie mit einem weiteren, großen Schluck Wasser herunter. Er hätte seine telekinetischen Kräfte nicht benutzen sollen, immerhin wusste er, welche Nebenwirkungen das meist nach sich zog, aber... wenn er es nicht getan hätte, wären Marco und er wohl inzwischen Scornfutter.
 

Marco… Laws Gesicht verzog sich, teils aus Ärger über sich selbst, teils aus einem Anflug von Reue. Vielleicht hatte er sich vorhin ein wenig zu viel herausgenommen, als er den Blonden so angefahren hatte, aber wenn es um seine Schwester ging, wurde er erschreckend dünnhäutig und die ganze Situation war einfach furchtbar anstrengend. Es war untypisch für ihn, so die Fassung zu verlieren.
 

Mit dem rothaarigen Kerl würde er wahrscheinlich nie warm werden, aber Marco… der schien ja prinzipiell wirklich kein so arroganter Arsch wie die meisten Upper Class Schnösel zu sein. Law hätte ihm diese ungerechtfertigten Dinge wirklich nicht an den Kopf werfen sollen, immerhin meinte er seine Freundlichkeit offenbar wirklich ernst… und verflucht, er hatte sich immerhin zwischen ihn und einen Scorn gestellt! Aber es fiel schwer, den Argwohn abzustellen, denn Laws Erfahrung nach bekam man im Leben eher selten etwas ohne Gegenleistung geschenkt.
 

Er warf die Tablettenpackung wieder in die Schublade und knallte diese zu, dann blieb sein Blick an Lamys Datenpad hängen, das auf dem Couchtisch lag und auf dem seine Schwester unter anderem auch ein Abo dieser albernen High Society Klatsch-News hatte. Einer plötzlichen Eingebung folgend ging Law hinüber, stellte seine Wasserflasche auf den Tisch und ließ sich dann mit dem zeitschriftgroßen Pad von Lamy auf die Couch fallen.
 

Seine Schwester sperrte ihr Pad fast nie, was im Moment zwar praktisch war, aber Law würde sie abermals daran erinnern müssen, dass sie nicht immer so leichtfertig mit ihren Daten umgehen sollte. Er wischte durch die vielen bunten Icons und fand das Boulevard-Abo nach ein wenig Suchen. Mit einem Tippen öffnete er die App und blätterte rasch durch die unendlichen Seiten bunter und dämlicher Belanglosigkeiten. Auf einer Seite allerdings stoppte sein Finger…
 

Ein drei Monate altes Ranking der begehrtesten, männlichen Junggesellen Tokios ploppte auf und auf Platz Drei von Zwanzig befand sich tatsächlich… Marco Phoenix. Law starrte das recht körnige Foto des Blonden paralysiert an - offensichtlich hatten sie keinen besseren Schnappschuss gefunden, da der Mann laut Artikel keinen Medienrummel zu mögen schien-, dann schnaubte er ungläubig aus.
 

Marco war nicht einfach nur ein Mitarbeiter der Newgate Group, nein, er war die verdammte rechte Hand von Edward Newgate höchstpersönlich und wurde in einigen Kreisen sogar als der nächste CEO gehandelt! Das erklärte auch die förmliche Anrede und warum dort alle nach seiner Pfeife getanzt hatten. Aber für so einen privilegierten Kerl war er erschreckend normal und fast schon... sympathisch.
 

Law warf das Pad neben sich. Nun, Lamy würde sicher ganz aus dem Häuschen sein, wenn sie endlich wieder bei sich war und bemerkte, wer sich da eigentlich um sie kümmerte...
 

Die Holokonsole auf dem Couchtisch vermeldete durch einen unaufdringlichen Ton den Eingang eines Anrufes und das kleine, rot blinkende Lämpchen am Fuß des Terminals verriet, dass es wahrscheinlich nicht der Erste seiner Art war. Law war versucht es klingeln zu lassen, einfach nur, um dem Anrufer zu zeigen, dass er sich nicht wie ein räudiger Köder herbeirufen ließ, doch... vermutlich würde dann in den nächsten Minuten jemand vor ihrer Tür stehen und darauf hatte er gerade noch weniger Lust.
 

Er schöpfte tief Atem und strich sich durch die schwarzen Haare, schob alle Emotionen und Geschehnisse der letzten Stunden weit von sich, bevor er den Anruf durch einen Knopfdruck entgegen nahm und sich mit einer Lässigkeit auf die Couch fläzte, die er ganz sicher nicht empfand. Sein Gesicht wurde gleichgültig und komplett ausdruckslos.
 

Innerlich verspannte sich alles in ihm, als das Bild des Anrufers als Holoprojektion über dem Tisch aufflackerte und seine Finger ballten sich unkontrolliert zu einer Faust, was sein Gegenüber zum Glück nicht sehen konnte, da er einen Arm lässig über die Sofalehne geworfen hatte.
 

Trebol bekam nur den dezent gelangweilten, jungen Mann zu sehen, der das Kinn hob und ihn mit einem abwesenden Blick aus halb geöffneten Augen bedachte. Kein Hallo, kein Wort des Grußes, keine Demutsbekundungen. Law schlug die langen Beine gelassen übereinander und starrte den älteren Mann abwartend an.
 

»Law...«, begann Trebol dann mit seiner typisch nasalen Art zu sprechen, zog die Nase schniefend hoch und musterte ihn, als wäre er nichts weiter als ein nerviges Insekt, mit dem er sich herumschlagen musste, »... Doffy wartet auf deinen Bericht. Du hast dich nicht gemeldet, dabei bist du doch schon eine Weile wieder in Tokio«, wies er ihn mit einem weiteren Schniefen zurecht. »Du weißt genau...-«
 

»Doflamingo wird seinen Bericht bekommen. Das hat er bisher doch immer, oder etwa nicht?!«, unterbrach ihn Law respektlos und sah Trebol dabei weiter emotionslos an.
 

Der dunkelhaarige Mann mit der Sonnenbrille schnaufte aufgebracht. »Unterbrich' mich gefälligst nicht, Balg! Warst du wenigstens erfolgreich?«
 

Law zog eine Braue überheblich in die Höhe, als wäre allein die Frage schon eine Beleidigung. »Ich bin nicht derjenige, der neulich die Nerven verloren und diesen ach so wichtigen Job versaut hat...«, antwortete er mit einem kleinen, eisigen Lächeln.
 

Trebol war der persönliche Wächter und Mentor für Sugar, das neueste Mitglied ihrer reizenden Familie. Sugar mochte vielleicht wie ein harmloses Mädchen aussehen, doch sie war ein rachsüchtiges, unbeherrschtes, kleines Miststück. Sie hatte ihre Emotionen schlecht unter Kontrolle und ihren ersten Auftrag für Doflamingo in den Sand gesetzt, nur, weil sich jemand über ihr kindliches Aussehen lustig gemacht hatte. Trebol hatte dann hinter ihr aufräumen müssen.
 

»Du spielst ein gefährliches Spiel, Law...«, schniefte der dunkelhaarige, alte Kerl mit zorniger Stimme und bleckte die gelben Zähne. Trebol ging es schon immer gehörig gegen den Strich, dass Doflamingo so große Stücke auf Law und Lamy hielt und ihnen trotz ihres jungen Alters ziemlich viel durchgehen ließ. »Irgendwann wird Doffy vielleicht nicht da sein, um...-«
 

»Willst du sonst noch etwas?«, fragte Law herablassend. Er bot das perfekte Abbild eines genervten Jugendlichen, der es leid war, der Standpauken der Älteren zu lauschen und er wusste ganz genau, dass es Trebol auf die Palme bringen würde.
 

Trebol rang sichtbar um Fassung, sein Gesicht lief puterrot an und er schnauzte bissig: »Wo ist deine Schwester?«
 

Law zuckte knapp mit den Schultern. »Keine Ahnung, hier jedenfalls nicht. Habt ihr Lamy etwa schon wieder einen Job gegeben, obwohl ich nicht da war?«, hinterfragte er eisig und fast verrutschte die Maske seiner gelassenen Arroganz. Er mahnte sich innerlich zur Ruhe und krallte die Fingernägel unsichtbar für Trebol in das Polster der Couch, um sich davon abzuhalten, dem Impuls nachzugeben und den Holoprojektor vom Tisch zu fegen. Er war diese ständigen Maskeraden wirklich so leid...
 

Trebol hob das Kinn und grinste schmal. Er witterte besseres Fahrwasser, immerhin kannte er Laws Schwäche für seine Schwester sehr gut. »Du bist leider nicht in der Position immer alles zu erfahren, Law...«, höhnte er schniefend. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck und mit harter Stimme verlangte er: »Sie soll sich melden, wenn sie wieder da ist. Und schick' uns die Daten von deinem Auftrag. Jetzt.«
 

Law verspannte sich unmerklich und sein Blick huschte zu der schwarzen Tasche auf dem Sofa neben ihm. Er hatte noch keine Zeit gehabt die Daten abzugleichen und zu überprüfen, ob ihm die beiden Wissenschaftler wirklich etwas brauchbares im Austausch für ihr Leben gegeben hatten...
 

»Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit...«, bemerkte Trebol ungeduldig, bevor ein hinterhältiges Grinsen seine fleischigen Lippen teilte. »Oder soll ich dir Vergo vorbei schicken?«
 

Law fröstelte und beinahe wäre seine gleichgültige Maske gefallen. Er hasste sich für diese Schwäche, für dieses irrationale Unbehagen, das er in der Nähe von Vergo nie ganz abstellen konnte, nicht nachdem, was der und Doflamingo getan hatten... »Du willst doch nicht wirklich Vergo wegen so einer Lappalie hierher bemühen…«, meinte er mit einem geisterhaften Lächeln. »Er hat sicher wichtigeres zu tun, als deinen Laufburschen zu spielen, Trebol.«
 

Er begann ungewollt zu schwitzen, als er die schwarze Tasche heran zog und den kleinen Datenstick herausnahm, den ihm die beiden Wissenschaftler ausgehändigt hatten. Bemüht, sich seine Unruhe nicht anmerken zu lassen, steckte er den Stick in das Holoterminal und aktivierte die Übertragung.
 

Law sah voller Anspannung dabei zu, wie der Ladebalken Stück für Stück voran kroch und sich füllte. Als der Transfer vollendet war, öffnete Trebol die Daten und überflog deren Inhalt, während Law mit nervös wippender Fußspitze die Mimik des anderen beobachtete. Doch zu seiner Erleichterung nickte Trebol dann knapp und meinte gönnerhaft: »Das sieht gut aus. Doffy wird sehr zufrieden sein.« Damit beendete er den Anruf und sein Bild verblasste.
 

Law stieß den angehaltenen Atem aus und sackte erschöpft auf der Couch zusammen. Er griff nach der Wasserflasche auf dem Tisch und betrachtete mit kruder Faszination seine zitternden Finger. Trotzdem glitt ein düsteres Lächeln über seine Lippen, immerhin hatte er Doflamingos Plänen gerade wieder erfolgreich entgegen gearbeitet.
 

Die beiden Wissenschaftler - ein junges Ehepaar - die er mehrere Tage lang verfolgt hatte, hatten es gewagt, sich aus Doflamingos Gefolgschaft loszusagen und zu fliehen. Die zwei hatten in Caesar Crowns Labor gearbeitet und mit dem zusammen für den Kartellkönig an der Verbesserung von Beta geforscht, denn Crown war schon immer besessen davon, Dr. Vegapunk nachzueifern und das Alpha Serum auf künstlichem Wege nachzubilden.
 

Dafür schreckten Crown und Doflamingo auch nicht vor der Entführung von elternlosen Straßenkindern zurück. Die zwei neuen Wissenschaftler hatte schnell erkannt, dass in dieser Arbeit kein Ruhm lag und sie waren mit ihren Forschungsergebnissen rechtzeitig geflohen, bevor Crown diese wertvollen Daten in die Hände hätten bekommen können.
 

Doflamingo hatte Law als seinen Vollstrecker auf sie angesetzt. Er hätte die beiden eigentlich töten sollen.
 

Law hatte sie nach Tagen gefunden, das junge Ehepaar mit den beiden Kindern, ein Junge und ein Mädchen, die ihn mit großen, ängstlichen Augen angesehen hatten, als er plötzlich in der Unterkunft der Geflohenen aufgetaucht war. Ihre Eltern hatten sich todesmutig vor sie gestellt, bereit, für ihre Kinder zu sterben.
 

Er hatte auf ein erschreckendes Zerrbild seiner eigenen Vergangenheit geblickt und obwohl seine Entscheidung schon längst vorher festgestanden hatte, hatte dieser Moment seine Entschlossenheit nur noch mehr gefestigt. Er hatte die beiden nicht getötet… stattdessen hatte er ihnen geholfen, außer Landes zu kommen und sie hatten ihm als Ausgleich dafür ein paar Daten zur Verfügung gestellt, die bedeutend genug waren, um kein Misstrauen zu erwecken, aber harmlos genug, um Caesar Crowns Forschung nicht wirklich voranzutreiben.
 

Es war tatsächlich ein gefährliches Spiel, das Law hier bereits seit Jahren spielte… seitdem er als Jugendlicher hatte mitansehen müssen, wie Doflamingo seinen eigenen Bruder Corazon umgebracht, nein, förmlich hingerichtet hatte - Corazon, ohne den Law inzwischen wahrscheinlich auch nicht viel mehr wäre als nur eine weitere, tödliche Waffe in Doflamingos Arsenal, seelenlos, skrupellos und zerfressen von Zorn und Hass auf die ganze Welt.
 

Doflamingo wusste es nicht - er wusste nicht, dass Law anwesend gewesen war und zugesehen hatte, wie er seinen Bruder mit Vergo zusammen gestellt und gerichtet hatte, weil Corazon ihn verraten hatte, weil er sich insgeheim von seinem Bruder losgesagt und mit der Polizei und dem Geheimdienst gegen ihn gearbeitet hatte, um den gefährlichen und verbrecherischen Machenschaften seines Bruders Einhalt zu gebieten.
 

Law hätte die Chance gehabt, nach Corazons Tod zu fliehen… wenn Doflamingo nicht plötzlich Lamy nach Tokio gebracht hätte. Es war die pure Ironie des Schicksals - der Mann, den er am meisten verabscheute, brachte ihm seine totgeglaubte Schwester zurück, als Geschenk für seine tadellose Entwicklung… oder um Law noch mehr an sich zu binden und sich seiner Gefolgschaft und Treue absolut sicher zu sein.
 

Aber Law hatte Corazons Vorhaben nie vergessen und sich geschworen, dessen Werk fortzusetzen und ihn zu rächen. Also arbeitete er seit vielen Jahren den Plänen des Kartellkönigs heimlich entgegen.

Und wenn Doflamingo eines Tages Schachmatt gesetzt war, dann könnte Lamy ein selbstbestimmtes und glückliches Leben führen, frei von Doflamingos Einfluss, von Verbrechen und dieser zwielichtigen, gefährlichen Welt, in die sie einfach nicht gehörte.
 

Law kippte den Kopf in den Nacken, breitete die Arme über die Lehne der Couch und starrte an die Decke. Er glaubte schon längst nicht mehr, dass er am Ende dieser Geschichte noch aufrecht stehen würde.
 

Er würde wahrscheinlich in diesem Sumpf untergehen... aber er würde Doflamingo mit sich in den Abgrund reißen.

Und Lamy wäre dann frei und sicher. Ein durchaus vertretbares Ende, wie er fand.

Erste Schritte

07.12.2069, 19.20 Uhr, Tokio
 

Nach ein paar wirklich nötigen Stunden Schlaf machte sich Law am Abend tatsächlich wieder auf den Weg nach Ikebukuro. Nun stand er mit seinem Motorrad - einer schwarz-gelb, getunten Yaiba Kusanagi CT-3X* - vor dem Newgate Tower, die Tasche mit seinen wenigen Habseligkeiten und dem Katana über der Schulter und starrte an dem riesigen, Ehrfurcht gebietenden Gebäude hinauf. Einen Augenblick lang war er wirklich versucht einfach wieder umzudrehen... doch dann stieg er von seiner Kusanagi und näherte sich langsam dem Wachposten vor dem Tor.
 

Fast erwartete er schon, dass man ihn wieder wegschicken und er sich lächerlich machen würde, überhaupt anzunehmen, dass ein Konzerner wie Marco Phoenix sein Haus für ihn öffnen würde, doch... das große, schwere Tor schwang auf, als hätte man tatsächlich bereits auf ihn gewartet. Ein Wachmann nickte ihm sogar kurz grüßend zu und Law erkannte den dunkelhaarigen Scharfschützen von ihrem Rückflug wieder.
 

Law gab sein Motorrad wirklich ungern aus der Hand, da es zu den wenigen, materiellen Dingen gehörte, an denen er tatsächlich hing, doch der Mann, der sich ihm als Izou vorstellte, versprach ihm, dass man es gut behandeln und in der zugehörigen Tiefgarage des Towers unterbringen würde.
 

Drinnen im Gebäude beäugte ihn der riesige, stämmige Sicherheitsmann zwar ziemlich kritisch, doch er winkte Law heran, damit er sich ins Register der Zutrittsberechtigten eintragen konnte, während er seinen Identifikationschip für den Fahrstuhl entsperrte, seine Tasche durch den Sicherheitsscanner jagte und ihm nebenher grob erklärte, wo sich was im Tower befand. Dann entließ er ihn mit einem knappen Nicken, doch Law spürte Jozus Blick deutlich im Nacken, als er zu den Fahrstühlen ging und war sich auch ziemlich sicher, dass der Kerl ihn sehr genau im Auge behalten würde.
 

Rein aus Neugier versuchte Law im Lift die Etage, die mit 'Forschung und Entwicklung' beschriftet war, anzuwählen, doch diese blieb ihm versperrt. Nun, das war zu erwarten, war er wenig überrascht. Marco Phoenix mochte freundlich sein, doch er war kein Idiot. Law beobachtete die rasch aufsteigenden Zahlen auf dem Digitaldisplay, während er sich seitlich gegen die Wand des Aufzuges lehnte und die Finger etwas fester um den ausgefransten Riemen seiner schwarzen Tatsche schloss.
 

Darin war eigentlich das Wenigste für ihn selbst, viel eher hatte er für Lamy ein paar Sachen mitgebracht, einige ihrer Lieblingspullover und Wechselsachen, ihr Datenpad und dieses alberne Neko-Plüschtier, das er ihr einmal auf einem Flohmarkt in Downtown gekauft hatte. Seitdem wollte sie das Ding einfach nicht mehr hergeben und zog Law ständig damit auf, dass die Katze genauso mürrisch aussehen würde wie er.
 

Eine dezente Nervosität beschlich Law nun doch und er rieb geistesabwesend einen seiner Ohrringe zwischen Daumen und Zeigefinger, während er nur noch zehn Stockwerke von seinem Ziel entfernt war - eine dumme Angewohnheit, wenn er nachdenklich oder angespannt war und als er sich derer gewahr wurde, ließ er die Hand mit einem unwilligen Murren sinken.
 

Er konnte das Gefühl einfach nicht gänzlich abschütteln, dass er gar nicht hier in diesem Tower sein sollte und eigentlich völlig fehl am Platz war. Er fühlte sich wie ein Eindringling in dieser strahlenden, perfekten Welt, nach allem, was er bereits in seinem Leben getan hatte... noch dazu waren Konversation und Interaktion mit anderen wirklich nicht seine Stärke. Normalerweise war Lamy stets diejenige, die alle Leute bei Laune hielt und mit ihrer fröhlichen Art bezauberte und das ganz ohne ihre Kräfte, während er allein darin gut war, irgendwo grimmig in der Ecke zu stehen und fies aus der Wäsche zu gucken... zumindest würde es seine Schwester wohl so ausdrücken.
 

Jetzt aber würde er sich wohl zwangsläufig mit jemanden unterhalten und sogar zusammenarbeiten müssen... zumindest wenn er an dem Stückchen wiederentdeckten Gewissen festhielt, das ihm sagte, er sollte seinen Argwohn abschütteln und Marco Phoenix helfen, den Informationshändler aufzusuchen, weil es das Mindeste war, was er dem anderen schuldete.
 

Der Lift stoppte sanft und die Türen glitten beinahe lautlos auf. Der Aufenthaltsraum der Gästeetage war verwaist, der Tisch leer. Gedämpfte Abendbeleuchtung war eingeschaltet und die Außenjalousien völlig geöffnet, sodass ein fast spektakulärer Ausblick über Tokio gewährt wurde.
 

Ungewollt zog es Law zu der Fensterfront hinüber, wo er fasziniert auf die abendliche Stadt hinab sah, deren Lichter sich wie ein unendliches Meer aus Sternen bis zum Horizont erstreckten, so weit, das man beinahe keinen Übergang mehr zwischen Stadt und Nachthimmel erahnen konnte... so einen Anblick bekam man wirklich nicht alle Tage zu Gesicht und selbst Law konnte sich der Magie dieser Aussicht nicht entziehen.
 

»Guten Abend, Mister Trafalgar«, erklang eine Stimme plötzlich erschreckend nah hinter ihm, dabei hatte er gar keine Schritte gehört.
 

Law wirbelte herum, im Bruchteil einer Sekunde hatte er sein Schwert gezogen und die Tasche von sich geworfen. Er reagierte einfach völlig automatisch, denn sein Körper und sein Geist waren jahrelang so auf Angriff und Selbstverteidigung gedrillt wurden, dass es ihm inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen war, stets einen Überfall zu erwarten und darauf vorbereitet zu sein.
 

Die Spitze seines Schwertes zielte auf das holografische, freundliche Gesicht einer jugendlichen Gestalt mit braunen Haaren, die ihn offen anlächelte und die Arme hinter dem Rücken verschränkt hatte. Eine verdammte KI, schnaufte Law aus und senkte fast unangenehm berührt die Klinge, während er sich die Nasenwurzel massierte. Seine Nerven waren offenbar wirklich ziemlich strapaziert.
 

»Haruta, du sollst doch nicht unsere Gäste erschrecken«, schnalzte ein blonder, junger Mann mit der Zunge, der eben um die Ecke zum Flur kam, ein durchsichtiges, leuchtendes Datenpad in der Hand, auf das er fast manisch mit einem Stift eintippte. Er trug einen offenen Laborkittel, darunter ein buntes Shirt und eine lockere Hose. Auf seinem Kopf zwischen seinen leicht gelockten Haaren saß eine Laborbrille und seine linke Hand steckte in einer Art mechanischem Handschuh.
 

Er sah auf und musterte Law aus klugen, grünen Augen, bevor er entschuldigend meinte: »Tut mir leid, die KI ist noch nicht richtig ins Gebäude integriert. Normalerweise sollte man sie hören, aber die Funktion steckt noch in den Kinderschuhen. Ich arbeite daran«, erklärte er geschäftig, während er offenbar ein paar Einstellungen der Projektion nachschärfte, denn die KI flackerte ein paar Mal, bevor der Blonde zufrieden nickte.
 

Er kam zu Law herüber und schob sich seinen Stift hinter das Ohr, bevor er Law die Rechte mit einem breiten Grinsen entgegen streckte. »Hey, ich bin Sabo. Der technische Leiter der Forschungsabteilung.«
 

Law war so überrumpelt von diesem Bündel an Freundlichkeit, dass er sein Schwert zurück in die Halterung auf seinem Rücken schob und dem jungen Mann nach einem kurzen Zögern tatsächlich fast automatisch seine Hand reichte. »Law«, stellte er sich zurückhaltend vor.
 

»Ah, ja... der Boss sagte schon, dass du kommst. Du bist der Bruder von unserem Dornröschen, wie ich hörte«, sagte Sabo fröhlich, bevor er deutlich ernster wurde. »Schlimme Sache, das mit deiner Schwester, tut mir echt leid. Aber Marco bekommt das schon hin, du wirst sehen. Er ist der Beste«, nickte er überzeugt. »Haruta kann dir erst einmal dein Zimmer zeigen«, schlug er dann vor, bereits schon wieder in seine Arbeit vertieft.
 

Die Projektion verbeugte sich höflich vor Law und wies ihm dann den Weg mit einer einladenden Handbewegung. Law hob seine Tasche wieder auf und schwang sie sich über die Schulter.
 

»Oh...«, Sabo war gerade im Begriff zu gehen, als ihm offenbar etwas einfiel und er sich nochmal zu Law herum drehte, »... falls er versucht dich zu indoktrinieren oder irgendetwas von der Vernichtung der Menschheit schwafelt, dann sag' mir bitte Bescheid! Ich teste gerade ein paar Variablen in seinem Persönlichkeitscode und bin mir noch nicht sicher, wie sich das auswirkt.« Damit war er im Aufzug verschwunden.
 

Law starrte die KI abschätzend an. »... Du bist männlich?«

Haruta legte den Kopf schief. »Interessant, dass Sie gerade das beschäftigt und gar nicht die Möglichkeit, eines grausamen Todes durch die Allmachtsphantasien einer künstlichen Intelligenz sterben zu können«, bemerkte er mit wissenschaftlichem Interesse.
 

Law verzog den Mund zu einem humorlosen, kühlen Grinsen. »Mir trachten so viele Menschen aus persönlichen Gründen oder bloßer Abneigung nach dem Leben, da wäre es wohl beinahe erfrischend, einfach nur aus einem rein kalkulierten Anlass und völlig emotionslos eliminiert zu werden...«
 

Irgendwie war es fast schockierend einfach, diese Dinge der künstlichen Intelligenz gegenüber auszusprechen, zuzugeben, dass jeder Tag in seinem Leben eigentlich einem Russisch Roulette mit ungewissem Ausgang glich und er den Tod als ständigen Begleiter ansah.
 

Haruta betrachtete ihn wie ein hochspannendes Studienobjekt, dann meinte die KI schlicht: »Ich glaube, ich mag Sie, Mister Trafalgar. Wahrscheinlich würde ich Sie im Fall der Fälle als Letztes beseitigen, Sie können also beruhigt sein«, eröffnete die KI, bevor der Junge schelmisch grinste. Humor schien seiner Programmierung also nicht gänzlich fremd zu sein. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.«
 

Mit unheimlich lautlosen Schritten lief die Projektion voran und Law folgte in einigem Abstand nach, während er sich wachsam umsah. Er befand sich auf fremdem Terrain und es war eine beinahe natürliche Reaktion, sich ein Bild der Umgebung zu machen - zumindest wollte er wissen, wo sich Ein- und Ausgänge und mögliche Fluchtwege befanden. Interessiert nahm er die vielen, fast unsichtbar angebrachten Sensoren in beinahe jedem Winkel des Gebäudes wahr, über welche die KI sich offenbar im Gebäude bewegen konnte.
 

Der holografische Junge stoppte vor einer Zimmertür, die nur ein paar Räume von Lamys provisorischem Krankenzimmer entfernt war. »Das Türschloß ist schon auf Ihren Identifikationschip abgestimmt«, erklärte die KI. »Falls Sie noch etwas benötigen, lassen Sie es mich gern wissen. Sie können mich jederzeit rufen.« Damit verschwand die Projektion in einem Flackern.
 

Law drückte die Klinke zum Zimmer herab und betrat den Raum zögerlich. Eigentlich hatte er nicht mehr als eine Besenkammer erwartet, doch das Zimmer war überraschend komfortabel und ausreichend groß. Durch ein bodentiefes Fenster hatte man einen guten Blick über die Stadt. Auf einem flachen Podest aus Holz nahe dem Fenster lagen zwei schlichte Futons, es gab eine kleine Sitzecke, einen Kleiderschrank und sogar eine Minibar, dazu führte eine weitere Tür in das kleine Badezimmer, in das Law einen flüchtigen Blick warf.
 

Die Ausstattung des gesamten Towers war edel und schlicht, kostspielig, aber nicht übertrieben protzig. Edward Newgate schien es nicht nötig zu haben, jedem Besucher seinen Reichtum gleich wie eine Provokation unter die Nase reiben zu müssen. Law fand das Zimmer durchaus geschmackvoll. Es war einfach, schnörkellos, die Einrichtung in Schwarz und Weiß gehalten und sehr sauber.
 

Nach einem kurzen Zögern legte er sein Schwert ab, stellte seine Tasche auf das kleine Sofa und kramte Lamys Plüschtier - die Katze mit dem überdimensionierten Kopf und dem mürrischen Gesichtsausdruck heraus -, dann verließ er das Zimmer wieder und machte sich auf, seine Schwester zu sehen. Obwohl es still war und auch die KI sich nicht sehen ließ, war sich Law doch darüber im klaren, dass man ihn garantiert überwachte.
 

Bedacht öffnete er die Tür zum Krankenzimmer und blieb dann doch ein wenig unschlüssig im Türrahmen stehen. Die Ärztin war nicht anwesend, der rothaarige Kerl zum Glück auch nicht, doch Marco Phoenix saß am Kopfende des Bettes seiner Schwester, hatte sich leicht über Lamy gelehnt und die Fingerspitzen über deren Schläfen gespannt, während seine Augen konzentriert geschlossen waren.
 

Normalerweise begehrte in Law meist sofort etwas auf, gerade wenn fremde Männer seiner Schwester zu nah kamen - offenbar der Fluch des älteren Bruders - doch dieses Mal störte ihn das irgendwie überhaupt nicht. Marco strahlte angenehme Ruhe und Sanftheit aus, selbst die Magie, die von ihm ausging und in trägen Wellen um Laws mentale Barrieren strich, war warm, behaglich und friedfertig.
 

Law war fast ein wenig überrascht, den Konzerner hier zu sehen - er hatte zwar gesagt, dass er Lamy helfen würde, aber irgendwie hatte Law wohl insgeheim immer noch erwartet, nur leere Phrasen gehört zu haben. Doch Marco war tatsächlich hier und tat das, was er versprochen hatte... und das sorgte dafür, dass Law sich mit seiner fast krankhaften Skepsis eigentlich reichlich dumm vorkam.
 

»Du kannst ruhig reinkommen«, sprach der Blonde plötzlich und öffnete die Augen langsam, bevor er sich aufrichtete und seine Hände zurückzog. Er rollte mit den Schultern und bewegte den Kopf leicht von einer Seite auf die andere, als hätte er lange in dieser Haltung gesessen, bevor er für Law einladend auf den Stuhl neben dem Bett wies.
 

Marco hatte den ganzen Tag bereits auf Law gewartet, war zwischenzeitlich gar nicht mehr so sicher gewesen, ob er überhaupt kommen würde und nun schon fast überrascht, dass er tatsächlich im Türrahmen stand - irgendwie ungewöhnlich unsicher und mit einer wirklich außerordentlich grimmig aussehenden Plüschkatze in den tätowierten Händen, wodurch Marcos Mundwinkel zu einem Schmunzeln in die Höhe zuckten.
 

»Ich wollte nicht stören...«, meinte Law, kam aber zögerlich ins Zimmer und schob die Tür wieder zu. Er trug ein neues, schwarzes Shirt, das weit genug geschnitten war, um die Ausläufer seiner Tattoos zu enthüllen, darüber eine leichte, auffällig neongelbe Jacke mit weißem Fellbesatz und eine ausgewaschene, gepunktete Jeans. Seine Füße steckten in dunklen Halbstiefeln und auf seinen schwarzen Haaren saß eine weiße Fellmütze mit Schirm und schwarzen Flecken.
 

»Du störst nicht, ich war eh gerade fertig«, meinte Marco beruhigend und rieb sich den angespannten Nacken, während er den Kopf nach hinten kippte und die Schultern hochzog. Die Sitzung hatte ihn doch mehr gefordert, als anfänglich noch gedacht. »Hat Haruta dir dein Zimmer gezeigt?«, fragte er.
 

Der junge Mann nickte, während er sich neben das Bett setzte und seiner Schwester das mitgebrachte Plüschtier in den Arm legte. Marco war froh, dass sich die KI offensichtlich gut in das Gebäudes zu integrieren schien. Nach Shanks' Enthüllungen und dessen Abreise nach Osaka hatte er Sabo angewiesen, Harutas Begrenzungen aufzuheben, sodass die künstliche Intelligenz inzwischen nicht mehr nur auf das Penthouse beschränkt war, sondern den gesamten Tower überwachen konnte. Ein paar zusätzliche, künstliche Augen wären sicher nicht verkehrt beim Schutz des Gebäudes. Marco erwartete zwar nicht unmittelbar einen Angriff, aber man konnte schließlich nie wissen.
 

»Wie geht es ihr?«, fragte Law mit rauer Stimme und seine angespannte Haltung verriet, dass er schlechte Nachrichten fürchten mochte. Er war völlig auf seine Schwester fixiert und hatte Marco bisher kaum angesehen, doch jetzt hob er den Blick, unausgesprochene Beklommenheit in den grauen Augen. »Wie schlimm ist es...?«, wollte er gefasst wissen.
 

»Schlimm...«, gab Marco unumwunden zu, denn er wollte Law nicht anlügen. »Aber ich kann ihr helfen, mach' dir keine Sorgen. Ich denke, sie wird wieder ganz gesund«, fügte er rasch an, als bittere Pein durch Laws graue Augen glitt. Diese Verzweiflung bei dem jungen Mann zu sehen, der sonst so bemüht darum war, stets stark und unerschütterlich zu wirken, traf Marco irgendwie wirklich sehr. »Es wird nur etwas Zeit brauchen, aber ich werde versuchen jetzt tägliche Sitzungen mit ihr einzuplanen.«
 

Marco hatte sich heute für die erste Behandlung entschlossen, nachdem er ein paar Stunden Schlaf nachgeholt hatte, eigentlich nur, um sich einen groben Überblick über die Schäden an Lamys Geist verschaffen zu können. Wie er Law gesagt hatte, war das Ausmaß wirklich verheerend, doch er hatte schon damit begonnen, die ersten Stränge wieder zu verknüpfen - seine Magie hatte tatsächlich viele der schlimmen Wunden mühelos heilen können und daher war Marco ernsthaft überzeugt, dass Trafalgar Lamy wieder ganz die Alte werden konnte.
 

»Ich lass' euch mal allein...«, sagte Marco umsichtig, erhob sich leise und brachte seinen Stuhl wieder zu der kleinen Sitzecke zurück. »Du kannst ruhig hierbleiben, solange du willst. Makino wird nachher sicher nochmal vorbei kommen. Falls du etwas brauchst, dann sag' mir ruhig Bescheid oder wende dich an Haruta«, gewährte er großzügig.
 

Marco wollte das Zimmer gerade verlassen, die Hand schon auf die Türklinke gelegt, als Law überraschend fragte: »... hast du heute Abend etwas Zeit?«
 

Verwundert hielt Marco inne und drehte sich wieder herum. »Nun, theoretisch schon, aber... Zeit wofür?«, fragte er den jungen Mann, der noch mit dem Rücken zu ihm saß.
 

Law rückte das mitgebrachte Plüschtier in Lamys Arm zurecht und zupfte wahrscheinlich unnötigerweise an der Bettdecke des Mädchens, bevor er ein letztes Mal mit der Fingerspitze ihre Haarsträhnen richtete und sich dann langsam erhob. Erst dann fand sein verhaltener Blick unter der Schirmmütze hervor Marcos Augen. »Du sagtest, du willst den Informationshändler treffen. Ich werde dir dabei helfen… falls du noch Hilfe brauchst«, bot er zögerlich an und schob die Hände in seine Jackentaschen.
 

»Deine Hilfe wäre mehr als willkommen«, nickte Marco Law ehrlich dankbar zu. »Wohin müssten wir dafür?«, fragte er nach. Er war wirklich froh, dass Law das Thema von sich aus ansprach - er hätte ungern betteln wollen und ehrlich gesagt auch kaum eine Ahnung gehabt, wo er mit der Suche in der Stadt hätte anfangen sollen.
 

Shanks hatte sich wieder nach Osaka aufgemacht, um seine Geschäfte dort zu klären und mehr über diese ominöse Gruppierung herauszufinden, die offenbar hinter den Morden steckte. Marco sollte hier in Tokio mehr über den Gegenstand in Erfahrung bringen, den Trafalgar Lamy bei sich gehabt hatte und der offensichtlich von Wert für diese Leute war.
 

»Ins „Purgatory“, das ist ein Nachtclub in Akihabara«, erklärte Law. Er sah kein Erkennen bei der Erwähnung des Namens in Marcos blauen Augen, was aber nicht weiter verwunderlich war. Ein Mann wie er verirrte sich wohl eher selten nach Downtown.
 

Die High Society hatte ihre eigenen Szenetreffpunkte und Umschlagplätze für Geschäfte, die eher im westlichen Teil von Tokio lagen, der von den Konzernen beherrscht wurde, wohingegen sich der östliche Teil der Stadt inzwischen fast vollständig in den Händen der Kartelle befand.
 

»Wenn wir gehen, vielleicht ziehst du aber besser etwas an, indem du nicht so...«, Law zog eine Hand aus seiner Jackentasche und schloss mit einer unbestimmten Geste Marcos gesamte Gestalt damit ein, »... reich aussiehst.« Nicht, dass es Law persönlich gestört hätte, aber in Downtown würde Marco in seinen maßgeschneiderten Klamotten vermutlich auffallen wie ein bunter Hund - vor allem dort, wohin sie unterwegs waren und es war definitiv besser, wenn sie unter dem Radar blieben.
 

Marco hob eine Braue und seine Lippen kräuselten sich ungewollt zu einem schiefen Schmunzeln. »Ich weiß nicht, ob ich das jetzt als Beleidigung oder als Kompliment auffassen sollte...«, schnaubte er amüsiert.
 

Law versteifte sich leicht, er hob die Finger und spielte an den goldenen Ringen in seinem Ohr, während er Marcos Blick nicht wirklich erwidern konnte und die Augen im Schatten seiner Mütze barg. »Ich... meinte nur, dass man allein an deinen Klamotten sieht, dass du nicht nach Downtown gehörst...-«
 

»Schon gut... ich weiß schon, was du meinst«, erlöste ihn Marco, obwohl er Laws Reaktionen durchaus interessant fand. Manchmal schien die eisenharte Maske des jungen Mannes zu verrutschen und dahinter wirkte er kaum so selbstsicher und abgebrüht, wie er offenbar alle Welt glauben machen wollte. »Gibst du mir eine halbe Stunde? Ich hol' dich dann hier ab.«
 

Law nickte und Marco machte sich auf den Weg hinauf ins Penthouse. Dort erwartete ihn schon wie zuvor am Morgen kontrolliertes Chaos, eine Unmenge an Umzugskartons, die einerseits die Sachen seines Vaters beinhalteten und andererseits sein eigenes Hab und Gut, das eine Umzugsfirma bereits hierher gebracht hatte.
 

Die organisatorischen Dinge, bei denen Kalifa seinem Vater heute hatte helfen sollen, waren nichts anderes als dessen Umzug. Whitebeard hatte beschlossen, das Penthouse für Marco als neuen CEO zu räumen und sich etwas außerhalb von Tokio in seinem ländlichen Urlaubsresort zur Ruhe setzen zu wollen. Marco hatte es sich gleich gespart mit seinem Vater darüber noch diskutieren zu wollen, denn wenn sich Edward Newgate erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, blieb er auch dabei.
 

Marco streifte die Schuhe ab und bahnte sich seinen Weg über und an Kartons vorbei in das Wohnzimmer, wo sein Vater die letzten seiner persönlichen Sachen einräumte. Thatch war ebenfalls anwesend, der Marketingmanager saß auf der Wohnlandschaft und sprach mit Whitebeard gerade die letzten Details der Pressekonferenz für die Firmenübergabe in der nächsten Woche durch, während er sich ein Glas Wein einschenkte.
 

»Oh, gut, dass du kommst, Marco...«, hob Thatch den Blick von seinem Datenpad. »Ich müsste auch mit dir noch ein paar Sachen...-«

»Keine Zeit, Thatch, entschuldige. Ich muss dann gleich nochmal los«, meinte Marco an seinen Vater gewandt, der gerade einige Bücher aus dem Arbeitszimmer in einen Karton auf der Küchenanrichte stapelte. »In einer halben Stunde will ich mit unserem Gast in die Stadt wegen diesem Cyberkineten...«
 

Whitebeard winkte beruhigend ab. »Schon in Ordnung, Marco. Den Rest schaffe ich auch allein und vielleicht erinnert sich Thatch ja auch noch daran, dass er eigentlich zwei gesunde Hände hat, um mit anzupacken...«, murmelte er zurechtweisend in Richtung des Braunhaarigen.
 

Doch der überhörte das Tadel geflissentlich, denn er war viel mehr damit beschäftigt, Marco entrüstet anzufunkeln, der gerade einen Karton mit seinen Klamotten kurzerhand auf der Wohnlandschaft auskippte. »Tz, das soll mal einer verstehen... da rede ich mir monatelang den Mund fusselig, dass du mal aus der Firma raus muss und Party machen sollst, aber wenn dann plötzlich so ein unbekannter Kerl daher kommt, gehst du freiwillig?! Du meine Güte, das nehm' ich persönlich«, meinte Thatch mit beleidigt geschürzten Lippen.
 

Ein wenig ratlos wühlte sich Marco durch seine Sachen, begutachtete hier und da das ein oder andere Stück, warf es aber gleich wieder beiseite. Plötzlich erschien es ihm wie eine Ewigkeit lang her, dass er das letzte Mal wirklich einfach nur locker und ohne besonderen Grund ausgegangen war. »Also erstens geh' ich nicht Party machen, sondern das ist eine Senatsangelegenheit…«

»… wofür du dich extra in Schale schmeißen musst!? Na sicher...«

»… und zweitens glaube ich nicht, dass Law mich den ganzen Abend dazu nötigen würde, dass ich irgendwelche fremden Frauen zu einer Orgie einladen soll...«, brummte er mürrisch in Richtung seines Freundes. Die meisten der Partynächte, zu denen ihn Thatch überredet hatte, waren Marco meist nicht sonderlich freudig in Erinnerung geblieben.
 

»Ach, Law heißt unser Gast, du hättest ihn ja wenigstens mal vorstellen können…«, murrte Thatch, schlug die Beine übereinander und verlangte mit einem Fingerschnippen von der KI: »Haruta, zeig‘ mir doch bitte mal unseren geheimnisvollen Besucher.«
 

Der riesige Flatscreen an der Wand flammte auf und zeigte die Kameraüberwachung der Gästeetage. Law hatte sich inzwischen im Aufenthaltsbereich niedergelassen, er saß in der Leseecke auf der Couch und hatte ein Bein hochgelegt, sodass der Fußknöchel auf seinem Knie ruhte. Sein Schwert stand aufrecht an seine Schulter gelehnt neben ihm. Er hatte den Kopf leicht gesenkt und wirkte vertieft in ein kleines, dunkles Notizbuch, in das er... etwas zu zeichnen schien?! Seine schmalen, dunklen Brauen waren konzentriert gesenkt, seine sonst so strengen Lippen dafür leicht geöffnet.
 

Thatch lehnte sich fasziniert ein wenig nach vorn und strich sich angetan über die Unterlippe. »Ach, jetzt wird mir so einiges klar... also mit dem würde ich auch überall hin gehen, Himmel nochmal«, murmelte er entzückt, bevor er Marco anzüglich grinsend fragte: »Es besteht nicht eventuell die Möglichkeit, Harutas Beschränkungen noch ein wenig mehr aufzuheben... eventuell für die Überwachung der Gästezimmer?!«
 

Marco betrachtete Thatch mit einem missbilligend verzogenem Mundwinkel. »Dir ist schon bewusst, dass es mehr als unhöflich wäre, den Hausgästen hinter zu stalken... davon mal abgesehen, dass es ziemlich wahrscheinlich auch noch illegal ist!?«
 

Thatch griff sich betroffen an die Brust, dann deutete er erklärend auf den Bildschirm. »Hallo, hast du dir den Kerl mal richtig angesehen?! Der sieht aus, als hätten ein Engel und ein Psychopath ein Baby gemacht, da kann man doch gar nicht anders als kriminell werden! Aber Law dürfte sehr gern bei mir für Recht und Ordnung sorgen...«, fügte er mit einem zweideutigen Grinsen an.
 

Marco rollte nur mit den Augen auf Grund des wirklich schlechten Witzes. »Oh Gott...«
 

Thatch hatte noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass er beide Geschlechter gleichermaßen körperlich anziehend fand. Grundsätzlich bevorzugte der Marketingmanager zwar Frauen, doch ab und an ging er auch mit Männern aus und eins musste man Thatch stets lassen bei seiner Partnerwahl - er hatte ein gutes Auge und einen ausgezeichneten Geschmack.
 

Alle, mit denen er sich traf, besaßen dieses eine gewisse Etwas, das anziehend machte und auch jetzt musste Marco Thatch durchaus recht geben... ja, Law war tatsächlich für einen Mann ziemlich attraktiv und das sah selbst er, der bei anderen Männern sonst kaum auf deren Aussehen achtete.
 

Laws Gesicht hatte die klassische, ästhetische Makellosigkeit eines Gemäldes - absolut symmetrisch, geradlinig und durch kantige Züge begrenzt, die allein wegen seines Kinnbarts und den markanten Koteletten etwas weniger perfekt wirkten und ihn menschlicher erscheinen ließen. Seine Lippen waren schmal, aber sinnlich geschwungen und die ausdrucksstarken, stahlgrauen Augen bildeten den faszinierendes Mittelpunkt unter den wilden, schwarzen Haaren.

Dafür erschien alles an Law auf den ersten Blick irgendwie hart und kühl, er selbst auf gewisse Weise bedrohlich und unnahbar - ein Umstand, der sicher locken konnte, eigentlich das Gegenteil herausfinden zu wollen…
 

»Seine Schwester liegt dort unten in einem Krankenzimmer. Du wirst ihn nicht belästigen, Thatch«, stellte Marco entschieden klar. Manchmal war es besser, bei dem Marketingmanager deutliche Grenzen zu ziehen.

»Belästigen?!«, empörte sich Thatch. »Der Mann hätte sicher die Zeit seines Lebens! Vielleicht braucht er ja mal etwas Entspannung, er wirkt irgendwie ziemlich ernst, der Gute...«

Marco seufzte schwer. »Was er braucht, ist wahrscheinlich seine Ruhe. Und ich glaube, an ihm würdest selbst du dir die Zähne ausbeißen…«, prophezeite er kopfschüttelnd. »Also lass' es lieber.«

»Oh, ich kann sehr beharrlich sein und habe eine wirklich bestechende Ausdauer...«, meinte Thatch anrüchig mit wackelnden Augenbrauen.
 

»Kinder, bitte… noch bin ich hier und kann euch hören«, stöhnte Whitebeard im Hintergrund entnervt.
 

»'tschuldige, Pops...«, riefen Thatch und Marco unisono.
 

»Hilf' mir lieber, passende Klamotten zu finden, anstatt unsere Gäste anzuschmachten«, verlangte Marco an Thatch gewandt und schaltete den Bildschirm entschieden ab, obwohl er nicht leugnen konnte, dass es sicherlich unangenehmere Anblicke gab. »Wo ich hingehe, sollte ich vielleicht nicht unbedingt wie der typische Konzern-Schnösel aussehen, sondern irgendwie... normal.«
 

Thatch blickte ihn zwar mit kritisch gehobener Braue an, stellte dann aber seufzend sein Weinglas beiseite und stand auf, bevor er sich das Jackett zurecht zog und zu Marco herüber geschlendert kam. »Aha, und wohin soll es eigentlich genau gehen?«, fragte er interessiert nach, nachdem sein gezielter Griff eine dunkle Jeans auswählte und er diese Marco in die Hand drückte, gefolgt von einem dunkelgrauen Hemd in Used-Look.
 

»Irgendwo nach Downtown.«
 

Thatchs Augen wurden bedrohlich groß und er presste sich die eben herausgepickte Lederjacke gegen die Brust. »Downtown?! Oh Marco, bitte keine schlechte Publicity vor der Pressekonferenz...«, jammerte er mit flehendem Gesichtsausdruck. »Ich hab' alles schon so perfekt durchgeplant!«
 

Marco entriss seine Jacke Thatchs Klammergriff und packte diese zum Rest der ausgewählten Sachen auf seinem Arm, bevor er auf dem Absatz kehrt machte und in Richtung Badezimmer lief. »Jaja, schon gut, ich werd‘ die Drogen diesmal weglassen und auch nicht ganz so viele Autos anzünden…«, versprach er ironisch. Als ob gerade er derjenige wäre, der ständig in den Medien auftauchte!
 

»Das ist nicht witzig!«, rief Thatch ihm noch hinterher.
 

Marco sprang noch schnell unter die Dusche, bevor er sich anzog, zwei Sig Sauer wie gewohnt unter seiner Jacke holsterte und sich dann von Thatch und seinem Vater verabschiedete. Er sammelte Law wie versprochen auf dem Weg nach unten ein und betrat mit ihm zusammen den Fahrstuhl in Richtung Tiefgarage. Während der Fahrt ins Kellergeschoss bemerkte Marco durchaus, wie Law ihn verstohlen musterte, aber da der junge Mann nichts sagte, schien seine Kleiderwahl zumindest seinen Ansprüchen zu genügen.
 

Der Fuhrpark der Newgate Corp. bestand aus einigen gepanzerten Limousinen, zwei Truppentransportern, etlichen Lieferwagen und einer Auswahl von Whitebeards geliebten Oldtimern. Ein paar der persönlichen Autos einiger Mitarbeiter reihten sich dort zwischen den Firmenwagen mit ein, wie Sabos blau-gelber Mizutani Shion M22* und Thatchs silberner Porsche 911 II*. Marcos eigener weiß-goldener Rayfield Caliburn* erwachte beim Näherkommen mit blinkenden Scheinwerfern zum Leben, da das Auto seinen Identifikationschip erkannte.
 

Normalerweise hielt Marco ja nichts davon, übermäßig viel Geld für extravagante und vor allem unnütze Dinge auszugeben - er mochte vermögend sein, doch deswegen musste er es nicht der ganzen Welt zwanghaft zeigen - aber bei seinen Klamotten und seinen fahrbaren Untersätzen machte er doch gern mal eine Ausnahme und er hatte einfach eine Schwäche für schnelle Autos, sowie für...
 

»Nein, ist nicht wahr... Wow... sag' bloß, die gehört dir?!«, entdeckte er diese einfach unübersehbare Yaiba Kusanagi CT-3X zwischen den Autos und steuerte schon auf das schwarz-gelbe Juwel zu. Die Kusanagi war fast so etwas wie eine urbane Legende, da nur so wenige von diesen Dingern in Produktion gegangen waren. Man munkelte, dass nicht mehr als zweihundert der außergewöhnlichen Motorräder jemals gefertigt wurden - ein Traum für jeden Sammler und Liebhaber.
 

»Ja, die gehört mir«, eröffnete Law mit einem leicht gehobenen Mundwinkel und zum ersten Mal konnte Marco eine unverhüllte Emotion im Gesicht des jungen Mannes ausmachen, ein Hauch von Stolz und Hingabe, gepaart mit einer Spur von eigentümlicher Wehmut in der dunklen Stimme.
 

»Die waren so streng limitiert, ich hätte nie gedacht, dass ich jemals eine Echte sehen würde...« Marco ließ sich vor der Kusanagi in die Hocke sinken und begutachtete fasziniert den glänzenden, umlackierten Rahmen und den außergewöhnlich guten Zustand des Motorrads.
 

Er streckte die Finger aus, berührte das Metall jedoch nicht, sondern zog die Hand zurück und fuhr sich damit fast schon ein wenig überfordert durch die Haare, was Law tatsächlich leicht zum Schmunzeln brachte. Die offene Begeisterung des Blonden war beinahe ansteckend. »Gottverdammt... woher hast du sie?«, fragte Marco ehrlich interessiert, er stützte eine Hand auf sein Knie und sah zu Law auf.
 

Laws winziges Lächeln wurde bedrückt, bevor es gänzlich schwand, was Marco irgendwie bedauerte. »Sie gehörte einem... wichtigen Freund. Ich habe sie von ihm übernommen... nach seinem Tod«, antwortete er zögerlich. Bisher hatte er noch nie jemanden davon erzählt, noch nicht einmal Lamy - davon, dass die Kusanagi einst Corazon gehört hatte, dass sie sein kleines Geheimnis gewesen war und Law es nach dessen Tod nicht über sich gebracht hatte, sich von dem Motorrad zu trennen und es heimlich behalten hatte.
 

Selbst Doflamingo hatte nie etwas von diesem Hobby seines Bruders gewußt und Law hatte es bis jetzt auch weiter bewahrt. Es war ein Stück greifbare Erinnerung, an die er sich albernerweise noch immer klammerte und er wusste wirklich nicht, warum er nun gerade Marco davon erzählte.
 

Der Blonde erhob sich wieder und meinte ehrlich: »Dein Freund wäre sicher froh, sie in so guten Händen zu wissen. Sie ist in einem hervorragenden Zustand«, meinte er mit einem bewundernden Blick auf das Motorrad und strich vorsichtig, fast ehrfürchtig über die Sitzfläche. Keine gekünstelten Mitleidsbekundungen, kein betretenes Schweigen, keine weiteren Fragen - Marco schien instinktiv zu spüren, dass Law das Thema nahe ging und er beließ es einfach dabei.
 

»So einige Leute würden dir vermutlich unheimlich viel Geld für dieses Schmuckstück bieten.«
 

»Sie ist nicht verkäuflich«, wurde Laws Stimme nun deutlich kühler, beinahe bissig, denn genügend Personen hatten schon versucht, ihm das Motorrad abzuluchsen, entweder mit abnormal lächerlich hohen Summen Geld oder auf eher hinterhältigere Art und Weise. Eigentlich wartete er nun schon auf das Angebot des Blonden, was garantiert...-
 

»Das verstehe ich völlig, ich würde so ein wichtiges Andenken auch nicht verkaufen«, sagte Marco jedoch und wandte sich nach einem letzten, staunenden Blick von dem Motorrad ab. »Schließlich gibt es einfach Dinge, die mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen sind«, meinte er unbekümmert, sah Law ohne jedweden Neid oder Gier an und schob die Hände in die Taschen seiner lässigen Lederjacke. Sein Lächeln war aufrichtig, offen... und traf Law fast wie eine Abrissbirne.
 

Du meine Güte..., Laws Herz machte einen holprigen Satz und um ein Haar wäre er aus Überforderung einen haltlosen Schritt zurückgewichen. So langsam kann ich irgendwie nachvollziehen, warum er offenbar so beliebt ist. Wie konnte jemand nur so... so anständig sein, gerade als stinkreicher Firmenleiter!? Law verstand es einfach nicht, er wurde nicht schlau aus diesem Mann. Marco Phoenix war irgendwie das völlige Gegenteil von allem, was Law kannte und zu kennen glaubte und das brachte ihn wahrlich durcheinander.
 

Marco konnte offenbar problemlos akzeptieren, dass Law etwas besaß, was er nicht hatte, ohne gleich darum feilschen zu wollen. Eigentlich alle vermögenden Menschen, die Law bisher kennengelernt hatte, waren stets der Meinung, mit Geld alles kaufen und besitzen zu können und hatten keinen Funken Respekt vor dem persönlichen Eigentum anderer. Die Gier der Menschen war normalerweise unersättlich und Law hatte schon Leute für viel weniger als ein Motorrad sterben sehen.
 

So wirklich konnte Law seine Grübeleien auch während der Fahrt über nicht abstellen, als sie endlich in Marcos Wagen stiegen und sich in Richtung Akihabara auf den Weg machten. Immer wieder musste er fast zwanghaft zu dem Blonden hinübersehen, der den eleganten, schnittigen Caliburn ziemlich souverän und sicher durch Tokios Straßen lenkte.
 

Er war positiv überrascht von Marcos persönlichem Autogeschmack, die vielen PS schnurrten sachte, aber prägnant unter der Motorhaube und Law hätte eigentlich nichts dagegen gehabt, wenn Marco den Wagen etwas mehr gefordert hätte… was in den vollgestopften Straßen der abendlichen Stadt aber eher ein Ding der Unmöglichkeit war.
 

Der Blonde hatte sich wirklich an Laws Vorschlag gehalten und sich relativ normale, schlichte Klamotten angezogen, wobei das tiefgraue Hemd wohl schon etwas älter war, denn es spannte sich ein wenig um die wahrscheinlich breiter gewordenen Schultern und Oberarme des Blonden. Für einen Bürohengst war der Kerl eigentlich viel zu trainiert.
 

Seine schwarze Lederjacke hatte Marco ausgezogen und auf den Rücksitz geworfen, dadurch lagen die silbernen Schusswaffen in seinem Schulterholster offen. Er sah zwar immer noch privilegiert aus - was auch einfach seiner selbstsicheren Haltung und seinem gepflegten Äußeren geschuldet war - jedoch würde man nicht sofort auf den ersten Blick erkennen, dass er in der Führungsriege eines Konzerns mitmischte.
 

An Marcos Mund zupfte ein Schmunzeln und er warf Law einen Blick aus dem Augenwinkel zu. »Du starrst mich die ganze Zeit an, als würdest du darüber nachdenken, wie du mich möglichst schnell los wirst… sollte ich mir Sorgen machen?«, meinte er eher amüsiert als wirklich besorgt. Die dünnen Brillengläser seiner Schläfenimplantate hatten sich wieder aktiviert und schärften seinen Blick wohl nicht nur für das Fahren, sondern verbesserten offensichtlich auch sein peripheres Sehvermögen.
 

Nun kam sich Law wirklich fast töricht vor, da Marco die ganze Zeit bemerkt hatte, wie er ihn anstarrte. Das war nicht nur unhöflich, sondern auch schlichtweg gedankenlos von ihm. »Entschuldige...«, murmelte Law. Er zwang seinen Blick aus dem Fenster und sich selbst dazu, etwas zu entspannen. Der Griff um die Schwertscheide auf seinem Schoß wurde ein wenig fester, bevor er die Finger entschieden entkrampfte. »Ich wollte nicht unhöflich sein. Ich bin es einfach gewohnt, stets aufmerksam sein zu müssen, die Menschen zu beobachten und einzuschätzen...«, erklärte er, bevor ihm überhaupt auffiel, dass er vielleicht zu viel gesagt hatte.
 

»Wegen deinem… Job?!«, fragte Marco unbestimmt nach. Er hätte tatsächlich gern mehr über Law gewusst, machte sich aber auch keine Illusionen, dass der junge Mann nun seine Lebensgeschichte vor ihm ausbreiten würde. Er vertraute ihm nicht und Marco konnte es ihm noch nicht einmal übel nehmen, denn wenn man in Downtown - noch dazu in einem Kartell - überleben wollte, musste man wohl immer Augen im Hinterkopf haben...
 

»Unter anderem…«, erwiderte Law vage und mahnte sich innerlich zur Vorsicht. Er durfte nicht vergessen, dass Marco Phoenix nicht nur ein Konzerner war, er war auch ein Senatsmitglied. Dabei erschien es so bedrohlich einfach, ihm Vertrauen schenken zu wollen... der Mann war gefährlich und das gänzlich ohne Waffen oder Arglist.
 

Law lenkte das Gespräch auf ein weniger prekäres Terrain für sich selbst. »Hast du schon öfter Menschen in Lamys Zustand geholfen?«, fragte er daher und tatsächlich interessiert ihn das sogar, da er bisher keinen Mentokineten persönlich kennengelernt hatte.
 

Marco bremste leicht und schaltete runter, da vor ihnen der Verkehr stoppte. Dabei streifte sein Arm leicht an Laws vorbei, der die Wärme des Blonden durch seine dünne Jacke hindurch fühlen konnte. Normalerweise war ihm erzwungene Nähe zu anderen Menschen eher unangenehm, jetzt jedoch störte es ihn gar nicht so sehr.
 

»Im gleichen Zustand wie deiner Schwester? Nein. Aber es gibt eine Versehrtenklinik etwas außerhalb von Tokio, für traumatisierte Soldaten aus Kampfeinsätzen oder durch Scornangriffe. Wenn ich etwas Zeit habe, fahre ich oft dort hin und helfe den Patienten, wenn sie es möchten, mit ihren Ängsten und erschütternden Erlebnissen fertig zu werden«, erzählte Marco bereitwillig. »Meine Fähigkeiten sind dabei recht nützlich und können unterstützend wirken.«
 

»Also bist du auch eine Art... Therapeut?«
 

»Ach Gott, nein...«, lachte Marco und gab nach der nächsten Ampel wieder Gas, da sie auf den stadtinternen Highway abbogen. Law wurde angenehm in den Sitz gedrückt, als der Caliburn nach vorn schoss und er begrüßte das kurze, aufregende Kribbeln im Magen. Geschwindigkeit war schon immer einer seiner Schwachpunkte. »Das nun wirklich nicht, aber ich weiß aus eigenem Erleben, wie verstörend so manches im Krieg und in Kampfeinsätzen sein kann... ich kann mich ganz gut in andere einfühlen...«, erläuterte Marco mit einem gedankenschweren Lächeln.
 

Aber anscheinend hat sich niemand bisher um deine Ängste gekümmert, sinnierte Law im Stillen, da er sich erinnerte, wie Marco ihm von den eigenen, traumatischen Erlebnissen vor vierzehn Jahren berichtet hatte. War er wirklich so aufopferungsbereit, immer erst anderen zu helfen, bevor er an sich selbst dachte? Law kam es fast unwirklich vor, dass so ein Mensch in dieser Welt tatsächlich existieren sollte.
 

»Kannst du mir beschreiben, wie deine Magie wirkt? Ich meine, wie kann ich es mir vorstellen, wie du einen Geist heilst?« Für Law war das alles recht abstrakt. Seine eigenen MAG Kräfte ließen sich zwar auch grob in die mentale Sparte einordnen, doch die Telekinese war eher wie eine unbeherrschbare Naturgewalt, wie ein lauernder Leopard, der unruhig und aggressiv durch seinen Geist strich, jederzeit bereit zum Sprung - zumindest hätte er es so beschrieben.
 

Marco wechselte konzentriert die Spur, um einige Autos vor ihnen zu überholen, während er tatsächlich einen Moment nachdachte, wie er das am besten bildlich erklären könnte. »Nun, es ist ein bisschen so, als versuchte man ein Puzzle zusammenzufügen, dessen Motiv man nicht kennt und auch nicht sieht. Der Verstand besteht aus unzähligen Verbindungen und ich muss sehr viel probieren und testen, um die zueinander passenden Enden zu finden, wenn diese durch einen Angriff auseinandergerissen wurden.«
 

»Das klingt ziemlich anstrengend…«, urteilte Law schlicht und sah zu Marco hinüber, der seinen Blick mit einem schiefen Grinsen erwiderte.
 

»Naja, man braucht schon ein bisschen Geduld«, meinte er achselzuckend. »Es ist eben ein langwieriger Prozess. Ich kann leider nicht die Hand auflegen wie ein Vitakinet und dem Körper quasi nur den Schubs in die richtige Richtung geben, damit er den Rest selbst erledigt.«
 

Marco beobachtete eigentümlich gebannt, wie Law nachdenklich die Stirn in Falten zog und über das Gesagte nachzudenken schien. Er wandte den Blick wieder seitlich aus dem Fenster und seine tätowierten Finger strichen gedankenverloren durch seinen dunklen Kinnbart, bevor sie einen seiner goldenen Ohrringe einfingen.
 

Marco gab sich einen Ruck und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. Der junge Mann war heute ja fast redselig und irgendwie gefiel das Marco, vor allem, da er sich fast sicher sein konnte, dass Law wohl kaum daran gelegen war, sich durch Geplauder bei ihm zu profilieren - wenn er etwas fragte, dann schien es ihn auch tatsächlich zu interessieren und das war recht angenehm. Marco hasste nichts mehr als bedeutungslosen Smalltalk, den er allerdings in seiner Rolle viel zu oft führen musste.
 

»Du stammst nicht aus Japan«, bemerkte Law messerscharf und im nächsten Augenblick schon barg er das Gesicht hinter seinen gespreizten Fingern und senkte den Blick. Sehr geistreich..., das lag ja wohl auf der Hand, allein, wenn man Marco Phönix mit diesen blauen Augen sah.
 

Marco musste ehrlich lachen, ein rauer, kehliger Laut, der Law irgendwie gefiel. »Ach je... was hat mich verraten?! Mein Akzent oder meine offene Feindschaft zu Essstäbchen?!«, gluckste er amüsiert und Law konnte nicht verhindern, dass sich seine Mundwinkel ebenfalls leicht nach oben bogen. »Nein, ich stamme nicht von hier. Pops hat mich in den USA... aufgelesen und dann vor zwanzig Jahren mit hierher nach Tokio genommen, als er seinen Firmensitz verlagerte.«
 

»Pops?«, hob Law fragend eine Braue. »Du meinst Edward Newgate?«

»Hm...«

»Er ist aber nicht dein leiblicher Vater...?«

Über Marcos Gesicht huschte neben den rasch vorbeiziehenden Neonlichtern auch ein flüchtiger Schatten. »Nein, aber er ist der einzige Vater, den ich brauche...«
 

Nun war Law fast neugierig, doch er verbiss sich weitere Fragen in diese Richtung und wechselte lieber das Thema - zum einen, um Marco nicht weiter so persönlich zu bedrängen und anderseits... hielt er es für sicherer, gar nicht so viel über den blonden Konzerner zu wissen. Das hätte nur eine Bindung beschworen und er war sich unschlüssig, ob er damit umzugehen wüsste, da er den Kerl jetzt schon sympathischer fand, als wahrscheinlich gut für ihn war.
 

Er fragte Marco unverfänglich nach seiner Arbeit in der Firma, nach den Produkten der Newgate Corp. und schließlich landeten sie am Ende ihres Gespräches sogar bei einer Diskussion über Musik und Popkultur. Es war lange her, dass Law sich mit einem Unbekannten so zwanglos hatte unterhalten können und dass jemand nicht sofort Jokers Offizier oder Vollstrecker in ihm sah, sondern ihn als Person wahrnahm.
 

Die einzigen, halbwegs normalen Konversationen hatte er in der nahen Vergangenheit mit Lamy geführt und Law wurde unangenehm bewusst, dass er neben seiner Schwester wohl niemanden hatte, den er wirklich einen Freund nennen konnte... er hatte ja noch nicht einmal enge Bekannte. Zum Glück kamen sie dann endlich in Akihabara an, sodass Law seine Gedanken wieder auf andere, wesentlich vertrautere Dinge fokussieren konnte.
 

Das Purgatory war ein Geheimtipp und ein riesiger, mehrstöckiger Nachtclub in den Tiefen der Häuserschluchten von Tokios Vergnügungsviertel. Von außen hätte man es fast übersehen können, wenn nicht die flammende Illusion des infernalischen Schriftzuges den Eingang markiert hätte, der zwischen eine ranzige Ramenküche, aus der ein fischiger Geruch heranwehte und ein eigentümliches Katzencafé gequetscht war.
 

Hinter der Scheibe des Cafés tummelten sich nicht etwa die schnurrenden Namensgeber, sondern junge Mädchen und Frauen in knappen Kostümen und mit implantierten Katzenohren und -schwänzen, die mit Kissen auf dem Boden oder dem Schoß ihrer zahlenden Kunden lagen. Marco wandte sich schaudernd ab, nachdem er in das Gesicht eines grell geschminkten Katzenmädchens geblickt hatte, das kaum alt genug für so ein Etablissement schien und deren Augen bereits durch eine Operation nun die geschlitzte Pupille einer Katze aufwiesen…
 

Früher war Akihabara das Zentrum für Technik und Fortschritt gewesen - das pulsierende, futuristische, bunte Herz Tokios, ein beliebter und fröhlicher Szenetreffpunkt, doch heute war das Viertel nur noch ein Abklatsch des einstmals fortschrittlichen Stadtteils. Die bunte Reklame und die laute, übertrieben fröhliche Musik waren geblieben, doch heute wirkte alles viel… schäbiger, verwaschener und rauer. Die Illusion einer glänzenden, traumhaften Zukunft war verschwunden und hatte der schmutzigen, ungeschönten Realität Platz gemacht.
 

Sie konnten den Club ohne Probleme betreten, der Türsteher würdigte sie nur eines kurzen Blickes und ließ sie dann passieren. Marco folgte Law dicht nach, der sich immerhin auszukennen schien und zielstrebig durch die dicht gedrängten Menschen im Eingangsbereich steuerte, bevor sie auf eine Art gläserne Empore traten, die den Blick über den Hauptraum des Nachtclubs öffnete.
 

Aggressive, basslastige Musik schlug ihnen entgegen, deren tiefe Töne in Magen und Knochen nachhallten - eine Mischung aus Synth und Industrial Rock, zu der die aufgewiegelte Menge auf der Tanzfläche etatistisch feierte. Der gesamte Club schien hauptsächlich aus gläsernen Elementen zu bestehen, wodurch die fantastische Illusion erzeugt wurde, in einem grenzenlos weiten Raum zu schweben. Hinter den gläsernen Wänden und unter dem transparenten Boden wurden lodernde, purpurrote und orange Flammen projiziert, sodass man sich wirklich fast wie im Fegefeuer vorkommen konnte.
 

In Käfigen an der Decke und auf weiteren, an Ketten hängenden, Plattformen über der Tanzfläche räkelten sich Männer und Frauen, deren Körper allesamt wirklich außergewöhnlich aufwendig kybernetisch verändert waren. Marco sah exzentrisch golden oder silbern glänzende Gliedmaßen, mechanische Flügelprothesen, implantierte Hörner oder Geweihe, zusätzliche Körperteile, selbst künstlich veränderte Geschlechtsteile. Eine Frau mit einem weiteren Paar Armen umgarnte einen Mann, dessen halbe Gesichtshälfte menschlich war, während die andere vollkommen kybernetisch funktionierte. Seine mechanische Zunge schnellte heraus und er zog die Frau zu einem tiefen Kuss an sich heran.
 

Marco war inzwischen froh, dass er auf Law gehört hatte und hier nicht als Businessman aufgetaucht war... er kam sich so schon reichlich overdressed vor, einfach dadurch, dass er überhaupt Klamotten trug. Über die Hälfte der Gäste hier schien von Stoff auf der Haut nicht viel zu halten. Eine kurvige Blondine mit künstlichem Kiefer lief an ihm vorbei, die etwas trug, was man mit viel Wohlwollen vielleicht als Bikini bezeichnen konnte. Diese eigenwillige Kreation aus knallgelbem Leder und Nieten überließ wirklich rein gar nichts der Phantasie.
 

Sie schien Marcos Blick fälschlicherweise als Interesse zu deuten, denn sie stöckelte in Stiefeln - die aus mehr Material als ihr restliches Outfit bestanden - zu ihm herüber und strich mit einem sinnlichen Lächeln angetan über seine Brust, machte aber rasch wieder kehrt, als Law ihr mit einem tödlich eisigen Blick und ausgestrecktem Mittelfinger zu verstehen gab, dass sie sich verziehen sollte.
 

Er zog Marco am Arm zu sich und reckte sich zu dessen Ohr hinauf. »Lass' besser niemanden zu nah an dich heran«, warnte er den Blonden über die Musik hinweg. Wenn man hier nicht acht gab, konnte man ganz schnell alles los sein - seine Sinne, seinen Verstand und ganz besonders sein ganzes Geld. Marco nickte verstehend und folgte Law dann die verschlungene, gläserne Wendeltreppe hinab zur Tanzfläche.
 

Unten gab es kleinere Separees, in denen sich die Gäste mit ihren leuchtenden Cocktails tummelten, sich unterhielten oder... für ein schnelles Vergnügen trafen. Eine Frau mit blauen Haaren und künstlichen Dämonenschwingen hatte ihren eh schon knappen Rock hochgezogen und saß auf dem Schoß eines Kerls, mit dem sie großzügig ihren Speichel austauschte. Über die Schulter des Mannes hob sie den verklärten Blick und Marco erkannte auch hier den Einfluss von Beta in ihren violett schimmernden Augen.
 

Ein paar Tische weiter schoben sich ein paar eh schon zugedröhnte Männer Betapillen wie Bonbons in den Mund und spülten diese mit reichlich Alkohol herunter. Einer der Kerle mit schlohweißem Haar hatte den Kopf apathisch in den Nacken gekippt und über ihm kreiste eine knisternde Elektrokugel, die im nächsten Moment funkensprühend in die Höhe schoß. Die Meute jaulte begeistert.
 

Marco wandte den Blick ab und fokussierte sich darauf, Law zwischen den wogenden Körpern und den flackernden Lichtern nicht aus den Augen zu verlieren. Der junge Mann bahnte sich seinen Pfad unaufhaltsam und schob die Leute in seinem Weg einfach rigoros und wenig umsichtig beiseite, doch die meisten schienen das in ihrem Rausch gar nicht zu bemerken.
 

Plötzlich wirbelte Law zu Marco herum, packte ihn an der Jacke und riss den Blonden förmlich an sich, während er sich selbst an die Wand des Clubs drückte und mit unruhig klopfendem Herzen über Marcos breite Schulter wachsam in die Menge spähte. Diamante erhob sich gerade von einem der Tische unweit von ihnen, presste dem kleinen Kellnerroboter seinen Identifikationschip am Handgelenk ruppig vor die Stirn, bevor er die Arme um zwei käufliche, kybernetisch optimierte Damen schlang.
 

Marco wirkte etwas irritiert, wehrte sich allerdings nicht, als er eine Hand neben Laws Kopf an die gläserne Wand stützte und recht fragend auf ihn herab sah. »Eine nervige Exfreundin…!?«, mutmaßte er mit zuckendem Mundwinkel, während er Law bereitwillig mit seinem Körper abschirmte. Neugierig spähte er über die eigene Schulter, doch es war unmöglich zu sagen, von wem Law nicht gesehen werden wollte.
 

»Das wäre mir lieber…«, murmelte Law düster, kaum zu verstehen gegen die dröhnende Musik, sodass Marco die Worte eher an seiner Lippenbewegung erahnte.
 

Diamante unterhielt sich noch kurz mit einem fremden Mann, dann verschwand er mit den Frauen in der Menge. Mit einem knappen Seufzen ließ sich Law gegen die Wand fallen und gab Marcos Jacke wieder frei, in dessen Material er bis eben die Finger gekrallt hatte. Nun war ihm seine überzogene Reaktion fast ein bisschen unangenehm, doch er hatte wenig Lust hier von Doflamingos Offizier gesehen zu werden, noch dazu in Begleitung von Marco Phoenix. Das würde nur unbequeme Fragen aufwerfen, die er gerade nicht beantworten wollte.
 

»Entschuldige, aber es gibt ein paar Leute, denen ich gerade ungern über den Weg laufen will...«, erklärte Law sein Verhalten, indem er sich wieder zu Marco lehnen musste, um die Musik überhaupt zu übertönen. Erst jetzt, da sie so nah beieinander standen, fiel Law auf, dass Marco tatsächlich fast noch einen halben Kopf größer war als er... und das der Kerl wirklich verdammt gut roch. Zwischen all den schwitzigen Körpern umher, zwischen dem kratzigen Aroma von Magie und Drogen und dem scharfen Geruch nach Alkohol, war Marcos frischer, herber Duft ziemlich angenehm und eine Wohltat für Laws empfindliche Nase.
 

»Schon okay«, meinte Marco gelassen, bevor sie sich zusammen weiter durch die Menge schoben. Law steuerte einen Bereich hinter der gigantischen Bar an, in deren gläsernem Tresen die Projektion von sich in Ekstase und Pein windender, ineinander verschlungener nackter Körper abgebildet wurde. Dahinter schien eine weitere Treppe noch eine Etage tiefer zu führen, vermutlich in den Keller, denn das gußeiserne Gestell war weniger gut in Schuss, eher ziemlich verbeult und schäbig.
 

Davor stand ein bulliger Kerl mit massiven, kybernetischen Armen und dem Gesicht eines Gorillas, der ihnen in den Weg trat, doch Law fischte eine kleine, goldene Münze, geprägt mit Jokers Emblem aus der Jeans und schnipste diese dem Mann entgegen. Der fing die Münze in der riesigen Faust, beäugte sie kurz prüfend, bevor er mit einem Schnauben beiseite trat und sie passieren ließ.
 

Marco stieg hinter Law die schwankenden Stufen hinunter und tatsächlich ähnelte der karge Raum hier unten einem Getränkelager und Abstellraum. Einige Kisten, Kartons und Paletten türmten sich an den kalten Wänden, der Boden war aus blankem Beton und die flackernde, klinische Neonröhre an der Decke beleuchtete ein paar simple Regale mit Reinigungsmitteln. Von hier unten zweigte nur eine weitere Tür ab, auf die Law nun zielgerichtet zulief.
 

Doch bevor er sie erreichte, öffnete sich die schwere Tür von selbst und aus der Dunkelheit dahinter stürmte ein weißer, massiger Körper heran, der sich wie ein Bulldozer auf vier Pfoten vor ihnen aufbaute. Der Hund war gigantisch, unter dem kurzen, weißen Fell bewegten sich massive Muskeln, als er jetzt in geduckter Haltung vor ihnen anhielt und die Lefzen hochzog. Die dunklen Augen funkelten bedrohlich und viel zu intelligent und er knurrte guttural in Marcos Richtung, der beim Anblick der fast handtellergroßen Pfoten und des kräftigen Kiefers mit den perlweißen Fängen ein ganzes Stück zurückwich.
 

Law dagegen trat einen Schritt nach vorn und befahl mit herrischer Stimme und unbeugsamer Haltung: »Sitz, Bepo!«
 

Marco traute seinen Augen kaum, als sich dieses Riesenvieh von einem Hund tatsächlich sofort auf die Hinterpfoten nieder ließ und den jungen Mann treudoof ansah... und noch ungläubiger blinzelte er, als sich die Steroide in Fellform unterwürfig auf den Rücken rollten, der Hund glücklich mit dem Schwanz wedelte und zufrieden winselte, als Law sich neben ihm in die Hocke sinken ließ und dem Ungetüm den Bauch kraulte. »Guter Hund...«, raunte der junge Mann freundlich und eine ungewohnte Sanftheit erhellte sein ernstes Gesicht.
 

»Oh man, Bepo... du bist mir ja ein feiner Wachhund, du treulose Tomate...«, krächzte eine Stimme wie altes Eisen. Eine Frau lehnte inzwischen im Türrahmen, die ihre besten Jahre eindeutig schon überschritten hatte... das schien sie aber nicht davon abzuhalten, ein bauchfreies Top und eine tiefsitzende Hüftjeans zu tragen, die ihrem hageren Körper wenig schmeichelten. »Law, du verdammt hübscher Bastard - hör' endlich auf, aus dem Köter einen Schmusebären zu machen!«
 

Law kraulte Bepo nochmals mit den tätowierten Fingern hinter dem Ohr, dann erhob er sich geschmeidig und schenkte der grauhaarigen Frau ein schmales Lächeln. »Hallo Kuleha.«

Die Schwestern

»Nun, wie kann ich euch helfen, Jungs?« Kuleha betrat vor ihnen den düsteren Raum, in dem es unangenehm nach kaltem Rauch und schalem Bier stank. Im Grunde war es ein vollgestopftes Büro - fast mannshohe Papierstapel türmten sich auf dem abgegriffenen Schreibtisch, einige, flackernde Monitore hingen schief an der Wand und zeigten das Außenareal des Purgatory, sowie den Eingangs- und den Barbereich des Clubs.
 

Kuleha stolzierte beachtlich sicher auf ihren absurd hohen High Heels hinter ihren Schreibtisch, wühlte sich durch ein paar alte Zeitungen, bevor sie eine Zigarettenpackung hervor zog und sich eine davon anzündete. »Will dein arroganter Boss wieder irgendwas, Law?«, fragte sie mit kratziger Stimme, nachdem sie einen tiefen Zug inhaliert hatte. »Der sollte endlich mal lernen, dass man mit Mädchen wie mir anders umgehen muss. Keine Manieren, dieser Bursche...«, murrte sie und beobachtete Law und Marco scharf durch eine ausgestoßene Rauchwolke.
 

»Ich bin heute nicht für Joker hier...«, berichtigte Law tonlos, der sich inzwischen einen Platz an der schmutzig-grauen Wand gesucht und dagegen gelehnt hatte. Von seiner Position aus hatte er die Überwachungsmonitore im Blick und Marco bemerkte, dass die grauen Augen des jungen Mannes unter der tiefsitzenden Mütze das Geschehen draußen aufmerksam im Auge behielten.
 

»Ach, nicht?!«, hob Kuleha hellhörig eine Braue, dann räumte sie eine Ecke des Schreibtisches von den Papieren frei und schob ihren knochigen Hintern selbst auf die Platte. Mit einem Gesichtsausdruck, der vielleicht vor sechzig Jahren verführerisch gewesen wäre, schürzte sie die Lippen und rückte ihren hageren Leib etwas mehr in Pose. »Was kann die liebe Kuleha denn dann für zwei so hübsche Kerle wie euch tun, hm?«
 

Der riesige, weiße Hund hatte zu Laws Stiefeln Stellung bezogen und drückte den Kopf bittend gegen den Oberschenkel des jungen Mannes. Law ließ geistesabwesend eine Hand sinken und kraulte Bepo den Kopf. Er schien Kulehas anzügliches Verhalten überhaupt nicht wahr zu nehmen... oder aber er war schlichtweg gut darin, so etwas einfach zu ignorieren. »Mein... Bekannter hier«, dabei nickte Law zu Marco hin, »möchte zu Spider. Kannst du ein Treffen vereinbaren?«
 

»Ach...«, interessiert ruckte Kulehas Kopf zu Marco, den sie nun mit einem geschäftigen Interesse betrachtete. Gemächlich zog sie erneut an ihrer Zigarette und legte den Kopf dann ein wenig schief, als sich ihre Augen prüfend verengten. »Sag, mein Schöner, dich hab' ich hier noch nie gesehen, aber du kommst mir irgendwie so bekannt vor... wie heißt du?«, verlangte sie mit schmeichelnder Stimme zu wissen.
 

Marco holte schon rein instinktiv Luft für eine Antwort, doch Law fuhr ihm eigensinnig dazwischen. Sein schneidender Blick kreuzte den von Marco und darin lag eine unmissverständliche Anweisung: Überlass' mir das Reden. »Er ist möglicherweise ein neuer Anwärter für Trebols Offiziersposten. Der alte Kerl wird in letzter Zeit nachlässig und Doflamingo gefällt das gar nicht... er überlegt schon länger, Trebol abzusetzen«, log er ungerührt.
 

Kuleha wirkte mit einem Mal sehr begierig und schob sich auf dem Schreibtisch ein wenig weiter vor, wie gebannt an Laws Lippen hängend. »Oh, was du nicht sagst...«, wisperte sie mit diebischer Freude. Es war ein offenes Geheimnis, dass sie und Trebol eine alte Feindschaft hegten. Kuleha konnte den Offizier von Doflamingo noch nie ausstehen und sie würde wahrscheinlich so einiges unterstützen, was Trebol schaden könnte.
 

»Wir brauchen ein paar Infos von Spider und wenn wir es geschickt anstellen, ist Trebol wahrscheinlich bald Geschichte«, erklärte Law kurz angebunden. »Mehr musst du nicht wissen.«
 

»Verstehe...«, grinste die alte Frau gehässig, doch mit einem Mal wurde ihr Lächeln gefährlich und sie fragte arglistig: »Doch sag' mir, Law... warum hilfst du deinem Bekannten so bereitwillig? Gehörst du nicht genauso wie Trebol zu Jokers geliebter Familie. Das zeugt aber von einer schlechten Erziehung, mein Lieber. Hintergeht man sich in einer Familie denn gegenseitig, hm?«
 

Law hielt dem prüfenden Blick Kulehas ungerührt stand. »Trebol steigt schon seit geraumer Zeit meiner Schwester nach. Ich will, dass er aus Lamys Nähe verschwindet... am besten in irgendein namenloses Grab.« Seine Stimme trug genug Abscheu und kalte Wut, um seine Geschichte glaubhaft wirken zu lassen. Die Lüge kam ihm leicht über die Lippen.
 

»Haha, Trafalgar... du bist wirklich eiskalt, nicht wahr?!« Kuleha lehnte sich zurück und überschlug die dünnen Beine, während sie nachdenklich an ihrer Zigarette zog und Law eingehend musterte, doch aus dessen ausdruckslosem Gesicht konnte man wie immer so gut wie gar nichts herauslesen. »Na schön... aber du weißt, dass das etwas kosten wird? Ein Gefallen für einen Gefallen, so sind die Regeln, meine Hübschen«, informierte sie die beiden Männer und strich etwas Asche von ihrer Zigarette in den eh schon übervollen Aschenbecher auf dem Schreibtisch.
 

»Natürlich«, bestätigte Law seelenruhig und glitt mit den tätowierten Fingern durch Bepos flauschiges, weißes Fell, bevor er ihm auf den Hals klopfte. Als wäre das ein geheimes Zeichen, erhob sich der Hund und trottete gemächlich zu Kuleha zurück, um sich unter deren Schreibtisch nieder zu legen, den Kopf auf den riesigen Pfoten gebettet.
 

Kuleha rieb sich geschäftig die Hände, die Zigarette in den Mundwinkel geklemmt, dann sprang sie überraschend gelenkig vom Schreibtisch und wühlte sich durch den Pult an Dokumenten und Dossiers der Büroeinrichtung. Mit kalkuliertem Blick checkte sie den Kalender und die Uhrzeit. »Nun, ich glaube, ich habe da genau das Richtige für euch... immerhin hat man nicht jeden Tag die Gelegenheit, dass Jokers Henker für einen arbeitet, nicht wahr?!«, giggelte sie maliziös.
 

Laws Kiefermuskeln verkrampften sich und er verschränkte die Arme vor der Brust, als könnte er so das unangenehme Gefühl zurückhalten, das bitter in seiner Kehle lauerte. Er war sich Marcos Anwesenheit sehr bewusst und zum ersten Mal war es ihm vielleicht nicht völlig gleichgültig, was ein anderer von ihm dachte. Doch der Konzerner schien sich an Kulehas Wortwahl - oder der unterschwelligen Offenbarung - gar nicht zu stören, zumindest ließ er sich nichts dergleichen anmerken.
 

»Hier«, drückte Kuleha Marco ein kleines, leuchtendes Pad mit den Details des Auftrages in die Hand. »Am University Hospital hier in Akihabara ist eine Lieferung abzuholen. Ein Mitarbeiter der Klinik wird am Lieferanteneingang auf euch warten. Bringt die Ware dann unbeschädigt und vollständig zu dieser Adresse in der Red Zone und sagt, dass ich euch schicke.« Ihr langer, lackierter Nagel klickerte auf dem Display, als sie mit dem Zeigefinger darauf wies.
 

»Die Red Zone...?!«, fragte Marco gedehnt nach, als er das Auftragsdossier etwas unsicher an sich nahm. Die Red Zone war ein nördlicher Außenbereich von Tokio, ein ehemals fortschrittliches Randgebiet der Megametropole und für die Erweiterung der Industrie gedacht, das aber nach den Scornangriffen vor vierzehn Jahren größtenteils aufgegeben wurde. Seither war das Gebiet fast nicht mehr als eine Geisterstadt, wohin sich eher selten jemand verirrte, vor allem, da immer noch vereinzelt Scorn dort zu finden waren. Der Bereich wurde größtenteils von gesetzlosen Banden und vom System vergessenen Obdachlosen beherrscht.
 

»Angst, sich die Finger schmutzig zu machen, mein Schöner?«, kicherte Kuleha amüsiert. Ihre dünnen Finger glitten begierig und ungefragt über Marcos Oberarm, der zu höflich war, um sie in ihre Schranken zu verweisen. Etwas gequält hielt er ihrer Begutachtung stand. »Hm, dabei siehst du doch aus, als könntest du dich durchaus deiner Haut erwehren... was für Muskeln, meine Güte...«, murmelte sie bewundernd.
 

»Schon gut, wir übernehmen den Auftrag«, bestimmte Law unterkühlt und nahm Marco das Pad aus der Hand, wobei er sich absichtlich zwischen ihn und Kuleha drängte. Das ungebührliche Verhalten der Frau war ihm unangenehm und es nervte ihn irgendwie, dass sie den Konzerner so schamlos berührte... eine Frau in ihrem Alter sollte wirklich wissen, wie man sich benahm.
 

»Na dann, meine Vögelchen... husch husch, macht euch auf den Weg!«, scheuchte Kuleha die Männer dann aus ihrem Büro. »Ein junges Mädchen muss noch arbeiten. Wenn der Auftrag erledigt ist, sorge ich für das Treffen mit Spider.« Damit schlug sie hinter Law und Marco die Tür zu, kaum, dass die beiden draußen waren.
 

»Spider?!«, fragte Marco jetzt mit gehobener Braue nach.
 

Law überflog nochmals kurz die Daten des Pads, dann sah er in Gedanken auf. »Hm, so nennt er sich selbst. Er betrachtet sich als Spinne in ihrem Netz, die alles überwacht. Der Cyberkinet ist ein bisschen exzentrisch«, erklärte er, als sie die Treppe zum Club wieder nach oben stiegen. »Aber er ist der Beste seines Fachs. Glaub' mir, wenn irgendjemand etwas über dieses Metallding weiß, dann Spider
 

Erneut bahnten sie sich ihren Weg durch die feiernde, zugedröhnte Menge des Purgatory wieder nach draußen, begaben sich zu Marcos Rayfield Caliburn und fuhren das Krankenhaus hier im Bezirk an. Wie Kuleha es vorausgesagt hatte, wartete ein recht nervöser Pfleger am Lieferanteneingang, der ihnen wortlos ein großes Paket überreichte und sich dann flink verkrümelte... ein fast untrügliches Indiz dafür, dass der Auftrag vielleicht nicht gänzlich legal war.
 

»Warum hast du Kuleha eigentlich diese Geschichte aufgetischt, von wegen, ich wolle Trebol ersetzen...?«, wollte Marco dann doch wissen, als sie wieder im Wagen saßen, den sie etwas abseits vom Krankenhaus geparkt hatten.
 

Law ließ sich in den Autositz zurücksinken und wog das Päckchen argwöhnisch in den Händen. »Kuleha ist als Vermittlerin von Söldner- und Kopfgeldaufträgen weitestgehend neutral in der Stadt. Aber wenn sie eine gute Information riecht, wird sie diese ohne Skrupel an den Meistbietenden verkaufen. Und ich schätze, dein Name und die Tatsache, dass du nach Spider suchst, sind definitiv Infos, für die jemand Geld bezahlen würde. Aber in die internen Machtkämpfe der Kartelle wird sie sich nicht einmischen, das würde ihre Unparteilichkeit gefährden und ihre Stellung als neutrale Vermittlerin. Außerdem hasst sie Trebol«, meinte Law gleichgültig. »Also wird sie vermutlich so schlau sein und die Klappe halten.«
 

»Vermutlich...?!«, zog Marco die Stirn in Falten.

Law zuckte mit den Schultern. »Man kann nie zu hundert Prozent sicher sein...«
 

»Danke, dass du so umsichtig bist«, sagte Marco ehrlich. Er hätte vermutlich gar nicht so weit gedacht, dass es vielleicht besser wäre, nicht allzu schnell erkannt zu werden und sich eher unter dem Radar zu bewegen. Shanks hatte ihn förmlich ins kalte Wasser geworfen mit diesem dämlichen Senatsposten, ohne ihm wirklich zu erklären, wie er sich am besten verhalten sollte.
 

Law nickte knapp. »Schon in Ordnung...«, raunte er abwehrend, da er Dank sonst kaum gewohnt und der ihm eher fremd war. Meist verfluchten ihn die Menschen, als das sie ihm für irgendetwas danken würden... oder sie gaben ihm Befehl und erwarteten schlichten Gehorsam. Er legte sein Schwert beiseite, dann stellte er das Päckchen auf seinem Schoß ab und riss es kurzerhand auf.
 

»... sagte die gute Frau nicht eigentlich, dass wir es unbeschadet am Zielort überbringen sollen?«, wagte Marco mit einem gehobenen Mundwinkel einzuwerfen, während er sich über das Kinn rieb und Law mit eher gemischten Gefühlen beobachtete. Entgegen seines rationalen Verstandes - und Shanks' Rat - vertraute er dem jungen Mann zwar irgendwie, aber grundsätzlich war er selbst es eben gewohnt, Anweisungen auch zu befolgen.
 

»Ich weiß gern genau, was mich erwartet. Ich habe hier schon einige böse Überraschungen erlebt...«, erklärte Law, während seine tätowierten Finger die Verpackung fliegend öffneten.

Marco lehnte sich ein wenig zu ihm hinüber, nun ebenfalls neugierig geworden auf den Inhalt des Pakets. »Und, was ist drin?«

Der junge Mann zog eine kleine Tablettenschachtel und ein paar gläserne Ampullen heraus, die er mit gerunzelter Stirn studierte und dann verwundert das Offensichtliche aussprach: »Das sind Medikamente...«
 

»Naja, wir haben es ja auch von einem Krankenhaus... Was hast du denn erwartet?«
 

»Etwas offensichtlichere Hehlerware...!? Warum sollte man uns wegen ein paar Medikamenten in die Red Zone schicken?«, murmelte Law grübelnd und legte alles in das Päckchen zurück, das er dann vorsichtig wieder verschloß. Eine Seitenstraße weiter fuhr eine Polizeistreife mit kreisendem Blaulicht vorbei. »Vielleicht sollten wir lieber langsam verschwinden«, schlug Law vor und Marco startete den Motor des Caliburn, während der junge Mann die Adresse in das Navigationssystem eingab, die Kuleha ihnen mitgeteilt hatte.
 

Die Red Zone war genau das, was man sich unter einem vergessenen Stadtviertel und ehemaligen Kampfgebiet vorstellen würde - aufgegebene und verlassene Industriegebäude, die sich an kleine, ehemals sicher hübsche Wohngebiete, bestehend aus Einfamilienhäusern mit Vorgärten anschlossen, die inzwischen doch verwaist und verwildert waren.
 

Wo innerhalb des Großraums Tokio Gebäude aus Platzmangel hauptsächlich nur noch in die Höhe wuchsen, hatte man hier vor Jahren versucht, sich wieder am Stil der kleinen, amerikanischen Vororte zu orientieren - Industrialisierung gepaart mit einer familienfreundlichen Wohnsituationen. Doch die Scorn hatten den westlichen Traum schnell platzen lassen.
 

Inzwischen waren die Gebäude hauptsächlich verlassen und verfallen, nur hier und da brannte noch Licht hinter schmutzigen Gardinen. Irgendwo schien eine Untergrund-Party stattzufinden, da der Bass aus einem der Häuser wummerte. Hartgesottene Banden drängten sich um offene Feuerstellen der Trailer Parks, die inzwischen in den heruntergekommenen Gärten entstanden waren und verfolgten den auffälligen Caliburn mit gierigen Augen. Von der einstigen Aufbruchsstimmung war nur noch wenig zu sehen.
 

Marco fuhr langsam die Straße mit den flackernden Straßenlaternen entlang und näherte sich gemächlich der Auffahrt, die ihren Zielort markierte und zu einem kleineren Fertigteilhaus mit schmuckloser Veranda führte, das sich an eine alte, abgewetzte Lagerhalle anschloss. Hinter dem schräg hängenden Zaunsfeld parkten einige Rostlauben im Garten vor dem großen Rolltor der blechernen Lagerhalle, in der noch schummriges Licht brannte.
 

Marco wollte schon einlenken und den geschotterten Kiesweg hinauffahren, als Law ihm überraschend eine Hand auf den Arm legte und den Kopf schüttelte. »Wir sollten etwas abseits parken...», schlug der junge Mann bestimmt vor, dann zog er seine Finger auch schon überhastet wieder zurück, als wäre die Berührung aus einem Reflex heraus passiert und ihm unangenehm. »Dein Auto ist ziemlich auffällig. Besser, man sieht es nicht sofort hier in der Auffahrt stehen...«, sagte Law.
 

Marco nickte verstehend und fuhr noch ein Stück die glücklicherweise leere Straße entlang, bevor er den Caliburn hinter einer Häuserecke abstellte, sodass er zumindest nicht auf den ersten Blick zu sehen wäre. Sie stiegen beide aus und näherten sich dem Haus nun langsam. Law hatte sein Schwert zwar nicht gezogen, doch Marco erkannte bereits an der Art und Weise, wie er die Straße auf und ab blickte, wie er jeden Schritt bedacht setzte, dass der junge Mann ihre Umgebung aufmerksam im Blick behielt und jederzeit für einen Angriff gewappnet schien.
 

Er selbst folgte Law dich auf nach, das Päckchen mit den Medikamenten unter den Arm geklemmt und öffnete beiläufig seine Jacke, um jederzeit an die Waffen in seinem Holster heranreichen zu können. Er kannte sich in diesem Milieu überhaupt nicht aus und vertraute so ziemlich auf Laws Einschätzung und Erfahrung, wobei er natürlich abermals darüber nachgrübelte, was den jungen Mann und seine Schwester wohl in diese Welt der Kartelle geführt hatte...
 

Gedankenverloren blieben Marcos Augen an Laws schlanker Gestalt hängen, der unweit vor ihm lief und ihm einen kurzen Blick über die Schulter zuwarf, als sie die Straße querten. Der Mann schien ein einziges Rätsel mit vielen Geheimnissen und das machte ihn unheimlich interessant. Doch Marco machte sich auch keine Illusionen - sobald Lamy geheilt wäre, würden die beiden mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder aus seinem Leben verschwinden, auch wenn er das wirklich... bedauerlich fand.
 

Sie erreichten die recht lädierte Haustür, von der bereits die Farbe abblätterte und Law betätigte die Klingel, die scheppernd im Haus nachhallte. Irgendwo in der verlassenen Nachbarschaft bellte ein Hund und ein Zug zog in der Ferne vorbei, sonst war es fast schon gespenstisch still hier draußen, wenn man die ständigen Geräusch der Megastadt gewohnt war.
 

Law lauerte angespannt auf Schritte hinter der Tür, während sein Blick abermals über die Umgebung glitt und er nach verräterischen Anzeichen eines Hinterhaltes Ausschau hielt. Dabei war ihm Marcos ruhige Präsenz im Rücken nur allzu bewusst. Er wirkte wesentlich gelassener als Law selbst, jedoch nicht leichtsinnig oder unaufmerksam, denn Law war durchaus aufgefallen, dass Marco eine Hand bewusst freihielt, um jederzeit seine Waffe ziehen zu können. Irgendwie... war es befremdlich für Law, jedoch auch seltsam beruhigend, einmal nicht auf sich allein gestellt unterwegs zu sein.
 

Von drinnen waren nun zögerliche Schritte zu hören, die sich der Tür näherten. Dann klirrte eine Kette und ein Schloß wurde dumpf entriegelt, bevor die Tür einen Spalt breit aufgezogen wurde. Heraus spähte eine junge Frau mit kinnlangen, fliederfarbenen Haaren, die sie sich mit einem Haarreif aus dem Gesicht hielt, das mit Streifen von Motoröl und Bremsstaub beschmiert war. Sie hatte hübsche grüne Augen, die allerdings misstrauisch verengt waren, als sie die beiden Männer vor ihrer Tür jetzt musterte und unfreundlich zu wissen verlangte: »Wer seid ihr und was wollt ihr?«
 

Aus dem Hintergrund hinter ihr war das Miauen einer Katze und das Krächzen eines Vogels zu vernehmen. Der Kopf eines munteren Schäferhundes mit einem kybernetischen Auge tauchte neben ihr im Türrahmen auf und versuchte sich an ihrem Oberschenkel vorbei zu drücken, doch sie schob den Hund mit einer Hand bestimmt hinter sich, die ebenfalls komplett kybernetisch war. Irgendwo im Haus erklang gedämpfte Musik und das Knattern eines alten Generators.
 

»Kuleha schickt uns«, erläuterte Law tonlos und deutete mit dem Finger hinter sich, wo Marco das mitgebrachte Päckchen kurz anhob. »Wir sollen hier etwas abliefern.« Entweder tappten sie jetzt sehenden Auges in eine Falle der alten Hexe - Kuleha hatte manchmal einen merkwürdigen Sinn für Humor - oder aber sie würden endlich erfahren, was sie hier sollten. Ein schlichter Botengang war eigentlich fast zu einfach.
 

Die junge Frau hob eine Braue und Law konnte förmlich sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete und sie sie einzuschätzen versuchte. Sie wischte sich die mechanische Hand an ihrer grauen Latzhose ab und ihre Augen huschten abermals abschätzend zwischen Marco und Law umher. Ihre Aufmerksamkeit blieb dann an Marcos großer Gestalt hängen. Der Blonde schenkte der verunsicherten Frau ein charmantes Lächeln, was wahrscheinlich auch einen Eisberg hätte erweichen können.
 

Das schien sie tatsächlich irgendwie zu überzeugen, wie Law verwundert feststellte, da sie nun einen Schritt zurück trat und die Tür gänzlich aufzog. Der Konzerner hatte wirklich eine außergewöhnlich interessante Wirkung auf andere Menschen... und da nahm Law sich selbst nicht einmal aus. »Kommt rein...«, gewährte sie nicht gerade einladend, aber auch nicht mehr so eisig wie am Anfang.
 

Die beiden Männer traten ein und Law nutzte die Gelegenheit, da die junge Frau den Schäferhund abermals am ausbüchsen hinderte, sich rasch umzusehen. Die Einrichtung des Hauses war sehr schlicht, wirkte aber durchaus bewohnt und trotz eines hohen Grades von Abnutzung behaglich. Nichts deutete darauf hin, dass dies hier etwas anderes war als ein Wohnhaus. Der Eingangsbereich öffnete sich gleich in ein großes, gemütliches Wohnzimmer mit angrenzender Küchenzeile, eine verschlossene Tür zweigte vom Flur noch ab, ebenso wie eine Treppe, die offenbar ins obere Stockwerk führte.
 

Auf einer abgewetzten Wohnlandschaft lag ein weiterer Hund mit einer verbundenen Pfote, der jetzt neugierig den Kopf hob. Neben ihm hatte sich eine Katze zusammengerollt und um die vergilbte Deckenlampe flatterte ein Papagei, dessen Flügel komplett mechanisch waren. Er landete auf der Gardinenstange und beäugte sie, während er sich mit den ebenfalls metallisch glänzenden Klauen den Schnabel putzte.
 

Die Frau schloß die Tür hinter ihnen fast hektisch und schob eine Vielzahl an Riegeln und Schlössern vor, wie Law mit einem Heben der Braue zur Kenntnis nahm. Entschlossen zog sie die Vorhänge vor die Fenster, erst dann wandte sie sich den Männern wieder zu. »Wir haben hier oft Probleme mit... unerwünschten Besuchern«, erklärte sie kurz angebunden.
 

»Nojiko, wer ist da?«, erklang eine helle Stimme. Eine weitere, junge Frau mit kupferroten, langen Haaren kam die Treppe herunter, ein maunzendes Kätzchen mit kybernetischen Augen und Ohren auf dem Arm. Sie blieb wie angewurzelt auf dem unteren Treppenabsatz stehen und musterte die beiden Männer aus großen, braunen Augen, nicht so feindselig wie Nojiko, eher verwundert und neugierig.
 

»Kuleha hat die beiden geschickt...«, klärte Nojiko die junge Frau mit einer unbestimmten Handbewegung auf.
 

»Oh... Hallo«, lächelte die Rothaarige verzückt. Sie war wirklich hübsch und hatte einen ansehnlichen, perfekten Körper, was in ihrem knappen Top und der engen Hotpants auch kaum zu übersehen war, doch mehr als professionelles Interesse hatte Law für sie nicht übrig - schon gar nicht, da sie zu einem Auftrag gehörte.
 

Seit Jahren hatte er bis auf ein paar Abenteuer und unpersönlichen Sex kein weitergehendes Verlangen nach Frauen und erst recht nicht nach einer engeren Bindung. Emotional hielt er - bis auf Lamy - jeden bewusst auf Abstand. Seine gesamte Aufmerksamkeit galt Doflamingo, seinen eigenen Plänen und dem Schutz seiner Schwester.
 

Nojiko presste die Lippen aufeinander und schloss entnervt die Augen. »Ich sagte doch, du sollst oben bleiben, Nami... kannst du nicht einmal hören?«, meckerte sie resigniert und wischte sich mit den kybernetischen Fingern ihres rechten Armes durch die violetten Haare. Die mechanische Schulter grenzte an die schlimm vernarbte Haut ihres Brustkorbes, was wie eine alte Brandwunde aussah.
 

»Ich hab' Stimmen gehört... und außerdem wollte ich Patty füttern«, murmelte Nami, als würde das alles erklären, dann trat sie die letzte Stufe herunter und lief geschmeidig und mit einem kleinen Lächeln an Law und Marco vorbei, bevor sie das gähnende Kätzchen in einem Körbchen im Wohnzimmer absetzte. »Ich dachte schon, Arlong wäre wieder da...«
 

»Und... was hättest du dann getan!?«, fragte Nojiko herausfordernd. »Du weißt genau, wie es ausging, als du das letzte Mal die Beherrschung verloren hast...« Fast anklagend deutete sie auf eine rußgeschwärzte, gezackte Schmauchspur an der Decke, die Law erst jetzt auffiel.
 

»Ich hab' es jetzt schon viel besser unter Kontrolle...«, murrte Nami beleidigt und holte eine Dose Futter aus dem Kühlschrank, die sie öffnete und in zwei quietschbunte Futternäpfe für die Hunde füllte, die sich sofort schwanzwedelnd darüber hermachten. Dann stellte sie ein Schälchen mit Futter für das Kätzchen auf den Boden.
 

Nojiko schüttelte nur den Kopf, dann wandte sie sich wieder an Marco und Law, die bisher recht verloren im Wohnzimmer standen. »Zeigt mal, was ihr mitgebracht habt...«, streckte sie eine Hand aus.
 

Marco übergab ihr das Päckchen und Nojiko betrachtete die aufgerissene Verpackung zwar mit finster zusammengezogenen Brauen, sagte aber nichts dazu. Sie wühlte kurz in dem Paket, sichtete den Inhalt und nickte dann wohlwollend. »Sieht vollständig aus. Nami, bring' das hoch zu Genzo.«
 

Nami rollte mit den Augen auf Grund des Befehlstones, kam aber zu ihnen herüber und schnappte sich das Paket. »Kommt ruhig mit hoch«, meinte sie mit einem einladenden Lächeln zu Law und Marco. »Wenn Genzo zufrieden ist, könnt' ihr Kuleha Bericht erstatten.«
 

Sie lief vor ihnen die Treppe hinauf und Law kam es so vor, als würde sie sich dabei besonders viel Zeit lassen und ihre Hüfte demonstrativ vor ihren Augen bei jedem Schritt lasziv wiegen. Er schielte zu Marco hinüber, doch der Konzerner achtete überhaupt nicht auf die Frau. Er sah Law von der Seite her an und lächelte amüsiert, als der Schäferhund ihnen ebenfalls folgte, die Schnauze gegen Laws Oberschenkel drückte und um Aufmerksamkeit heischend neben ihnen die Treppe übermütig hinauf tänzelte. »Scheint, als hättest du einen neuen Freund gewonnen...«
 

Law schmunzelte leicht und kraulte dem Hund die weichen Ohren. Er hatte seltsamerweise schon immer einen guten Draht zu Tieren und mochte sie teilweise auch einfach lieber als Menschen, da sie für ihn oftmals wesentlich einfacher zu verstehen und einzuschätzen waren als die menschlichen Eigenarten. Ein Tier würde ihn niemals auch reiner Bosheit heraus einfach anfallen oder versuchen ihn arglistig für seine Zwecke einzuspannen...
 

Die obere Etage des Hauses diente nur teils als Wohnraum, die andere Hälfte war ein Übergang zu der anliegenden Lagerhalle, die ebenfalls in zwei Etagen geteilt war, was von außen kaum ersichtlich schien. Der untere Teil wurde offenbar als Werkstatt genutzt, wahrscheinlich die Wirkungsstätte von Nojiko, die sich gerade auch wieder an einem alten Transporter zu schaffen machte, der mit offener Motorhaube in der Halle stand.
 

Die obere Etage der Halle jedoch führte geradewegs in eine überraschend gut ausgestattete Tierklinik, die unerwartet hell und sauber war und wo ein älterer Mann gerade einen kleineren Hund auf einem metallischen Untersuchungstisch aufrecht hielt und die Mobilität von dessen Gliedmaßen prüfte - das Tier hatte kybernetische Beine und schien diese nicht richtig koordinieren zu können.
 

In einem angrenzenden Nebenraum sah Law eine Vielzahl an geräumigen Käfigen, Zwingern und kleineren Gehegen, wo allerlei Vierbeiner offenbar zur Genesung ruhten. Ein munteres Äffchen mit künstlichen Pfoten klammerte sich an die Käfiggitter und betrachtete die Neuankömmlinge neugierig und in einem der Zwinger lief ein Fuchs mit mechanischer Schnauze und zusätzlich implantierten, buschigen Schwänzen seine Runden. Das Ganze hier mutete wie eine Auffangstation für Tiere mit kybernetischen Implantaten an.
 

»Genzo... Kuleha hat neue Medikamente geschickt.« Nami trat zu dem älteren Mann hinüber und hielt ihm das Päckchen unter die Nase.
 

»Danke, bring' es in den Vorratsraum, ich seh' es mir später an«, meinte Genzo beschäftigt, dann schien er Law und Marco aber zu bemerken, die etwas abseits stehen geblieben waren und blickte auf. Mit geschmälerten Augen fixierte er sie kritisch. »... und wer sind die zwei?«
 

Nami zuckte mit den Schultern, meinte dann aber grinsend: »Kuleha hat sie hergeschickt. Ich glaube, sie wollte mir damit eine Freude machen. Sie haben die Medikamente gebracht.«

Genzo runzelte verwundert die Stirn und murmelte: »Persönlich hergebracht... aber warum...-«
 

Plötzlich brach in der Werkstatt unten Hektik aus. Das große Rolltor fuhr scheppernd hoch und ein dunkler Transporter schob rückwärts herein. Die Hecktüren wurden von drei Männern aufgerissen, kaum das der Wagen angehalten hatte. Nojiko eilte zu den schwarz gekleideten Fremden hinüber und half ihnen, einen großen Käfig von der Laderampe des Transporters zu rollen, in dem eine riesige, schwarze Raubkatze umher tigerte, die sich nun im Neonlicht nach der Finsternis des Wagens fauchend gegen die Gitterstäbe warf und mit den Krallen nach einem der Männer langte.
 

»Mist...! Bringt was zum sedieren, das Vieh reißt uns sonst noch die Eingeweide raus!«, brüllte einer der Kerle fluchend, nachdem er abermals den Klauen ausgewichen war. Er zog sich die Mütze vom Kopf und wischte sich damit über die schweißbedeckte Stirn. Allgemein wirkten die Kerle ziemlich gehetzt und mitgenommen.
 

In den goldenen Augen des Panthers standen Panik und Schmerz, den langen Schweif hatte er angespannt eingeklemmt und die Lefzen zitternd hochgezogen. Die Flanken und Seiten des wunderschönen Tieres waren mit Metallplatten, ähnlich einer Rüstung überzogen, die man ihm mehr als stümperhaft implantiert hatte und die der Körper des Tieres abzustoßen schien, denn es gab geschwollene und entzündete Wundränder, die offensichtlich nicht heilen wollten.
 

Nojiko riss geistesgegenwärtig ein Betäubungsgewehr aus einer Wandhalterung, die hinter einem Werkzeugschrank verborgen war, legte einen der Pfeile ein und setzte der Raubkatze einen gezielten Schuss in den sehnigen Hals. Das Tier fauchte und fuhr herum, doch beinahe sofort trübten sich seine Augen ein und es sackte benommen zu Boden, grollte die Männer aber noch immer warnend an, als diese sich dem Käfig wieder näherten.
 

»Verpass' ihm noch 'ne Ladung, Nojiko!«

»Nein! Wir wollen ihn nur ruhigstellen und nicht ins Koma verfrachten!«, fuhr Genzo aufgebracht dazwischen, der nun die alte Metalltreppe in die Werkstatt hinunter hinkte. Ihm schien eine alte Verletzung zu schaffen zu machen. Er schob einen der Kerle aus dem Weg, um sich selbst einen Überblick über den Zustand der Raubkatze zu verschaffen. Nami hatte inzwischen den kleinen Hund von der Liege genommen und diesen zurück in einen der Käfige gebracht.
 

Unter Genzos fachlicher Anleitung luden die Männer die träge Raubkatze auf eine breite Trage und brachten sie auf eine Laderampe, die wohl vormals dazu benutzt wurde, Autos anzuheben, jetzt aber als provisorischer Lift diente, um größere und schwere Lasten in die Klinik zu befördern.
 

»Hat einer von euch beiden ruhige Hände? Ich könnte hier etwas Hilfe gebrauchen, wo ihr schon mal hier seid...«, meinte Genzo an Marco und Law gewandt und musterte die beiden abschätzend, während die anderen Männer den Panther auf den stabilen Untersuchungstisch hievten. Sehr bestimmt winkte der alte Mann dann Law heran. »Du! Komm' her!«
 

Marco hätte eigentlich mit Widerspruch gerechnet, da Law auf barsche Anweisungen bisher eher empfindlich reagiert hatte, doch der junge Mann schüttelte ohne zu Zögern seine Jacke ab und drückte diese mit seinem Schwert und seiner Mütze Marco in die Hand. Dann trat er an Genzos Seite, rollte die Ärmel seines Shirts hoch und folgte ganz selbstverständlich den Anweisungen des alten Mannes.
 

»Halt seinen Kopf ruhig, bis die Betäubung richtig wirkt... ich muss wahrscheinlich sofort operieren, die Implantate müssen aus seinem Körper raus... Nami, bereite das Operationsbesteck vor!«, wies Genzo an und zog sich nebenher Handschuhe und eine Gesichtsmaske über.
 

Während die junge Frau einen Wagen mit sterilen OP-Materialien heranrollte, positionierte sich Law am Kopfende des Tisches und schlang einen Arm um den kräftigen Hals der Raubkatze, mit der anderen Hand hielt er den großen Kopf des Tieres sanft unten. Er beugte sich über den Panther, strich ihm mit den schlanken Fingern über den Kopf und schien ihm beruhigende Worte zuzuflüstern, denn das Tier wurde tatsächlich ruhiger und der aufgeregt peitschende Schweif legte sich regungslos nieder.
 

Die goldenen Augen der großen Katze fixierten den jungen Mann mit einem seichten Laut aus der Kehle, der von Angst und Schmerz zu sprechen schien, dann drückte sich der große Kopf der tätowierten Hand entgegen, die sanft über ihre Stirn und die empfindliche Nasenpartie strich. Marco war einige Schritte zurückgetreten, um Platz zu schaffen, doch seine Augen konnte er kaum von Law losreißen - da war plötzlich eine Nachgiebigkeit in den sonst so harten, eher ausdruckslosen Zügen des jungen Mannes, eine entspannte Ruhe, die ihn sehr... menschlich erscheinen ließ und die sonstige Kälte seiner Art Lügen strafte.
 

Genzo begann inzwischen die schlimmen Wunden des Panthers mit professionellen, sicheren Handgriffen zu versorgen, nebenher setzte Nami der großen Katze eine weitere Infusion mit einer milden Dosis Sedativum, die Genzo pedantisch kontrollierte.
 

Der alte Mann arbeitete ruhig, aber sehr zügig und als die Betäubung des Panthers endlich gänzlich wirkte und das Tier einschlief, begann er die so dilettantisch implantierten, kybernetischen Platten zu entfernen. Dabei ließ er sich von Law helfen, der sehr souverän die benötigten Instrumente beireichte und hier und da Hilfestellung leistete. Inzwischen hatte er auch Handschuhe und eine Maske übergezogen.
 

Marco war sich bewusst, dass einige Firmen für die Erprobung kybernetischer Verbesserungen gern Tierversuche nutzten und einige Hersteller von Militärtechnik schon lange daran arbeiteten, auch Tiere für schwierige Kampfeinsätze zu verbessern und zu optimieren, immerhin waren sie einfacher zu bekommen und leichter zu entsorgen als menschliche Probanden. Die Newgate Corp. hatte solche Methoden immer abgelehnt, denn für Whitebeard war jedes Leben kostbar und gleich viel wert. So langsam dämmerte ihm, dass wahrscheinlich ein großer Teil der Tiere hier aus solchen Versuchen stammen musste...
 

Unten stiegen die fremden Männer wieder in ihren Transporter, nachdem sie sich von Nojiko verabschiedet hatten und fuhren davon. Der Konzerner legte Laws persönliche Sachen sachte beiseite, damit er Nami helfen konnte, die sich eben mit einer großen Kiste Verbandsmaterialien die lädierte Treppe der Lagerhalle heraufquälen wollte. Sie bedankte sich mit einem erleichterten Lächeln, als Marco ihr entgegen kam und die Kiste abnahm, dann zeigte sie ihm, wohin er die Sachen bringen sollte.
 

»Dein Freund hat ein wirklich gutes Händchen für Tiere... und ruhige Finger noch dazu«, wisperte Nami nun regelrecht bewundernd, die die Hände in die Hüften stemmte und neben Marco stehen blieb, um einen Moment zu verschnaufen und dabei die laufende Operation beobachtete.
 

Doch ihre hauptsächliche Aufmerksamkeit und ihr eindeutig weibliches Begehren lagen wenig überraschend auf Law. Ihre braunen Augen glitten ohne Scheu über die schlanke Gestalt des schwarzhaarigen Mannes, durch dessen hochgeschobene Ärmel man die sehnigen Muskeln unter der tätowierten, gebräunten Haut beobachten konnte. »Er hat nicht zufällig Lust sich umzuorientieren? Jemanden wie ihn könnte Genzo hier wirklich gut gebrauchen...«, meinte sie mit einem schnurrenden Unterton in der Stimme.
 

Du meinst wohl eher, dass du ihn hier gut gebrauchen könntest... Marco sah mit einem eigenartigen Unwillen zu der jungen Frau hinüber, die sich eine Strähne ihres kupferroten Haares um den Finger wickelte und ihn jetzt versonnen angrinste. Sie schien sich ihres makellosen Aussehens und ihrer Wirkung auf Männer sehr bewusst.
 

»Das müsstest du ihn schon selbst fragen...«, erwiderte er ungewöhnlich distanziert. Sie war schön, ohne Frage, aber sie ließ Marco in dieser Hinsicht völlig kalt.
 

Ihr Blick glitt wieder zurück zu Law. »Hm, vielleicht mache ich das auch...«

»Woher kommt die Raubkatze und was ist dem Tier passiert...?«, wechselte Marco sicherheitshalber das Thema.
 

Nami wandte sich ihm nun wieder gänzlich zu. Den ersten Teil der Frage ignorierte sie gekonnt. »Keine Ahnung, vielleicht hat eine Firma mal wieder ein Experiment aussortiert, das überflüssig geworden ist... die Tiere sind doch für die meisten nichts weiter als billige Rohstoffe...«, sie versuchte Gleichgültigkeit vorzutäuschen, doch in ihren Augen flammte Entrüstung und stille Wut. »Oder einer dieser reichen Schnösel wollte einfach mal ein extravagantes Haustier, mit dem er vor seiner Schnalle angeben und seinen kümmerlichen Schwanz überspielen kann, wer weiß das schon...«
 

Der Transporter, die überhastete Aktion und die schwarz gekleideten Kerle... »Ihr habt das Tier von jemanden gestohlen?!«, vermutete Marco offen heraus. Mutig. Wahrscheinlich dumm, aber mutig. Ein vermögender, weniger philanthropisch veranlagter Firmenchef... oder noch schlimmer, ein skrupelloser Kartellboss, würde über den Verlust seines Spielzeuges vermutlich gar nicht begeistert sein.
 

»Wir haben ihn gerettet!«, verbesserte die junge Frau angriffslustig. »Wir tun das, was sonst keiner tut und kümmern uns um die, um die sich sonst keiner sorgt... willst du uns dafür verurteilen?!«, fragte sie provozierend und musterte Marco mit trotzig, aber stur gehobenem Kinn.
 

Marco hob beschwichtigend die Hände und schüttelte den Kopf. »Nein, keinesfalls... ich bewundere, was ihr hier tut. Wirklich. Aber ihr spielt mit dem Feuer, das sollte euch klar sein«, versuchte er ein wenig Vernunft walten zu lassen. »Vielleicht solltet ihr euch lieber an eine offizielle Stelle oder die Polizei wenden...«
 

Ihre Truppe war ein idealistischer, doch kleiner Haufen, hauptsächlich zwei Frauen und ein alter Mann. Was könnten sie schon einer ausgebildeten Privatarmee entgegen setzen, wenn man ihnen auf die Schliche kam und irgendjemand entschied, dass sie von der Bildfläche verschwinden mussten?
 

Nami schnaubte spöttisch. »Natürlich... die Polizei...«, rollte sie sarkastisch mit den Augen.
 

Vor dem nur wieder halb heruntergelassenem Rolltor der Halle erklangen jetzt einige Automotoren, die hörbar schnell näher kamen und die geschotterte Auffahrt geräuschvoll herauffuhren. Scheinwerfer durchschnitten die Nacht und strahlten hell über den Boden der Werkstatt, als die Wagen draußen vor der Halle stehen blieben. Autotüren schlugen zu, dann waren die Schritte vieler Stiefel auf dem Kies zu vernehmen.
 

Nami fluchte verhalten und Nojiko, die erbleichend unten in der Werkstatt stand, wirbelte zu ihnen herum und zischte fast panisch: »Nami, Licht aus! Verschwindet nach drinnen! Ich regel' das, hörst du?!« Von ihrer selbstsicheren Haltung war kaum noch etwas geblieben, Panik schwamm in ihrem Blick.
 

Nami packte Marco hektisch am Arm und zerrte ihn mit sich aus dem Sichtfeld der Werkstatt. Sie hämmerte die Hand auf einen Schalter an der Wand und ein weiteres, metallenes Rolltor schepperte hier oben herab und verbarg die medizinischen Geräte und die kleine Klinik vor neugierigen Augen.
 

Die Neonröhren gingen aus, dann schlug die Notbeleuchtung an. Nur die Operationsleuchte blieb davon unberührt und obwohl sich Genzos hagere Schultern anspannten, als ahnte er, was los war, arbeitete er kontinuierlich weiter. Auch Law blickte sich kurz irritiert um, doch da der alte Mann einfach weiter machte, als wäre nichts passiert, verließ auch er seinen Platz nicht und konzentrierte sich wieder auf die vor ihnen liegende Raubkatze.
 

»Was ist los...?«, wagte Marco leise zu fragen. Nami neben ihm hatte die Arme fest verschränkt, als suchte sie nach Wärme. Das Kinn hatte sie gehoben, versuchte Stärke zu demonstrieren, doch die Nägel ihrer Hände krallten sich in ihre nackte Haut.
 

»Ärger...«, murmelte die junge Frau und ihre Stimme zitterte ein wenig. »Großer Ärger...« Es war unschwer zu erahnen, dass dort nicht bloß ein paar Freunde zum plaudern vorbei sehen würden. Namis Augen flimmerten regelrecht gehetzt und um die Nase war sie recht blass geworden.
 

Sie und Marco blieben hinter einer Ecke des provisorischen Sichtschutzes stehen, sodass sie den unteren Bereich um das alte, rostige Rolltor im Auge behalten konnten, unter dem sich jetzt einige Männer in Uniform hindurch duckten und die Werkstatt betraten. Nojiko baute sich mit leicht gespreizten Beinen und einem Schraubenschlüssel in der kybernetischen Hand vor dem großen Mann auf, der an der Spitze der Gruppe stand. »Was willst du hier, Arlong? Bis zum Zahltag sind noch zwei Wochen Zeit... und wir haben uns nichts zu Schulden kommen lassen.«
 

Der Anführer der Gruppe, ein fast zwei Meter Hüne lüftete das Visier seines stromlinienförmigen, silbernen Helms. Er war der Einzige der Truppe, der nicht den typischen silber-weißen Vollschutz der Polizei trug. Sein Gesicht war kantig, scharf und das Lächeln auf seinen fahlen Lippen bösartig.
 

Er nahm seinen Helm ab, unter dem dunkles Haar zum Vorschein kam, und schlenderte jetzt an Nojiko vorbei, als wäre sie gar nicht da und als würde ihm das Gebäude gehören. Die Einheit hinter ihm nahm schweigend, aber wachsam Aufstellung. Jeder der fast zwanzig Männer trug eine Waffe in der Hand, eine übertrieben große Gruppe für eine Routinekontrolle.
 

»Was wollen die hier? Was sind das für Kerle...?«, fragte Marco Nami leise, die neben ihm an die Wand gepresst stand und angespannt an ihren Nägeln kaute, während sie das Schauspiel unten in der Werkstatt mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck beobachtete. Ein statisches Knistern zuckte über ihre Haut, Funken tanzten flüchtig um ihre Finger und fast erschrocken ließ sie die Hand fallen, als sie Marcos Blick bemerkte.
 

Sie ließ den Kopf gegen die Wand sinken, dann erzählte sie mit gedämpfter Stimme: »Korrupte Polizisten. Arlong kassiert gut Geld von so einigen Konzernern, aber auch Kartellmitgliedern, damit er hier und da wegsieht oder Beweise für illegale Machenschaften verschwinden lässt. Nojikos Werkstatt ist nicht angemeldet, ganz zu schweigen von der Klinik... Arlong ahnt schon lange, was wir hier machen, hat uns bisher aber deswegen meist in Ruhe gelassen, wenn wir ihm regelmäßig Schweigegeld bezahlt haben und es seine Interessen nicht gestört hat... er weiß, dass wir nirgendwo anders hin können und nutzt das schamlos aus... ohne Kulehas regelmäßige Unterstützung wären wir schon längst am Arsch...« Unzufrieden, fast verzweifelt ballte die junge Frau die Hände zu Fäusten und es war ihr anzusehen, dass sie am liebsten in die Werkstatt gestürmt wäre, um Nojiko beizustehen.
 

»Nojiko, es ist mir doch immer wieder so eine Freude dich zu sehen, da konnte ich einfach keine zwei weiteren Wochen warten...«, säuselte der Riese unten schmierig, während er durch die Werkstatt lief und sein Sturmgewehr über die Schulter schwang, damit er ein paar Papiere von einem kleinen Schreibtisch aufnehmen und mit vorgetäuschtem Interesse betrachten konnte.
 

»Wo ist eigentlich deine hübsche Schwester, hm?«, fragte er gespielt beiläufig, nachdem er die Dokumente auf den Tisch zurückgeworfen hatte und nun um eines der abgestellten Autos mit offener Motorhaube ging, um in den dunklen Innenraum spähen zu können. Ein gelangweilter Fingerzeig von ihm und die restlichen Männer schwärmten auf den stummen Befehl hin aus und durchstöberten ebenfalls die Werkstatt.
 

»Nami ist nicht da...«, log Nojiko mehr schlecht als recht, während sie angespannt die Männer beobachtete, die ohne besondere Rücksicht Schränke und Wagentüren aufrissen. Ein paar Werkzeuge landeten klirrend auf dem Boden, als einer der Polizisten eine Plane von dem ausgeschlachteten Skelett eines alten Transportpanzers riss, der im hinteren Teil der Halle gelagert war. Zwei der Polizisten trafen sich vor der klapprigen Metalltreppe, die nach oben zur verborgenen Klinik führte. Die blickdichten Visiere scannten den oberen Bereich ab und Nami und Marco drückten sich dort in die Schatten.
 

»Ach Nojiko, du weißt doch ganz genau, dass ich es hasse, wenn man mich anlügt...«, schnalzte Arlong mit der Zunge, griff nach der geöffneten Motorhaube und zog diese so ruckartig nach unten, dass sie krachend in die Verriegelung fiel.
 

Nojiko zuckte zusammen, doch sie blieb an Ort und Stelle stehen, als der Anführer auf sie zukam und so nah vor ihr stehen blieb, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihn anzusehen. »Einem meiner besonders wertgeschätzten... Schutzbefohlenen ist etwas abhanden gekommen. Eine sehr wertvolle Investition und ich habe Gemurmel und Gerüchte gehört, dass sich wieder mal Gesindel in dieser Gegend umtreibt...«, sagte er verdächtig ruhig, bevor er Nojikos Kinn packte und ihren flackernden Blick unsanft zu sich zwang. Grobe Finger gruben sich in ihre Wange. »Zwing' mich bitte nicht dazu, unfreundlich werden zu müssen... also, wo ist das Vieh?«, bellte er sie barsch an.
 

»Ich hab' keine Ahnung, wovon du redest...«, presste Nojiko heraus und umklammerte den schweren Schraubenschlüssel in der Hand wie eine Rettungsleine. Ihre mechanischen Gelenke zuckten, als müsste sie an sich halten, das Werkzeug nicht als Waffe zu verwenden.
 

»Ach, wirklich nicht? Nun...«, Arlongs listige Augen glitten fast mitleidig zu der provisorischen Waffe in Nojikos Hand, dann lächelte er gefährlich schmal, »... wenn du dich bereit erklären möchtest, ein bisschen nett zu mir und meinen Kollegen zu sein... dann könnte ich ja vielleicht davon absehen, deinen ganzen, kleinen Scheißladen hier heute auffliegen zu lassen und dich und deine Schwester in das dreckige Loch zu stecken, wo ihr hingehört... na, was sagst du?« Arlong neigte sich noch näher zu der angststarren Nojiko herab. Seine Zunge befeuchtete gierig seine Lippen und der Ausdruck in seinen Augen wurde gnadenlos.
 

»Nimm' deine dreckigen Flossen von meiner Schwester!«, brüllte Nami.
 

»Nami... nicht!«, rief Nojiko, doch ihre Warnung ging in Donnergrollen unter.
 

Die junge Frau mit den kupferroten Haaren explodierte förmlich. Eben stand sie noch neben Marco... und plötzlich raste sie mit der Geschwindigkeit eines knisternden Blitzes die Treppe hinunter in die Werkstatt. Sie krachte förmlich in zwei der Polizisten, riss diese in einem Blitzhagel von den Füßen, sodass die Wucht ihrer ungesteuerten Attacke die Männer gegen das erbebende Rolltor schleuderte.
 

Die junge Frau hatte ihre Kräfte nicht gänzlich unter Kontrolle, Blitze schlugen unkontrolliert um sie herum in die Technik der Werkstatt ein und wanderten zuckend über die metallischen Karosserien, verursachten einen Kurzschluss in einer Autobatterie und ließen einige der Neonröhren an der Decke funkensprühend zerplatzen.
 

»Ach, sieh an, da ist sie ja...«, Arlong pflügte Nami wie einen ungehorsamen Hund aus der Luft, als diese auf ihn zusprang und packte sie, um sie folglich auf die Motorhaube des nächsten Wagens zu werfen, wo sie keuchend abprallte und sofort aus Arlongs Reichweite zu kriechen versuchte. »Widerstand gegen die Staatsgewalt, das wird euch aber teuer zu stehen kommen...«, tadelte er genüsslich und stieß Nojiko mit einer Wucht einfach beiseite, die schier übermenschlich schien, als die ihrer Schwester zu Hilfe eilen wollte und mit dem Schraubenschlüssel zu einem Schlag gegen Arlongs Schläfe ausgeholt hatte.
 

Nojiko krachte ungebremst in ein Werkzeugregal, wo sie benommen liegen blieb, während Arlong Nami von der Motorhaube schnappte und an der Kehle hochhob, als würde die Frau nicht mehr als eine Feder wiegen. Sein Arm überzog sich mit einer Art knöcherner Rüstung, an der Namis Blitze wirkungslos abprallen, die die junge Frau in Verzweiflung aus ihren Händen beschwor. Sie krallte die Nägel in Arlongs riesige Hand und strampelte mit den Füßen in der Luft, doch vergeblich. Der Kampfeswille in ihren funkensprühenden Augen war jedoch ungebrochen und sie spuckte Arlong angewidert ins Gesicht.
 

»Lass' die Frau los«, verlangte Marco, als er jetzt langsam die Treppe zur Werkstatt herunter stieg, seine beiden silbernen Sig Sauer gezogen, mit denen er gleichzeitig auf Arlong und den ihm am nächsten Polizisten zielte. Als der Ordnungshüter etwas zu motiviert seine Waffe hob und zum Schuss ansetzte, feuerte Marco eine gezielte Kugel ab, die dem Mann den Daumen zerfetzte und das Gewehr aus der Hand riss. Der Mann ging fluchend in die Knie und presste die blutende Wunde an seine Brust.
 

Die Brillengläser seiner Schläfenimplantate schnappten über Marcos Augen zusammen und schärften seinen Blick, als er die letzte Stufe herabstieg und den Anführer der Einheit mit finsterem Blick fixierte. Er näherte sich dem Mann sehr bedacht, denn offensichtlich war auch er ein MAG - wie es aussah ein Osteomant, der seinen Körper mit Knochenplatten verstärken konnte.
 

Gewalt gegen Frauen und das von einem Polizist, der seine Stellung schamlos ausnutzte, um einfache Bürger zu terrorisieren... wenn das nicht ausgereicht hätte, um Marco richtig anzupissen, dann gewiss das selbstgefällige Grinsen auf Arlongs schmalen Lippen, als der sich jetzt bewusst drehte, um Nami wie einen Schutzschild vor sich zu halten und die Nase gierig in dem Haar der jungen Frau vergrub, die er an sich drückte. »Sag bloss, ihr könnt euch jetzt etwa einen Leibwächter leisten, Nami? Ich war wohl doch immer ein bisschen zu nett zu euch. Kommt schon... ist das wirklich euer Ernst? Was soll dieser Schnösel gegen mich ausrichten?«, grollte Arlong mehr amüsiert, als wirklich beunruhigt.
 

»Ich sag' es ein letztes Mal... lass' die Frau los und dann verzieh' sich mit deinen Männern. Das wäre besser für dich«, sagte Marco mit tödlicher Ruhe und schob sich weiter langsam auf den Hünen zu. Das aufschwappende Adrenalin schärfte seine Sinne, er war sich der Gewehrläufe glasklar bewusst, die sich jetzt alle auf ihn richteten und das HUD seiner Brillengläser erfasste bereits jeden einzelnen Mann in seinem Zielvisier.
 

Arlong gab seinen Männern einen lapidaren Wink mit der Hand. »Räumt ihn aus dem Weg, er ist lästig...«, befahl er gelangweilt. Namis brauen Augen weiteten sich besorgt und sie schüttelte den Kopf, schien Marco so bedeuten zu wollen, dass er lieber verschwinden sollte. Aber Marco dachte gar nicht daran, einfach das Weite zu suchen... sein Vater würde ihm vermutlich selbst jetzt noch die Ohren langziehen, wenn er jemanden in Not im Stich ließ.
 

Er wich dem ersten Schuss mit einem gleitenden Schritt zur Seite aus, schnappte sich den am nächsten stehenden Polizisten und wirbelte ihn herum, um hinter ihn in Deckung zu gehen. Hinter dessen Rücken hervor schaltete er mit gezielten Schüssen die nächsten beiden Männer aus, die auf sie zu kamen, bevor er den Ordnungshüter im Arm mit einer Kugel in die Nieren außer Gefecht setzte.
 

Der Polizist ging zu Boden, Marco mit ihm - er duckte sich hinter den zusammensackenden Körper, feuerte eine Kugel in den heranstürmenden Polizisten von rechts, wirbelte auf der Hacke herum und schoss dem nächsten Mann seitlich ins Knie, einer der wenigen Schwachpunkt des Vollschutzes. Haltlos stürzte dieser zu Boden und sein Gewehr schlitterte über den Beton, um dann vor einer Lagerkiste liegen zu bleiben.
 

Ein weiterer Gesetzeshüter näherte sich Marco von hinten, er stand fliegend wieder auf, drehte sich herum und wehrte den Gewehrlauf mit einem Arm ab, während er die andere Sig Sauer dem Mann in die Seite setzte und abdrückte. Die Kugel drang genau unter der ungeschützten Achsel ein und zerfetzte dem Mann die Lunge. Blutspuckend taumelte er zur Seite und rutschte an der nächsten Wand zu Boden.
 

Wieder tauchte Marco unter einem Gewehrlauf hinweg, entging einer fahrig geführten Messerattacke, bevor er zwei weitere Männer mit jeweils einem Schuss in die ungeschützte Stelle zwischen Hals und Helm zu Boden schickte. Marco dachte gar nicht wirklich nach, er reagierte instinktiv und innerhalb von Sekunden hatte er sich eine Schneise durch die Männer gebahnt und fast die Hälfte von Arlongs Truppe kampfunfähig gemacht.
 

Arlongs Gesicht hatte sich merklich verdüstert, er ließ von Nami ab, pflügte nun selbst in vollem Sprint zu Marco hinüber und verpasste diesem einen Schlag mit der knochenverstärkten Faust in die ungeschützte Seite, die der Blonde eine Sekunde zu spät kommen sah, da er gerade den Angriff eines anderen Polizisten abwehrte.
 

Mit einem Ächzen krachte Marco gegen die Front einer alten Limousine und der harte Aufprall trieb ihm die Luft aus den Lungen. Eine seiner Waffen flog ihm aus der Hand. Blitzendes Licht flirrte ein paar Sekunden vor seinen Augen und möglicherweise war eine Rippe angebrochen, denn ein ziehendes Stechen fuhr durch seine rechte Seite, wo ihn der ungebremste Schlag getroffen hatte.
 

Trotzdem hob Marco verbissen den linken Arm und feuerte das ganze restliche Magazin seiner Sig auf Arlong, jede Kugel eigentlich ein Volltreffer, doch der Hüne überzog seinen ganzen Körper mit einer knöchernen, harten Rüstung, an der alles wirkungslos abprallte. Arlong schmetterte Marco die Waffe mit einem wilden Lächeln und einem Tritt aus der Hand und unvermittelt sah sich der Konzerner einer ganzen Menge Gewehrläufen gegenüber, die jetzt alle auf seine Brust zielten.
 

»Arlong... hör' auf«, flehte Genzo, der inzwischen mit der Operation fertig schien und nun fast panisch die Treppe zur Werkstatt herab kam. Mit einem Blick erfasste er die Situation und eilte zu Nami und Nojiko hinüber, die sich bleich und überfordert hinter ein Auto gekauert hatten. »Das reicht doch jetzt wirklich... lass' gut sein, bitte! Wir bezahlen dir, was du willst!«
 

»Aufhören?! Ich fang' doch gerade erst an«, erwiderte der Anführer der Truppe mit einem verzerrten Grinsen und einem wahnsinnigen Licht in den dunklen Augen. »Oh, ihr werdet mir alles geben, was ich will... das ist mal sicher«, prophezeite er mit einem gierigen Blick zu Nami und Nojiko, bevor er sich wieder Marco zuwandte, über dessen Körper die roten Zielsuchlaser bedrohlich schwebten.
 

»Du hättest dich hier nicht einmischen sollen...«, knurrte Arlong, hob die Hand und erteilte seinen Männern damit den Befehl zum Abschuss. Die Abzüge wurden betätigt, Mündungsfeuer blitzte auf und die Kugeln schossen auf Marco zu... nur um dann unweit vor dessen Brust zitternd in der Luft stehen zu bleiben. Marco riss den Kopf herum und eine Welle aus Erleichterung und Überraschung überrollte ihn, als er den Grund für dieses unerwartete Wunder erblickte.
 

»Die Staatsgewalt, die ihre Macht nutzt, um Frauen und alte Männer zu terrorisieren... wie armselig. Eine Schande«, schnitt Laws dunkle Stimme wie eine eisige Klinge durch die Werkstatt. Alle Köpfe wandten sich ihm zu, Arlong und seine Männer wirkten überrumpelt und verwirrt. Der junge Mann stand auf der Empore wie ein unheilbringendes Omen, seine Augen glühten in goldenem Feuer, als er sein Katana mit der rechten Hand zog und die Linke gleichzeitig in die Luft riss.
 

Laws Macht überrollte die Werkstatt wie eine ungebremste Flutwelle und Marco traute seinen Augen kaum, als die ganze Truppe der Polizisten einschließlich Arlong in die Höhe geschleudert wurde, als wären die Regeln der Schwerkraft gar nicht existent. Hilflos wie kleine Kinder im Wasser glitten die schwer gerüsteten Polizisten durch die Luft, drehten sich unkontrolliert um sich selbst und versuchten irgendwo Halt zu finden... bevor Law die Hand mit einem Ruck wieder senkte und die Körper schonungslos zu Boden krachten.
 

Geschmeidig sprang Law über das Geländer in die Werkstatt hinab, seine Kräfte schienen seinen Sturz zu bremsen, sodass er mit katzengleicher Anmut auf dem Hallenboden aufkam. Er ließ den benommenen Männern gar keine Zeit, sich erst wieder zu organisieren.
 

Seine goldenen Augen - Leuchtfeuer in der düsteren Werkstatt - brannten, während er sich mit seinem Katana einen Pfad durch die sich mühsam wieder aufrappelnden Männer bahnte. Seine nun bläulich schimmernde Klinge glitt durch die Schutzausrüstung der Ordnungshüter, als wäre es kaum mehr als Butter, während seinen Bewegungen eine Ästhetik innewohnte, die einem tödlichen Tanz glich.
 

Marco hatte sich inzwischen ebenfalls an dem Wagen wieder in die Höhe gezogen und seine Waffen aufgelesen, die er rasch nachlud. Schuss um Schuss drängte er den überrumpelten Arlong jetzt in eine Ecke der Werkstatt, über dessen Stirn ein rotes Rinnsal an Blut in sein rechtes Auge lief. Er musste sich bei dem Sturz eben den Kopf irgendwo angeschlagen haben.
 

Arlong wehrte zwar jede von Marcos Kugeln mit den knochenverstärkten Unterarmen ab, doch seine Kräfte schwanden zusehend. Er versuchte einen letzten Verstoß, stürmte auf Marco zu und wollte ihn mit der reinen Wucht seines massigen Körpers von den Füßen reißen, doch der Blonde glitt im letzten Augenblick zur Seite, ließ seine Waffen fallen und griff nach einer der herabhängenden Ketten, mit denen normalerweise schwere Motorblöcke in die Höhe gewuchtet werden konnten.
 

Marco schlang die Kette um Arlongs Hals und riss den riesenhaften Polizisten daran zurück. Der Kerl wehrte sich vehement und donnerte Marco einen knochenharten Ellenbogen in die eh schon angegriffenen Rippen, was ihm fast das Bewusstsein raubte, doch er stemmte die Füße entgegen des tobenden Hünen auf den Boden und zog mit aller Anstrengung an der sich straffenden Kette.
 

Die restlichen Metallketten, die von der Decke baumelten, entwickelten plötzlich ein unheimliches Eigenleben und schlängelten sich zusätzlich um die Gliedmaßen von Arlong, um den Polizisten zu fesseln und bewegungslos in die Höhe zu verfrachten. Der große Kerl knurrte heiser und wandte sich mit zornfunkelnden Augen in den Kettengliedern, als Law mit ausgestreckter Hand gemächlich auf ihn zulief. Hinter ihm lagen die restlichen Männer von Arlongs Team geschlagen und besiegt auf dem Boden.
 

»Missgeburt! Was bist du?«, zischte Arlong Law atemlos entgegen und die Augen des jungen Mannes verfinsterten sich flüchtig. Seine Mundwinkel zogen sich bitter nach unten, eine winzige Regung, doch Marco bemerkte sie durchaus.
 

Arlong tobte mit hochrotem Kopf weiter und sein Blick richtete sich mit beängstigender Rage nun auf Nojiko und Nami, die langsam näher kamen. Bei jedem seiner wutschnaubenden, hektischen Worte löste sich Speichel von seinen Lippen. Wahrscheinlich war er lang nicht mehr so in Bedrängnis geraten. »Das werdet ihr büßen, ihr Maden! Denkt ihr wirklich, das könnt ihr ungestraft mit mir machen?! Ich habe mächtige Freunde, ich werde euch vernichten, ich werde...-«
 

»Das wird jetzt langsam langweilig«, unterbrach Law ihn emotionslos und nickte Nami auffordernd zu. Die junge Frau hielt sich den geprellten Arm, doch sie lief entschlossen zu dem gefesselten Hünen hinüber, der die Zähne bleckte. In seinen tiefdunklen Augen flirrte jetzt nackte Panik. Sie beschwor einen knisternden, funkensprühenden Kugelblitz in der Hand, welchen sie mit grimmiger Genugtuung auf die Ketten schleuderte und diese damit unter Strom setzte.
 

Arlong bäumte sich zuckend und stöhnend auf, seine massige Gestalt verspannte sich schmerzhaft und Rauch stieg aus seiner Nase und seinem Mund, bevor er ohnmächtig in sich zusammen sackte. Das Gold aus Laws Augen zog sich zurück und die Ketten lösten sich, sodass der nun bewusstlose Polizist dumpf auf dem Boden aufschlug und dort dampfend liegen blieb.
 

»Der ist jetzt euer Problem...«, raunte Law zu Nojiko, die näher trat und Arlong die Fußspitze in die Seite drückte. Doch der Kerl rührte sich vorerst nicht mehr. Angewidert spuckte sie neben ihm aus.
 

Law senkte das Katana in seiner Hand und Marco bemerkte, dass der junge Mann kurz schwankte, bevor er sich an die angestrengt gefurchte Stirn griff und scheinbar für den Moment wieder fing. Dann schob er das Schwert in die Halterung auf seinem Rücken, was er unüblich erst beim zweiten Versuch schaffte.

Marco rieb sich die Rippen, die Arlong mit seinem Schlag erwischt hatte, dann las er seine Waffen vom Boden auf und schob die beiden Sig Sauer wieder in das Holster unter seiner Jacke.
 

»Habt Dank für eure Hilfe... für alles«, sagte Genzo ehrlich, der erschöpft an ihre Seite hinkte und Law flüchtig eine Hand auf die Schulter legte. »Ohne euch wäre das heute vermutlich böse für uns ausgegangen.« Der junge Mann nickte nur schlicht. Genzos düsterer Blick fiel auf den bewusstlosen Arlong und die beiden jungen Frauen, die zwar mitgenommen und erschüttert wirkten, doch sonst schien ihnen glücklicherweise nichts zu fehlen.
 

»Es wird Zeit, dass wir gehen...«, bestimmte Law. Er drehte sich einfach auf dem Absatz herum und duckte sich unter dem Rolltor der Werkstatt hinweg, um nach draußen zu gelangen. Sein Schatten fiel lang in die Werkstatt, da die Scheinwerfer der Polizeiwagen draußen noch immer auf die Lagerhalle gerichtet waren.
 

Marco sah ihm nachdenklich nach, dann überblickte er das entstandene Chaos mit einem Seufzen und rieb sich ein wenig unschlüssig den Nacken. Eigentlich wollte er gerade nichts mehr, als sich davon überzeugen, dass es Law gut ging, doch... er kam sich schlecht dabei vor, den alten Mann und die beiden Frauen einfach so allein zu lassen, immerhin lagen ihr einige tote und verletzte Polizisten. »Seid ihr sicher, dass ihr klar kommt...?«, fragte er, doch Genzo winkte großmütig ab.
 

»Ihr habt mehr für uns getan, als ihr hättet je tun müssen. Arlong wird sich in Zukunft vermutlich zweimal überlegen, ob er uns behelligt. Er hat am eigenen Leib erfahren, dass wir uns wehren können und dass auch wir Freunde haben. Geht ruhig, wir räumen hier auf... ich werde Kuleha ausrichten, dass ihr euren Auftrag mehr als zufriedenstellend erledigt habt. Diese alte Füchsin...«, murmelte Genzo mit einem amüsierten Lächeln.
 

Tja, also doch nicht nur ein einfacher Botendienst, erkannte Marco. Kuleha hatte sie testen wollen. Er stellte sich gar nicht erst die Frage, woher die alte Frau gewusst hatte, dass Arlong gerade heute hier auftauchen würde.
 

Marco folgte Law nach draußen und hob die Hand gegen die blendenden Scheinwerfer. Er konnte den jungen Mann nicht gleich ausmachen, fand ihn dann aber an eines der verwaisten Polizeiautos gelehnt. Sein Gesicht hatte wieder eine geisterhafte Blässe angenommen, unter seinen Augen lagen erneut tiefe Schatten und Marco bemerkte das Zittern von Laws tätowierten Fingern durchaus, als der sich bei den näherkommenden Schritten aufrichtete und seine Jacke zuzog, als würde ihm frösteln.
 

»Geht es dir gut?«, fragte Marco und bemühte sich um eine neutrale Stimmlage. Er konnte sich die Frage einfach nicht verbeißen, obwohl er natürlich ahnte, dass Law ihm kaum die Wahrheit sagen würde. Jedes Mal, wenn der seine telekinetischen Kräfte einsetzte, schien ihm das körperlich sehr zuzusetzen. Wenn Marco nur wüsste, woran das lag, könnte er ihm vielleicht helfen...
 

»Sicher...«, antwortete der junge Mann abweisend, löste sich von dem Polizeiauto und lief die Auffahrt hinunter. Marco folgte ihm schweigsam zurück zu seinem Auto, obwohl sich wieder einmal tausend Fragen in seinem Kopf drängten. Auch die Fahrt über zurück in die Stadt blieb Law still, er hatte sich erschöpft in den Sitz zurückgelehnt und die Augen geschlossen und Marco hasste dieses Gefühl von Hilflosigkeit, das ihn beschlich, wenn er den offensichtlich leidenden jungen Mann neben sich ansah.
 

Law indes verfluchte sich innerlich selbst für seine akute Dummheit. Er wusste es doch, dass es ihm nichts als Ärger und Schmerzen brachte, wenn er seine Kräfte einsetzte und trotzdem hatte er es wieder getan.. weil Marco in Gefahr gewesen war. Weil er für einen verschwindend kleinen Moment vorhin ehrliche Furcht wegen einem anderen Menschen als seiner Schwester empfunden hatte.
 

Und das nicht etwa nur, weil er gefürchtet hätte, dass Lamys einzige Hoffnung mit Marcos Tod damit vielleicht verloren wäre, nein, er hatte Angst um den Konzerner selbst gehabt - die eisige Furcht hatte in dem Moment übermächtig nach ihm gegriffen, als die Männer das Feuer auf Marco eröffnet hatten und seine Macht war unkontrolliert aus ihm herausgebrochen. Das ist doch lächerlich... und dumm... und absolut irrational.
 

»Wie geht es dir? Du hast vorhin auch so einiges einstecken müssen...«, entschlüpfte es Law. Die Stille zwischen ihnen war irgendwie bedrückend gewesen, doch er fragte das nicht nur aus reiner Höflichkeit, wie er eben erkannte, sondern weil er es wirklich wissen wollte und durchaus bemerkt hatte, dass sich Marcos Haltung verändert hatte. Er saß recht steif hinter dem Steuer des Caliburn, als wollte er seine rechte Seite entlasten.
 

Law hatte schon mitbekommen, dass Marco überraschend zäh war und sich Schmerzen kaum anmerken ließ, doch er hatte vorhin ein paar heftige Treffer einstecken müssen. Law war ehrlich beeindruckt vom dem Kampfgeschick des Blonden und fragte sich insgeheim, welche Ausbildung er wohl durchlaufen hatte, um sich so bewegen und so schießen zu können... zum Standardrepertoire eines Firmenleiters gehörte das wohl sicher nicht.
 

Marco war fast verwundert, dass Law das Wort tatsächlich von sich aus an ihn richtete, denn damit gerechnet hatte er nicht mehr wirklich. Aber es freute ihn irgendwie. Er hob eine Schulter leicht an. »Naja, ich hab' mich ehrlich schon besser gefühlt... vermutlich habe ich mir ein paar Rippen geprellt, der Kerl hatte einen ziemlichen Schlag drauf, aber sonst ist noch alles dran«, meinte er mit gehobenem Mundwinkel.
 

»Hast du Hunger? Ich kenne einen guten Ramen-ya in Downtown, wir könnten noch etwas essen gehen... bis sich Kuleha meldet, dauert es sicher eh noch etwas«, schlug Law dann verhalten vor, nachdem er Marco prüfend gemustert hatte und entschied, dass der wohl die Wahrheit sagte und nicht zwingend sofort ärztliche Behandlung benötigte.
 

Er hatte tatsächlich nichts dagegen, noch ein wenig Zeit mit Marco zu verbringen und... er hatte ehrlich Hunger. Die Digitalanzeige des Wagens teilte ihm mit, dass es inzwischen schon Mitternacht war und er hatte das Letzte gegessen, als Marco ihn zum Frühstück eingeladen hatte. Eine ordentliche Mahlzeit würde dem eh drohenden Migräneanfall vielleicht etwas entgegen wirken. »Falls du noch Zeit hast...«, fügte er an, immerhin konnte der Konzerner sicher wichtigere Dinge zu tun haben... oder gar keine Lust.
 

Marco spürte jetzt selbst, dass seine letzte Mahlzeit einige Stunden her war und durch das nachlassende Adrenalin meldete sich tatsächlich der Hunger. Laws Vorschlag war also ziemlich willkommen. »Klar, gerne«, stimmte er daher mit einem kleinen Lächeln zu. »Sag' mir einfach, wo ich hin muss.«
 

Law beschrieb Marco den Weg zu seinem Lieblingsrestaurant in Downtown, das etwas außerhalb von Akihabara lag und weit genug von Doflamingos Territorium entfernt, dass sich Law ab und an hierher zurückziehen konnte, um seine Ruhe zu haben. Er kannte den Besitzer schon eine Weile, da er ihm durch Zufall mal mit einer Bande halbstarker Rowdys geholfen hatte und seitdem war Law in dem Laden immer gern gesehen, der in einer ruhigen Seitengasse abseits der Hautverkehrsstraßen lag.
 

Und auch jetzt, als er den traditionellen Noren anhob und mit einer leichten Verbeugung das kleine, urige Restaurant betrat, blickte der ältere Herr hinter dem Tresen von seiner Arbeit auf und sein faltiges Gesicht erhellte sich sofort. »Law-kun!«, begrüßte er ihn mit einem strahlenden Lächeln und klatschte auffordernd in die Hände.
 

Sofort rollte die mechanische Küchenhilfe heran und selbst der Roboter zeigte auf der kreisrunden Anzeige seines Kopfes einen herzlichen Smiley. »Schenk' zwei Becher warmen Sake ein, Tori«, sagte der alte Mann bestimmt und der Roboter brauste mit einem fröhlichen »Aye, Aye« davon.
 

Die kleine Ramenküche war ein echter Geheimtip - Law hatte selten so ausgezeichnete Ramen gegessen, wie hier - und zu den Stoßzeiten meist ziemlich gut besucht, dass man oft kaum einen Platz bekam. Nun jedoch saß nur ein weiterer Gast an dem Tresen über seinem Essen und beachtete die Neuankömmlinge gar nicht. Das Licht war angenehm gedämpft, ein Windspiel klimperte leise am Eingang und aus der Küche wehte ein köstlich würziger Duft heran.
 

Marco betrat hinter Law den Laden, der zum Glück um die Uhrzeit ziemlich leer war, denn durch den großen Konzerner wirkte die kleine Kneipe gleich noch winziger. »Er gehört zu mir«, erklärte Law beruhigend, da der Wirt fast sofort ein bisschen eingeschüchtert wirkte.
 

Der alte Mann bekam große, staunende Augen, verständlich, denn Law war viele Jahre stets allein gekommen. »Tori, bring' noch eine Schale Sake!«, rief er nach hinten und Marco verkniff sich den Einspruch, dass es nicht nötig wäre, da er eh keinen Alkohol mochte. Aber er wollte nicht unhöflich sein.
 

»Setzt euch, setzt euch!«, lächelte der Ladenbesitzer und wies seinen beiden Gästen einladend zwei Plätze an der Theke, die er flink mit einem Lappen nochmals abwischte. Dann legte er ihnen die O-shibori bereit und schob ihnen die Speisekarte mit einer Verbeugung entgegen.
 

»Kannst du etwas empfehlen?«, neigte sich Marco leicht zu Law hinüber und wackelte etwas ratlos mit der Karte. Er mochte das japanische Essen zwar, hielt sich aber tatsächlich meist privat doch eher an westliche Mahlzeiten. Bei traditionellem Ramen kannte er sich so gut wie gar nicht aus und da Law den Laden gut zu kennen schien, wollte er sich auf dessen Rat verlassen.
 

Law nickte, bestellte beim Koch zweimal Shio-Ramen und es dauerte kaum fünf Minuten, bis die dampfenden Schüsseln mit dem wirklich köstlich aussehendem Nudelgericht vor ihnen standen. Der heiter summende Roboter brachte ihnen ein Tablett mit dem warmen Sake und reichte ihnen diesen bei, bevor er wieder in die Küche rauschte.
 

Sie säuberten sich die Hände, Law legte sogar seine Mütze ab und anschließend nahm Marco mit eher gemischten Gefühlen und einem tiefen Seufzen die Stäbchen auf. Es war keine Lüge gewesen, als er Law früher am Abend von seiner Feindschaft mit diesen Dingern erzählt hatte...
 

Trotzdem musste er zugeben, dass Law recht hatte - die Nudelsuppe war köstlich. Da konnte nicht einmal dieses überteuerte Luxusrestaurant mithalten, in dem er mit Boa Hancock essen gewesen war. Nach ein paar Bissen wagte Marco einen Vorstoß. »Du schienst vorhin nicht zum ersten Mal in einem Operationssaal zu stehen... zumindest hast du dich ziemlich schnell problemlos zurechtgefunden«, ließ er beiläufig fallen und Law damit sämtliche Optionen offen, wie er darauf reagieren wollte.
 

Der stockte kurz in der Bewegung, schob sich dann noch ein paar Nudeln in den Mund und kaute ausgiebig, als bräuchte er etwas Bedenkzeit, bevor er tatsächlich antwortete: »Mein Vater war Arzt. Er hat mich schon frühzeitig an sein Handwerk herangeführt. Wenn es nach ihm gegangen wäre... hätte ich in seine Fußstapfen treten und Arzt werden sollen.«
 

Marco zog die Brauen ergründend zusammen. »Aber das bist du nicht... warum?« Es war eine kühne Frage, das wusste er, aber er wollte die Gelegenheit auch nicht verstreichen lassen, doch mehr über den jungen Mann zu erfahren.
 

Es dauerte eine Weile, bis Law wieder etwas sagte - einige Sekunden, in denen seine Essstäbchen reglos über der Schüssel schwebten und er einen unbestimmten Punkt in der Ferne fixierte. Seine Augen wirkten mit einem Mal sehr leer, er selbst eigenartig verloren. »Weil er mich irgendwann nicht mehr anleiten konnte. Weil er viel zu früh gestorben ist... und mit ihm mein Glaube an die Menschen und das Gute in der Welt«, war Laws erschreckend emotionslose Antwort.
 

Marco holte tief Luft. »Das tut mir leid... ich hätte das vermutlich nicht fragen sollen, entschuldige...«
 

Law schüttelte den Kopf und schien aus seinen Erinnerungen wieder aufzutauchen. »Nein, schon gut...«, gewährte er. »Es ist lang her.« Tatsächlich war es für ihn ein Stück weit befreiend, dass er es einfach einmal hatte aussprechen können. Auch mit Lamy sprach er - aus gutem Grund - nicht oft über die Vergangenheit. Aber Marcos Anteilnahme fühlte sich echt an.
 

Sie widmeten sich still wieder ihrem Essen, wobei sich Marco mehrmals ein frustriertes Fluchen verkneifen musste, weil ihm ein ums andere mal die Nudeln von den Stäbchen glitten. Es war ihm irgendwie unangenehm, dass er etwas so scheinbar einfaches nicht auf die Reihe bekam...
 

Das musste auch Law bemerkt haben, denn er beobachtete ihn mit einem winzigen Schmunzeln aus dem Augenwinkel, bevor er seine eigenen Stäbchen beiseite legte. »Du hältst sie nicht richtig... warte, ich zeig' es dir«, bot er entgegenkommend an.
 

Marco ließ die Hände recht resigniert sinken und meinte wegwerfend: »Ach, das haben schon viele versucht, ich glaube, das ist etwas, was ich wohl nie begreife...«
 

»So schwer ist das gar nicht....« Law rutschte ein wenig näher, wandte sich dem Konzerner zu und griff nach Marcos rechter Hand, um ihm die Stäbchen korrekt in die Finger zu legen. »Siehst du? Du bewegst eigentlich nur das obere Stäbchen, das untere liegt immer fest in der Hand«, leitete er ihn an, während er die eigene Hand nun über Marcos legte, um ihm die typische Zangenbewegung zu demonstrieren.
 

Laws schlanke Finger waren überraschend warm und der unerwartete Hautkontakt schickte ein angenehmes Prickeln durch Marcos Arm. Er verspürte eine seltsame Nervosität, die seinen Herzschlag ein wenig befeuerte. Diese Berührung fühlte sich eigenartig intim an, obwohl sie eigentlich alles andere als allein waren. Wie von selbst rutschte sein Augenmerk von ihren Händen zu Laws Gesicht, das seinem eigenen plötzlich so unerwartet nah war.
 

Fasziniert betrachtete er Laws schmale Lippen beim Sprechen und diese unglaublich fesselnden, stahlgrauen Augen, die sich jetzt zu ihm anhoben und ihn ansahen - zurückhaltend, ein bisschen unsicher... aber keinesfalls so kalt und distanziert, wie Marco es fast schon gewohnt war. Da flimmerte eine Spur dieser versteckten Sanftheit, die sonst fast nur für Laws Schwester reserviert schien. Er ist wirklich ein ungewöhnlich attraktiver Mann, musste Marco Thatch im Stillen einfach recht geben.
 

Law selbst bemerkte ein bisschen verspätet, dass er ziemlich nah bei Marco saß und sich ihre Beine fast berührten... und dass er leichtfertig und ohne viel zu überlegen nach der großen Hand des Konzerners gegriffen hatte. Er hielt sich sonst stets bewusst von anderen Menschen fern und schon gar nicht suchte er nach Körperkontakt mit Fremden, warum also... schien er die Nähe von Marco Phoenix zu suchen?! Der Kerl hatte irgendetwas an sich - neben seinem unglaublich angenehmen Körpergeruch, der Law schon wieder in die Nase stieg - was ihn anzog.
 

Er sah in diese außergewöhnlich blauen Augen, die ihm ein eigenartiges Flattern in der Magengegend bescherten und rückte sofort wieder von Marco ab. Law räusperte sich ein bisschen befangen. »Versuch' es...«, raunte er mit belegter Stimme und einem kleinen Nicken auf die nun korrekt liegenden Essstäbchen zwischen den Fingern des Konzerners.
 

Marco musste sich förmlich zwingen, sich wieder auf sein Essen zu konzentrieren, aber tatsächlich... durch Laws Anweisung kam er mit einem Mal wirklich fast problemlos mit den Stäbchen zurecht. »Danke... ich dachte nicht, dass ich das mal wirklich noch lerne«, wandte er sich mit einem Lächeln an Law, der dieses sogar durch ein winziges Heben der eigenen Mundwinkel erwiderte.
 

Der Noren hob sich erneut, das Windspiel klingelte aufgeregt und sieben Männer drängten in das kleine Restaurant, die Law eher nur aus dem Augenwinkel wahrnahm. Allerdings änderte sich das schlagartig, als er eine nur allzu bekannte Stimme hörte, die mit eiskalter Abscheu sagte: »Also ist es wahr, was der Wind mir zutrug... du bist tatsächlich hier, Trafalgar Law.«
 

Law erstarrte in der Bewegung und schloss die Augen in einem kläglichen Versuch von Beherrschung, bevor er die Stäbchen säuberlich neben seiner Schale ablegte und langsam aufstand. Das Schicksal meinte es heute offenbar nicht gut mit ihm. Marco neben ihm hielt ebenso inne und musterte die Neuankömmlinge abschätzend und mit irritiertem Gesichtsausdruck.
 

Die Männer waren japanischer Herkunft, auffällig tätowiert und allesamt bewaffnet. Der offensichtliche Anführer, ein jüngerer Mann mit androgynen Gesichtszügen und einem schwarzen Katana in der Hand, fixierte Law mit brennendem Hass in den dunklen Augen. Über seine rechte Gesichtshälfte zog sich eine wulstige Narbe, die seinen Mundwinkel höhnisch anhob. Der einzige Gast neben Marco und Law nahm nun schweigsam die Beine in die Hand und türmte.
 

Laws Kopfschmerzen meldeten sich mit doppelter Härte und das Hämmern hinter seinen Schläfen war nicht einfach nur unangenehm, sondern inzwischen schlichtweg tödlich. Eine Auseinandersetzung in seinem jetzigen Zustand konnte er sich kaum leisten. Schwarze Schlieren tanzten am Rande seines Sichtfeldes. »Riku Shin...«, raunte Law angestrengt und wandte sich dem Mann zu, der nur ein paar Jahre jünger als er selbst war. Er kannte dieses Gesicht, diese Narbe... denn es war seine Klinge gewesen, die dafür verantwortlich war.
 

»Ich bin überrascht, dass du meinen Namen überhaupt noch kennst, Oni...«, spie der junge, dunkelhaarige Mann voller Abscheu aus, der ihn mit einem Blick voll zorniger Kälte fixierte. Law konnte es ihm nicht einmal verdenken, denn Riku Shin hatte allen Grund, ihn zu hassen. »Am Grab meines Großvaters habe ich es geschworen, ich habe ihm versichert, dass ich dich und deinen Herrn vom Antlitz dieser Welt wischen werde«, erklärte er mit felsenfester Entschlossenheit.
 

Law erinnerte sich mit erschreckender Deutlichkeit an diese eine Nacht vor fast zehn Jahren... an diese Nacht, in der Doflamingo mit seiner Bande im Anwesen der stolzen Riku-Familie eingefallen war, um Riku Doldo zu töten, dessen Territorium zu übernehmen und sich seinen Platz in Tokio damit zu sichern.
 

Es war ein beispielloses Gemetzel gewesen und es war mehr als recht, dass Riku Doldos Enkel Vergeltung forderte. Aber Law konnte sie ihm nicht gewähren, nicht heute und nicht in nächster Zeit. Nicht, bis er seine eigenen Ziele erreicht hatte... vielleicht hätte Riku Shin in einer anderen Welt sogar sein Verbündeter sein können, doch er würde Law niemals verzeihen.
 

»Und... was willst du jetzt tun, Riku Shin. Willst du mich hier töten? Mit deiner Handvoll Männer? Du beleidigst mich...«, erwiderte Law mit einer eisigen Gelassenheit, die er nicht gänzlich empfand. Die bohrenden Kopfschmerzen raubten ihm fast jeden klaren Gedanken und wenn er seine Kräfte jetzt einsetzen würde, konnte ihn das vielleicht sein Leben kosten... »Geh. Es ist besser für dich und hier ganz gewiss nicht der richtige Ort für einen Kampf.«
 

»Meine Herren, bitte... richtet hier kein Chaos an und klärt das draußen...«, bat der Besitzer des Ladens mit einer ehrerbietenden Verbeugung, der hinter dem Tresen stand und ein Geschirrtuch mit flehendem Blick zwischen den knochigen Händen wrang. Tori, der Küchenroboter, rollte ebenfalls heran und versuchte seinem Herrn beizustehen. Er näherte sich der kleinen Gruppe und wies ihnen höflich, aber bestimmt den Ausgang. »Mein Herr möchte, dass sie jetzt...-«
 

Einer der Männer holte aus und stieß den Roboter mit einer rüden Bewegung einfach beiseite, der um seine eigene Achse kreiselte und dann quietschend gegen die Wand krachte. Eine Platte seines Gehäuses sprang ab und spuckte einige Drähte aus. Der Wirt zog erschrocken den Kopf zwischen die Schultern.
 

»Du und dein abscheulicher Meister, ihr habt einen Großteil meiner Familie einfach abgeschlachtet... hast du auf ihr Flehen gehört? Bist du gegangen, als dich Oba-san um Gnade anflehte?!«, mit jedem wuttriefendem Wort kam Riku Shin näher und die Männer hinter ihm rückten ebenfalls auf. »Ich werde nie vergessen, wie du in dieser regnerischen Nacht in der Tür standest, wie die fleischgewordene Verdammnis, wie du Leben um Leben genommen hast... wie du mir alles genommen hast!«
 

Der erste der Männer schnellte nach vorn, ein Wakizashi gezogen und zielte auf Laws Seite, der ebenfalls nach dem Katana auf seinem Rücken griff, aber wusste, dass er zu langsam sein würde... er spürte, wie seine Augen aufflammten und er blockte den Angriff mit seinem puren Willen in der Luft. Ein stechender Schmerz in seinem Kopf antwortete.
 

Er packte den überraschten Angreifer an der Schulter und rammte ihm seine Klinge gezielt in den Unterleib - eine schmerzhafte, aber keine tödliche Wunde. Dann stieß er den blutenden Mann in die Arme seiner Kumpanen. »Geht«, zischte Law erneut. Eine letzte Warnung.
 

Die Männer sahen Laws goldene Augen und für einen Moment ließ Aberglaube und Furcht ihre Züge entgleisen. Sie murmelten Gebete und verhaltene Flüche und packten ihre Waffen deutlich fester, als könnte sie ein bisschen Stahl vor ihm beschützen...

»Goldäugiger Dämon...«

»Missgeburt...«

»Oni...«
 

Der nächste Mann löste sich aus der Gruppe, offenbar wollte er seinem Anführer etwas beweisen und sprang auf Law zu, der sich für den Angriff wappnete. Doch... Marco erhob sich plötzlich und stellte sich vor Law. Er ergriff den ausgestreckten Arm des Mann mit dem Katana, zog ihn zu sich heran und packte ihn im Nacken. Darauffolgend kollidierte das Gesicht des Angreifers mit der hölzernen Theke, als Marco ihm vermutlich - dem widerlichen Knirschen nach - die Nase brach.
 

Der Mann ging stöhnend zu Boden und drückte die Hand auf sein blutverschmiertes Gesicht, während Riku Shin Marco zum ersten Mal wirklich wahrzunehmen schien... denn der hatte sich jetzt vor ihm aufgebaut und drückte ihm den Lauf seiner Sig Sauer in die Seite. »Der Besitzer hat euch höflich gebeten, hier drinnen kein Chaos zu veranstalten... also nimm' deine Männer und verschwinde jetzt, denn die Wünsche des Hausherrn sind zu respektieren«, grollte Marco düster und entsicherte die Waffe gut hörbar.
 

Riku Shin schluckte und presste die Lippen unzufrieden zu einer dünnen Linie zusammen. Doch widerwillig ließ er sein Schwert sinken, während er den Konzerner nicht aus den Augen ließ, der nur abzudrücken bräuchte und sein Leben wäre vorbei. Selbst Law starrte den Blonden verwundert an. So sauer und offensiv hatte er Marco noch nie erlebt...
 

Der Anführer warf Law einen letzten, hasserfüllten Blick zu. »Wir sehen uns...«, zischte er versichernd, dann gab er seinen Männern ein Zeichen und sie verließen das Restaurant, wobei sie ihre verwundeten Kameraden mühsam mit sich schliffen. Marco starrte noch einen Augenblick wachsam auf den Noren, dann steckte er seine Waffe weg und drehte sich zu Law herum, der in diesem Moment kraftlos zurück auf seinen Stuhl sank.
 

»Habt Dank, meine Herren...«, hörte der alte Wirt gar nicht mehr auf, sich ehrfürchtig zu verbeugen.
 

Marco streckte ihm das Handgelenk für das Begleichen der Rechnung entgegen und überwies ihm deutlich mehr, als für das Essen allein nötig gewesen wäre. Die Augen des alten Mannes weiteten sich fast entsetzt. »Für die Unannehmlichkeiten...«, erklärte Marco und deutete auf den angeschlagenen Roboter, der noch immer funkensprühend auf dem Boden zappelte.
 

Law griff sich seine Mütze von der Theke, dann stemmte er sich mühsam wieder auf die Beine und meinte murrend: »Eigentlich wollte ich dich diesmal einladen...« Seine Stimme schwankte bedrohlich und seine blutleeren Lippen zitterten. Die Schatten unter seinen Augen waren inzwischen besorgniserregend finster und tief.
 

»Das kannst du gern beim nächsten Mal machen, wenn dir das so wichtig ist...«, meinte Marco mit einem recht verunglückten Schmunzeln und obwohl er schon mit Protest rechnete, schlang er Law einen Arm um die Taille und stützte ihn, als der kurz davor schien, das Gleichgewicht zu verlieren. Er sorgte sich ungewöhnlich heftig um den jungen Mann und hielt es für das Beste, ihn schnellstmöglich in den Tower zurückzubringen.
 

Doch Law beschwerte sich nicht, sondern lehnte sich an den Konzerner. Er war eindeutig zu erschöpft für einen Widerspruch und Marco schien gerade auch der Einzige, den er in seinem Zustand irgendwie ertragen konnte. Der Blonde bugsierte ihn zu seinem Wagen zurück und wich ihm die ganze Zeit nicht einmal von der Seite.
 

Auf der Rückfahrt blickte Marco immer wieder sorgenvoll zu dem jungen Mann hinüber, als hätte er tatsächlich Angst, dass er ihm hier unversehens wegsterben könnte. Law selbst hielt die Stille dann irgendwann nicht mehr aus und obwohl ihm der Kopf dröhnte, murmelte er: »Willst du gar nichts dazu sagen, was eben passiert ist...? Hast du gar keine Fragen?«
 

Marco lachte angespannt. »Tausende... aber ich schätze, du wirst mir nicht mal die Hälfte davon wirklich beantworten wollen«, erwiderte er abgeklärt. Er wirkte nicht verstimmt oder beleidigt darüber, eher schien er Laws Privatsphäre und seine Zurückhaltung einfach zu akzeptieren.
 

»Du hättest dich nicht einmischen sollen«, meinte Law mit rauer Stimme. Ich hätte es vielleicht verdient zu sterben... »Du weißt nicht wirklich, wer ich bin und was ich getan habe, ich...-«
 

»Und du weißt nicht, was ich bereits in meinem Leben getan habe«, unterbrach Marco ihn ungewöhnlich hart und mit einem bitteren Nachhall in der Stimme. »Glaub' mir, es gibt so einiges, worauf ich selbst alles andere als stolz sein kann... ich kann und werde nicht über dich urteilen«, entschied er bestimmt, obwohl er doch gewiss gehört hatte, wie ihn die Männer genannt hatten... was Riku Shin erzählt hatte...
 

Law drehte den Kopf leicht und musterte das markante Profil von Marcos Gesicht verwundert. Der Konzerner blickte geradeaus, doch trotzdem meinte Law einen alten, noch immer schwärenden Schmerz in seinen Augen sehen zu können. Seine Haltung war angespannt und Law dämmerte, dass sie möglicherweise mehr verband, als er sich eingestehen wollte... und das Marco Phoenix ihm vielleicht nicht gänzlich gleichgültig war.
 

Und diese Erkenntnis machte Law Angst. Er wollte sich keinem anderen öffnen oder verbunden fühlen, er wollte nicht vertrauen, er wollte sich nicht darauf verlassen, dass da jemand war, jemand, dem er vielleicht wichtig wäre... nur, damit derjenige dann irgendwann mit Sicherheit wieder verschwinden würde...
 

»Passiert das eigentlich immer - diese Schmerzen und diese Schwächeanfälle - wenn du deine telekinetischen Kräfte einsetzt...?«, fragte Marco dann zaghaft. Er lehnte sich an einer roten Ampel zu Law herüber, griff über dessen Schoß zum Handschuhfach und holte eine Wasserflasche heraus, die er dem jungen Mann anbot.
 

Law zögerte kurz, dann schob er seinen Stolz allerdings beiseite und nahm die Flasche dankbar entgegen. »Ja...«, antwortete er kurz angebunden, nachdem er ein paar Schlucke getrunken hatte. Er hoffte wirklich, dass die freundliche Ärztin im Newgate-Tower die weltgrößten Kopfschmerztabletten in ihrem Vorrat hätte... sonst würde die Nacht ein Alptraum werden.
 

»Law, das scheint alles andere als natürlich...«, sprach Marco ihn nun ungewohnt vertraulich an. Ein Umstand, der Laws Blick wie ferngesteuert zurück zu den blauen Augen zog, die ihn musterten - nicht mitleidig, nicht angewidert, sondern wirklich einfach nur besorgt. »So etwas kann auf eine mentale Blockade hindeuten. Ich könnte mir das einmal ansehen und vielleicht kann ich dir helfen...-«
 

Law versteifte sich sofort. Allein die Vorstellung verursachte ihm Schweißausbrüche. »Nein, danke«, bellte er barscher als beabsichtigt. »Ich brauche wirklich niemanden, der in meinem Kopf herumwühlt...«

Marco schnaufte. »Ich glaube, du hast eine falsche Vorstellung davon, wie das abläuft...«
 

»Und ich glaube, dass du in deiner Welt kein Nein akzeptieren kannst«, fauchte Law eisig. Sein Kiefer verspannte sich und er griff sich mit einem Zischen an die Schläfe. Die Schmerzen raubten ihm den Verstand, ließen ihn bissig und unfair werden. Marcos Zuwendung und Sorge verwirrte ihn noch zusätzlich. »Was soll das eigentlich? Warum willst du mir unbedingt helfen? Uns verbindet doch nichts... mir jedenfalls bist du vollkommen egal.« Lüge. »Und ich sollte dir besser genauso egal sein.«
 

Law sah Marco mit einem schneidenden Blick an, der normalerweise andere sofort in die Flucht schlug, er spießte ihn förmlich mit seinen stahlgrauen Iriden auf, hielt ihn bewusst auf Abstand... doch der Konzerner war gänzlich unbeeindruckt. Er wich nicht zurück, zuckte nicht einmal mit der Wimper. Er konnte Laws kühle, abweisende Art einfach aushalten.
 

»Wie kommst du darauf, dass du mir egal sein könntest?«, fragte Marco ruhig. »Das bist du ganz und gar nicht. Und deshalb will ich dir helfen. Ich seh' dich ungern leiden«, offenbarte der Blonde aus heiterem Himmel und so selbstverständlich, als würden sie hier nur belanglosen Smalltalk führen. Diese gnadenlose Ehrlichkeit nahm Law schlagartig den Wind aus den Segeln... und ließ ihn zerschlagen und kraftlos zurück.
 

Er zog sich seine Mütze tief ins Gesicht und schloss die Augen. Seine Arme verschränkte er fest vor der Brust, um das Beben zurückzudrängen, das seinen Körper überrollen wollte. Mit einem Mal war ihm unsäglich kalt. »Können wir einfach nur zurück fahren und das Thema vergessen. Was ich jetzt am dringendsten brauche, sind Kopfschmerztabletten, einen dunklen Raum und meine Ruhe...«
 

»Wie du willst.«
 

Die restliche Fahrt über sagte Marco wie gewünscht kein weiteres Wort... und Law musste feststellen, dass ihn das am Ende gar nicht so sehr zufrieden stellte, wie er erwartet hatte. Aber die Scham über seine unbedachten Worte ließen ihn ebenfalls schweigen und er versuchte sich zumindest einzureden, dass es so eh besser wäre...

Schatten der Vergangenheit

10.12.2069, 16.49 Uhr, Tokio
 

»Ist die Auswertung für die Präsentation vom Controlling fertig?«

»Natürlich.«

»Dann geben Sie mir bitte nochmal einen kurzen Überblick über unsere Wirtschaftszahlen.«
 

Kalifa rückte die filigrane, randlose Brille auf ihrer Nase zurecht und rief die gewünschten Daten auf ihrem Pad auf: »Das neue Geschäftsjahr ist hervorragend angelaufen. Wir haben einen Auftragseingang von 73,6 Millionen Eurodollar, die anhaltende Scorn-Krise in der Mongolei und der aufflammende Kubele-Konflikt in Südafrika verschafft uns natürlich zusätzliche Anfragen, wodurch der Auftragseingang weit über Plan liegt. Der NG-100 ist schon jetzt, vor seiner offiziellen Markteinführung, unheimlich gefragt. Bisher liegen wir bei einem Umsatz von 64,3 Millionen Eurodollar. Unser EBIT sieht sehr gut aus.« Kalifa hielt kurz inne, um Marco die Krawatte vom Schreibtisch zu reichen. »Die Liefertreue schwächelt ein wenig, wird sich aber voraussichtlich stabilisieren, wenn die ersten Produktionsstrecken in dem neuen Werk der Tokio Bay anlaufen. Allerdings benötigen wir dafür noch mehr Personal als eigentlich gedacht. Darüber ist Jimbei schon informiert. Die Personalabteilung wird einen Budgetplan aufstellen, um die zusätzlichen Kosten in die Planung für das nächste halbe Jahr aufzunehmen.«
 

Marco richtete die Krawatte um seinen Hemdkragen an und band diese mit geübten Fingern zu einem perfekten Knoten. »Liegen wir im Zeitplan für die Fertigstellung des Werkes in der Bay?«
 

Kalifas dezent lackierter Nagel glitt über ihr Datenpad, als sie mit dem Zeigefinger den Inhalt überflog und nickend bestätigte: »Absolut. Ende Januar werden die ersten Prototypen des NG-100 voraussichtlich ausgeliefert werden können. Es gibt ein paar Verzögerungen bei der Fertigstellung der Personalquartiere, aber nichts gravierendes. Die Produktionsstrecken sind so gut wie einsatzbereit.«
 

»Die Stellenausschreibung für den Posten des neuen Kundensegmentleiters…-«

»... ist bereits wie gewünscht an das Recruiting-Team weitergeleitet, Sir. Wenn Sie möchten, werde ich Sie informieren lassen, sobald es interessante Bewerber gibt...?!«
 

»Danke, aber das wird nicht nötig sein. Ich vertraue Jimbeis Urteil«, verneinte Marco beiläufig, als er die letzten Akten auf seinem Schreibtisch zusammenschob und in einer Schublade endlich die Details der Anfrage eines geschätzten, langjährigen Kunden fand. Er würde sich an das neue Geschäftsführerbüro wohl erst noch gewöhnen müssen, in das er gestern schon umgezogen war.
 

»In Ordnung.« Kalifa notierte das mit fliegenden Fingern, dann schloss sie die Datei und ließ das Pad sinken. Ihre Augen flackerten kurz in dem statisch blauen Licht der Kybernetik. »Jozu hat mich gerade darüber informiert, dass der Vorstand eingetroffen ist.«
 

Marco zupfte ein letztes, wahrscheinlich unnötiges Mal seine Krawatte zurecht und versuchte nicht allzu viel Anspannung wegen der anstehenden Personalversammlung zu empfinden. Zu seinen persönlichen Highlights im Leben würden solche Veranstaltungen wahrscheinlich nie zählen, aber heute musste er sich der Belegschaft das erste Mal als neuer CEO stellen.
 

Noch dazu waren seine Gedanken noch nicht gänzlich im Hier und Jetzt angekommen. Einerseits dachte er an Trafalgar Lamy, in deren Heilung er heute fast zwei Stunden investiert hatte und diese schlimmen Wunden in ihrem Geist ließen bei ihm stets ein unbehagliches Gefühl zurück. Zumindest schritt ihre Genesung gut voran, doch das so ausdauernde Nutzen seiner Magie hatte ihn geistig ermattet.
 

Andererseits war da natürlich ihr Bruder Law, der Marco einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte. Seit ihrem gemeinsamen Auftrag am Samstag hatten sie nicht mehr wirklich miteinander gesprochen. Zwar hatte er Law ab und an bei den Mahlzeiten auf der Gästeetage gesehen oder bei der Behandlung von dessen Schwester, doch die Konversation hatte sich meist auf eine höfliche Begrüßung oder Verabschiedung beschränkt. Ein Umstand, der irgendwie an Marco nagte und für ihn regelrecht unbefriedigend war.
 

Natürlich respektierte er Laws Grenzen und der hatte ihm bei ihrer letzten Unterhaltung ziemlich unmissverständlich klar gemacht, dass er sich fern halten sollte. Marco akzeptierte das und gab Law den Raum, den der seiner Meinung nach brauchte. Allerdings... nahm er dem jungen Mann diese ablehnende Haltung auch nicht gänzlich ab. Es erschien ihm eher wie eine Schutzreaktion.
 

Marco wünschte wirklich, Law würde ihm vertrauen, doch der junge Mann war wesentlich anspruchsvoller und vorsichtiger als die meisten Menschen, mit denen er normalerweise zu tun hatte. Law würde sich niemals allein durch ein paar schöne Worte, durch Geld, Prestige, gutes Aussehen oder Macht überzeugen und kaufen lassen... und das bewunderte Marco. Allerdings machte diese argwöhnische Haltung es natürlich schwierig, ihm nahe zu kommen, gerade wenn man zu jener Gesellschaftsschicht gehörte, die Law grundsätzlich zu verachten schien.
 

»Oh...«, Kalifa unterbrach seine Überlegungen mit einem kleinen, erfreuten Glucksen und eröffnete mit glänzenden Augen: »Boa Hancock ist ebenfalls gerade angekommen.« Nun, bei der Popdiva wurde offensichtlich selbst die strengste Assistentin zu einem Fangirl.
 

Marco nickte und beugte sich über den Schreibtisch, um die Stichpunkte seiner Rede von der digitalen Arbeitsoberfläche auf das persönliche HUD seiner Brillengläser zu transferieren. Glücklicherweise war die Popdiva seiner kurzfristigen Einladung gefolgt und hatte sich heute für einen Kurzbesuch und kleinen Gastauftritt angekündigt - eine sicherlich gelungene Überraschung für die Mitarbeiter und Gäste. Manchmal musste man seine Beziehungen auf diesem Pflaster eben doch wie ein gutes Blatt ausspielen, das hatte ihm Whitebeard schon frühzeitig beigebracht.
 

Die Pressekonferenz für die Medien heute Vormittag war ruhig und reibungslos über die Bühne gelaufen dank Thatchs perfekter, bis ins kleinste Detail ausgearbeiteter Planung... und dem Umstand, dass Weevil nichts davon gewusst hatte. Marcos selbst konnte so etwas schlecht einschätzen, doch Thatch war hinterher der Meinung gewesen, dass er sich den Fragen der Reporter souverän gestellt hätte und die Medien ihm gegenüber ziemlich wohlwollend gestimmt waren, also gute Bedingungen für einen neuen CEO.
 

»Na schön...«, holte Marco tief Luft, strich sich noch einmal durch die Haare und schloss die Knöpfe seiner Anzugjacke. »Dann wollen wir mal«, wandte er sich mit einem schrägen Schmunzeln seiner Assistentin zu.
 

Kalifa und er machten sich dann rasch mit dem Lift auf ins Erdgeschoß des Newgate-Towers, wo die Versammlung in der hauseigenen Eventhalle stattfinden würde. Auf halbem Weg stiegen Sabo und Jozu zu ihnen, der Marco kurz das Sicherheitskonzept des Abends erläuterte - eine zwingende Notwendigkeit, denn sie erwarteten so einige namenhafte Gäste im Haus.
 

Der Lift hielt sanft im Erdgeschoß und mit dem Öffnen der Türen war die Ruhe vorbei. Durch die gläserne Front des Towers konnte Marco den Menschenauflauf sehr gut sehen, ein regelrechtes Blitzlichtgewitter, ein Meer aus Plakaten, Transparenten und begeistert winkenden Fans, die sich vor den Toren drängten...verständlich, denn eine schnittige Limousine war eben in den Hof gerollt, der Boa Hancock in einem eleganten, dunkelvioletten Abendkleid entstieg.
 

Die Popdiva winkte ihren Fans würdevoll zu, dann warf sie sich die langen, schwarzen Haare in einer betörenden Geste über die Schulter und posierte für ein paar Fotos, bevor sie in den Tower stolzierte. Hinter ihr folgten einige Männer ihres eigenen Sicherheitspersonals. Ein bezauberndes Lächeln erhellte jetzt ihr Gesicht, als sie Marco entdeckte, der mit Jozu, Sabo und Kalifa im Foyer stehen geblieben war, um sie zu begrüßen.
 

Boa Hancock steuerte zielgerichtet auf den Blonden zu und streckte ihm die perfekt manikürten Hände entgegen. »Marco... du siehst hervorragend aus, mein Lieber«, schnurrte sie angetan, nachdem ihre dunklen Augen ihn wohlwollend gemustert hatten. Er ergriff ihre Hände sanft und sie reckte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen weichen Kuss zur Begrüßung auf die Wange zu drücken. »Ich habe mich sehr über deine Einladung gefreut«, merkte sie mit ihrer melodischen Stimme an, die tagtäglich Millionen von Fans in den Bann schlug.
 

»Und ich freue mich, dass du dir die Zeit genommen hast, um heute vorbei zu kommen, obwohl ich fürchte, dass mir gleich niemand mehr zuhören wird, weil alle nur dich ansehen und auf deinen Auftritt warten werden«, meinte Marco augenzwinkernd.
 

Ihr sinnlicher Mund verzog sich zu einem amüsierten Lächeln. »Ich zumindest werde dir ganz gespannt zuhören«, versprach sie mit einem gewählten Augenaufschlag, der wahrscheinlich den stärksten Mann in die Knie zwingen konnte. Glücklicherweise war er gegen ihre Kräfte immun.
 

Marco spürte die Ausläufer von Hancocks Magie - wie ein schmeichelnder, lockender Duftstoff umgab sie eine Aura, die jeden mit einem schwachen, ungeübten Geist ihr gegenüber wohlwollend stimmen würde. Selbst seine Mitarbeiter konnten sich ihrer Wirkung nicht gänzlich entziehen - der gestandene Jozu lockerte sich die Krawatte ein wenig und Kalifa blinzelte ein paar Mal hektisch, eindeutig um Contenance bemüht. Sabo hatte knallrote Ohren und wirkte, als wolle er sich vor der Popdiva am liebsten gleich in den Staub werfen.
 

Marco bot Hancock seinen Arm, damit er sie in Richtung des Versammlungsraumes führen konnte. Er neigte sich zu ihr herunter und wisperte galant: »Du bringst meine Mitarbeiter durcheinander, Hancock. Bitte zügle deine Magie ein bisschen, ich brauche sie alle bei klarem Verstand. Dir liegt die Belegschaft doch auch so schon zu Füßen... du siehst immerhin umwerfend aus«, schmeichelte er ihr charmant, wobei es nicht einmal gelogen war.
 

Boa Hancock war von Mutter Natur wirklich besonders gesegnet mit ihren großen, dunklen Augen, den filigranen Gesichtszügen und dem perfekt geformten Körper. In dem hautengen, hoch geschlitzten Kleid sah sie wahrlich wie eine fleischgewordene Göttin aus. Viele junge Mädchen der ganzen Welt wünschten sich nichts mehr als wie sie zu sein.
 

Doch für Marco war sie vorrangig eine geschätzte Geschäftspartnerin, vielleicht auch ein Stück weit eine gute Bekannte... aber er fühlte sich nicht auf romantische oder körperliche Weise zu ihr hingezogen.
 

Hancock lächelte Marco gefällig an und lehnte den Kopf gegen seinen Arm. Sie seufzte: »Ach, wie langweilig, aber schön, wie du willst...« Der betörende Nebel lichtete sich ein wenig und der sinnliche Druck auf Marcos mentale Barriere ließ schlagartig nach.
 

»Danke dir.« Er senkte die Stimme auf ein vertrauliches Niveau und fragte einfühlsam: »Wie geht es deinen Schwestern in Indonesien? Ich hab' von dem Bürgeraufstand gehört, der in Jakarta niedergeschlagen wurde...«
 

Hancocks Augen umwölkten sich dunkel und ihr Lächeln schwankte kurz. Ihre Finger schlossen sich ein wenig fester um seinen Arm. »Es geht ihnen gut. Sie haben es rechtzeitig geschafft mit einem Großteil der Rebellen zu entkommen. Zum Glück haben wir noch immer gute Kontakte in der Heimat, man konnte sie warnen.«
 

Die Boa-Familie stammte ursprünglich aus Indonesien und wenig vermögenden Verhältnissen, bevor Hancock sich in Japan und der ganzen Welt einen Namen machte. Einen sehr großen Teil ihrer Einnahmen schickte die Popdiva regelmäßig in ihre Heimat, um ihre Schwestern zu unterstützen, die mit einer ansässigen Bürgerbewegung gegen den zurzeit amtierenden Diktator und die schlechten Zustände im Land kämpften.
 

Die Eventhalle war schon brechend voll und viele Köpfe wandten sich jetzt zu ihnen um, als Marco mit Boa Hancock am Arm den Raum betrat. Es folgte das obligatorische Begrüßen des Vorstandes, diverser Gäste und langjähriger Geschäftspartner und jede Menge leichter Smalltalk. Glücklicherweise blieb Hancock noch eine Weile an Marcos Seite und übernahm damit einen Großteil der oberflächlichen Konversationen, einfach dadurch, dass die meisten der Gäste bezaubert von ihrem Aussehen und Charme waren.
 

»Mein Sohn...«, vernahm Marco die Stimme seines Vaters und wandte sich um, nachdem er Hancock verabschiedet hatte, die sich auf ihren Auftritt vorbereiten wollte. Whitebeard steuerte durch den Raum auf ihn zu, hinter ihm folgten zwei Männer, die Marco nicht kannte, doch die ihm vage bekannt vorkamen.
 

Der eine trug einen eleganten, weiß-grauen Frack mit Ornamentstickereien und führte einen altmodischen, silbern verzierten Gehstock mit sich. Sein Haar und sein Bart waren weiß, er strahlte eine ruhige Erhabenheit aus. Der andere war in einen schlichten, dunkelroten Anzug gekleidet, hatte dunkle, silbern durchwirkte Haar und die Statur eines Granitblockes.
 

Etwas verspätet trudelte die Erkenntnis dann bei Marco ein, als die drei Männer vor ihm stehen blieben und Edward Newgate seine Begleiter vorstellte. »Marco, das sind Silvers Rayleigh und Sakazuki Akainu. Wie du dich sicher erinnerst, gehören sie beide ebenfalls zum Senat. Da sie gerade in Japan sind, habe ich sie heute spontan eingeladen«, erklärte sein Vater.
 

Silvers Rayleigh war der Mann im Frack, der Marco jetzt aus klugen, wachen Augen musterte, als er auf ihn zutrat und ihm die Hand für einen überraschend kräftigen Händedruck reichte. »Marco Phoenix, hm, der berühmte Mentokinet. Endlich treffen wir uns persönlich, wo Edward doch schon so viel von dir erzählt hat und deine Ernennung zwangsweise so überhastet und kaum angemessen von statten gehen musste«, meinte er mit einem entschuldigenden Lächeln.
 

Marco verneigte sich leicht. »Sir, es ist eine große Ehre für mich, Sie kennenzulernen«, sprach er respektvoll. Das war es tatsächlich - Silvers Rayleigh war eines der Gründungsmitglieder des Senats und der Vorsitzende und Sprecher für die NoMags. Er war eine der treibenden Kräfte für das Ende der Magiekriege gewesen und ein geschätzter Diplomat.
 

Auch der andere Mann kam ihm nun entgegen und reichte Marco die Hand. Sein Griff war wie eine Fessel und seine dunklen Augen durchbohrten Marco auf eine fast unangenehm forschende und harte Weise. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel, als er mit rauer Stimme sprach: »Willkommen in Senat, Mister Phoenix. Mir wäre es zwar lieber gewesen, wir hätten Ihrer Aufnahmeprüfung persönlich beiwohnen können, doch vielleicht wird sich ja zeitnah die Gelegenheit ergeben, dass Sie auch uns Ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten umfassend demonstrieren können...«
 

Das klang zwar eher nach einer unterschwelligen Drohung als nach einem Vorschlag, doch Marco nickte zustimmend und begegnete Sakazukis Blick unbeirrt. »Mit Sicherheit, Sir. Ich wäre erfreut, Sie persönlich von meiner Eignung überzeugen zu können«, entgegnete er ruhig, obwohl diese geringschätzige Art wirklich ungute Assoziationen in Marco weckte.
 

Sakazuki war der Vorsitzende und Sprecher für die MAGs, er selbst ein Geo-Thermalmanipulator vom Rang A, der Magma und Lava beeinflussen konnte. In seinen Augen mochte ein MentalMAG wie Marco vielleicht eine Beleidigung für den Senatssitz sein.
 

Rayleigh stützte sich gelassen auf seinen Gehstock und lächelte Marco wohlwollend an. »Vielleicht können wir uns nach der Versammlung noch einmal zusammen finden? Bestimmt hast du noch einige Fragen zu den internen Abläufen des Senats und ich bin mir ziemlich sicher, dass Shanks zwar viel geredet... doch eigentlich nichts gesagt hat, nicht wahr?«, mutmaßte er mit amüsiert, doch listig funkelnden Augen.
 

Marco erwiderte das Lächeln, meinte aber ernst: »Nun, Shanks hat mir alles mitgeteilt, was für den Moment relevant und wichtig war. Er hat überzeugend die Dringlichkeit der Situation dargelegt, es schien vertretbar, eine umfassende Einführung in die Handlungsweise des Senats auf später zu verschieben.« Zugegeben, Shanks und er waren zwar nicht die besten Freunde, doch in dessen Abwesenheit schlecht über ihn zu sprechen, kam Marco nicht richtig vor.
 

»Eine diplomatisch sehr kluge Antwort«, meinte Rayleigh anerkennend, bevor er sich zu Whitebeard neigte. »Nun, du scheinst nicht zu viel versprochen zu haben, Edward. Er kann sich ausdrücken und ist augenscheinlich loyal. Ich glaube, ich mag ihn.«
 

Whitebeards Schnurrbart hob sich nach oben, er strahlte vor väterlichem Stolz. Sakazukis Gesicht war noch immer so unnachgiebig und hart wie Stein. Um ihn zu überzeugen, würde es wohl ein bisschen mehr als galante Worte brauchen, mutmaßte Marco.
 

Thatch winkte Marco nun über die Menge hinweg vom Rednerpult zu. Das Licht wurde leicht gedämpft und die Gespräche umher verstummten langsam. Die Technik schien bereit und die Versammlung konnte damit beginnen. »Meine Herren, die Pflicht ruft...«, entschuldigte sich Marco. »Ich werde Sie später aufsuchen, dann können wir uns sicher weiter unterhalten.«
 

»Unbedingt. Wir müssen über diesen Fall reden, an dem du mit Shanks arbeitest. Bis dahin werden wir uns dem Essen widmen. Komm schon, Akainu«, stieß Rayleigh seinen Begleiter mit dem Knauf seines Stockes an, dann steuerte er zum reich gedeckten Buffet hinüber. »Sieh' dir nur dieses vortreffliche Speisenangebot an. Ach, ich liebe die japanische Küche!«
 

Marco holte noch einmal tief Luft, sein Vater drückte ihm bestärkend die Schulter, dann glitt er lächelnd und hier und da händeschüttelnd durch die Menge der versammelten Leute, um schlussendlich zum Rednerpult zu gelangen, wo Thatch die Versammlung inzwischen mit der allgemeinen Begrüßung einleitete. Gespannte Stille legte sich über die Halle und Marco begann souverän mit seinem Vortrag, der Vorstellung der Unternehmenszahlen und gab einen Ausblick auf die nächsten, geplanten und größeren Projekte. Als er geendet hatte, erntete er viel Applaus und herzlichen Zuspruch aus der Menge.
 

Nachdem der geschäftliche Teil abgehakt war, wurde die Bühne kurz umgebaut und vorbereitet, damit Boa Hancock anschließend ihre neueste Single exklusiv heute in der Erstaufführung promoten konnte - gute Publicity für sie und das Unternehmen. Wie zu erwarten tobte die Menge vor Begeisterung.
 

Marco stand am Bühnenrand und verfolgte den gelungenen Auftritt der Popdiva ebenso angetan wie die Menschen, die vor der Bühne selbstgemalte Transparente und Liebesbekundungen in die Höhe hielten. Man mochte von Hancock halten, was man wollte - singen konnte sie. Ihre Stimme hatte eine sinnliche Leichtigkeit, die direkt ins Ohr ging und absolut bezaubernd und beflügelnd wirkte... und das ganz ohne ihre Kräfte.
 

Marco ließ den Blick zufrieden über die feiernde Menge gleiten... und erstarrte in eisigem Entsetzen.
 

Dort, zwischen den fröhlich jubelnden Menschen in der hintersten Reihe der Halle, stand eine bleiche Gestalt in einer abgewetzten Soldatenkluft... und starrte ihn aus bodenlos finsteren, anschuldigenden Augen an. Marcos Herzschlag setzte für eine Sekunde aus. Nein, das ist nicht möglich... er kann nicht hier sein, das muss ein Trick sein... Niemand sonst schien den jungen Mann in den hinteren Reihen wahrzunehmen, der regungslos zwischen ihnen stand.
 

Die Erscheinung mit den zerzausten, braunen Haaren hob einen Arm und wies mit ausgestrecktem Zeigefinger einer stummen Anklage gleich auf Marco. Ein Lächeln breitete sich auf den fahlen Lippen aus, doch es war geisterhaft und leblos. Kayle... Dann erschien ein kreisrundes Einschussloch mitten auf der Stirn des jungen Mannes, sein Kopf wurde nach hinten gerissen, grell rot leuchtendes Blut spritzte auf die Wand, bevor er wie ein gefällter Baum zu Boden ging.
 

Marco keuchte geschockt und stolperte einen haltlosen Schritt zurück. Er wartete auf entsetztes Kreischen, auf Hilferufe aus der Menge, doch nichts passierte. Mit flackernden Augen suchte er hektisch die Reihen der Feiernden ab, doch der junge Mann war verschwunden. Auch das Blut war weg.
 

Er zuckte ungewollt heftig zusammen, als Thatch mit gerunzelter Stirn an seine Seite trat und besorgt fragte: »Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen... ist alles in Ordnung? Geht es dir nicht gut?« Seine Augen musterten Marco kritisch.
 

Auch Jozu schien zu bemerken, dass etwas nicht stimmte und kam eilig zu ihnen herüber. Eine Hand hatte er an dem Headset in seinem Ohr und beantwortete gerade die Rückfrage einer seiner Männer im Außenbereich. »Alles in Ordnung, Sir?«, wandte er sich wachsam an Marco und folgte dessen aufgewühltem Blick über die tobende Menge, die gerade eine Zugabe von der sich verbeugenden Popdiva forderte. »Haben Sie etwas verdächtiges gesehen? Soll ich die Sicherheitsmaßnahmen...-«
 

»Nein... es ist nichts«, winkte Marco ab, dann ließ er die kybernetischen Brillengläser zurückschnappen und rieb sich die Augen. »Wahrscheinlich nur der Stress und die stickige Luft... Thatch, würdest du mir ein Glas Wasser holen?«, bat er mit rauer Stimme. Er benötigte einen Augenblick allein, um sich wieder zu sammeln.
 

Thatch und Jozu tauschten zwar einen wenig überzeugten Blick, schienen aber zumindest für den Moment beruhigt. Thatch nickte und eilte zum Buffet hinüber, während Jozu auf seinen Posten am Eingang der Halle zurückkehrte.
 

Marco schloss kurz die Augen und bemühte sich um ruhige Atemzüge, dann sah er mit einem mulmigen Gefühl im Magen erneut in die Menge hinaus. Doch wie zuvor war alles normal. Der junge Mann blieb verschwunden.
 

Was zum Teufel war das...? Eine Illusion? Eine Warnung möglicherweise? Marco hatte niemandem außer Whitebeard je von Kayle erzählt. Niemand hier konnte davon wissen - von diesem dunklen Fleck in seiner Vergangenheit, seiner Schuld, seiner Schande... Sein Blick schweifte zu seinem Vater hinüber, der sich angeregt mit Silvers Rayleigh und Sakazuki Akainu unterhielt. Vielleicht war es tatsächlich nur Einbildung gewesen oder ein Produkt seines eigenes Geistes. Nach den sich überschlagenden Ereignissen der letzten Tage vielleicht kein Wunder...
 

Marco zog sich vom Bühnenrand zurück und ging Thatch entgegen, der ihm mit immer noch misstrauisch zusammengekniffenen Augen das Wasser reichte. »Mach' nicht so ein verkniffenes Gesicht, das lässt dich alt aussehen...«, murmelte Marco in sein Glas und versuchte sich an einem halbherzigen Schmunzeln.

»Dann hör' du damit auf, dass ich mir Sorgen um dich machen muss«, plusterte sich der Marketingmanager schnaubend auf. Doch dann wurde sein Tonfall weicher. »Du kannst mit mir reden, das weißt du, ja?«
 

Marco nickte. »Ja. Danke, Thatch, aber es ist nichts... wirklich. Mach' dir keinen Kopf«, beteuerte er, obwohl er sich ehrlich nicht gut dabei fühlte, seinen Freund anlügen zu müssen. Aber er wollte sich heute nicht zwangsläufig mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen müssen.
 

Mit was er sich allerdings würde wohl oder übel auseinandersetzen müssen, war... sein Stiefbruder. Es knisterte statisch in seinem Ohr, dann erklang Fossas brummige Stimme: »Sir, entschuldigen Sie die Störung, aber... Weevil Newgate ist hier. Wir haben ihn in der Empfangshalle festgesetzt. Er ist betrunken und... nervig wie immer. Sollen wir ihn an seinen Eiern wieder rausschleifen?« Fossas etwas zu enthusiastisch vorgebrachter Vorschlag ließ vermuten, dass dem Sicherheitsmann diese Vorstellung vielleicht ein bisschen zu sehr begeisterte.
 

Marco stieß ein strapaziertes Stöhnen aus, drückte Thatch sein Glas in die Hand und meinte gleichzeitig beschwichtigend zu Fossa: »Nein, schon gut. Ich bin unterwegs. Ich kümmer' mich darum.«

Thatch sah ihn fragend an und Marco meinte nur dumpf: »Ärger im Anmarsch...«

»Weevil?!«

»Hmmm...«

»Scheiße... ich such' Pops, der muss diese Nervensäge heute wirklich nicht zu Gesicht bekommen...«

»Ich werd' mit ihm reden. Vielleicht verzieht er sich ja freiwillig.«

Thatchs Augenbraue, die fast seinen Haaransatz küsste, ließ darauf schließen, dass der es wahrscheinlicher fand, das vorher die Hölle zufror. »Na sicher... viel Glück.«
 

Marco richtete seine Krawatte. Mit düsterem Gesicht, aber entschlossenen Schritten bahnte er sich nun den Weg zum Ausgang, von wo Jozu ihm schon entgegen sah und zuvorkommend die Tür aufhielt. »Eine Warnung, Sir... er ist nicht allein«, murmelte der stämmige Sicherheitsmann betreten und Marco fragte sich, was das zu bedeuten hätte, als er schon durch die Tür trat und nach der nächsten Ecke in der Empfangshalle stehen blieb, als wäre er vor eine Wand geprallt.
 

Und das nicht wegen des Anblicks von Weevil Newgate, der den Rahmen des guten Geschmacks wieder einmal mit einem weißen, fast aus allen Nähten platzenden Anzug sprengte, der so effektheischend blitzte und blinkte, dass man bei längerem Hinsehen Gefahr lief, einen epileptischen Anfall zu bekommen, nein... was Marco einen Schock versetzte, war der Umstand, dass Stussy mit einem süßlichen Lächeln an dem Arm seines Stiefbruders hing.
 

Sie sah noch immer genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte mit ihrem lieblichen Gesicht, den großen blauen Augen und der zarten Figur. Neben Weevil wirkte sie so deplaziert wie ein eben aufgekeimtes Pflänzchen neben einem Bulldozer in ihrem hellen Kleid, einer Federstola und sicherlich sündhaft teuren Kette aus schwarzen Opalen um den Hals. Auch sie bemerkte Marco nun ebenfalls und wirkte peinlich berührt, als wäre ihr das Ganze tatsächlich unangenehm.
 

Was für ein schönes Schauspiel... Er wusste ja inzwischen, dass es ihr leicht fiel, die Männer wie Unterwäsche zu wechseln, doch das mit Weevil war schlichtweg absurd. Was auch immer sie zu ihm getrieben hatte, Liebe war es gewiss nicht.
 

Marco zog die Luft ruckartig ein und schluckte hart, dann straffte er die Schultern und lief unbeirrt auf seinen neu gewonnenen Bruder zu. Stussy versuchte er einfach auszublenden. Er trauerte ihr nicht hinterher, über diese Phase war er längst hinweg, doch natürlich waren mit ihrem Anblick Emotionen verbunden, auf die er gerade nicht vorbereitet gewesen war.
 

Weevils schwammiger Blick fokussierte sich jetzt auf Marco, nachdem er wohl einsehen musste, dass es wenig bringen würde, Fossa weiter anzupöbeln. Der große und kräftige Sicherheitsmann stand mit einer Zigarre im Mundwinkel und seinem Sturmgewehr im Arm wie eine unverrückbare, bärtige Mauer aus Muskeln vor Whitebeards Sohn und ließ sich von dem Gift und Galle spuckenden Schnösel gar nicht aus der Ruhe bringen.
 

»Ach, ist das jetzt das Empfangskomitee, ja? Lässt sich mein neuer, ach so perfekter Bruder dazu herab, vom Elfenbeinturm zu steigen, um mit dem Pöbel zu reden?! Wahnsinn, wirklich...«, Weevil klatschte spöttisch in die Hände und das, was Marco für eine metallische Verzierung an seinem Anzug gehalten hatte, löste sich jetzt von seinem Oberarm, entfaltete sich zu einer Videodrohne und schwebte mit blinkendem Aufnahmelicht neben Weevils Kopf.
 

»Willkommen, meine lieben Follower, im Newgate-Tower! Und seht hier, den neuen Herrn, den Thronräuber und schleimerischen Arschkriecher... Marco Phoenix!«, tönte Weevil theatralisch.
 

»Schalt' die Drohne ab...«, grollte Marco jetzt schon angefressen. Sein Vorsatz, sich vernünftig mit diesem Kerl zu unterhalten, geriet gerade mächtig ins Schwanken, denn er hatte wirklich keine Lust für diesen Dummkopf den Affen in den sozialen Medien zu machen. »Das ist selbst für dich armselig.«
 

Weevil zog die Brauen arrogant in die Höhe. »Oh oh, da spricht der Master of Rules, Mister Unfehlbar. Ich hab' hier kein Schild gesehen, dass Filmen verboten wäre... Bruder«, das letzte Wort spie Weevil aus wie sauren Wein.
 

Marco verzog das Gesicht und kräuselte die Nase, als ihm der alkoholgeschwängerte Atem seines Bruders entgegen schlug. So ziemlich alles ließ darauf schließen, dass Weevil wieder einmal über den Durst getrunken hatte... eines seiner vielen, menschlichen Probleme. »Du bist betrunken, Weevil«, bemühte sich Marco um einen möglichst ruhigen und sachlichen Tonfall. »Am besten gehst du dich erst mal ausnüchtern und wir klären das später... wie erwachsene Leute.«
 

Weevil kam noch einen Schritt auf Marco zu, wobei er Stussy wie ein hübsches Spielzeug mit sich zog. »Betrunken?!«, lachte er laut und so aufgesetzt, dass es Marco schon in den Ohren schmerzte. »Ach ja, das würde dir ja nie passieren, nicht wahr?! Alkohol ist dir ja viel zu banal und unter deiner Würde. Der fehlerlose Marco hat ja keine Schwächen... na gut, bis auf diese eine, dass er eine Frau nicht halten kann, nicht wahr, Darling?«, höhnte er gehässig und neigte sich zu Stussy, um ihr einen feuchten Kuss auf die Wange zu geben.
 

Das war ihr jetzt sichtlich peinlich und zuwider, denn sie schlug die Augen nieder, als könnte sie Marco kaum ansehen. Ein Mindestmaß an Anstand schien sie zumindest noch zu besitzen.
 

Marcos Kiefermuskeln verkrampfen sichtbar und obwohl er sich auf diese billige Provokation wirklich nicht einlassen sollte, rissen diese dämlichen Worte natürlich an der alten Wunde. Allerdings sparte er sich eine passende Erwiderung, denn dann würde dieser Unruhestifter nur genau das erreichen, was er wollte.. »Izou...«, raunte er düster. »Hol' die Drohne endlich runter.«
 

Als hätte der Scharfschütze die ganze Zeit nur auf diesen Befehl gewartet, zischte ein perfekt gezieltes Projektil durch eines der offenen Oberlichter in der Empfangshalle und pflügte die Drohne aus der Luft. Weevils Gesicht lief rot an vor Wut und sein weißer Schnurrbart, ein armseliger Versuch, seinem Vater nachzueifern, erzitterte durch seine bebenden, speckigen Wangen. »Für den Schaden wirst du aufkommen, du Penner!«

Marco lächelte müde. »Vielleicht verrechnen wir es erst einmal mit dem Firmenwagen, denn du neulich zu Schrott gefahren hast...«, erwiderte er gelassen, was Weevil nur noch mehr auf die Palme zu bringen schien.

»Ich will meinen Vater sehen!«

»Vergiss' es.«

»Das hast du nicht zu entscheiden! Wer glaubst du, wer du bist?! Verzieh' dich und schieb' dir deinen Stock wieder in den Arsch, Marco!«
 

»Was soll dieses Theater hier, Weevil?!«, donnerte Whitebeards volle Stimme wie eine Gerölllawine durch die Empfangshalle.
 

Marco drehte sich halb um und sah seinen Vater mit großen Schritten auf sie zukommen. Thatch eilte mit unglücklichem Gesichtsausdruck hinter ihm her und zog Marco gegenüber die Schultern hilflos nach oben. Natürlich würde sich Edward Newgate nicht aufhalten lassen und garantiert hatte er mitbekommen, dass sein Sohn hier war. In seinem eigenen Haus entging ihm sicher nichts.
 

»Ach, da ist er ja, unser geliebter Daddy...«, meinte Weevil mit schwerer Zunge und stierte seinem Vater mit blitzenden Augen entgegen. »Vater des Jahres 2069, der seinen eigenen Sohn für einen dahergelaufenen Straßenköder abserviert und seiner Zukunft beraubt hat! Applaus, Freunde, für diese fürsorgliche, liebende Vaterfigur!«, klatschte er sich wahrscheinlich selbst Beifall. Selbst Stussy hatte sich inzwischen von ihm gelöst und stand recht verloren abseits.
 

»Das reicht jetzt aber wirklich...« Marcos Gesicht verdüsterte sich bedrohlich und er war kurz davor auf Weevil loszugehen, weil er es kaum ertragen konnte, wie dieser undankbare Wurm ihren Vater darstellte... als ihn eine große Hand zurückhielt. Whitebeards Finger gruben sich beschwichtigend in seine Schulter.
 

»Schluss mit diesem Unsinn, Weevil. Hör auf, dich wie ein verzogenes Kind zu benehmen und werd' endlich erwachsen.« Whitebeard trat an Marcos Seite und blickte auf seinen leiblichen Sohn mit einer ungesunden Mischung aus Enttäuschung, Missbilligung und Trauer. Sein Gesicht blieb unbeweglich, doch Marco erkannte die unausgesprochenen Emotionen in den Augen seines Vaters. »Was soll das hier, hm? Du weißt ganz genau, dass ich meinen Entschluss nicht ändern werde. Du hattest bei weitem genug Chancen, um dich zu beweisen und mir zu zeigen, dass du der Verantwortung, diese Firma zu führen, würdig bist. Du hast keine davon genutzt.«
 

Weevils Mund verzog sich zu einer verbitterten Linie, sein Blick schoss abfällig zwischen Marco, der väterlichen Hand auf dessen Schulter und Whitebeard umher. Ein Stück weit konnte Marco seine Wut sogar nachvollziehen, allerdings hatte sich Weevil ganz allein in diese Außenseiterrolle manövriert - daran waren weder er noch sein Vater schuld.
 

»Es wundert mich ja, dass du dich überhaupt dazu herab lässt, mich zu sehen, Vater. Ich hätte ja gedacht, dass du deinen perfekt abgerichteten Schoßhund weiter vorschickst und mich einfach links liegen lässt, wie du es die ganzen Jahre über schon getan hast. Alles war dir immer wichtiger als Mutter und ich - deine Arbeit, deine Firma, deine Mitarbeiter, deine ach so geliebte Familie hier...-«
 

»Sprich' nicht in diesem Ton mit mir, Sohn!«, grollte Whitebeard warnend. »Du verdrehst die Wahrheit.«
 

Selbst Stussy versuchte jetzt besänftigend auf ihren Begleiter einzuwirken. Sie ergriff Weevil am Arm und versuchte sich seine Aufmerksamkeit zu sichern. Offenbar hatte sie sich für diesen Abend etwas anderes erwartet. »Weevil, komm... wir wollten doch noch zu dieser Party in Shinjuku...-«
 

Weevil schüttelte sie einfach ab wie ein lästiges Insekt. Dann deutete er mit einem anklagenden Fingerzeig auf seinen Vater. Speichel glänzte auf seinen bebenden Lippen und er sagte unerbittlich: »Du hast mich nie geliebt! Nicht eine Sekunde lang! Du hast Marco immer schon vorgezogen, weil er ja so perfekt deinen Vorstellungen entsprach! Für dich war ich immer nur ein leidiges Übel, das du möglichst schnell loswerden und ersetzen wolltest! Ich konnte ja nie deinen Ansprüchen genügen und war nie gut genug für dich! Du bist so ein Heuchler...-«
 

Marco machte sich von seinem Vater los und bevor ihn jemand aufhalten konnte, war er mit einem schnellen Schritt bei Weevil und packte ihn am Kragen, wodurch sein fetter Hals nur noch mehr über den Stoff quoll. Für einen Augenblick flackerte so etwas wie Angst durch Weevils glasige Augen, als Marco die Zähne aggressiv bleckte.
 

»Halt deine Klappe, du undankbarer Mistkerl... sonst zieh' ich mir mal den Stock aus dem Arsch, um ihn dir in dein gehässiges Schandmaul zu stopfen. Du Idiot weißt gar nicht zu würdigen, was für ein verdammtes Glück du hast, einen Vater wie Whitebeard zu haben. Entweder verziehst du dich jetzt oder ich vergess' mich... und bei Gott, es wird mich hier niemand aufhalten, wenn ich dir Anstand einprügel«, knurrte Marco mit bedrohlich tiefer Stimme und beugte sich zu Weevils Ohr, um zu wispern: »Und ich werde es genießen, das verspreche ich dir.«
 

»Marco... das reicht... lass' ihn«, bat Whitebeard angestrengt hinter ihm. Allein der kritische Gesundheitszustand seines Vaters hielt Marco jetzt noch davon ab, sich auf Weevil zu stürzen wie ein Berserker. Doch jede Art von Stress war pures Gift für Whitebeard und so sehr er wegen Weevil auch unglücklich sein mochte, er würde nicht wollen, dass seine Söhne sich vor ihm die Köpfe einschlugen.
 

Weevil war recht blass geworden und zitterte wie Espenlaub, als Marco ihn wieder auf die Füße stellte und endlich losließ. »Er will jetzt gehen. Begleite ihn bitte nach draußen, Fossa«, wandte sich Marco tonlos an seinen Sicherheitsmann, dann trat er wieder an die Seite seines Vaters, als Fossa den sich nur noch halbherzig wehrenden Weevil vor die Tür beförderte.
 

»Ihr hört noch von meinen Anwälten...«, war das Letzte, was Weevil ihnen bockig entgegen warf, bevor Fossa ihn genüsslich aus der Tür stieß und dabei absichtlich wesentlich mehr Kraft aufwandte, als nötig gewesen wäre. Weevil stolperte nach draußen und fing sich im letzten Moment, bevor sein Gesicht den Asphalt geküsst hätte.
 

Marco betrachtete seinen Vater mit Sorge. Whitebeard ließ sich seine Schwäche natürlich nicht anmerken, doch Marco sah die verräterischen Schweißperlen auf seiner bleichen Stirn stehen und das fahle Grau unter seinen Augen. »Thatch, bring' Vater hinaus in den Innenhof, er braucht etwas frische Luft. Ich schick' euch Makino, sie soll dich durchchecken«, bestimmte er an Whitebeard gewandt und tätigte schon den Anruf bei der Ärztin.
 

»Mir geht’s gut...«, begehrte Edward Newgate störrisch auf.

»Dir geht’s nicht gut«, hielt Marco genauso dickköpfig dagegen. »Keine Widerrede! Abmarsch!«
 

Zumindest heute schien sein Vater einzusehen, dass es nicht lohnen würde mit Marco zu streiten, denn er ließ sich anstandslos von Thatch in den begrünten Innenhof des Towers führen. Marco sah ihnen kopfschüttelnd hinterher, während er Makino per Call bat, nach seinem Vater zu sehen. Die Ärztin machte sich natürlich sofort auf den Weg.
 

»Hallo Marco...«
 

Stussy hatte er ja völlig vergessen und war eigentlich überrascht, dass sie überhaupt noch hier war. Sie war an seine Seite getreten und zupfte betreten am Saum ihres Kleides, während sie vorsichtig zu ihm linste. »Du wohnst jetzt hier im Tower, hat Weevil erwähnt...« Ihre linke Hand fuhr durch die Federstola um ihren Hals. »Ist wahrscheinlich auch praktischer als Firmenleiter gleich vor Ort zu sein«, plapperte sie weiter. Auch sie wirkte ein wenig blass und ehrlich betreten wegen der Ereignisse und wollte die Situation offenbar mit etwas Smalltalk auflockern.
 

Mit irritiert gerunzelter Stirn sah Marco sie an und verengte die Augen ungläubig. Mitleid hatte er wenig mit ihr. »Was soll das? Willst du nach dem Auftritt deines neuen... Lovers jetzt wirklich einfach so zur Tagesordnung übergehen, als wäre zwischen uns nichts passiert? Und solltest du ihm nicht eigentlich längst nachrennen? Was willst du eigentlich noch hier?« Er reagierte unfreundlich, was sonst gar nicht seine Art war, aber... Weevil und Stussy heute im Doppelpack war selbst für ihn arg schwer zu verdauen.
 

»Tut mir leid, ich hatte keine Ahnung, dass er sich so aufführen würde... er sagte, er wolle hier nur kurz vorbei schauen, um mit seinem Vater zu reden... das musst du mir glauben, Marco! Ich mochte deinen Vater immer, das weißt du und ich bin mitgekommen, weil ich ihn gern sehen wollte und dich vielleicht...-« Sie biss sich auf die Lippe und senkte den Blick.
 

Marco reagierte gar nicht darauf. Es war ihm ehrlich gesagt egal, was sie wusste und was sie mit Weevil zu schaffen hatte, denn die ganze Frau war ihm inzwischen gleichgültig geworden. Er verstand allerdings nicht, wieso sie hier versuchte ihm so unbedingt ein Gespräch aufdrücken zu wollen.
 

Stussy kaute noch immer verunsichert auf ihrer Unterlippe, dann sah sie ihn wieder an mit ihren himmelblauen, so unschuldig erscheinenden Augen - ein perfektionierter Blick, wodurch Marco einst so leicht in die Falle geraten war. Ihre Mischung aus Schuldlosigkeit und Sexapeall, ihr zartes Puppengesicht, war einst ziemlich anziehend für ihn gewesen.
 

»Ich... ich vermisse einen Gedichtband, der mir sehr am Herzen liegt, weil er ein Geschenk meiner Mutter war. Du weißt vielleicht, welchen ich meine, Marco. Ich glaube, ich habe ihn dir geliehen, bevor wir... naja... uns getrennt haben. Und ich habe mich gefragt, ob du ihn vielleicht noch bei dir hast... könnten wir nicht mal nachschauen, wo ich gerade hier bin?«, bat sie zurückhaltend. »Danach verschwinde ich auch, versprochen.«
 

Marco zog die Brauen hoch und musterte sie abschätzend. Das wirkte ihm recht fadenscheinig, doch er wollte den Abend auch nicht mit noch einem weiteren Streit ausklingen lassen. Seufzend stieß er die Luft aus. »Na schön, komm mit...«, murrte er wenig begeistert. Sollte sie ihr dummes Buch bekommen und dann auf hoffentlich Nimmerwiedersehen aus seinem Leben verschwinden.
 

Den Weg im Lift bis zum Penthouse hinauf brachten sie glücklicherweise schweigend hinter sich. Marco konnte zwar spüren, dass Stussy sich mit der gedrückten Stille unwohl fühlte, doch er tat ihr nicht den Gefallen, von sich aus ein Gespräch anzufangen. Von seiner Seite aus war längst alles gesagt.
 

In seiner Wohnung wies er ihr kurz angebunden das Wohnzimmer, wo noch einige Kartons von seinem Umzug standen, glücklicherweise auch die mit den Büchern. In sein Schlafzimmer würde er sie gewiss nicht führen. »Ich habe es noch nicht geschafft, alles auszuräumen. Die Bücher sind größtenteils noch verpackt. Du wirst in den Kartons nach deinem suchen müssen«, meinte er emotionslos.
 

Stussy sah sich mit großen Augen bewundernd um und blickte staunend durch die große Fensterfront auf das abendliche Tokio. Marco erinnerte sich, dass sie ja nie hier oben gewesen war. »Wow... das ist echt schön hier. Eine tolle Wohnung«, sagte sie begeistert.
 

»Hm«, brummte Marco unbestimmt. Er trat in die Küche, nahm sich noch ein Wasser aus dem Kühlschrank und versuchte die Eigenartigkeit der Situation zu ignorieren, dass seine Ex nach drei Jahren nun wieder in seiner Wohnung stand. Er hoffte, dass sie schnell wieder gehen würde, der Abend war eh schon seltsam und anstrengend genug.
 

Als Stussy erneut merkte, dass er kein sonderliches Interesse an einer ausführlichen Unterhaltung hatte, ging sie dann endlich zu den Bücherkartons hinüber und begann wortlos nach ihrem Gedichtband zu suchen. Marco derweil lehnte sich an den Küchentresen und ließ seinen Blick über die Stadt zu seinen Füßen schweifen.
 

Er lockerte seine Krawatte, öffnete den obersten Knopf seines Hemdes und rieb sich flüchtig über die Schläfe. Eigentlich müsste er erschöpft sein, er war körperlich erschöpft, doch fühlte eine geistige Anspannung, die ihn ruhelos machte. Wo Law wohl gerade ist? Der junge Mann hatte kurz vor der Versammlung den Tower verlassen.
 

»Marco, weißt du, ich habe viel nachgedacht in letzter Zeit... und ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht, als ich dich verlassen habe«, riss ihn Stussys mit einem Mal sehr nahe Stimme aus seinen Gedanken. Sie stand plötzlich hinter ihm und als Marco sich umdrehte, streckte sie die Hände aus, umgriff sein Gesicht und stellte sich auf die Zehenspitzen, um... ihn allen ernstes küssen zu wollen! »Ich glaube, ich habe noch immer Gefühle für dich...«, hauchte sie sinnlich. »Lass' es uns doch nochmal miteinander versuchen.«
 

Marco blickte sie völlig fassungslos an. Er packte ihre Handgelenke und entzog sich ihrem Griff... und sie blinzelte ihn verwirrt an, als verstünde sie nicht, wie er dieses Angebot ausschlagen konnte. Ihre Lippen waren willig geöffnet und ihre Augen leicht wässrig, sie glänzten im genau richtigen Maß an Sehnsucht und Hingabe, um einem Mann den Kopf zu verdrehen.
 

»Ernsthaft?!«, stieß Marco entgeistert aus. Er ließ ihre Handgelenke los, als hätte er sich verbrannt und wich kopfschüttelnd einen Schritt vor ihr zurück. Er konnte nicht glauben, was sie hier gerade versuchte. »Ist das dein verdammter Ernst, Stussy?! Du tauchst hier auf, nachdem du mich hast sitzen lassen und wir uns fast drei Jahre nicht gesehen haben, mit meinem Stiefbruder am Arm... und erzählst mir jetzt plötzlich etwas von Gefühlen?!«
 

Sie schob die Unterlippe vor und hatte zumindest den Anstand, kurz verlegen den Blick abzuwenden. »Weevil liebe ich doch gar nicht... ich dachte, er würde es mal zu etwas bringen, doch er ist ein Dummkopf. Du warst das Beste, was mir je passiert ist, Marco. Es war ein Fehler, dich zu verlassen, das weiß ich jetzt...«, beteuerte sie kläglich und versuchte ihn mit ihrem unschuldigen Rehblick wieder zu ködern. Doch Marco durchschaute ihr Schauspiel inzwischen sehr genau.
 

»Ach und das ist dir jetzt ganz plötzlich eingefallen!? Warum, Stussy, hm? Vielleicht, weil ich jetzt der CEO der Newgate Corp. bin und nicht Weevil!? Genüge ich jetzt wieder deinen Ansprüchen?«, mit jedem herausfordernden Wort war er weiter auf die blonde Frau zugetreten, die nun merklich verunsichert und sichtlich verlegen vor ihm zurückwich. »Das ist doch der Grund, hab' ich nicht recht?« Beschämte Röte färbte ihre Wangen. Sie kam ihm vor wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange.
 

Stussy hatte Marco damals verlassen, weil er ihr zu langweilig gewesen war, weil er nicht ständig auf Partys und Veranstaltungen mit ihr hatte gehen wollen und als schlichter Kundensegmentleiter eh viel zu unbedeutend aus ihrer verschrobenen Sicht der Dinge heraus gewesen war.
 

Sie hatte es schon immer nach mehr im Leben verlangt, was er bis zu einem gewissen Grad sogar irgendwie nachvollziehen konnte, da sie aus einem wirklich heruntergekommenen Bezirk in Downtown stammte und ihre Kindheit nicht gerade rosig gewesen war. Geld und Ansehen hatten in ihrem Leben schon immer eine übergeordnete, existentielle Rolle gespielt.
 

Also hatte sie sich damals einen angesehenen, hippen Immobilienhai geangelt und Marco einfach sitzen lassen. Wahrscheinlich war der nun aber auch nicht mehr lukrativ genug und Weevil, mit der Aussicht auf den CEO-Posten, ein wesentlich dickerer Fisch an ihrer Angel - zumindest bis zu dem Punkt, an dem Whitebeard Weevil quasi enterbt hatte.
 

Sie versuchte einen erneuten Vorstoß, versuchte die Hände auf seine Brust zu legen und sich an ihn zu schmiegen, doch Marco wich ihr aus. »N-nein... du verstehst das ganz falsch, Marco... ehrlich, i-ich...«

Marco schnaubte abgestoßen und warf die Hände in die Luft. »Himmel, lass' gut sein. Nimm dein Buch und dann verschwinde. Ich habe ehrlich genug von dir und deinen Spielchen.«

»Aber...-«

»Ich meine es ernst. Das mit uns ist vorbei, ein für allemal. Begreif' das endlich.«
 

Er konnte nicht einschätzen, ob die Enttäuschung in ihrem Blick echt oder nur unheimlich gut gespielt war, zumindest schien sie endlich zu begreifen, dass sie bei Marco auf Granit beißen würde. Selbst wenn sie sich ihm jetzt nackt vor die Füße geworfen hätte, es hätte ihn nicht gekümmert. Alles an ihr wirkte so unecht und aufgesetzt... und sie widerte ihn schlichtweg nur noch an.
 

Stussy versuchte sich klugerweise zumindest einen Rest an Würde zu bewahren, straffte die Schultern und fragte gefasst: »Darf ich zumindest dein Badezimmer noch einmal kurz benutzen, bevor ich gehe?«
 

Marco biss sich auf die Zunge, um eine wenig freundliche Erwiderung zurückzuhalten. »Wenn es unbedingt sein muss...«, murmelte er unwillig. Er zeigte ihr das Badezimmer und gab ihr die fünf Minuten für sich selbst, während er fassungslos mit verschränkten Armen durch das Wohnzimmer lief und noch immer kaum glauben konnte, was eben geschehen war. Dachte sie wirklich, dass ich sie nach allem, was geschehen ist, einfach so zurücknehmen würde? Für wie armselig hält sie mich eigentlich?! Es ärgerte ihn, dass er dieser unverschämten Frau einst so viel Platz in seinem Leben eingeräumt hatte.
 

Er entdeckte ihren Gedichtband, den sie ja so unbedingt wiederhaben wollte, am Grund eines Kartons und drückte ihr diesen wortlos in die Hand, als sie aus dem Badezimmer kam. Dann begleitete er sie ohne ein weiteres Wort zum Lift und ließ sie im Erdgeschoß einfach stehen, um zurück auf die Versammlung zu gehen. Den Ausgang würde sie sicher allein finden.
 


 

*
 

Law schob sich mit finsterem Gesicht und tief in den Taschen vergrabenen Händen durch die dicht gedrängte Menge des Vergnügungsviertels in Akihabara, wobei er penibel darauf achtete, den Menschen auf der Straße nicht zu nahe zu kommen. Doch die meisten hier machten beim Anblick seiner düster zusammengezogenen Brauen, den harten, stahlgrauen Augen und vor allem des Schwertes auf seinem Rücken eh einen großen Bogen um ihn.
 

Abends waren hier viele Menschen unterwegs, um nach einem monotonen, harten Arbeitstag an den Docks oder in einer der Konzernfabriken schnelles Vergnügen in einem der zahlreichen Sexclubs oder Spielhallen des Viertels zu finden - in Laws empfindliche Nase drangen die wenig schmeichelhaften Gerüche von verschwitzten, kränklichen Menschen, von Zigarettenrauch und Fäkalien, von verschmorten Drähten und sich überlagernden Essensgerüchen von den vielen, kleinen Imbissständen, die sich aufgereiht am Straßenrand entlang zogen.
 

Er lief an einem Yatai vorbei, der laut Aushängeschild frisches Sushi anbot, doch der ausgestellte Fisch stank zum Himmel, auch wenn der Verkäufer mit breitem Grinsen und schlechten Zähnen ein paar zögerliche Kunden vom Gegenteil zu überzeugen suchte. Seine Schürze war überzogen mit undefinierbaren Flecken, über dessen Herkunft Law gar nicht so genau nachdenken wollte. Zumindest war das Sushi billig... die Lebensmittelvergiftung gab es offenbar gratis dazu.
 

Hinter dem Stand des Fischhändlers hatte ein Ripperdoc seinen Laden und durch die schmutzige Fensterscheibe war zu sehen, wie der gerade über einem Kunden saß und dessen mechanische Sprunggelenke nachjustierte. Von sterilen Arbeitsmaterialien und Desinfektionsmitteln hatte hier auch noch nie jemand etwas gehört. Angewidert, fast entsetzt betrachtete Law im Vorbeigehen den schmuddeligen Laden.
 

Ein weiterer Kunde saß wartend vor dem Geschäft und hielt die Hälfte seines kybernetischen Gesichtes in den Händen. Rotes Sensorlicht aus der metallenen Augenhöhle folgte Law nach, als dieser sich unter dem schmierigen Dunst eines weiteren Yatai hinweg duckte, an dem sich zwei Gäste gerade lauthals über einen Wetteinsatz stritten.
 

Über ihm aus den winzigen, aufeinandergestapelten Apartments - die nicht viel mehr als etwas komfortablere Rattenkäfige waren - erklang das zeternde Gekreische einer Frau, die ihren untreuen Lover lautstark zur Schnecke machte. Darunter mischte sich die Musik einer anderen Wohnung und das klägliche Heulen eines Kleinkindes.
 

Law drückte die Nase tiefer in den weichen Fellkragen seiner geschlossenen Jacke und beschleunigte seine Schritte, um dem üblen Geruch irgendwie zu entgehen, der in ihm sofort den Wunsch nach einer gründlichen Dusche hervorrief. Auch wenn es vermutlich völlig unmöglich war, meinte Law einen flüchtigen Hauch von Marcos herbem Duft einzuatmen, der in dem Fell haftete. Muss wohl hängen geblieben sein, als er mir nach diesem Desaster im Ramen-ya geholfen hat... Mit einem missmutigen Zischen stieß er die Luft aus, als er bemerkte, wohin seine Gedanken schweiften.
 

Zum Teufel, er musste wirklich aufhören über den Konzerner nachzudenken und doch ging ihm der Kerl wirklich schwer aus dem Kopf. Law selbst hatte nach dem Vorfall mit Riku Shin eine mehr als deutliche Grenze zwischen ihnen gezogen und folglich damit gerechnet, dass Marco ihn damit aus dem Tower ausquartieren würde und seine Gastfreundschaft endgültig erschöpft wäre, aber nein... nichts dergleichen war geschehen.
 

Marco hatte den Samstag wie gewünscht auf sich beruhen lassen, er kümmerte sich weiter wie versprochen um Lamy, jeden Morgen stand Frühstück für Makino und Law bereit, zu dem sich neuerdings auch Sabo, ein paar der Sicherheitsleute oder der ziemlich exzentrische Marketingmanager der Firma gesellten... und Marco.
 

Law beteiligte sich meist nicht an ihren Gesprächen und niemand bedrängte ihn, doch er hörte aufmerksam zu und war erstaunt, welch lockeren Umgang Marco als neuer CEO mit seinen Mitarbeitern pflegte. Es wirkte oft eher wie eine Familie als wie eine Firma und Law hatte sich zumindest einmal dabei ertappt, als er darüber nachsann, wie es wohl wäre, selbst zu so einem unbekümmerten, engen Verbund zu gehören.
 

Marco behandelte Law nicht anders als zuvor... bis auf den Umstand, dass er wesentlich zurückhaltender, fast schon ein wenig distanziert ihm gegenüber war. Außer ein paar höfliche Grußworte hatten sie seit ihrem gemeinsamen Auftrag kaum mehr ein Wort gewechselt. Auch wenn Law sich einzureden versuchte, dass es so sicherlich am besten für alle Beteiligten war... diese seltsame Distanz zwischen Marco und ihm fühlte sich nicht gut an, nicht im geringsten.
 

Law zog sich die Mütze etwas tiefer ins Gesicht, um dem typischen Nieselregen im Dezember zu entgehen und wich ein paar Prostituierten aus, die unter dem Vordach einer dunkel getünchten Bar standen und ihn mit einer Mischung aus Gier und hungriger Verzweiflung anstarrten. Ihre Augen waren allesamt zu groß in den eingefallenen Gesichtern, ihre Körper teils schlecht kybernetisch verändert, die Haut fahl, das Haar stumpf.
 

Aus der Bar drang der starke Geruch von Opiaten, hypnotisierende Musik und stroboskopisch buntes Neonlicht. Auch das starke Make-up oder die auffällig ausstaffierten Klamotten der meisten Gäste konnten nicht über die langsam zerfallenden Körper hinweg täuschen. Das hier war der schlimmste Teil von Downtown, das faktische Endlager der Stadt, wo man so ziemlich jede illegale Substanz oder fragwürdige, kybernetische Modifikation finden konnte.
 

So zuwider Law dieser Teil von Akihabara auch war, so gut war er auch, um unsichtbar in der Menge zu verschwinden. Die meisten der Leute hier hatten selten einen zweiten Blick für einen Fremden übrig und waren meist mehr mit sich als ihrer Umwelt beschäftigt. Ein perfekter Ort also für ein Treffen, das möglichst unentdeckt bleiben sollte.
 

Einen Vorteil hatte Lamys lockerer Umgang mit Datenschutz - Law konnte weiterhin auf ihr Datenpad zugreifen und damit so einige, interessante Neuigkeiten aufgreifen. Seine Schwester und Baby 5 waren fast im gleichen Alter und so etwas wie Freundinnen, zumindest schien Baby 5 das zu glauben. Die schwarzhaarige Leibwächterin von Doflamingo kaute Lamy regelmäßig ein Ohr über ihre Männerbekanntschaften ab und war ein unerträgliches Tratschweib.
 

Doch genau dieser Umstand war für Law jetzt ein ungeahnter Segen, denn Baby 5 überschwemmte Lamys Chat in den letzten Tagen förmlich mit Nachrichten. Erst hatte sie nur nach Lamys Verbleib gefragt, doch dann berichtete sie plötzlich von unerwarteten Vorgängen und Unruhe innerhalb der Organisation.
 

Eine Bande der jungen, aufsteigenden Rookies, die Downtown in letzter Zeit aufmischten, hatte wohl eine von Jokers Human Auctions gestört und sabotiert. Doflamingo war zwar ein wenig ungehalten, wollte diesem Vorfall aber bisher erst einmal keinen weiteren, großen Wert beimessen.
 

Natürlich nicht, denn der Verlust für Doflamingo durch ein paar entwischte, potentielle Leibeigene war am Ende marginal, wusste Law. Auf Jokers verabscheuungswürdigen Menschenauktionen landeten meist jene armen Schlucker, die sich in Doflamingos Casinos verzockt oder sich Geld von dem Kartellkönig geliehen hatten und ihre Schulden am Ende nicht begleichen konnten - um die meist horrenden Forderungen abzuzahlen, wurden sie oder Familienangehörige an gelangweilte, reiche Privilegierte und skrupellose Konzernbosse verkauft, als billige Arbeitskraft, Spielzeug oder Versuchskaninchen für irgendwelche Experimente.
 

Nein, viel wichtiger als der Erlös aus diesem Nebengeschäft war für Joker im Moment, dass er Kaido weiterhin mit Waffen und Beta versorgen konnte, denn einen Warlord enttäuschte man besser nicht. Kaido hatte die Scornangriffe in der Mongolei zu seinen Gunsten genutzt und sein Herrschaftsgebiet noch mehr ausgeweitet. Inzwischen kontrolliert der selbsternannte „Bestienkönig“ weite Teile der inneren Mongolei und viele Gebiete nördlich von Peking. Die Staatsgewalt von China stand dem inzwischen fast machtlos gegenüber.
 

Law hatte schon so eine Ahnung, wer für diesen Vorfall auf der Human Auction wohl verantwortlich war... und es gefiel ihm ganz und gar nicht. Er hatte doch eindeutige Anweisungen gegeben, wie diese übereifrigen Rookies sich verhalten sollten und trotzdem hatten sie entgegen des ursprünglichen Planes gehandelt und Joker so unnötigerweise auf sich aufmerksam gemacht.
 

Auch wenn Doflamingo diese hitzköpfigen Idioten - die offenbar mehr Glück als Verstand hatten - gerade sicher nicht verfolgen würde... er würde wachsamer sein und seine internen Sicherheitsvorkehrungen gewiss verschärfen. Und das machte nur alles unnötig komplizierter für Laws weiteres Vorgehen.
 

Zähneknirschend bog Law um die nächste Straßenecke, durchschritt energisch den feucht-heißen Dampf, der aus einem defekten Kanalisationsventil aufstieg und hielt auf eine der leuchtend bunten Spielhallen zu, die es hier wie Sand am Meer gab und die von zahlreichen Gästen gern besucht wurden, denn diese Glücksspielhöllen hatten rund um die Uhr geöffnet und boten damit oftmals einen willkommenen Schutz vor den Witterung für all jene, die kein eigenes Dach über dem Kopf hatten.
 

Kaum hatte Law die schäbige Eingangstür geöffnet, schlug ihm stickige Luft und ein ohrenbetäubendes Getöse entgegen. Die Musik in der Halle war auf volle Lautstärke gedreht und malträtierte seine Ohren mit ausgelassenem J-Pop. Die Spielautomaten ratterten und schepperten ebenso laut und Law fragte sich sofort, wie man hier drin freiwillig Stunden verbringen konnte. Ihm dröhnte schon jetzt der Schädel und mit klinischem Interesse ließ er seinen Blick wachsam über das Klientel schweifen, das mit glasigen Augen und leerem Gesichtsausdruck vor den Automaten saß.
 

Er selbst steuerte jetzt die Rolltreppe an, die in das nächste Stockwerk führte, wobei er darauf acht gab, keinem der bedauerlichen Gestalten in der Halle näher als unbedingt nötig zu kommen. Krankheiten kursierten hier ebenso ungehindert wie Drogen und gesetzeswidrige Machenschaften. Niemand nahm Notiz von ihm, alle stierten krankhaft auf die drehenden Rädchen und rollenden Kugeln, was Law nur gelegen kam.
 

Er überwand die träge, quietschende Rolltreppe mit langen Schritten und stand daraufhin auf einer weiteren, dämmrigen Etage voll von summenden und orgelnden Spiel- und Tanzautomaten. Für Law war alles hier zu viel - viel zu laut, viel zu bunt, viel zu stickig, viel zu viele Menschen. Er fühlte sich unwohl, tröstete sich aber damit, dass auch dies hier ein nötiges Übel war, um Doflamingos Imperium weiter auf den Abgrund zuzutreiben.
 

Zielsicher führte in sein Gespür in den hinteren Teil des Geschosses, wo ihm auch schon bald auffallend laute Stimmen entgegen schlugen, die beunruhigenderweise selbst über das andauernde Getöse der Spielhalle auszumachen waren. Nicht zum ersten Mal fragte sich Law, ob es nicht vielleicht ein Fehler war, sich auf eine Zusammenarbeit mit diesem chaotischen Haufen einzulassen...
 

»Schau' mal, Ruffy! Ich hab' den Highscore geknackt!«

»Woah, ernsthaft, Lysop?!«

»Freilich, hehe!«

»Ace, sieh' dir das an! Lysop ist ein Meisterschütze!«

»... aha, du bist also „thegreatloverboy65“?!«

»Äh... ja, klar! Das ist mein Deckname im Cyberspace.«

»Klingt irgendwie nicht sehr unauffällig...«

»Man, gerade weil's so auffällig ist, ist es unauffällig, das versteht ihr nicht!«

»Ruffy-sempai, würdest du mir die Ehre eines Dance-Battles erweisen?!«

»Shishishi... klar, Barto!«

»Man, müssen wir hier noch lange warten, mir tun schon die Ohren weh... und hier gibt’s nicht mal Sake...«

»Heul' nicht rum, Moosbirne, du wirst wohl auch mal 'ne Stunde ohne Alk auskommen!?«

»Eine Stunde ohne dich wäre 'ne Wohltat...«

»Wie bitte?!«

»Man Jungs, hört auf zu streiten, das nervt...«
 

Law trat nun um einen jaulenden Spielautomaten herum, der ein nostalgisches Arcade-Game in Pixeloptik beinhaltete und lehnte sich mit der Schulter gegen die nächste Wand, während er mit einer Mischung aus Unglauben, Fassungslosigkeit und Resignation das sich ihm bietende Bild betrachtete.
 

Während der Kopf der ganzen Bande, Mugiwara, mit einem großgewachsenen, grünhaarigen Punk auf einem Dance Dance Revolution wie ein Gummiball auf und ab hüpfte, prügelten sich die schwarzhaarige Langnase, der selbsternannte Hackerman der Gruppe und ein blonder Schönling an einem Beat 'em up um die Vorherrschaft.
 

Der schwarzhaarige, sommersprossige Bruder des Strohhutes drosch wie entflammt auf den mechanischen Kontrahenten eines Boxsimulators ein und stand wahrscheinlich tatsächlich kurz davor, sich und den Automaten in Brand zu stecken. Zumindest rauchte die Gerätschaft schon bedrohlich und gab arg gequälte Zischgeräusche von sich. Ace war ein Pyromant mit ziemlich eindrucksvollen Fähigkeiten und in Downtown schon länger berüchtigt.
 

Neben ihm beobachteten der grünhaarige Samurai und der blonde, schlanke Mann mit der Zigarette im Mundwinkel - Mugiwaras Leibwächter - die Umgebung aufmerksam, wohingegen sie es nicht versäumten, sich ab und an patzige Sticheleien gegenseitig an den Kopf zu werfen. Law hatte die beiden schon in Aktion erlebt und durchaus Respekt vor ihrem Kampfgeschick.
 

Bonney und ein junger Kerl mit fliederfarbenen Haaren saßen etwas abseits über ihren bunten Softdrinks mit Strohhalmen und Bonney war damit auch die Erste, die Law überhaupt bemerkte. Ein kleines, kaum wahrnehmbares Lächeln huschte über ihre pinken Lippen und sie überschlug die Beine gemächlich, als sie ihn heranwinkte. »Hey Jungs, Trafalgar ist da«, verkündete sie nun vernehmlich für die Runde, während sie Law zuzwinkerte. Sie war eines dieser raren, unverbindlichen Abenteuer, auf die Law sich in der Vergangenheit eingelassen hatte.
 

Law war durch Bonney an diese Gruppe hier geraten, die sich wie viele andere in den Kopf gesetzt hatte, die Unterwelt aufzumischen, um sich selbst einen Namen zu machen. Allerdings verfolgte Mugiwara sein ganz eigenes Credo, er hatte im Gegensatz zu vielen anderen vertretbare Moralvorstellungen, die sich mit Laws Idealen ziemlich gut deckten, weswegen er sich überhaupt erst auf die Zusammenarbeit mit ihm eingelassen hatte.
 

Sie alle wussten nicht, dass er eigentlich für Doflamingo arbeitete, nicht einmal Bonney schien das zu ahnen und erzählt hätte er es bestimmt nicht. Law hatte geholfen, Ruffys Bruder vor einem Schicksal und einem ungemütlichen Aufenthalt in Impel Down zu bewahren... und das schien für Mugiwara genug, nicht an seinen Absichten zu zweifeln und ihm zu vertrauen - eine naive Lebenseinstellung, eine Leichtgläubigkeit, die Law unter anderen Umständen sicher verurteilt hätte, doch die ihm persönlich mehr als gelegen kam.
 

»Oi! Torao - willst du mitmachen?«, hatte ihn nun auch endlich der Kopf der Bande entdeckt und hüpfte mit einem breiten Grinsen von der Tanzmatte.

Lysop löste sich von seinem blonden Kontrahenten, den Law als Cavendish identifizierte und maulte theatralisch: »Man, da bist du ja endlich. Wir warten hier echt schon ewig und...-« Ein scharfer Seitenblick von Law würgte ihn im Satz ab.

»Quatsch Lysop, lüg nicht... wir sind doch erst 'ne viertel Stunde hier«, schüttelte Ruffy giggelnd den Kopf. »Torao, komm' schon!«
 

Law hielt den begeisterten, jungen Bandenführer durch seine ausgestreckte Handfläche in dessen Gesicht auf und dämpfte diesen so in dem gänzlich unangebrachten Eifer, ihn womöglich noch zu einem dieser lächerlichen Automaten schleifen zu wollen. »Wir müssen reden«, meinte er sehr bestimmt. »Dieser Vorfall auf der Human Auction in Ryogoku... lasst mich raten, das war euer Werk?!« Law verengte die Augen missbilligend und starrte mit scharfem Blick auf die bunte Truppe, die mit einem Mal alle sehr interessiert an der Umgebung schienen.
 

Lysop wich seinem forschenden Blick betreten aus und tippte die Zeigefinger unbeholfen aneinander. »Öhm... also wir waren seit Tagen nicht mal in der Nähe von...-«
 

»Klar waren wir das, shishishi!«, strahlte Ruffy unbedarft und stemmte die Hände stolz in die Hüfte. Diese Unbekümmertheit war ein wahrer Segen und ein Fluch zugleich.
 

Law knurrte ungehalten, mahnte sich dann aber innerlich zur Ruhe, indem er kurz die Augen schloss und tief einatmete. Er durfte es mit dieser Bande nicht verderben, immerhin waren sie seine beste Chance, Doflamingo in die Zange zu nehmen... deshalb schluckte er seinen Unmut widerwillig herunter. »Das war nicht das, was wir ausgemacht hatten. Ich habe euch doch gesagt, ihr sollt warten, bis ich mit weiteren Anweisungen zu euch komme...«
 

Sanji warf seine Zigarette zu Boden und drückte diese unter dem Absatz seines Schuhs aus. »Die verkaufen dort auch junge Mädchen... und Kinder! Sollten wir einfach nur zusehen?!«, empörte er sich sicherlich nicht zu unrecht.
 

»Glaubst du wirklich, dass das die einzige Human Auction war!? Die machen woanders einfach weiter, als wäre nichts passiert und lachen über euch«, konfrontierte Law sie mit der harten Wahrheit. »Wenn ihr wirklich etwas ändern wollt, dann müsst ihr alle Köpfe der Hydra mit einem Schlag abtrennen.«
 

»Warten, warten... immer nur warten. Von der ganzen Warterei wird mir langweilig...«, maulte der Anführer mit vorgeschobener Unterlippe. »Ich hasse das!«
 

Law massierte sich angestrengt die Nasenwurzel. »Mugiwara-ya... manche Dinge brauchen eben Zeit«, appellierte er an ein hoffentlich vorhandenes Stück von Vernunft in dem quirligen, jungen Mann.
 

»Ruffy hat recht, wir warten nun schon wirklich lang genug...«, mischte sich nun Ace ein, nachdem er mit einem letzten, brennenden Hieb dem Simulator den Rest gegeben hatte. Die Maschine hauchte gerade qualmend ihr Leben mit den letzten Tönen einer Siegesfanfare aus.
 

Ruffys Bruder kam zu ihnen herüber geschlendert und löschte seine lodernde Faust mit einem lässigen Wink. »Wir waren jetzt ziemlich lange geduldig, Trafalgar... verrate uns doch mal, worauf wir deiner Meinung nach immer noch warten sollen?!«
 

Die dunklen Augen des Pyromanten scannten Law ziemlich genau ab und hielten dessen eisenhartem Blick auch mühelos stand. Obwohl er bei seiner Rettung geholfen hatte, war Ace ihm gegenüber deutlich misstrauischer und gewiefter als sein jüngerer Bruder und die beiden zusammen nicht zu unterschätzen.
 

»Auf den richtigen Zeitpunkt«, entgegnete Law seelenruhig und verschränkte die Arme. Er war sich all der Augenpaare auf sich durchaus bewusst und auch wenn diese Bande chaotisch und auf den ersten Blick wenig einschüchternd wirken mochte, Law wusste, wozu sie fähig waren.
 

»In der Zwischenzeit machen sich ganz andere Typen dort draußen einen Namen, während wir hier rumsitzen und... warten«, grollte Zorro unzufrieden, der seinen Beobachtungsposten inzwischen aufgegeben hatte und nun ebenfalls zu ihnen herüber kam.
 

Laws Kiefermuskeln verspannten sich. »Andere Typen...«, stieß er angespannt aus, »halten sich auch an kleinen Fischen auf. Doch wenn mein Plan aufgeht, dann stürzen wir einen Kartellkönig. Ist es nicht genau das, was ihr wollt?«
 

»Warum sind wir eigentlich so fixiert auf diesen Joker?«, fragte Ace, der sich auf den leeren Stuhl zwischen Corby und Bonney fallen ließ und ihr mit einem charmanten Lächeln die Cola klaute. Sie stieß ihm halbherzig die Faust gegen den Oberarm. »Ich bin letzten Monat beinahe mühelos in den Tower der Newgate Corp. eingestiegen und fast bis zu Whitebeard persönlich vorgedrungen«, prahlte er mit selbstbewusstem, breitem Grinsen. »Als könnten wir uns auch einfach auf den alten Mann...-«
 

Ein kurzer Anflug von Panik ließ Law ungewöhnlich impulsiv handeln. Seine flache Hand krachte auf die Tischplatte, wodurch sich Ace fast an seiner Cola verschluckte. »Nein. Edward Newgate ist tabu. Die Newgate Corp. ist tabu. Wir konzentrieren uns auf Doflamingo«, stellte er entschieden klar.
 

Seine Tonlage war eisig und ließ auch keine Widerrede zu. »Edward Newgate ist kein Ziel, habe ich mich klar ausgedrückt!?« Law hatte schon genügend Schuld in seinem Leben auf sich geladen, er würde nicht noch schuld daran tragen, dass Marcos Vater angegriffen wurde... dann könnte er dem Konzerner niemals mehr in die Augen sehen.
 

Ace hob die Hände beschwichtigend und kippelte mit seinem Stuhl nach hinten, um ein Stück weit aus Laws düsterem Einflussbereich zu gelangen. »Hey, ja... schon gut, hab's ja kapiert. Kein Grund gleich sauer zu werden.« Ace überspielte den Zwischenfall zwar mit cooler Lässigkeit, doch Law bemerkte durchaus den etwas zu interessierten Blick des Pyromanten. Auch er schien eventuelle Schwachstellen bei anderen sehr genau im Auge zu behalten.
 

Law richtete sich wieder auf und trat einen bestimmten Schritt vom Tisch zurück, während er tief Luft holte. Ruffy blickte ihn nun erwartungsvoll an, hinter ihm baute sich Zorro auf, dessen Hände schon auf den Griffen seiner kunstvollen Schwerter lagen. »Und was ist dann jetzt unser nächstes Ziel?«
 

»Das sollte sich besser lohnen...«, nuschelte Sanji, dessen Lippen locker um die glimmende Zigarette lagen, die er eben ansteckte.

»... ein möglichst dicker Fisch sein«, sinnierte Ace mit hinter dem Kopf verschränkten Armen, die schweren Stiefel auf dem Tisch abgelegt.

»... aber vielleicht nicht all zu schwierig...«, gab Lysop zurückhaltend zu bedenken.

»... und richtig gefährlich!«, forderte Mugiwara grinsend. Vorfreudig presste der die geballte Faust in seine linke Handfläche.
 

Laws Brauen hoben sich, doch er zog sein Datenpad aus dem Inneren seiner Jacke und aktivierte eine Holoprojektion. Dann warf er das Pad auf den Tisch, damit die versammelte Mannschaft einen guten Blick auf ihr erklärtes Ziel hätte. Interessiert und gespannt beäugte die Bande das kreiselnde Abbild von... »Punk Hazard. Jokers geheime Forschungseinrichtung.«
 

Durch die beiden Wissenschaftler, die Law eigentlich hätte töten sollen, wusste er nun endlich, wo sich diese Einrichtung befand. Darüber hatte sich Doflamingo bisher selbst seiner Familie gegenüber ausgeschwiegen, nur seine engsten und ältesten Vertrauten und Offiziere wie Trebol und Diamante hatte er ins Vertrauen gezogen.
 

Und Law wusste nun auch, dass Caesar Crown nicht nur an der Herstellung und Verbesserung von Beta für Joker arbeitete... sondern auch an biologischen Massenvernichtungswaffen. Diesem wahnsinnigen Wissenschaftler musste das Handwerk gelegt werden, nicht auszudenken, wenn ein Warlord wie Kaido an solche Waffen gelangen würde... die Welt würde nie mehr die Gleiche sein.
 

»Wir werden die Einrichtung zerstören.«
 


 

*
 

Als Law später in den Tower zurückkehrte, war es wieder wesentlich ruhiger und der Pulk an Leuten aus dem Gebäude verschwunden, der den ganzen Vormittag über durch die Gänge gehuscht war. Selbst auf der Gästeetage hatte Law bemerkt, dass es im Gebäude wie in einem Bienenstock zuging und beim Frühstück hatte er aufgeschnappt, dass wohl eine Personalversammlung angestanden hatte.
 

Law sah als erstes nach seiner Schwester und erkundigte sich bei Makino nach deren Befinden, dann zog er sich in sein eigenes Zimmer zurück. Doch an Schlaf war irgendwie nicht zu denken, dafür war er noch zu aufgewühlt. Ruhelos schaltete er den Fernseher ein, allerdings nach fünf Minuten einer gehirnzellenverbrennenden Gameshow auch wieder aus. Er angelte sich eine Flasche des wirklich leckeren Pfirsicheistees aus der Minibar und ging zum Fenster hinüber.
 

Mit dem Arm gegen die Scheibe gelehnt blickte er auf die Stadt und rekapitulierte nochmal sämtliche Details des Treffens mit der Bande um Mugiwara. An Lamys Zustand konnte er gerade aktiv nichts ändern, doch das sie sich nun hier im Newgate-Tower befand war eine Gelegenheit - eine Gelegenheit, seine Pläne voranzutreiben, ohne noch zusätzlich auf sie achten zu müssen.
 

Im Moment war sie zumindest aus der Gefahrenzone, sicherer als hier konnte sie fast gar nicht sein und wenn Law von etwas völlig überzeugt war, dann davon, dass Marco Phoenix seine Schwester beschützen würde, solange sie in dessen Obhut war. Der Konzerner würde zu seinem Wort stehen, sie zu heilen und er war vermutlich einer dieser seltenen Männer, die einem Menschen in Not immer helfen würden. Bei ihm war Lamy gut aufgehoben, selbst wenn Law etwas passieren sollte...
 

Der Fernseher schaltete sich von selbst wieder ein und eine unangenehme Stimme plärrte lauthals: »Willkommen, meine lieben Follower, im Newgate-Tower! Und seht hier, den neuen Herrn, den Thronräuber und schleimerischen Arschkriecher... Marco Phoenix!«
 

Law fuhr sofort herum, er erwartete jemanden zu sehen, doch im Raum war niemand. Irritiert glitt sein Blick zum Fernseher, der sich mit den sozialen Medien verlinkt hatte und ein etwas verwackeltes Video abspielte, das wohl vor ein paar Stunden in einem Livestream von Weevil Newgate entstanden war. Überrascht ließ Law sich mit gerunzelter Stirn auf einen Stuhl fallen und verfolgte die aufgezeichneten Szenen immer ungläubiger... und mit wachsender Aufgebrachtheit.
 

Er kannte Weevil Newgate nicht und wusste kaum etwas über ihn, da Law die sozialen Medien wenig interessierten, doch Lamy hatte ihm einst erzählt, dass der Kerl ein überhebliches Arschloch wäre und seine Schwester hatte schon immer eine erschreckend treffende Menschenkenntnis.
 

Marcos Stiefbruder benahm sich wie die sprichwörtliche Axt im Walde, er versuchte Marco schamlos im Netz bloß zu stellen und behandelte ihn auf eine so respektlose Art und Weise, die in Law den zwingenden Wunsch weckte, diesem großspurigen, fetten Kerl einen Besuch im Schutz der Nacht abstatten zu wollen... und sicher nicht, um ihm das Kissen aufzuschütteln.
 

Law kannte Marco vielleicht noch nicht lang und auch nicht wirklich gut, aber er konnte inzwischen nachvollziehen, warum Edward Newgate wohl Marco den Vorzug vor dem eigenen Sohn in Bezug auf die Leitung der Firma gegeben hatte. Die beiden waren menschlich offensichtlich so unterschiedlich wie Tag und Nacht.
 

Die Aufnahme endete, als Marco einem seiner Sicherheitsmänner befahl, die Drohne zu zerstören und der Fernseher schaltete sich wieder ab. »Warum hast du mir das gezeigt...?«, fragte Law in den leeren Raum, denn eigentlich konnte nur die KI hinter diesem technischen Fehler stecken. Doch Haruta antwortete ihm nicht und Law wippte nun rastlos mit dem rechten Bein auf und ab, während er einen seiner Ohrringe zwischen den Fingern drehte und den irrationalen Wunsch zu bekämpfen suchte, Marco Phoenix sehen zu wollen.
 

Law sprang auf, lief ins Bad, entschied sich dann aber doch gegen eine Dusche. Vielleicht sollte er vorher irgendwo noch ein wenig trainieren, um seiner inneren Unruhe Herr zu werden und vor allem, um auf andere Gedanken zu kommen, sonst würde er heute wohl schwer Schlaf finden. Er meinte sich zu erinnern, einen Fitnessbereich gesehen zu haben, als er das erste Mal hier im Tower war.
 

Ein bisschen kam er sich nun schon lächerlich vor, als er erneut in das Zimmer fragte: »Bist du da...?« Marco hatte schließlich gesagt, sollte er etwas brauchen, dann müsste er sich nur an die KI wenden. Tatsächlich erschien Haruta jetzt auch fast sofort im Raum und neigte den Kopf leicht als Begrüßung.
 

»Was kann ich für sie tun, Mister Trafalgar?«, fragte die KI eifrig.
 

Law trank den letzten Schluck seines Eistees, dann warf er die Flasche in den Mülleimer. »Hier im Haus gibt es doch einen Fitnessraum oder sicher einen Ort, wo man ungestört trainieren kann... würdest du mich hinführen?«
 

Die künstliche Intelligenz wackelte mit dem Kopf, als müsste sie ernsthaft überlegen, was schrecklich menschlich anmutete, dann nickte der junge Mann. »Natürlich. Kommen Sie.« Er drehte sich um und verschwand einfach durch die geschlossene Tür hindurch. Unter Umständen konnte man das wirklich leicht verstörend finden.
 

Law kramte in seiner Tasche nach lockeren Klamotten und zog sich rasch um, bevor er der KI folgte, die geduldig vor dem Zimmer auf ihn gewartet hatte. Haruta geleitete ihn zum Lift und der setzte sich wider Laws Erwarten in die obere Richtung in Bewegung. Er ließ es achselzuckend unkommentiert. Vielleicht gab es ja noch einen weiteren Fitnessraum im Gebäude.
 

Haruta führte Law in eine gänzlich unbekannte Etage des Towers, die beinahe unter dem Penthouse des Gebäudes liegen musste. Hier war es fast totenstill und ein paar vereinzelte Deckenspots erleuchteten den langen Gang vor ihnen, der an einem großzügigen Schwimmbad mit gläsernem, spektakulärem Außenpoolelement vorbei führte. Na schön, ein bisschen Luxus schien sich Edward Newgate dann offenbar doch zu gönnen.
 

Vor einer großen Doppelflügeltür blieb Haruta stehen und bedeutete damit, dass sie angekommen waren. Law schob die Tür langsam auf und sofort schlug ihm laute, aggressive Musik entgegen. Ein bisschen argwöhnisch, allerdings auch neugierig betrat er den Raum, der sich weitläufig vor ihm öffnete.
 

Dies hier schien das private Trainingsareal für die Newgate-Familie zu sein, bestehend aus einem Fitnessbereich, einem abgetrennten Dojo in altem, japanischem Stil und einem hauseigenen Schießstand, bei dem es Law nicht schwer fiel, sich augenblicklich vorzustellen, wie Marco Phoenix hier jede Kugel punktgenau in die weit entfernten Ziele jagen würde.
 

Es gab eine hochmoderne, ausgefeilte Trainingsstrecke mit künstlichen Deckungen und Hindernissen und mechanischen Dummys, die offenbar möglichst reale Kampfbedingungen simulieren sollten, indem sie mit nicht tödlichen Nah- oder Fernkampfwaffen ausgestattet waren. Das mutete ziemlich nach der Wirkungsstätte von Sabo an, dem jungen, blonden Leiter der Forschungsabteilung, der ein Faible für technische Spielereien hatte.
 

Allerdings war Law hier keinesfalls allein oder ungestört... denn Marco Phoenix war anwesend, hatte ihn allerdings noch nicht bemerkt. Der Konzerner trainierte allein und zu der krachenden Rockmusik in dem Parcours und schlug mit bloßen Fäusten und einer eisernen Vehemenz auf einen der Dummys ein, der einem dadurch fast leid tun konnte.
 

»Das war eigentlich nicht das, was...-«, Law wandte sich zur Tür, doch die war hinter ihm bereits wieder ins Schloss gefallen und die KI verschwunden. Na super, diese Etage hier gehörte garantiert nicht zum öffentlichen Bereich des Towers und Law kam sich augenblicklich vor wie ein ungebetener Eindringling. Marco wirkte, als hätte er sich bewusst hierher zurückgezogen, um allein zu sein. Warum hatte die KI ihn denn hergeführt!?
 

Law holte tief Luft. Er sollte wirklich gehen... drehte sich aber trotzdem wieder um. Eigentümlich gebannt beobachtete er Marcos einsamen Schlachtzug gegen die Maschinerie. Der Blonde trug nichts weiter als eine tiefsitzende, lockere Hose auf den schmalen Hüften, wodurch Law das kunstvolle Tattoo auf dessen Rücken ungehindert bewundern konnte. Bei jedem Schlag schienen sich die türkisflammenden Flügel über den sich wölbenden Muskelsträngen aufzubäumen.
 

Marcos markantes Gesicht war konzentriert, fast finster entschlossen, als würde er einen ganz bestimmten Gegner vor sich sehen, als er dem Dummy jetzt einen schnellen Haken, gefolgt von einem schmetternden Tritt verpasste. Normalerweise wirkte der Konzerner immer ziemlich in sich ruhend, es war ungewohnt, ihn so... entfesselt zu erleben. Er schien irgendwie wütend, zumindest aber definitiv emotional aufgewühlt zu sein. Er prügelte geradezu ungezügelt auf den mechanischen Trainingsdummy ein, seine Bewegungen kraftvoll, jeder Schlag, jeder Tritt eine unterschwellige Kriegserklärung.
 

Doch irgendetwas stimmte nicht, das spürte Law.

Das Gesicht des Konzerners war ein Stück weit zu verbissen, seine Augen blitzten voller Emotionen, als würde er einen allzu realen Feind attackieren. Marcos gebräunte Haut über den gut definierten Muskeln glänzte bereits verschwitzt, was darauf schließen ließ, dass er sich hier schon eine Weile austoben musste.
 

Seine nackten Fäuste krachten immer wieder in rasendem Tempo auf das Metall, als wollte er der Maschine die gesamte Elektronik aus dem Gehäuse schlagen. Und augenblicklich wusste Law auch, was ihm die ganze Zeit schon seltsam vorgekommen war… das Geräusch, wenn Marcos Fäuste auf Widerstand trafen, denn es war viel zu laut und eindeutig nur ungenügend gedämpft durch Haut und Fleisch.
 

Marco trug keine Handschützer, nicht einmal Bandagen. Der Kerl schlug sich gerade die Fäuste an dem Ding blutig.
 

Law wusste nicht, ob sich Marco dessen überhaupt bewusst war oder ob er es absichtlich tat, doch das war ihm auch herzlich egal - er würde hier nicht tatenlos rumstehen, während sich der Konzerner in seinem Wahn selbst verletzte.
 

Er sah sich suchend um und tatsächlich, in der Nähe hing ein Erste-Hilfe-Koffer an der Wand. Er riss das Ding aus der Halterung und warf ihn auf eine der Trainingsbänke, die an der Seite standen. Dann näherte er sich dem aufgebrachten Konzerner mit raschen Schritten, der ihn noch immer nicht bemerkt zu haben schien. Law hatte zwar wenig Lust, eine dieser kraftvollen Fäuste am eigenen Leib zu spüren, doch über das Brüllen der Musik würde er Marco wohl kaum nur mit gutem Zureden erreichen.
 

Vielleicht schien der Blonde zu spüren, dass sich ihm jemand näherte oder es war bloßer Zufall… zumindest wirbelte er herum, kaum, dass Law hinter ihm stand und der verdankte es nur seinen schnellen Reflexen, dass er sich unter dem herannahenden Schlag wegducken und gleichzeitig nach Marcos Handgelenken greifen konnte.
 

»Marco, hör' auf!«, ob es nun an Laws eindringlichem, bestimmtem Ton lag oder daran, dass er den Konzerner das erste Mal wirklich mit Namen ansprach… Marco hielt zumindest inne. Dann blinzelte er, als würde er jetzt erst aus seinen tiefen Gedanken auftauchen und er sah Law ehrlich verwundert an, als könnte er nicht begreifen, wo der plötzlich herkam.
 

Eine spürbare Hitze strahlte von Marcos heftig arbeitendem Körper ab, seine breite Brust hob und senkte sich in einer schnellen Abfolge und sein Duft vermischte sich mit dem Geruch frischen Schweißes. Es bedurfte offenbar nur eines geistigen Befehls und die laute Musik verstummte, dann schnappten die Gläser über Marcos Augen zurück.
 

»Law, was… was machst du denn hier?!«, Marcos Stimme war atemlos und heiser, sein Schweißgeruch noch frisch genug, um nicht unangenehm zu sein und das alles beschwor bei Law die völlig unangebrachte Assoziation einer Nacht voll von leidenschaftlichem Sex, von ekstatisch verkrampfenden Körpern und hitzigem Stöhnen herauf...
 

Law biss die Zähne aufeinander und schob diese absurden Gedanken weit von sich. Dann zuckte er vage mit den Schultern und konzentriert sich sofort darauf, die blutenden Finger des Konzerners vorsichtig zu strecken und abzutasten, doch gebrochen schien auf den ersten Blick glücklicherweise nichts zu sein. Marco schien so überrumpelt und überrascht, dass er ihn einfach machen ließ.
 

»Die KI hat mich hergeführt… vielleicht war sie der Meinung, du könntest Gesellschaft gebrauchen…«, erklärte Law tonlos und fragte sich gleichzeitig, warum Haruta entschieden hatte, dass nun gerade er derjenige sein sollte, den Marco würde sehen wollen. Dafür gab es einfach keine logische Erklärung. Er hob seinen Blick und sah Marco vorsichtig an, der ihn noch immer anstarrte, als wäre er eine Erscheinung.
 

Law nickte zur Seite des Trainingsareals hin. »Komm mit. Lass' mich deine Hände genauer ansehen.« Tatsächlich folgte ihm Marco wortlos und ließ sich neben Law auf der Bank nieder, der sofort den Erste-Hilfe-Koffer öffnete und mit undurchdringlicher Miene die Hand des Konzerners auf seinen Schoß zog, um sich die verletzten Finger sorgsam vorzunehmen.
 

„Mir jedenfalls bist du vollkommen egal.“
 

Law war sich durchaus bewusst, dass er gerade seine eigenen Worte mehr als Lügen strafte, doch er konnte nicht aus seiner Haut, konnte die Grundsätze seines Vaters nicht einfach verleugnen und… Du findest Marco sympathisch, vielleicht magst du ihn sogar, zog ihn eine schadenfrohe Stimme in seinem Kopf auf, die erschreckend nach Lamy klang. Weil er ehrlich ist, viel zu freundlich und warmherzig, weil er bedingungslos und oft unüberlegt für andere eintritt und weil er dich irgendwie an Cora-san erinnert…
 

Wieder suchte er flüchtig Marcos Blick. Der starrte ihn weiterhin schweigsam an, ergründend, nachdenklich, aber nicht eine Spur verstimmt, weil er hier so einfach aufgetaucht war. Düstere Schatten zogen durch die blauen Augen. Eine unsichtbare Last schien die breiten Schultern des Konzerners nach unten zu drücken.
 

»Was ist passiert...?«, fragte Law ruhig, während er sich wieder darauf fokussierte, die aufgeplatzten Knöchel des Blonden zu versorgen. Marco würde wohl auch klar sein, dass Law damit nicht den Umstand meinte, dass er gerade versucht hatte dem Trainingsdummy das künstliche Leben aus dem Gehäuse zu prügeln.
 

Natürlich hatte Law so eine Ahnung, nachdem er das Video vorhin gesehen hatte... doch das würde er nicht erwähnen, denn vielleicht wollte Marco auch gar nicht, dass er davon wusste. Er wollte dem Konzerner die freie Entscheidung lassen, was er ihm erzählen mochte, obwohl er sich natürlich unangenehm bewusst war, dass Marco nach ihrem letzten Gespräch realistisch betrachtet eigentlich kaum einen Grund hätte, um ihm irgendetwas von sich zu offenbaren.
 

Marco schüttelte leicht den Kopf und öffnete den Mund, als wollte er seinen Zustand schon wieder relativieren... aber er hielt inne. Denn ihm wurde klar, dass er in ihrem letzten Gespräch unbewusst Vertrauen von Law gefordert, doch bisher eigentlich auch wenig von sich und seiner Vergangenheit offenbart hatte. Wie sollte ein grundsätzlich vorsichtiger Mensch wie Law ihm dann auch trauen können?
 

Wahrscheinlich würde Marco den ersten Schritt machen und beweisen müssen, dass er nicht weniger bereit war zu geben als bedingungsloses Vertrauen. Es war ein Risiko, das war Marco bewusst, aber er wollte es eingehen… und vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, sich gewisse Dinge von der Seele reden zu können.
 

»Nun, sagen wir, der Tag verlief nicht unbedingt optimal…«, begann Marco vage und lehnte den Kopf an die Wand hinter sich. Dann erzählte er Law von Weevils Auftritt und ihrem schwierigen Umgang miteinander, von Stussys Erscheinen und ihrer gemeinsamen Vergangenheit… selbst davon, dass er meinte, Kayle - seinen toten Jugendfreund - auf der Versammlung gesehen zu haben.
 

Law ließ ihn reden und hörte aufmerksam zu, während er ein paar saubere Bandagen um Marcos Hände wickelte, um die aufgeplatzten Knöchel zu schützen. Vermutlich war das gar nicht nötig, Marco besaß von Natur aus gute Selbstheilungskräfte, aber er beschwerte sich nicht, denn Laws vorsichtige, sanfte Berührungen fühlten sich… viel zu gut an. Seine ganze Anwesenheit, seine unaufgeregte Art, war irgendwie wohltuend und äußerst angenehm.
 

»Dein Bruder ist ein Idiot«, war Laws nüchternes Resümee. »Er ist es nicht wert, dass dein Vater oder du dir den Kopf über ihn zerbrecht. Und diese Frau... vergiss' sie. Ich denke, du weißt selbst, dass sie nur hinter deinem Geld her ist. Du solltest dir mehr Gedanken darüber machen, warum die Toten in deinem Haus auftauchen«, konzentrierte sich der junge Mann beruhigend sachlich auf die Fakten. »Könnte irgendjemand auf der Versammlung diese Illusion bewusst heraufbeschworen haben, um dich aus der Fassung zu bringen? Vielleicht ein Konkurrent? Dein Bruder?«
 

Marco rieb sich mit der bereits verbundenen Hand über die Augen. »Ich weiß nicht, möglich wäre es… aber heute war kein Geschäftspartner anwesend, bei dem ich eine Feindschaft auch nur in Betracht ziehen würde und Weevil traue ich so viel Weitsicht kaum zu...« Marco seufzte. »Eigentlich sollte auch niemand von Kayle wissen können, weil ich nur Pops je von ihm erzählt habe...«
 

»Wer war er... dieser Kayle?«, hakte Law vorsichtig nach. Er spürte, dass für Marco mehr hinter diesem Namen stand und ja, er wollte mehr über den Konzerner wissen. Er würde sich später Gedanken darüber machen können, dass dies alles hier vermutlich ein großer Fehler war... leider fühlte es sich jedoch nicht danach an, denn das hätte eine ablehnende Haltung wesentlich einfacher gemacht.
 

Marco drehte ihm das Gesicht wieder ein wenig zu, er schien kurz zu zögern, doch dann begann er zu erzählen: »Um das zu verstehen, solltest du zuerst wissen, dass ich in einer Militärbasis in Wisconsin aufgewachsen bin. Ich gehörte einst zu einem von der Regierung autorisiertem Zuchtprogramm, in dem magisch begabte Soldaten und Attentäter großgezogen und ausgebildet werden sollten. Dafür hat man schwangeren, mittellosen Leihmüttern das Alpha Serum verabreicht, um ihnen dann gegen Geld die Kinder nach der Geburt abzunehmen. Viele Länder entwickelten nach Dr. Vegapunks Entdeckung solche Programme, denn prinzipiell war diese Form der militärischen Nutzung stets der Kerngedanke hinter der Entwicklung des Alpha Serums gewesen.«
 

Nun, das bis hierhin war der leichte Teil gewesen und als Marco weiter sprach, versuchte er nicht zu viele Emotionen in seine Stimme zu legen, denn er wollte Law die Möglichkeit geben, sich ein objektives Bild von der Geschichte zu machen.
 

»Wie ja bekannt, entwickeln sich die MAG Fähigkeiten in zweiter Generation meist mit Eintritt in die Pubertät. Bis dahin durchliefen wir Kinder allesamt gemeinsam eine schulische und militärische Grundausbildung, bis sich die Magie das erste Mal manifestierte und man dann danach beurteilte und entschied, für welche Einsätze wir besonders geeignet wären. Mein leiblicher Vater war der Leiter dieser Einrichtung und ein ranghohes Mitglied der Führungsriege des US-Militärs. Dadurch kam ich in den… Genuss einer außerordentlich strengen und fordernden Ausbildung, denn mein Vater war besessen von dem Gedanken, den perfekten Soldaten zu erschaffen, der diese spezielle Kampfeinheit einmal anführen sollte und mit dem er sich bei der Staatsführung profilieren könnte. Er erwartete stets tadellose Ergebnisse und absoluten Gehorsam von mir. Ich war gerade zwölf Jahre alt geworden, als sich meine mentokinetischen Fähigkeiten zum ersten Mal zeigten… und mein Vater tobte vor Wut.«
 

Marco stockte in seinen Worten und senkte den Kopf. Er stützte die Ellenbogen auf seine Oberschenkel und verschränkte die bandagierten Hände. Seine Schultern verspannten sich, als würde er sich für einen unsichtbaren Schmerz wappnen. »Ich war für ihn eine maßlose Enttäuschung. Er hatte auf imposante, elementare Angriffsfähigkeiten gehofft und bekam nur einen erbärmlichen, schwachen und nutzlosen MentalMAG, was ihn frustrierte und beschämte. Das ließ er mich zu jeder Zeit auch deutlich spüren. Von da an musste ich noch härter trainieren als alle anderen, noch mehr lernen, noch bessere Ergebnisse zeigen, um den Makel irgendwie auszugleichen… und trotzdem war es ihm nie genug. Ich hatte andauernd Angst ihn noch weiter zu enttäuschen oder zu verärgern...«
 

Law war sofort klar, dass diese beleidigenden Worte kaum Marcos eigene Einschätzung waren und konnte nicht verhindern, dass er Hass für diesen namen- und geschichtslosen Mann empfand, der sein eigenes Kind so herabgewürdigt hatte. Kein Wunder, dass der Konzerner der Meinung war, Whitebeard sei der einzige Vater, den er bräuchte.
 

»Kayle stieß zu dieser Zeit zu uns, ein Waise nach dem Tod seiner Eltern. Er war eine geduldete Ausnahme, der erst später in das Programm aufgenommen wurde, da er sich zu einem mächtigen Koniomorph zu entwickeln schien. Er konnte seinen Körper in Staub aufspalten und damit beinahe an jeden Ort gelangen. Doch Kayle war anders als wir anderen Jugendlichen. Er hatte eine liebevolle Kindheit erlebt, Normen und Wertvorstellungen gelernt, die uns fremd waren. Ich freundete mich irgendwie mit ihm an, war viel mit ihm unterwegs, fasziniert von seiner freundlichen Art und seiner Sicht der Dinge. Und je älter wir wurden, desto weniger war Kayle von diesem Programm und natürlich auch von den Einsätzen, auf die wir geschickt wurden, überzeugt...«
 

Marco hob nun den Kopf und suchte Laws Blick, der ihm bisher schweigend zugehört hatte. »Ich war ein Auftragskiller, Law. Ich habe Menschen getötet, weil man es mir befohlen hat und hielt es für das Richtige. Erst durch Kayle fing auch ich an, meine eigenen Sichtweisen und die ganzen Tötungsbefehle zu hinterfragen. Und als ich eines Tages mit gerade sechzehn Jahren als Leiter eines Einsatzes in Kolumbien gemeinsam mit Kayle vor einem Kind stand - vor einem sechsjährigen Kind! - welches die US-Regierung als Ziel bestimmt hatte... da wurde mir klar, dass dieses Leben nicht das war, was ich führen wollte... dass ich nicht so war und nicht so sein wollte.«
 

Marcos Lippen überzog ein geisterhaftes, erinnerungsschweres Lächeln. »Also führte ich diesen Auftrag nicht aus, obwohl ich mir der Schwere dieser Entscheidung bewusst war... und mir vor Angst vor meinem Vater fast in die Hose machte. Kayle wusste, dass ich mich vor meinem Vater fürchtete, dass er mich für Versagen immer härter bestrafte als alle anderen, also nahm er die Schuld auf sich. Er berichtete meinem Vater, der Auftrag sei wegen seines Versagens gescheitert und ich hatte nicht den Arsch in der Hose, das richtig zu stellen und die Wahrheit zu sagen. So weit war ich einfach noch nicht. Mein Vater hörte sich unseren Bericht schweigend an... dann zog er seine Waffe und schoss Kayle ohne mit der Wimper zu zucken vor mir in den Kopf. Er erklärte, er hätte keine Verwendung für Versager und Lügner. Es war eine Strafe und Botschaft für mich, denn er wusste ganz genau, was passiert war. Nach diesem Vorfall bin ich bei nächster Gelegenheit abgehauen und desertiert.«
 

Law war wie erstarrt. Diese Geschichte... Marcos Vergangenheit, sie glich seiner eigenen auf eine solch erschreckende Art und Weise, dass ihm beinahe die Luft wegblieb. Sie waren so grundverschieden... und sich doch so ähnlich, dass es wie ein Schock für ihn war. Er hatte immer geglaubt, dass es niemanden gäbe, der ihn wirklich verstehen könnte, aber... plötzlich war da Marco Phoenix.
 

Marcos Hände verkrampften sich und er schloss für einen Moment die Augen, um sich zu sammeln. Dann blickte er Law wieder an, doch statt einem stummen Urteil, statt Abscheu oder Unverständnis... sah er eine eigenartige Verbundenheit in den grauen Iriden des jungen Mannes erwachen.
 

»Sein Tod war völlig unnötig. Wenn ich den Anstand und den Mut besäßen hätte, meinem Vater die Stirn zu bieten, dann würde Kayle vielleicht noch leben. Ich kann es nicht ungeschehen machen und aus heutiger Sicht weiß ich natürlich, dass eigentlich mein Vater der Schuldige war und nicht ich, aber… Kayles Tod verfolgt mich noch immer«, gestand Marco. »Du hast neulich gemeint, ich wüsste nicht wirklich, wer du bist und was du getan hast und ja, das stimmt. Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, dass auch du - genau wie ich - wahrscheinlich oftmals nur das getan hast, was du für das Richtige hieltest, weil du es nicht besser wusstest und weil du eben in diesem Moment völlig überzeugt davon warst. Vielleicht hast du Fehler gemacht, aber wie du siehst… ich auch. Sogar viele. Unheimlich viele. Aber deswegen bist du kein schlechter Mensch, Law, und jeder verdient eine zweite Chance...«
 

Diese ehrlichen Worte, diese unterschwellige Absolution... Law schnürte es die Kehle zu, er biss die Zähne so fest zusammen, dass es fast weh tat und wandte den Blick ab, weil ihn Marcos verständnisvolle Augen sonst vermutlich den Boden unter den Füßen weggezogen hätten. Seine Augen blieben an dem großen Tattoo auf Marcos Rücken hängen, das aus der Nähe betrachtet noch schöner war... und erst jetzt erkannte er die vielen Narben, die unter der Farbe versteckt lagen.
 

Aus einem plötzlichen Reflex heraus wollte Law schon die Hand ausstrecken, wollte diese schlecht verheilten Wunden berühren... doch er wurde sich seiner Handlung erschrocken bewusst und zog seine Finger überhastet zurück. Es sind so viele, ein ganzes Geflecht aus dicken, wulstigen Striemen überzog den Rücken des Konzerners, gut verborgen unter dem kunstvollen Tattoo. Bei solch verheerenden Narben mussten die Wunden schrecklich und die Behandlung miserabel gewesen sein… »Diese Narben… woher stammen sie?«, hauchte Law erschüttert und gleichzeitig zornig über diesen so offensichtlichen, ärztlichen Pfusch.
 

Marco versteifte sich leicht, dann blinzelte er verwundert zu Law herüber, überrascht, dass es ihm überhaupt aufgefallen war. Sein Mund verzog sich zu einem schmerzlichen Grinsen. »Mein Vater war nicht sonderlich gut darin, seine Ablehnung und Enttäuschung nur mit Worten auszudrücken...«, offenbarte er trocken und gefasst.
 

»Marco...-«
 

Ein penetrantes Summen unterbrach Law und ließ ihn die Stirn finster in Falten ziehen. Er schob die Hand in seine Hosentasche und zog sein SmartCom heraus. Ungehalten über die unpassende Störung warf Law einen knappen Blick auf das Display, dann begegnete er Marcos forschenden Augen. »Eine Nachricht von Kuleha. Wir haben einen Termin für das Treffen mit Spider.«

Spider

10.12.2069, 23.11 Uhr, Tokio
 

Die unruhige Gestalt wartete im Regen unter dem Vordach einer edlen Schmuckboutique in Ginza, wippte auf den Fußballen auf und ab, abermals auf die große, digitale Uhrzeitanzeige auf der gegenüberliegenden Straßenseite blickend, bis endlich die Scheinwerfer einer Limousine mit getönten Scheiben am Ende der Straße auftauchten. Der Wagen blieb langsam vor dem Mann stehen, der öffnete die Tür und glitt in das düstere Innere der Limousine, bevor sich jene wieder gemächlich in Bewegung setzte.
 

Zwei Gestalten saßen ihm gegenüber. Die eine war ein großer, schlanker Mann, der ein spinnenartiges Lächeln auf den violetten Lippen trug und die langen Beine gerade so auffällig überschlug, damit das Scharfschützengewehr neben ihm sichtbar wurde.

Die andere Gestalt war in einen Kapuzenmantel gehüllt, das Gesicht völlig im Schatten verborgen. Als sie den Kopf ein wenig hob, wurde eine starre, weiße Maske sichtbar. Die dunklen Augenschlitze schienen sich wie Öl im Zwielicht zu bewegen.
 

»Neuigkeiten?« Die Stimme unter der Maske war alt und jung zugleich, männlich und weiblich. Zeitlos.

»Die letzten Bruchstücke sind ebenfalls in Japan…«

»Dann werde ich euch Unterstützung schicken. Wir sollten jetzt auf den letzten Metern nicht mehr schlampig werden.«
 

Der Mann fröstelte… und das lag nicht an der Kälte, denn die Lüftung des Wagens war auf eine angenehme Temperatur eingestellt. Unterstützung konnte nur eines bedeuten - Beistand aus dem persönlichen Todesschwadron des Zirkels. Ihr Führer schien langsam ungeduldig zu werden. Er selbst war auch kein unbeschriebenes Blatt, aber er hatte gesehen, was allein der Phobiokinet bei Yamamoto Ashitaka angerichtet hatte... und das war nur einer der Vier gewesen. »Erwartet Ihr Komplikationen?«
 

»Komplikationen?! Nach dem Desaster im Krankenhaus… durchaus«, der Fokus der Maske richtete sich auf den Scharfschützen, der die Augen rollte und mit einem knappen Lächeln die Schultern unbeteiligt hochzog.

»Hat sich Nico Robin schon gezeigt? Sie besitzt immerhin etwas von großem Wert für mich...«

»Bisher nicht...«

»Schade, dabei fallen ihre kleinen, treuen Soldaten wie die Fliegen...«, die maskierte Gestalt drehte den Kopf leicht, als würde sie nachsinnend aus dem Fenster blicken. »Nun, sie wird sicher noch aus der Deckung kriechen, spätestens wenn alle Bruchstücke beisammen sind. Ihre Blutlinie wird sie dazu zwingen.«
 

»Ich muss um Verzeihung bitten…«, der regennasse Mann strich sich unruhig durch das Haar, als ihn die unheimliche Maske wieder abwartend fixierte. Niemand wusste, welches Gesicht sich dahinter verbarg und an der Spitze ihrer Organisation stand. »Wir haben mit Weevil Newgate auf das falsche Pferd gesetzt, er ist wertlos, dabei wäre die Newgate Corp. der perfekte Ausgangspunkt gewesen…«

»Tja, das ist wohl wahr…«

»Marco Phoenix entwickelt sich zu einer unerwarteten Komplikation.«

»Hm, in der Tat. Er ist eine ungeplante Komponente, die so nicht vorgesehen war. Und er ist außergewöhnlich standhaft. Der gewiefte Edward Newgate ist doch immer wieder für eine Überraschung gut«, schnurrte die verzerrte Stimme unter der Maske und man konnte meinen, einen Anflug von Amüsement herauszuhören.
 

»Das Bruchstück und das Mädchen befinden sich vermutlich im Newgate-Tower… und der ist inzwischen eine Sicherheitsfestung.«

»Ja, das ist wirklich bedauerlich und lästig…«, seufzte die maskierte Gestalt gedehnt. »Aber um dieses Problem wird sich bereits… gekümmert«, meinte die hohle Stimme mit grausiger Belustigung. »Das sollte bald kein Problem mehr sein.«

»Was ist mit dem Senat…?«

»Wir werfen dem Köter ein paar Brocken hin, damit er noch eine Weile in Osaka beschäftigt ist. Der Senat... ist kein Hindernis. Sie werden nichts merken, bis es zu spät ist.«
 

Die Limousine rollte langsam an einem heruntergekommenem Cyberware-Shop vorbei und hielt an der nächsten Häuserecke. Die maskierte Gestalt lüftete ein Stück des dunklen Umhanges und enthüllte eine Hand mit dem schweren, silbernen Ring in Form einer Sanduhr. Ein lapidarer Wink entließ den Fahrgast. »Du kannst gehen.«

Der Mann verneigte sich, bevor er sich beeilte, die Limousine rasch zu verlassen, ohne das es jedoch nach einer Flucht anmuten würde. Er sah dem davonfahrenden Wagen hinterher, dann verschwand er mit einem erleichterten Seufzen in den Schatten der nächsten Gasse.
 


 


 


 

11.12.2069, 14.28 Uhr, Tokio
 

Marco hielt mit dem Caliburn vor einer hellpinken Cupcake-Filiale in Harajuku und ließ den Motor mit einem kraftvollen Schnurren verstummen. An dem Wagen lief eine Gruppe halbwüchsiger Mädchen in bunten, auffälligen Cosplay-Kostümen vorbei, die einen neugierigen Blick durch die Windschutzscheibe warfen und dann mit roten Wangen und verschämt kichernd weiterliefen.
 

Law sah ihnen mit ausdrucksloser Miene im Seitenspiegel hinterher, dann löste er den Sicherheitsgurt und ignorierte die vielen anderen Augenpaare geflissentlich, die das auffällige und augenscheinlich teure Auto interessiert musterten. Hinter der gläsernen Front des Backwarenladens saßen unzählige junge Leute bei Kaffee und Kuchen beisammen. Offenbar fand in der Nähe gerade ein Szenetreffen statt.
 

»Sicher, dass wir hier richtig sind…?«, fragte Marco mit zweifelhaft gehobener Augenbraue.
 

Der Konzerner hatte sich über das Lenkrad gelehnt und sah recht skeptisch durch die Windschutzscheibe an dem auffälligen Gebäude hinauf, an dessen Fassade sich ein überdimensionierter Cupcake mit riesigen, übertrieben fröhlichen Augen und aufgerissenem Mund drehte. Das Maskottchen trällerte eine zuckersüße Melodie und der Geruch von karamelisiertem Zucker flutete jetzt langsam, aber penetrant das Wageninnere.
 

»Magst du etwa keinen Kuchen…?«, stellte Law die Gegenfrage, als er Marcos Blick amüsiert folgte. Big Mom's Kreationen waren wahrlich eine Klasse für sich, aber die meisten jungen Leute standen auf die zuckersüßen Schöpfungen aus der amerikanischen Konditorenkette. Lamy war auch verrückt nach dem Zeug, was er so gar nicht nachvollziehen konnte.
 

Zur Sicherheit glich Law noch einmal die Adresse, die er von Kuleha bekommen hatte, mit ihrem aktuellen Standort ab. Ja, sie waren definitiv richtig, kein Zweifel.
 

Marco grinste ihn leicht von der Seite her an, die Handgelenke lässig auf dem Lenkrad überkreuzt. In seinen blauen Augen tanzte Belustigung. »Klar mag ich Kuchen, ich hab' noch nie jemanden getroffen, der keinen...-«, er unterbrach sich selbst, als Law ihn mit gehobener Braue anblickte und seufzte mit schiefem Lächeln. »Warum nur überrascht mich das jetzt nicht!? Hast du überhaupt irgendwelche Laster? Schwächen? Bist du überhaupt ein Mensch?«
 

Law hielt seine zuckenden Mundwinkel im Zaum und öffnete die Autotür, um auszusteigen. Dann lehnte er sich aber nochmal in das Wageninnere und meinte todernst: »Ich hasse Brot.«

»Solange du keine Alpträume davon bekommst, zählt das wohl kaum als Schwäche!«, rief Marco ihm hinterher.
 

Law drückte die Autotür mit einem Schmunzeln zu und analysierte die Umgebung dann mit raschen Blicken. Er musste sich inzwischen eingestehen, dass er sich in der Nähe des Konzerners... tatsächlich wohl fühlte und es war einfach und angenehm, sich mit Marco zu unterhalten und dabei die Zeit, seine eigenen Sorgen und Pläne und Ziele zu vergessen. Einerseits machte ihm das Angst, aber andererseits... war es irgendwie befreiend.
 

Sie hatten gestern Abend noch eine ganze Weile beisammen gesessen und Marco hatte Law noch das Ende seiner Geschichte erzählt, wie er sich in einer Straßenbande durchgeschlagen hatte und dann schlussendlich auf Edward Newgate getroffen war, der sich seiner angenommen hatte. Bisher war Law mit Vorurteilen behaftet davon ausgegangen, dass Marco in seiner Stellung und Position ein leichtes, privilegiertes Leben erfahren haben müsste, doch dem war ganz und gar nicht so.
 

Wo Lamy und er zumindest bis zu einem gewissen Zeitpunkt von einer glücklichen, unbeschwerten Kindheit mit liebenden Eltern hatten zehren können, hatte Marco solche Geborgenheit nie erfahren. Trotzdem hatte er sich unter Whitebeards Führung zu einem ehrbaren und respektablen Mann entwickelt. Er war für Law wie der lebende Beweis, dass vergangene Taten nicht zwangsläufig dazu führen mussten, dass man ein schlechter Mensch wurde... und das war irgendwie tröstlich.
 

Woher Marco allerdings die untrügliche Sicherheit - das Vertrauen in Law - nahm, dass der dieses heikle Wissen über seine Vergangenheit nicht gegen ihn benutzen würde, konnte er sich jedoch beim besten Willen nicht erklären. Es bedurfte nur der richtigen Worte an richtiger Stelle und Marcos Karriere, sein ganzes Leben wäre vermutlich hinüber… und es gab wahrlich Zeiten, da hätte Law gar nicht lange überlegt, um solch brisante Infos für sich selbst zu nutzen.
 

Aber jetzt… verschwendete er ehrlich gesagt nicht einen Gedanken daran. Marco hatte ihm das Leben gerettet, er heilte sein Schwester, öffnete ihm Tür und Tor zu seinem Heim. Er war ein anständiger Mensch. So mancher mochte Law - sicherlich zurecht - für einen eiskalten Bastard halten, doch er hatte durchaus noch Gefühle... und ein Gewissen.
 

Außerhalb des Autos war der Geruch nach Zucker und künstlichen Aromen noch stärker, beinahe unangenehm intensiv… genau wie die vielen, großen Augen in den grell geschminkten Gesichtern der Mädchen und Jungs in dem Café, die die beiden Männer schüchtern, aber mit jugendlicher Schwärmerei beäugten, als wären sie irgendwelche Popstars. Als die ersten ihre SmartComs für Fotos zückten, drehte Law sich zu Marco um, der nun ebenfalls aus dem Auto stieg.
 

Dabei waren sie nicht einmal auffällig gekleidet - Law trug einen dunklen, hochgeschlossenen Pullover mit Federkragen, eine schwarze Jacke und seine Lieblingsjeans, Marco hatte sich heute ebenfalls für einen schwarzen Rollkragenpullover und eine dunkle, legere Hose entschieden. Darüber hatte er einen dunkelgrauen Stoffmantel gezogen.
 

Doch natürlich fiel der Konzerner allein durch seine Größe, seine Statur und selbstbewusste Gangart auf. Marco schob die Hände in die Taschen seines Mantels und kam um das Auto herum zu Law gelaufen, während sich der Caliburn mit blinkenden Lichtern verriegelte.
 

Seine kybernetischen Brillengläser tönten sich eigenständig und passten sich der erhöhten UV-Strahlung an. Obwohl es heute überraschend sonnig war und für Dezember angenehme Temperaturen herrschten, musste man jederzeit mit einem typischen Wetterumschwung rechnen. Der Wind war trotzdem frisch und Law zog die Schultern reflexartig hoch, als eine Böe durch die Federn seines Kragens strich.
 

»Und wo finden wir diesen berühmt-berüchtigten Cyberkineten jetzt? Er wird wohl kaum im Café sitzen und Kuchen essen… oder!?«, fragte Marco mit wenig enthusiastischem Gesichtsausdruck. Die Aussicht, sich durch die vielen quirligen Gäste quetschen zu müssen, schien bei ihm auf nicht sonderlich viel Begeisterung zu stoßen. Damit waren sie schon zwei.
 

»Bei ihm weiß man eigentlich nie...« Law schmunzelte leicht. »Ich hab' schon eine Ahnung, wo er wahrscheinlich ist«, meinte er und wies mit einem Nicken die Richtung an dem Café vorbei, wo er eine Reihe Lieferwagen und LKWs der Backwarenkette ausgemacht hatte, die auf einem Parkplatz etwas hinter dem Gebäude standen.
 

Einer der Trucks stach besonders hervor durch die auffällige Reklame des Anhängers - er war genauso pink wie das Café und mit heiteren Chibi-Figuren verziert, die sich aufgereiht über die ganze Seite zogen und Cupcakes in allen Regenbogenfarben aßen. Law lief mit energischen Schritten um den LKW herum und entdeckte eine kleine Kamera am Heck, die sich jetzt surrend auf die Besucher fokussierte.
 

Marco stand hinter Law und musterte den LKW interessiert. »Also deshalb ändert er immer seinen Standort und ist so schwer zu finden...« Im gleichen Augenblick änderte sich die Projektion des Anhängers. Die Pixeloberfläche wechselte einer Welle gleich und zeigte nun einen traumhaften Sandstrand und die Werbung einer Reisefirma. »Clever«, murmelte der Konzerner anerkennend.
 

Die rechte, große Hecktür öffnete sich mit einem Zischen und ein Schwall aus warmer, metallischer Luft strömte ihnen aus dem Inneren des Anhängers entgegen. Eine Rampe entfaltete sich scheppernd und rollte heraus, während die Tür gänzlich aufschwang und tiefschwarze Finsternis enthüllte. Doch Law betrat den Anhänger ohne zu zögern, also folgte Marco ihm. Die Tür fiel hinter ihnen krachend wieder zu und sie waren einen Augenblick von erdrückender Dunkelheit umgeben.
 

Marcos Hand strich in der Dunkelheit unbeabsichtigt an Laws Fingern vorbei, bevor sich nach und nach kleine, bunte LED-Lichter einschalteten, welche die Finsternis zwar nur sporadisch, jedoch zumindest soweit erhellten, dass Marco die vielen Server erkennen konnte, die sie umgaben. Sie befanden sich offensichtlich inmitten einer mobilen Server-Farm, was auch die wärmere Temperatur hier drin erklärte.
 

Eine Vielzahl aus Drähten, Kabeln und Steckverbindungen schlängelte sich über den Boden des Anhängers, zwischen den Servern hindurch bis zur Decke, die nicht zu sehen war. Law schob sich durch dieses technische Dickicht in den vorderen Teil des Anhängers und Marco musste hier und da aufpassen, sich nicht den Kopf anzuschlagen oder an einem der Kabel hängen zu bleiben, die wie künstliche Schlingpflanzen überall herunter hingen.
 

Der Frontbereich des Anhängers öffnete sich mehr oder minder zu einer Art Arbeitsplatz mit einem Saustall von Schreibtisch, auf dem alte Fastfood-Verpackungen und leere Colaflaschen herumlagen, einem Dutzend, großen Monitoren und einem zerwühlten Lakenhaufen am Rande, der wohl einen Schlafplatz darstellte. Alle Kabel und Drähte schienen hierher zu führen und an diesem Punkt ihren Ursprung… oder ihr Endziel zu erreichen.
 

Doch von dem Cyberkineten war nichts zu sehen. Ihre eigenen, leicht verzerrten Zwillinge starrten Law und Marco von einem der dunklen Monitore farblos entgegen. »Wir haben einen Termin... und nicht ewig Zeit«, murrte Law unwillig, während seine Augen die Schatten und dunklen Ecken umher forschend fixierten. Er hatte wenig Lust auf Versteckspiele, außerdem behagte es ihm in dem schummrigen, stickigen Anhänger nicht wirklich und er wäre froh, hier möglichst schnell wieder herauszukommen.
 

Marco blickte sich ebenfalls suchend um, seine Augen scannten die Umgebung und blieben an einem eigenartigen Gebilde hängen, das im entfernten an ein kopfüber hängendes Gesicht erinnerte… nur völlig künstlich, mit kybernetischen Muskelsträngen, metallischen Knochen- und Kieferverstärkungen und synthetischen Augenlidern. Er lehnte sich vor und studierte das seltsame Ding mit morbidem Interesse… als es die schnurrenden Lider aufschlug und Marco aus blau blinkenden, sich drehenden Augenhöhlen anstarrte. »Heilige… was zum-«
 

Marco zuckte zurück, als der Kopf ruckartig im Dunkel des Anhängers verschwand und ein mechanisches Surren und Rattern anschwoll, als würde eine gigantische Maschinerie zum Leben erwachen. Vor ihren Augen bewegte sich jetzt ein Heer aus Kabeln, Gewinden und mechanischen Armen zu einer metallischen Symphonie, die mit schnatternden Rädchen und sirrenden Bohrern aus einem weitestgehend menschlichen Torso eine massive Gestalt mit vielen kybernetischen und synthetischen Einzelteilen zusammenfügten.
 

Den Abschluss machte der künstliche Schädel, auf den mit Haut überspannte Platten aufgesetzt wurden und am Ende so tatsächlich ein völlig menschliches Gesicht bildeten, das vielleicht ein bisschen zu kantig war mit einem kräftigen, dreigeteilten Kinn, einer metallisch schimmernden Nase und elektronisch leuchtenden Iriden, die unter den verirrten Strähnen blauen Haares hervorlugten, die aus der hochgestellten Frisur des stämmigen Kerls gefallen waren.
 

Marco konnte nicht verhindern, dass er den Cyberkinten anstarrte - einerseits, weil er noch nie jemanden gesehen hatte, der so allumfassend kybernetisch verändert war, dass er kaum mehr menschlich schien und anderseits… weil der Mann nichts weiter als eine läppische, ungehörig knappe Badehose trug. Da half es auch nichts, dass er kurzerhand nach einem bunten Hawaiihemd langte und sich dieses überwarf, wodurch die Kabel überdeckt wurden, die aus Anschlüssen an seinem Hinterkopf und seinem Rückgrat ragten und vermutlich eine kontinuierliche Verbindung zu einem Netzwerk herstellten.
 

»Man, das ist mir ja suuuuper unangenehm… ihr erwischt mich gänzlich unvorbereitet!«, meinte er mit einer Stimme wie Schmirgelpapier. Der Kerl stakste etwas umständlich zu seinem Schreibtisch hinüber - als müssten seine Gelenke erst warmlaufen - und schob das ganze Wirrwarr darauf mit einem kräftigen Unterarm einfach beiseite. »Stört euch nicht an dem Chaos.« Dann griff er unter den Tisch nach einem Kühlschrank, der bisher gar nicht aufgefallen war und angelte drei dunkle Flaschen heraus. »Cola?!«, bot er großmütig an.
 

Marco und Law schüttelten gleichzeitig den Kopf. Spider zuckte mit den Achseln, öffnete eine Flasche und kippte diese in nur einem Zug hinunter.
 

Law ergriff kurzerhand das Wort: »Spider, das ist Marco... Marco, das ist...-«

»Kannst mich Franky nennen.« Schon schraubte er die nächste Flasche Cola auf, während er Marco mit seinen hypnotisch rotierenden Augen musterte.
 

»Weißt du, dass der amerikanische Geheimdienst jahrelang erfolglos nach dir gesucht hat…?«, fragte er geschäftig und zeitgleich erschien auf fast der Hälfte der Monitore Marcos Gesicht auf einigen Fahndungsfotos - jünger, noch nicht ganz so maskulin, stattdessen mit einer unpassenden Härte und Gnadenlosigkeit in den jugendlichen, blauen Augen.
 

»Marco Johnson, geboren am 05.10.2029 in Wisconsin. Rang B Mentokinet mit potentiell steigerbaren Fähigkeiten...«, Franky zog interessiert eine Braue hoch und auch Law drehte den Kopf, um Marco verwundert anzusehen. Der wirkte inzwischen wie erstarrt, das Gesicht eine harte Maske. »2045 plötzlich von der Bildfläche verschwunden. Inzwischen hat man dich unter der Kategorie „vermutlich tot“ abgelegt. Edward Newgate hat ziemlichen Aufwand betrieben, um deine Spuren zu verwischen, denn solche wie dich aus den Zuchtprogrammen lassen die sonst eher selten von der Angel…«, sinnierte der Cyberkinet hochgradig fasziniert. Er griff blind in eine alte Pizzaschachtel und biss ungerührt in das übriggebliebene, inzwischen halb vertrocknete Stück Teigware. »Dein biologischer Vater hat so ziemlich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um dich zu finden, immerhin hat das Projekt so einige Unsummen verschlungen...«, murmelte er kauend.
 

Marcos großgewachsene Gestalt hatte sich versteift, als hätte jemand eine Waffe auf sein Genick gerichtet. Law konnte seinen mahlenden Kiefer sehen, den hart schluckenden Kehlkopf und ahnte, dass der Konzerner auf eine Reise in die Vergangenheit kaum vorbereitet gewesen war, vor allem wohl nicht nach gestern Abend. Marco hatte das Ganze bewusst hinter sich gelassen und auch wenn er ziemlich mit sich im Reinen wirken mochte... es gab genügend unangenehme Erinnerungen für ihn und die wollte er sicher nicht unbedingt mit einem völlig Fremden teilen müssen.
 

Spider hatte sich leider noch nie durch besonders viel Feingefühl ausgezeichnet - er lebte für Datenströme und Informationen, das Cyberspace war seine Welt und zwischenmenschliche Interaktionen ihm offenbar ziemlich fremd. Wahrscheinlich fühlte er sich einer Maschine oft näher als einem Menschen, die für ihn scheinbar nicht mehr waren als ein zu dechiffrierender Binärcode.
 

Daher schob sich Law demonstrativ vor den Konzerner und lenkte die Aufmerksamkeit des Cyberkineten somit von Marco auf sich selbst. »Wir brauchen keine Geschichtsstunde, sondern Informationen. Dafür sind wir hier, nicht für dein belangloses Geplapper. Also fang' endlich an zu arbeiten«, forderte er mit eisiger Stimme.
 

Franky blinzelte überfordert, als müsste er sich fokussieren und seine Prioritäten erst neu ordnen. Er musterte Law analysierend von oben bis unten - wobei er mit den Augen etwas länger an dem Griff der Klinge hängen blieb, die über dessen Rücken ragte - als würde er das Gefahrenpotential des jungen Mannes berechnen. Dann verschwanden die Fahndungsfotos überraschend schnell und er warf das halb aufgegessene Pizzastück in die Schachtel zurück. »Was wollt ihr wissen?«, fragte er plötzlich sehr entgegenkommend.
 

Law warf dem Cyberkineten noch einen letzten, warnenden Blick zu, dann trat er einen Schritt beiseite und nickte Marco auffordernd zu, der in die Innentasche seines Mantels griff und das kleine Stück Metall hervorzog, das in Lamys Besitz gefunden wurde und vielleicht von Wert für den vermeintlichen „Fear-Mörder“ war.
 

»Wir müssen herausfinden, was das ist«, erklärte Marco. Er reichte Franky das metallische Bruchstück, der es sofort mit kreiselnder, fokussierender Iris scannte und dann scheinbar wahllos in das Pulk herabhängender Datenkabel griff, um eines zu schnappen und in eine Buchse seines Nackens einzustöpseln. Daraufhin schloss er die Augen, doch seine synthetischen Lider flatterten aufgeregt, als würde er innerhalb kürzester Zeit eine Unmenge an Datenzeilen überfliegen und verarbeiten.
 

Frankys Gesicht verzog sich irritiert, er runzelte die Stirn und legte den Kopf auf die Seite, als würde er einer lautlosen Stimme lauschen. Ein unzufriedener Ausdruck zog seine Mundwinkel nach unten. »Hmmm, super verrückt...«
 

Marco und Law tauschten einen fragenden Blick, während Spider blind nach einem anderen Datenkabel angelte und dieses in eine weitere Buchse an seinem Handgelenk steckte. Die Datensuche dauerte für Laws Geschmack ungewöhnlich lange, denn normalerweise konnte der Cyberkinet in Sekundenschnelle Ergebnisse liefern. Entweder gab es zu viele Treffer... oder aber es gab gar nichts.
 

Jetzt wirkte der blauhaarige Kerl fast schon verärgert, als er die Augen aufriss, sich auf den klapprigen PC-Stuhl vor dem Schreibtisch fallen ließ und neben seiner mentalen Recherche manisch auf die pulsierend leuchtende Tastatur einhakte. Er brummelte irgendetwas vor sich hin, was aber weder Law noch Marco durch die hochfahrenden Server so richtig verstehen konnten.
 

Law verschränkte die Arme ungeduldig vor der Brust. »Stimmt irgendwas nicht...?«, hakte er mit gehobener Stimme kritisch nach, während sein tätowierter Zeigefinger auf dem Stoff seiner Jacke trommelte. Er hatte Marco Ergebnisse versprochen und sie beide immerhin genug für dieses Treffen hier tun müssen, da sollte Spider die nötigen Infos für den Konzerner auch besser besorgen können...
 

Der Cyberkinet hielt darin inne, seine Tastatur zu vergewaltigen und drehte sich in seinem Stuhl zu ihnen um, während er die Steckverbindungen trennte und mit einem abwesenden Ausdruck in den mechanischen Augen vor sich hin starrte. Dann schien er sich aber zu besinnen, dass er Gäste hatte, die ihn abwartend ansahen und nahm das metallische Bruchstück vom Tisch, um es Marco zurückzugeben.
 

»Also... ich kann euch nicht sagen, was das ist.«
 

»Wie bitte?!«, grollte Law düster. Sollte das heißen, dieser ganze Aufwand war völlig für umsonst gewesen. Das durfte doch nicht wahr sein! »Irgendetwas musst du doch herausgefunden haben«, bohrte Law ungläubig nach. »Du hast Zugriff auf so ziemlich jedes Netzwerk der Welt... und du hast nichts entdeckt?!«
 

»Leider nein«, zuckte Franky entschuldigend mit der Schulter und nahm sich eine neue Flasche Cola, während Law sich massierend mit dem Zeigefinger über eine Braue strich und die Zähne frustriert zusammenbiss. Laws Handeln war schon immer von klarer Effizienz bestimmt und nichts ging ihm mehr gegen den Strich, als wenn sich sich bestimmte Taten und Vorgehensweisen hinterher als sinnfrei erwiesen - vergeudete Lebenszeit war ein Luxus, den er sich einfach nicht leisten konnte.
 

»Ich bin selbst verwundert, das könnt ihr mir glauben«, beteuerte Franky. »Wenn es etwas gäbe, dann hätte ich es auch gefunden«, behauptete er felsenfest, als fühlte er sich in seiner Ehre gekränkt.
 

Law stieß die Luft in einem abschätzigen Zischen aus und blickte schmallippig zu Marco hinüber. Er hätte dem Konzerner so gern geholfen, um zumindest einen Teil seiner Freundlichkeit zu vergelten. Das war schrecklich frustrierend.
 

Marco starrte desillusioniert auf das Metallstück in seiner Hand und schloss die Finger darum, bevor er es wieder in seine Manteltasche gleiten ließ. »Also eine Sackgasse... tja, schade. Damit stehen wir quasi wieder am Anfang«, fuhr er sich mit den Fingern enttäuscht durch die Haare. »Naja, einen Versuch war es immerhin wert«, meinte er mit einem beschwichtigenden Lächeln zu Law, der die Sache jedoch nicht ganz so locker sehen wollte.
 

»Halt halt...«, unterbrach Spider und wedelte hektisch mit den klappernden Händen, vielleicht doch ein wenig eingeschüchtert durch Laws Mörderblick, der aussah, als überlege er ernsthaft, den Cyberkineten gleich wieder in seine mechanischen Einzelteile zu zerlegen. »Eine völlige Sackgasse ist es nicht!«
 

Hellhörig hob Marco den Blick. »Und das heißt...?«
 

»Ich kann euch vielleicht nicht sagen, was das ist... aber ich kann euch sagen, dass es davon noch zwei weitere Teile hier in Japan gibt«, erklärte Franky hastig. Er leerte seine halbe Cola, dann drehte er seinen quietschenden Stuhl wieder zur Tastatur und drückte ein paar Tasten, wodurch auf dem mittleren und größten der Monitore ein Foto aufgeblendet wurde.
 

Auf dem Selfie sah man ein junges Mädchen an einem Strand, das vielleicht um die zwölf Jahre alt war und in ihrem orangen Sommerkleidchen kokett in die Kamera grinste. Neben dem Kind mit den frechen Zöpfen und den großen, strahlenden Augen schob ein Junge seinen braunhaarigen Schopf mit herausgestreckter Zunge ins Bild, der ein paar Jahre älter als das Mädchen schien. Und hinter den beiden saß ein älterer Mann mit einem Sonnenhut, kurzen Hosen und Sandalen in einem Liegestuhl und schlief in der Sonne.
 

Die Kinder hatten ihm mit Sonnencreme einen breit lachenden Smiley auf den bereits rotgebrannten Bauch gemalt. Doch viel interessanter war, dass der alte Mann eine Kette um den Hals trug mit einem Anhänger, der im Schatten des Sonnenhutes fast unterging... doch Marco erkannte das Bruchstück fast sofort, das dem in seiner Manteltasche auf unheimliche Weise glich.
 

Das Foto war auf Blopp! online, einer SocialMedia - Plattform hauptsächlich von und für Kinder. Vermutlich wusste der alte Mann - bei dem es sich laut den Kommentaren unter dem Bild um den Großvater der beiden Kinder handelte - nicht einmal, welch brisante Information seine Enkelin da ins Netz gestellt hatte.
 

»Sonst gibt es keine weiteren Fotos von diesem Kerl, war wohl ein echter Zufall«, erklärte Franky. »Scheint ziemlich zurückgezogen zu leben und darauf zu achten, nicht im Netz aufzutauchen. Keine soziale Medien Präsenz. Keine unnötigen Onlinekonten. Er verdient seine Brötchen altmodisch als Antiquitätenhändler mit einem Geschäft vor Ort. Ich kann euch die Adresse geben, wenn euch das etwas hilft?«, fragte er an Marco gewandt.
 

»Das wäre hilfreich, ja.« Der Konzerner nickte sofort, immerhin wäre es zumindest ein Anhaltspunkt, dem er weiter nachgehen konnte. Prompt erschien das Satellitenbild eines Kartenabschnittes auf einem anderen Monitore und zoomte auf eine Markierung.
 

Marco streckte Spider sein Handgelenk entgegen, damit der ihm die Wohnanschrift auch an seine Kontaktdaten schicken konnte. Schon Sekunden später trudelte die Information auf dem HUD seiner Brillengläsern ein. Die Adresse befand sich in Toyohashi, einer der letzten größeren Städte südlich von Tokio, die im Dunstkreis der Megacity überlebt hatte.
 

»Und wo ist das zweite Teil?«, verlangte Law zu wissen, der sich neben Marco nun mit beiden Händen auf dem Schreibtisch des Cyberkineten abstützte. Dabei war er Marco so nah gekommen, dass der fast nur die Hand ausstrecken müsste, um eine der dunklen Federn am Kragen des jungen Mannes zu berühren.
 

Laws graue Augen waren aufmerksam auf die Monitore fixiert und Marco wurde in dem Augenblick unangenehm bewusst, dass sie nach heute eigentlich keinen wirklichen Grund mehr hatten, um zusammenzuarbeiten. Law hatte schließlich nur zugesagt, dieses Treffen hier zu organisieren... und das hatte er getan.
 

»Ja, das zweite Teil... ist wohl ein wenig komplizierter...«, murmelte Franky gedehnt. Der Monitor wurde schwarz, dann schob sich ein schneidiger, golden glänzender Schriftzug ins Bild, bevor ein bassgeladenes Musikvideo startete.
 

Law blinzelte verwirrt und Marco hob beide Brauen verwundert, als er die ersten, eingespielten Töne erkannte, noch bevor der blonde, trainierte Sänger oberkörperfrei und mit Ohrläppchen bis zu den Brustwarzen in einem Kreis knisternder Energie die ersten Textzeilen anstimmte - immerhin hatte ihm Thatch lang und breit mit dieser außergewöhnlichen Band in den Ohren gelegen, von der der Marketingmanager förmlich besessen war und die demnächst in Tokio ein paar rare Auftritte spielen würden. Die Gigs waren schon längst ausverkauft.
 

»Enel and The Scratchmen...?!«
 

Frankys Hände tanzten zu dem hypnotischen Song über die Tastatur, dann tauchte ein recht unscharfes, verpixeltes Bild von Enel in einer Bar auf. Der Kerl ließ es ordentlich krachen und schob einer halbnackten Stripperin mit kybernetischen, goldenen Beinen ein dickes Bündel Geldscheine in den glitzernden Slip. Seine Jacke klaffte auf und an einer schweren Goldkette um seinen Hals...
 

»Das gibt's doch nicht...«, wisperte Marco ungläubig. Das Ding in seiner Manteltasche schien mit einem Mal eine gewichtige Schwere zu erhalten. Was hatte es nur mit diesen Bruchstücken auf sich? Inzwischen war er fast überzeugt, dass jedes Opfer des „Fear-Killers“ eins davon besessen haben musste...
 

»Ist das einzige Foto von ihm damit«, erklärte der Cyberkinet mit wedelnden Fingern. »Wurde auch ganz schnell wieder aus dem Netz gelöscht, aber... vor mir kann man nichts verstecken«, hob er in einer selbstzufriedenen Geste seine Flasche und prostete sich selbst zu.
 

»Danke, das war zwar nicht das, was ich erwartet hatte, aber doch hilfreich«, Marco tauschte einen Blick mit Law und der nickte, bevor er sich von dem Schreibtisch löste und sie sich von dem Cyberkineten verabschiedeten. Beide waren sie wohl froh, den stickigen, düsteren Anhänger wieder verlassen zu können.
 

»Viel Erfolg bei eurer Suche... und richtet mir suuuuuper Grüße an Enel aus! Seine Musik ist der Mindfuck schlechthin!«, folgte ihnen Frankys heisere Stimme nach, dann schlug die Tür des Anhängers hinter ihnen krachend zu, kaum, dass sie diesen verlassen hatten.
 

Als sie wieder im Auto saßen, bekam Marco einen Anruf, der sich durch ein Blinken am Rande seines Sichtfeldes ankündigte. Mit einem Fingerzeig übertrug er jenen auf das Display in der Mittelkonsole des Caliburn, damit auch Law zuhören konnte, während er sich aus seinem Mantel schälte und diesen auf den Rücksitz warf.
 

Shanks erschien auf dem kleinen Bildschirm, er befand sich offenbar in seinem Büro in Osaka an einem eleganten Schreibtisch, hinter ihm das riesige Gemälde einer antiken Schlachtenszene an der Wand. Der Raum war komplett in Schwarz und Rot gehalten, goldene Lampenschirme setzten delikate Akzente. Shanks wirkte angespannt und war von einer dichten Rauchwolke umgeben, die Zigarette in seinem Mundwinkel war wohl nur eine von vielen an diesem Tag. Das rote Haar hing ihm wirr in die Stirn, als hätte er unruhig geschlafen oder als wäre er mit den Fingern mehrmals hindurch gefahren.
 

Shanks ließ seinen Blick leicht verwundert von Marco zu Law und wieder zurück schweifen, aber man konnte unmöglich sagen, ob ihn der Anblick störte. Sein finsterer Gesichtsausdruck änderte sich nicht wirklich, weder zum guten noch zum schlechten. Vielleicht war es ihm schlichtweg egal oder aber er hatte gerade ganz andere Probleme, als Marco schon wieder eine Predigt über Gutgläubigkeit halten zu wollen. »Wie ist die Lage? Hast du schon was rausgefunden?«, fragte er ohne Begrüßung an Marco gewandt.
 

»Uns geht es hier übrigens gut... Danke der Nachfrage«, sagte Marco trocken und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Shanks gab ein undefiniertes Grunzen von sich, was wohl das Maximum an zu erwartender Einsicht von ihm war. »Der Tower steht noch, Makino ist wohlauf, Laws Schwester aber noch nicht ansprechbar«, informierte Marco den anderen Firmenchef dann knapp.
 

Das schien Shanks' Laune nun nicht maßgeblich zu verbessern und er wischte sich ein paar rote Strähnen aus der Stirn. »Das dauert ganz schön lange…«, knurrte er unzufrieden und klopfte mit einem goldenen Kugelschreiber auf der Tischplatte vor sich. Ben Beckmann erschien im Hintergrund, der ein paar gestapelte Akten ablegte.
 

»Wenn du Wunder erwartest, dann hättest du dich vielleicht an jemand anderen wenden sollen…«, entgegnete Marco kühl und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

»Jaja, schon gut… ich weiß, tut mir leid«, presste Shanks zerknirscht heraus und massierte sich die Schläfe. Er scheuchte seinen Assistenten mit einem Wink fort. »Ich habe hier nur so einige Baustellen in der Firma zu beackern und der Senat hockt mir im Nacken. Sakazuki will Ergebnisse.«

»... und dabei schien er doch die Freundlichkeit in Person zu sein«, warf Marco ironisch ein.

»Sakazuki ist ein Arsch. Aber zumindest interessiert er sich ernsthaft für den Fall und will ständig über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten werden. Bis auf ihn und Rayleigh will der Rest der hohen Mitglieder hauptsächlich, dass der Mist schnell unter den Tisch gekehrt wird, damit sie wieder ihre eigenen Süppchen kochen können...-« Shanks stockte und linste zu Law, dann schwenkte er auf ein anderes Thema um: »Was ist mit dem Metallstück. Hast du den Informationshändler kontaktieren können?«
 

Marco warf Law einen kurzen Blick und ein kleines Lächeln zu. »Dank Laws Hilfe, ja... gerade eben. Aber der konnte nicht herausfinden, was es ist«, offenbarte Marco die ungeschönte Wahrheit, sprach jedoch schnell weiter, da sich schon eine steile Falte zwischen Shanks Augenbrauen bildete: »Aber er konnte uns zumindest sagen, dass es davon offenbar noch zwei weitere Teile hier in Japan gibt. Ich werde versuchen die mutmaßlichen Besitzer aufzusuchen.«
 

»Also potentiell weitere Opfer...?!«, grübelte Shanks und zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, bevor er die schon in der Pflanze auf seinem Schreibtisch ausdrücken wollte... aber Ben Beckmanns Hand schob sich ins Sichtfeld und einen Aschenbecher auf den Tisch. Shanks funkelte ihn finster an, bevor er sich wieder Marco widmete: »Dann lass' dir besser nicht zu viel Zeit damit...«
 

»Konntest du in Osaka etwas herausfinden über diese ominöse Organisation?«

Shanks zuckte die Achseln. »Ehrlich gesagt, nicht viel… sie nennen sich wohl selbst „Der Zirkel“ und sind erst nach „The Fall“ wirklich in Erscheinung getreten. Einigen schwammigen Hinweisen nach könnten sie aber schon länger existieren.«

Marco rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über das stoppelige Kinn. »Der Zirkel?! Klingt recht kryptisch. Jeder Sportverein ist bei der Namensgebung wohl kreativer…«

»Oh ja, ich bin auch enttäuscht, dass es nicht offensichtlicher geht, aber wahrscheinlich war „sektenartige Gruppierung, die gern Leute umbringt und insgeheim die Weltherrschaft anstrebt“ wohl schon vergeben oder aber es passte nicht auf die Mitgliedsbuttons«, schnaubte Shanks sarkastisch.

Marco verzog den Mund. »Sehr witzig…«

»Das Einzige, was auffällig war und was man eindeutig auf sie zurückverfolgen konnte, war der Überfall einer vermutlich antiken Grabungsstätte auf den Kanaren 2026, die durch ein Erdbeben geöffnet wurde. Dabei wurden alle Forscher und Archäologen getötet und die Stätte anschließend geplündert und verwüstet. Ein Einheimischer, der als Führer dabei war, hatte wohl durch Zufall überlebt.«

»Sie sind Grabräuber?!«

Shanks lehnte sich in seinen Bürostuhl und wippte gedankenverloren vor und zurück. »Tja, jeder braucht eben ein Hobby«, meinte er lapidar. »Vielleicht stehen sie auf Mumien oder Schrumpfköpfe, wer weiß...«
 

»Ich werde mich bei dir melden, wenn ich Neuigkeiten habe«, schloss Marco das Gespräch und beendete den Anruf. Er legte die Hände auf das Lenkrad und kaute nachdenklich auf der Innenseite seiner Wange. Statt Licht in das Dunkel zu bringen, wurde alles nur noch undurchsichtiger...
 

»Glaubst du, diese Gruppierung ist gefährlich...?«, drang Laws dunkle Stimme dann an sein Ohr. Marco drehte den Kopf und sah den jungen Mann an. Law hatte ja bisher gar nichts von den Geschehnissen im Hintergrund gewusst, fiel Marco plötzlich ein.
 

»Eine Organisation, die sich militärisch einwandfrei ausgebildete und technisch hoch aufgerüstete Söldner leisten kann und offenbar so verbreitet und gut vernetzt ist, dass sie bisher überall auf der Welt agieren konnte und das fast unbemerkt!? Ja, ich denke durchaus, dass dieser Zirkel gefährlich ist«, nickte Marco, dann rieb er sich unangenehm berührt den Nacken und suchte Laws Blick: »Dir ist sicher klar, dass nichts davon an die Öffentlichkeit dringen darf, was du eben gehört hast...?!«
 

Law nickte ohne Zögern. »Ich kann schweigen, keine Sorge.«

»Gut. Danke.« Marco zog nicht einmal in Betracht, dass Law lügen könnte. Vielleicht war er wirklich ein gutgläubiger Idiot.
 

»Was wirst du jetzt tun...?«, fragte Law dann. Er musterte Marco abwartend, der den Hinterkopf gegen die Kopfstütze des Wagens gelehnt hatte und grüblerisch mit den Fingern auf dem ledernen Lenkrad trommelte. Auch Law war inzwischen bewusst, dass sich ihre Weg jetzt trennen würden. Prinzipiell hatte er seine Schuldigkeit getan. Er hatte seinen Gefallen eingelöst und mehr konnte der Konzerner nicht erwarten, aber seltsamerweise... war er selbst nicht wirklich erleichtert deswegen.
 

»Nun, ich denke, ich werde zuerst diese Adresse in Toyohashi aufsuchen und das so schnell wie möglich«, ließ Marco ihn dann an seinen Überlegungen teilhaben. »Der alte Mann und seine Familie ahnen vielleicht nicht einmal, dass sie in Gefahr sein könnten.« Er glitt mit den Fingern nachsinnend durch die längeren Haare seiner Frisur. Durch den dunklen, doch dünnen Stoff des Pullovers zeichneten sich die Muskeln an seinem Oberarm deutlich ab. »Um an Enel heranzukommen, werde ich wahrscheinlich etwas Unterstützung brauchen. Eventuell kann mir Hancock helfen...«, murmelte er.
 

»Du solltest dort nicht allein hingehen... nach Toyohashi«, riet Law ihm ernst. Ihm lag schon auf der Zunge, Marco seine Hilfe anzubieten, doch die Worte schluckte er entschlossen herunter. Er musste irgendwann einen Schlussstrich ziehen und das besser früher als später. So sympathisch er den Konzerner fand... das alles würde am Ende eh zu nichts führen. Sie lebten immerhin in zwei völlig unterschiedlichen Welten.
 

Marco sah ihn abwägend an und seine Finger schlossen sich fester um das Lenkrad. Sein Mund öffnete sich leicht und für einen kurzen Moment meinte Law fast, dass er eigentlich etwas sagen wollte, Law vielleicht sogar bitten, ihn zu begleiten, doch... er nickte nur zustimmend. »Du hast sicher recht. Ich werde wohl ein paar Männer meines Sicherheitsteams mitnehmen«, räumte er ein.
 

Die Enttäuschung, die in seiner Brust aufwallte, ignorierte Law entschlossen und schob dieses eigenartige Gefühl von sich. »Gute Idee, deine Männer wirken fähig. Jozu versteht seinen Job«, sagte er mit hohler Stimme. Gott, was rede ich da für Unsinn?! Law wandte den Blick ab, weil er diesen blauen Augen irgendwie nicht standhalten konnte und sah aus dem Fenster. Ein vorbeilaufendes Mädchen machte bei seinem finsteren Gesicht einen großen Bogen um das Auto und drückte sich die Handtasche an die Brust.
 

Marco wischte über das Display des Caliburn und schien seinen Terminkalender zu checken, wie Law in der Spiegelung der Scheibe erkannte. »Bis zu meinem nächsten Termin habe ich noch ungefähr eine Stunde Zeit«, informierte Marco unbestimmt. Law veränderte seine Haltung und wandte sich dem Blonden wieder zu. »Auch wenn du keinen Kuchen magst... darf ich dich zumindest auf einen Kaffee einladen, als Dank für deine Hilfe?!«, schlug der Konzerner mit einem leichten Lächeln vor. Ein hoffnungsvolles Blitzen erhellte seine Augen, während er mit dem Kinn auf das pinke Café wies.
 

Dieses ehrliche Lächeln ging Law wirklich durch Mark und Bein und er musste sich eingestehen, dass er der Einladung wirklich gern gefolgt wäre... doch ihm fiel die Nachricht auf seinem SmartCom wieder ein, die den ganzen Tag über schon wie ein heißes Eisen in seiner Tasche brannte und sich wohl nicht länger würde ignorieren lassen. Seine Stimme klang tatsächlich fast bedauernd, als er sagte: »Ich... muss leider noch etwas erledigen.«
 

Marcos breite Schultern sackten ein wenig herab, doch das Lächeln auf seinen Lippen blieb. Wenn er enttäuscht war, so ließ er es sich zumindest kaum anmerken. »Kein Problem, dann...«, er startete den Wagen, »soll ich dich noch irgendwo absetzen?«

Pinkes Gold

11.12.2069, 17.02 Uhr, Tokio
 

Law ließ seine Yaiba Kusanagi auf dem Schotterplatz ausrollen und sich anschließend besonders viel Zeit, das Motorrad auszuschalten und abzustellen, um den Moment hinauszögern zu können, in dem er das gigantische Donquixote-Anwesen am Rande von Akihabara wieder würde betreten müssen. Er nahm seinen Helm ab, strich sich durch die schwarzen Haare, während sein düsterer Blick dann abschätzend über die teilweise erleuchteten Fenster von Doflamingos Residenz schweifte. Viele Jahre hatte er das hier als Heim betrachtet, inzwischen erschien es ihm mehr wie sein persönlicher Kerker.
 

Im Erdgeschoss herrschte ungewöhnlich viel Betrieb, er konnte ein paar Lieferwagen in der Auffahrt vor dem Haupteingang ausmachen und Männer in Overalls, die beladen mit Kisten und Kartons die Treppe zum Anwesen hinauf stiegen. Vielleicht erwartete der Kartellkönig an diesem Abend noch Besuch. Nicht selten fanden im Kellergeschoss - Jokers persönlichem Party- und Glücksspieltempel - ausschweifende Feiern für gute Freunde und wertvolle Geschäftspartner statt. Dann floß meist nicht nur der Alkohol in Strömen, sondern auch das Geld.
 

Law hasste dieses Haus, er hasste, für was es stand und was es verkörperte und die Erinnerungen, die jedes Mal auf ihn einstürzten, wenn er die schier endlosen Flure entlanglief. Alles hier war gestohlen, blutig geraubt und mit Leben bezahlt, sodass auch die überwältigende Schönheit dieses Anwesens - das genau wie der alte Kaiserpalast im westlich-japanischen Mischstil errichtet wurde - nicht über die Verderbtheit hinwegtäuschen konnte, welche diesen Mauern innewohnte. Hier liefen alle Fäden des Kartellkönigs zusammen, von hier aus regierte er sein Reich mit Tücke und Gnadenlosigkeit.
 

Law nötigte sich zu ruhigen, tieferen Atemzügen. Seine mentalen Barrieren waren fest und kalt wie Gletschereis, seine Miene spiegelte die genau perfekte Mischung aus Desinteresse und Gefühllosigkeit, wie ihn ein flüchtiger Blick in den Motorradspiegel überzeugte. Jegliche Wärme war aus seinen Augen verschwunden und jeden Gedanken an Lamy - und ganz besonders an Marco - verbannte er aus seinem Kopf.
 

Seine gemächlichen Schritte knirschten auf dem blütenreinen Kies, als er sich jetzt mit den Händen in den Jackentaschen durch die Grünanlage dem Seiteneingang näherte. Um das Anwesen breitete sich ein traumhafter, japanischer Garten mit vielen, kleinen Teichen und akkurat gestutzten Pflanzen aus. Kein Grashalm auf dem Rasen war länger als der andere. Jola mochte eine nervige Frau sein, die Law mit ihrer übertrieben fröhlichen Art regelmäßig auf den Wecker ging, doch sie hatte ein Händchen für Pflanzen und der Garten war ihr persönliches Reich.
 

Neben der - durch zartrosa Papierlampions - beleuchteten Tür des Seiteneinganges lehnte Dellinger an der Wand unter dem hellen Vordach und gönnte sich eine Zigarettenpause. Durch den aufsteigenden Rauch beobachtete er Law beim Näherkommen mit offener Abneigung, bevor er den Stummel seiner Zigarette absichtlich in den Kies vor Laws Stiefeln schnipste und tönte: »Na, sieh' mal einer an, wer sich die Ehre gibt?! Womit haben wir das denn verdient, dass du uns mit der Gnade deiner Anwesenheit beehrst, Law?«
 

Law stoppte nicht im Schritt. Er ignorierte den streitlustigen, sadistischen Mistkerl absichtlich, er schenkte ihm nicht einmal die Genugtuung eines Blickes. Neben Trebol war Dellinger wohl derjenige, mit dem Law in Doflamingos Gefolge am wenigsten zurecht kam. Zwischen ihnen bestand schon eine länger schwärende Feindschaft, da der blonde Mistkäfer es sich längst in den Kopf gesetzt hatte, selbst Jokers 'Nummer Eins' Auftragskiller zu werden. Wo Law stets für eisige Effizienz stand, war Dellinger einfach nur ein Schlächter. Er hatte Spaß am Töten und an grundloser Gewalt, ein Punkt, der zwischen ihnen öfter für... Meinungsverschiedenheiten gesorgt hatte.
 

Er wollte an Dellinger vorbei laufen, doch der hob ruckartig sein Bein und stemmte dieses demonstrativ in den Türrahmen, um Law den Zutritt zu verwehren. Unter seiner gehörnten Mütze und den blonden, zotteligen Haaren hervor funkelte ihn der junge Kerl herausfordernd an. »Wo warst du schon wieder, he? Es gibt Regeln, die gelten auch für dich!«, schnauzte er anmaßend. »Du hättest schon längst wieder hier sein sollen, genau wie deine doofe Schwester! Doffy sollte euch echt loswerden... ihr seid vollkommen unnütz!«
 

Notgedrungen blieb Law stehen und erwiderte den Blick des Jungen mit kalkulierter Gleichgültigkeit. Er hätte ihm eine Lektion erteilen können, vielleicht sollte er das sogar... aber auf das Niveau des Giftzwerges und solche Spielchen wollte er sich eigentlich nicht einlassen. Gelassen hob er eine Hand und deutete einladend auf die Tür. »Willst du Doflamingo über sein Versäumnis aufklären? Ich wollte eh gerade zu ihm, komm' ruhig mit. Sicher freut er sich über deinen so… sinnvollen Beitrag«, schlug Law lauernd vor.
 

Dellinger biss die Zähne aufeinander und verschränkte die Arme abwehrend vor der schmächtigen Brust. Er mochte schwächlich wirken, doch im Kampf sollte man ihn definitiv nicht unterschätzen. In seinen Augen stritten sein Ego und der Respekt vor Joker miteinander, dann nahm er sein Bein endlich herunter und ließ Law passieren, nicht jedoch, ohne ihm gereizt hinterher zu zischen: »Du hältst dich ja für so was besseres wegen deiner Telekinese, Law... aber ohne das bist du ein Nichts! Du bist wertlos und keiner mag dich, hörst du?!«
 

Law presste die Lippen unmerklich aufeinander und betrat das Gebäude, ohne diesen bösartigen Stachel all zu tief in sein Herz dringen zu lassen. Es waren nur die Worte eines missgünstigen Konkurrenten und trotzdem... Zerbrich' dir nicht den Kopf darüber. Das ist doch völlig egal. Für so einen Schwachsinn hatte er jetzt wirklich keine Zeit.
 

Law stieg die imposante Wendeltreppe ins Obergeschoss zu den Privaträumen der Donquixote-Familie hinauf, seine Schritte gedämpft durch die dicken, weißen Teppiche, die ein falsches Gefühl von Reinheit und Unschuld vermittelten. An den Wänden hingen teure Kunstwerke und einige Eigenkreationen von Jola, die Luft war angereichert vom Duft des schweren, süßen Parfüms, das zu Sugar gehörte. Das Mädchen saß auf der Empore, beäugte Law mit minderem Interesse und stopfte sich eine Handvoll Trauben in den Mund.
 

Ohne Begrüßung lief Law an ihr vorbei und bog in den holzvertäfelten Gang ein, der in den Westflügel und zu Jokers Büro führte. Sein Weg führte vorbei an den privaten Räumen der hochrangigen Familienmitglieder und auch Law und Lamy hatten jeweils ein Zimmer hier im Anwesen, welche sie jedoch so gut wie gar nicht mehr nutzten. Die meisten der Offiziere hatten Wohnungen in der Stadt verteilt, konnten aber immer auf den Luxus zurückgreifen, auch dieses Haus hier als ihr Heim zu betiteln.
 

Er passierte Corazons ehemaliges Zimmer, dass gleich neben Doflamingos eigenem Rückzugsort lag und seit dem Tod des Bruders ungenutzt leer stand... doch Law blickte nicht einmal in die Richtung dieser Tür, denn das hätte nur seine mühsam aufgebaute Fassade gefährdet.
 

Er betrat Doflamingos Büro am Ende des Ganges ohne zu klopfen, Joker wusste garantiert eh schon, dass er eingetroffen war. Er fand den blonden Kartellkönig an seinem massiven Eichenholzschreibtisch sitzend vor, wo er einige Dokumente studierte. Neben ihm an der Wand hing ein riesiger Monitor, der Live-Aufnahmen der Sicherheitskameras aus seinen Casinos in der ganzen Stadt zeigte. Über einem Holopanell auf seinem Schreibtisch drehte sich die flackernde Projektion eines Scharfschützengewehres mit automatischer Zielsuchvorrichtung, eines der neuesten Donquixote - Verkaufsschlager.
 

Trotz der einbrechenden Dämmerung trug Doflamingo wie immer eine Sonnenbrille und seinen geliebten, pinken Federmantel, sein Haar war ordentlich frisiert, sein Hemd faltenlos. Er saß auf einem pompösen, lachhaft ausstaffierten Polstersessel, der durch Doflamingos schiere Körpergröße fast zerbrechlich wirkte. Law ließ die Tür ins Schloss fallen, dann trat er ohne Eile bis an den Tisch heran und stoppte davor. Er sparte es sich, auf sich aufmerksam zu machen.
 

Aus dem Augenwinkel konnte er durch eine nur halb geschlossene Schiebetür in das Nebenzimmer blicken, das als Versammlungsraum genutzt und von einer langen Tafel beherrscht wurde. Der lang verwaiste Herzthron stach ihm sofort ins Auge und erinnerte ihn mit schmerzhafter Deutlichkeit an sein übergeordnetes Ziel. Nur noch ein bisschen, Cora-san...
 

Neben Doflamingo - eine schlanke Hand auf die verschnörkelte Rückenlehne des Stuhles ihres Herrn gelegt - stand Riku Viola, Jokers persönliche Assistentin, Gespielin, Trophäe und eines der letzten, lebenden Mitglieder der Riku-Familie, die Doflamingo bei dem Gemetzel vor zehn Jahren verschont hatte... nicht etwa aus Herzensgüte oder menschlichen Regungen heraus, sondern weil Viola eine begnadete Telepathin war und dem Kartellkönig somit von Nutzen. Für ihre Gefolgschaft und Hörigkeit hatte Joker zumindest Riku Shin und Rebecca am Leben gelassen, die beide damals nicht mehr als Kinder gewesen waren.
 

Seitdem lebte die schwarzhaarige Schönheit für und mit dem Unterweltboss und Law hatte nie wirklich herausgefunden, ob sie Joker eigentlich immer noch hasste oder inzwischen vielleicht wirklich liebte - zwischen diesen so gegensätzlichen Gefühlen schien bei den beiden nur ein schmaler Grat zu liegen. Ihre Beziehung war wahrlich nicht einfach zu beschreiben und vermutlich konnten sie inzwischen so wenig ohneeinander wie miteinander leben.
 

Viola fixierte Law mit ihren hübschen, rotbraunen Augen und er konnte ihre Kraft wie scharfe Fingernägeln über seine mentale Barriere kratzen fühlen. Unbeeindruckt ließ er diese Prüfung über sich ergehen, inzwischen froh darüber, dass seine Schwester ihn mit ihrer Magie oft so lange genervt und attackiert hatte, bis in seiner Verteidigung kaum mehr eine Lücke zu finden war. Viola traute ihm wohl genausowenig wie er ihr und nicht selten fragte sich Law, ob sie nicht insgeheim ganz ähnliche Pläne wie er selbst verfolgte.
 

Auf einen stummen Wink des Kartellkönigs hin verschwand Viola so lautlos wie ein Windhauch, das Säuseln ihres Rockes das einzige Geräusch, bis die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Dann war nur noch das Ticken der alten Standuhr in der Ecke des Raumes zu hören und das Kratzen von Doflamingos Kugelschreiber auf Papier - der Kartellkönig war altmodisch, hatte ein Faible für alte, traditionelle Dinge… und seit Corazons Verrat die Möglichkeit analoger Datenübertragung wieder zu schätzen gelernt.
 

Er war nicht paranoid, aber doch schlau genug, heikle und brisante Daten nicht frei zugänglich ins Netz zu stellen. So großzügig seine Kunden mit ihrer Bezahlung ihm gegenüber auch waren, so bedacht waren sie auch auf ihre Anonymität.
 

Doflamingo ließ Law warten. Er würdigte ihn keines Blickes, sagte nichts, bot ihm keinen Platz an. Es war ein Test, ein Spiel, was der riesige, blonde Mann nur zu gern mit seinen Untergebenen spielte… denn meist wurde man nur für zwei Dinge hierher beordert - für Lob oder eine Maßregelung. Auf ersteres hoffte man, letzteres fürchtete man besser.
 

Wenn Joker wollte, hätte er einen dort stundenlang stehen lassen können, ohne zu sagen, warum man herkommen sollte und die Unsicherheit, die Frage - oder ein schlechtes Gewissen - würde einen irgendwann innerlich verrückt machen. Doflamingo wusste das und genoss es. Er genoss diese Macht, die allein sein Schweigen haben konnte.
 

Law beruhigte seinen Atem und seinen Herzschlag und konzentrierte sich auf das Ticken der Uhr. Er starrte stur geradeaus, ließ den Blick nicht unruhig schweifen, doch schob die Hände in seine Jackentaschen. Geduld war keine Hürde für ihn, immerhin lauerte er schon seit Jahren ausdauernd darauf, den Mann vor sich zu Fall zu bringen. Er hatte eine relativ ruhiges Gewissen, hatte sich bei seinen Aktivitäten bedeckt gehalten, sodass er zumindest nicht zwingend davon ausging, dass Doflamingo ihm auf die Schliche gekommen war. Dann wäre er vermutlich auch längst tot.
 

Endlich legte Joker den Stift nach einer gefühlten Ewigkeit beiseite. Dann hob er langsam den Kopf und verschränkte die Finger in aller Ruhe auf der Tischplatte vor sich. Law sah sein eigenes Spiegelbild in den pinken Gläsern der geschwungenen Sonnenbrille. »Law«, Doflamingos Stimme schnarrte wie altes Eisen, »du warst lange nicht hier, das betrübt mich. Dabei weißt du, dass ich deine Gesellschaft über alle Maßen schätze. Ich habe doch hoffentlich nichts getan, was diese Zurückweisung verdient...?«
 

Es bedurfte einiges an Selbstbeherrschung, dass sich Laws Gesicht bei diesem heuchlerischen Tonfall nicht angewidert verzog. Doflamingo spielte den sorgenden Vater, den gönnerhaften Beschützer immer geradezu perfekt, das musste man ihm lassen. Doch Law täuschte er damit schon längst nicht mehr. »Ich hatte einiges zu tun...«, erwiderte er vage.
 

»Ah ja«, nickte Doflamingo langsam und strich sich in einer bedächtigen Geste mit den langen Fingern über das glattrasierte Kinn, »das habe ich bereits bemerkt.« Er griff nach einer Fernbedienung auf dem Schreibtisch und der Monitor an der Wand änderte das Bild. Die etwas verwackelte Aufnahme einer SmartCom-Kamera war zu sehen, die aus der Menge heraus in einem Club filmte... in einem infernalischen Club mit gläsernen Wänden und flammenden Holoprojektionen. Law verkrampfte die Finger in seinen Taschen.
 

Das Bild schwenkte und zeigte jetzt zwei Männer, die am Rand der feiernden Menge an der Wand standen. Dort war unverwechselbar Law zu erkennen, wie er Marco im Purgatory an sich riss, um nicht von Diamante gesehen zu werden. Sie standen eng beieinander und ohne das entsprechende Hintergrundwissen konnte man die Situation von außen durchaus falsch deuten. Sie sahen aus wie zwei ziemlich... enge Bekannte.
 

Doflamingo legte die Fernbedienung beiseite, während er die Szene aufmerksam studierte, obwohl er sie garantiert schon mehrmals angesehen und bis ins letzte Detail analysiert hatte. Trotzdem spielte er den Überraschten, als er Law jetzt wieder ansah. »Würdest du mir bitte erklären, warum du mit Marco Phoenix von der Newgate Corp. in Downtown unterwegs bist, statt dich bei mir zu melden?«, bat er mit übertriebener Freundlichkeit. Sein Lächeln war so scharf und tödlich wie eine Klinge. »Ich glaube nicht, dass ich das angeordnet habe.«
 

In Laws Kopf stoben die Gedanken plötzlich wie aufgeschreckte Vögel durcheinander, während er gegen das flaue Gefühl im Magen ankämpfte. Eisige Finger glitten wie Vorboten des Unheils über sein Rückgrat. Dabei war es noch nicht einmal der Umstand, dass Joker nun auf seine Verbindung zu Marco aufmerksam geworden war, der ihn so nervös machte... nein, er stellte sich natürlich sofort die Frage, ob Joker ihn heimlich beschatten und überwachen ließ. Was wusste der Kartellkönig sonst noch, was er gar nicht wissen sollte? War das ein Test? Eine Prüfung? Oder wirklich nur Zufall?
 

»Mich würde doch interessieren, warum du so... vertraut mit einem Senatsmitglied wirkst. Du würdest doch nicht etwa Geheimnisse vor mir haben, oder, Law...?« Der Name war mehr ein zischender Laut als ein Wort, eine unterschwellige Drohung und ein Vibrieren in der Luft.
 

Eine Ader auf Doflamingos Stirn trat pulsierend hervor und seine Kieferlinie schärfte sich gefährlich, als wollte er gleich die Zähne fletschen. Die äußerliche Ruhe war nur Fassade, das spürte Law überdeutlich. In dem Kartellkönig brodelte es. Seit er von Corazon hintergangen wurde, reagierte er regelrecht getrieben auf jedes winzige Anzeichen von Verrat.
 

Law musste sich wirklich schnell etwas überzeugendes einfallen lassen, denn mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde Doflamingo nur misstrauischer. Die Frage, woher Joker von Marcos erst kürzlicher Ernennung zum Senatsmitglied wusste, stellte Law sich gar nicht erst. Zumindest schien Kuleha wirklich nicht geplaudert zu haben, sonst wüsste Joker noch viel mehr und hätte ihn garantiert auf die Geschichte mit Trebol angesprochen.
 

Also einmal mehr auf Risiko spielen... Law ließ seine Mundwinkel zu einem maliziösen Schmunzeln in die Höhe wandern, das sich absolut falsch auf seinen Lippen anfühlte. »… und ich dachte, du wärst eigentlich an Wirtschaftsdaten und Forschungsprojekten der Newgate Corp. interessiert«, stellte er gelassen in den Raum.
 

Jetzt war es an Doflamingo, irritiert zu wirken. Die schmalen Brauen des Kartellkönigs zogen sich argwöhnisch zusammen, seine Haltung wirkte noch immer lauernd, jedoch nun auch latent interessiert. »Erklär' das.« Law konnte das seidige Rascheln von Stoff hören, als Joker die Beine überschlug und sich auf seinem Platz zurücklehnte, um Law abwartend zu fixieren.
 

»Lamy befindet sich im Newgate-Tower für eine mentale Heilung. Der Staatsanwalt Yamamoto Ashitaka wurde ermordet... aber das wusstest du ja sicherlich schon, nicht wahr? Sie war offensichtlich vor Ort, als es passierte und ihr Geist wurde von einem Phobiokineten schwer verletzt...«, jetzt hatte sich Laws Stimme zu einem Knurren gesenkt und er versteckte die Wut nicht, als er Doflamingo beschuldigend anfuhr: »Warum war sie überhaupt dort, Joker!? Ich habe dir gesagt, du sollst sie aus diesen Dingen raushalten, du…-«
 

Doflamingo hob nur einen Finger, doch Law verstummte augenblicklich. Das lag weniger an der Geste, als daran, dass er Jokers Magie spüren konnte. Ein hauchdünner, unsichtbarer Faden schlang sich um Laws Hals, ähnlich einer unangenehmen Berührung - eine Warnung, eine Erinnerung daran, dass Doflamingo nicht der geduldigste Mann war… und dass er mit Menschen wie mit Marionetten spielen konnte. Er mochte große Stücke auf Law halten, doch auch von ihm duldete er Ungehorsam und Widerstand nur in begrenztem Maße.
 

Nach einer langen Minute bedrohlichen Schweigens, in der Joker die neuen Informationen zu verarbeiten schien, sagte er: »Ich habe Lamy keinen Auftrag erteilt, Law. Ich berücksichtige deine Wünsche durchaus. Aber du weißt doch, wie sie ist, sie hat wohl in einem Gespräch mit Diamante aufgeschnappt, dass ich ein paar Informationen bezüglich eines Gerichtsfalles von Yamamoto bräuchte und«, Doflamingo hob die Hände in sorgloser Unschuld, »sie war wohl der Meinung, mir helfen zu müssen. Ich habe das nicht von ihr verlangt.«
 

Law sog die Luft scharf durch die Nase ein. Nein, vielleicht hatte er das tatsächlich nicht... aber Doflamingo war ein Meister darin, anderen Menschen Dinge einzureden und sie genau das tun zu lassen, was er wollte, ohne sie direkt darum zu bitten.
 

»Yamamotos Tod ist nun ein unerwarteter Glücksfall für mich, das gebe ich zu. Der Mann war ein unerträglicher Moralapostel, aber von dem Mord an ihm habe ich nichts gewusst. Du weißt, ich würde euch zwei niemals wissentlich in Gefahr bringen. Deine Schwester und du, ihr seid mir stets die Liebsten und Teuersten meiner Mitglieder«, beteuerte Doflamingo und legte sich eine große Hand auf das Herz. »... wird Lamy denn weder gesund?«
 

Law schluckte das verächtliche Schnauben herunter. Joker sorgte sich wahrscheinlich weniger um Lamys Gesundheitszustand, als um den Verlust ihrer Fähigkeiten in seinen Reihen. Am Ende war er ein Geschäftsmann und sie alle lohnende Investitionen für ihn, die er natürlich ungern verlieren wollte.
 

»Glücklicherweise stehen die Chancen gut. Marco Phoenix ist Mentokinet. Er will sie heilen, damit der Senat sie befragen kann.«

Doflamingos Finger wischten lauernd über die Tischkante, als würde er eine unsichtbare Fluse entfernen. »Worüber denn…?«

Law zwang sich geschäftstüchtig und loyal zu wirken. »Über den Mord an Yamamoto und ob sie etwas gesehen hat, was helfen könnte, denn Fall aufzuklären. Die Sache scheint den Senat sehr zu beschäftigen. Er ist nicht an dir oder deinen Aktivitäten interessiert, davon habe ich mich zuerst überzeugt.«

Die pinken Brillengläser hafteten mit unangenehmer Intensität auf Laws Gesicht. »Und was hast du persönlich mit diesem Konzerner zu schaffen?«, eine einfache, analysierende Frage.
 

Die nächsten Worte brannten wie Säure auf Laws Zunge und er hatte Mühe, sie überhaupt auszusprechen. Er schlug einen abfälligen Tonfall an: »Ich bin durch Zufall auf ihn getroffen. Er lässt mich im Newgate-Tower wohnen, solange er Lamy behandelt, weil ich darauf bestanden habe, dass ich ihre Heilung überwachen will. Im Gegenzug helfe ich ihm ein paar belanglose Infos zu seinem Fall zu beschaffen. Deswegen waren wir im Purgatory. Er ist ein naiver, weichherziger und gutgläubiger Idiot, der denkt, dass er mit seinem Geld alle Wunden heilen kann… und er scheint eine Schwäche für arme, verlorene Streuner zu haben. Er glaubt wohl, dass er mich retten muss.«
 

Law ließ ein einstudiertes, höhnisches Grinsen über seine Lippen huschen. »Er ist leicht beeinflussbar und du kennst ja Lamys Talente, sobald sie wieder aufgewacht ist, könnten wir ihn innerhalb kürzester Zeit um den Finger wickeln. Wir werden einfach die bedürftigen Waisen spielen, die aus dem Kartellsumpf aussteigen wollen. Ich wette, er wird uns jedes Wort glauben und uns unterstützen wollen. Setz' uns bei der Newgate Corp. ein. Lass' uns deine Augen und Ohren sein. Im Tower gibt es eine hochmoderne Entwicklungsabteilung für Waffen- und Rüstungstechnik. Ich bin sicher, wir könnten an Daten über so einige interessante Projekte für dich herankommen. So eine Chance bietet sich nur selten, Joker.«
 

Doflamingos Finger tanzten nachdenklich auf der Schreibtischkante. »Was ist mit Edward Newgate?«

»Whitebeard hat den Tower verlassen und ist ausgezogen. Er hat die laufenden Geschäfte allesamt an seinen Sohn und neuen CEO Marco Phoenix übergeben. Er würde uns nicht in die Quere kommen.«
 

Law verabscheute sich selbst für diesen Mist, den er erzählen musste, für diese widerwärtigen Lügen, die er hier erdachte, um Doflamingo weiterhin das brave Mündel vorzuspielen - so war er eigentlich nicht und so wollte er nicht sein und vor allem wollte er Marco nicht in diesen Schmutz hier mit reinziehen müssen, aber... wie so oft in seinem Leben ging es nicht darum, was er wollte, sondern was er tun musste.
 

Solange Doflamingo weiterhin glaubte, dass Law für ihn arbeitete, würde er ihn hoffentlich weitestgehend in Ruhe lassen und nicht mit anderen Aufträgen betrauen. Damit konnte er seine eigenen Pläne wesentlich ungestörter verfolgen.
 

»Aus der Not eine Tugend machen, hm?« Doflamingos Mund kräuselte sich zu einem anerkennenden Schmunzeln und er lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück, wobei die pinken Federn seines Mantels sich wie ein lebendiges Wesen bewegten und an seine breiten Schultern schmiegten. »Fufufufu~, mein lieber Law«, lachte er begeistert, »deine Kaltherzigkeit und dein Scharfsinn überraschen mich doch immer wieder positiv. Ich mag es, wie distanziert und emotionslos du die Dinge betrachtest, da könnte einem der Newgate Erbe ja fast leid tun...«
 

Der unsichtbare Faden um Laws Kehle verschwand. Doflamingo griff nach einem Weinglas auf seinem Tisch und ließ die blutrote Flüssigkeit darin kreisen, während er Law jetzt ergründend musterte: »Ist es schwer, in seiner Nähe zu sein? Du musst ihn sehr verabscheuen, verkörpert dieser Konzerner am Ende doch alles, was du abgrundtief hasst, nicht wahr?« Seine Worte trugen fast den perfekten Hauch an Anteilnahme.
 

Wie die Szene eines alten Filmes blitzte eine Erinnerung in Laws Kopf auf, voll von Blut und Feuer und Verzweiflung. Für einen Augenblick war er wieder ein Kind, stand weinend in den Trümmern seiner Heimatstadt und hatte durch einen skrupellosen Konzern alles verloren in seinem Leben - seine Familie, seine Freunde, sein Heim... seinen Glauben in Gott und die Welt. Und der Senat hatte keine Gerechtigkeit für dieses Gemetzel gefordert, stattdessen hatten sie es vertuscht und verschwiegen, wahrscheinlich, weil der Vater des Verursachers dieser Tragödie einen Platz im Senat innegehabt hatte...
 

Laws Stimme war wie Eis. »Er ist mir gleichgültig. Dass er Konzerner und Senatsmitglied ist, ist nur ein... positiver Nebeneffekt der Sache«, zuckte er ungerührt mit den Schultern. Wahrscheinlich wäre so einiges einfacher, wenn er Marco wirklich hassen könnte.
 

»Na schön, von mir aus. Ich bin einverstanden mit deinem Plan, aber Law - das ist kein Urlaub. Ich will Ergebnisse sehen und das nicht erst in ein paar Monaten... da sind wir uns doch einig, oder?«

»Selbstverständlich.«
 

»Gut.« Doflamingo stand auf und kam nun gemächlich um den Schreibtisch herum. Er blieb vor Law stehen und lehnte sich mit der Hüfte gegen die Kante, während er eine große Hand auf Laws Schulter bettete. Der musste sich sehr beherrschen, vor dieser Berührung nicht zurückzuzucken.
 

Der Kartellkönig neigte den Kopf leicht zur Seite wie ein großer Raubvogel, der seine Beute beäugte. »Du weißt, Corazons... Verlust hat mich immer sehr geschmerzt. Er hat eine Lücke hinterlassen, die schwer zu füllen schien, aber du bist perfekt geeignet für den Herzthron. Du bist schon immer wie ein kleiner Bruder für mich gewesen.« Er griff nach Laws Kinn und zwang dessen Blick zu sich herauf, nicht grob, aber sehr bestimmt. Die Worte waren eine Anerkennung, aber auch eine Warnung. »Du darfst mich von allen am wenigsten enttäuschen, Law. Das verstehst du doch, oder?«
 

In Law zog sich alles zusammen und er hatte ehrlich Mühe, dieser Musterung standzuhalten, während er sein eigenes, eisenhartes Gesicht in den Brillengläsern betrachtete. Wo ihn der Größenunterschied bei Marco nicht störte, war es kaum zu ertragen, dass Joker ihn so überragte. Der scharfe, unangenehme Geruch von Doflamingos Aftershave kroch Law in die Nase, trotzdem entgegnete er beeindruckend ruhig: »Natürlich... Joker.«
 

Doflamingo ließ ihn wieder los, offenbar zufrieden über das, was er in Laws Augen gesehen hatte. »Ich möchte dich heute Abend an meiner Seite haben, wenn ich ein sehr entscheidendes Geschäft für unsere Zukunft abschließe.« Er trat an Law vorbei und machte sich auf, das Zimmer zu verlassen, wobei er ihm arglos den Rücken zudrehte. »Sei in einer Stunde unten im Foyer... und lass' dir von Jola einen Anzug geben.«
 

Law sah ihm nach, starrte auf den breiten Rücken und den ungeschützten Nacken des Blonden. Es wäre so einfach, so verlockend, ihn hier und jetzt zu töten, in dem Moment, wo er es am wenigsten erwartete, aber das wäre nicht angemessen und viel zu gnädig für diesen Verbrecher. Nein, Doflamingo sollte sehen, wie sein Imperium unter seinen Händen zerbrach... er sollte Law in die Augen blicken müssen, wenn er am Boden war. Er sollte wissen, wer ihn für Corazon verraten hatte.
 

Law folgte nicht sofort Doflamingos Befehl, sondern nutzte seinen Besuch im Anwesen für einen kurzen Abstecher in die Sicherheitszentrale, von wo aus Gladius als Sicherheitschef auf die Einrichtungen der Donquixote-Familie ein wachsames Auge warf... und natürlich auch das Wachpersonal einteilte und koordinierte. Da Law inzwischen wusste, wonach er suchen musste, konnte er nun viel gezielter vorgehen.
 

Er verstrickte Gladius in ein beiläufiges Gespräch und erspähte währenddessen von einem der Monitore am Arbeitsplatz des Sicherheitsmannes die Informationen, nach denen er suchte - Punk Hazard war technisch gut gesichert, doch Sicherheitsleute gab es in der abgelegenen, offiziell stillgelegten Forschungseinrichtung kaum. Da der Ort wohl Jokers bestgehütetes Geheimnis war, verzichtete der aus gutem Grund auf zu viel Personal, immerhin waren jedes zusätzliche paar Augen und Ohren auch ein zusätzliches Risiko, dass der Ort aufflog.
 

Von den beiden Forschern wusste Law bereits, dass es eine junge Frau dort gab, welche die Sicherheit überwachte und Caesar beschützte. Durch Gladius Datei fand er nun noch heraus, dass es sich bei ihr vermutlich um einen MAG handelte. Das konnte eventuell zu einem Problem werden, aber eins nach dem anderen…
 

Eine Stunde später begab sich Law wie gewünscht in einem schlichten schwarzen Anzug in die Empfangshalle des Anwesens. Die ganze Belegschaft stand auf der ausladenden, halbkreisförmigen Marmortreppe des Foyers aufgereiht, alle in schwarz, ebenso wie Doflamingos engste Offiziere und Vertraute am Fuße der Treppe, die nun auch Joker selbst mit Viola am Arm hoheitsvoll herab schritt.
 

Die beiden sahen aus wie ein dekadentes Königspaar, das seinen Hofstaat empfing, herausgeputzt in weißen Stoff mit goldenen Verzierungen und Schmuck, der im warmen Licht des pompösen Kronleuchters wie flüssiges Sonnenlicht glänzte. Während Joker breit grinste, war Violas Gesicht so ausdruckslos wie das Antlitz einer Statue. Law hatte sie noch nie lächeln sehen.
 

Eine gespannte Ungeduld lag über den Anwesenden, tuschelnd wurden hier und da Köpfe zusammengesteckt und alle blickten erwartungsvoll durch die weit geöffneten Flügel der Eingangstür auf den durch Fackeln beleuchteten Innenhof mit dem pompösen Springbrunnen und Jokers hauseigenem Fuhrpark.
 

Law selbst beobachtete Doflamingo aus dem Augenwinkel - wer auch immer sich dort angekündigt hatte, es musste ein dicker Fisch der Unterwelt sein, sonst hätte der Kartellkönig niemals eine solche Parade veranstaltet. Wenn er von einem entscheidenden Geschäftsabschluss sprach, dann musste es wahrhaft wichtig für seine Organisation sein. Mit ungutem Gefühl starrte Law ebenso wie alle anderen zur Eingangstür und die lange Einfahrt hinauf.
 

In der Ferne tauchten jetzt Scheinwerfer auf und kurz darauf rollte eine ganze Kolone von Autos in den Innenhof des Anwesens. Das auffälligste Gefährt zwischen ihnen war wohl ein weißer Rolls Royce Ghost mit goldenen Felgen und golden getönten Scheiben. Hinter und vor dem auserlesenen Wagen parkten schwer gepanzerte Militärtransporter ein.
 

Dem teuren Rolls Royce entstieg niemand geringerer als… Gildo Tesoro, Entertainer, Hotelmagnat und selbsternannter König Midas der Neuzeit. Er war ein MAG und was er anfasste, wurde sprichwörtlich zu Gold. Sein Geschäft mit den Lastern der Menschen boomte, ihm gehörten zahlreiche luxuriöse und exklusive Casinos und Bordelle in Shanghai und Wuhan. Doch so glänzend seine Talent für Marketing war, so verwerflich war sein Charakter.
 

Er war das Paradebeispiel eines Menschen, der in dem Glauben lebte, dass mit Geld alles auf der Welt zu bekommen und zu besitzen war. An Oberflächlichkeit war er wohl kaum zu überbieten, was sich schon darin zeigte, dass hinter ihm ein ganzer Schwarm an schönen Frauen und Männern folgte, die alle in sündhaft teure Kleidung gehüllt und bis an die Grenze des Skurrilen kosmetisch operiert waren. Plastische Schönheiten ohne jedweden Makel, aber auch ohne Persönlichkeit oder Charakter.
 

Gildo Tesoro war ein unangenehmer Zeitgenosse und Law war nicht gerade erfreut über sein Auftauchen. Dieses ganze Theater hier, dieser riesige Aufwand für sein Erscheinen… das sah weniger nach dem kurzen Besuch eines Geschäftspartners aus, als vielmehr nach dem längeren Aufenthalt eines Freundes. Vor allem, da ein paar Männer aus Tesoros Gefolge jetzt auch noch jede Menge Gepäck in das Foyer rollten.
 

Tesoro schlenderte mit seiner zahlreichen Begleitung durch die Eingangstür, mit einer bezeichnenden Gelassenheit und Eleganz, die nur Menschen zu eigen sein konnte, die alles besaßen und sich ihrer Macht bewusst waren. Er war groß und muskulös und sein Gesicht hätte durchaus attraktiv sein können, wenn seine Augen nicht diese eiskalte Berechnung versprüht hätten und wenn der überhebliche Zug um seinen Mund nicht gewesen wäre.
 

Sein dunkelblondes, leicht grünliches Haar war streng nach hinten gekämmt, darin steckte eine goldene Sonnenbrille und an seinen Ohren glitzerten sternenförmige Ohrringe. Er trug einen maßgeschneiderten, dunkelpinken Anzug, wohl um Doflamingo zu ehren und zu schmeicheln.
 

In der Vergangenheit hatte Joker schon ab und an mit Tesoro gearbeitet, denn dessen Etablissements waren am Ende Umschlagplätze für Einnahmen und der perfekte Deckmantel für Geldwäsche. Tesoro lebte und agierte normalerweise hauptsächlich von Shanghai aus, war aber der Kooperation mit Doflamingo immer aufgeschlossen gegenüber gewesen, da der japanische Markt natürlich auch neue Möglichkeiten für ihn bot.
 

Gildo Tesoro blieb jetzt vor Joker stehen und hauchte Viola einen geziemten Kuss auf den Handrücken. Dann musterte er die aufgereihte Gefolgschaft interessiert und seine Augen blieben einen Moment zu lang an Laws Gestalt hängen, der seinen Blick unberührt standhielt, was dem Hotelmagnat ein träges Grinsen entlockte. Er verneigte sich in einer übertriebenen Geste vor Doflamingo. »Mein teurer Freund«, sagte er mit einer Stimme wie flüssigem Honig. »Ich danke für die Einladung und deine großzügige Gastfreundschaft.«
 

»Und ich danke für dein Kommen und die Möglichkeit einer aussichtsreichen und gewinnbringenden Zusammenarbeit«, erwiderte der Kartellkönig ungewöhnlich respektvoll. »Lass' uns die Einzelheiten und Details in etwas passenderer Umgebung besprechen. Sicher seid ihr alle erschöpft von der Anreise.« Er wies den bereitstehenden Hausangestellten an, Tesoros Gepäck in die Besucherquartiere zu bringen, dann bot er seinen Gästen mit einer einladenden Geste des Weg hinab in die Räumlichkeiten des Untergeschosses, wo ein Empfang mit Speisen und Getränken bereits vorbereitet war.
 

Wenn zwei solche Größen der Unterwelt zusammen trafen, wurde die Party natürlich schnell ausschweifend und mehr als feucht fröhlich. Der Schampus floss in Strömen, genauso ausgiebig, wie die verschiedensten Drogen konsumiert wurden. Tesoros weibliche Begleiterinnen widmeten sich mit besonderer Hingabe Doflamingos männlichen Offizieren und Untergebenen und gerade Lao G und Trebol waren mehr als erfreut über so viel Frischfleisch. Baby 5 und Jola hatten sich jeweils einen Adonis-Verschnitt aus Tesoros Gefolge geschnappt und machten die Tanzfläche unsicher.
 

Bis auf Vergo waren alle Offiziere anwesend, doch Law war nicht traurig darüber, dass der fehlte. Er konzentrierte sich darauf, wie ein Geist durch die Menge zu gleiten, um Informationen und Neuigkeiten aufzuschnappen.
 

Tesoro plante wohl die Hochzeit mit einer Tochter der Charlotte-Familie, den Inhabern des 'Big Mom' Imperiums, und die Verlobung sollte ein Riesenevent hier in Tokio werden, wenn seine zukünftige Braut eintraf. Doflamingo würde ihn bei den Vorbereitungen unterstützen, denn durch diese Verbindung würde Tesoro einen Fuß in die Tür des amerikanischen Marktes bekommen... und Joker gleich mit ihm.
 

Tesoro wollte langfristig in Jokers Geschäfte einsteigen und investieren, um seine Gewinne zu steigern und natürlich wären die Beziehungen des Entertainers eine wahre Bereicherung für Doflamingos eigenes Unternehmen. Noch dazu würden sich die Waffenlieferungen für Kaido durch die Geschäftsbeziehung zu Tesoro über den Handelshafen in Shanghai wesentlich leichter für Joker gestalten.
 

Eine Win-Win Situation für alle - und die Unterwelt Japans und Chinas würde in Zukunft unter der Herrschaft dieser beiden Giganten erzittern. Law wurde regelrecht schlecht bei dem Gedanken daran, welche Früchte diese Partnerschaft in Zukunft wohl tragen könnte…
 

Er setzte sich unweit von Joker auf eines der weichen Polstermöbel und genehmigte sich zumindest einen Drink, um nicht unnötig in der Partygesellschaft aufzufallen. Als sich eine rothaarige Schönheit neben ihm niederlassen wollte, schüttelte er entschieden den Kopf. Er hatte keine Lust auf Gesellschaft. Beleidigt zog die Frau davon und an ihrer Stelle wollte sich schon ein junger Mann nun zu Law bewegen, den er jedoch allein mit einem scharfen Blick auf Abstand hielt.
 

Dafür ließ sich nun Tesoro mit einem Glas in der Hand ungefragt neben Law auf die Couch fallen und schwang seinen Arm beiläufig über die Lehne. Grenzen hatte der Entertainer noch nie respektiert. Er saß noch weit genug entfernt, um nicht als aufdringlich zu gelten, doch für Laws Geschmack trotzdem viel zu nah. Der Mann müsste nur die Finger ausstrecken und könnte wohl sein Haar berühren, wodurch Law an sich halten musste, nicht reflexartig beiseite zu rutschen.
 

»Wo ist denn deine hübsche Schwester heute, Law? Ich habe mich bereits den ganzen Flug über darauf gefreut, euch wiederzusehen. Ihr seid beide so... inspirierend für mich«, raunte er mit einem mehr als eindeutigen Unterton, bevor er einen Schluck von seinem seidig schimmernden Drink nahm. Dabei glitten Tesoros blaue Augen mit unverhohlenen Verlangen über Laws Körper, denn der Entertainer machte sich nicht einmal die Mühe, sein sexuelles Interesse zu verbergen.
 

Es war eh ein offenes Geheimnis, dass Tesoro seit langem schon begierig auf die Trafalgar Geschwister war und schier besessen davon, sie beide in sein Bett zu bekommen… am Besten noch gleichzeitig. Während Lamy sich ständig einen Spaß daraus machte, mit ihm zu flirten und ihn am langen Arm verhungern zu lassen, zeigte Law ihm stets die kalte Schulter - leider schien das seinen Jagdtrieb aber eher zu steigern als zu mindern.
 

»Lamy ist unterwegs«, antwortete Law kurz angebunden und griff nach dem Glas vor sich auf dem Tisch, um die Chance zu nutzen, ein wenig aus Tesoros Reichweite zu rücken. »Sie lässt dich nett grüßen.« Der Kerl roch zwar nicht unangenehm und war auch körperlich nicht wirklich abstoßend, doch für Law dafür auf vielen anderen Ebenen unattraktiv.
 

Er war zwar niemand, der von vornherein gewisse Dinge ausschließen wollte, doch wenn er sich je mit einem Mann einlassen würde, dann aber gewiss nicht auf einen wie Gildo Tesoro, nach dessen Überzeugung jeder Mensch käuflich war, wenn man nur die richtige Summe bot. Er war ein Upper Class Kotzbrocken par excellence.
 

Was bei Marco Phoenix tatsächlich ehrliche Freundlichkeit war... war bei Tesoro nur zweckmäßige Güte. Für ihn waren Menschen nur ein weiterer, materieller Besitz, den er jederzeit erwerben und wieder los werden konnte, wenn er gelangweilt war. Ihm war nur er selbst wirklich wichtig.
 

»Schade«, meinte der Entertainer seufzend und ließ die Eiswürfel in seinem Glas kreisen. »Dabei ist sie immer so freundlich und charmant zu mir. Du siehst mich immer an, als hätte ich deinen Lieblingswelpen überfahren… dabei könnte ich dir die Welt zu Füßen legen. Was muss ich nur tun, damit du mir ein Lächeln schenkst, Law~?«, schnurrte er gedehnt, den Name wie eine Liebkosung in die Länge gezogen.
 

Wie wäre es, wenn du an deiner Arroganz erstickst!? Das wäre zumindest ein Anfang... Law musste sich ernsthaft beherrschen, dem Kerl seinen Drink nicht ins Gesicht zu kippen oder ihm mit dem versteckten Messer in seiner Anzugjacke an die Kehle zu gehen. Normalerweise ließ ihn dieses schmierige Gehabe kalt, doch seine Nerven waren noch immer angespannt und strapaziert durch das Gespräch mit Joker.
 

Er vertuschte das angewiderte Verziehen seiner Lippen durch einen weiteren Schluck von dem brennenden Alkohol und schlug die langen Beine übereinander, sich dabei mehr als unangenehm bewusst, dass Tesoro jede seiner Bewegungen mit hungrigen Augen verfolgte. »Ich werde nicht fürs Lächeln bezahlt«, erwiderte er ausdruckslos.
 

»Nun, darüber sollte ich dann wohl mit Joker verhandeln, hm?«, lachte der Entertainer und prostete Doflamingo über die Menge hinweg zu, der die Geste mit einem wohlwollenden Grinsen erwiderte. Tesoro wirkte alles andere als beleidigt, eher so, als wäre Law eine Herausforderung, derer er sich mit aller Hingabe widmen wollte...
 

Glücklicherweise hatte Doflamingo zumindest gewisse Grundsätze innerhalb seiner Familie und so konnte Law sich sicher sein, dass Joker ihn oder Lamy nie wie ein Stück Vieh an den Hotelmagnat verkaufen würde. Wenn sie mit einem Geschäftspartner schlafen wollten, dann durften sie das ohne Frage - doch gegen ihren Willen würde gar nichts geschehen, da war Doflamingo sehr strikt und deutlich. Er hatte einst einem betrunkenen Kunden mit seiner Kraft die Hand abgetrennt, weil der Baby 5 gegen ihren Willen betatscht und bedrängt hatte... ungeachtet des dadurch platzendes Deals.
 

Am Eingang brach plötzlich Unruhe aus. Pika und Gladius erschien im Treppenaufgang nach oben, vor sich trieben sie zwei Personen her, die strauchelten und eher weniger freiwillig hier zu sein schienen. Die Menge teilte sich überrascht vor Jokers Offizieren und gab den Blick auf die dunkel gekleideten Neuankömmlinge frei, die sich mit nervösen Augen, aber verbissenen Gesichtern umsahen - ein Mädchen mit hellrosa Haaren und ein dunkelhaariger junger Mann... mit einer markanten Narbe im Gesicht.
 

»Oh, die Partycrasher?!«, säuselte Tesoro neben Law interessiert. Er strich mit einem langen Finger über seinen Glasrand und fixierte die jungen Leute mit einem lauernden Blick wie die Spinne in ihrem Netz die hilflose Fliege.
 

Law versteifte sich auf seinem Platz und ein eisiges Schaudern glitt über seinen Nacken, als er die Zwei erkannte. Riku Rebecca und Riku Shin. Er starrte fassungslos auf die zwei Erben der einst mächtigen Riku-Familie, während Pika die beiden abermals auffordernd anstieß, da sie sich nicht bewegen wollten. Du Idiot… du dummer, verbohrter Idiot! Warum bist du hierher gekommen? Warum bringst du deine Schwester in Gefahr?! Und er hatte noch gedacht, dass der junge Mann seine Lektion nach ihrem erst kürzlichen Aufeinandertreffen gelernt hätte...
 

Viola wurde neben Doflamingo ganz still und starr. Die ganze Partygesellschaft verfiel in gespanntes Schweigen, als Pika die Zwei vor Joker zu Boden stieß, der breitbeinig und mit einem unbeweglichen Gesichtsausdruck auf die beiden herabstarrte wie der Scharfrichter auf seine Opfer. Es war so ruhig geworden, dass man das hektische Atmen des Mädchens hören konnte. Man hatte sie nicht einmal gefesselt, weil man sie offensichtlich für so unbedeutend hielt.
 

»Junger Meister, diese Zwei und ein paar ihrer Männer fanden wir gerade im Kellergewölbe des Anwesens. Offenbar gibt es einen Geheimgang, von dem wir bisher nichts wussten… sie wollten uns wohl allesamt in die Luft jagen«, berichtete Pika mit seiner typisch piepsenden Stimme eines Jungen im Stimmenbruch.
 

Doch heute wagte nicht einer in der Menge auch nur die Lippen amüsiert zu verziehen, nicht nachdem der muskulöse Offizier einen prall gefüllten Seesack auf den Boden geworfen hatte, aus dem ausreichend C4 vor Doflamingos Füße purzelte, um vermutlich das ganze Anwesen zu pulverisieren.
 

Während Riku Shin Doflamingos Fokus beachtenswert unerschrocken hielt, kniete seine Schwester neben ihm, den Kopf gesenkt und die Schultern hochgezogen. Sie bot ein verschüchtertes Bild, doch Law erhaschte einen Blick durch die dicken Strähnen ihres Haares auf ihr Gesicht. Ihre Augen brannten förmlich vor Feuer - die junge Frau war nicht verängstigt, sie war zu allem entschlossen. Als sie sich bewegte, sah Law das Aufblitzen von Metall in ihrem dunklen Stiefel.
 

Ein Selbstmordkommando. Das Ganze war nichts mehr als ein Selbstmordkommando, die verzweifelte Tat von dummen, idealistischen, jungen Menschen… sie mussten geahnt haben, dass sie hier nicht mehr lebend herauskommen würden. Vielleicht hatte ihre Tante ihnen sogar bei diesem unausgegorenen Plan geholfen, um endlich von Joker frei zu sein.
 

Doflamingo stützte die Ellenbogen auf seine Knie und neigte sich mit der Anmut einer Schlange den beiden Riku-Erben entgegen. »War ich nicht barmherzig zu euch, als ich euch das Leben schenkte? War das Opfer eurer Tante nicht groß genug, als sie ihren Stolz für euch ablegte? Was seid ihr doch für undankbare Plagen«, urteilte der Kartellkönig mit gefährlicher Ruhe. Viola neben ihm war noch immer so stocksteif wie eine Statue, allein ihre geblähten Nasenflügel verrieten ihre Emotionen und die rot lackierten Nägel, die sie in den zarten Stoff ihres weißen Kleides krallte.
 

»Ich werde erst ruhen, wenn du mit all deinen Helfern und Unterstützern unter der Erde weilst und der Gerechtigkeit genüge getan wurde!«, schwor Riku Shin mit unerschütterlicher Entschlossenheit. Die wulstige Narbe hob sich deutlich von seiner Haut ab und zerrte an seinem Mundwinkel, als er wütend die Zähne bleckte.

»Dir scheint offenbar nicht viel an deinem Leben zu liegen...«, urteilte der Kartellkönig mit unbeweglicher Miene.

»Ich lebe nur, um dich zu töten!«

»Hm, wie traurig...«
 

Dellinger löste sich aus der Menge und hüpfte wie ein übermotiviertes, grausames Rumpelstilzchen neben Pika auf und ab. In seinen Augen flackerte die wahnhafte Gier nach Blut und Gewalt, als er dem männlichen Riku Erben seine Schuhspitze zwischen die Rippen donnerte, sodass der junge Mann sich schmerzhaft krümmte. »Elendes Gesindel, habt ihr wirklich geglaubt, dass ihr uns gefährlich werden könntet?! Für diese Anmaßung werdet ihr sterben. Doflamingo wird euch in kleine, feine Häppchen schneiden, ihr Pisser!«
 

Joker schmunzelte leicht, dann schnaufte er tief aus. »Ja, was soll ich jetzt nur mit euch...-«
 

Rebecca sprang auf und das gezückte Messer blitzte im Licht der Kerzenleuchter an den Wänden. Sie war schnell, warf sich mit einem wütenden Schrei und einer verzweifelten Entschlossenheit auf den Kartellkönig, die bemerkenswert war... doch sie war nicht schnell genug. Noch in der Luft erstarrte sie, ihre Hand mit der so lächerlich klein erscheinenden Waffe zitterte in ihren Fingern, um Haaresbreite vor Doflamingos getönter Sonnenbrille, bevor der sich mit einem Zungeschnalzen gelassen auf der Couch zurücksinken ließ.
 

»Oh, so stürmisch...«
 

Das Mädchen hing wehrlos in Jokers Netz und zitterte vor unterdrückter Wut. Dicke Tränen der Frustration rannen ihr jetzt aus dem Augenwinkel, während sie in der Bewegung gefesselt durch Doflamingos Kraft ein Stück weit über dem Boden schwebte. »Du bist ein Monster!« Sie spuckte aus und traf den Kartellkönig an der Wange. Ein empörtes Raunen lief durch die zusehende Menge und Gladius zückte seine Waffe.
 

»Du Schlampe!«, kreischte Dellinger und schlug dem wehrlosen Mädchen mit der flachen Hand ungebremst ins Gesicht, sodass ihr Kopf brutal herumgerissen wurde. Er wollte schon erneut ansetzen, doch Doflamingo hielt ihn mit einem Kopfschütteln auf, was den blonden Junge mit einem unzufriedenen Zähneknirschen zurücktreten ließ.
 

Joker wischte sich den Speichel gleichmütig aus dem Gesicht. Dann krümmte er die Finger und das Mädchen sank vor ihm auf die Knie, den Kopf so tief nach unten gedrückt, dass ihre Stirn den Boden berührte. »Mal sehen, ob du noch immer so kämpferisch bist, wenn du deinem Bruder die Kehle aufgeschlitzt hast...«, raunte der Kartellkönig böse.
 

Rebecca weitete die Augen entsetzt und versuchte nun regelrecht panisch gegen die Fäden von Jokers Magie anzukämpfen. Doch das war vergeblich. Mit einem sadistischen Grinsen bewegte Doflamingo die Finger und das Mädchen lief mit tränennassem Gesicht auf ihren Bruder zu, das Messer gezückt, das nun blank auf seine Kehle zeigte und das Licht reflektierte wie ein höhnisches Zwinkern. »Bitte... nicht...«, flehte Rebecca verzweifelt.
 

Pika hielt den sich heftig wehrenden Riku Shin an Ort und Stelle, der seiner Schwester mühsam gefasst entgegen sah und beruhigende Worte für das nun heftig schluchzende Mädchen murmelte. Niemand umher half den beiden Geschwistern, alle sahen schweigend zu, gierten förmlich nach Blut und Leid. Allein Viola war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen und sie zitterte, im Widerstreit mit ihren Emotionen.
 

Tesoro lehnte sich neben Law angetan nach vorn und leckte sich vorfreudig die Lippen. »Was für eine Show, hervorragend!« Für ihn war das nicht mehr als Unterhaltung, ein netter Zeitvertreib, während die beiden jungen Menschen dort drüben gerade dem Tod ins Auge blicken mussten - als Belustigung für die Menge, nichts weiter als Schafe, die man zur Schlachtbank führte.
 

»Warte«, entfuhr es Law aus einem Reflex heraus. Er hatte die Stimme nicht einmal wirklich gehoben, doch der dunkle, feste Klang hallte weithin hörbar durch den Raum. Doflamingo hielt inne. Alle starrten ihn jetzt an, die anwesenden Gäste und Offiziere, selbst Viola und Tesoro. Während Dellinger ihn offenbar mit Blicken erdolchen wollte, hatte Rebecca ihm das tränennasse Gesicht hoffnungsvoll zugewandt.
 

Sie erkannte ihn wohl nicht sofort, da sie vor zehn Jahren vermutlich noch viel zu klein gewesen war, um sich an jedes Detail der schrecklichen Machtübernahme Doflamingos zu erinnern. Sie war kurz vor ihrem Bruder stehen geblieben, das Messer noch immer gefährlich nah an der Kehle des jungen Riku Erben. Ihre Unterlippe zitterte und war durch Dellingers Ohrfeige aufgeplatzt, doch sie hielt sich ausgesprochen wacker und den Kopf trotz allem aufrecht.
 

Joker neigte den Kopf ein wenig, sichtlich irritiert über die Unterbrechung. Doch er respektierte Law und sein Urteil, weswegen er ihn jetzt abwartend anblickte und ihn sprechen ließ.
 

Law mahnte sich zur Ruhe, stand auf und zog seine Anzugjacke zurecht.

Schadensbegrenzung. Er musste zumindest versuchen, Schadensbegrenzung zu betreiben.
 

Er schob eine Hand teilnahmslos in seine Hosentasche, in der anderen hielt er noch immer sein Glas. Als hätte er alle Zeit der Welt, schlenderte er auf Joker zu und beachtete die beiden Riku Erben nicht, obwohl ihm Riku Shins hasserfüllter Blick wie eine brennende Berührung im Nacken folgte. »Mach' sie nicht zu Märtyrern. Wenn du sie jetzt tötest, wäre das zwar unterhaltsam und ihre Leute ohne Anführer, aber die werden garantiert Rache fordern. Du kennst ihre strengen Traditionen und den unauslöschlichen Willen nach Vergeltung. Das wird nur unnötig lästig und wir müssen uns ständig mit irgendwelchen Attentaten herumschlagen...«
 

Dellinger zischte spöttisch: »Na und wenn schon... hast du etwa Schiss vor denen, Law?! Ich würde die allesamt blind und mit nur einem Arm fertig machen!«
 

»Dellinger, halt den Mund«, forderte Doflamingo ruhig. Der junge Attentäter verstummte sofort, zeigte Law aber seine unangenehm scharfen Zähne. Nachdenklich legte Joker den Kopf schief und strich mit einer Hand durch die pinken Federn seines Mantels, dann fragte er Law: »Was schlägst du stattdessen vor?«
 

Law musterte die beiden Riku Erben jetzt kalkulierend mit leblosen Augen. Gelangweilt nippte er an dem Glas in seiner Hand, bevor er Joker riet: »Sie sind idealistische Kinder, verbissen, aber ehrenhaft und tödlich loyal. Mach' ihnen deutlich klar, dass für jede ihrer Verfehlungen jemand aus ihrem Gefolge stirbt. Sie werden leben, aber für jeden Fehltritt, für jeden dummen Versuch, dir zu schaden, werden Menschen leiden und sterben, die sie lieben. Sie werden wohl kaum die Last so vieler Tode schultern wollen...«
 

Bei seinen letzten Worten drehte sich Law den beiden Gefangenen zu, er sah sie eindringlich an und appellierte stumm an die Vernunft und den hoffentlich vorhandenen Verstand in ihnen. Sie würden die Chance bekommen, zu verschwinden und diese Sache ruhen zu lassen, vielleicht unbefriedigt und hasserfüllt, aber... zumindest würden sie leben.
 

Rebecca war merklich erschüttert, doch sie schien zumindest ihre begrenzten Möglichkeiten zu überdenken und warf ihrem Bruder einen flackernden, unsicheren Blick zu. Riku Shin war bleich vor Zorn und starrte Law an wie den leibhaftigen Teufel persönlich. »Oni«, zischte er abfällig und warf ihm eine düstere Prophezeiung entgegen: »Deine Seele ist verdammt.« Das ist sie schon lange...
 

Er begriff nicht, welche Chance Law ihnen bot - und das schon wieder. Er hätte diesen verbohrten Idioten vielleicht wirklich schon in der Ramenküche töten sollen, dann hätte er zumindest nicht die Gelegenheit erhalten, seine Schwester auch noch in diesen aussichtslosen Rachefeldzug hineinzuziehen...
 

»Das klingt ganz wunderbar!« Law wäre fast zusammengezuckt, als Tesoro knapp hinter ihm erschien und freudig in die Hände klatschte. »Lasst uns sofort damit anfangen. Ihr sagtet, sie hätten noch Männer bei sich gehabt?«, fragte er eifrig an Pika und Gladius gewandt, die das bestätigten. »Holt sie her.« Nach der stillen Erlaubnis durch Jokers Nicken machten die beiden Offiziere sich davon und führten die restlichen, gefesselten fünf Männer des Infiltrationsteams herein.
 

Währenddessen wurden Rebecca und Riku Shin wie lästige Möbelstücke beiseite geschoben. Obwohl sich die beiden mit dem beeindruckenden Mut der Verzweiflung wehrten, hatten sie gegen Diamante und Dellinger nicht den Hauch einer Chance. Während Diamante den widerspenstigen Shin auf die Knie nieder zwang, stieß Dellinger Rebecca zu Boden und zerrte an ihrem dicken Zopf, sodass sie den Blick heben und dem folgenden Geschehen unweigerlich zusehen musste.
 

Law erlag der bösen Vorahnung, dass ihm die Sache aus den Händen entglitt, als Pika die fünf Männer nun vor Joker aufreihte, die sich allesamt mit gehetzten Augen umsahen. Regungslos musste er dabei zusehen, wie Gladius seinem Herrn eine längliche Schatulle aus edlem Kirschholz brachte und diese öffnete. Darin lag ein antiker und länglicher Revolver mit Holzgriff und goldenen Metallelementen - Jokers persönliches Erbstück... und die Waffe, mit der Corazon erschossen wurde.
 

Laws Herzschlag holperte erschrocken. Nein. Nein nein nein nein... Das Wort rotierte wie ein Mantra in seinem Kopf, während das Eis seiner mentalen Barrieren für einen Augenblick bröckelte. Glücklicherweise waren alle viel zu fixiert auf das nahende Spektakel, um zu bemerken, dass er das Glas in seiner Hand mit spitz hervorstechenden Knöcheln umklammerte.
 

Doflamingo nahm den Revolver behutsam aus der Schatulle und wog ihn nachdenklich in den Fingern. Viola neben ihm beäugte das Ding mit geweiteten Augen wie eine giftige Spinne. »Zur Feier des Tages... möchtest du die Ehre wahrnehmen?«, bot Joker dann Tesoro großmütig an, indem er seinem Gast die Waffe auf dem Handteller präsentierte... als würde es hier nur darum gehen, die Festtagstorte anzuschneiden.
 

Tesoros Hand schwebte fast ehrfürchtig über der Schusswaffe, seine Miene spiegelte gespannte Erwartung. Doch er schloss die Finger über dem Revolver, ohne ihn zu berühren und blickte dann über die Schulter zu Law, der sich plötzlich wie ein Reh im Scheinwerferlicht fühlte. »Hm, ich danke für dein Angebot, Joker, aber... ich würde viel lieber eine Vorführung von Trafalgar Laws Talenten sehen...«, schlug der Hotelmagnat stattdessen vor und Law hatte augenblicklich Mühe, seine Gesichtszüge am entgleisen zu hindern.
 

»Aber natürlich, gern«, gewährte Joker mit einem würdevollen Nicken und wies mit einer einladenden Geste auf die fünf aufgereihten Männer, die Law jetzt mit vor Angst dunklen Augen anstarrten. »Law ist ein wahrer Künstler. Ein Chirurg des Todes. Es wird dir gefallen.« Während Dellinger im Hintergrund ein kaum hörbares, geringschätziges Schnauben ausstieß, gab einer der fünf Männer - ein jüngerer Kerl - ein leises Wimmern von sich und verlor die Kontrolle über seine Blase. Die umstehenden Partygäste kicherten gehässig.
 

Tesoro kam nun geschmeidig zu Law herüber wie ein Raubtier auf der Pirsch, nahm ihm das Glas entgegenkommend aus der Hand und strich dabei wie beiläufig über seine Finger, dann ließ er sich neben Joker auf die Couch fallen.
 

»Bitte, fang an, Law«, befahl Doflamingo.
 

Law wurde eiskalt. Sein Herz wummerte unangenehm heftig in seiner Brust und er fühlte sich wie eine Maus in der Falle, hilflos, aussichtslos. Er musste seine Rolle weiter spielen. Er konnte nicht entkommen... und wandte sich den fünf verdammten Männern des Riku-Gefolges widerwillig zu.
 

Er zog sich tief in sich selbst zurück, schloss seine Emotionen und Gedanken so fest in sich ein, dass er sich mental davon trennen und von sich selbst abgrenzen konnte, um wieder zu dem Dämon zu werden, den alle hier erwarten würden. Der er einst gewesen war... und immer noch sein musste. Nur noch ein bisschen...
 

Rebecca keuchte erstickt auf, als Law eine Hand ausstreckte und der Älteste ihrer Untergebenen in die Höhe gerissen wurde. Es wurde totenstill im Raum... bis der Mann anfing zu schreien, als Laws Augen in goldenem Licht brannten, weil dessen Kraft wie eine Chirurgenklinge durch seinen Körper fuhr und ihn Stück für Stück in seine Einzelteile zerlegte. Blut regnete in dicken Tropfen herab auf den blankpolierten Boden, in dem sich Riku Shins jetzt totenbleiches Gesicht spiegelte, während er das Geschehen fassungslos verfolgen musste.
 

Der junge Mann aus dem Riku-Gefolge, der sich vorhin schon in die Hose gemacht hatte, erbrach sich vor seine eigenen Füße. Ein anderer verlor das Bewusstsein. Rebecca weinte vor Entsetzen und stillem Grauen, während Dellinger ihren Kopf weiter mit einem manischen Grinsen gepackt hielt und sie zwang, alles mit anzusehen.
 

Joker zog Viola in seinen Arm, die wie eine leblose Puppe gegen seine Schulter kippte, die blutleeren Lippen fest aufeinander gepresst. Er neigte sich leicht zu Gildo Tesoro hinüber, dessen blaue Augen gebannt und mit pervertierter Erregung an Laws Gestalt hingen. »Und... ich habe doch nicht zu viel versprochen, oder?«, fragte der Kartellkönig seinen Gast mit einem breiten Grinsen.
 

»Oh... in der Tat nicht... das ist unglaublich«, wisperte Tesoro angetan und wischte sich beiläufig einen Blutspritzer aus dem Gesicht, der auf seiner Wange gelandet war. Die Stimme des gefolterten Mannes schraubte sich jetzt in eine beinahe unmenschliche Höhe, bevor sie in einem blutigen Gurgeln erstarb. »That's Entertainment!«

Abgrund

12.12.2069, 00.09 Uhr, Tokio
 

»Mister Phoenix. Wachen Sie auf.«
 

Die künstliche Stimme sickerte nur langsam in Marcos müdes Hirn und er rollte sich mit einem unwilligen Brummen auf den Rücken, während er blinzelnd ein Auge öffnete und schemenhaft erkannte, dass Haruta vor seinem Bett stand. Inzwischen hatte wieder Regen eingesetzt und bunt verwaschene Schlieren tanzten an der Schlafzimmerdecke seiner Wohnung, da die Scheinwerferlichter eines Partyevents Ikebukuro erhellten und durch die große Fensterfront herein strahlten. Die Digitalanzeige an der Wand verkündete, dass es kurz nach Mitternacht war.
 

Marco stöhnte entnervt. Die KI musste eindeutig einen technischen Defekt haben. »... schalt' dich ab, ich hab' den nächsten Termin erst um acht Uhr«, murrte er verschlafen und drehte sich wieder auf die Seite. »Sabo muss dich unbedingt mal richtig durchchecken...«
 

Aber Haruta ließ sich davon gar nicht beeindrucken. »Trafalgar Law ist eben im Tower eingetroffen. Es scheint ihm nicht gut zu gehen«, teilte die KI erschreckend nüchtern mit.
 

Die Worte hatten auf Marco die effiziente Wirkung eines über ihm ausgekippten Eiswasserkübels. »Was?!« Mit einem Mal war er hellwach und setzte sich ruckartig auf. Irritiert wischte er sich über die Augen, fuhr sich dann durch die vom Schlaf wirren Haare. »Was fehlt ihm? Wo ist er?«, verlangte er überhastet zu wissen, während er die Decke beiseite schlug. Schon war er aus dem Bett gesprungen und warf sich rasch ein weites Shirt über, bevor er in eine lockere Jogahose schlüpfte.
 

Haruta beobachtete ihn aufmerksam. »Er ist in seinem Gästezimmer, er... hm«, die KI schien nach Worten zu suchen, »sieht schlecht aus und seine Vitalwerte spielen ziemlich verrückt. Ich glaube, er könnte Sie brauchen, Sir.« Harutas große, projizierte Augen spiegelten tatsächlich so etwas wie Besorgnis, was nicht gerade zu Marcos Beruhigung beitrug.
 

Er war schon auf dem Weg durch das Penthouse zum Aufzug, kaum dass die KI mit einem Flackern verschwunden war. Marco malte sich bereits die schlimmsten Dinge in seinem Hirn aus, als er herrisch auf den Knopf im Lift einhämmerte und die viel zu langsam schließenden Türen verfluchte. Wurde Law in eine Schießerei verwickelt...? Marco lief unruhig in dem Aufzug auf und ab, während er seine Gedanken zu sortieren suchte. Beruhig' dich, rief er sich selbst zur Ordnung. Wenn er ernsthaft verletzt wäre, hätte Haruta sicher statt dir Makino kontaktiert.
 

Er sollte wahrlich nicht so angespannt sein und trotzdem konnte er nicht verhindern, dass eine ungewohnte Rastlosigkeit sein Herz in Aufruhr versetzte. Obwohl sie sich wirklich noch nicht lange kannten, sorgte sich Marco doch um Law und fühlte sich ihm auf eine unerklärliche Weise verbunden.
 

Auf der einen Seite spürte er einfach, dass der junge Mann ein wenig Freundlichkeit gebrauchen konnte und auf der anderen Seite... war er unbestreitbar fasziniert von Law. So recht konnte er einfach keinen Abstand zu dem verschlossenen, jungen Mann halten, obwohl der ja eigentlich alles dafür tat, dass Marco eben nicht zu nah kam.
 

Die Lifttüren glitten geräuschlos auf und Marco betrat den Aufenthaltsraum der Gästeetage, wo nur der Zimmerbrunnen ein träges Plätschern verbreitete. Durch die Bewegungsmelder aktivierte sich die unaufdringliche Beleuchtung durch indirekte Deckenspots, während Marco die Distanz zu Laws Zimmer rasch überwand.
 

Seine Schritte hinterließen kaum einen Laut auf dem Boden, da er in der Eile seine Schuhe völlig vergessen hatte und nun barfuß über das angewärmte Zedernholz lief. Unter seinen Fußsohlen spürte er ein dumpfes Vibrieren, als würde ein tiefer Ton die Fundamente des Gebäudes zum Klingen bringen - vermutlich der Bass der Party, die ein paar Straßen weiter stattfand.
 

Marco klopfte ruhig, aber nachdrücklich an Laws Zimmertür, doch nur Stille antwortete ihm. Von drinnen war kein Laut zu hören. Harutas Projektion tauchte wieder neben ihm auf. »Er ist noch im Raum«, informierte ihn die KI.
 

»Entsperr' das Schloss«, befahl Marco. Es widerstrebte zwar sämtlichen seiner Moralvorstellungen, die Privatsphäre eines anderen nicht zu respektieren, doch in diesem Fall blieb ihm wohl keine Wahl. Lieber riskierte er Laws Missbilligung, als die Möglichkeit, dass der junge Mann womöglich bewusstlos und verletzt in dem Zimmer lag. Es klickte und Marco betrat mit einem mulmigen Gefühl den dunklen Raum.
 

Kein Licht brannte und Law war auf den ersten Blick nirgendwo zu sehen. Der Regen trommelte in wütenden Tropfen gegen die Fensterscheibe und schwenkendes Scheinwerferlicht glitt am Tower vorbei, wodurch ein blasser Streifen künstlichen Lichtes über die Einrichtung huschte.
 

Marcos kybernetische Brillengläser schnappten automatisch über seinen Augen zusammen und aktivierten die Nachtsicht. Er erspähte jetzt eine achtlos hingeworfene Anzugjacke auf dem ungenutzten Bett und wahrscheinlich hektisch abgestreifte, schwarze Schuhe, die unordentlich auf dem Boden lagen - eine Achtlosigkeit, die gar nicht zu dem sonst so aufgeräumten Law passen wollte.
 

Ebenfalls auf dem Boden lag die Tüte einer 24-Stunden-Apotheke, daneben eine geöffnete Tablettenschachtel, die Marco kurz aufhob und kritisch studierte. Kopfschmerztabletten von der stärksten Sorte... und eine ganze Handvoll des Medikaments aus dem Päckchen war verschwunden, was er mit einem düsteren Stirnrunzeln zur Kenntnis nahm.
 

Und dann spürte Marco es wieder... dieses dröhnende Pulsieren, eine machtvolle Woge, die über ihn rollte und auf seine Sinne drückte, die in seinen Knochen und seiner mentalen Barriere gleichzeitig widerhallte. Der Ursprung schien im Badezimmer zu liegen, von wo er über dem Rauschen des Regens jetzt den Klang von laufendem Wasser vernahm.
 

»Law...?« Vorsichtig schob er die nur angelehnte Badezimmertür auf, wodurch ihm sofort ein Schwall kalter, nasser Luft entgegen schlug, darunter das bereits verwaschene scharf-säuerliche Aroma von Erbrochenem. Marco tastete schon nach dem Lichtschalter, hielt jedoch schon im nächsten Moment inne.
 

Law saß barfuß, in einem weißen, halb geöffneten Hemd, einer dunklen Anzughose und inzwischen völlig durchnässt auf dem Boden der Dusche, mit der Schulter an die gläserne Trennwand gelehnt. Das Wasser prasselte auf ihn herab, lief über sein schockierend blasses Gesicht, von dem sich sein schwarzer Kinnbart und die dunklen Koteletten so kontrastreich abhoben, als hätte sie ein Maler auf eine weiße Leinwand gepinselt.
 

Er hatte den Kopf nach hinten an die Wand gelehnt und die Augen geschlossen, unter denen dichte Schatten waberten. Seine schlanken Hände hingen leblos über seinen angezogenen Knien. Er reagierte nicht auf Marcos Eintreten und im ersten Moment war kaum erkennbar, ob er bewusstlos oder nur zu Tode erschöpft war.
 

Sorge und der Hauch von Furcht überrollten Marco wie eine brachiale Welle. Aber nicht nur wegen Laws erschreckend desolatem Anblick, denn... der junge Mann saß im Zentrum eines kinetischen Malstromes, der die unterdrückte Macht einer Explosion zu haben schien. Marcos mentaler Schild vibrierte unter dem unaufhörlichen Donnern, das gegen seine geistige Barriere brandete wie die wütende See gegen eine einsame Klippe.
 

Die Regeln der Physik schienen im Badezimmer nicht mehr zu gelten - das Wasser der Dusche floss nach dem nächsten Wimpernschlag nach oben und sammelte sich in einer silbern schimmernden Pfütze an der Decke, bevor es einem wütenden Bienenschwarm gleich in einem kreisenden Strudel um Laws reglose Gestalt tobte. Die LEDs des Badezimmerspiegels zerplatzten unter der nächsten Machtwoge, die Marco selbst sämtliche Härchen am Körper aufstellte und deren Epizentrum eindeutig der junge Mann auf dem Boden der Dusche war.
 

Marco ließ den Lichtschalter unberührt, denn Law hatte sich sicherlich nicht umsonst hier in die Dunkelheit zurückgezogen. »Haruta, schalte die indirekte Beleuchtung im Zimmer an.« Der dezente Lichtschein fiel durch den Türspalt und erhellte das Badezimmer zumindest ein wenig.
 

Marco betrat nun selbst die ebenerdige Dusche, wobei er sich gegen die massive Wand aus kinetischer Energie stemmte, die wie Ozon auf seiner Zunge prickelte und seine Ohren knacken ließ. Im nächsten Moment wäre er fast zurückgeschreckt... denn das Wasser war auf eiskalt eingestellt.
 

»Verflucht, Law...«, knurrte er geschockt, als er vor dem jungen Mann auf die Knie ging und vorsichtig nach einer der schlanken, tätowierten Hände griff. Laws Finger waren furchtbar kalt, aber Marco erspürte zumindest einen hektischen Puls am Handgelenk. Er wollte gar nicht so genau darüber nachdenken, was es mit ihm gemacht hätte, wenn das Gegenteil der Fall gewesen wäre...
 

Er rutschte näher an den jungen Mann heran und berührte Law sachte am Oberarm, um sich ihm bemerkbar zu machen, da er immer noch nicht wirklich sicher war, ob er überhaupt etwas wahrnahm. Es war erschreckend, wie eiskalt und klamm sich Laws Haut selbst durch den durchnässten Stoff hinweg anfühlte.
 

»Law... ich bin's, Marco. Kannst du mich hören? Sag' mir, was los ist. Wie kann ich dir helfen?«, sprach er den jungen Mann an, dabei ignorierte er das wütend um ihn kreisende Wasser, das seine eigenen Sachen innerhalb von Sekunden ebenfalls durchweicht hatte und langte mit einer Hand nach oben, um die Dusche abzustellen. Law zitterte am ganzen Leib, Wasser perlte von seiner bebenden Unterlippe, als er jetzt mühsam die Lider hob und Marco mit trüben Augen anblinzelte.
 

In Laws Kopf herrschte Krieg. Zumindest empfand er es, als würde sein Hirn von einem wütenden Gott als Schmiedeamboss benutzt. Der Schmerz drückte gegen seine Schädeldecke und seine Schläfen fühlten sich an, als würden sie mit glühenden Schürhaken bearbeitet. Die Haut spannte über seinen Knochen. Flirrende Punkte tanzten vor seinen Augen, als er seinen Blick zu fokussieren suchte und den Mann vor sich langsam erkannte.
 

Marco… Also war es doch kein Traum oder peingetriebene Wahnvorstellung gewesen, als er diese sanftmütige Präsenz am Rande seines Bewusstseins wahrgenommen hatte. Allein die angenehme Stimme des Konzerners, seine leichte Berührung war wie ein warmes Licht im tiefen Dunkel seiner Selbst, in diesem Abgrund seines Geistes, der ihn zu verschlingen drohte, seit er aus dem Donquixote-Anwesen aufgebrochen war.
 

Law wusste kaum noch, wie er den Weg zum Newgate-Tower überhaupt hinter sich gebracht hatte, er erinnerte sich nicht an viel mehr als Bilderfetzen, aber unbewusst hatte es ihn hierher zurückgetrieben, denn die traurige Wahrheit war... er hätte nicht gewusst, wo er sonst auch hin sollte.
 

Seine eigene Wohnung war ihm ohne Lamy viel zu leer erschienen und der Schmerz in seinem Kopf war bald so erdrückend und furchtbar geworden, dass er einfach nur an einen sicheren, ruhigen Ort gewollt hatte. Der Newgate-Tower war zwar nicht sein Heim, aber in den letzten Tagen doch irgendwie zu einer Zuflucht für Law geworden.
 

Hier war man ihm fast immer offen und freundlich begegnet und… ein winziger, selbstsüchtiger Teil in ihm hatte sicher auch gehofft, dem hilfsbereiten Konzerner doch wieder über den Weg zu laufen. Law hätte niemals darum gebeten, aber... inzwischen wäre er doch dankbar für die Möglichkeit auf Hilfe gewesen, die er vor gar nicht all zu langer Zeit von Marco noch so vehement abgeschmettert hatte.
 

Normalerweise waren seine Kopfschmerzen immer durch Tabletten, ein bisschen Ruhe, Kälte und Dunkelheit in den Griff zu bekommen... doch nicht dieses Mal. Diesmal wuchs und wuchs dieses Dröhnen in seinem Schädel immer mehr an und er schaffte es nicht mehr, seine wütende Magie zu beherrschen. Es fühlte sich an, als wäre etwas in seinem Schädel, in seinem Verstand gerissen und nun brach die Telekinese wie eine unendlich sprudelnde Quelle hervor.
 

Law verspürte selten Angst, jetzt aber tat er es, denn nicht mehr Herr über sich selbst zu sein, die Kontrolle zu verlieren, war mit das Schlimmste, was er sich vorstellen konnte. Er hasste es, sich so hilflos zu fühlen, so machtlos zu sein.
 

»Es sind die Kopfschmerzen, oder?« Marco kniete vor Law, halb über ihn gebeugt, als wollte er ihn instinktiv vor dem herumwirbelnden Wasser abschirmen. Der Konzerner war wahrscheinlich inzwischen genauso bis auf die Knochen durchnässt wie Law selbst, doch das schien ihn wenig zu kümmern. Seine blonden Haare hingen ihm triefend in die Stirn und das Wasser kroch in einer silbernen Spur über seine markante Kieferlinie und tropfte von seinem stoppeligen Kinn. In den leuchtend blauen Augen lag echte, tiefe Sorge.
 

Law brachte zumindest ein halbherziges Nicken zustande, was ihn aber sofort mit Schmerz bestrafte und zischend die Luft einziehen ließ. Sein Hinterkopf drückte sich gegen die kalte Fliesenwand, als sich seine Finger verkrampften und sein Magen erneut rebellierte. Ein Schleier aus grellem Rot und Weiß trübte seine Sicht ein und inzwischen schmerzte sogar sein Kiefer, da er die Zähne so heftig aufeinander presste.
 

»Lass' mich versuchen, dir zu helfen, Law... Aber dafür musst du mich in deinen Kopf lassen, verstehst du?«, sprach der Konzerner die unumstößliche Tatsache aus.
 

Marcos warme, große Hände umschlossen Laws Gesicht vorsichtig und lenkten seinen unsteten Blick auf die ernsten Augen des Konzerners, die seine angespannten Züge analysierend abtasteten. Ohne seine ausdrückliche Zustimmung würde Marco vermutlich nur im äußersten Notfall in seinen Geist eindringen, alles andere lag sicherlich fern ab seiner idealistischen Überzeugungen.
 

Die sanfte Berührung war ein Schock und eine Wohltat zugleich, denn sie machte Law erschreckend deutlich, dass auch er trotz allem, was hinter ihm lag und was er getan hatte... noch immer ein Mensch war und allzu menschliche Bedürfnisse hatte, die sich zwar unterdrücken und zurückstellen, doch niemals gänzlich verleugnen ließen.
 

In den hellen, goldumrandeten Iriden des Blonden lag etwas, was Law schwer einordnen konnte, doch unter diesem intensiven Blick fühlte er sich seit langer Zeit wieder einmal... geborgen. Sicher. Marco sah ihn an, als wäre es ihm wirklich nicht egal, was mit ihm passierte und als wäre er ihm tatsächlich nicht gleichgültig. Warum nur handelst du immer so irrational? Warum bemühst du dich so um mich?
 

Es war fast unerträglich für Law, auf Hilfe angewiesen zu sein, aber so dumm oder leichtsinnig, seinen kritischen Zustand zu leugnen oder zu relativieren, war er auch nicht. Er brauchte Hilfe, das sah er inzwischen selbst ein... und dann lieber von Marco Phoenix, als von irgendjemand anders.
 

Verfluchte Scheiße... »... tu' es«, krächzte Law mit einer Stimme, rau wie aufgeworfenes Eisen. Seine Kehle brannte noch immer, da er sich vorhin durch die Schmerzen hatte heftig übergeben müssen. Er wollte gar nicht wissen, welches furchtbare Bild er gerade abgeben musste.
 

Er grub die Finger in Marcos Unterarme, als er sich mit einem tiefen Atemzug für die geistige Verbindung wappnete und seine mentalen Barrieren widerstrebend senkte. Selten hatte er sich so ausgeliefert und entblößt gefühlt und das Ganze war für ihn schlichtweg nur zu ertragen, weil der aufrichtige Konzerner ihm selbst seine dunkelsten Geheimnisse anvertraut hatte... weil Marco Phoenix ihm irgendwie unter die Haut ging und ihn nicht mehr loslassen wollte.
 

Marco erfasste eine riesige Erleichterung, dass Law ihm tatsächlich die Einwilligung gab und seine Hilfe akzeptieren wollte. Denn seiner Einschätzung nach geschah es in etwa so häufig wie eine Planetenkonvergenz, dass der junge Mann überhaupt jemanden an sich heran, geschweige denn in seinen Kopf ließ.
 

Er schloss die Augen nach einem konzentrierten Atemzug und sandte seine Magie aus, während er Laws Gesicht weiterhin sanft umschlossen hielt und ihm Zeige- sowie Mittelfinger an die Schläfen legte. Obwohl Law seine mentalen Abwehrmechanismen - feste, kalte Mauern aus Eis - gesenkt hatte, musste Marco trotzdem gegen einen Widerstand wie eine zähe Membrane ankämpfen, so als würde Laws scheinbar überschäumende Kraft ihn zurückdrängen und heraushalten wollen.
 

Der Verstand des jungen Mannes war glasklar und perfekt strukturiert - was bei einem strikten und kontrollierten Menschen wie Law vermutlich auch kein Wunder war. Doch die Verbindungen seines Geistes bebten und vibrierten wie das Netz einer Spinne, als würde sich etwas Riesiges und Gewaltiges im Zentrum von Laws Verstand bewegen. Marco folgte diesem lautlosen Pulsieren tiefer in den Geist des jungen Mannes hinein und stieß auf die Quelle seiner Magie.
 

Eigentlich hatte Marco mit einer mentalen Blockade in Laws Geist gerechnet - möglicherweise hervorgerufen durch ein altes Trauma, einen Schock oder eine Phobie - aufgeworfene, rissige Verbindungen, die den Fluss der Energie stören und unter Umständen auch körperliche Schmerzen projizieren konnten. Mit so etwas kannte er sich aus, denn damit hatte er häufiger zu tun und wusste, wie man das behandeln konnte.
 

Aber was er in Laws Kopf stattdessen fand, überstieg all seine kühnsten Erwartungen und ließ ihn atemlos in einer Mischung aus Schock und Faszination erstarren. Heilige...- was ist das?!
 

Jeder MAG hatte eine Quelle seiner Magie - eine Art Brunnen, von der er seine Kräfte abschöpfen konnte, mal mehr und mal weniger tief, ganz abhängig von dem Rang des magisch Begabten. Rang A MAGs hatten die mit Abstand tiefsten und ergiebigsten Quellen, konnten die mächtigste Magie wirken, brauchten dafür aber auch dementsprechend lang, um ihre Kräfte wieder vollständig zu regenerieren.
 

Doch Laws Brunnen... war ein schwarz-golden kreisender Abgrund, ein knisternder Strudel der Macht, bodenlos und schier unendlich. Wenn er einen Grund hatte, dann war der jedoch nicht zu sehen. Selbst Marcos Magie schreckte vor diesem klaffenden Schlund zurück, als sei der ein lauerndes, zusammengerolltes Ungeheuer, was nur auf den richtigen Moment zum Angriff wartete.
 

Über Laws Machtquelle lag eine Art Bannzauber. Marco hatte so etwas noch nie gesehen, er hatte nicht einmal gewusst, dass es überhaupt möglich war und selbst wenn, wäre es vermutlich hochgradig illegal gewesen, solch eine mentale Sperre in einem Geist anzubringen und den MAG damit künstlich zu beschränken.
 

Der durchsichtig schimmernde Bann lag wie eine gewölbte Abdeckung auf dem Magiebrunnen und wie der pfeifende Deckel eines Teekessels schien er kurz vor der Explosion zu stehen. Rund um das eigentlich lächerlich winzig erscheinende Loch, das man wohl gelassen hatte, um Law zumindest einen geringen Zugriff auf seine Kräfte zu gewähren, schossen Fontänen aus Energie empor.
 

Die Ränder umher waren aufgefasert und bogen sich langsam, aber beständig unter dem Druck zurück. Nicht mehr lang und die Beschränkung würde vermutlich anfangen zu reißen und die Magie damit in einem gewaltigen Ausbruch freisetzen. Der Bann schien alt, vermutlich war es ein Wunder, dass er überhaupt so lang gehalten hatte...
 

Marco begann zu schwitzen und seine Gedanken rasten. Er hatte nicht damit gerechnet, eine tickende Zeitbombe in Laws Geist vorzufinden und er konnte nur Vermutungen anstellen, welche Folgen es hätte, wenn dieser Bannzauber mit einem Mal brach... Law hatte seine Magie jetzt schon kaum noch unter Kontrolle, eine ungebremste Entladung wäre wahrscheinlich katastrophal.
 

Er würde improvisieren müssen und Marco betete, dass es funktionierte, denn seine eigenen Kräfte hatte er selbst noch nie so eingesetzt, wie er es jetzt vorhatte... er verwob Teile seiner eigenen Magie mit dem brüchigen Bannzauber und reparierte damit die ausgefransten und gerissenen Stellen, dann kreierte er einen mentalen Schild, um diesen provisorisch über die Sperre zu werfen und diese damit zu stützen und zu stabilisieren. Stück um Stück drängte er die wütende Magie zurück, besänftigte sie mit den Ausläufern seiner Kräfte, bis sich der tobende Abgrund tatsächlich zu beruhigen schien und wie ein satt und zufrieden schnurrender Panther in seinen Bau zurückzog...
 

Marco trennte die Verbindung zu Laws Geist mit einem Keuchen und blickte in die verblüfft geweiteten Augen des jungen Mannes, der ihn regungslos anstarrte. Das Wasser umher war erstarrt und schwebte noch einen Herzschlag lang in der Luft, bevor es in einem nassen Platschen zu Boden fiel. Die darauffolgende Stille war beinahe unheimlich und Marcos eigener, beschleunigter Atem hallte in seinen Ohren nach.
 

Noch immer hielt er Laws blasses Gesicht umfangen. Vermutlich hätte er den jungen Mann längst wieder loslassen sollen, doch ein ungewohnt selbstsüchtiger Teil von Marco genoss diesen fragilen Moment, diese sich ausdehnenden Sekunden, in denen sein Daumen kaum spürbar über Laws Wange strich, knapp unter dem Wangenknochen und diesen verteufelt faszinierenden Augen, die ihn nicht mehr loslassen wollten und um die sich die Schatten jetzt ein wenig lichteten.
 

»Alles in Ordnung...?«, fragte Marco rau und ein wenig atemlos. Was er eben getan hatte, hatte ihn mehr gefordert, als erwartet. »Wie geht es dir?«
 

Law blinzelte. Dann schluckte er mühsam und versuchte wieder ein Gefühl für seinen Körper zu erlangen. Mit einem Mal war alles so... ruhig. Der Schmerz war wie weggeblasen, sein Kopf völlig klar. Dafür spürte er jetzt andere Dinge überdeutlich - die Kälte und die klammen, nassen Sachen, die er trug, dieses sanfte Streifen auf seiner Haut und die warme Berührung von Marcos Händen.
 

»Besser«, gestand er ehrlich. Er konnte den Blick kaum von diesen immer noch viel zu besorgt aussehenden, blauen Augen abwenden und obwohl ein Teil von ihm sich dagegen wehrte, entzog er sich beiläufig den Händen des Konzerners, denn da war plötzlich ein tiefes Sehnen in ihm nach mehr Nähe... ein Verlangen nach Marco Phoenix, das er definitiv nicht auf diese Weise haben sollte.
 

»Der Schmerz ist weg«, erklärte er fast ungläubig, vorsichtig, als traute er dem Frieden nicht gänzlich. Er ließ seinen Blick kurz schweifen, um das Ausmaß seines Kontrollverlustes abzuschätzen, bevor er Marco wieder fragend ansah. »Wie... was hast du gemacht?«
 

Marco stemmte sich in die Höhe. Er streckte Law seine Hand anbietend entgegen und trotz seiner eigentlichen Erwartung, ergriff der sie und ließ sich von ihm auf die Füße helfen. Dankbar nickte er dem Konzerner zu.
 

»Lass' uns das später besprechen. Du solltest dringend aus diesen nassen Klamotten raus, du holst dir sonst noch den Tod...«, bemerkte Marco sachlich, bevor der sich abwandte und aus der Dusche stieg.
 

Marco warf Law eines der Handtücher zu, dann trocknete er sich selbst die Haare notdürftig und lief in das Zimmer hinüber, während er die KI kontaktierte: »Haruta, setz' den Reparaturservice für heute noch auf die Liste und eine Reinigung des Badezimmers.«
 

»Wie Sie wünschen, Sir.«
 

»Verzeih' die Umstände...«, murmelte Law ungewöhnlich betreten, der hinter Marco langsam aus dem Badezimmer kam und sich die feuchten Haare aus der Stirn schob. »Ich werde für den Schaden aufkommen,« versprach er und wich fast verunsichert Marcos Blick aus, um sich wieder sortieren zu können.
 

Was da eben passiert war... niemals sofort war Law einem anderen Menschen so nah und auf diese Weise verbunden gewesen, nicht einmal Corazon. Noch immer konnte er den Konzerner spüren, seine Hände, seine Wärme... und diesen Hauch von Marcos sanfter Präsenz in seinem Geist, was sich seltsam intim und aufregend zugleich anfühlte, wie eine substanzlose Berührung, die wohltuend durch seinen aufgeworfenen Verstand strich.
 

»Sei nicht albern und mach' dir mal darüber keine Gedanken. Ein paar kaputte Lampen und ein geflutetes Badezimmer werden mich wohl kaum in den Ruin stürzen«, wiegelte Marco glucksend ab, wobei er nicht verhindern konnte, dass er den jungen Mann abermals musterte... allerdings nicht nur, um seine körperliche Verfassung zu prüfen.
 

Er kam sich selbst schäbig dabei vor, als er bemerkte, dass er Law durchaus anstarrte... und völlig unangebracht in diesem Moment auf dessen Anblick reagierte. Die nasse Kleidung, die Law wie eine zweite Haut am Körper klebte, verbarg nicht wirklich viel und enthüllte sehr deutlich den schlanken, trainierten Körper mit den sehnigen Muskeln und das ganze Spektrum der faszinierenden Tattoos auf Laws Oberkörper unter dem transparenten Stoff.
 

Marco musste sich eingestehen, dass ihm durchaus gefiel, was er sah... und das wirklich nicht nur auf einer rein platonischen oder rationalen Ebene. Der junge Mann war schrecklich attraktiv und wirkte selbst auf Marco unglaublich anziehend, der mit dieser plötzlichen Erkenntnis erst einmal fertig werden musste.
 

Er rief sich zur Ordnung und zwang seinen Blick zurück in unverfänglichere Gefilde... und da half es auch wenig, dass Haruta unschuldig schmunzelnd neben ihm stand und seinen Blick mit zu hundertprozentiger Sicherheit schon analysiert hatte. »Schalt' dich ab«, brummte er die KI an.

»Gute Nacht, Sir«, wünschte der Junge übertrieben freundlich, bevor er verschwand.
 

Law teilte Marcos Sorglosigkeit nur teilweise und fragte sich insgeheim, wie der es so leicht schaffte, zu ignorieren, was eben passiert war und einfach zum Tagesgeschäft übergehen konnte. Er musste sich doch darüber im Klaren sein, dass er sich mit Law eine unberechenbare Komponente ins Haus geholt hatte, das war doch eben mehr als deutlich geworden. Er an seiner Stelle hätte ihn vermutlich möglichst schnell rausgeworfen...
 

Laws Hände zitterten jetzt ziemlich stark, als er sich mit dem Handtuch über den Nacken fuhr und angestrengt zu seiner Tasche hinüber lief, um nach ein paar frischen und vor allem trockenen Klamotten zu suchen. Doch seine steifen, tauben Finger schafften es nicht einmal, den Reißverschluß zu öffnen, was ihn frustriert schnaufen ließ.
 

Marco bemerkte Laws Misere und kurzerhand trat er zu ihm, schwang sich Laws Tasche unter dessen verwirrtem Blick über die Schulter und nickte bestimmend zur Tür. »Du kommst jetzt mit in meine Wohnung. Ich lass' dich in deinem Zustand sicher nicht allein. Ich kann dir ein paar Sachen von mir leihen und du kannst dich aufwärmen. Einen Drink kann ich dir vielleicht nicht anbieten, aber ich mache ganz passablen Kaffee und du schuldest mir eh noch einen, also komm' jetzt bloss nicht auf die Idee, schon wieder abzulehnen«, erklärte er mit einem unbekümmerten Grinsen.
 

Law starrte den Konzerner einen Moment lang so an, als hätte der den Verstand verloren. Er öffnete den Mund, wollte schon ablehnen, sollte ablehnen, denn inzwischen schuldete er Marco wirklich schon viel zu viel und war darüber hinaus zu gern in seiner Nähe.
 

Das alles waren Warnzeichen, die er nicht ignorieren sollte, aber... jetzt allein zu sein, war gerade tatsächlich wenig verlockend und die Aussicht auf eine Tasse heißen Kaffee dagegen verführerisch. Die Einsamkeit, sonst sein stummer Verbündeter, erschien ihm heute wie sein ärgster Feind.
 

»Okay...«, lenkte er mit einem kleinen Nicken ein und Marco hob überrascht eine Braue, als hätte er eigentlich mit mehr Widerstand gerechnet. Doch er ließ es klugerweise unkommentiert, hielt Law die Zimmertür auf und lief mit ihm zum Lift.
 

Auch wenn Law es vermutlich niemals offen zugegeben hätte, heute war eine dieser Nächte, in denen er sich nach Gesellschaft sehnte und das Alleinsein nur schwer ertrug. Seit Lamy im Koma lag, war Marco schleichend zu einem Bezugspunkt für ihn geworden und zu einem Menschen, dem er - entgegen aller Logik - irgendwie vertraute.
 

Die Fahrt im Aufzug über musste Law die ganze Zeit über an sich halten, den Konzerner nicht allzu offensichtlich anzustarren, vor allem, da er sich einbildete, ihn immer noch spüren zu können, was sehr widersprüchliche Gefühle in ihm weckte. Er lehnte sich mit der Schulter an die Liftwand und verschränkte die Arme vor der Brust, um sein Zittern einigermaßen zu unterdrücken und den fadenscheinigen Rest an Wärme festzuhalten.
 

Jetzt, nachdem er wieder halbwegs klar denken konnte, rekapitulierte er die Geschehnisse der letzten Minuten noch einmal und fragte sich natürlich, wie Marco ihn überhaupt hatte finden können. Law spannte sich leicht an. Ließ er ihn etwa überwachen? Das wäre zwar logisch, aber... irgendwie wollte er nicht, dass Marco das Gefühl hatte, er müsste ihm misstrauen.
 

»Woher wusstest du…«, Law räusperte sich, seine Kehle war noch immer angegriffen und der Geschmack in seinem Mund furchtbar, »warum hast du überhaupt nach mir gesehen?«
 

»Haruta«, erwiderte Marco sofort. »Er ist darauf programmiert, auch die Vitalfunktionen und das Befinden der Belegschaft und der Personen im Gebäude zu überwachen, um bei Notfällen schnell eingreifen zu können. Er hat mich gerufen.« Das klang plausibel und Law entspannte sich wieder ein wenig mehr.
 

»Hätte er dann nicht eher die Ärztin kontaktieren sollen…?«, gab Law zu bedenken. Nicht, dass ihm das lieber gewesen wäre, rückwirkend betrachtet war er eigentlich froh, dass Marco ihn gefunden hatte.
 

»Vermutlich schon…«, räumte Marco achselzuckend ein. »Aber vielleicht schien er geahnt zu haben, dass Makino dir nicht wirklich würde helfen können. Ich werde die KI bei Gelegenheit von Sabo nochmal checken lassen. In letzter Zeit scheint er häufiger eigenmächtige Entscheidungen zu treffen«, brummte er drohend in den Raum, weil die künstliche Intelligenz garantiert mithörte.
 

Marco war fast ein wenig nervös, als sie im Penthouse ankamen und er Law jetzt in seine Wohnung führte. Noch war nicht alles komplett ausgeräumt und dementsprechend herrschte nicht die Ordnung und Struktur, die er eigentlich bevorzugte und gewohnt war. Und es war das erste Mal, dass er einen Besucher mit in sein Reich nahm - von Stussys Auftritt einmal abgesehen - und irgendwie wollte er, dass es Law bei ihm gefiel und er sich wohl fühlte.
 

Doch der junge Mann schien sich an den sporadisch noch herumstehenden Kartons gar nicht zu stören. Er sah sich zwar aufmerksam um, doch das wirkte weniger abschätzend als vielmehr auf Laws nüchterne Art analysierend. Marco stellte die Tasche auf der riesigen Wohnlandschaft ab. »Fühl dich bitte wie Zuhause«, gewährte er freundlich und eilte dann ins Schlafzimmer, um ein paar frische Sachen und Handtücher zu holen.
 

Dann zeigte er Law das großzügige Badezimmer und der bemerkte dankbar, dass Marco sogar so umsichtig gewesen war, ihm neben herrlich duftenden Shampoo und Seife sogar eine frische Zahnbürste bereitzustellen. Allein für diese Weitsicht hätte er den Konzerner gerade wirklich umarmen können... natürlich nur im übertragenen Sinne.
 

Als er frisch geduscht, mit geputzten Zähnen und in einen unglaublich weichen, dunklen Morgenmantel gehüllt einige Minuten später aus dem Bad kam, fühlte sich Law schon fast wieder wie ein Mensch. Darunter trug er eine frische Jeans und ein etwas zu großes, aber bequemes Shirt des Konzerners. Marco hatte inzwischen wie versprochen auf traditionelle Weise Kaffee aufgesetzt und das sanfte Gluckern der Maschine und der sich langsam ausbreitende Geruch von frisch gemahlenen Bohnen wirkte durchaus beruhigend.
 

Law nutzte die Zeit, die Marco jetzt im Badezimmer war, um sich genauer umzusehen. Er war sonst eigentlich nicht der neugierige Typ, doch die Wohnung des Konzerners interessierte ihn doch irgendwie… vielleicht auch, weil er noch mehr über Marco Phoenix herausfinden wollte, diesen ungewöhnlichen Mann, der in keine Schublade passen wollte. Für was begeisterte sich ein Mensch, der augenscheinlich alles zu haben schien?
 

Außerdem musste Law seinen Kopf unbedingt mit etwas anderem als den ewigen Gedankenkreisen um die zurückliegenden Stunden beschäftigen, sonst würde er wohl wahnsinnig werden… die Geschehnisse im Donquixote-Anwesen lasteten schwer auf ihm und seinem Gewissen und mit einem Mal war er sehr froh, dass Marco darauf bestanden hatte, dass er mit ihm kam.
 

Aufmerksam studierte Law das Bücherregal, das eine breite Auswahl an klassischen Bestsellern und Lyrik der verschiedensten Genres beinhaltete. Alles war akkurat sortiert und aufgeräumt. Offenbar war Marco Phoenix jemand, der gern noch an traditionellen Dingen festhielt, denn diese riesige Sammlung war eigentlich unnötig, wo es doch jegliches Werk inzwischen digital und wesentlich platzsparender zu erwerben gab.
 

Law fand auch einige Enzyklopädien und Fachbücher über Astronomie und Sternenkunde, was er verwundert, aber positiv überrascht zur Kenntnis nahm. Er hätte den augenscheinlich bodenständigen Marco gar nicht wie jemanden eingeschätzt, der sich mit solch eher abstrakten Themen wie dem Kosmos auseinandersetzen würde.
 

An der Wand neben dem Regal hingen einige gerahmte Zertifikate über diverse betriebswirtschaftliche Lehr- und Studiengänge, daneben ein paar Medaillen und Urkunden, die von Wettkampfschwimmen stammten. Marco hatte so einige erste Plätze in der Vergangenheit verteidigt, doch in den letzten drei Jahren waren keine Preise weiter hinzugekommen. Vielleicht hatte ihn seine Arbeit dann zu sehr eingespannt.
 

Am meisten verblüffte Law dann aber wohl die Virtual Reality-Ausrüstung an dem riesigen Fernseher des Wohnzimmers und die noch original verpackten Sammelfiguren einer Sci-Fi-Spielereihe, die gerade ziemlich angesagt war und bei der man sich online in Raumschlachten messen konnte. Er erinnerte sich, dass Sabo mal darüber gesprochen hatte.
 

Fasziniert glitt Laws Blick über eines der imposanten Raumschiffe in der Plasteverpackung, das in einer beleuchteten Vitrine neben dem großen Monitor stand und nahm vorsichtig die detailreiche Figur eines Space-Soldiers heraus. Insgeheim fand er solche Dinge durchaus unterhaltsam, doch er gönnte sich selten die Zeit für derlei Zerstreuung.
 

Die Tür zum Badezimmer öffnete sich und Marco kam zurück, ein Handtuch um die breiten Schultern geschlungen, mit dem er sich gerade die Haare trocken rieb. Es war ungewohnt den Konzerner in so einfachen Klamotten wie einem T-Shirt und wenig standesgemäßer Trainingshose zu sehen. Allerdings konnte er auch das tragen und sah trotzdem noch… gut aus.
 

Law nickte mit einem winzigen Schmunzeln auf die VR-Ausrüstung und fragte beinahe scherzhaft: »Ist das nicht ein bisschen unpassend für einen Mann wie dich? Solltest du nicht eigentlich in deiner Freizeit mit deiner Yacht durch den Pazifik schippern oder beim Golf mit dem Finanzminister sein?« Er stellte die Figur zurück in die Vitrine, obwohl Marco es nicht zu missbilligen schien, dass er sich umgesehen hatte. Immerhin sollte er sich ja wie Zuhause fühlen.
 

Der Konzerner grinste verschmitzt. »Ich muss dich leider enttäuschen, ich bin furchtbar schlecht beim Golf und habe auch keine Yacht. Aber… ich könnte mir eine kaufen, falls das dein Weltbild beruhigen sollte«, meinte er lachend und warf das Handtuch über die Lehne der Wohnlandschaft. »Allerdings bestehe ich dann darauf, dass du auf der Jungfernfahrt dabei bist.«
 

»Wieso?«, fragte Law leicht amüsiert und blickte zu den vielen Preisen aus den Schwimmwettkämpfen hinüber. »Einen Rettungsschwimmer wirst du wohl kaum brauchen.«
 

Das Grinsen des Konzerners wurde noch eine Spur breiter, fast verwegen und Law fand das irgendwie… ziemlich anziehend. Marco war trotz allem, was ihm widerfahren war, stets so offen und herzlich - das völlige Gegenteil zu ihm, der seine Emotionen meist verschlossen hielt. »Keinen Rettungsschwimmer, aber ich brauche doch jemanden, der mir stilecht mit dem obligatorischen Palmenwedel Luft zufächelt«, erklärte Marco mit einem Zwinkern. »Wenn schon, dann aber richtig dekadent.«
 

Law stieß ein Schnauben aus, was vielleicht einmal zu einem kleinen Lachen hätte werden wollen. Eigentlich lag ihm bereits eine passende Erwiderung auf der Zunge, doch er verkniff sie sich, denn… er fühlte sich auf dieser Ebene zwischenmenschlicher Interaktion manchmal einfach furchtbar unzulänglich.
 

Obwohl er nicht davon ausging, dass Marco schnell beleidigt wäre, wollte er es allerdings auch nicht riskieren, den Konzerner irgendwie vor den Kopf zu stoßen, immerhin war er der Einzige seit langer Zeit, der nicht sofort in seiner Gegenwart die Flucht ergriffen hatte oder ihn mied wie die Pest. Trotz all seiner Ecken und Kanten und oft so abweisenden Art war Marco stets freundlich auf ihn zugegangen, als könnte er längst hinter diese harte Fassade blicken.
 

»Du spielst…?«, Laws Finger glitten jetzt über die blanke und polierte Oberfläche des Pianos, das in einer Ecke des Wohnzimmers stand. Die Regenschlieren der Fensterfront spiegelten sich in dem lackierten Holz und ließen dieses wie eine unruhige Wasseroberfläche wirken. Law grub die nackten Zehen tiefer in die Tatami-Matten unter seinen Füßen und genoss die Wärme der Fußbodenheizung.
 

Er erinnerte sich schemenhaft, dass er als Kind liebend gern der geistlichen Schwester in dem Krankenhaus beim Klavier spielen zugehört hatte, in dem seine Eltern als Ärzte und Wissenschaftler tätig gewesen waren. All das schien Äonen weit entfernt zu sein - das liebliche Klavierspiel nichts mehr als eine blasse Erinnerung.
 

Marco war inzwischen in die Küche hinüber gelaufen und holte leise klappernd ein paar Tassen aus dem Schrank, bevor er Kaffee einschenkte. »Ja, naja… nicht wirklich gut, fürchte ich. Ich hatte Anfang der Zwanziger eine Selbstfindungsphase und das Bedürfnis, mich kreativ ausleben zu müssen. Irgendwie bin ich aber nicht wirklich lang dabei geblieben«, erklärte er und schob Law jetzt über die Anrichte eine dampfende, große Tasse Kaffee hin.
 

»Warum dann das Piano?« Law ließ sich auf einen der Barhocker am Küchentresen fallen und nahm die warme Tasse dankbar entgegen. Unbewusst raffte er den seidigen Morgenmantel enger um sich, denn obwohl sein Körper wieder annähernd normale Temperatur erreicht hatte, war ihm kalt - eine zehrende Kälte, die ihren Ursprung in ihm selbst hatte und wahrscheinlich auch nicht so leicht weichen würde. Dem Stoff haftete der herbe Duft des Konzerners an, ein Geruch, der Law inzwischen ausnehmend gut gefiel und eine beruhigende Wirkung auf ihn hatte.
 

Marco zuckte leicht mit den Schultern und lehnte sich gegen die Anrichte, während er selbst nun nachdenklich das Klavier betrachtete. »Ach, ich weiß auch nicht… Nostalgie?! Pops hat mir das Ding zum Abschluß meines Studiums geschenkt. Es fällt mir schwer, mich davon zu trennen, obwohl ich eigentlich gar keine Zeit mehr dafür habe, um wieder mit dem Spielen anzufangen«, meinte er, bevor einen Schluck von seinem Kaffee nahm.
 

Law hob nun seine eigene Tasse und der feine Geruch stieg ihm angenehm in die Nase.
 

»Ist eine besonders milde, magenschonende Sorte«, erklärte ihm Marco mit einem Blick aus dem Augenwinkel und Law war wieder einmal überrascht über dessen Feingefühl und Aufmerksamkeit.
 

Er nippte an dem tiefschwarzen, heißen Getränk und war angetan, als sich die dezente Note von Zimt und Kakao in seinem Mund ausbreitete. So hervorragenden Kaffee hatte er lange nicht getrunken, daher urteilte er ehrlich: »Der ist wirklich gut, du hast nicht zu viel versprochen.«
 

Marcos Reaktion war ein kleines Lächeln, bevor er seine Tasse auf dem Tresen zwischen ihnen abstellte und eindringlich Laws Blick auffing. Einen Moment schien er nach Worten zu suchen, dann wollte er nüchtern wissen: »Lohnt es sich zu fragen, was passiert ist? Warum ging es dir vorhin so schlecht?« In Marcos blauen Augen lag echtes Interesse und ungespielte Anteilnahme.
 

Law blickte zur Seite und kaute auf der Innenseite seiner Wange, während er mit sich selbst rang. Die direkte Frage brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Gott, die Verlockung war groß, Marco alles zu erzählen, diesen ganzen Mist endlich einmal loswerden und einfach mit jemanden reden zu können. Vermutlich sollte er das sogar, nachdem, was er Doflamingo an Lügen in Bezug auf den Konzerner aufgetischt hatte, aber… ihm fehlte gerade einfach die Kraft.
 

All die Geschehnisse der Vergangenheit, all das, was er getan hatte und gezwungen gewesen war zu tun, hatte er tief in sich vergraben und verschlossen. Und das aus gutem Grund, denn ohne diese Schutzmaßnahmen hätte er wohl niemals so lang überlebt und seinen Plänen folgen können. Wenn er jetzt alle Mauern niederreißen würde… er wusste nicht, ob er sie dann jemals wieder aufbauen konnte. Vor allem nicht Marco gegenüber.
 

Dieses ganze, mühsam aufgebaute Konstrukt seiner ungerührten Art, diese Masken, die er ständig trug… sie waren das, was ihn am Ende immer noch zusammenhielt. Und Marco gelang es eh schon viel zu einfach, ihn zu verwirren und aus der Bahn zu werfen. Er konnte nicht riskieren, sich selbst in diesem gefährlichen Spiel zu verlieren.
 

Law ließ seinen Kaffee sinken und mit ihm seinen Blick. Er holte tief Luft und glitt mit dem Finger selbstvergessen über das aufgedruckte, blaue Logo der Newgate Corp. auf der Tasse. »Ich musste Dinge tun…«, Law schluckte hart, »die ich nicht tun wollte. Ich habe meine Kräfte zu sehr ausgereizt. Können wir es einfach dabei belassen?«, bat er ruhig.
 

Laws sonst so feste, dunkle Stimme war ungewöhnlich brüchig und die tätowierten Finger mit den Buchstaben auf den Knöcheln zitterten immer noch leicht und klammerten sich fast haltsuchend an die Kaffeetasse. Marco musste arg mit sich kämpfen, um diese schlanke Hand nicht zu ergreifen, in dem starken Drang, dem jungen Mann etwas Wärme spenden zu wollen…
 

Marco zog die Brauen zusammen und musterte Law ergründend. Es war offenkundig, dass dies nur die Spitze des Eisberges war und zu gern hätte er gewusst, was ihn wirklich bedrückte und wie er ihm verdammt noch mal helfen konnte, doch er würde ihn nicht drängen. Aber Law sollte wissen, dass er immer mit ihm reden konnte.
 

»Okay...«, lenkte er verständig ein. Marco wusste selbst, wie schwer es war, über gewisse Dinge zu sprechen und dass es manchmal Jahre dauern konnte, bis man bereit dazu war. Er legte die Unterarme auf die Theke und neigte sich nach vorn, um auf Augenhöhe mit Law zu sein. »Aber über eins sollten wir definitiv reden… was ist da vorhin mit dir geschehen? Ist das vorher schon mal in diesem Ausmaß passiert?« Das Bild des jungen Mannes in diesem kinetischen Mahlstrom an wilder Energie würde er wohl nicht so schnell vergessen.
 

Laws Kiefermuskeln zuckten und seine Finger schlossen sich etwas fester um die Tasse in seiner Hand. »Nein, ist es nicht… und ich weiß auch nicht, was das war«, gestand er zögerlich und hob nun doch wieder den Blick, damit Marco in diese stahlgrauen Augen blicken konnte, die meist dem Licht eines fernen Sterns ähnelten - wunderschön, aber kalt und unerreichbar. Doch jetzt flackerten sie unruhig und straften Laws kontrollierte Gesichtszüge eigentlich Lügen.
 

»Normalerweise habe ich nur Kopfschmerzen. Das ist nicht schön, doch die lassen sich mit Tabletten und Ruhe meist in den Griff bekommen. Aber das vorhin war das erste Mal, dass es mich so… außer Gefecht gesetzt hat und ich die Kontrolle verloren habe«, gab Law widerwillig zu.
 

»Also wird es schlimmer…?«

»In letzter Zeit… Ja.«
 

»Law, hast du jemals deinen MAG Rang prüfen und feststellen lassen?«
 

Law sah ihn im ersten Moment kritisch an, als wüsste er nicht, was Marco mit der Frage bezwecken wollte, antwortete dann aber zurückhaltend: »Ja, vor ein paar Jahren. Rang B Telekinet war das Ergebnis.«
 

Marco musste sich ein ungläubiges Schnauben regelrecht verbeißen. Nie und nimmer war Law nur ein Rang B MAG… er hatte den Abgrund gesehen, diese bodenlose Quelle an Energie, derer sich der junge Mann nicht mal wirklich selbst bewusst zu sein schien. »Deine Augen… weißt du, warum sie die Farbe wechseln, warum sie golden werden, wenn du deine Magie benutzt?«
 

Law schüttelte den Kopf. »Ich habe das immer einfach hingenommen und mir nie großartig Gedanken darüber gemacht. Ich dachte, ich wäre eben einfach... unnormal. Vielleicht ein Genfehler«, erklärte er mit einem beiläufigen Achselzucken. »Die meisten, denen ich begegnet bin, haben es als Laune der Natur, Abartigkeit oder einen Fluch tituliert... und das waren noch die eher harmloseren Bezeichnungen.« Laws Tonlage war viel zu trocken für diesen flüchtigen Funken Verletzlichkeit in seinen Augen.
 

»Du bist wirklich auf keiner Ebene abnormal oder gar verflucht, Law. Das ist Unsinn. Fang' nicht an, dir das einzureden und diesen Mist zu glauben, das macht dich nur kaputt«, beschwor ihn Marco eindringlich. »Vertrau' mir, ich weiß, wovon ich rede... und du bist genau richtig so, wie du bist. Alles andere ist Quatsch.«
 

Law starrte den Konzerner perplex an und nur an seinen leicht geweiteten Augen erkannte man, dass er mit Marcos Offenheit nicht so recht umgehen konnte. Er rettete sich darin, einen Schluck von seinem Kaffee zu nehmen. Marco schimpfte sich in Gedanken schon einen Narren - er hatte einfach ausgesprochen, was für ihn völlig offensichtlich war, aber bei Law musste er sich wirklich angewöhnen, ein wenig dezenter vorzugehen.
 

Marco räusperte sich und fuhr sich dann in einer etwas unbeholfenen Geste durch die noch feuchten Haare, wodurch ihm ein paar längere Strähnen in die Stirn fielen. »Woher hast du deine Kräfte?« Law war weit nach den Magiekriegen geboren, es war unwahrscheinlich, dass er ein ursprüngliches Alpha-Serum in die Finger bekommen hatte. Aber immer wieder gab es schlechte, synthetische Nachbildungen...
 

Law schien wohl zu ahnen, in welche Richtung Marcos Gedanken gingen, denn als wollte er seine Sorgen beschwichtigen, antwortete er: »Unsere Eltern waren MAGs der ersten Generation wie dein Vater. Meine Mutter war Telekinetin und mein Vater ein Telepath...-«
 

»... wie deine Schwester«, führte Marco seinen Satz zu Ende und Law nickte leicht. Das erklärte natürlich einiges. Deshalb waren Trafalgar Lamys mentale Barrieren so stark und ausgeprägt. Marco war nicht entgangen, dass Law auch von seiner Mutter in der Vergangenheitsform gesprochen hatte. Doch jetzt war einfach nicht der richtige Zeitpunkt, um danach zu fragen.
 

»Du hast eine mentale Sperre in deinem Verstand, Law.«
 

Der junge Mann stellte seine Tasse geräuschvoll ab. »Eine was…?!« Law wirkte so ehrlich irritiert, dass der absolut keine Ahnung von dem Konstrukt in seinem Kopf haben konnte. Es hätte Marco auch verwundert, wenn es anders gewesen wäre.
 

»Eine Art... Bannzauber, den irgendjemand, vermutlich ein begabter Mentalmagier, bewusst dort angebracht haben muss«, erklärte Marco. »Und dieser Bann ist nicht erst seit gestern in deinem Kopf. Er ist alt und wird langsam brüchig. Er löst sich quasi auf, daher wohl auch die immer schlimmer werdenden Kopfschmerzen, wenn du deine Kräfte benutzt«, mutmaßte er und tippte sich gegen die eigene Schläfe.
 

Law sah ihn weiter verwirrt, beinahe ein Stück weit verstört an. Auf seiner Stirn gruben sich tiefe Falten ein und er zog die Brauen kritisch zusammen, während er sich über den Nacken rieb und diese Information zu verarbeiten suchte. »Ich… verstehe das nicht, woher… «, begann er kopfschüttelnd. »Ich meine, ich habe nie jemanden zuvor in meinen Kopf gelassen, nicht so wie dich…«, murmelte er sichtlich durcheinander und strich sich mehrere Male durch seinen dunklen Kinnbart, während er finster vor sich hinstarrte.
 

»Vielleicht warst du noch sehr jung, als dieser Eingriff vorgenommen wurde... vielleicht kannst du dich deshalb nicht erinnern«, überlegte Marco.

»Möglich...«, murmelte Law, aber nicht sehr wahrscheinlich. Er ballte die Faust kurz, denn sein Verdacht richtete sich sofort gegen Doflamingo. Aber was hätte der Kartellkönig davon?
 

Law hob den Blick wieder. »Was macht dieses... Ding, dieser Bann?«, fragte er angespannt. Es war eine wirklich beängstigende und beklemmende Vorstellung, dass irgendjemand einfach Etwas in seinem Kopf platzieren konnte, ohne, dass er davon wusste...
 

»Prinzipiell nichts wirklich schlimmes«, versuchte Marco die Sache ein wenig zu entschärfen. »Für mich sah es so aus, als soll diese Sperre deine Kräfte reglementieren. Der Bannzauber wirkt wie eine Abdeckung deiner Machtquelle-« …vielleicht um das ganze Ausmaß deiner Fähigkeiten zu verschleiern, doch das sprach er nicht aus, denn es war nur eine Vermutung seinerseits und er wollte Law nicht noch mehr beunruhigen.
 

»Und was hast du vorhin getan? Konntest du diese Sperre außer Kraft setzen…?«, fragte Law. Die vage Hoffnung in seiner Stimme berührte Marco und er hätte Law wirklich gern zumindest eine seiner Sorgen genommen, doch stattdessen schienen immer mehr hinzuzukommen.
 

Marco schüttelte bedauernd den Kopf und schob seine Kaffeetasse beiseite. »Nein, das war nicht möglich… zumindest ist das nicht so einfach, da ich gar nicht abschätzen kann, welche Folgen das hätte, wenn man diese Barriere mit einem Mal einfach entfernt«, versuchte er zu erklären. »Das könnte dir unter Umständen irreparablen Schaden zufügen und das wollte ich nicht riskieren, daher habe ich den Bann erst einmal wieder provisorisch repariert. Ich habe so etwas vorher auch noch nie getan und ich kann dir nicht sagen, wie lang das halten wird, aber für den Moment sollte es hoffentlich reichen.«
 

Law stützte die Stirn überfordert in seine Finger und blickte mit schmalen Lippen in seine Kaffeetasse. Dann straffte er sich, rieb sich über das Gesicht und kalkulierte Ruhe kehrte in seine Augen zurück. »Na schön... und welche Optionen habe ich jetzt?«, fragte er nüchtern. Da war er wieder, der kühle, kontrollierte junge Mann, der Probleme mit rationalem Abstand angehen wollte... obwohl jemand in seinem Geist herumgepfuscht hatte.
 

Marco schwenkte den Kaffee in seiner Tasse und überlegte kurz. Er wollte Law seine Optionen möglichst sachlich und klar verständlich aufzeigen. »Ich bin wahrlich kein Experte, aber aus meiner Sicht gibt es im Endeffekt nur zwei Möglichkeiten - die Sperre komplett erneuern oder sie völlig entfernen, aber so, wie sie jetzt ist, wird sie nicht mehr ewig halten...«, machte er ungeschönt klar und es war deutlich, was damit ungesagt im Raum schwebte.
 

Law strich über den weichen Ärmelsaum des Morgenmantels und sein Blick verlor sich einen Augenblick an der Fensterfront, an der die Regentropfen wie Tränenströme herabflossen. Marco brauchte es nicht auszusprechen, er konnte sich auch so denken, dass ihn dieser kaputte Bannzauber in seinem Kopf auf kurz oder lang wahrscheinlich umbringen würde...
 

»Bevor du dich entscheidest, solltest du vielleicht den Versuch in Betracht ziehen, herauszufinden, wo diese Sperre überhaupt her kommt und wer sie dort platziert hat«, schlug Marco nachdenklich vor und verschränkte die Arme vor der breiten Brust. »Wenn du Klarheit darüber hast, warum dieser Bannzauber in deinem Verstand installiert wurde, fällt die Entscheidung vielleicht leichter, was du damit machen willst.«
 

Law sah ihn kritisch von der Seite her an. »Und wie kann ich das herausfinden...?«, hakte er zögerlich nach, als wüsste er schon, dass ihm die Antwort wohl wenig gefallen würde.
 

»Nun…«, Marcos Schultern spannten sich an und Law bemerkte irritiert, dass ihn das Muskelspiel unter dem hellen Shirt des Konzerners tatsächlich kurz ablenkte. Die Scornwunde an seinem Oberarm war ungewöhnlich schnell verheilt, doch drei breite Narben waren geblieben. »Es muss Hinweise auf diesen geistigen Übergriff geben, Spuren, ähnlich eines mentalen Fingerabdruckes. Kein geistiger Eingriff geht völlig spurlos vonstatten. Vielleicht hast du die Erinnerung daran tatsächlich vergessen oder nur tief vergraben oder aber…-«
 

»… jemand hat bewusst dafür gesorgt, dass ich mich nicht erinnern kann«, flüsterte Law begreifend. Unbehagen machte sich in ihm breit.
 

Marco nickte vorsichtig und löste die Verschränkung seiner Arme, um ihnen nochmal Kaffee nachzuschenken. »Begabte MentalMAGs können Erinnerungen verschleiern und tief im eigenen Verstand verstecken, so gut, dass man nicht einmal selbst mehr Zugriff darauf hat. Das ist eine bewährte Methode, die manchmal bei besonders traumatischen Erlebnissen eingesetzt werden kann, um dem Betroffenen ein bisschen Ruhe zu schenken. Aber keine Erinnerung ist je wirklich verschwunden oder lässt sich so einfach löschen. Man muss nur wissen, wo man suchen muss.«
 

»Kannst du das? Könntest du so eine Erinnerung finden?«, fragte Law sofort. Ihm war klar, was das bedeutete… jemand musste wieder in seinen Kopf und in seinem Verstand wühlen wie in einem Haufen alter Erinnerungsstücke. Das behagte ihm ganz und gar nicht, aber er musste zwingend herausfinden, wer für diese Sperre in seinem Kopf verantwortlich war, damit er dieses Problem beseitigen konnte, denn vor Doflamingos Niedergang zu sterben stand nicht auf seiner Liste.
 

Marco blinzelte überrascht und hielt mit der Kaffeekanne in der Hand inne. Er hätte nicht erwartet, dass Law ihn so selbstverständlich dafür in Betracht ziehen würde. »Naja, prinzipiell schon, aber ich muss zugeben, ich bin nicht wirklich geübt darin... vielleicht solltest du lieber einen fähigen Telepathen fragen. Deine Schwester…-«
 

»Nein«, entschied Law sofort. »Du musst das machen, Marco«, forderte er bestimmt und bannte den Konzerner förmlich mit seinem unnachgiebigen Blick an Ort und Stelle.

»Na schön... wenn du darauf bestehst«, gab Marco gedehnt nach und stellte die Kanne mit einem leisen Klackern wieder auf die Anrichte.
 

Law strich sich mit dem Zeigefinger angespannt über eine Braue und sein herrischer Tonfall tat ihm augenblicklich leid. Er hatte doch gar kein Recht, auch nur irgendetwas von dem Konzerner zu fordern. »Ich kann Lamy nicht darum bitten. Ich kann sie auf diese Weise nicht in meinen Kopf lassen«, versuchte er Marco zu erklären. »In meinem Kopf gibt es zu viele Erinnerungen… es gibt zu viele Dinge, die sie einfach nicht sehen soll. Sie muss nicht wissen, was ich alles getan habe und sich womöglich schuldig deswegen fühlen, verstehst du?«
 

Und er würde nicht noch mehr Leute in seinen Verstand lassen. Da Lamy für ihn entschieden nicht in Frage kam, war Marco der einzige Mensch, dem er in dieser Hinsicht vertraute. Ein unglaublich großes Zugeständnis, das Law einige Tage früher wahrscheinlich noch für völlig unmöglich gehalten hätte.
 

»Ja, das kann ich natürlich verstehen«, räumte Marco ein, denn er wusste nur zu gut, wie es war, Geheimnisse zu hüten, von denen man fürchtete, dass sie andere verletzten oder in Gefahr bringen konnten. Er stützte die Handflächen auf die kalte Marmorplatte der Küche und begegnete Laws ungewöhnlich unsicherem Blick. »Ich werde dir helfen, Law«, versprach er mit fester Stimme. »Aber nicht unbedingt jetzt gleich...«, meinte er mit einem Seitenblick auf die Uhr des Kochfeldes und leicht gequält gehobenem Mundwinkel.
 

Es war inzwischen fast zwei Uhr nachts und wahrscheinlich bräuchte er doch noch ein bisschen Schlaf, auch wenn er den jungen Mann ungern allein lassen wollte. Aber in ein paar Stunden stand ein wichtiges Meeting an und das konnte er beim besten Willen als neuer CEO nicht einfach sausen lassen.
 

Law folgte seinem Blick und wirkte kurz beinahe schuldig, als er die Uhrzeit sah. »Ja, natürlich... ich wollte dich nicht so lange aufhalten, ich sollte dann wohl besser...-«, murmelte er und machte schon Anstalten, sich erheben zu wollen, während er Marcos Augen auswich, was den Konzerner irgendwie fast verrückt machte...
 

»Hey...«, unterbrach Marco ihn sanft und griff rein instinktiv nach einer von Laws tätowierten Händen auf der Anrichte, um ihn aufzuhalten. Dieser Wagemut zeigte sofort Wirkung, denn der junge Mann hielt erstarrt inne. Doch er zog seine Hand nicht weg... und sah ihn abwartend an, wie ein scheues Tier, das noch unschlüssig war, ob es bleiben oder flüchten sollte. »Du musst nicht gehen. Du kannst gern hier bleiben und es dir auf der Couch bequem machen, wenn du willst. Das stört mich wirklich nicht. Ich habe alle möglichen Streaming-Dienste abonniert, falls du nicht schlafen kannst oder willst, wie gesagt... fühl' dich wie Zuhause«, meinte er mit einem einladenden Lächeln.
 

»Streaming... so richtig dekadent, hm?«, witzelte Law vorsichtig mit einem verhaltenen Schmunzeln, um irgendwie zu überspielen, dass ihn das Angebot genauso überforderte wie es ihn insgeheim freute... ebenso wie diese verteufelt sanfte, große Hand, die auf seiner eigenen lag und plötzlich seine ganze Aufmerksamkeit zu beanspruchen schien.
 

»Naja, wenn ich schon nicht mit der pompösen Yacht punkten kann, dann doch wenigstens mit unbegrenztem Datenvolumen«, grinste der Konzerner amüsiert und zuckte lässig mit den Schultern.
 

Laws Herz holperte ein wenig bei diesem schelmischen Grinsen und gefesselt sah er in diese unglaublich blauen Augen, die ihn wie einen Menschen von Wert ansahen, mit einer Wärme, die ihn regelrecht erschütterte. Dieser ungewöhnliche Mann vermittelte ihm eine Sicherheit, die er lang nicht empfunden hatte.
 

»Danke...«, hauchte Law mit belegter Stimme und meinte damit nicht nur das gerade vorgebrachte, freundliche Angebot des Konzerners. Doch Marco schien die unausgesprochenen Worte auch so zu verstehen, denn sein Blick wurde merklich weicher... und dessen Daumen strich jetzt federleicht über Laws Fingerknöchel und den so unversöhnlich erscheinenden Schriftzug auf dessen Haut.
 

»Du musst dich nicht bedanken, wirklich nicht«, beruhigte ihn Marco. »Ich bin für dich da«, versprach er mit einer Stimme, die irgendwie tiefer geworden war, während sich ihre Blicke ineinander verhakten. »Du musst es nur sagen, wenn du mich brauchst, Law...«
 

Law wurde mit einem Mal furchtbar warm und er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, warum er vor dieser Berührung nicht zurückzuckte... und sich stattdessen fragen musste, wie es wohl wäre, wenn diese sanften Finger sich gänzlich mit seinen verschränken würden, während ihn Marcos kräftiger Körper auf eine Matratze drücken und dessen sinnliche, blaue Augen ihn dabei genauso wie jetzt ansehen würden...
 

Sein Blick fiel auf Marcos Mund… und Law zog seine Hand zurück. Um es nicht wie einen defensiven Fluchtversuch anmuten zu lassen, führte er die Bewegung weiter und zog den Gürtel des Morgenmantels unnötigerweise fest. »Dann würde ich gern hierbleiben...«, entschied er ungewöhnlich intuitiv, obwohl er wusste, dass das mit ziemlich an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein einziger, riesig dummer Fehler war.
 

Marco wirkte nicht verprellt durch seinen Rückzug, eher vertiefte sich das weiche Lächeln auf seinen Lippen erfreut und er richtete sich auf. »Ich hole dir noch ein Kissen und eine Decke«, bot er an und legte kurz darauf das Versprochene bereit, bevor er Law noch eine Gute Nacht wünschte und sich verabschiedete.
 

Wie vorgeschlagen ließ sich Law auf der riesigen Couch nieder und schaltete den Fernseher ein. Er wickelte sich in die flauschige Decke, hob ein Bein auf die Sitzfläche und legte das Kinn auf das angezogene Knie, während er ziellos durch die Masse an unzähligen Programmen zappte, die Marco zur Verfügung standen. Eigentlich hatte er wenig Lust einen Film zu sehen, aber an Schlaf war im Moment wirklich noch nicht zu denken. Bei den Nachrichten blieb er kurz hängen, die von einem weiteren Seebeben in der Nähe von Impel Down berichteten.
 

Seine Augen schweiften zu dem langen Flur, der zu Marcos Schlafzimmer führte. Es war eine seltsame Vorstellung, dass der Konzerner quasi nur ein paar Schritte entfernt in seinem Bett lag und inzwischen vermutlich schlief, arglos, wehrlos, als wären sie... Freunde, bei denen es wohl nicht ungewöhnlich war, diese Vertrautheit und Sicherheit zu teilen. Diese Art Nähe hatte er das letzte Mal bei Corazon zugelassen.
 

Gedankenverloren strich er über seinen Handrücken, spürte beiläufig der sanften Berührung des Konzerners nach, während er die flackernden Bilder auf dem Fernseher und die Ansprache der aufgeregten Nachrichtensprecherin nur mit minderem Interesse verfolgte. Sein Kopf wollte kaum zur Ruhe kommen.
 

Als ihm bewusst wurde, was er tat, ließ er die Hand fallen und griff rasch wieder nach der Fernbedienung, um sich mit dem Wechsel zu einer belanglosen Dokumentation abzulenken. Doch das klappte nur teilweise, denn er konnte nicht leugnen, dass es Marcos Berührung gewesen war, welche die hartnäckige Kälte am Ende restlos aus seinen Knochen vertrieben hatte.
 

Verdammt… Law ließ den Kopf in den Nacken und gegen die Sofalehne fallen. Na schön, er musste offensichtlich akzeptieren, dass Marco Phoenix ihn ganz und gar nicht kalt ließ. Aber er würde diese Emotionen zurückstellen und unterdrücken, wie er es mit den meisten Gefühlen tat. Er hatte gerade genug Probleme, da konnte er sich nicht auch noch damit auseinandersetzen, dass er sich offensichtlich viel zu sehr zu dem freundlichen Konzerner hingezogen fühlte.
 

Heute war eine Ausnahme gewesen, ein Ausrutscher, weil er angreifbar gewesen war durch die Geschehnisse und diesen unkontrollierbaren Ausbruch seiner Kräfte, aber ab morgen würde er sich wieder in den Griff bekommen müssen. So kurz vor dem Ende seiner Sache durfte er das Ziel nicht aus dem Blick verlieren. Zumindest war das sein Entschluss, als er erschöpft auf den Fernseher starrte...
 

Später in der Nacht wachte Law auf.
 

Er musste wohl doch eingenickt sein und blinzelte nun in die Finsternis der Wohnung, während er sich zu orientieren versuchte. Der Fernseher hatte sich inzwischen abgeschaltet und es war ruhig bis auf das unablässige, leise Trommeln des Regens gegen die Fensterscheiben. Die Küche lag still und dunkel da, alle Lichter hatten sich abgeschaltet, selbst der künstliche Wasserlauf des steinernen Raumteilers am Eingang war versiegt.
 

Law lauschte angestrengt in die Stille und atmete flach durch den Mund, seine Intuition und jahrelange Erfahrungen warnten ihn, dass irgendetwas nicht stimmte. Seine Sinne waren alarmiert. Etwas hatte ihn geweckt, ein Geräusch, das nicht hierher gehörte und als Law sich schon damit abfinden wollte, dass ihm seine offensichtlich überreizten Nerven vielleicht doch einen Streich gespielt hatten… hörte er es wieder.
 

Irgendetwas bewegte sich in der Wohnung, schleichend wie auf Spinnenbeinen über den Boden und Law konnte den gedrungenen, seltsam unförmigen Schatten aus dem Augenwinkel ausmachen, nicht mehr als Schwarz im Schwarz der Nacht, der aus dem Badezimmer glitt und fließend wie Wasser durch die angelehnte Tür ins Schlafzimmer des Konzerners huschte.
 

Etwas war hier… und hatte es offensichtlich auf Marco Phoenix abgesehen.

Jagd

Law war augenblicklich hellwach.
 

Er überlegte gar nicht lang, sondern instinktiv schaltete sein Körper in Alarmbereitschaft, um auf diese unbekannte Bedrohung reagieren zu können. Sein Atem wurde flach, seine Sinne schärften sich. Er ließ die warme Decke von seinen Schultern gleiten und setzte die nackten Füße leise auf den angewärmten Boden. Geräuschlos bewegte er sich geduckt zu seiner Tasche hinüber, die am Ende der Wohnlandschaft lag.
 

Er vermisste sein Katana sofort, doch für Notfälle hatte er ein Smith & Wesson Kampfmesser in einem Geheimfach seiner Tasche. Zielsicher tastete er im kargen Licht der Nacht nach dem verborgenen Fach, zog das schwarze, scharf geschliffene Messer heraus und drehte den angerauten Griff geübt in seinen Fingern, bis die Klinge wie eine Verstärkung seines Unterarmes wirkte. Keine Waffe, um sich Feinde auf Abstand zu halten, dafür auf kurze Distanz absolut tödlich. Dann schlich er in Richtung Schlafzimmer.
 

Immer wieder glitten Lichtkegel am Tower vorbei und Fetzen von Neonlicht huschten über die Einrichtung, wässrig verzerrt durch den herabprasselnden Regen, der noch immer monoton gegen die Fensterfront klopfte. Ein hell leuchtendes Werbebanner schimmerte in einiger Entfernung über einem Einkaufzentrum am Nachthimmel. Der Kühlschrank summte leise und beständig, ein verirrter Wassertropfen löste sich vom Hahn des Spülbeckens. Sonst war es noch immer ruhig, fast beunruhigend still.
 

An der nur angelehnten Schlafzimmertür stoppte Law doch kurz, hielt den Atem an und lauschte. Von drinnen war nichts zu hören. Was, wenn er sich getäuscht hatte? Sicherlich würde es kein sonderlich gutes Licht auf ihn werfen, wenn er mitten in der Nacht mit einer fünfzehn Zentimeter langen Klinge in das Schlafzimmer des CEO schlich... mit dieser Aktion konnte er jeden Vertrauensvorschuss bei dem Konzerner verlieren. Aber das Risiko musste er wohl eingehen.
 

Law legte die Fingerspitzen sachte an die Tür und schob diese vorsichtig auf. Er drückte sich durch den entstandenen Spalt und betrat gleitend und lautlos wie ein Geist Marcos Schlafzimmer. Auch hier war es nicht völlig finster, noch dazu befand sich auf einer schlichten, hellen Kommode ein Holoterminal, auf dem sich eine Projektion der Erdkugel langsam drehte und blaues Licht auf die Wände warf.
 

Vor der Fensterfront stand ein großes Futonbett und die Umrisse des schlafenden Konzerners zeichneten sich fahl darauf ab. Marco lag auf dem Rücken, ein Arm entspannt neben seinem Kopf. Der langsam drehende Erdball erschuf lange Schatten auf seinem nackten Oberkörper und dem Ansatz seiner Bauchmuskeln unter der dünnen Decke, die sich durch ruhige Atemzüge anhob. Alles wirkte normal.
 

Law zwang seinen Blick weiter, seine Augen tasteten den Raum rasch ab, doch er konnte eigentlich nichts ungewöhnliches entdecken. An der rechten Seite des Zimmers gelangte man durch eine nur halb geschlossene Schiebetür vermutlich zu einer Art Ankleidezimmer, denn Law sah akkurat sortierte Kleiderbügel und säuberlich aufgereihte Schuhpaare.
 

Seine empfindliche Nase fing Marcos Eigengeruch auf, der hier im Raum besonders präsent war... und darunter einen eigentümlich erdigen, holzig-brenzligen Duft, der Laws Puls beschleunigte und ein warnendes Kribbeln über seine Kopfhaut jagte. Dieser ganz besondere Geruch war eigentlich unverwechselbar - es war der typische Geruch, der unweigerlich mit einer Beschwörung einherging.
 

Seine Hand schloss sich fester um den Griff des Messers. Wenn hier wirklich ein Summomant seine Finger im Spiel hatte, war es auch kein Wunder, dass das Sicherheitssystem des Gebäudes und die KI noch nicht reagiert hatten. Beschwörungen existierten der Wissenschaft nach auf einer anderen Existenzebene, waren von normalen Sensoren und Scannern kaum zu entdecken und daher die perfekten Attentäter, weswegen Beschwörer seit den Magiekriegen eigentlich auch als so gut wie ausgerottet galten...
 

Aus dem undurchdringlichen Dunkel unter Marcos Bett schob sich eine bleiche Hand mit schwarzen, langen Nägeln hervor. Ein seltsames Wesen kroch über den Boden, nicht viel größer als eine Katze, mit unnatürlich langen, dürren Gliedmaßen, entfernt menschlich, nackt und blass. Die Kreatur zog sich flink am Bett nach oben und krabbelte wie eine Spinne über die Matratze auf den Konzerner zu, wobei sich lederne Flughäute zwischen den dünnen Armen und der hageren Brust spannten. Der hintere Körperteil des Geschöpfs endete in einem dünnen, peitschenartigen Schwanz, der wie ein nackter Wurm über die Bettdecke glitt.
 

Das Wesen drehte den Kopf und Law erhaschte einen Blick auf das grausige Antlitz zwischen langen, strähnigen Haaren... und konnte nicht verhindern, dass er einen entsetzen Schritt zurück trat und erschauderte.
 

Die Kreatur hatte keine Augen.
 

Der bleiche Schädel mit den entfernt weiblichen Zügen wurde beherrscht von einem riesigen, schlundartigem Mund und einer eingefallenen Nase, die das Ding jetzt in die Höhe reckte, als würde es Witterung aufnehmen, während eine unnatürlich lange, dunkle Zunge durch die perlweißen Fänge glitt. Dann hielt es mit erschreckender Zielsicherheit auf den Konzerner und dessen ungeschützte Kehle zu. Die dunklen Nägel schimmerten unheilvoll im Licht der Projektion.
 

Law löste sich endlich aus seiner Erstarrung und setzte sich in Bewegung. Mit drei langen Schritten war er beim Bett, sprang darauf und ließ sich schützend über Marco in die Knie fallen, um seine Klinge punktgenau in den hässlichen Schädel der Kreatur zu rammen, die gerade dazu angesetzt hatte, dem Konzerner die Kehle mit den schartigen Nägeln zu zerfetzen. Das Wesen stieß einen verstörend weiblichen Todesschrei aus, hell und schmerzlich, bevor es in schwarzen Rauch zu zerfallen begann.
 

Vielleicht nur zwei Herzschläge später... und Marco Phoenix wäre vermutlich tot gewesen. Ich hätte ihn vermisst... Die Wucht der Erkenntnis traf Law wie ein Hammerschlag.
 

Marco erwachte mit einem erschrockenen Atemzug und setzte sich ruckartig auf, sodass sich ihre Nasen fast berührten. Ihre Blicke kreuzten sich, während Law noch immer wie ein dunkler Geist über seiner Hüfte hockte, bevor Marco den Kopf drehte und er die letzten Schemen der sich auflösenden Kreatur erblickte... und die scharfe, dunkle Klinge in Laws Hand, die nur ein paar Zentimeter neben ihm in der Matratze steckte.
 

Dem Konzerner war eindeutig zu Gute zu heißen, dass er die Fassung behielt und bewundernswert ruhig blieb. Sein nackter Brustkorb weitete sich zwar unter einem tiefen Atemzug, doch er schien die Situation recht schnell zu erfassen... oder sein Vertrauen in Law war so fortgeschritten, dass ihm nicht einmal der Gedanke zu kommen schien, dass der ihm würde schaden wollen.
 

Viel Zeit für Erklärungen blieb eh nicht, da Law im Rücken bereits einen Luftzug verspürte und ein Chor aus hohem Wehklagen erklang, bevor noch mehr missgestaltete Schatten durch die Dunkelheit huschten. Offenbar war nicht nur eine Beschwörung hier...
 

Marco schien selbst kurz nach dem Aufwachen rasend schnell in den anerzogenen Kampfmodus wechseln zu können, denn innerhalb eines Wimpernschlages aktivierte sich seine Kybernetik, bevor er Law mit sich herumriss und den jungen Mann diesmal beschützend unter sich begrub. Der Konzerner langte zur Seite und riss an der Schublade des Nachtschrankes, dann hielt er eine seiner silbernen Pistolen in der Hand und holte mit zwei gezielten Schüssen die Kreaturen aus der Luft, die sich ihnen eben über die Wand genähert hatten.
 

Law sah die widerlichen Körper im aufblitzenden Mündungsfeuer getroffen zu Boden trudeln und Rauschschwaden hinter sich herziehend, als sie sich zu zersetzen begannen. Wütendes Geheul antwortete, irgendwo zerbrach etwas klirrend, bevor die Matratze des Bettes bebte, als hätte sich etwas darauf fallen lassen... und das ziemlich nah, dem aggressiven, hohlen Kreischen nach.
 

Das Deckenlicht flammte auf und die Projektion der KI erschien mitten im Raum. »Sir, ich habe Schüsse registri-...«
 

Marco sah auf Law hinab, der immer noch unter ihm lag. Seine blauen Augen huschten flüchtig kontrollierend über dessen Gesicht, als würde er sich seiner Unversehrtheit versichern wollen - als wäre Law hier derjenige, der beschützt werden müsste! -, bevor er sich von dem jungen Mann herabrollte und aus dem Bett sprang. Die nächste Kugel aus seiner Waffe zerfetzte den Rücken einer über den Boden kriechenden Kreatur, während Law einem der Viecher seine Ferse ins Gesicht rammte und das Wesen vom Bett stieß.
 

»Haruta, riegel' den Tower ab und gib' Jozu Bescheid, dass wir angegriffen werden! Er soll das Gebäude nach Sicherheitslücken durchsuchen lassen!«, bellte Marco den strikten Befehl.
 

Die Gesichtszüge der KI wechselten ziemlich schnell von besorgt zu regelrecht überfordert, als sie die vielen Kreaturen entdeckte, die über den Boden, die Wände und sogar die Decke des Zimmers krabbelten. Kein Wunder, denn ihre Sensoren hatten bis eben sicher kein feindliches Eindringen vermeldet. Der Junge nickte eilig und verschwand wieder.
 

Marco drückte den Lauf seiner Waffe in den geifernden, offenen Schlund eines weiteren Wesens, das gerade wie eine Katze zum Sprung von der Kommode ansetzen wollte und verteilte dessen dunkles Hirn mit einer Kugel im Raum, bevor sich die Überreste auflösten. Währenddessen war der Konzerner schon längst dabei, weitere der fauchenden und heulenden Ungeheuer von der Decke zu schießen, sodass deren Überreste wie dunkler Regen rauchig zu Boden tropften.
 

Im harten, wenig schmeichelhaften künstlichen Licht waren die seltsamen Wesen fast noch abscheulicher, denn auf morbide Art sahen sie tatsächlich humanoid aus, aber pervertiert und verdreht, als hätte ein verrückter Geist wenig erfolgreich versucht, mehre Spezies miteinander zu verschmelzen. Die Dinger schienen geradewegs aus dem Schlund der Hölle zu kommen. Obwohl sie Flughäute besaßen, konnten sie nicht wirklich fliegen. Doch dafür bewegten sie sich über die Wände wie unnatürlich große Spinnen, was fast noch schlimmer war.
 

Law schnappte die Kreatur an einem der ledrigen Flügel, die sich eben neben ihm auf die Matratze hatte fallen lassen und sich ebenfalls wie getrieben auf Marco stürzen wollte. Er schleuderte das geifernde Ding ans andere Ende des Bettes, doch das Wesen rollte sich trotz der langen und ungelenk erscheinenden Gliedmaßen unheimlich schnell wieder herum und krabbelte erneut wie besessen auf Marco zu, bevor Law dessen Existenz mit einem gezielten Hieb seines Messers beendete.
 

Dunkler Rauch wallte um die Klinge, da war er schon wieder auf den Beinen und glitt mit dem Messer durch die Eingeweide eines der heulenden Geschöpfe, bevor er das Nächste mit einem kraftvollen Hieb förmlich auf dem Holzboden festnagelte. Das Wesen kreischte und schrie, kratzte mit den Nägeln und bauschte die ledernen Flügel auf, bis Law die Klinge drehte und das gezackte Metall tiefer in den dürren Leib trieb. Dunst stieg auf wie der klägliche Rest eines eben erloschenen Feuers.
 

Weitere der hässlichen Hybriden kletterten fauchend über die Einrichtung und warfen dabei die Kommode um, ihre Schwänze zuckten aufgeregt durch die Luft und sie steuerten unaufhaltsam auf den Konzerner zu, als wäre er der Mittelpunkt ihrer Existenz, der sie magisch anzog. Sie stürzten sich wie abgerichtete Bluthunde auf Marco und ließen ihm kaum Luft zum atmen, geschweige denn zum Schießen oder Nachladen. Irgendjemand hatte sie eindeutig auf den CEO der Newgate Corp. angesetzt.
 

Während er nach einem Ersatzmagazin tastete, schüttelte Marco eines der Wesen von seinem Arm, ein anderes klammerte sich mit dürren Fingern an seinen Unterschenkel und riss mit den scharfen Zähnen an seiner lockeren Hose. Er befreite sich aus dem Klammergriff, trat der knurrenden Kreatur in den Leib, sodass diese sich mehrmals überschlagend über den Boden rollte, bevor er ihrem Leben mit einem Schuss in die bleiche, hohe Stirn ein Ende setzte.
 

Eine der beschworenen Kreaturen hatte sich ihm unbemerkt über die Zimmerdecke genähert und sprang ihm jetzt auf den ungeschützten Rücken. Spitze Zähne bohrten sich in Marcos Schulter, der Konzerner grollte schmerzhaft und taumelte kurz, bevor er versuchte, das Ding loszuwerden, indem er sich mit dem Wesen auf seinem Rücken immer wieder gegen die Wand rammte. Doch das Vieh verbiss sich nur tiefer und rotes Blut floss über Marcos nackte Brust.
 

Law ließ sein Messer durch die Finger wirbeln und durchschnitt fliegend zwei weitere Kehlen, bevor er an Marcos Seite hastete und dessen Angreifer am Hals packte. Ohne Barmherzigkeit drückte er die Klinge in die nachgiebige Schläfe des Geschöpfes, das daraufhin den Biss lockerte und hektisch mit den Gliedmaßen um sich schlug. Er schleuderte die Missgeburt auf den Boden, hielt die zappelnde, kreischende Kreatur mit dem Fuß auf dem Rücken, bevor er ihr das Messer tief in den Schädel hieb.
 

Marco betastete seine verwundete Schulter überprüfend und nickte Law dankbar zu. Dann standen sie Rücken an Rücken, kämpften zusammen, so völlig selbstverständlich, als wäre es nie wirklich anders gewesen und sie schon jahrelang ein eingespieltes Team. Während Marco seine Waffe nachlud, gab Law ihm Deckung. Selten hatte er seine Kräfte so vermisst wie in diesem Augenblick, doch er wagte sie noch nicht wieder einzusetzen aus Furcht vor den möglichen Folgen.
 

Doch zusammen konnten sie auch ohne Magie der Lage Herr werden. Der Konzerner war ein fantastischer, zielsicherer Schütze, bei dem fast jeder Schuss punktgenau saß und alle Wesen, die zu nah herankamen, erledigte Law schnell und effizient mit dem Messer in seiner Hand.
 

Irgendwann erstarb die urplötzliche Flut der widerlichen Beschwörungen und obwohl nicht mehr als ein paar Minuten vergangen sein konnten, seitdem Law das Schlafzimmer des Konzerners betreten hatte, fühlte es sich doch nach Stunden an. Marco tauschte einen kurzen Blick mit Law, dann ließen sie einstimmig die Waffen sinken.
 

Ein letztes, noch lebendes Wesen hob einen schräg abstehenden, gebrochenen Flügel und versuchte über den Boden davon zu kriechen, doch Law stieß ihm seine Klinge schonungslos in den Rücken, woraufhin die Beschwörung in schwarzem Rauch zerplatzte. Währenddessen warf Marco sicherheitshalber noch einen prüfenden Blick in das angrenzende Ankleidezimmer, um nach verbliebenen Feinden zu suchen, bevor er die Tür zuschob und sich dagegen lehnte.
 

»Was zur Hölle waren das für Dinger?«
 

»Vermutlich Kreationen von einem Summomanten. Beschwörungen.« Law schob das Messer in seinen Hosenbund, dann nahm er eines der sauberen Handtücher vom Boden, die aus der umgestürzten Kommode gefallen waren und ergriff Marco sanft am Arm, um ihm das Blut vorsichtig von der Wunde zu tupfen. Er wollte zumindest das Ausmaß der Verletzung kurz abzuschätzen. Er konnte spüren, wie sich Marcos Muskeln anspannten und unter seinen Fingern bewegten. Überrascht sah er Law an.
 

»Ist nur ein Kratzer...«, meinte der Konzerner und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Dabei verschmierte er einen Tropfen seines eigenen Blutes auf seiner Wange wie eine Kriegsbemalung. Seine sonst sonnengebräunte Haut war ein wenig blass und sein Atem beschleunigt, doch sonst schien ihm zumindest auf den ersten Blick nichts zu fehlen.
 

Law festigte seinen Griff und ließ sich gar nicht beirren. Er wusste schließlich, wie tief die Wunde war. »Verzeih' mir, aber so etwas sagen wirklich nur Idioten... und ich halte dich eigentlich für keinen.«

»Eigentlich!?«, hob Marco scherzhaft eine Braue.

Laws rechter Mundwinkel zuckte leicht. Das Adrenalin in seinem Blut flaute nur langsam ab. »Nun, ich hab' keine wirklich gute Menschenkenntnis.«
 

Law runzelte verwirrt die Stirn, als er den Stoff anhob und bemerkte, dass sich der tiefe Biss in der Schulter des Konzerners bereits zu schließen begann. Er war sich sicher, dass er gesehen hatte, wie sich die Zähne der Kreatur beinahe bis auf den Knochen gegraben hatten, doch der Blutfluss war schon versiegt und nun wirkte die Verletzung fast nur noch oberflächlich.
 

»Dafür scheinst du aber ein überragendes Talent zu haben, mir die Haut zu retten«, forderte Marcos tiefe Stimme seine Aufmerksamkeit.

»Schon gut, ich war einfach nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort...«, murmelte Law rau. Diese Anerkennung beschämte ihn... weil er sie seiner Meinung nach einfach schlichtweg nicht verdiente. Er hatte wahrlich schon genug Leben genommen, da war es wohl nur angemessen, dass er zumindest dieses hier rettete.
 

»Law, wenn du eben nicht gewesen wärst, wäre ich vermutlich tot...« Unvermittelt legten sich Marcos Finger auf seine Hand und sofort war da wieder diese seltsame Wärme, die Law so verdammt verunsicherte. Zögerlich blickte er auf und die blauen Augen des Konzerners bannten seinen Blick. Verflucht nochmal... warum schaffte er es nicht, diesen Kerl wie alle anderen einfach auf Abstand zu halten?! »Spiel' das nicht herunter und lass' mich dir danken.«

»... kann ich dich denn daran hindern?!«

Über Marcos volle Lippen glitt ein Schmunzeln. »Vermutlich nicht.«
 

Das helle und laute Klirren von zerbrechendem Glas ließ sie beide herumfahren. Marco stürzte sofort zur Schlafzimmertür, riss diese auf und eilte in den Wohnbereich des Penthouses, Law folgte knapp hinter ihm, sein Messer schon wieder in der Hand.
 

Eine Scheibe der Fensterfront war zerbrochen, einige Glassplitter glitzerten auf dem Fußboden und hatten sich über die Küchenzeile verteilt. Kalter, scharfer Wind wehte fauchend durch die Öffnung herein und brachte nadeldünne Regentropfen mit sich, die eisig auf der Haut stachen. Law hob schützend einen Arm vor das Gesicht, während Marco an das kaputte Fenster heraneilte, die Waffe in beiden Händen und dann nach draußen spähte.
 

Seine implantierten Brillengläser schützend seine Augen vor dem beißenden Wind hier oben, doch seine Haare und sein Gesicht glänzten feucht, als er zurück trat und einen scharfen Fluch ausstieß. Der Konzerner eilte mit todernstem Gesicht an Law vorbei, während er nebenher sein Sicherheitsteam per Funk kontaktierte. »Riegelt das Gelände ab und lasst keins von diesen Dingern entkommen!«
 

Marco lief in das Arbeitszimmer der Wohnung hinüber und Law folgte ihm mit nagender Unruhe. Das Büro sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen und ihm dämmerte, dass die Kreaturen, die sie erledigt hatten, vermutlich nicht die einzigen in der Wohnung gewesen waren.
 

Fast alle Türen sämtlicher Schränke waren aufgerissen, Unterlagen, Ordner, Bücher und private Habseligkeiten lagen verstreut und durchwühlt auf dem Boden. Der Schreibtisch war verwüstet, das Holoterminal darauf hing halb über der Kante und projizierte das statisch flackernde Abbild eines Panzerfahrzeuges überdimensioniert in den Raum.
 

»Marco... was ist los?«, fragte Law angespannt, blieb im Türrahmen stehen und beobachtete den Konzerner mit ungutem Gefühl im Magen, der vor einem schweren Aktenschrank in die Knie ging und wild in dem Chaos darin wühlte. Eine Böe zog von hinten heran und ließ ihn frösteln.
 

Marco warf ein paar Papiere auf den Boden, dann hieb er mit der Faust donnernd gegen den Schrank. »Sie haben das Bruchstück…«, sagte er aufgebracht und sah Law frustriert an. Unnötig zu erklären, welches Bruchstück er wohl meinte. Das hektisch flackernde Licht des Projektors zeichnete dunkle Kanten auf Marcos Gesicht. Seine Augen funkelten wütend, vermutlich gab er sich irrationalerweise selbst die Schuld an diesem Rückschlag.
 

Laws Atem stockte, als ihm eine Erkenntnis kam. Seine Augen weiteten sich, genau wie Marcos, als der Konzerner den selben Schluss ziehen musste. »Lamy…« Law sackte ein eisiger Stein in den Magen, er macht ruckartig kehrt und hastete zum Aufzug des Penthouses. Hinter sich hörte er noch, wie Marco seine Sicherheitsleute sofort in die Gästeetage befahl, doch er konnte nicht auf ihn warten.
 

Wenn irgendjemand diese Viecher wegen diesem seltsamen Bruchstück geschickt hatte und um den Konzerner aus dem Weg zu räumen… dann wäre demjenigen sicher auch daran gelegen, seine Schwester zum Schweigen zu bringen. Immerhin waren sie schon im Krankenhaus hinter ihr her gewesen. Law verfluchte sich selbst für seine fehlende Weitsicht. Warum war ihm der Gedanke nicht gleich gekommen?
 

Auch auf der Gästeetage war eine der Fensterscheiben im Aufenthaltsbereich zerbrochen. Kalter Wind drängte herein, brachte die grünen Bambusstängel ins Wanken und fegte pfeifend durch den Raum. Ein Buch, das aus dem Regal gefallen war, lag nun mit flatternden Seiten auf dem Boden.
 

Law kniff die Augen gegen den unerbittlichen Wind zusammen und steuerte zielgerichtet auf die Tür von Lamys Krankenzimmer zu, die besorgniserregend weit offen stand und im Luftzug schwankte. Er schmeckte das bittere Aroma von Furcht auf der Zunge. Sein augenblicklich rasendes Herz bescherte ihm einen Tunnelblick, sodass er kaum wahrnahm, wie sich die Türen des Aufzuges hinter ihm erneut öffneten und ein Trupp der Sicherheitsleute mit Gewehren im Anschlag heranstürmte.
 

Law spannte sich an, wappnete sich für die grausige Möglichkeit, dass Lamy vielleicht… Oh bitte, lass' sie unversehrt, lass' sie am Leben sein! Er hastete in das Zimmer, mit einem fahrigen Blick erfasste er den gesamten Raum, das kaputte Fenster hier, die umgeworfenen Stühle, den an einer Stelle eingedellten Medizinschrank, als hätte ihn eine mächtige Faust getroffen. Bogenförmige Schmauchspuren zogen sich über die Decke und die Wände, ein leicht brenzliger Geruch lag in der Luft, konnte aber das Aroma der Beschwörungen nicht gänzlich überdecken.
 

Die dünnen Vorhänge bauschten sich im Wind und flatterten über der jungen Frau, die still, aber unverletzt in ihrem Bett lag. Lamy schlief ungerührt, als Law an ihre Seite eilte und ihre zarte Hand ergriff. Ihre Haut war warm und lebendig, ihr Atem ruhig. Er drehte ihren Kopf sanft, suchte nach Verletzungen, doch da war nichts.
 

Die Apparaturen um sie herum vermeldeten durch monotones Piepen den gemächlichen Herzschlag der jungen Frau, allein der Wind, der an ihrem Haar zerrte und eine einzelne, blutige Nagelspur auf ihrem Unterarm, kündeten von dem vermutlich erfolgten Angriff.
 

Law schloss in unendlicher Erleichterung die Augen und ließ die angespannten Schultern herabsacken. Erst dann bemerkte er den blonden, jungen Mann richtig, der mit wirren Haaren und an den Rändern zerfleddertem Laborkittel auf einem umgestürzten Stuhl hockte und die eben hereindrängenden Securitys mit einem schwachen, doch nicht minder selbstzufriedenem Grinsen begrüßte. »Ihr kommt bisschen spät, Jungs, die Party ist schon vorbei.«
 

»Holy Fuck... Sabo«, ein Mann des Sicherheitsteams löste sich aus der Gruppe, ein drahtiger Kerl mit dunkler Haut, Schnurrbart und kunstvollen, dunkelblonden Dreadlocks. Er sah sich kurz prüfend um, dann lehnte er sich das vollautomatische Gewehr gegen die Schulter und grinste breit, »du weißt, wie man feiert, was?!« Drei Männer seiner Einheit sicherten inzwischen die Umgebung.
 

Sabo zuckte mit den Schultern, was ein kurzes, schmerzerfülltes Zusammenziehen seiner Brauen zur Folge hatte. Beiläufig betastete er seine rechte Schulter. »Du kennst mich doch, Rakuyou«, sagte er mit abgekämpfter Lässigkeit, »ich weiß eben nie, wann Schluss ist.« Eine dunkle Blutspur schlängelte sich unter seinen blonden Locken hervor und lief über seine Stirn. Er sah erschöpft aus, dezent übermüdet, doch trotzdem lag ein schräges Schmunzeln auf seinen Lippen.
 

Laws Stimme war rau, als er sich an Sabo wandte und murmelte: »Du hast sie gerettet...!?« Es war viel mehr eine simple Feststellung als eine Frage, immerhin sprach der verwüstete Raum für sich.
 

Trotzdem konnte Law kaum fassen, dass sich ein völlig Fremder so für seine Schwester in Gefahr begeben hatte. Solch selbstloses Handeln war Law aus seinem eigenen, privaten Umfeld einfach nicht gewohnt. Was er hatte, war das klägliche Abbild einer Familie, kein Zusammenhalt aus Pflichtgefühl, Respekt oder Sympathie - sondern ein Käfig aus Angst, Schuld und Wut. Niemand dort würde sich für ihn vor eine Kugel werfen. Er beneidete Whitebeard und Marco um das, was sie sich hier aufgebaut hatten... und was er selbst in seinem Leben in dunklen Stunden schmerzlich vermisste.
 

Sabo machte ein wegwerfende Handbewegung. »Ach, ich habe offenbar nur ein unheimlich gutes Timing für nächtliche, spontane Spaziergänge.« Die typische Laborbrille baumelte um seinen Hals, als er ein letztes Mal die Finger seiner rechten Hand zu einer Faust ballte, wodurch das kybernetische Exoskelett, das er ganz ähnlich eines Handschuhes trug, funkend knirschte, bevor eine fadendünne Rauchwolke aus der Apparatur aufstieg. Nicht nur ein Werkzeug, vielmehr auch eine Waffe, wie Law schien. »Und eine weitere, lange Nachtschicht vor mir, wie's scheint...«, seufzte der junge Techniker.
 

Auch Makino drängte jetzt durch die Gruppe des Sicherheitsteams in den Raum und lief sofort an die Seite ihrer jungen Patientin. Das aufgesteckte Haar der Ärztin war wirr und sie hatte nur rasch einen Morgenmantel übergeworfen, den sie über der Brust zusammenraffte. Erleichtert stellte sie fest, dass alles in Ordnung war, schaffte es aber gleichzeitig, Sabo mit einer Mischung aus Entrüstung und Sorge anzublicken, als der schon Anstalten machen wollte, zu verschwinden. »Junger Mann, mit der Kopfverletzung gehst du nirgendwo hin!«, beschied sie resolut.
 

Widerwillig ließ sich der junge Techniker zurück auf den Stuhl fallen. Rakuyou trat ans Fenster und lehnte sich mit seinem Gewehr in den Händen hinaus, um die Umgebung abzusuchen. Er verengte die dunklen Augen und spähte hinab auf den Eingangshof des Konzernkomplexes, wobei seine rechte Iris bläulich flimmerte. »Scheint, als hätte Fossas Team ein paar von den Mistviechern unten gestellt«, informierte er seine Truppe und gab den Befehl zum abrücken. Die schweren Stiefel der Männer donnerten auf dem Boden, als sie koordiniert wieder abzogen.
 

Nur einer des Teams blieb an der Tür mit der Waffe im Anschlag stehen und war offenbar für Lamys und Makinos Sicherheit abgestellt. Law legte die Hand seiner Schwester zurück auf das Bett, dabei glitt sein Blick zufällig durch die flatternden Vorhänge aus dem Fenster. Details waren für ihn so völlig ohne Kybernetik kaum zu erkennen, doch etwas eigenartiges erregte seine Aufmerksamkeit.
 

Eine der größeren Hauptverkehrsadern Tokios führte geradewegs auf den Newgate Tower zu und trotz der Uhrzeit war die Straße gut befahren, fast schon überfüllt. Einige Lieferwagen krochen durch die Stadt, um ihre Ladungen noch vor dem Morgengrauen und der Rushhour loszuwerden. Hier in Ikebukuro war ein Hauptteil der Industrie und Nahrungsmittelhersteller ansässig, weswegen dieses Viertel fast rund um die Uhr belebt war. Daneben waren noch einige verspätete Partygäste in den vollautomatisierten, fahrerlosen Luxustaxis unterwegs, die wie goldene Funken durch die Straßen rollten.
 

Breite, helle Scheinwerfer bewegten sich mit eindeutig überhöhter Geschwindigkeit durch den Verkehr. Der riesige, schwarze Militärtransporter, der eben hinter einem Lastwagens ausgeschert war, gab ein unerbittliches Tempo vor, überfuhr eine rote Ampel und produzierte damit ein empörtes Hupkonzert. Ihm folgte ein ebenso schwarzer Lieferwagen dicht auf. Die beiden Fahrzeuge hielten eindeutig auf den Newgate Tower zu. Man könnte das für Zufall halten... doch an Zufälle glaubte Law eher selten.
 

Er löste sich vom Fenster und hastete in sein Zimmer hinüber, wo er sich eilig seine gelbe Motorradjacke überwarf und sein Katana schnappte, das er sich wie üblich auf den Rücken schnallte. Dann machte er sich mit dem Lift auf den Weg ins Erdgeschoss. Irgendjemand hatte vorgehabt, Lamy und Marco zu töten… und derjenige war entweder auf dem Weg, um seine Arbeit zu Ende zu bringen oder aber, um seine Missgeburten einzusammeln, die man unten im Hof in Schach hielt. Die Wachleute wussten wahrscheinlich nicht einmal, was da auf sie zurollte.
 

Laws Mundwinkel verzogen sich grimmig. Er verspürte das unbändige Verlangen, diese namenlose Bastarde Bekanntschaft mit dem goldäugigen Dämon schließen zu lassen. Scharfe Mordlust wühlte ihn auf und versuchsweise tastete er nach seiner Magie, ließ nach dem erwachenden, ziehenden Schmerz aber die Finger davon. Nun gut, dann eben auf die herkömmliche und traditionelle Art und Weise.
 

Das Foyer war nur sporadisch beleuchtet und verwaist, von draußen erklangen gedämpft hektische Rufe, Hundegebell und das aggressive Fauchen der in die Ecke gedrängten Beschwörungen. Ein schillernder Koi in dem künstlich angelegten Teich schnappte überrascht nach Luft und schwamm hektisch davon, als Law rasch die kunstvolle, rot lackierte Brücke überquerte, seine Schritte ein dumpfes Echo in der Halle.
 

Vor ihm öffnete sich die gläserne Tür zum Innenhof säuselnd, wo eine Handvoll Männer der Security einige der überlebenden und geflüchteten Wesen gestellt und eingekreist hatten. Einer der Männer hielt einen Schäferhund an der Leine, der die Zähne fletschte und das Fell im Angesicht der absonderlichen Wesen sträubte. Ein stummer Alarm schickte den gelben Schein einer Rundumleuchte über den feucht schimmernden Asphalt des Hofes. Glücklicherweise hatte sich der Regen inzwischen in feinen Niesel verwandelt.
 

Die Kreaturen hockten geduckt über dem Boden und schlugen aufgebracht mit den ledrigen Flügeln. Die grausigen Münder bleckten die Zähne, eines der Wesen zischte den am nächsten stehenden Wachmann an und schlug mit dem peitschenartigen Schwanz nach ihm. Ein Warnschuss ließ die Kreatur hektisch zurückfahren.
 

Der dunkelhaarige Schütze namens Izou zielte von einem der Wachtürme mit seinem imposanten Scharfschützengewehr auf die Wesen. Der rote Laser seiner Zielsuchvorrichtung positionierte sich auf der Stirn der größten der Kreaturen, die zitternd die Lefzen hochzog und die fledermausartigen Flügel aufspannte. Trotzdem sie keine Augen hatten, schienen die Wesen ihre Umgebung doch genaustens wahrzunehmen zu können. In den knorrigen Finger der Kreatur schimmerte ein metallischer Gegenstand.
 

Die Flutlichter aller Wachtürme waren auf das Innere des Komplexes gerichtet. Die Straße behielt vermutlich niemand im Blick und Law suchte die Menge nach Jozu ab, um ihn zu warnen. Doch alle Kreaturen reckten mit einem Mal den Kopf, als würden sie etwas wittern und ihre grotesk lippenlosen Münder verzogen sich zu der Karikatur eines ehrfürchtigen Lächelns...
 

Law spürte es im gleichen Augenblick. Etwas zog auf, wie die belastende Schwüle vor einem Gewitter, unheimlich, bedrohlich und alt. Macht prickelte in der Luft und drückte auf seine Sinne, ließ ihn schwerer Atmen. Nur besonders mächtige MAGs konnten eine solche Aura, ein solches Halo heraufbeschwören und entfesseln...
 

Hinter Law erklangen schwere Schritte und er sah über die Schulter, erblickte Marco, der aus dem Fahrstuhl eilte, mit todernstem Gesicht und einer gezogenen Sig Sauer in der Hand. Der Konzerner hatte sich angezogen, trug jetzt ebenso dunkle Schutzkleidung wie sein Sicherheitsteam und Holster mit Ersatzmagazinen um die kräftigen Oberschenkel geschnallt. Sein Trenchcoat flatterte hinter ihm, als er über die Brücke im Foyer auf Law zulief.
 

Law wollte ihm eine Warnung zurufen… doch unvermittelt senkte sich schwere Dunkelheit herab, löschte alles Licht restlos aus, als hätte man den Deckel über einem Sarg zuschlagen lassen. Es war nicht so, als wäre plötzlich der Strom ausgefallen und alle Lampen erloschen, denn selbst in dunkelster Nacht konnte man zumindest Schemen und Umrisse erkennen. Das hier war anders... als hätte etwas sämtliches Licht aufgesogen und nichts zurückgelassen als tiefdunkle, drückend warme Schwärze. Nicht ein Funken Helligkeit war geblieben.
 

Law konnte nicht einmal mehr die Hand vor Augen erkennen, geschweige denn auch nur einen Meter weit sehen. Er versuchte sich zu orientieren und tastete nach dem gläsernen Rahmen der Eingangstür, ließ die Finger über das angrenzende Mauerwerk fahren, um das Gefühl abzuschütteln, schwerelos und verloren in einem Meer aus absoluter Leere zu treiben. Sein eigener Atem hallte überdeutlich in seinen Ohren nach und er fühlte sich seiner Sinne wie beraubt.
 

Die Stimmen auf dem Innenhof wurden lauter, die Männer riefen sich angespannt Befehle zu und versuchten sich zu koordinieren, bevor schnell Panik ausbrach… und das Schreien begann. Die Kreaturen, ohne Augen an völlige Finsternis gewöhnt, nutzten offenbar ihre Chance und stürzten sich auf die Wachmänner. Das nasse Geräusche von reißendem Fleisch tönte durch die bodenlose Dunkelheit, das gurgelnde Röcheln eines Mannes, dem das Blut offenbar in die eigene Kehle floss.
 

Law griff nach dem Schwert auf seinem Rücken, auch wenn er wusste, dass ihm das Katana wenig nützen würde, wenn ihn etwas aus der Finsternis heraus ansprang. Er würde den Tod nicht kommen sehen...
 

»Law...?!«
 

Law zuckte zusammen, als jemand unvermittelt und fast direkt hinter ihm seinen Namen aussprach. Er musste seinen Muskeln Einhalt gebieten, nicht reflexartig sein Schwert zu schwingen, bevor er realisierte, dass es Marco war. Der Konzerner musste sich durch die Dunkelheit bis zu ihm vorgekämpft haben.
 

Law tastete blind nach dem anderen Mann. Seine Finger glitten über schweren, festen Stoff auf einer breiten Brust, dann den Mantelärmel hinab, bis er Marcos Hand ergriff und ihn zu sich zog. »Ich bin hier«, antwortete er, ließ die fremden Finger aber nicht wieder los, gänzlich ungeachtet der Intimität dieser Geste. Sie beide brauchten in diesem Moment spürbar den Bezug zur Wirklichkeit, um in dieser abscheulichen Finsternis nicht den Verstand zu verlieren und Marco erwiderte den Händedruck dankbar.
 

»Hast du den MAG sehen können?« Marcos sonst so sanfte, tiefe Stimme klang spröde und angespannt. Nicht einmal seine Kybernetik schien der drückenden Finsternis gewachsen zu sein und Law konnte sich vorstellen, dass diese Dunkelheit für den Konzerner besonders schrecklich sein musste... immerhin war er einst in einem dunklen Scornbau gefangen gewesen. »Ich habe nur seine Aura wahrgenommen...«
 

»Leider nein, aber ich habe ihn auch gespürt... vermutlich ein Rang A Erebomant.« Law war froh über die beständige, sanfte Präsenz des Konzernes im Rücken, die ihm irgendwie Sicherheit vermittelte.
 

Plötzlich heulte ein dröhnender Automotor auf, das Geräusch durchdrehender Räder auf Asphalt erklang über dem Heulen der Wesen und den chaotischen Rufen der Securitys und kurz darauf donnerte etwas wie ein Rammbock gegen das eiserne Eingangstor des Komplexes. Das Metall kreischte und zumindest ein Torflügel wurde vermutlich aus der Verankerung gerissen, denn es krachte und ein heftiger Windstoß kam Law und Marco entgegen.
 

Mindestens zwei Fahrzeuge rasten die Einfahrt hinauf, hielten mit quietschenden Bremsen unweit des Eingangs und Autotüren wurden aufgerissen. Trampelnde Schritte erklangen, dann wurden Schüsse abgefeuert, in dem Augenblick, indem sich die Dunkelheit wie ein Nebelfetzen unter einer beharrlichen Böe verzog und Law erleichtert aufatmen ließ.
 

Der Lieferwagen und das gepanzerte Militärfahrzeug standen unweit vor ihnen im Hof, beide hatten die Hecktüren weit geöffnet und eine Truppe aus Söldnern hatte sich perfekt koordiniert in einer bogenförmigen Formation um den Lieferwagen positioniert. Sie schossen jetzt auf die völlig überrumpelten und noch orientierungslosen Wachmänner, bildeten eine Passage für die Kreaturen, die ihre Chance nutzten und mit langen Sätzen zu dem wartenden Wagen sprinteten.
 

Law entdeckte jetzt Jozu, dessen Haut sich zu einer silbernen Diamantschicht verhärtet hatte und der damit der einzige war, der sich den Eindringlingen offen nähern konnte. Die auf ihn abgefeuerten Kugeln prallten funkensprühend von ihm ab und der riesige Sicherheitsmann hob jetzt selbst sein Gewehr und erwiderte den Beschuss.
 

Die beschworenen Wesen sprangen eilig in den Laderaum des Lieferwagens, wo der Schein eines Flutlichtes eine Frau mit orangen Haaren streifte, die in die Knie ging und die missgestalteten Kreaturen wie ihre eigenen Kinder liebevoll begrüßte. Die Frau, der das fransige Pony soweit ins Gesicht hing, dass man ihre Augen nur erahnen konnte, verzog die rot geschminkten Lippen zu einem zufriedenen Lächeln und nahm das gestohlene Bruchstück von einem der Wesen entgegen.
 

Augenscheinlich war das die Beschwörerin, denn die Viecher umschwärmten sie, als sei sie das Licht ihrer Sonne. Von dem Erebomanten war im Augenblick nichts zu sehen und zu spüren, was jedoch nichts bedeuten musste. Law war sich fast sicher, dass der höchstbegabte MAG ebenfalls in einem der Fahrzeuge saß.
 

Die Türen des Lieferwagens schlugen wieder zu und die Söldner zogen sich geduckt und noch immer feuernd zu dem Militärtransporter zurück. Dann trat der Lieferwagen schon den Rückzug an und raste die Einfahrt hinunter. Der ganze Angriff war so schnell und perfekt abgestimmt passiert, dass die Männer der Security kaum eine Chance gehabt hatten, wirklich darauf zu reagieren.
 

Nur Marco setzte sich jetzt geistesgegenwärtig in Bewegung und feuerte gezielt auf die Räder des flüchtenden Lieferwagens, bevor der Konzerner hinter einer breiten Säule des überdachten Eingangsbereiches in Deckung gehen musste, da eine Salve Gewehrschüsse auf ihn niederprasselte. Law sprang über einen Mauervorsprung in Sicherheit, als knapp neben seinen Füßen Kugeln in den Asphalt einschlugen.
 

Auch er zog jetzt sein Schwert und versuchte sich geduckt an den Transporter heranzupirschen, doch dessen Motor röhrte bereits auf und die letzten Söldner zogen sich in den Innenraum zurück. Ein nur allzu bekanntes Gesicht aus dem Krankenhaus blickte Law jetzt vom Beifahrersitz des Fahrzeuges entgegen, als dieses an ihm vorbei raste, und ließ ihn wütend die Zähne blecken.
 

Für einen Augenblick sah ihn der bleiche Kerl mit den violetten Lippen fast überrascht an, als hätte er Law hier nicht erwartet, dann griff er sich in einer spöttischen Geste an den Zylinder und grinste höhnisch. Der Wagen machte einen Satz durch das zerstörte Tor hinaus auf die Straße und folgte dem Lieferwagen, der schon auf die nächste Kreuzung zuhielt, um im dichten Verkehr der langsam erwachenden Stadt untertauchen zu können.
 

Izou schoss von seiner erhöhten Position noch ein paar Mal auf die flüchtenden Autos, bevor der Scharfschütze hinter der halbhohen Brüstung des Wachturmes Schutz suchen musste, da man aus den getönten und halb heruntergelassen Scheiben des Militärtransporters das Feuer gnadenlos erwiderte. Pfeifend hämmerten die Kugeln in die Außenmauer des Komplexes.
 

Law schob das Katana zurück auf seinen Rücken, während er bereits zum Eingang der Tiefgarage lief, wo sein Motorrad noch genau da stand, wo er es erst vor ein paar Stunden schmerzgeplagt hatte stehen lassen. Er schwang sich auf die Sitzfläche, schloss den Reißverschluss seiner hastig übergestreiften Jacke und schob sich die schmale Motorradbrille auf die Nase. Dann startete er die Kusanagi, bevor er Gas gab und entschlossen auf das nur noch in den Angeln hängende Tor zusteuerte. Er würde diese Scheißkerle aufspüren und ausschalten.
 

Womöglich würde diese Organisation - jetzt, nachdem sie ja offenbar hatten, was sie wollten - Ruhe geben, womöglich würden keine weiteren Mordanschläge auf Lamy oder Marco folgen, doch ein 'Womöglich' war Law in dieser Angelegenheit längst nicht mehr genug. Obwohl er sich aus diesem ganzen Senatskram ehrlich hatte heraushalten wollen, war er inzwischen schon viel zu persönlich involviert, um noch wirklich unbeteiligt zu sein. Ganz abgesehen vom Wohl seiner Schwester war es ihm leider auch nicht mehr egal, was mit Marco Phoenix passierte.
 

Bevor Law das Tor jedoch erreichen konnte, stellte sich ihm Marco in den Weg, sodass er notgedrungen abbremsen musste. Der Konzerner steckte seine Waffe in das Holster unter seinem dunklen Trenchcoat zurück und sagte sehr bestimmt: »Ich komme mit.« Seine kybernetischen Brillengläser schimmerten bläulich, als er vermutlich Daten empfing. »Izou hat dem Lieferwagen eine nachverfolgbare Kugel verpasst. Haruta schickt mir die GPS Daten. Du wirst mich brauchen, wenn du sie verfolgen willst.«
 

Dieser bestechenden Logik hatte auch Law nicht viel entgegen zu setzen und nahm gezwungenermaßen das kleine Headset entgegen, das der Konzerner ihm reichte, um es an seinem Ohr zu befestigen. Marcos Gesicht zeigte nichts als wilde Entschlossenheit, seine Haltung war unerbittlich, genau wie der harte Ausdruck in seinen Augen. Es war der Blick eines Mannes, der eine Mission hatte - der Blick eines Soldaten. Von dem weltgewandten, charmanten Konzernchef war in diesem Moment nicht mehr viel zu sehen.
 

Law streckte Marco wortlos die Hand entgegen - mit einer Selbstverständlichkeit, die ihn selbst überraschte - und der ergriff seinen Unterarm, um sich hinter ihm auf das Motorrad zu schwingen. Die Kusanagi schoss aus dem Tor auf die Straße und Law versuchte die irritierend angenehme Nähe des großen, warmen Körpers hinter sich auszublenden, als er Gas gab und das vertraute Schnurren des Motorrads durch seine Knochen rollte.
 

So nah kam er kaum jemandem, wenn er nicht gerade das Bett mit einer flüchtigen Bekanntschaft teilte und selbst da hielt er sich emotional auf Abstand und versuchte den Körperkontakt stets auf den zwingend nötigen Rahmen zu begrenzen. Ganz abgesehen davon, dass die meisten Leute durch seine abweisende, unterkühlte Art vermutlich auch kein großes Bedürfnis verspürten, ihm nahe zu kommen, aber Marco dagegen… war ihm gegenüber irgendwie völlig frei von Berührungsängsten.
 

Auch jetzt legte der Konzerner völlig selbstverständlich einen Arm um seine Hüfte und drückte sich eng an Laws Rücken, um so wenig wie möglich Angriffsfläche für den scharfen Fahrtwind zu bieten. Über das Headset konnten sie sich trotz der Motorgeräusche und das Rauschen des Windes klar unterhalten und Marco informierte Law mit kurzen Anweisungen, in welche Richtung die flüchtigen Fahrzeuge unterwegs waren.
 

Es stellte sich heraus, dass es ein überhasteter, aber durchaus guter Entschluss gewesen war, die Angreifer mit der Kusanagi zu verfolgen, denn auf den vollen Straßen der Stadt hätte ein Truppentransporter schnell den Anschluss verloren. So aber spürten sie die beiden Wagen ziemlich schnell auf dem stadtinternen Highway wieder auf, wo sie in Richtung Norden unterwegs waren. Mit Sicherheit hatte diese Gruppierung irgendwo in der Stadt ihre Basis.
 

Der schwarze Lieferwagen hatte das Tempo eindeutig gedrosselt und kroch recht träge auf der äußeren Spur des Highways dahin, eines der Hinterräder schien getroffen und verlor offenbar an Reifendruck. Der Militärtransporter fuhr hinter ihm, um den Rückzug zu decken, scherte aber sofort aus und ließ sich zurückfallen, kaum, dass Law im Windschatten hinter zwei weiteren Autos nah genug herangekommen war. Man hatte sie also kommen sehen.
 

Der Transporter war fast mit ihnen gleich auf und öffnete schon die Seitentür, da spürte Law, wie Marco das Gewicht hinter ihm verlagerte, um seine Waffe zu ziehen. Aus dem Inneren des Fahrzeugs eröffnete man das Feuer auf sie, ungeachtet der vielen, zivilen Autos und Law gab sich alle Mühe, mit raschen Spurwechseln und haarscharfen Manövern dem Beschuss auszuweichen.
 

Das riesige Militärfahrzeug dagegen pflügte sich rücksichtslos durch die Autos auf dem Highway und drängte mehrere Kleinwagen einfach von der Spur. Eines der ferngesteuerten Taxis wurde an die Begrenzungsmauer gestoßen und überschlug sich funkensprühend.
 

Marco erwiderte das Feuer und verschaffte ihnen damit einige Atempausen, denn fast jeder seiner Schüsse traf. Einer der Söldner kippte getroffen aus dem schwarzen Wagen und wurde vom nachfolgenden Verkehr überrollt. Der dunkelhaarige Kerl auf dem Beifahrersitz hatte das Gesicht nun wütend verzogen. Offenbar lief es nicht gänzlich nach Plan und seine herrischen Mundbewegungen ließen darauf schließen, dass er seinen Leuten Befehle erteilte.
 

»Law, setz' dich vor sie und lass' sie ruhig aufholen. Ich hab' eine Idee«, erklärte Marco ihm über Funk. »Wenn ich dir Bescheid gebe, bremst du ab und bringst uns auf Höhe der Fahrerseite.«
 

Law zögerte nicht bei Marcos festem, entschlossenem Tonfall. Er trieb die Kusanagi an, um nach vorn zu preschen und sich fast direkt vor den röhrenden Transporter zu setzen. Der Konzerner drehte sich halb auf dem Sitz und schoss einige Kugeln auf die gepanzerte Windschutzscheibe.
 

Der Wagen gab nun Gas und kam ihnen schnell näher. Vor dem Motorrad fuhr ein Lastwagen mit mehreren Anhängern und Law war klar, dass der Transporter versuchen würde, sie zwischen sich und dem LKW einfach zu zerquetschen. Zumindest schienen sie Marcos Köder geschluckt zu haben... was auch immer der vorhatte.
 

»Marco...«, grollte Law angespannt und drängend. Sein Reflex riet ihm zum Abdrehen, doch er wollte dem Konzerner vertrauen. »Egal, was du vorhast, mach's schnell!« Er konnte bereits die winzige Schrift auf der flatternden Plane des Lastwagens vor ihnen erkennen... noch ein paar Sekunden und sie wären nichts weiter als organischer Brei auf dem Kühlergrill des Transporters mit dem wütend brüllenden Motor hinter ihnen.
 

»Jetzt«, erlöste ihn Marcos tiefe Stimme im Ohr und Law stieg auf die kreischende Bremse und zog zur Seite. Der Fahrer des Transporters war von dem raschen Spurwechsel überrumpelt... und Marco gab ihm auch nicht die Gelegenheit, noch zu reagieren. Er hob die Waffe und feuerte nur eine gezielte Kugel in eine winzige Lücke der Karosserie. Wenn man sich nicht mit der Beschaffenheit dieser Autos auskannte, hätte man diese Schwachstelle nie sehen können...
 

Der Transporter stotterte bedrohlich, Rauch kroch unter der Motorhaube hervor und der Fahrer verlor augenblicklich die Kontrolle über den schlingernden Wagen. Er brach aus und knallte in ein weiteres Auto, während der panische Mann hinter dem Steuer verzweifelt an dem Lenkrad riss. Kopflos zerrte er das Lenkrad herum... und der Transporter schlitterte mit quietschenden Reifen über die Fahrbahn, stellte sich quer und krachte auf die Seite, wobei er seine ungeschützte Unterseite entblößte.
 

Marco zielte erneut und schoss präzise auf den Unterboden des Transporters, der mit funkensprühendem Metall hart gegen die Begrenzungsmauer prallte... und dann Feuer fing. Law gab Gas und ließ den rauchenden Wagen hinter sich, der kurz darauf in einem heißen Feuerball explodierte, wie er zufrieden im Rückspiegel beobachtete. »Gute Arbeit«, raunte er anerkennend, auch wenn er sich ziemlich sicher war, dass der Typ mit dem Zylinder überlebt hatte. Garantiert hatte er sich mit einem Portal gerettet.
 

»Bleibt noch einer...«, erinnerte Marco und wies Law die Richtung des Lieferwagen, den sie inzwischen aus den Augen verloren hatten, doch schnell auf dem Highway wiederfinden konnten. Sie kamen dem schwarzen Auto immer näher, Marco wechselte rasch mit einer Hand das Magazin seiner Waffe... da traf Law mit einem Mal eine Woge aus Macht.
 

Seine mentalen Barrieren zerschellten förmlich unter der unerwarteten, hinterhältigen Attacke. Existenzielle, irrationale Angst grub sich wie ein bohrender Parasit in seinen Verstand und raubte ihm augenblicklich die Fähigkeit zu denken, zu handeln, zu fühlen, zu atmen... das Motorrad begann bedrohlich zu schwanken, da Law bei voller Fahrt die Hände vom Steuer riss und an seinen Kopf presste. Er schrie, weil die fürchterliche Angst ihn wie ein Raubtier gepackt hatte und in jeden Winkel seines Geistes kroch.
 

»Law!« Marcos Wärme umfing ihn, er spürte die Magie des Konzerners, die sich wie ein Schutzschild über ihn legte und den Schmerz und die schreckliche Furcht verdrängte. Nur ein dumpfes Pochen blieb, als würde die bösartige Magie frustriert gegen den Schild hämmern. Marcos große Hand drückte Law beruhigend gegen seinen Körper, bevor er mit zitternden Händen rasch wieder nach dem Steuer griff und die Kusanagi auf Spur hielt. »Alles in Ordnung?!«
 

Law schluckte, um seine Stimme wiederzufinden. »Geht schon...« Der Angriff hallte immer noch wie ein verstörendes Echo durch seine Knochen und wenn Marcos mentaler Schutzschild ihn nicht gerettet hätte, hätte ihm diese Attacke vielleicht seinen Verstand nachhaltig zerschmettern können... sein zornig glimmender Blick fokussierte sich auf den Lieferwagen, denn ihm kam ein düsterer Verdacht.
 

In dem Augenblick flogen die Hecktüren des Lieferwagens auf, doch anstatt der Beschwörerin standen dort zwei Männer mit bronzefarbener Haut und dunklen Haaren und trotzten dem Fahrtwind. Sie trugen porzellanähnliche, weiße Masken über dem oberen Teil ihres Gesichtes und beide eine Art silbernen, altertümlichen Harnisch und dazugehörigen Lendenschurz. Sie hätten Zwillinge aus einem Historienfilm sein können... und ihre Macht war beinahe greifbar zu spüren.
 

Law hätte so ziemlich alles darauf gewettet, dass die beiden der Erebomant und der Phobiokinet dieses komischen Zirkels waren...
 

Er spürte erneut eine Woge aus Magie gegen seine mentale Barriere branden, die sich wie ein geifernder Köder gegen den Wall warf. Doch Marcos Schutzschild hielt. Der rechte Kerl verzog daraufhin die Mundwinkel wütend und bleckte die weißen Zähne, dann griff er hinter sich und warf allen ernstes einen Speer - direkt auf Laws Brust zu.
 

Law riss am Steuer und wich der kraftvollen Attacke nur um Haaresbreite aus. Die antike Waffe bohrte sich krachend in den Asphalt neben ihnen und die schiere Wucht der Erschütterung riss die Straße auf. Ein Auto hinter ihnen, dass nicht schnell genug reagieren konnte, prallte mit ungebremster Geschwindigkeit gegen den Speer und überschlug sich.
 

Der Konzerner hob seine Sig Sauer und schoss auf die Männer, doch hinter dem anderen bäumten sich nun tentakelartige Schattenfinger auf wie die Köpfe einer Hydra. Diese Gebilde aus Dunkelheit schossen vor und peitschten die Pistolenkugeln einfach beiseite, bevor sie unter einige Autos fuhren, die Fahrzeuge bei voller Fahrt hochschleuderten und in ihre Richtung warfen.
 

Law hatte ernsthaft Mühe, die Kusanagi noch auf der Straße zu halten, während rund um sie herum die Autos zu Boden krachten und scheppernd auf dem Asphalt aufschlugen. Noch dazu peitschten die Schattententakel des Erebomanten unablässig nach ihnen, prallten immer wieder gegen die hektisch ausschwenkenden Autos, die den Attacken irgendwie zu entkommen versuchten.
 

Einige Autos scherten urplötzlich und ohne ersichtlichen Grund aus, doch als Law an einem von ihnen vorbei raste, sah er das angstverzerrte Gesicht eines Mannes hinter der Scheibe, der halb wahnsinnig mit bloßen Nägeln über seine schon blutende Kehle kratzte. In seinen Augen stand die nackte Panik.
 

Inzwischen herrschte ein schreckliches Chaos auf dem Highway, denn der Lieferwagen zog eine Schneide der Verwüstung aus hupenden und qualmenden, zerstörten Autos hinter sich her. Der Erebomant wütete wie im Wahn, als hätte er seine Magie viel zu lange zurückhalten müssen.
 

»Law, dreh' ab... wir kommen nicht an sie ran, das ist zwecklos«, redete Marco beschwörend auf Law ein, doch er dachte gar nicht daran, so kurz vor dem Ziel einfach aufzugeben. Er wollte Vergeltung für seine Schwester und riss grimmig an seiner Magie, entgegen dem Wissen, dass ihn das durchaus töten konnte.
 

Obwohl ihm sofort der stechende Schmerz antwortete, schickte er dem Lieferwagen eine Welle kinetischer Energie entgegen, fahrig, nicht wirklich machtvoll, doch es reichte, um das Fahrzeug aus der Spur zu bringen und gegen die Begrenzungsmauer prallen zu lassen. Nun sahen ihn die beiden Kerle zwischen den offenen Hecktüren direkt an und erkannten offensichtlich, was er war - eine Gefahr.
 

Der Erebomant grinste, ein unheilvolles, abscheuliches Grinsen, als würde er sich über einen ebenbürtigen Kontrahenten freuen, bevor er den Arm ausstreckte und allein mit seinen materialisierten Tentakeln aus Dunkelheit einen tonnenschweren Sattelzug ergriff und hochhob, als wäre es nicht mehr als ein Spielzeug... und das Fahrzeug nach ihnen warf.
 

Law hörte Marco fluchen und hatte nur Sekunden, um zu reagieren, Sekunden, in denen er sich entscheiden musste. Sie konnten diesem riesigen Geschoss nicht mehr ausweichen, dafür waren sie zu nah dran, aber... »Halt dich fest«, befahl er Marco und gab zusätzlich Gas, um noch schneller auf den Sattelzug zuzurasen, der eben auf die Fahrbahn krachte, sich wie ein sterbender Riese aufbäumte... und eine Lücke zwischen dem Anhänger und dem Truck offenbarte, der unaufhaltsam wie ein Wall aus funkenschlagendem Eisen auf sie zurutschte.
 

Auch wenn er das Gefühl hatte, innerlich zu zerreißen, aktivierte Law mit zusammengebissenen Zähnen seine Magie und ließ eine Schutzblase um sie entstehen, kurz bevor er das Motorrad zur Seite riss und sich in die Kurve legte, so tief, dass seine Schulter fast den Asphalt streifte. Als er schon dachte, den Schmerz kaum mehr aushalten zu können, fühlte er Marcos Magie in seinen Geist greifen - und er ließ ihn gewähren. Die hämmernde Pein ließ nach, als würde der Konzerner ihn mit seiner Kraft stabilisieren.
 

Laws Magie bildete das Polster, damit sie nicht auf der Straße zerfetzt wurden, als sie so haarscharf unter dem über ihnen hinweg dröhnenden Sattelzug hindurch glitten. Er spürte den Luftzug des massigen Fahrzeuges und die Wärme der gewaltigen Reifen, die nur Zentimeter von seiner Wange entfernt über ihnen hinweg schossen.
 

Der Sattelzug krachte in einige Autos und überrollte diese wie eine Walze, bevor er qualmend und zerstört erst eine halbe Meile weiter liegen blieb. Law musste seine Magie mit einem Keuchen loslassen und verlor die Kontrolle über das Motorrad. Er und der Konzerner wurden von der Kusanagi geschleudert, die noch einige Meter mit drehenden Reifen über den Asphalt schlitterte. Law wappnete sich schon für einen heftigen Aufprall, doch Marco drückte ihn an sich und drehte sich so, dass er den Großteil des Sturzes mit seinem Körper abfing, während sie über den Boden rutschten und dann liegen blieben.
 

Law stemmte sich sofort in die Höhe, riss sich die geborstene Brille von der Nase und tastete panisch nach dem Puls des Konzerners, der unter ihm lag und sich nicht rührte. Das ist meine Schuld... ich habe ihn umgebracht... Eisige Angst überlagerte alles andere, es war Law in diesem Moment sogar egal, dass der Lieferwagen und ihre Feinde inzwischen längst verschwunden waren. Er wollte in diesem Moment einzig und allein, dass sich diese blauen Augen wieder öffnen würden... weil er es irgendwie nicht ertragen hätte, diesen Mann zu verlieren.
 

»Marco...«, Laws Stimme klang rau und ein Stück weit panisch, als er das Gesicht des Konzerner hektisch musterte... der daraufhin aber die Stirn in Falten zog, die Augen mit einem unterdrückten Stöhnen aufschlug und beruhigend nach Laws zitternden Fingern griff, die sich in seinen Mantelaufschlag gekrallt hatten.
 

»Keine Sorge, ich leb' noch...«, murmelte er mit einem schräg gehobenen Mundwinkel und eine wahnsinnige Erleichterung überkam Law. »Aber wir müssen das jetzt nicht unbedingt so bald wiederholen«, flachste der Konzerner mit kratziger Stimme, während er sich langsam aufsetzte und die Lage rasch sondierte.
 

Die Erschöpfung und das nachlassende Adrenalin ließen Law frösteln, während er die Zerstörung umher zur Kenntnis nahm. Seine Kusanagi hatte zwar einiges abbekommen, aber das war nichts, was man nicht wieder reparieren könnte. Viel wichtiger war, dass Marco und er halbwegs unversehrt aus der Sache herausgekommen waren. Der Zirkel war definitiv nicht zu unterschätzen, nicht mit solch mächtigen MAGs in ihren Reihen.
 

In der Ferne erklang Sirenengeheul und das Geräusch von Rotorblättern sich nähernder Hubschrauber. Nicht lange und hier würde es vermutlich vor Polizei und Presse nur so wimmeln. »Wir sollten verschwinden«, beschied Marco mit ernstem Gesicht und deutete auf ein Flugzeug, dass sich aus den Lichtern der Stadt löste und schnell näher kam. Law erkannte es als den Jet der Newgate Corp., den Marco offensichtlich angefordert hatte. Im Moment blieb ihnen erst einmal wohl nur der Rückzug.

Blutige Spuren (I)

12.12.2069, 09.16 Uhr, Tokio
 

Marco löste den Knoten seiner Krawatte in einer müden Geste und ließ sich an dem runden Konferenztisch nieder, an dem bereits ein großer Teil seiner Führungsriege Platz genommen hatte und seit ein paar Minuten auf ihn wartete. Er hielt seine Gesichtszüge unter Kontrolle, als er sich setzte und der Schmerz seinen Rücken hinaufschoss. Unauffällig veränderte er seine Position, bis er schlussendlich eine Haltung fand, die einigermaßen erträglich war.
 

Er hatte sich bei dem Sturz in der Nacht vermutlich einige ernsthafte Prellungen zugezogen. Makino war entsetzt gewesen, als sie seinen Rücken gesehen hatte und noch entsetzter, als er ihr mitgeteilt hatte, dass er heute trotzdem arbeiten würde... dass es nicht weiter wild wäre und schnell heilen würde. Das würde es wahrscheinlich, doch trotzdem tat es höllisch weh.
 

Auch jetzt schien die hübsche Ärztin - die ihn mit Argusaugen beobachtete - kurz davor zu stehen, von ihrem Stuhl aufzuspringen, um ihm eine feurige Rede zu halten, doch sie klammerte die Hände um ihre Stuhllehne und blieb sitzen. Sie schien wohl durchaus vertraut im Umgang mit sturen Männern und der daraus resultierenden Frustration.
 

Marco beäugte den kunstvollen, reichlich überladenen Obst- und Häppchenteller, den Kalifa gerade in der Mitte des Tisches abstellte, mit einer Mischung aus Unwillen und Resignation. Auch die Kaffeetasse vor ihm übte keinen sonderlich großen Reiz aus. Vermutlich sollte er etwas essen, aber er hatte keinen Appetit. Ihm war noch immer flau im Magen und der Schrecken über den nächtlichen Angriff saß noch in seinen Knochen.
 

Bis eben war er in einem Termin mit langjährigen Geschäftspartnern der Newgate Corporation gewesen, um die Ziele und Strategien als neuer CEO für die nächsten Monate durchzusprechen und festzulegen. Viele ihrer Geschäftspartner waren japanische Zulieferer und es wäre einer Beleidigung gleichgekommen, wenn er dieses wichtige Zusammentreffen nicht persönlich wahrgenommen hätte.
 

Daher hatte sich Marco - trotz der chaotischen Nacht und fehlendem Schlaf - durch dieses Meeting gekämpft, obwohl veraltete Unternehmensstrategien oder trübe Zukunftsaussichten gerade wirklich die Geringsten seiner Probleme waren. Aber auch das zählte wohl zu den Bürden eines CEO, die persönlichen Belange hinten anzustellen und im Wohle der Firma zu denken und zu handeln. Immerhin hingen genügend Existenzen am Erfolg des Unternehmens.
 

Marco fuhr sich abgeschlagen durch die Haare und ließ den Blick durch den gläsernen Meetingraum schweifen, dann sah er kurz aus dem Fenster, um sich zu sammeln. Die Stimmung war gedrückt und angespannt, passend zu dem trüben Einheitsgrau, das über Tokio aufgezogen war und den Dezember trist und schwermütig machte. Seit den frühen Morgenstunden hingen Nebel und Nieselregen wie eine Dunstglocke über der Megametropole und beschränkten die Sicht auf wenige Meter. Alles versank scheinbar in diesem Meer aus Nichts und die Sonne war nur ein farbloser Fleck ohne Kraft am Himmel.
 

Jimbei saß neben Marco und nahm einen winzigen, höflichen Schluck von seinem Espresso, daneben schloss Thatch gerade die Manschettenknöpfe seines tadellos sitzenden, weißen Anzuges. Allein seine heute offenen, schulterlangen Haare, die er sich in einer flüchtigen Geste zurückstrich, zeugten davon, dass er überstürzt von Zuhause aufgebrochen war, um zu diesem unplanmäßigen Treffen pünktlich zu sein.
 

Ihnen gegenüber hatten Jozu und Sabo Platz genommen, das völlige Gegenteil der akkurat gekleideten Männer auf der anderen Seite des Tisches, denn den beiden hafteten noch sichtbar die Kampfspuren der Nacht an. Sie trugen noch die gleichen Sachen und waren wohl bis eben bei den bereits anlaufenden Aufräumarbeiten beschäftigt gewesen.
 

Der junge Techniker angelte geistesabwesend nach einer Handvoll Blaubeeren, die er sich ziemlich unmanierlich allesamt in den Mund stopfte, während er an seinem energiekinetischen Handschuh mit einem Schraubenzieher werkelte. Die Nahrungsaufnahme war eher zweckmäßig und ein lästiges Übel, Marco kannte diesen Zustand bei Sabo schon - in Gedanken war der junge Abteilungsleiter bereits tief versunken in seiner Arbeit. Das war wohl seine Art der Stressbewältigung.
 

Jozu neben ihm starrte mit finsterer Miene geradeaus und hatte die massigen Arme vor der steinernen Brust verschränkt. Auf seiner Sicherheitsweste waren noch die Einschusslöcher des Angriffes zu sehen und die Reste getrockneten Blutes klebten an seinem Hemd und seiner Hose, stumme Zeugen der nächtlichen Vorfälle. Marco hatte gesehen, wie Jozu einen seiner verwundeten Männer im Kampfgetümmel über die Schulter geworfen und eigenhändig aus der Schusslinie getragen hatte.
 

Marco schluckte und schloss noch einmal kurz die Augen, bevor er gefasst die Frage stellte, vor die ihm seit den frühen Morgenstunden am meisten fürchtete: »Wie viele Tote haben wir als Folge dieses nächtlichen Angriffes zu beklagen…?« Seine Stimme war rau nach den langen Reden des vorangegangenen Termins und er zwang sich, nach einer der bereitstehenden Wasserflaschen zu greifen und zumindest einen Schluck zu trinken.
 

So hatte er sich seinen Start als Konzernchef wahrlich nicht vorgestellt. Er war kaum eine Woche in dieser Position… und schon gab es Todesfälle. Obwohl er sich sicherlich nicht selbst die Schuld daran geben konnte, fühlte es sich doch fast nach einer Art persönlichem Versagen für ihn an. Vielleicht hätte er diese Senatsangelegenheit ernster nehmen und bessere Sicherheitsvorkehrungen treffen müssen… Pops wäre das wahrscheinlich nicht passiert. Es war lange her, dass Marco sich Selbstzweifeln hingegeben hatte, doch für einen Augenblick fühlte er sich unzulänglich und schrecklich schuldig.
 

Jimbei blätterte die Personalakten auf seinem Tablet durch, dann schob er mit einer Handbewegung die Dossiers auf den gebogenen Projektionsbildschirm in der Mitte des Tisches. Die Gesichter von fünf Männern mittleren Alters blickten ihnen entgegen und Marcos zwang sich, ihre Gesichter anzusehen, sie sich einzuprägen, auch wenn das schlechte Gewissen wie ein bösartiger Wurm an ihm nagte.
 

Jozu versteifte sich und richtete seinen Blick aus dem Fenster. Dem Sicherheitschef ging der Tod der Männer sichtlich nah und Marco ahnte, dass er wohl am liebsten sofort losgestürmt wäre, um Vergeltung zu üben. Marco konnte das verstehen… aber sie durften jetzt nicht in Versuchung geraten, kopflos und unüberlegt zu agieren.
 

Jimbei berichtete mit ruhiger, gesetzter Stimme: »Fünf langjährige Mitarbeiter des Sicherheitsteams. Drei weitere liegen im Krankenhaus, bei ihnen stehen die Chancen gut, dass sie überleben und in den Dienst zurückkehren können.« Der beleibte, bereits leicht angegraute Japaner war einer von Whitebeards ältesten und engsten Vertrauten und Marco war sehr froh, dass er sich bereit erklärt hatte, auch unter ihm weiter zu arbeiten. Seine höfliche und korrekte Art war in solch einer Situation ein wahrer Segen.
 

»Familien...?«, hakte Marco tonlos nach.
 

Jimbei nickte. »Sie alle hinterlassen Frau und Kinder, hauptsächlich aus den Vierteln in Harajuku…« Der Personalchef musste gar nicht weiter ausführen, was das am Ende bedeutete. Sie alle hier wussten das. Für diese Familien brach mit dem Tod des Vaters vermutlich ein beträchtlicher Teil ihrer Versorgung weg und damit ihre gesamte Existenzgrundlage.
 

Harajuku war das Viertel für den Großteil der dünnen Mittelschicht in Tokio. Die Wohnungen und Lebensumstände dort waren nicht luxuriös, aber wesentlich besser als die meisten, schäbigen Appartements in Downtown. Allerdings bekam man nur Anrecht auf eine Wohnung, wenn eine gewisse Einkommensgrenze gesichert war, um Mietnomaden und Vandalismus einen Riegel vorzuschieben.
 

Fünf Familien, die jetzt darüber unterrichtet werden mussten, dass ihre Ehemänner und Väter nicht mehr nachhause zurückkehren würden… was für eine Tragödie. Marco rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Braue, um dem beharrlichen Hämmern hinter seiner Stirn Herr zu werden. Solch einen Verlust würde wohl kein Geld der Welt erleichtern können, aber zumindest konnte es die Übergangszeit für die Familien ein wenig einfacher gestalten.
 

»Wir erlassen eine Entschädigungszahlung von einem Jahresgehalt plus die ausstehende Gehalts- und Bonuszahlung des laufenden Monats«, bestimmt Marco. »Unter Ausschluss der Presse, um die Hinterbliebenen zu schützen.« Kalifa, die ihm schräg gegenüber saß und Protokoll führte, hob eine schmale Braue verwundert über ihre randlose Brille und auch Jimbei blinzelte Marco verblüfft an, sagte jedoch nichts.
 

Das war eine enorme und vor allem unübliche Zahlung, die die Familien aber garantiert brauchen würden, um wieder auf die Beine zu kommen. Es war nötig und trotzdem fühlte es sich für Marco ein Stück weit irgendwie nach Blutgeld an, auch wenn sein rationaler Verstand wusste, dass dies Unsinn war. Immerhin waren die Gefahren und Risiken der Arbeit eines Wach- und Sicherheitsmitarbeiters bei einem Konzern hinlänglich bekannt und auch im Vertrag wurde darauf hingewiesen.
 

Sein Blick wanderte unbewusst zu Law. Der junge Mann stand wie ein dunkler Schemen am Rande des Raumes gegen den Fensterrahmen gelehnt, auch er trug noch die Kleidung der Nacht, nur sein Schwert hatte er abgelegt. Er hatte die Hände in seinen Hosentaschen versenkt und wohnte dem Meeting schweigend bei. Marco hatte ihn eingeladen, da die ganze Sache sowohl ihn als auch seine Schwester betraf. Gegen das trübgraue Morgenlicht war Laws Gesicht im Schatten seiner Mütze kaum zu erkennen, doch Marco meinte, die Augen des jungen Mannes auf sich zu spüren.
 

Vermutlich hatte auch er wie Marco zu wenig Schlaf abbekommen, doch darüber schien zumindest die Tasse Kaffee hinwegzutrösten, die Kalifa ihm vorhin gebracht hatte und die im Fensterbrett neben ihm stand. Als Marco aus seinem morgendlichen Meeting gekommen war, hatte er Law in der Gästeetage bei den Aufräumarbeiten angetroffen, wo er völlig selbstverständlich mit der Reinigungstruppe für ein wenig Ordnung gesorgt hatte.
 

Marco hatte die ernsthafte Befürchtung, dass Dadan Law adoptieren wollte, denn die sonst so resolute, ruppige Dame war ganz entzückt von seiner Hilfsbereitschaft gewesen. Aber Marco ertappte sich ja auch selbst dabei, wie er sich eigentlich viel zu schnell daran gewöhnen wollte, dass der junge Mann hier im Tower war... und dass es ihm gefiel, ihn in der Nähe zu wissen.
 

Er konzentrierte sich zwanghaft wieder auf das Meeting und richtete sein Wort jetzt an Haruta, dessen Projektion der Runde ebenfalls beisaß. Die KI hatte sich neben Thatch platziert und wirkte für ihre Verhältnisse ziemlich in sich gekehrt. Wenn es nicht absurd gewesen wäre, hätte man dem Eindruck erliegen können, die künstliche Intelligenz machte sich Vorwürfe wegen der Sicherheitspanne in der Nacht. »Haruta, auf welche Summe beläuft sich der Sachschaden? Und wie lange wird es voraussichtlich dauern, die Reparaturarbeiten am Tower abzuschließen?«
 

Die Augen des holografischen Jungen schillerten blau, bevor eine detaillierte Auflistung der zu erwartenden Kosten und dazu eine schematische Darstellung des Towers über dem Tisch projiziert wurden. Beschädigte Sektionen - wie das Komplextor und das Penthouse - waren rot markiert. »Der Gesamtschaden am Gebäude beläuft sich auf so ziemlich genau 124.000 Eurodollar. Die kostenintensivsten Punkte sind das Sicherheitstor und die Glasfronten des Towers. Ich würde hier zu einem Upgrade auf unser experimentelles Sicherheitsglas raten und zudem zum Einbau von speziellen Astralsensoren, Sir, um artgleichen Angriffen wie letzte Nacht effektiv vorbeugen zu können.«
 

»Gib es in Auftrag.« Marco winkte den Vorschlag mit einem knappen Handzeichen durch.

Haruta fuhr beflissen fort: »In erster Linie sollten vermutlich das Haupttor und das Penthouse wieder auf Vordermann gebracht werden und…-«
 

»Nein.«

Der Junge blinzelte überraschend menschlich aus dem Konzept gebracht. »Nein?!«
 

Marco stützte die Ellenbogen auf den Tisch und bettete das Kinn auf seinen verschränkten Händen. Sein sauberer Drei-Tage-Bart war eine Spur zu lang geworden, doch für eine Rasur hatten ihm heute morgen schlichtweg Zeit und Geduld gefehlt. »Das Penthouse ist nicht so wichtig. Ich werde vorübergehend in der Gästeetage unterkommen.« Marco meinte im Augenwinkel zu erkennen, wie Laws Kaffeetasse kurz vor dessen Lippen stoppte, bevor er einen bedächtigen Schluck nahm. »Es hat vorrangig höchste Priorität, dass die Sicherheit des Komplexes und unserer Gäste wieder gewährleistet ist. Meine Wohnung kannst du hinten anstellen. Leite die Reparaturarbeiten schnellstmöglich in die Wege.«
 

Die KI machte sich offenbar einen gedanklichen Vermerk und berechnete kurz die möglichen Szenarien. »Wie Sie wünschen, Sir. Bei zügiger Zahlungsfreigabe wird eine Fertigstellung innerhalb von drei Tagen angestrebt.«
 

Kalifa notierte bereits nebenher eifrig auf ihrem Datenpad. »Ich werde mich um die Kostendeckung kümmern und Ihnen die Unterlagen zur Unterschrift noch heute zukommen lassen, Phoenix-san«, unterrichtete sie Marco, bevor sie den perfekt manikürten Zeigefinger an den Bügel ihrer Brille legte und mit blau schillernden Pupillen einen Anruf entgegen nahm. »Mister Force befindet sich im Wartebereich der Online-Konferenz.«
 

»Schalten Sie ihn bitte dazu.«
 

Shanks‘ holografisches Abbild erschien auf der anderen Seite des Tisches, so lebensecht, als würde der andere Konzernchef tatsächlich hier bei ihnen sitzen. Er überschlug die Beine in der dunklen Anzughose und zog in aller Seelenruhe an der Zigarette zwischen seinen kybernetischen Fingern, während er die Anwesenden langsam und mit wachsender Missbilligung musterte. Selbst der Rauch seiner Zigarette, der ihm aus der Nase entwich, wurde von den Sensoren erfasst und detailgetreu widergespiegelt.
 

»So langsam frage ich mich ernsthaft, ob du das Konzept strikter Geheimhaltung einer Senatsangelegenheit wirklich begreifst, Marco«, knurrte Shanks mürrisch.
 

Marco verschränkte die Arme unbeeindruckt vor der Brust und erwiderte eisig: »Sag‘ das deinem Zirkel, der sich offenbar ohne deine Einwilligung dazu entschieden hat, diese Senatsangelegenheit in eine offene Kriegserklärung meinen Leuten und mir gegenüber zu verwandeln. Ich bin sicher, die Toten der Nacht werden es dir danken!« Seine bissige Tonlage war vielleicht nicht gänzlich gerechtfertigt, immerhin hatte er Shanks bisher nur knapp über einen Angriff, nicht aber über dessen Ausmaß berichtet, aber Marco fehlte gerade die Contenance, um höflich zu sein. »Ich will und werde meine Leute nicht mehr im Unklaren über die möglichen und offenbar sehr realen Gefahren lassen und außerdem würde ich für alle hier guten Gewissens meine Hand ins Feuer legen, dass sie vertrauenswürdig sind, also wirst du dich wohl mit ihrer Anwesenheit abfinden müssen!«
 

Marco spürte Laws Überraschung allein dadurch, dass sich die Haltung des jungen Mannes ein wenig lockerte und sich dessen Blick unter der weißen Fellmütze fast unmerklich hob. Aber er hatte nicht gelogen - nach letzter Nacht hatte Marco keinerlei Bedenken, dass er auch Law uneingeschränkt vertrauen konnte. Er mochte Geheimnisse haben, aber das war für Marco kein Grund, an ihm als Mensch zu zweifeln.  
 

Zum ersten Mal meinte Marco jetzt so etwas wie ehrliche Bestürzung in Shanks' harschem Gesicht zu sehen. »Tut mir leid, das war offensichtlich unangebracht von mir... verflucht, ich wusste nicht, dass es so schlimm ist...« Er fuhr sich zerknirscht mit der Hand durch die Haare, dann drückte er seine Zigarette aus und drehte den Kopf, als würde er einer unsichtbaren Stimme im Hintergrund lauschen. »Rayleigh würde der Konferenz gern beiwohnen«, kündigte er an.
 

Ein überraschtes Raunen wanderte durch den Raum. Selbst Law schien sich ein wenig aufzurichten. Das war eine unerwartete Ehre, aber auch ein eindeutiges Zeichen, dass die Sache hier wirklich ernst war.
 

Marco nickte Kalifa bestätigend zu und damit erschien auch die Projektion des weißhaarigen, älteren Mannes, der sofort beschwichtigend die Hände hob, als Jimbei schon aufstand und sich ehrfürchtig verbeugte. Der Rest der Anwesenden wollte ihm bereits folgen und das Scharren von Stuhlbeinen hallte durch den Raum.
 

»Nicht doch, nicht doch, bitte... das ist zu viel der Ehre, bleibt sitzen«, lachte Rayleigh und verflocht dann die noch immer kräftigen Finger auf den überschlagenen Knien. Der Sprecher der NoMAGs trug auch heute einen ausgewählten, hellen Anzug, dessen eingewebte Ornamente selbst im künstlichen Licht des Hologrammes silbern schimmerten wie die Ringe an seinen Händen. »Lasst euch nicht durch meine Anwesenheit stören. Bitte, fahrt fort.«
 

Marco berichtete mit knappen, sachlichen Worten von den Vorfällen der Nacht, dann schilderten Sabo und Jozu jeweils ihre Sicht der Ereignisse. Bei jedem Wort schienen Shanks‘ Gesichtszüge nur noch grimmiger zu werden und auch Rayleigh fuhr sich in einer ernsten Geste durch den sauber gestutzten Bart, während er aufmerksam zuhörte.
 

»Was ist mit der jungen Frau?«, wollte der Senatssprecher besorgt wissen.

Makino stellte ihre Kaffeetasse beiseite. »Sie ist unversehrt, aber leider immer noch nicht ansprechbar.«

»Also keine Informationen von ihrer Seite«, murmelte Rayleigh.
 

Shanks schien jetzt erst wirklich zu realisieren, dass Makino anwesend war und schenkte ihr ein seltenes, wenn auch sehr kurzes, warmes Lächeln, das sie verstohlen erwiderte, bevor sie den Blick senkte. Dann sah der rothaarige Konzernchef wieder in die Runde und wurde ernst. »Offiziell sollte es gar keine Beschwörer mehr unter dem Radar des Senats geben…«, merkte er an und machte ein fliegende Handbewegung, sodass die Glut seiner Zigarette einen schimmernden Kreis zog. »Was ihr sagt, ist fast nicht möglich.«
 

»Shanks' Zweifel sind begründet«, bekräftigte Rayleigh und schob sich die Brille auf der Nase gerade. »Die meisten der noch lebenden Summomanten sitzen in Impel Down und die, die noch in Freiheit leben, verbringen ihre Tage unter der strikten Überwachung des Senats und der Reglementierung ihrer Fähigkeiten. Hier in Tokio gibt es offiziell gar keinen mehr, nicht nachdem der Summomant, der lange Zeit im Kriminalfachdezernat von Tokio gearbeitet hat, vor ein paar Jahren von einem Kartell aufgeknüpft wurde.«
 

Marco stieß die Luft zischend aus. »Bei allem nötigen Respekt, aber darüber solltet ihr dann wohl unsere nächtliche Angreiferin informieren, die war nämlich ziemlich lebendig und alles andere als eingesperrt…« Er konnte die Zweifel der beiden Senatsmitglieder durchaus verstehen, aber das war lächerlich... er wusste, was er gesehen hatte.
 

»Sicher, dass ihr euch nicht geirrt habt?«, fragte Shanks kritisch nach. »In der Nacht sieht man manchmal Dinge, die gar nicht da sind...«
 

»Shanks…«, mahnte Rayleigh den rothaarigen Konzerner mit ruhiger, tiefer Stimme zu mehr Sachlichkeit.
 

Jozu schnappte entrüstet nach Luft, als stünde er kurz davor, seine guten Manieren zu vergessen und sich im Ton zu vergreifen. Sabo legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm. Auch Marcos Gesichtsausdruck verhärtete sich, doch bevor er etwas erwidern konnte, trat Law einen unerwarteten Schritt nach vorn.
 

»Es war eine Beschwörerin, daran gibt es keinen Zweifel. Ich…«, seine Kiefermuskeln zuckten, als würde er seine nächsten Worte eigentlich viel lieber zurückhalten wollen, »… ich war vor Ort, als dieser Beschwörer hier in Tokio vor ein paar Jahren getötet wurde. Man erkennt ihre Magie am Geruch und das hier war definitiv ein Summomant.«
 

»… du warst damals vor Ort?!« Shanks' Stimme war bedrohlich ruhig geworden. »Hast du ihn getötet?« Ein geringerer Mann wäre unter dem tödlich schneidenden Blick des Konzerners vermutlich eingeknickt, doch Law begegnete der unverhohlenen Anklage mit bemerkenswerter Gleichgültigkeit, als wäre er derlei mehr als gewöhnt. Er zuckte nicht mal mit der Wimpern, nur wurden seine grauen Augen noch eisiger als ohnehin schon.
 

Rayleighs Miene blieb unbeweglich, doch er musterte Law jetzt deutlich interessierter, während er mit den Fingern abwartend über den Knauf seines Gehstockes strich, der an seinem Stuhl lehnte.
 

»Nein, habe ich nicht«, entgegnete Law ohne zu zögern, doch Marco entging die Bitterkeit in seiner Stimme nicht, als würde es ihn insgeheim verletzen, dass man sofort dieser Annahme war. Marco glaubte Law, auch wenn ihm diese plötzliche Eröffnung erneut deutlich vor Augen hielt, wie wenig er doch eigentlich über den jungen Mann wusste… und wie sehr er wünschte, dass es anders wäre.
 

»Du...-«
 

Rayleigh bremste den Wachhund mit einem Zungeschnalzen. »Shanks, ich glaube, dieser Vorfall steht jetzt hier nicht zur Debatte. Bleib' bei der Sache«, erinnerte er den rothaarigen Konzerner mit einem winzigen Lächeln, doch seine Stimmlage war scharf und verlangte Respekt.
 

Shanks holte noch einmal Luft, schien sich schlussendlich aber auch auf ihr eigentliches Problem zu besinnen und schnaufte tief durch, bevor er sich mit angestrengt gefurchter Stirn wieder an Marco wandte. »Na schön, gehen wir einmal davon aus, dass es tatsächlich eine Summomantin war… wie konnten die Beschwörungen überhaupt so ungesehen in den Tower gelangen? Ich hab‘ Whitebeards Bastion immer für unantastbar gehalten.«
 

Sabo hob den Kopf von seinen Reparaturarbeiten, als hätte er nur auf seinen Einsatz gewartet. »Nun, die Erklärung kann ich wohl liefern…«, begann der junge Techniker. »Ich habe mir nach dem Angriff die gleiche Frage gestellt und die betroffenen Räumlichkeiten mit Haruta nochmals genauestens unter die Lupe genommen. Und dabei des Rätsels Lösung gefunden, woher unsere kleinen Harpyien wohl gekommen sind...«
 

»Harpyien?!« Jozu sah reichlich verwirrt aus.
 

Haruta blendete den Eintrag einer Online-Enzyklopädie auf und das sich drehende 3D-Modell einer Kreatur erschien, halb Mensch, halb Vogel. »Eine Harpyie, altgriechisch ἅρπυια hárpyia, ist ein geflügeltes Mischwesen der griechischen Mythologie in Vogelgestalt mit Frauenkopf«, führte die KI aus. »Eine gewisse Ähnlichkeit ist durchaus erkennbar.«
 

»Aha...«, kommentierte Shanks das trocken und nur müde interessiert. »Bitte weiter im Text... was hast du also gefunden?«
 

Der junge Techniker wühlte in seinem zerfledderten und teilweise angekohlten Laborkittel, bevor er etwas in der hohlen Hand aus der Tasche zog und unter den gespannten Blicken aller Anwesenden in die Mitte des Tisches legte. Selbst Law trat noch ein paar Schritte näher, um besser sehen zu können.
 

Marco entfuhr ein humorloses, trockenes Lachen, hart und abgehakt. Seine Hände verkrampften sich unbewusst, als er sah, was der junge Techniker da enthüllt hatte. Er erkannte die schwarzen, glänzenden Steine sofort, die teuren Opale - einst an einer Halskette - die jetzt wie zerbrochene Eierschalen auf dem Tisch vor ihnen lagen, so unscheinbar und trügerisch harmlos.
 

»Stussy…«, murmelte Marco ein Stück weit fassungslos. Er konnte kaum glauben, was er da sah und doch schienen so einige Dinge jetzt einen völlig absurden Sinn zu ergeben. Alle drehten die Köpfe fragend in seine Richtung.
 

»Lass' mich raten... du hast das im Badezimmer des Penthouse gefunden, Sabo?« Dabei wusste Marco die Antwort längst.

Der Techniker nickte überrascht. »Ja, richtig, aber woher...-«
 

Marco erklärte mit einer frustrierten Geste auf die schillernden, zerbrochenen Steine: »Vorgestern, am Tag der Pressekonferenz war Stussy mit Weevil hier im Tower. Ich habe sie mit in meine Wohnung genommen, weil sie angeblich etwas gesucht hat, was noch in meinem Besitz sein sollte. Mir kam ihr Verhalten an dem Tag eigenartig vor, aber ich habe mir nichts weiter dabei gedacht…« Er rieb sich über die Augenbrauen, strich sich dann zerknirscht durch die Haare. »Sie hat eine Kette mit diesen Steinen getragen und sie hat mich gebeten, mein Badezimmer benutzen zu können und dabei muss sie sie dort platziert haben.« Wie hatte er dieses Detail nur übersehen können?!
 

Thatch plusterte sich wütend auf. »Diese elende, kleine Schlange! Du hast ihr mehr gegeben, als sie je verdient hat... und das ist der Dank?! Dieses Miststück!« Er hielt mit seiner Abscheu kaum hinter dem Berg, denn er hatte Stussy noch nie leiden können und Marco immer vor ihr gewarnt.
 

Marco mäßigte Thatch mit einer ruhigen Handbewegung. »Ich kann mich irren, aber für mich passt das irgendwie alles nicht wirklich zusammen...«, warf er zweifelnd ein, nachdem er den ersten Schock überwunden hatte. »Was hätte sie persönlich schon davon, wenn ich tot wäre?! Da würden mir ganz andere einfallen, die viel mehr von meinem Ableben profitieren...«
 

Thatch und Marco tauschten einen kurzen Blick und in den Augen des Marketingmanagers flammte Erkenntnis auf, als sie beide in dem Moment wohl an genau die gleiche Person dachten - Weevil.
 

»Könntest du dir vorstellen, dass sie zu diesem Zirkel gehört, Marco?«, fragte Rayleigh.
 

Marco hob ratlos die Schultern. »Keine Ahnung, wir haben jetzt mehr als drei Jahre keinen wirklichen Kontakt gehabt. In der Zeit kann sich so einiges ändern, aber sie war eigentlich nie jemand, der besonders empfänglich für irgendwelche ominösen Glaubensgemeinschaften oder zwielichtige Gruppierungen ist.«
 

»Vielleicht war sie nicht die Urheberin dieses Plans, aber gänzlich unschuldig ist sie gewiss nicht...«, urteilte Law. Er war an den Tisch herangetreten und langte nach einer der Scherben, um sie forschend zwischen den tätowierten Fingern zu drehen. »Es ist ein hochrangiger Zauber nötig, um Beschwörungen über eine längere Zeit in solch einer Form zu konservieren. So etwas bekommt man nicht einfach an einer Straßenecke. Sie könnte durchaus ebenfalls zu diesem Zirkel gehören oder zumindest Kontakt zu ihm haben. Auf jeden Fall ist sie eine Spur, der man nachgehen sollte... vielleicht weiß sie etwas«, meinte er zu Marco, bevor er das Bruchstück zurück auf den Tisch warf.
 

»Ich kann kaum glauben, dass ich das sage, aber…«, Shanks seufzte und wies mit einer bestätigenden Geste auf Law, »Prinz Eisenherz hat recht. Du solltest mit deiner Ex-Geliebten vermutlich einmal ein ernstes Wörtchen reden und ihre Prioritäten klären.«
 

Laws Lippen verzogen sich flüchtig auf Grund des albernen Spitznamens, doch er sagte nichts dazu, sondern zog sich wieder an seinen Platz neben dem Fenster zurück.
 

Marco nickte, auch wenn die Aussicht auf diese Unterredung keine wirklichen Begeisterungsstürme in ihm weckte. »Ich werde sie persönlich aufsuchen und herausfinden, inwieweit sie in diese Sache verstrickt ist.« Er sah zu seinem Sicherheitschef hinüber. »Was ist mit dem Peilsender an dem Lieferwagen? Irgendwelche Hinweise auf ihren Aufenthaltsort?«
 

Jozu knirschte unzufrieden mit den Zähnen und schüttelte den Kopf. »Der ist schon vor ein paar Stunden ausgestiegen. Vermutlich haben sie ihn längst gefunden. In der Hinsicht fischen wir komplett im Trüben.«
 

»Es ist wohl mehr als naheliegend, dass sie eine Basis hier in Tokio haben, von der aus sie agieren. Aber die ohne Anhaltspunkte finden zu wollen, wäre ein schier utopisches Vorhaben…«, räumte Marco ein. »Wir konzentrieren uns wohl am besten erst einmal auf das, was wir haben - Stussy und die Standorte der beiden weiteren Bruchstücke. Ich plane morgen früh nach Toyohashi aufzubrechen.« An Kalifa gewandt bat er: »Sagen Sie bitte alle weiteren Termine für die nächsten Tage ab.«
 

Die blonde Assistentin nickte gewissenhaft, stand auf und begann noch im Gehen das erste Telefonat zu führen, um Marcos Terminkalender zu leeren. Der blaue Schein ihrer flimmernden Kybernetik spiegelte sich in der Scheibe der Tür, als sie den Raum verließ.
 

»Was soll ich der Presse sagen?«, fragte Thatch. »Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Angriff unentdeckt geblieben ist, vor allem nicht, nach eurem spektakulärem Auftritt auf dem Highway…«, gab er vorwurfsvoll zu bedenken, als er mit der Spitze seines eleganten Stiftes bereits auf seinem Pad tippte. Er schürzte die Lippen abwartend, während er Marco mit auffordernd gehobener Braue ansah.
 

»Schieb' es auf einen Machtkampf. Konzernkonkurrenz. Lass die Presse ruhig Mutmaßungen anstellen. Und gib bekannt, dass ich mich auf Grund einer Verletzung erst einmal ein paar Tage aus der Öffentlichkeit zurückziehe«, Marco griff nun doch nach seiner Kaffeetasse, wobei der längst kalt war. »Sollen diese Typen ruhig glaube, dass sie uns ernsthaft geschadet haben und sich in Sicherheit wiegen. Halten wir uns erst einmal bedeckt.«
 

Es wirkte, als wolle Thatch noch etwas anmerken, doch er schluckte es wohl herunter und nickte, bevor er seine Krawatte richtete. »Wie du wünschst…« Marco machte sich wenig Sorgen um die Medien, Thatch war einer der Besten seines Faches und würde sich schon eine plausible Geschichte einfallen lassen. Die öffentliche Meinung war ihm auch gerade herzlich egal.
 

»Das wäre vorerst alles«, entließ Marco sein Team damit. Die Anwesenden packten ihre Sachen zusammen und verließen nacheinander den Raum, doch Marco hielt Jimbei auf und bedeutete ihm, kurz sitzen zu bleiben. Auch Law blieb kurz in der Tür stehen, als wollte er noch mit Marco sprechen, aber dann war auch er verschwunden
 

»Wenn es dir keine allzu großen Umstände bereitet, wäre ich sehr froh, wenn du die nächsten Tage ebenfalls im Tower residieren würdest. Ich hätte dich und deine Kräfte gern hier vor Ort«, bat er seinen Personalchef. Marco wäre wirklich deutlich wohler zumute, den Hydromanten hier im Gebäude zu wissen - ein bisschen Wasser wäre bei einem möglichen Feuer von Vorteil und inzwischen wollte er auf alle Eventualitäten vorbereitet sein, damit sie nicht wieder so wie letzte Nacht überrumpelt werden konnten.
 

Jimbei neigte den Kopf einwilligend. »Natürlich, ganz wie du willst, Marco.«

»Ich danke dir.«
 

Harutas Projektion verschwand, als auch Marco jetzt aufstand, seine Anzugjacke zuknöpfte, um sich dann noch einmal an Shanks und Silvers Rayleigh zu wenden, die als Letzte in der Konferenz verblieben waren, nachdem nun auch Jimbei ging.
 

»Sonstige Neuigkeiten oder Anweisungen?« Marco setzte sich halb auf den Schreibtisch unweit von den Projektionen der beiden Senatsmitglieder und verschränkte die Arme vor der Brust. Nur mühsam konnte er sich davon abhalten, die Schultern zurückzuziehen, da die Prellungen einen beharrlichen Schmerz in seine linke Seite jagten.
 

Rayleighs Blick wurde jetzt nachgiebiger und der weißhaarige Mann wirkte ehrlich betreten, als er sprach: »Es tut mir wirklich leid, dass du so kurz nach deiner Ernennung schon in solche Schwierigkeiten gerätst, Marco. Natürlich ist man als Senatsmitglied immer irgendwie im Visier der Öffentlichkeit, aber dieser offene Angriff...«, er drückte die gefalteten Hände erschüttert an die Lippen und schloss kurz die Augen, »... ich bin bestürzt. Sicher bereust du deine Ernennung inzwischen, aber normalerweise sollte ein Amtsantritt wirklich nicht so holprig wie in deinem Fall verlaufen.«
 

Marco schüttelte den Kopf. Ja, sein Leben war nicht gerade einfacher geworden, er hatte Leute verloren, aber hätte er wirklich seine Hilfe versagt, wenn er um diese unerwarteten Risiken gewusst hätte?! Wohl kaum. »Ich hätte dem Mädchen auch helfen wollen, wenn ich kein Senatsmitglied wäre und damit wären meine Leute und ich wahrscheinlich ebenso ins Kreuzfeuer geraten. Das ist ein Risiko, mit dem ich nun wohl leben muss.« Entschlossen reckte er das Kinn. »Umso wichtiger ist es, diesen Zirkel aufzuhalten.«
 

»Wohl wahr«, nickte Rayleigh gedankenvoll, dann strich er sich erwägend durch den Bart und der aufmerksame Blick aus klugen, hellen Augen huschte zur Tür hinüber. »Glücklicherweise scheinst du tatkräftige Unterstützung zu haben… sag, wer ist dieser junge, dunkelhaarige Mann mit dem entschlossenen Blick? Ich glaube nicht, sein Gesicht schon einmal in Edwards Reihen gesehen zu haben.«
 

Marco konnte nicht verhindern, dass ein winziges Lächeln seine Mundwinkel bewegte. »Das ist Trafalgar Law, der Bruder der verletzten, jungen Frau und vermutlich der Grund, dass ich überhaupt noch lebe. Er hat mich in der Nacht vor schlimmerem bewahrt«, erklärte er so sachlich wie möglich. »Unsere Wege haben sich zufällig gekreuzt, aber er ist eine unerwartete… Hilfe.«
 

»Ist er ein MAG?«

»Ja. Ein Telekinet.«

»Wie begabt?«

Die Lüge kam Marco ungewöhnlich leicht von den Lippen: »Durchschnittlich. Vermutlich C oder B Rang.« Er wusste nicht recht warum, aber er hielt es für das Beste, die Entdeckung, die er in Laws Geist gemacht hatte, vorerst für sich zu behalten und weder Shanks oder den Senat einzuweihen.
 

Rayleigh zog die Brille von seiner Nase und putzte diese beiläufig am Saum seiner hellen Anzugjacke. »Ah, verstehe… nun, ich denke, jegliche Unterstützung ist in diesem Fall willkommen.«
 

»Durchaus.« Die Bilder der Nacht flackerten vor Marcos Augen auf, ihre Jagd auf dem Highway, diese fremden MAGs mit der unheiligen Magie... »Dieser Erebomant und dieser Phobiokinet, ihre Magie war… alt und gewaltig. Mir ist so etwas noch nie untergekommen. Dieser Phobiokinet war mit Sicherheit derjenige, der die Gesellschaft um Yamamoto Ashitaka so zugerichtet hat.«
 

Shanks‘ holografisches Abbild lehnte sich nach vorn und er bettete die Unterarme auf den Oberschenkeln, lauernd, wie der Wolf kurz vor dem Angriff. »Rang A?« Eigentlich war es keine wirkliche Frage aus seinem Mund.
 

»Mit ziemlicher Sicherheit«, bestätigte Marco mit einem leisen Schaudern. Ein Rang A MAG konnte schon eine Naturgewalt sein, aber gleich zwei davon... eine Katastrophe. Und sie wussten längst nicht, was dieser Zirkel noch in seinem Arsenal verbarg.
 

Shanks‘ Nasenflügel blähten sich, dann fluchte er wenig zurückhaltend und klopfte sich eine weitere Zigarette aus dem Etui, das er aus seiner Manteltasche nahm. »Scheiße...«
 

Auch Rayleigh wirkte mehr als nur besorgt. Kein Wunder, denn solch mächtige MAGs konnten verheerenden Schaden anrichten, gerade wenn sie auf Seiten von Terroristen oder Aufwieglern agierten. Das altehrwürdige Senatsmitglied schob die Brille wieder auf die Nase und meinte ernst: »Ich werde Sakazuki darüber informieren und Erkundigungen einholen lassen, ob es Informationen oder Daten über derlei MAGs gibt, auf welche die Beschreibung passen könnte. Womöglich müssen wir diesem Fall viel mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen, als bisher geschehen.« Er wandte sich an Shanks: »Du untersuchst den kürzlichen Vorfall in Kobe.«
 

Marco hob fragend eine Braue und Rayleigh drehte besorgniserregend unruhig an einem der Ringe an seiner Hand. Sein Blick wurde eindringlich. »Ist diese Verbindung absolut sicher?«

»Natürlich«, garantierte Marco.
 

»Das Folgende muss zwingend unter uns bleiben.« Rayleigh lehnte sich mit einem schweren Seufzen zurück und verschränkte die Hände, bevor er berichtete: »Es gab einen Mordanschlag. In Kobe. Auf Senatsmitglied Korinte Khumalo.«
 

Marco schluckte schockiert. »Oh Gott... geht es ihm gut?«

Rayleigh holte tief Luft. »Er hat überlebt und liegt im Krankenhaus, aber... er ist längst nicht über den Berg.«
 

Korinte Khumalo war eines der NoMAG Mitglieder des Senats und recht beliebt in der Öffentlichkeit, gerade bei den normalen Menschen, da er sich stets flammend und mit stichhaltigen Argumenten für die Rechte der NoMAGs und die Reglementierung von MAG-Kräften einsetzte. Einige MAGs jedoch hielten ihn für einen Extremisten.
 

»Khumalo war in Kobe, um die nächste Abstimmung im Senat vorzubereiten. Er wollte demnächst seinen sehr umstrittenen Vorschlag abstimmungsreif unterbreiten, HeilerMAGs per Gesetz zu verpflichten, ihre Kräfte in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen.« Rayleigh strich eine Falte aus seiner makellosen Hose. »Ich bin ehrlich, Korinte hat viele Befürworter, aber auch viele Feinde. Vielleicht ist es nichts, vielleicht hängt es nicht mit den Vorfällen hier in Tokio zusammen, aber ich möchte es lieber untersuchen lassen. Ich will sicher gehen.«
 

»Natürlich, ich verstehe,« räumte Marco ein. »Dann hören wir voneinander, sobald es Neuigkeiten gibt. Passt in der Zwischenzeit auf euch auf.« Er beendete die Telefonkonferenz und die Hologramme der beiden Senatsmitglieder verschwanden. Er rieb sich mit einem kleinen Stöhnen über den Nacken und rollte die Schultern, dann verließ er ebenfalls den Meetingraum.
 

Thatch schien auf ihn gewartet zu haben, denn sein Freund stand knapp neben der Tür, die Miene ungewöhnlich ernst, als er jetzt aufsah und fragte: »Hast du eine Minute?«
 

»Sicher.«
 

Sie traten beiseite in eine kleine Pausenecke mit Stehtisch und Thatch legte sein Notepad wortlos zwischen ihnen ab, bevor er ein Video startete. Zu sehen war die verwackelte Aufnahme einer Pressedrohne, die eine schwarz-gelbe Yaiba Kusanagi aus der Luft verfolgte. Das Motorrad mit den zwei Männern steuerte in rasendem Tempo und mit halsbrecherischen Manövern über den dicht befahrenen Highway und wich dabei dem Beschuss aus einem Transporter aus. Es wirkte mehr wie die Szene aus einem Film als eine schlichte Überwachungsaufnahme.
 

»Es hat mich so einiges gekostet, dieses kleine Filmchen in die Finger zu bekommen, bevor es alle Nachrichtensender wahrscheinlich in den Morgennews präsentiert hätten«, erklärte Thatch, ehe er Marco aufgebracht anfuhr: »Kannst du mir bitte mal erklären, was das für eine Aktion sein sollte?!«
 

Marco blieb gelassen. »Ich glaube, das weißt du ganz genau, du hast immerhin alle Einzelheiten gerade gehört.«
 

Thatch schnappte das Pad und hielt es ihm wie eine Anklage unter die Nase, während er aufgebracht schnaubte. »Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht, Marco?! Einfach so da rauszugehen und den einsamen Rächer zu spielen… hältst du dich etwa für Bruce Wayne!? Mal ganz abgesehen davon, dass sich die Medien auf so etwas«, er tippte bedeutungsschwer auf das noch laufende Video, »wie ausgehungerte Wölfe stürzten würden, verdammt, du hättest ernsthaft verletzt oder getötet werden können, ist dir das eigentlich klar?!«
 

Thatch hielt jetzt inne und stierte einen der Vertriebsmitarbeiter böse an, der zufällig den Flur entlang kam und sich einen Kaffee kochen wollte. Doch bei Thatchs finsterem Blick zog er den Kopf zwischen die Schultern und eilte mit seinen Dokumenten im Arm lieber in das nächste Büro.
 

Nachdem der Mann verschwunden war, erwiderte Marco lakonisch: »Ich kann schon auf mich aufpassen.« Aber das schien Thatch erst recht auf die Palme zu bringen.
 

»Verflucht Marco«, Thatch schlug die Faust auf den Tisch, dann stützte er die Stirn überfordert in seine Hand, bevor er die losen Haarsträhnen aus seiner Stirn strich, »du bist jetzt CEO! Du hast eine Verantwortung und vor allem Sicherheitspersonal, das so etwas für dich erledigen sollte. Du bringst dich viel zu unbedacht in Gefahr! Du kannst nicht einfach Freizeitsoldat spielen, nur, weil dir vielleicht danach ist!«
 

Marco erwiderte mit einem gedämpften Knurren: »Ich bin Soldat…«

»Nicht mehr, Marco. Dieser Mensch bist du nicht mehr!«, hielt Thatch mit eisernem Blick dagegen.

»Dieser Mensch werde ich immer sein! Es ist ein Teil von mir«, stellte Marco deutlich klar. Natürlich war er nicht stolz auf seine Vergangenheit, aber er würde sie nicht leugnen. »Und was denkst du, was Pops getan hätte, hm? Du glaubst doch nicht, dass Vater in seinem Sessel sitzen geblieben wäre und Däumchen gedreht hätte, während seine Firma und seine Leute angegriffen werden?!«
 

»Pops hat aber auch nicht deine Vergangenheit!«

»Aha… und was hat das eine jetzt mit dem anderen zu tun?!«

»Vielleicht hast du ja Spaß daran, dich in Gefahr zu bringen!?«

Marco hob eine Hand und unterbrach seinen Freund, bevor sie sich nur weiter im Kreis drehen würden. »Stopp…Worum geht es hier wirklich, Thatch?!«
 

Thatch machte ein verbissenes Gesicht und schnaubte frustriert. Seine angespannten Schultern sackten herab und sein Ärger schien mit einem Mal zu weichen, bis nur noch eine tiefgreifende Besorgnis in seinem bohrenden Blick übrig blieb. Er legte Marco eine Hand auf den Unterarm, seine Stimme wurde eindringlich.
 

»Ich weiß, welcher Weg hinter dir liegt, Marco… und ich«, Thatch fuhr sich erneut aufgewühlt durch die Haare, während er unüblicherweise nach Worten suchen musste, »ich will einfach nicht, dass es wieder so wird wie damals… dass du wieder so wirst, weil dich deine Vergangenheit einholt… ich möchte meinen Freund nicht verlieren, verstehst du?! Ich mache mir Sorgen um dich.«
 

Thatch war sein langjähriger Vertrauter und einer der wenigen Menschen in Marcos Leben, die über seine Herkunft Bescheid wussten. Er war auch einer von Marcos ersten und wichtigsten Bezugspunkte gewesen, nachdem Whitebeard ihn gefunden und aufgenommen hatte. Thatch hatte Marco am Boden gesehen, hatte ihn erlebt, als er nach seiner Desertation nichts mehr als eine existierende Hülle gewesen war, teilnahmslos und verloren. Als es ihm egal gewesen war, ob er lebt oder stirbt, sich selbst nicht viel mehr wert als der Dreck an seinen Stiefeln...
 

»Ich will einfach, dass du auf dich achtgibst, okay? Wir kennen uns jetzt so lange und du weißt, du bist längst wie ein Bruder für mich, Marco. Dein Verlust würde mich schmerzen, es würde uns alle schmerzen. Du hast jetzt viele Menschen, die auf dich zählen, denen du sehr wichtig bist und die für dich durchs Feuer gehen würden. Du bist jetzt nicht mehr allein, hörst du, du hast jetzt eine Familie, die dich braucht.«
 

Marco lächelte leicht, denn die Sorge seines Freundes rührte ihn. »Hey…«, er drückte Thatchs Hand und schlug einen sanften Tonfall an, »das weiß ich doch und ich bin sehr dankbar dafür, glaub‘ mir. Ich verspreche dir, dass ich vorsichtig bin, aber bitte verlange nicht von mir, dass ich tatenlos zusehe, wenn Menschen in meiner Umgebung verletzt werden. Das kann ich nicht. Das werde ich nie können.«
 

Thatch rollte mit den Augen. »Ja ja, ich weiß, ich weiß… du bist und bleibst einfach ein unverbesserlicher, gutmütiger Trottel«, seufzte er kopfschüttelnd.
 

Marco schnalzte mit der Zunge und schmunzelte: »Redet man so etwa mit seinem CEO!?«
 

Thatch schlug ihm sein Hand vor die Brust und funkelte ihn zurechtweisend an. »Die Boss-Karte brauchst du bei mir gar nicht ausspielen, mein Lieber… meine Aufgabe ist es, dir immer und überall die Wahrheit ungeschönt unter die Nase zu reiben.«
 

»Und dafür bin ich auch dankbar... zumindest manchmal«, meinte Marco mit einem Zwinkern, dann richtete er seine Krawatte und sah auf die Uhr. »Ich muss jetzt los, wenn ich Stussy noch erwischen will.«
 

Soweit Marco wusste, tingelte seine Ex noch immer abends und nachts durch diverse Bars und Clubs für ein paar Auftritte als Sängerin, immer mit dem Traum von der großen Karriere und dem Wunsch nach dem ganz großen Durchbruch im Hinterkopf. Doch der blieb seit Jahren aus. Daneben war sie zumindest schlau genug, sich von ihren sorgsam ausgewählten Partnern aushalten zu lassen.
 

Früher hatte Marco ihr selbst bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter die Arme gegriffen, wenn das Geld mal wieder knapp gewesen war. Damit sie ihren Traum weiter verfolgen und das Leben leben konnte, was sie sich wünschte, weil es ihm selbstverständlich vorgekommen war, dass man sich in einer Beziehung gegenseitig unterstützen sollte… doch inzwischen war ihm bewusst, dass er stets viel mehr in diese Beziehung investiert hatte als sie. Er hatte immer selbstlos gegeben, wo sie nur genommen hatte.
 

»Moment mal…«, Thatch ergriff Marco am Arm, »Du willst sie doch wohl nicht allein aufsuchen? Die Frau hat immerhin versucht dich umzubringen!«
 

Marco meinte beruhigend: »Das wissen wir nicht mit hundertprozentiger Sicherheit. Ich muss in Ruhe mit ihr reden und das gelingt wohl besser, wenn ich sie allein aufsuche, als wenn ich mit einem ganzen Schwadron Securitys bei ihr anrücke, hm?«
 

»Du präsentierst dich diesen Leuten quasi auf dem Silbertablett?! Du gehst nicht allein!«

»Thatch...«
 

»Ich werde ihn begleiten.«
 

Marco und Thatch wandten beide gleichzeitig die Köpfe, als die dunkle, ruhige Stimme ihre Diskussion unterbrach. Law stand unweit von ihnen im Flur und musterte die beiden Männer aus dem Schatten seiner Mütze, während er die Hände in seine Jackentaschen steckten. Im Gegensatz zu vorhin ragte der Griff seines Schwertes wieder über seine Schulter. Keiner von ihnen beiden hatte ihn kommen hören. Seine Fähigkeit, lautlos aufzutauchen, konnte bisweilen fast unheimlich sein.
 

»Ich will auch Antworten, also werde ich mitgehen«, verkündete der junge Mann mit einem lapidaren Achselzucken, doch die Entschlossenheit in seiner Stimme ließ kaum Platz für Diskussionen. »Außerdem hat dein Freund recht, du solltest definitiv nicht allein gehen«, erklärte er an Marco gerichtet.
 

Während Marco noch reichlich verwundert war, blickte Thatch nachdenklich zwischen ihm und Law hin und her, bevor er seinen hellen Anzug zurecht zupfte und mit unbekümmerter Ehrlichkeit zu Marco meinte: »Offenbar hat der junge Mann wesentlich mehr Verstand als du.« Er zwinkerte Law zu. »Nicht nur gutaussehend, offenbar auch noch etwas im Kopf… du gefällst mir immer besser, Trafalgar Law«, schnurrte der Marketingmanager, klemmte sich sein Pad unter den Arm und verabschiedete sich mit einem Winken. »Wir sehen uns später.«
 

Law sah Thatch fast ein bisschen irritiert hinterher, als wüsste er mit dessen offensiver Art und Weise immer noch nicht recht umzugehen, während es Marco irgendwie wurmte, dass Thatch Law so ungeniert anflirtete. Dabei war es ja wahrlich nicht das erste Mal, dass Thatch keinen Hehl aus seinem Interesse einer Person gegenüber machte. Das tat der Marketingmanager eher selten und selten störte es Marco. Bei Law aber tat es das… auch wenn der junge Mann nicht den Eindruck erweckte, als würde er wirklich darauf eingehen wollen.
 

Marco räusperte sich, schloss den letzten Knopf seiner Anzugjacke und ging auf Law zu, dessen Augen sich jetzt wie selbstverständlich auf ihn richteten, wie immer intensiv und unbeirrbar. Und Marco gefiel das. Es gefiel ihm, wie Law ihn ansah, immer auf diese gewisse Weise nachdenklich, interessiert und aufmerksam, als würde er Marcos Gesten oder Mimik sehr genau verfolgen, um mehr über ihn herausfinden zu können. Es gefiel ihm, dass Laws Miene in seiner Gegenwart weicher zu werden schien... als wäre da Vertrauen, das seinem tiefsitzenden Argwohn überwog.
 

»Na dann, lass uns gehen«, Marco wies den Weg zum Fahrstuhl. Wenn er ehrlich war, begrüßte er es, dass der junge Mann ihn begleiten wollte. Nicht, dass er wirklich Angst gehabt hätte, aber mit Law an seiner Seite fühlte er sich seit der letzten Nacht doch irgendwie deutlich… wohler.
 

»Ich wollte euch nicht belauschen.«
 

Marco blinzelte aus dem Konzept gebracht und sah Law fragend an, der im Lift neben ihm lehnte, nachdem der sich in Richtung Tiefgarage in Bewegung gesetzt hatte. Er trug noch immer die gelb-schwarze Motorradjacke der Nacht, die auch einiges hatte einstecken müssen und vermutlich bei dem Sturz am Ellenbogen aufgerissen war. Marco hatte Laws Motorrad an seine hausinterne Werkstatt übergeben, um die Kusanagi schnellstmöglich zu reparieren.
 

Law schob seine Mütze ein Stück höher und führte ungewöhnlich wortreich aus: »Dich und…«, er zog kurz nachsinnend die Brauen zusammen, »Thatch. Ich wollte euch nicht belauschen, ich bin durch Zufall dazugestoßen, wollte euch aber nicht unterbrechen. Ich dachte vorhin schon, dass du die Frau nicht allein aufsuchen solltest, aber ich wollte deine Entscheidung nicht vor allen in Frage stellen.«
 

Marco schmunzelte leicht. »Schon gut, wir haben keine großen Firmengeheimnisse besprochen. Ich hab‘ nichts zu verbergen«…-vor dir. Marco gestand sich ein, dass er tatsächlich gern wesentlich mehr mit Law geteilt hätte. Über diese verdammte Senatsangelegenheit hinaus wollte er Zeit mit Law verbringen und ihn besser kennenlernen. Er hatte ihn wirklich gern in seiner Nähe.
 

Law richtete den Blick geradeaus und zog die Schultern fast reumütig ein wenig hoch. Als er sprach, wirkte es fast, als wolle er für sich selbst gewisse Dinge klarstellen. »Dein Freund macht sich Sorgen um dich. Alle hier tun das. Als ich das erste Mal hierher kam, hätte ich nicht erwartet, so etwas vorzufinden...«, gestand er mit rauer Stimme, plötzlich ungewöhnlich transparent, als wäre seine harte Maske ein Stück weit verrutscht.
 

»Was? Diese überbehütende Mutterglucke namens Thatch?!«, witzelte Marco und schob eine Hand in seine Hosentasche.
 

Law sah ihn jetzt direkt an und erwiderte ruhig: »Nein. Eine Familie. Echten Zusammenhalt.« Fast unverständig zog er die Brauen zusammen und berührte beiläufig einen der Ringe in seinem rechten Ohr. »Sabo hat meine Schwester beschützt. Ohne wirklichen Grund hat er sich selbst in Gefahr begeben, um sie zu retten. Du hast mich in diesem Scornbau gerettet und mir geholfen, ohne je eine Gegenleistung zu erwarten. Ich hatte anfangs viele Vorbehalte und Vorurteile und ich habe Konzerne und die arrogante Oberschicht immer gehasst, aber… ich habe euch falsch eingeschätzt.« Laws Blick strahlte nun eine Intensität aus, die Marco restlos fesselte. »Ich habe dich falsch eingeschätzt und dir zu Anfang so einige ungerechtfertigte Worte an den Kopf geworfen. Dafür muss ich mich entschuldigen.«
 

Marco schüttelte den Kopf. »Nein, das musst du nicht. Wirklich nicht. Ich nehm' dir das nicht übel. Ich bin sicher, du hattest allen Grund für deine Vorbehalte, Law.«
 

Law sah zur Seite, als wäre ihm dieses Verständnis zu viel und zuckte leicht mit den Schultern. »Vielleicht… aber das entschuldigt gewiss nicht alles.«
 

Marco hatte plötzlich den unbändigen Drang, Law berühren zu müssen und gab diesem zumindest soweit nach, dass er nach dem Arm des jungen Mannes griff, um dessen Fokus wieder auf sich zu lenken. Sanft sagte er: »Ich möchte trotzdem keine Entschuldigung von dir. Das ist nicht nötig. Ich weiß durchaus, dass es so einige Dinge gibt, die einen fürs Leben zeichnen können und das man gewisse Verhaltensweisen ganz schwer wieder loswird, sei es aus Selbstschutz oder Misstrauen heraus.« Er legte den Kopf ein wenig schräg, um Laws Augen unter der weißen Mütze einzufangen. »Stattdessen würde ich viel lieber wissen, warum du all diese Vorbehalte hattest und wenn du dich irgendwann bereit dafür fühlst, würde ich mich freuen, wenn du mir davon erzählen würdest…«, bot er mit einem vorsichtigen Lächeln an.
 

Law hielt Marcos Blick und jeglicher Argwohn war aus seinen stahlgrauen Augen gewichen. Da war viel eher eine stumme Verbundenheit, Erstaunen vielleicht über Marcos ehrliches Interesse, aber keine Zweifel. Keine Kälte. Er sah auf Marcos Hand an seinem Arm, als würde er das Gefühl erkunden... und dann hoben sich Laws Mundwinkel zu einem fast unmerklichen Lächeln, das Marco fast in die Knie gezwungen hätte. »Das werde ich, Marco...«, versprach er und Marco bemerkte abermals, dass er es mochte, wenn Law seinen Namen mit dieser dunklen Stimme aussprach, dass es fast wie eine Liebkosung klang.
 

Der Lift hielt mit einem sanften Ruck im Kellergeschoss der Tiefgarage und Marco musste sich regelrecht zwingen, seine Hand zurückzuziehen und dem jungen Mann damit seinen persönlichen Freiraum zurückzugeben. Er war viel zu fixiert auf Law und ihm dämmerte, dass es nicht nur rein edelmütige Motive waren, die ihn zu dem jungen Mann zogen, wovon er bisher so überzeugt gewesen war.
 

Zusammen verließen sie den Lift und liefen hinüber zu Marcos Caliburn, der mit blinkenden Lichtern erwachte und die Türen entriegelte. »Du glaubst eigentlich nicht wirklich daran, dass deine Exfreundin schuld an diesem Mordanschlag ist, oder?«, fragte Law, bevor sie einstiegen.
 

Marco hielt ebenfalls inne und stützte die Arme auf das Dach des Wagens, während er Law darüber hinweg ansah. »Nein«, gab er zu. »Ich meine, sie steckt in der ganzen Sache irgendwie mit drin, aber... nein, ich glaube nicht, dass sie mich wirklich umbringen wollte. Wir sind vielleicht nicht mehr die besten Freunde, aber definitiv keine Feinde und von meinem Tod hätte sie objektiv betrachtet recht wenig.«
 

»Ganz anders als dein Bruder«, urteilte Law spitzfindig.
 

»Hm«, Marco rieb sich angestrengt über den Nacken und nickte. »Weevil hasst mich, er denkt, ich hätte ihm sein Leben und sein Erbe weggenommen. Er hätte zumindest ein Motiv, diesem Zirkel zu helfen.«
 

Law schrägte den Kopf leicht, seine hellen Augen ergründend und aufmerksam. »Und trotzdem hoffst du, dass du falsch liegst...«, erkannte er schnell.
 

Marco sah überrascht auf, denn Law konnte erschreckend gut in ihm lesen. Er nickte. »Aber nicht um meinetwillen, denn meine Antipathie gegen diesen Idioten lasse ich hier einmal außen vor. Es geht mir um meinen Vater. Weevil raubt ihm eh schon den letzten Nerv, wenn er jetzt auch noch knietief in so einer Scheiße stecken würde...«, Marco ballte die Fäuste auf dem Autodach und biss die Zähne zusammen, »... das würde Pops das Herz brechen. Trotz all dem Mist, den Weevil in seinem Leben so verzapft hat, weiß ich, dass mein Vater trotzdem immer noch darauf hofft, dass Weevil sich ändern könnte. Er würde es nie zugeben, aber es ist so... immerhin ist er sein Sohn.«
 

»Das bist du auch«, erwiderte Law mit einer bemerkenswerten Ruhe. »Du bist nicht für Weevil und sein Handeln verantwortlich und Schuld hast du schon gar nicht daran. Er ist längst alt genug, um seine eigenen, dummen Entscheidungen zu treffen.«
 

Die trockenen Worte entlockten Marco ein amüsiertes Schnauben. »Wohl wahr...« Laws unaufgeregte, sachliche Art war angenehm und erdete Marco. Er holte tief Luft, um dann zu nicken, bevor er die Autotür aufzog. »Dann wollen wir mal versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen.«

Blutige Spuren (II)

Der vielstöckige Appartementblock, in dem Marcos Ex-Freundin wohnte, war genauso, wie die meisten Wohnblocks in dieser Gegend - riesig, dunkel und trist. Ein gewaltiges Betonmonster, das aus hunderten Wohneinheiten bestand und sich über mehrere Ebenen der Stadt erstreckte, die durch ein kompliziertes und weit verzweigtes Netz aus Straßen und Brücken miteinander verbunden waren. Wohnraum war in der Megametropole ein Luxusgut, das sich der Großteil der Bevölkerung nicht so ohne weiteres leisten konnte.
 

Law blickte abschätzend an dem Gebäude hinauf, dessen obere Stockwerke im dichten Grau des Dezembers verschwanden, während Marco das Auto ein Stück weit entfernt in einer Parkbucht abstellte und eine seiner Sig Sauer aus dem Handschuhfach zog, um sie unter seiner Anzugjacke zu holstern. Die andere hielt er Law mit dem Griff voraus entgegen, der kurz überlegte, die Waffe dann aber mit einem Nicken entgegen nahm und sie - nach der Überprüfung des Lade- und Sicherungszustand - in seinen Hosenbund schob, bevor er ausstieg.
 

Er benutzte eigentlich eher selten Schusswaffen und bis vor kurzem war das auch kaum erforderlich gewesen, da er mit einer Mischung aus Telekinese und Schwertkunst stets gut zurechtgekommen war und sich auch gegen Beschuss ohne Probleme hatte zur Wehr setzen können. Doch im Moment sollte er den Gebrauch seiner Kräfte wohl besser auf das absolut notwendige Minimum beschränken.
 

Law schulterte seine Schwertscheide und begrüßte das beruhigend vertraute Gewicht des Katanas auf seinem Rücken. Es war meist besser, die hier zahlreich ansässigen, kleinen Straßengangs, die im Schatten der großen Kartelle ihr Dasein fristeten, von vornherein von dummen Ideen abzuhalten.
 

Sie befanden sich am Rande von Downtown - weit genug weg von den wirklich üblen Vierteln der Stadt, doch immer noch nah genug, dass selbst hier die Einflüsse der größten Unterweltbosse durch kleinere Kneipen und Spielhallen deutlich spürbar waren. Viele Bewohner von Tokio, die des nachts ihren Lebensunterhalt in den der Bars, Casinos, Bordellen und Fetischclubs von Akihabara verdienten, hatten ihre Wohnung hier in diesem Randbezirk.
 

Der Verkehr rauschte monoton an ihnen vorbei, ab und an erklang eine wütende Hupe, da ein paar Jugendliche mit ausgestrecktem Mittelfinger über die dichtbefahrene Straße hasteten, statt eine Überführung zu nutzen. Auf einer der Ebenen unten ihnen erwachte gerade ein asiatischer Wochenmarkt zum Leben. Geschäftiges Stimmengewirr summte durch die schmalen Häuserschluchten und der Geruch von Meeresfrüchten und altem Fett hing schwer im Nebel fest.
 

Vereinzelt lungerten schlecht kybernetisch optimierte Bandenmitglieder mit tätowierten Gesichtern in den überdachten Eingangsbereichen der Wohnblocks zusammen, rauchten, tauschten Hehlerware und Drogen, während aggressiver Bass aus einem weit geöffneten Fenster im Gebäude weiter über ihnen dröhnte. In dem ein oder anderen kleinen Fenster standen Pflanzen oder man hatte versucht durch bunte Vorhänge ein Mindestmaß an Gemütlichkeit herzustellen, doch der Hauptteil der Wohnungen war karg und anonym.
 

Marco und Law näherten sich dem zentralen Eingang des angesteuertem Appartementblocks, während sie ein paar Männer einen Eingang weiter mit gieriger Neugier beäugten. Einer der Kerle grinste sie breit an und reinigte sich mit einem schartigen Messer provokativ die schmutzigen Fingernägel. Ein anderer fuhr sich mit der Zunge über die schwarzen Zähne und sein kybernetisches Auge blinkte rot, als er sie unverhohlen scannte.
 

Doch der Umriss des Holsters unter Marcos Anzugjacke und das Schwert auf Laws Rücken dämpften ihr Interesse wohl ausreichend, denn kurz darauf widmeten sie sich schon einem verschüchtert wirkenden jungen Mann, der sich an ihnen vorbei zu seiner Wohnung drängeln wollte.
 

Sie betraten das hoch aufragende Gebäude nach einer deutlich übermüdeten Mutter, die - ihr Baby auf den Arm und ein weiteres Kleinkind in der Hand - vor ihnen aus der Tür stürmte und nur einen kurzen, abschätzenden Blick aus matten Augen schenkte, die tief unter kybernetischen Augenbrauen lagen. Dann eilte sie mit ihren Kindern auch schon durch den Nieselregen hastig in Richtung Bahnhaltestelle.
 

Im Hausflur roch es unangenehm nach scharfem Reinigungsmittel, doch selbst dieser penetrante Geruch konnte den Gestank von zu vielen Menschen auf zu wenig Raum nicht gänzlich überdecken. Law rümpfte die Nase und zog sich den Kragen seiner Jacke höher, während er flach durch den Mund zu atmen versuchte und hinter Marco die vielen Stufen hinauflief. Der hauseigene Lift schien schon länger kaputt, denn Kinder hatten ihn offenbar als Leinwand erkoren und die Türen mit allerlei Kritzeleien beschmiert.
 

Niemand, der ihnen entgegenkam, interessierte sich sonderlich für sie oder schenkte ihnen auch nur einen zweiten Blick. Die meisten der hier lebenden Menschen waren vollauf mit sich und ihrem Alltag beschäftigt, den sie irgendwie zu bestreiten suchten, um über die Runden zu kommen. Sie könnten hier überfallen oder angegriffen werden, die Chance, dass ihnen jemand helfen würde, war verschwindend gering.
 

Die beiden Männer erreichten auf der achtzehnten Etage eine der vielen, anonymen grau-blauen Wohnungstüren und während Marco klingelte, blickte Law forschend den schier endlosen Gang hinab. Augenscheinlich war ihnen niemand gefolgt. Nur ein ausgezehrter Lagerarbeiter in dunklem Overall schleppte sich mit vollen Einkaufstüten den Flur entlang und verschwand rasch in seiner Wohnung. Dann hallte nur noch das übertrieben laute und lustvolle Stöhnen einer Frau aus einem der Appartements.
 

Eine scheppernde Kette wurde zurückgezogen, dann öffnete sich die Wohnungstür vor ihnen. Law wusste nicht wirklich, was er erwartet hatte, doch er musste zugeben, dass ihn eine gewisse Neugier auf diese Stussy ergriffen hatte… weil es ihn irgendwie interessierte, welchen Typ Frau Marco wohl anziehend fand.
 

In den letzten Tagen hatte er im Tower immer wieder einmal aufgeschnappt, dass der Konzernchef offenbar mit der Popdiva Boa Hancock verkehrte, die als wirklich außergewöhnlich schön galt, aber Law war eigentlich nicht der Überzeugung, dass Marco tatsächlich Äußerlichkeiten Vorrang vor innerlichen Werten und dem Charakter geben sollte.
 

Die kleine, blonde Frau, die jetzt mit müden Augen und zerzausten, leicht gewellten blonden Haaren in der Tür erschien, war alles andere als hässlich… aber auch nichts wirklich Besonderes. Sie war für Laws Geschmack viel zu dünn. Die künstlichen Nägel und das hauchdünne, knappe Negligé, dass sie trug, gefielen ihm persönlich überhaupt nicht. Ihre falschen Wimpern waren übertrieben lang und das sicherlich vormals perfekte Make-up nur halbherzig für die Nacht entfernt.
 

Sie gähnte herzhaft und blinzelte ein paar Mal, bevor sie überhaupt zu realisieren schien, wer dort eigentlich vor ihrer Tür stand. Ein Ausdruck von anfänglicher Verwirrung wurde schnell abgelöst durch einen Funken Hoffnung, als sie jetzt den Gürtel ihres roten Morgenmantels eilig schloss und Marco reichlich verdattert anstarrte, als wäre er eine Erscheinung. »M-marco… du… was machst du denn hier?!«, krächzte sie überrascht.
 

»Können wir reinkommen? Ich muss mit dir reden«, hielt Marco sich gar nicht erst mit langen Höflichkeiten auf und kam sogleich auf den Punkt. Sein Tonfall war hart und wenig herzlich, genauso wie seine gesamte Ausstrahlung. Eine Hand hatte er bereits auf die Tür gelegt, um Stussy daran zu hindern, ihnen diese einfach vor der Nase wieder zuzuschlagen.
 

Stussy schien das auch zu bemerken, denn sie wich einen kleinen, unsicheren Schritt zurück und warf einen schnellen, nervösen Blick über die Schulter. »Ähm… also, ich…-« Erst jetzt bemerkte sie Law an Marcos Seite und stockte irritiert. Ihre langen Wimpern flatterten aufgeregt, als sie nun gänzlich überfordert mit der Situation schien.
 

»Scheiße, Stussy…«, murrte eine kratzige und eindeutig männliche Stimme aus dem Hintergrund, bevor sich schlurfende Schritte näherten. »Sind das schon wieder diese bettelnden Plagen?! Lass‘ dir von denen doch nicht ständig das Geld aus der Tasche ziehen, Herrgott nochmal… die sollen sich verpissen!«
 

Ein Mann in Unterhose erschien jetzt hinter Stussy und riss die Tür weiter auf, um ihnen einen unwilligen Blick durch dunkle, wirre Locken zu schenken. Seine Nase, rotgeädert, erzählte von zu viel Alkohol und die wässrigen, gelbstichigen Augen von dem Nachhall synthetischer Substanzen. Einfache, billige Tattoos schlängelten sich über seinen Arm, mit dem er eine Zigarette an seine trockenen Lippen führte, während er sie gründlich musterte und sich dabei den Speichel geräuschvoll durch die Zähne zog.
 

»Wer is'n der Schnösel?«, fragte er misstrauisch mit Blick auf Marco, nachdem er sich den unsauberen Bart gekratzt hatte.
 

Law hatte augenblicklich das Gefühl, die blonde Frau wolle am liebsten im Erdboden versinken. Verständlich, denn dafür, dass sie Marco vor ein paar Tagen angeblich noch zurückgewinnen wollte, hatte sie sich aber ziemlich schnell getröstet… und dabei ziemlich verschlechtert, wie Law mit gehobener Braue feststellte, der den abgehalfterten Mann in Unterhose jetzt schnell, aber gründlich maß.
 

Der schlecht rasierte Kerl war neben dem Konzerner nicht mal mehr als Trostpreis anzusehen... Law blickte flüchtig zu Marco hinauf, doch das kantige Gesicht des Konzerners blieb ungerührt. Seine blauen Augen waren klar und fokussiert. Offenbar kümmerte sie ihn wirklich keinen Deut mehr und seltsamerweise war diese Erkenntnis für Law erleichternd.
 

Stussy stieß dem irritierten Kerl neben sich jetzt eine Hand vor die Brust, sodass er einen Schritt zurück stolperte und zischte ihn giftig wie eine Schlange an: »Nimm‘ deine Klamotten und hau‘ ab!« Law meinte sogar fast eine Spur Verzweiflung aus ihrer hohen Stimme herauszuhören, denn wenn es auch nur die geringste Chance gegeben hätte, dass sie Marco zurückgewinnen könnte… jetzt war diese verspielt und das wusste sie ganz genau.
 

»Dein Ernst?! Du hattest mir Frühstück versprochen…«, murrte der Mann empört, doch nach einem weiteren Blick in Marcos todernstes Gesicht zog er sich tatsächlich zurück und suchte seine Sachen zusammen. Nur ein paar Sekunden später drängelte er sich angezogen und mit einem Rucksack über dem Rücken an ihnen vorbei und blaffte Stussy im Gehen an: »Ruf' mich bloß nicht nochmal an, klar!? Das nächste Mal besorg's dir selbst!«
 

Die kleine, blonde Frau presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen, Scham färbte ihre Wangen, doch sie trat jetzt beiseite und ließ sie ein. Law betrat hinter Marco das kleine Appartement und sah sich rasch um, aus Gewohnheit mögliche Gefahren und Fluchtwege sondierend. Der Wohnraum war überschaubar, aber ausreichend für eine Person und für diesen Teil der Stadt schon annähernd komfortabel.
 

Der Einrichtung haftete eindeutig weibliches Flair an, die Möbel waren filigran, verschnörkelt und in weiß und zartem Rosa und Blautönen gehalten. Überall standen kleine Dekorationen, Blumen, Kitsch und Krimskrams in allen möglichen Variationen und Law erhaschte durch die halb offene Schiebetür der Schlafnische einen Blick auf übervolle Kleiderständer, einen Berg aus Handtaschen und ein berstendes Schuhregal. Stussy schien gern über ihre Verhältnisse zu leben.
 

In der Luft hing ein leicht blumiger Damenduft, der aber nicht gänzlich über das Aroma von Sex, kaltem Rauch und schalem Bier hinwegtäuschen konnte. Auf dem kleinen, runden Küchentisch reihten sich leere Bierdosen an zwei Pizzaschachteln. Auf dem Deckel der einen waren die Reste einer pudrigen Substanz verschmiert und für Law brauchte es nicht viel, sich vorzustellen, wie der letzte Abend abgelaufen war.
 

Stussy trippelte vor ihnen in ihren weißen, glitzernden Pumps zum Wohnzimmertisch hinüber und griff nach der dort liegenden Zigarettenpackung. Ihre Finger zitterten unmerklich, als sie sich eine ansteckte und ihr Blick dabei unstet zwischen ihm und Marco hin und her hüpfte. »W-wollt ihr vielleicht etwas trinken?«
 

»Nein«, antwortete Marco einsilbig und verschränkte die Arme vor der Brust. Law hüllte sich in Schweigen, das erfahrungsgemäß meist das größte Unbehagen verursachte.
 

Peinlich berührte zupfte Stussy am federbesetzten Saum ihres Morgenmantels, in dem sie aussah wie eine der billigen Prostituierten aus dem "Red Zirkel", einem schmierigen Bordell in Akihabara, das man besser mied, wenn man sich keine wirklich hässlichen Krankheiten zuziehen wollte. »Marco, hör‘ mal… das eben, das war nicht das, wonach es…-«
 

»Das ist mir völlig egal, du kannst tun und lassen, was du willst. Es interessiert mich nicht«, schnitt der Konzerner ihr forsch und ungeduldig das Wort ab. »Deswegen bin ich auch nicht hier.«
 

»Verstehe…« Stussy zog die Unterlippe getroffen zwischen die Zähne und sparte sich klugerweise weitere fadenscheinige Beteuerungen. In ihren himmelblauen Augen stand die bittere Erkenntnis, dass diese Schlacht verloren war. Doch sie versuchte ihre Betroffenheit zu überspielen, als sie sich betont lässig auf die Armlehne eines wirklich hässlichen, pinken Sessels setzte, der vor dem einzigen Fenster des kleinen Appartements stand.
 

»Wer ist denn dein Begleiter? Einer deiner Sicherheitsleute?«, fragte sie den Konzerner, währenddessen sie die nackten Beine geschmeidig überschlug. Eine Bewegung, die den Saum ihres Morgenmantels ein Stück hoch rutschen ließ - eine Bewegung, bis zur Perfektion einstudiert, um Männer zu betören... doch die Illusion schlug fehl, denn ihr unruhig wippender Fuß verriet ihre Nervosität.
 

»Nein, er ist ein Freund«, antwortete Marco sehr überzeugt und Law war froh, dass Stussy viel zu fixiert auf Marco war... sonst hätte sie vielleicht seinen überraschten Blick bemerkt. Marco zog die zerbrochenen Edelsteine aus seiner Jackentasche und breitete die Scherben vor ihr auf dem, mit künstlichen Diamanten besetzten, Wohnzimmertisch aus. Ihr halb entblößter Körper schien ihn nicht im Geringsten zu interessieren oder gar aus der Fassung zu bringen »Erklär‘ mir, was das ist.«
 

Stussys Blick glitt kurz über die schwarzen Scherben und ihr Gesicht blieb bemerkenswert ruhig, doch in ihren Augen blitzte ein ungenügend verhülltes Erkennen auf und wachsende Unsicherheit, bevor sie bemüht gleichgültig mit den Schultern zuckte. »Keine Ahnung… kaputte Steine, würde ich sagen«, erwiderte sie gelangweilt.
 

»Lass' die Spielchen!«, fuhr Marco sie jetzt unbeherrscht an. »Ich weiß, dass du eine Kette mit diesen Steinen erst neulich getragen hast, als du mit Weevil im Tower warst… also erzähl‘ mir jetzt nicht, du wüsstest nicht, was das ist! Du hast sie in meiner Wohnung platziert. Also sag' mir, Stussy…«, er beugte sich bedrohlich über die kleine Frau, eine Hand auf die Sessellehne gestützt, »wer hat dich dafür angeheuert, meine Firma und meine Leute in Gefahr zu bringen? Wer hat dich dafür bezahlt, mich umzubringen?!«
 

Stussys Augen weiteten sich erst irritiert, dann wich sie regelrecht vor Marcos hoch aufragender Gestalt zurück, indem sie sich in den gepolsterten Sessel drückte und schüttelte heftig blinzelnd den Kopf. Die Verwirrung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. »Ich… nein, was?! Umbringen?! Niemand sollte umgebracht werden, ich…-« Sie biss sich auf die Zunge und wich seinem bohrenden Blick aus.
 

»Hast du mir nicht wahrlich schon genug Lügen aufgetischt…!?«, knurrte Marco und hämmerte mit der flachen Hand auf die Sessellehne, wodurch Stussy erschrocken zusammenzuckte. »Erzähl' mir verdammt nochmal die Wahrheit!« Law erkannte, dass Marco emotional eindeutig zu involviert war, um die Feinheiten zu erkennen... nämlich, dass die Bestürzung in Stussys jetzt sehr blassem Gesicht nicht gespielt war. Sie konnte dem unverhohlenen Vorwurf in Marcos tiefer Stimme nicht standhalten und schlug die Augen nieder.
 

Law trat an den Konzerner heran und legte ihm sachte eine Hand auf die Schulter, um ihn an seine Anwesenheit zu erinnern und zu fokussieren. Er konnte die unterschwellige Anspannung in den Muskeln unter seinen Fingern deutlich spüren und Marcos untypische Unbeherrschtheit durchaus verstehen. Man hatte seine Familie angegriffen und auch Law war wütend, weil man seine Schwester in Gefahr gebracht hatte, aber wenn sie Stussy zu sehr bedrängten, würde die vermutlich irgendwann komplett dicht machen.
 

»Der Newgate-Tower wurde in der Nacht durch die Kreationen eines Summomanten angegriffen«, erklärte Law der blonden Frau jetzt ohne jegliche Wärme in der Stimme. Sie sollte nicht denken, dass er auf ihrer Seite stünde, nur weil er Marco im Augenblick davon abgehalten hatte, sie in der Luft zu zerfetzen. »Von Beschwörungen, die aus diesen Steinen gekrochen sind, als Attentat auf Marcos Leben und das einer weiteren Person im Tower geplant. Dabei sind fünf Menschen gestorben.« Die harten, unbeschönigten Fakten, denn sie musste sich der Tragweite ihrer Tat bewusst werden.
 

»Was…!?« Stussys riesige, blaue Augen flackerten jetzt völlig verunsichert zwischen Laws ausdruckslosem Gesicht und Marcos finsterer Miene umher. Sie hob ihre Zigarette an die zitternden Lippen, um sich kurz zu sammeln, dann drückte sie diese mit hektischen Bewegungen im Aschenbecher aus und legte Marco ihre so klein erscheinende Hand auf die Brust, was in Law den irrationalen Impuls weckte, ihre Finger wegzuschlagen… die Gewissheit, dass sie Marco sicherlich einst auf noch ganz andere Weise berührt hatte, behagte ihm nicht.
 

»Marco, nein… ich… ich wusste nicht, dass jemand zu schaden kommen würde, das schwöre ich dir! Ich würde niemals wollen, dass du verletzt wirst, bitte, das musst du mir glauben!«, beteuerte sie mit wässrigen Augen und Law kaufte ihr das verzweifelte Gestammel sogar irgendwie ab. Sie schien sich langsam bewusst zu werden, dass sie vermutlich in Dinge gestolpert war, die aus dem Ruder liefen…
 

Marco löste ihre Finger von seiner Jacke und richtete sich wieder auf. Unerbittlich blickte er auf sie herab. »Und was wolltest du dann? Warum hast du diese Steine in meiner Wohnung platziert?«, fragte er scharf. Ihr Bekenntnis schien ihn wenig bis gar nicht zu bewegen.
 

Stussy rieb sich mit den Fingerspitzen überfordert über das Gesicht, wobei sie die Reste ihres Make-ups nur noch mehr verschmierte. Inzwischen sah sie aus wie ein Geist mit der fahlen Haut und den dunklen Spuren um die Augen. »Das war doch alles nicht meine Idee…«, erwiderte sie empfindlich. Sie verschränkte die Arme und zog die Schultern hoch, als würde ihr trotz des Morgenmantels in der warmen Wohnung frösteln. »Da waren diese Leute…«
 

»Was für Leute?«, hakte Marco ungeduldig nach, während Law sich ein wenig in der kleinen Wohnung umsah und ein paar ungeöffnete, signalrot blinkende Briefe auf der Kommode auseinander schob. Rechnungen und Mahnungen und viel effekthaschende Werbung für die neueste Kybernetik. An der Wand hingen einige Holobilder namenhafter Luxusgüterhersteller, auf denen androgyne Männer und Frauen in ewig gleicher Bewegung für Düfte oder Handtaschen posierten.
 

Alles hier erzählte von einer fast verzweifelten Sehnsucht nach mehr, nach einem besseren, glanzvollen Leben, das aber immer in unerreichbarer Ferne blieb - ein mögliches Motiv für die Beteiligung an einem hinterhältigen Attentat? Vielleicht. Hoffnung konnte immer ein starker Antrieb sein, aber... die Sehnsucht in Stussys Augen bei Marcos unverhofftem Auftauchen war genauso real gewesen.
 

Stussys blasse, zierliche Hand flatterte wie ein aufgeschreckter Vogel durch die Luft. Ihre perlmuttfarbenen Nägel glänzten im kargen Licht der blütenähnlichen Deckenlampe. »Irgendwelche Bekannten von Weevil, ich kenne die nicht wirklich…«
 

Marco und Law tauschten einen alarmierten Blick. »Was hat Weevil damit zu tun?«, grollte Marco.
 

»Ich... ich kann dir das nicht erzählen... sie werden es herausfinden... Marco, bitte... ich will keinen Ärger...«, flehte sie und dabei huschte ihr Blick zu Law und dem Schwert auf seinem Rücken, sich wahrscheinlich mehr als bewusst, dass der Ärger schon längst in ihrer Wohnung stand.
 

Marcos Kiefer mahlte und seine geschmälerten Augen fixierten sie hart, als er schonungslos bemerkte: »Den hast du eh schon...« Er entblößte sein Handgelenk und präsentierte ihr das schimmernde Siegel des Senats. »Du bist offensichtlich mitbeteiligt an einem Attentat auf ein Senatsmitglied.«
 

Law hätte es nicht für möglich gehalten, doch Stussy wurde noch blasser und sie griff sich mit zitternden Fingern geschockt an den schlanken Hals. »Oh Scheiße... ich wusste nicht... nein, so war das nicht... Marco, bitte...«
 

»Sag' mir, was du weißt.« Marco ließ den Ärmel wieder über sein Handgelenk gleiten. »Dann kann ich vielleicht dafür sorgen, dass dein Anteil an der ganzen Sache als... unbedeutend gering eingestuft wird.«
 

Stussy nagte an ihrer vollen Unterlippe und haderte sichtlich mit sich, dann griff sie nach der noch halbvollen Flasche Prosecco auf dem Wohnzimmertisch, pfiff auf Manieren und trank einen großen Schluck direkt aus der Flasche. Dann erzählte sie mit schwacher Stimme: »Weevil trifft sich seit einiger Zeit mit diesen Leuten, ich weiß nicht, wer die sind oder was die machen, aber seitdem er mit denen rumhängt, ist er komisch geworden, er… redet eigentlich kaum noch mit mir, ist ständig irgendwo unterwegs und wenn ich ihn danach frage, sagt er mir immer nur, das würde mich nichts angehen oder ich wäre eh zu dumm, um es zu verstehen… er hat sich sogar erst neulich ein Tattoo auf die Schulter stechen lassen…-«
 

Marco erstarrte. »Was für ein Tattoo?« Er entdeckte ihr Datenpad auf der winzigen Küchenanrichte und warf es ihr zu. »Zeichne es mir auf«, forderte er, bevor er begann, unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. Seine Schritte verursachten kaum einen Laut auf dem dicken Teppich.
 

Während Stussy zu zeichnen begann, bezog Law neben dem Fenster Stellung und schob die hellpinken, hauchzarten Vorhänge mit zwei Fingern ein wenig beiseite, um nach draußen zu spähen. Sein Nacken überzog ein warnendes Kribbeln und er wurde das Gefühl nichts los, dass man sie beobachtete, doch er konnte nichts verdächtiges entdecken.
 

Die Aussicht war gänzlich unspektakulär, denn viel mehr als das nächste Hochhaus sah man nicht, an dessen Fassade auf mehreren, terrassenartig angelegten Vorsprüngen kleinere Reisfelder angelegt wurden waren. Aus dem allseits bekannten Platzmangel wurde stets jede verfügbare Fläche der Stadt genutzt, da die Megametropole nicht aufhören wollte zu wachsen und natürlich auch landwirtschaftlich nutzbare Flächen verdrängte.
 

In der Mitte des Nebengebäudes blinkte die Reklametafeln eines einschlägigen Massagetempels in Downtown - die fast haushohe Neonsilhouette einer vollbusigen Frau, die lasziv ihre Brüste der ganzen Welt darbot. Aus ihrem weit geöffneten Schritt regneten funkelnde Sterne auf den Eingang eines Nachtclubs auf den tieferen Etagen.
 

Weiter unten schob sich der Verkehr wie ein vielfarbig glänzendes Wesen über die sich mehrfach überlappenden Straßen, schwerer Dunst zog aus den tieferen Ebenen der Kanalisation und den Schächten der Energieversorgung herauf. Über allem lag der graue, verwaschene Schleier des anhaltenden Nebels und hielt die üblen Gerüche der Stadt hartnäckig zwischen den Häuserschluchten fest.
 

Law hasste diese Stadt - er hasste den Schmutz, die Dekadenz und Korruption und das stille Leid der Unterschicht, hasste den Geruch der vielen Menschen, den Lärm und die grenzenlose Anonymität, wenngleich diese ihm eins ums andere Mal gute Dienste geleistet hatte. Wenn er je von einer Zukunft zu träumen gewagt hatte, dann meist von einem Leben außerhalb von Tokio, weit ab von diesem Sündenpfuhl, aber jetzt…
 

Sein Blick über die Schulter fand Marco und er verspürte eine Verbindung zu dem Konzerner, der er sich nicht entziehen und die er schon längst nicht mehr leugnen konnte. Er gewöhnte sich so erschreckend schnell an Marcos Gesellschaft, dass es ihm vermutlich bald sehr schwer fallen könnte, ihn aus seinem Leben zu streichen... wenn er diesen Punkt nicht schon längst überschritten hatte.
 

Law schob diese überfordernden Emotionen und seine Schwäche für Marco für den Augenblick beiseite und wandte sich vom Fenster ab, gerade als Stussy den Stift ihres Pads beiseite legte und dieses Marco nach einem kurzen Zögern entgegen hielt. »Ich bin nicht mehr ganz sicher, aber ich glaube, so sah es aus…«, erklärte sie verhalten und Law sah den Kreis mit dem durchbohrenden Pfeil, bevor Marco das Pad ergriff und sich dessen gewölbte Brauen finster herabsenkten.
 

Er erkannte dieses Symbol wieder.

Marco sah auf und formte für Law tonlos mit den Lippen nur ein Wort. Zirkel.
 

»Diese Leute, sie haben alle das gleiche Tattoo und… sie sind unheimlich«, erzählte Stussy jetzt verhalten, während ihre langen Nägel an einer Feder ihres Ärmelsaumes zupften. »Ich war immer froh, nichts mit ihnen zu tun haben zu müssen, aber Weevil kam mit zwei von denen in der Nacht vor unserem Treffen zu mir und gaben mir die Kette. Er… er sagte, ich solle ein paar der Steine in deiner Wohnung platzieren und meinte, es wäre nur irgendwelche harmlose Überwachungssoftware, eine Wanze, um ein paar belastende Geheimnisse aufzuschnappen… und… ich hab‘ mich geweigert, weil ich mit so was nichts zu tun haben wollte. Ich wollte dir oder deinem Vater nie schaden, Marco«, betonte sie abermals, dann zog sie reumütig die Schultern hoch, bevor sie einen weiteren Schluck aus ihrer Flasche nahm.
 

»Aber er hat nicht locker gelassen und mich gedrängt und… Weevil hatte diesen Kerlen offensichtlich erzählt, dass meine Mutter im Krankenhaus liegt. Sie wussten alles, wo sie stationiert ist, welche Krankheit sie hat und sie sagten... sie sagten, sie würden Leute kennen, die sie heilen könnten...«, ein brüchiges Schluchzen begleitete ihre Worte und sie drückte die Finger gegen die zitternde Unterlippe, »... oder ihr Leiden noch verschlimmern, je nachdem, wie kooperativ ich wohl wäre. Sie sagten, ich hätte die Wahl... es war eine offene Drohung...«
 

Marcos Blick wurde ein Stück weit weicher und auch Laws Abneigung gegen die junge Frau schwand ein wenig. Er hatte schon viele in die Ecke gedrängte Menschen erlebt, die das Blaue vom Himmel gelogen und ihre Unschuld beteuert hatten, nur um ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen… aber Stussys Reue, die Verzweiflung über ihre ausweglose Situation war echt und nicht gespielt.
 

Law schien es unwahrscheinlich, dass sie Marco ernsthaft hatte schaden wollen - sie war vielleicht nicht sonderlich geschickt im Umgang und bei der Wahl ihrer Männern, sicherlich oberflächlich und verzweifelt auf ihren Vorteil bedacht... aber eine skrupellose Mörderin? Eher nicht.
 

Stussy hob den Kopf und ihre blauen Augen schwammen in mühsam zurückgehaltenen Tränen. »Also hab' ich es getan, was sollte ich auch sonst machen?! Aber ich habe die Steine in deinem Badezimmer platziert, Marco, weil ich noch dachte, dass Weevil dort wohl kaum wirklich wichtige Informationen würde aufschnappen können...« Mit einer harschen Geste strich sie sich die lockigen, kinnlangen Haare aus der Stirn und biss sich auf die Lippe. »Es tut mir leid, ich... hätte ich gewusst, was das wirklich ist... ich wollte nie, dass irgendjemand verletzt wird oder stirbt, wirklich nicht, aber diese Leute…«
 

Wieder schlang sie die Arme um sich und erschauderte, dann suchte ihr aufgelöster Blick den von Marco. »Du weißt, dass ich meine Mutter über alles liebe. Sie war immer für mich da, egal, wie mies es uns ging und hat mich beschützt, wenn mein Vater wieder einmal einen seiner Tobsuchtsanfälle hatte... sie war wirklich das einzig Gute in meinem Leben, bis ich dich getroffen habe…«, ihre Stimme erstarb in einem kläglichen Hauchen, »... es war nicht gelogen, als ich dir sagte, dass ich noch Gefühle für dich habe, Marco… es war die Wahrheit, ich war nur lange zu verbohrt, um es wirklich zu begreifen und nun... habe ich einfach alles falsch gemacht. Vielleicht hatte Weevil in der Beziehung ja doch recht und ich bin einfach nur zu dumm…«, murmelte sie bitter und mutlos.
 

»Unsinn!« Marco schnaufte aus und massierte sich den Nasenrücken, bevor er einen Schritt auf sie zuging, als wollte er sie trösten. Er war einfach viel zu sehr dieser gutherzige Mensch, der nicht tatenlos dabei zusehen konnte, wenn eine Frau weinte und so völlig verzweifelt war - vor allem, da sie wirklich unschuldig in die ganze Sache geraten schien. »Stussy…-«
 

Ihr Blick hob sich hoffnungsvoll.
 

Eine einzelne Kugel durchschlug das Fenster und traf mit einem sehr weichen, gedämpften Laut auf Stussys Hinterkopf, bevor sie ihre Stirn durchbohrte und sich in die Wand neben der Eingangstür bohrte. Blut verteilte sich wie feiner Sprühregen über den Wohnzimmertisch und den flauschigen, weißen Teppich darunter, spritzte in einem Bogen auf Marcos weißes Hemd, der noch in der Bewegung völlig gefror.
 

Stussys Körper erstarrte, ihre Pupillen weiteten sich und ihr Mund formte ein lautloses O, während ein träger Tropfen Blut aus der perfekt kreisrunden Austrittswunde aus ihrer Stirn floss und ihren Nasenrücken passierte, bevor ihre Augen trüb wurden und sie von dem Sessel kippte. Ihre Pumps rutschten von ihren Füßen und fielen auf den Teppich. Die Flasche Prosecco zerschellte auf dem Fußboden.
 

Law zischte einen Fluch und riss den erstarrten Konzerner mit sich zu Boden, aus der Schusslinie des Schützen, der das Feuer nur Sekunden später erneut eröffnete. Die Kugeln durchsiebten den hauchzarten Fenstervorhang und schlugen wütend in die Einrichtung ein - Holz und Betonputz wurden aufgesprengt, die zierliche Vase auf der Küchenzeile zersprang in tausend Stücke, genau wie die filigrane Deckenlampe ihr Leben in einem Funkenregen aushauchte. Die Schüsse frästen sich dröhnend und unaufhaltsam eine Schneise durch die kleine Wohnung, als wollten sie jeden Hinweis der hier lebenden Frau auslöschen.
 

Law presste sich neben Marco gegen die Wand unterhalb des Fensters, zog den Kopf ein und schätzte hektisch ihre Optionen ab, während er die aufwallende Magie in sich beharrlich zurückdrängte. Der Konzerner neben ihm war noch immer wie weggetreten, trotz des tobenden Chaos, und starrte die tote Frau auf dem Wohnzimmerboden mit einem fürchterlich leeren Gesichtsausdruck an.
 

Stussy lag auf dem Rücken, die glasigen, geweiteten Augen blicklos ins Leere gerichtet, während eine einzelne Träne aus ihrem Augenwinkel rann und eine dunkle Spur aus Mascara und Lidschatten über ihr farbloses Gesicht zog. Staub und Glassplitter verfingen sich in ihrem losen Haar und den Federn ihres verrutschten Morgenmantels, bedeckten sie wie ein grobes Leichentuch.
 

Marco griff sich in einer langsamen, verstörten Geste auf die Brust und betrachtete das Blut an seinen Fingerspitzen dann mit unbeweglicher Miene. Ein Rauschen schwoll in seinen Ohren an, ließ jedes Geräusch dumpf und hohl erscheinen. Vergangenheit und Gegenwart überlappten sich, Stussys Gesicht wurde zu Kayles, der ihn selbst im Tod noch vorwurfsvoll anblickte, beide so unerwartet sinnlos aus dem Leben genommen, beide tot… und er hatte nur dabeigestanden, hatte nichts tun können, fühlte sich hilflos und schuldig…
 

Sein rationaler, eigentlich auf solche Situation geschulter Verstand schrie Marco inmitten der prasselnden Gewehrsalven an, sich zusammenzureißen, sich auf seine Ausbildung zu besinnen und aus der Schusslinie zu flüchten, doch die Schreckensbilder der Vergangenheit badeten ihn in kaltem Schweiß und machten seinen Körper taub. Diese alte Wunde war aufgerissen und blutete… blutete… das Blut an seinen Händen…
 

»Marco!« Laws scharfe Stimme schnitt wie kühles Sternenlicht durch das Tosen in seinem Kopf und drängte die Panik und das Herzrasen beiseite. Marco fokussierte seinen Blick mühsam auf das harte Gesicht des jungen Mannes neben sich, der zusammenzuckte, als eine Kugel knapp neben seinem Kopf die Mauer durchbrach. Trotzdem versuchte Law ihn verbissen auf die Füße und aus der Wohnung zu zerren, ziemlich entschlossen, nicht ohne ihn zu gehen.
 

Marco schüttelte die gefährliche Lethargie von sich und nickte Law zu, bevor er sich aufrappelte und sie in einem geduckten Zick-Zack-Kurs zur Wohnungstür sprinteten, die Law mit einem kurzen, sehr kontrollierten Impuls seiner Magie aus den Angeln sprengte. Völlig selbstverständlich stabilisierte Marco Laws Geist dabei mit einem Ausläufer seiner Magie und der junge Mann ließ ihn gewähren. Sie verließen die Wohnung fluchtartig und hasteten den trostlos grauen Flur mit den flackernden Lichtern entlang.
 

Das Echo des anhaltenden Beschusses folgte ihnen genauso wie panisches Geschrei und Hilferufe aus den Wohnungen, die sie passierten - der oder die Schützen hatten ihren Zielbereich offenbar ausgeweitet, vermutlich um ganz sicher zu gehen… oder um ihre Spuren zu verwischen und um Stussy zu einer unter vielen zu machen, damit das Motiv verschwommen blieb. Bandenkriege in diesem Bezirk waren immerhin keine Seltenheit.
 

Marco schob Stussys Tod im Augenblick bewusst von sich, als er mit Law die unzähligen Treppen des Wohnblockes hinablief, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Später würde vielleicht Zeit sein, sich mit diesem Umstand auch emotional auseinander zu setzen, doch im Moment musste er sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren. So einen gefährlichen Totalausfall wie eben durfte er sich auf keinen Fall noch einmal leisten.
 

Sie mussten hier sofort verschwinden, bevor sich jemand zu genau an sie erinnern würde. Bevor die Polizei eintreffen und zeitraubende Fragen stellen konnte… und vor allem, bevor Weevil von der Sache Wind bekam und abtauchen konnte, um seine Beteiligung in diesem Fall zu vertuschen.
 

Es war wohl so sicher wie das Amen in der Kirche, dass Weevil Newgate seinen fetten Arsch vorher aus der Schusslinie hieven würde, denn immerhin war es das Einzige, worin er immer unschlagbar gewesen war - im richtigen Augenblick zu verschwinden und unsichtbar zu werden.
 

Davor wollte Marco ihn aber unbedingt selbst in die Finger bekommen und er hoffte, er konnte die eisige Wut in seinen Eingeweiden so lang zügeln, damit er Antworten bekam und Weevil nicht sofort das Genick brach... und bevor das der Zirkel womöglich selbst tat. Marco zweifelte nicht daran, dass sie mit Stussys Tod hinter sich aufräumen wollten und vielleicht würden sie mit Weevil genauso verfahren, so er sich als unnütz erweisen würde. Laws und sein Tod wären ein sicherlich praktischer Nebeneffekt gewesen…
 

Eine noch zugedröhnte Sexarbeiterin mit kybernetisch verzierten, übertrieben großen Brüsten, die beinahe ihre knappe Lederjacke aufsprengten, verlor fast den Halt auf ihren glitzernden High-Heels, als sie an ihr vorbei stürmten und fauchte ihnen wie eine Furie über das Geländer hinterher. Die beiden Männer stürmten aus dem Haus, vorbei an einer Gruppe junger Rowdys, die mit ihren illegal modifizierten Schusswaffen Zielübungen auf eine Plakattafel mit dem strengen Gesicht des Kaisers vollführten, sehr zum Entsetzten eines älteren Ehepaares, das eilig vorbei huschte.
 

Marco schloss unauffällig seine Anzugjacke, um das Blut auf seinem Hemd zu verstecken, während die dunkel getönten Brillengläser über seine Augen glitten, als sie in der anonymen Menge der Passanten untertauchten. Einige Leute blieben bereits auf dem Gehweg und den kreuzenden Überführungen stehen, um mit aufgeregten Gesten an dem Wohnblock hinauf zu deuten, wo auf den höheren Stockwerken aus Fenstern Rauch quoll. In der Ferne kündigte sich Sirenengeheul an und die ersten automatisierten Pressedrohnen sirrten durch die nächste Häuserschlucht heran.
 

Sie erreichten Marcos Caliburn gerade rechtzeitig, bevor die Einsatzfahrzeuge über den Highway heranrasten und mit quietschenden Reifen vor dem Wohnblock hielten, vor dem sich inzwischen eine ganze Traube Schaulustiger - und sicher auch potenzieller Plünderer, gierig wie Geier - eingefunden hatte. Die ersten verletzten Menschen wurden von den Einsatzkräften aus dem Hauseingang geführt, als Marco sich hinter das Steuer seines aufröhrenden Wagens schwang und Law geschmeidig auf den Beifahrersitz glitt. Mit durchdrehenden Reifen lenkte Marco den Caliburn auf den Highway, wobei er Laws fragenden Blick auf sich spürte.
 

»Wohin willst du jetzt...?«, fragte Law wachsam.

»Ich werde Weevil für diese Scheiße zur Rechenschaft ziehen«, presste Marco zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Das bin ich Stussy schuldig...«
 

Es sprach eindeutig für Laws Intelligenz, dass er ihn nicht aufzuhalten versuchte. Der junge Mann nickte nur. Er zog sich den Gurt seiner Schwertscheide über den Kopf und bettete die dunkle Hülle auf seinen jeansbedeckten Oberschenkeln. »Geht es dir gut?«
 

»Ich bin nicht verletzt.«

»Das meinte ich nicht...«
 

Marco blickte kurz zu Law hinüber, der ihn mit seinen eindringlichen, hellen Augen maß und schluckte schwer. »Das vorhin... tut mir leid«, begann er. »Es war einfach... es war kurz wie mit Kayle und hat mich an damals erinnert. Ich hätte nicht so die Fassung verlieren und uns damit in Gefahr bringen dürfen. Es ist... schon okay...« Marco holte tief Luft, während er das Bild von Stussys totem Körper auf dem Wohnzimmerboden in die hinterste Ecke seines Verstandes schob.
 

Völlig unvermittelt spürte Marco Laws Hand auf dem Unterarm, eine flüchtige, zurückhaltende Berührung, aber trotzdem sehr real. »Ich bin da... falls du mich brauchst«, sagte der junge Mann einfach und benutzte dabei fast genau die gleichen Worte, die Marco selbst vor ein paar Stunden noch zu ihm gesagt hatte.
 

Es war ein schlichtes Versprechen, das auch in Laws grauen Augen stand. Akzeptanz und Verständnis. Ein Versprechen, das Marco eine unbewusste Last von den Schultern nahm - egal, was passierte, Law würde da sein, selbst wenn er wieder die Fassung verlor. Selbst, wenn es eben nicht okay war... »Danke, Law.«

Weevil

Marco fuhr auf direktem Weg in Richtung Roppongi Hills und auch wenn Law es eigentlich nicht für die beste Idee hielt, dass der Konzerner sich so emotional aufgeladen seinem Bruder stellen wollte, überließ er Marco diese Entscheidung. Verstehen konnte Law es allemal, warum der Blonde seinen teuren Wagen jetzt so halsbrecherisch über den Highway trieb und dabei so verbissen aussah, als wäre er auf der Jagd.
 

Natürlich sollten sie diese Spur verfolgen, bevor sie womöglich kalt war, aber Marcos eiserne Züge und die sonst so warmen, blauen Augen, die urplötzlich eine eisige Härte ausstrahlten, verhießen nichts Gutes, vor allem nicht für Weevil Newgate. Law hingegen verspürte in Gegenwart des grimmigen Konzerners eine wilde Mischung aus Faszination und Besorgnis, während er sich an dem Haltegriff der Autotür abstützte, als Marco eine Kurve haarscharf nahm und Laws Magen auf einem schmalen Grat zwischen Euphorie und Übelkeit schwankte.
 

Mit Mühe riss Law den Blick von Marco los und konzentrierte sich auf die vorbeiziehende Umgebung, als der Konzerner den Caliburn nun etwas vernünftiger durch die mit flackernden Werbereklamen und sündhaft teuren Wohnungen gesäumte Allee steuerte. Trotz des trüben Wetters tummelten sich Passanten an jeder Ampel, fast jeder mit einem SmartCom beschäftigt oder durch integrierte Telekommunikationskybernetik in Gespräche vertieft. Die Roppongi Hills unterschieden sich so stark von dem Viertel, aus dem sie eben gekommenem waren, dass man kaum glauben wollte, überhaupt noch in der gleichen Stadt zu sein. Gepflegte Grünflächen mit kunstvoll geschnittenen Bäumen schmiegten sich an blütenreine, gläserne Häuserfassaden, die selbst im düsteren Dezembergrau durch farbige LED Beleuchtung zum Strahlen gebracht wurden.
 

Kleine, schicke Straßencafes reihten sich an edle Boutiquen, ein Szeneladen löste den nächsten ab und Law war von der übertriebenen Opulenz dieses High Society Viertels abgestoßen. Während die Menschen hier vermutlich die größte Not darin sahen, den nächsten Trend nicht zu verpassen, schufteten Lager- und Fabrikarbeiter in Downtown häufig in mehr als Zwölf-Stunden-Schichten für einen Hungerlohn.
 

Als Marco den Wagen geparkt hatte und Law ausstieg, lief ein kleines Mädchen an der Hand ihres Vaters an ihnen vorbei. Der anzugtragende, perfekt frisierte Japaner raunte heiser in sein SmartCom, währenddessen der Kleinen eine pink glänzende Videodrohne um die hübschen Zöpfe summte und sie in ihrem roten Regenmantel kokett in die Kamera lächelte. Diese kleine Drohne war mit einer einfachen KI ausgestattet, konnte Nachhilfelehrer, Babysitter und Unterhalter gleichzeitig sein, war erst ganz neu auf dem Markt und kostete wahrscheinlich so viel wie Lamys und Laws Wohnung in zehn Jahren. Was für eine sinnlose Verschwendung, nur damit Daddy seine kostbare, hochbezahlte Zeit nicht zu intensiv mit seinem Kind verbringen musste und die Kleine gleich von Kindesbeinen an lernte, dass sich die Welt nur um sie zu drehen hatte.
 

Law schüttelte den Kopf und folgte Marco nach, der zielgerichtet auf eines der Häuser auf der anderen Straßenseite zulief. Die schicke Stadtvilla, in der Weevil Newgate offenbar residierte, war hell und freundlich, mit einem einladenden, gläsernen Empfangsbereich und eigenem Roboter-Portier, der ihnen mit ausdrucksloser, stählernen Miene entgegen sah, als sie durch die Pendeltür traten und von angenehm warmer Luft in Empfang genommen wurden.
 

Die Eingangshalle war mit einem dicken, grauen Teppich ausgelegt, der sämtliche, störenden Geräusche schluckte. Dazu trudelte seichte Musik aus versteckten Wandlautsprechern und ein raumhohes Aquarium mit kybernetischen Fischen, die in allen Farben des Regenbogens schillerten, erzeugten ein erhabenes und vor allem kostspieliges Ambiente. Das aufgebrachte Gold am Empfangstresen glänzte makellos und frisch geputzt und Law fühlte sich seltsam unwohl und völlig fehl am Platz mit seiner eigenen zerrissenen Jacke und den einfachen Jeans. Das schien wohl auch die schlichte KI so zu sehen, denn der Portier drehte den metallischen Kopf in seine Richtung, die kreisrunden Augen fokussierten sich sirrend und fixierten Law wie einen lästigen Schandfleck auf dem teuren Teppich.
 

Bevor der metallische Sicherheitsmann jedoch etwas abfälliges bemerken konnte, hielt Marco ihm sein Handgelenk mit dem Senatssiegel harsch unter die nicht vorhandene Nase. Die KI blubberte noch ein einprogrammiertes Standardprozedere für den überraschend hohen Besuch herunter, da war Marco schon auf dem Weg zu den Aufzügen wie eine unterdrückte Naturgewalt, ein Sturm aus Eleganz und Stärke. Law huschte rasch hinter ihm in den Lift, bevor Marco schon ungeduldig auf den Knopf für die angepeilte Etage schlug.
 

Der Konzerner wollte vermeintliche Gelassenheit demonstrieren, indem er sich an die Liftwand lehnte, doch Law sah Marcos innere Anspannung in jeder seiner Bewegungen, jeder Regung seines Gesichtes - sein Fuß wippte unruhig und die Finger, die durch seine verschränkten Arme auf dem dunklen Stoff seiner Anzugjacke lagen, waren viel zu verkrampft. Die blauen Augen starrten finster auf die Etagenanzeige, als würde er einen inneren Countdown kurz vor der Kernschmelze verfolgen... und Law blieb nur zu hoffen, dass er im Notfall ein angemessenes Gegengewicht zu diesem explosiven Emotionscocktail aus alten Erinnerungen und neuen Wunden bieten konnte. Es war keine Frage, ob der Konzerner hochgehen würde - sondern eigentlich nur eine Frage nach dem Wann.
 

Sie erreichten ihre Zieletage und Marco stürmte den hell getünchten, sauberen Flur entlang, geradewegs auf die Tür am Ende des Ganges zu. Er hämmerte mit der einer Hand gegen die massive Wohnungstür, ungehalten und wuchtig, während er mit der anderen die kleine, integrierte Kamera an der Gegensprechanlage überdeckte. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen würde Marco die Tür auch ohne zu Zögern eintreten, so Weevil sich in den nächsten, geschätzten fünf Sekunden nicht entschließen sollte, diese endlich zu öffnen.
 

Eine weitere Tür hinter Law öffnete sich und ein Räuspern war zu hören. Ein untersetzter, kahlköpfiger älterer Herr mit strengem Blick und noch strenger gestutztem Schnauzbart schielte entrüstet über die Gläser seiner Brille auf den Flur, offenbar gestört von Marcos anhaltendem Gehämmer. Law ließ einen Funken Gold in seinen Augen aufleuchten und schon war der Mann wieder hinter seiner schweren und sicher mehrfach gesicherten Wohnungstür verschwunden. Die Schlösser rasteten gut vernehmlich ein.
 

Marco hob die Hand gerade ein weiteres Mal, da öffnete Weevil Newgate sichtlich genervt die Tür, in einem schräg geknöpften, lächerlich goldenen Pyjama, mit vom Schlaf zerwühlten, blonden Haaren und winzig kleinen Augen, welche die vermeintlichen Unruhestifter schwammig fokussierten. Wie es schien, war er eben erst aus dem Bett gefallen. »Verdammte Scheiße, was soll der elende Lärm, hä?! Ich mach' dir gleich...- fuck!« Seine anmaßende Miene brach in sich zusammen wie Eis in der Sonne, als er Marco erkannte.
 

Der Konzerner hielt sich nicht mit Höflichkeiten auf. Schneller, als Law es erwartet hätte und auch wesentlich schneller, als Weevil die Tür hätte wieder schließen können, schoss Marco nach vorn, packte den überrumpelten Kerl an seinem knittrigen Schlafanzug und stieß ihn in die Wohnung zurück, direkt vor die nächste Wand, wo ein Regal unter dem Ansturm erbebte. Die Sammelfiguren darin fielen übereinander und eine ältere, gläserne Auszeichnung des gerade angesagtesten SocialMedia-Kanals krachte zu Boden und hackte eine Delle in das teure Holz.
 

Weevil stemmte sich gegen Marco, der ihn mit dem Unterarm an der Kehle gegen die Wand gepresst hielt, hatte jedoch nicht den Hauch einer Chance gegen den großen Blonden, der nicht einmal seine Waffe ziehen musste, um so völlig die Oberhand zu gewinnen. »Scheiße... bist du jetzt völlig irre?! Was soll das?«, krächzte Weevil atemlos und versuchte dem Druck auf seiner Luftröhre zu entgegen, indem er sich auf die Zehenspitzen stellte. Sein speckig fahles Gesicht lief bereits rot an.
 

Law war so umsichtig, die Wohnungstür rasch zu schließen, bevor das sicherlich Folgende nur neugierige Nachbarn anlocken würde. Dann nahm er die Räumlichkeiten kurz in Augenschein, die mehr einem Saustall als einer Wohnung glichen, um sicher zu gehen, das sie allein waren und nicht noch mehr unliebsame Überraschungen auf sie lauern würden. Ein stechender Geruchsmix aus modriger, feuchter Wäsche und Schweiß stieg ihm dabei unangenehm penetrant in die Nase.
 

An Geld mangelte es Weevil Newgate sichtlich nicht, was man an der pompösen Wohnung sah, dafür aber an einem Sinn für Ordnung und Ästhetik. Das Wohnzimmer beherbergte eine hochmoderne Video-Streaming-Station, die allerdings, genau wie das wirklich schreckliche Sofa in Leopardenoptik und die riesige, teure Küchenzeile, mit Müll, alten Klamotten und Essensresten geradezu überlagert wurde. Wie es möglich war, eine solche Wohnung - in deren Preisklasse eine Putzfrau gewissermaßen zum Inventar gehörte - so verkommen zu lassen, entzog sich völlig Laws Verständnis.
 

Auf dem Wohnzimmertisch stapelte sich allerlei technisches Zubehör neben einer Armada aus leeren Sake-, Wein- und Likörflaschen, stumme Zeugen einer wohl ausschweifenden Partynacht. Die digitale Ausgabe der „RISE“ blinkte auf dem Datenpad, das zwischen dem Chaos lag - ein allgemein berüchtigtes Schundblatt, das gern ausgiebig und in allen Farben über die angebliche Überlegenheit der MAGs berichtete. Ein Tütchen mit Beta lugte unter einem Stapel Hochglanzmagazinen hervor. Wahrscheinlich gönnte sich Weevil ab und an eine Pille, um seine eher durchschnittlichen MAG Fähigkeiten zu verstärken - ein kurzes, gefährliches Vergnügen, was einen hohen Preis fordern würde.
 

»Überrascht mich zu sehen, Weevil? So unerwartet… lebendig, nehme ich an«, vermutete Marco lauernd und drückte seinen Bruder noch ein wenig mehr gegen die Wand, wobei der jetzt schon kaum noch eine Möglichkeit hatte, zu entweichen. Jegliche Freundlichkeit, jegliche Wärme war aus der tiefen Stimme des Konzerners gewichen, die selbst Law beinahe ein Schaudern beschert hätte. »Ich vermute, das nächste Mal hättest du mich am liebsten auf meiner Beerdigung getroffen, hm?«
 

»Wovon laberst du eigentlich, verflucht?!«, fragte Weevil angestrengt und sein weißer Schnurrbart zitterte unter den sehr gepressten, flachen Atemzügen. Weevils unruhige Augen huschten kurz zu Law herüber, als erwartete er irrsinnigerweise, dass der ihm helfen würden, den außer Kontrolle geratenen Konzerner zu bändigen.
 

Doch Law fegte nur ein paar Krümel von der Sitzfläche des Computerstuhles und ließ sich demonstrativ unbeteiligt vor Weevils PC im Wohnzimmer nieder, wo der aktuelle Stream von 'Sentomaru' über den Bildschirm flackerte, der stets durch seine extremen Aussagen über eine von MAGs geführte, neue Weltordnung auffiel. Im DarkNet und bei vielen MAGs war er für seine unverfrorenen Ansichten ein gefeierter Star.
 

Gelangweilt schob Law die leuchtende Maus mit spitzen Fingern über das Pad und scrollte durch ein paar Dateien, bis er unerwartet auf interessantes Video-Material stieß. Seine Augen weiteten sich unmerklich. Sieh' mal an...
 

Weevil ballte die klobigen Hände zu Fäusten, als er Laws erwachtes Interesse bemerkte. »Lass' deine Pfoten von meinem Zeug, du Downtown-Ungeziefer!«, geiferte er mit erstickter Stimme, was Law nur unbeeindruckt eine Braue in die Höhe ziehen ließ. Man hatte ihn wahrlich schon schlimmeres genannt.
 

Doch Marco ließ Weevils Hinterkopf dafür unsanft mit der Wand kollidieren. Für diese Beleidigung hätte er ihm am liebsten ein paar Zähne ausgeschlagen und nur die Gewissheit, dass sich ein Geständnis mit gebrochenem Kiefer schwierig aus ihm herauspressen lassen würde, hielt Marco noch zurück. »Sieh' nicht ihn an, sieh' mich an!«, befahl er harsch. Weevils rot unterlaufene Augen richteten sich trotzig wieder auf ihn.
 

»Bist du jetzt völlig durchgeknallt?! Was willst du eigentlich von mir, du Arschloch? Verpisst euch aus meiner Wohnung!« Marco wusste nicht, ob es grenzenlose Dummheit oder krankhafte Selbstüberschätzung war, dass sein Bruder den Mund noch immer so voll nahm. Denn trotz seiner prekären Lage war er offensichtlich der Überzeugung, Oberwasser behalten zu können, indem er Marco jetzt kurzatmig mit seinen fragwürdigen Verbindungen zur Polizei drohte. »Ich hab' Freunde und Fans beim TPD… ich schwöre dir… ich lass' euch beide in Impel Down verrotten… dich und deinen räudigen Streuner-«
 

Marco erhöhte den Druck auf Weevils Kehle genüsslich noch ein bisschen mehr, bis der wie ein Fisch auf dem Trockenen zappelte und panisch nach Luft schnappte. Sein massives Doppelkinn erbebte unter seinen kurzen Atemstößen und seine ungesund verfärbten Augen traten ihm aus den Höhlen. Vermutlich hätte Marco bei diesem Anblick wirklich nicht diese perfide Genugtuung empfinden sollen, doch irgendwie linderte Weevils in die Ecke gedrängter Gesichtsausdruck den schwärenden Schmerz in seinem Inneren ein wenig. »Du solltest jetzt besser die Klappe halten und mir ein paar Fragen beantworten, bevor ich die Geduld mit dir verliere.«
 

Weevil wandte sich in Marcos Griff und höhnte trotz sich überschlagender Stimme: »Glaubst du echt... ich hätte Angst vor so 'nem stocksteifen Schwanzlutscher wie dir!?« Nein, die hatte Weevil sicher nicht, da er Marco schon immer für zu gutmütig gehalten hatte - eine fatale Fehleinschätzung. Weevils glänzende Augen mit den geweiteten Pupillen - die trotz allen Widrigkeiten Whitebeards Augen so ähnlich waren - verrieten den noch anhaltenden Einfluss von synthetischen Drogen und sein Atem stank wie so oft nach Alkohol. Marco rümpfte angewidert die Nase. Der Kerl war vielleicht nicht völlig zurechnungsfähig, aber aus ihm sprachen nicht allein nur seine vielen Laster.
 

Marco verstand es nicht, hatte es noch nie verstanden - wie konnte man nur trotz eines Vaters wie Edward Newgate einen solch verblendeten und miesen Charakter entwickeln? Vermutlich schlug hier der Einfluss von Weevils Mutter durch, denn auch die war der Überzeugung, dass die kurze Ehe mit einem angesehenen Mann und dessen Name allein reichen würden, um sich alles im Leben herausnehmen zu können; jede unangemessene Anmaßung oder den Umstand, eine unbeteiligte, junge Frau in die eigenen Machenschaften hineinzuziehen, um sie am Ende wissentlich in Gefahr zu bringen...
 

Wut sammelte sich in Marcos Magen, kroch seine Kehle herauf, doch er schluckte sie herab. »Das solltest du besser, denn Vater ist diesmal nicht hier, um dich aus der Scheiße zu ziehen«, erinnerte er seinen Stiefbruder. Es war recht beängstigend, dass er nach so langer Zeit noch immer fähig war, seine Emotionen von seinen Handlungen zu trennen, wenngleich diese gefährliche Ruhe in ihm vor dem nahenden Sturm warnte.
 

Weevil zeigte ihm die Zähne in der Karikatur eines gehässigen Lächelns. »Denkst du echt, ich brauch' meinen Scheißvater, um mit dir fertig zu werden!? Der alte Sack kann mich mal kreuzweise, der hat doch eh nie was für mich getan. Besser, der beißt bald ins Gras, dann kann ich immerhin das Erbe-«
 

Der Schlag kam völlig unerwartet, nicht nur für Weevil, sondern auch für Law. Marcos Faust traf den massigen Kerl direkt in den Magen, dann ließ er ihn los. Weevils Augen weiteten sich auf abnormale Größe und er stieß ein gebrochenen Ächzen aus, bevor er in die Knie sackte und verzweifelt nach Atem röchelte. Ein langer Speichelfaden floss aus seinem nach Luft schnappenden Mund zu Boden, während er sich krümmte.
 

Law hielt Marco für einen sehr beherrschten Menschen und vermutete, dass es normalerweise so einiges brauchte, um den Konzerner aus der Reserve zu locken, aber Weevil Newgate hatte eindeutig eine Grenze übertreten, die wohl besser unberührt geblieben wäre. Dabei hatte Law das unbestimmte Gefühl, dass Marco sich eigentlich noch massiv zurückhielt, wenn er an den Vorfall vor ein paar Tagen im Trainingszentrum des Towers zurückdachte.
 

Marcos Mundwinkel kippten noch mehr nach unten und eine längere, blonde Strähne seines Haares rutschte ihm in die finster funkelnden Augen. »Vorsicht, Weevil«, warnte er seinen Stiefbruder und trat dessen SmartCom mit der Schuhspitze außer Reichweite, das Weevil aus der labbrigen Hose gefallen war und nach dem der gerade hatte greifen wollen. Das Telefon rutschte klappernd unter einen Schrank. »Das ist ganz dünnes Eis, auf dem du dich bewegst.«
 

Der Konzerner ging jetzt langsam vor Weevil in die Hocke und stützte die Ellenbogen auf die Knie. Die kybernetischen Brillengläser glitten zurück in die Hülsen an seinen Schläfen. »Ich frag' dich das jetzt nur einmal… wer ist für das Attentat auf mich und meine Firma verantwortlich?« Marcos Stimme war frostig und seine wohl gehütete Geduld neigte sich langsam dem Ende zu, von der er Weevil gegenüber eh meist sehr wenig reserviert hatte.
 

Sauer riechender Schweiß stand Weevil auf der platten Stirn und er schwitzte jetzt sichtbar in seinem zerknitterten Pyjama, der bereits dunkle Flecken aufwies. »Ich habe keine Ahnung, wovon du eigentlich redest, Wichser«, quetschte er hervor. Unbewusst rückte er von Marco ab und eine übertriebene Goldkette an seinem speckigen Hals blitzte auf, als er sich an die Wand drückte und dabei seine Jacke verrutschte.
 

»Ich rede von dem Angriff des Summomanten und dessen Beschwörungen auf mich und meine Firma!« Marcos Faust krachte donnernd gegen die Wand, unweit von Weevils Gesicht entfernt, der ein erschrockenes Zusammenzucken nicht verhindern konnte. »Spiel' hier nicht den Unwissenden, das Theater kannst du dir sparen! Ich weiß inzwischen, dass du Stussy gezwungen hast, diese Steine in meiner Wohnung zu platzieren, unter dem Vorwand, es wäre nichts als eine Wanze! Von wem hattest du diesen Zauber?! Wer sind diese Leute, die dir geholfen haben?!«
 

Für einen Moment sah Weevil ehrlich so verwirrt aus, dass Marco schon an seinem Urteilsvermögen zweifeln wollte, dann aber bebte dessen massiges Doppelkinn, als er tatsächlich schnaufend zu lachen begann. »Buahaha, sag' bloß… hast du es etwa geschafft, den falschen Leuten ans Bein zu pissen, oder wie!? Oh scheiße, das ist ja zu köstlich… geschieht dir nur recht!« Sein hämisches, kurzatmiges Gelächter tönte Marco wie splitternde Glasscherben im Ohr.
 

Der Konzerner stand wieder auf. »Was soll das heißen?«, knurrte er nur noch mühsam beherrscht und rammte die Fäuste in die Taschen seiner Anzughose, da er sonst wohl Gefahr gelaufen wäre, seinem Stiefbruder die gehässige Visage zu polieren. Weevils plötzlicher Gemütsumschwung prickelte wie eine unheilbringende, eisige Berührung über sein Rückgrat und ließ ihn einen kurzen Blick mit Law tauschen, der ebenso angespannt wirkte.
 

Weevil wischte sich mit einer übertriebenen Geste den Speichel von den wulstigen Lippen und zog mit einem widerlich feuchten Geräusch die Nase hoch. Obwohl er am Boden hockte, sah er plötzlich mit einer überraschenden Selbstsicherheit und krankhafter Überzeugung zu Marco auf, was Law rein instinktiv nach der Waffe tasten ließ, die noch im Bund seiner Jeans steckte. Weevil mochten vielleicht die körperlichen Attribute fehlen, um sich ernsthaft gegen Marco in einem fairen Kampf behaupten zu können, doch gerade solche Menschen waren mit Vorsicht zu genießen, da sie häufig auf Arglist und Täuschung setzten und selten fair spielten. Marco würde seinen Bruder sicher nicht wirklich erschießen wollen... aber Law würde es tun, so der feiste Kerl auch nur eine falsche Bewegung machen sollte.
 

»Das heißt«, begann Weevil, die Worte geradezu genüsslich in die Länge gezogen, »dass du dir offenbar Feinde gemacht hast, die du dir lieber nicht hättest machen sollen, du Musterknabe! Ich wollte dich tatsächlich nur ausspionieren, weil ich ganz genau weiß, dass du Leichen im Keller hast, da Vater ja immer sooo ein großes Geheimnis um deine Vergangenheit gemacht hat«, er bleckte die Zähne und maßlose Schadenfreude tanzte in seinen bösartig kleinen Augen, »aber ich habe offenbar in zu kleinen Dimensionen gedacht und jemand in den höheren Riegen hat wohl entschieden, dass du besser gleich von der Bildfläche verschwinden solltest«, seine Schultern zuckten unter einem weiteren Lachen. »Das käme mir ja mehr als gelegen und schade wäre es um dich wohl kaum!«
 

»Verdammt, hör' auf in Rätseln zu reden!« Marcos Hand schoss vor und er riss kurz am Stoff des goldenen Pyjamas, bis das verfängliche Tattoo auf Weevils Schulter zum Vorschein kam. Er schnaufte resigniert aus und fuhr sich aufgewühlt mit der Hand durch die Haare. Seltsamerweise hatte er wohl insgeheim immer noch gehofft, dass sein Stiefbruder nicht wirklich so tief gesunken war. »Wer sind deine neuen Freunde, mit denen du neuerdings verkehrst?«
 

Als Antwort darauf grinste Weevil nur versonnen. »Das wirst du sicher schon bald selbst herausfinden. Ihr alle werdet das...«
 

Law verdrehte bei diesem wirren Gerede die Augen genervt. Er schnappte sich den USB-Stick vom Port des Rechners und ließ ihn in einer fließenden Bewegung ungesehen in seine Jackentasche gleiten. Dann stand er wieder auf. »Was wollen diese Typen? Warum haben sie es auf meine Schwester abgesehen?«, fragte er mit harter Stimme, obwohl er schon ahnte, dass sie vermutlich nichts wirklich sinnvolles aus dem zugedröhnten Kerl herausbekommen würden.
 

Weevils unruhige Augen hafteten sich abschätzend auf Law. »Schwester?! Keine Ahnung, ich weiß nichts von irgendeiner Schwester-... Gott, Scheiße!« Er japste erschrocken, als Marco ihn grob wieder auf die Füße zerrte.
 

Er war sich bewusst, dass es vergebliche Mühe sein würde, doch trotzdem versuchte Marco an einen Rest von Gewissen in seinem Stiefbruder zu appellieren. »Ist dir eigentlich klar, dass wegen dir jetzt fünf Männer tot sind!?«, fuhr er Weevil an und schüttelte ihn, in dem eher hoffnungslosen Versuch, seinen vernebelten Verstand zu klären.
 

Weevils Augen flackerten, aber da war keine Reue. Niemals Reue, nur diese perfide Überheblichkeit und krankhafter Triumph. »Na und? Die interessieren mich doch einen Scheiß!«, entgegnete er in einem verächtlichen Zischen und wischte Marcos Hand vom Aufschlag seiner Jacke. »Genausowenig wie du und deine heuchlerische Scheinheiligkeit! Du bist nur ein lästiger Fehler im Getriebe. Ich wollte die Dinge wieder geraderücken. Wärst du nie aufgetaucht, würde die Firma längst mir gehören, wie es schon immer hätte sein sollen!«, ereiferte sich Weevil in einer morbiden Form von Selbstgerechtigkeit.
 

Law glaubte ihm sofort - Menschen wie Weevil Newgate scherten sich nicht um andere, sondern prinzipiell nur um sich selbst und ihre Interessen. Wenn Marco Phoenix nicht wäre, hätte Law selbst auch niemals an dieser Wahrheit gezweifelt.
 

Marco war völlig fassungslos über diese absurde Rechtfertigung. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Das kann doch nicht wirklich sein Ernst sein?! »Die Dinge geraderücken?! Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?!« Er packte seinen Stiefbruder erneut und rammte ihn nicht gerade zärtlich gegen die Wand, als wollte er mit ihm eine Kerbe in das Mauerwerk hauen. Weevil ächzte schmerzhaft. »Weißt du eigentlich, mit was für Leuten du dich da eingelassen hast, du dämlicher Idiot!? Diese Typen gehen über Leichen!«
 

Law wollte es kaum glauben, aber Weevil Newgates massige Schultern zuckten erneut unter stillem Gelächter, bevor er den verklärten Blick hob und unerwartet fest erwiderte: »Na das hoffe ich doch! Es wird Zeit, dass jemand aufräumt und die natürliche Ordnung der Dinge wieder herstellt. Wenn er endlich zurückkehrt, wird die Welt erneuert und Typen wie du werden lernen im Staub zu kriechen, wo sie hingehören«, spuckte er Marco mit einem wahnsinnigen Grinsen vor die Füße.
 

»Wovon zum Teufel redest du?!«, fuhr Marco ihn ungehalten an. »Wer ist er?!«

»Der König aller Könige«, sagte Weevil, als würde das alles erklären.

»Gott, hör' auf mit diesem Schwachsinn! Sind Terroranschläge geplant? Was soll das heißen, die natürliche Ordnung der Dinge wieder herstellen
 

Law hatte genügend Wahnsinn bei Menschen gesehen, um zu wissen, dass Weevils Worte nicht durch Drogen oder Traumata bedingt waren, sondern durch euphorischen Fanatismus. Er war überzeugt von dem, was er sagte… und das war gefährlich. Wer oder was auch immer dieser Zirkel war, sie scharten offenbar einen Haufen leicht beeinflussbare Geister um sich und fütterten ihren kranken Idealismus mit utopischen Zukunftsvisionen.
 

Weevil atmete schnaufend aus. »Das werden Leute wie du nie verstehen!«, urteilte er geradezu herablassend.
 

Marco ließ Weevil überraschend los, der daraufhin irritiert auf seine Füße zurück sackte und den Blonden misstrauisch beäugte. Der Konzerner holte tief Luft, die Stimme unheilvoll ruhig, als er fragte: »Musste Stussy deswegen sterben? Weil sie es auch nicht verstanden hat? Wurde sie deswegen ermordet?«
 

»Was...?!« Weevil sah Marco jetzt verwirrt an und kniff die Augen zusammen. Für einen Moment wirkte er ehrlich aus dem Konzept gebracht. »Was ist mit Stussy?«

»Sie wurde in ihrem Appartement erschossen, vor nicht einmal ganz einer Stunde. Weil du sie in deine Scheiße reingezogen hast«, erklärte Marco tonlos.
 

Überraschung und Ungläubigkeit blitzten in Weevils Augen auf, möglicherweise verspürte er sogar so etwas wie Bedauern oder den Hauch eines schlechten Gewissens, doch bevor diese Emotionen überhaupt wirklich Gestalt annehmen konnten, siegte sein schlechter Charakter. Er strich sich den Pyjama glatt und erwiderte mit einem ungerührten Achselzucken: »Die kleine Schlampe hat’s doch nicht anders verdient. Musste ihre Nase immer in Dinge stecken, die sie nichts angehen. Die war ja nicht mal wirklich zum ficken gut. Ich hatte eh nie wirklich Bock auf gebrauchte Ware von dir...-«
 

Marco stürzte sich wie ein Berserker auf den feisten Kerl und seine Faust traf mit solcher Wucht seitlich auf Weevils Kinn, dass Law das Knacken des brechenden Kiefers hören konnte. Der entfesselte Konzerner riss den aufjaulenden Weevil herum und stieß ihn in das Chaos auf seiner Couch, wodurch ein paar der leeren Flaschen auf dem Tisch klirrend zu Boden fielen, bevor Marco schon nachsetzte, sich über Weevil hockte und mit wirklich wenig Zurückhaltung auf den jammernden, fetten Kerl einprügelte.
 

Weevil hatte dem Konzerner kaum etwas entgegen zu setzen und starrte Marco jetzt mit entsetzt geweiteten Augen voll ernsthaftem Schrecken an. Dagegen wirkte Marco geradezu furchteinflößend ruhig, sein Gesicht war eine undurchdringliche, regungslose Maske, die bei Law sämtliche Alarmglocken schrillen ließ. Schlag um Schlag kassierte Weevil von Marco und wo der anfangs noch versucht hatte, sich verzweifelt zu wehren, konnte er inzwischen nur noch die Arme in dem kläglichen Versuch hochreißen, Marcos Fäuste irgendwie abzuwehren und sein Gesicht zu schützen. Doch der Konzerner durchbrach seine hilflose Deckung geradezu mühelos immer und immer wieder.
 

Inzwischen floss bereits Blut aus Weevils Nase, seine Lippe war aufgeplatzt und sein ehemals weißer Schnurrbart war völlig verklebt durch Speichel, Tränen und Blut. Seine schwächliche Gegenwehr erlahmte nach und nach und sein eh schon aufgedunsenes Gesicht schwoll nur noch mehr an, bis seine Gesichtszüge kaum noch erkenntlich waren. Obwohl Weevil eindeutig unterlegen war und bald schon mehr als genug hatte… hörte Marco nicht auf.
 

Er bearbeitete seinen flehenden und wimmernden Stiefbruder wie ein Stück rohes Fleisch und auch wenn Weevil jeden Schlag vermutlich mehr als verdient hatte, wenn Marco nicht bald die Handbremse zog, konnte Weevil ernsthaft in Lebensgefahr geraten. Law wurde langsam unruhig, denn Marco schien jenseits rationalem Denkens, indem ihm die Folgen seines Handelns wirklich bewusst zu sein schienen.
 

Wie im Wahn krachten Marcos Fäuste weiterhin in Weevils Gesicht, der inzwischen kaum noch bei Bewusstsein war. Sein rechter Arm zuckte unkontrolliert über das Couchpolster und fegte einige der Magazine beiseite. Blutige Blasen sammelten sich auf seinen aufgedunsenen Lippen und seine zugeschwollenen Augen flackerten, als ein stummer Alarm durch hektisch blinkendes Neonlicht an der Decke aktiviert wurde.
 

Law fluchte. Trauma-Team, Notfallambulanz und rasche Eingreiftruppe für reiche und privilegierte Bürger, war damit über den kritischen Gesundheitszustand ihres Patienten und Kunden informiert und vermutlich würde es kaum fünf Minuten dauern, bis ein Sanitäterteam mit einer Menge Waffen vor Ort wäre, um die Wohnung zu stürmen. Sie mussten jetzt schleunigst verschwinden.
 

»Marco…«, Law trat an die Seite des Konzerners und versuchte dessen Aufmerksamkeit zu erlangen. »Lass‘ ihn. Er hat genug. Trauma-Team ist bereits unterwegs.«
 

Doch Marco schien ihn gar nicht zu hören, sondern machte mit einer eiskalten Präzision einfach weiter, als hätte sich ein Schalter in ihm umgelegt und ihn in einen völlig anderen Menschen, fern ab von Emotionen, verwandelt. Obwohl auch seine Fingerknöchel bereits aufgeplatzt waren und Weevils Blut überall auf seine Anzugjacke und Hose gespritzt war, blieb seine Miene ausdruckslos und fast abwesend.
 

»Marco!« Law griff beherzt nach dem Arm des Blonden und zerrte ihn fast schon gewaltsam von dem inzwischen bewusstlosen Weevil herunter, der in einer Lache seines eigenen Blutes und Urins lag. Der Gestank brachte Law fast um, doch er schluckte die Übelkeit herunter und fokussierte sich auf Marco.
 

»Er ist es nicht wert, hörst du?! Der Scheißkerl ist es nicht wert, dass du ihn von seinem Elend erlöst und für ihn ins Gefängnis gehst!« Law hielt Marcos Gesicht umfasst und zwang dessen Blick damit zu sich, bot ihm einen Anker, durch den der Blonde wieder zu sich kommen konnte. »Er wird seine Strafe bekommen, aber nicht durch dich. Das werde ich nicht zulassen, verstehst du!?«, sprach Law eindringlich. Langsam klärten sich die blauen Augen des Konzerners und er nickte ihm kaum merklich zu.
 

Nachdem Law sicher war, dass sich Marco nicht sofort wieder auf seinen Stiefbruder stürzen würde, ließ er ihn zögerlich los und beugte sich kurz über Weevil, um an dessen Halsseite nach dem Puls zu suchen. Erleichtert schloss Law kurz die Augen, als er tatsächlich ein Flattern unter seinen Fingerspitzen fand - erleichtert um Marcos Willen, dass der Kerl noch lebte, denn Weevil Newgate war es bei weitem nicht wert, dass sich Marco wegen ihm in Teufels Küche brachte.
 

Law bewegte den bewusstlosen Weevil in eine halbwegs stabile Seitenlage, damit er zumindest nicht noch an seinem eigenen Blut ersticken konnte, bevor er rasch wieder zu Marco herumwirbelte und den wie betäubten Konzerner am Arm ergriff. »Wir müssen hier schleunigst weg«, drängte er mit einer knappen Kopfbewegung auf die noch immer hektisch blinkende Alarmanlage. Marco nickte stumm und mit blassem Gesicht, doch er folgte Law aus der Wohnung.
 

Zum Glück begegnete ihnen auf dem Flur niemand weiter, trotzdem entschied sich Law entgegen des Haupteinganges, sondern führte Marco zu einem Treppenhaus für das Servicepersonal, wodurch sie durch einen kleinen Nebeneingang auf die Straße gelangten. Gerade noch rechtzeitig, da über den nächsten Häuserkomplex bereits das fliegende, gepanzerte Einsatzfahrzeug des Trauma-Teams heranschwebte. Das Siegel auf Marcos Handgelenk gewährte ihm zwar eine gewisse Immunität, doch lange Befragungen konnten sie sich im Moment wirklich sparen.
 

Ohne weitere Zwischenfälle oder besonderes Aufsehen zu erregen, erreichten sie Marcos Caliburn und der Konzerner schwang sich hinter das Steuer, um wieder in Richtung Ikebukuro zu fahren. Law schielte während der sehr stillen und irgendwie bedrückenden Fahrt immer wieder zu Marco hinüber, der mit angespannten Kiefermuskeln und starrem Blick das Gaspedal durchdrückte und den teuren Wagen wie getrieben über den Highway jagte.
 

Law hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, doch er wollte dem Konzerner auch erst einmal Zeit geben, sich wieder zu sammeln und das Geschehene zu verarbeiten. Also lehnte er sich in den bequemen Sitz zurück und sah aus dem Fenster auf die rasch vorbeiziehende Stadt.
 

Marcos ungewöhnlicher Kontrollverlust war für Law mehr als verständlich, nach allem, was heute und die letzten Tage passiert war und eigentlich war es fast bewundernswert, dass Marco nicht schon viel eher die Fassung verloren hatte. Er selbst war sich nicht sicher, ob er diesem ekelhaften Kerl an Stelle des Konzerners nicht noch viel mehr und weitaus Schlimmeres angetan hätte. Weevil hätte es verdient, doch dieses Urteil stand Law nicht zu.
 

Wieder sah Law zu Marco hinüber, der den Eindruck erweckte, das Lenkrad gleich aus der Verankerung reißen zu wollen, so eisern, wie er dieses umklammerte. Noch immer klebte Weevils Blut an den Händen des Konzerners und trocknete dort. Law war ehrlich zu sich, er hatte Marco aufgehalten, weil er ihn hatte beschützen wollen - vor einer unüberlegten Straftat und vor seinem eigenen Gewissen. Es hätte Marco sicherlich vernichtet, wenn er seinen Stiefbruder wirklich aus dem Affekt heraus getötet hätte, denn das hätte sich dieser warmherzige, gutmütige Kerl vermutlich selbst nie verziehen.
 

Marco riss das Lenkrad plötzlich herum und Law stützte sich an der Innenseite der Autotür ab, als der Konzerner die Richtung änderte und die nächste Ausfahrt vom Highway nahm. Er steuerte den Wagen in eine Parkbucht, die zu einer Aussichtsplattform gehörte, welche sich flügelartig über den ausladenden, innerstädtischen Japanischen Garten spannte. Der machte einen Teil der Roppongi Hills aus und war ein beliebter Treffpunkt für die Highsociety mit den vielen kleinen Cafés und exklusiven Teehäusern.
 

Der Konzerner ließ den Motor mit einem letzten, kraftvollen Schnurren verstummen und starrte verkrampft aus der Windschutzscheibe, während er die großen Hände so fest um das lederne Lenkrad schloss, dass seine Knöchel spitz hervortraten. Düstere Schatten zogen durch seine blauen Augen und unter den längeren Stoppeln seines Bartes konnte Law die mahlenden Kiefermuskeln ausmachen. In seinem zerknitterten Anzug bot er einen ungewohnt desolaten Anblick.
 

Der emotionale Ausbruch - auf den Law eigentlich die ganze Zeit schon gewartet hatte - folgte nun, als Marco mit den flachen Händen mehrmals frustriert auf das Lenkrad schlug und dabei derb und wirklich uncharmant fluchte. Dann riss er die Autotür auf und verließ fast fluchtartig den Wagen, um zu der hölzernen, reich verzierten Pagode hinüber zu laufen, die auf der Aussichtsplattform gegen die stählerne Silhouette der Stadt mit den unzähligen Reklamebannern wie ein Fragment aus längst vergangenen Zeiten aufragte.
 

Law folgte Marcos breitem Rücken mit den Augen und biss sich unschlüssig auf die Zungenspitze, während er einen stillen Kampf mit sich selbst ausfocht. Höchstwahrscheinlich sollte der Konzerner in dieser Situation nicht allein sein und irgendetwas in Law drängte ihn dazu, Marco zu folgen, aber er hielt sich selbst nicht wirklich für das Vorzeigebeispiel von Empathie und Mitgefühl.
 

Er ist ein Freund“, hallten Marcos Worte in ihm wieder und mit einem schweren, aber entschlossenen Atemzug warf Law seine Schwertscheide und seine Mütze auf den Rücksitz und stieg ebenfalls aus. Er hatte Marco gesagt, dass er für ihn da sein würde und verflucht, ja - das würde er auch, weil er den Konzerner wirklich mochte. Also würde er das bisschen an Einfühlsvermögen, was er besaß, zusammenkratzen und versuchen, Marco irgendwie der Freund zu sein, den der jetzt sicherlich dringend brauchte.
 

Marco stapfte mit ungehaltenen Schritten unter die geschwungene Überdachung des hölzernen Freilufttempels, wo ein steinernes Wasserbecken für die traditionelle Reinigung vor dem Gebet und dem Besuch des Tempels untergebracht war. Während ihm der kalte, aber angenehm frische Wind, der vom Japanischen Garten herauf wehte, um die erhitzte Stirn strich, tauchte er eine der hölzernen Kellen in das klare Wasser und begann sich das Blut harsch von den Händen zu waschen.
 

Die Reinigung war in diesem Moment weniger rituell als schlichtweg zweckmäßig und Marco wollte gar nicht wissen, wie viele der hier ansässigen Shinto-Gottheiten er gerade durch sein Handeln beleidigte. Aber er musste das Blut unbedingt loswerden. Das Blut, das er eigentlich nie mehr an seinen Händen kleben haben wollte, nicht einmal das seines offenbar unbelehrbaren, scheußlichen Stiefbruders. Marcos Gesicht spiegelte sich in dem seicht plätschernden Wasser und er war beinahe selbst erschrocken über die noch immer schwelende Wut in seinen Augen.
 

Er konnte spüren, dass Law sich ihm näherte. Der junge Mann musste ebenfalls ausgestiegen und ihm schweigend gefolgt sein. Bisher hatte er sich noch nicht wertend über sein Verhalten geäußert, aber Marco wünschte sich, dass er nicht gerade gegenüber Law so die Fassung verloren hätte. Der junge Mann hatte ihn gesehen, wie die wenigsten ihn je erlebt hatten und was mochte der wohl jetzt von ihm denken, wo er dessen Argwohn doch gerade erst bezwungen und Law sich ihm gegenüber ein wenig geöffnet hatte...
 

»Das hätte nicht passieren dürfen«, räumte Marco mit rauer Stimme ein, als Laws Umriss nun ebenfalls auf die sich kräuselnde Wasseroberfläche fiel und der junge Mann sich neben ihm an das Wasserbecken lehnte, still und leise wie ein Schatten. »Ich hätte nicht so die Kontrolle verlieren dürfen.«
 

»Wir alle machen Fehler«, sagte Law ruhig und schlug einen Fuß über den anderen. »In den letzten Tagen und heute ist so viel passiert, niemand steckt das einfach so weg und kann dabei völlig gelassen bleiben.« Seine grauen Augen huschten flüchtig zu Marcos Händen, von denen noch immer rot gefärbtes Wasser tropfte. In seinem Gesicht stand keinerlei Urteil und Marco fragte sich insgeheim, wie oft Law sich wohl schon Blut von den Händen hatte waschen müssen...
 

Marco schnaufte frustriert. »Ich kann mir keine Fehler erlauben, nicht in meinem Leben, nicht in meiner neuen Stellung und Position, wo jeder Fehler ein Menschenleben kosten kann.« Mit fast groben Bewegungen rieb er die Spuren von Weevils Blut von seiner Haut, die durch das kalte Wasser und die unsanfte Behandlung bereits gerötet war. Die Last seiner Verantwortung drückte in diesem Augenblick tonnenschwer auf Marcos Schultern.
 

Laws Hand schob sich ruhig, aber bestimmt über seine Finger und stoppte die raue Selbstkasteiung. Der junge Mann schöpfte ein wenig Wasser mit der hohlen Hand aus dem Becken und rieb jetzt selbst sanft mit dem Daumen die letzten, rötlichen Reste von Marcos Fingern. »Es ist mehr als menschlich, Marco. Niemand kann erwarten, dass du immer richtig und vorbildlich handelst. Du bürdest dir zu viel auf, wenn du das selbst von dir verlangst.«
 

Marco schluckte. Law war so nah gekommen, dass einige der wilden Strähnen seines schwarzen Haares ihn beinahe am Kinn kitzelten und ihm Laws Duft von Kiefergehölz und Frost in die Nase stieg. Die Nähe des jungen Mannes hatte eine gleichzeitig beruhigende, wie aufwühlende Wirkung auf ihn. »Aber jetzt sind wir so schlau wie zuvor und wissen eigentlich gar nichts. Wir hätten viel mehr aus Weevil herausbekommen müssen, wenn ich nur...-«
 

»Hör' auf damit.« Law schüttelte den Kopf. »Wir hätten nicht mehr aus ihm herausbekommen, glaub' mir, ich kenne solche Typen zur genüge. Alles, was wir noch von ihm erfahren hätten, wäre nur noch mehr wirres Zeug gewesen. Er war völlig zugedröhnt, das hast du doch gesehen.« Law hob den Blick und Marco konnte den seinen kaum von den stählernen, überzeugten Augen abwenden. »Weevil Newgate ist ein unerträgliches Arschloch. Er hat diese Abreibung mehr als verdient.«
 

»Nein«, entgegnete Marco abwehrend. »Niemand verdient es, so zugerichtet zu werden. Ich hätte mich besser im Griff haben müssen, ich bin der Vernünftigere von uns beiden, ich hätte es besser wissen müssen…« Wenn er anfangen würde, sich nicht mehr vor sich selbst zu rechtfertigen, konnte ihn das auf einen Weg treiben, den er wahrlich nicht wieder beschreiten wollte. »Was ist, wenn er stirbt!?« Er wollte diesen Gedanken nicht einmal wirklich bis zum Ende denken, vor allem nicht, weil er kaum wüsste, wie er seinem Vater dann je wieder unter die Augen treten sollte.
 

»Er wird überleben«, beruhigte Law ihn sofort. »Vermutlich wird er eine ganze Weile ziemliche Schmerzen haben und sein Gesicht wird wohl sehr lange kein schöner Anblick sein, aber das war es ja auch vorher schon nicht. Die für ein paar Wochen mangelnde Fähigkeit zu sprechen, wäre wohl durchaus eine Verbesserung zu vorher«, erklärte Law trocken und hob die Schultern. Die sonstige Härte war ein Stück weit aus seinen Augen gewichen und sein rechter Mundwinkel zuckte leicht.
 

Marco blickte ihn verdutzt an, dann brach ein kleines, ungläubiges Schnauben aus ihm heraus. »Hast du gerade ernsthaft einen Witz gemacht, Trafalgar Law?«
 

Law antwortete nur mit einem weiteren kleinen Achselzucken und ließ Marcos Hände nun wieder los, der den Verlust dieser tröstlichen, lebendigen Wärme ernsthaft bedauerte. Der junge Mann lehnte sich wieder an das Steinbecken, direkt neben Marco, der sich die feuchten Hände an seiner Jacke trocknete. Ihre Arme berührten sich dabei leicht. Die hervorbrechende Sonne spiegelte sich in Laws Ohrringen und der Wind bewegte dessen dunkle Haare. Sonst verschleierte seine Mütze meist ziemlich viel seines Gesichtes, aber Marco gefiel es so deutlich besser.
 

Beide blickten sie einen Moment still über den kunstvollen Garten, der einige Meter unter ihnen lag. Marco entdeckte das schillernde, farbenfrohe Holo eines Koi über den Wimpeln der Zedern im Park. Der künstlich angelegte Wasserlauf, der den Japanischen Garten wie ein silbern leuchtendes Band durchzog, war von unzähligen kleinen Brücken überspannt, über die - trotz des kühlen Wetters - einige Besucher spazierten. Vor einem kleinen Teehaus wurden einige von ihnen von einem humanoiden Geisha-Roboter in einem leuchtend roten Kimono begrüßt.
 

Marco betrachtete seine Hände. Obwohl das Blut abgewaschen war, blieb das Gefühl haften, klebte an ihm wie ein Makel, ein Mahnmal seiner eigenen Entgleisung. »Es hat mir gefallen…«, gestand er leise und voller Reue. »Ich habe es genossen, ihn zu schlagen und diese Macht zu haben, ihn für seine abfällige und respektlose Art zu bestrafen, für den Mord an Stussy. Ich war nicht mehr ich selbst.« Sein Erzeuger wäre vermutlich stolz auf ihn, aber Edward Newgate hatte ihn so nicht erzogen. Marco schmeckte die Abscheu gegen sich selbst bitter auf der Zunge.
 

»Das kann ich verstehen.« Law hob eine Hand und bläuliche Energie knisterte um seine Fingerspitzen, nur der Hauch seiner Macht. Seine Haltung war ungewöhnlich offen, sein Blick nachdenklich und gnadenlos ehrlich, vermutlich auch zu sich selbst. »Mir ging es oft genauso. Diese Kraft, so sehr ich sie auch verabscheuen und manchmal sogar fürchten mag, ich habe es nicht selten genossen, die Furcht in den Augen der Menschen zu sehen, die mich Dämon nannten. Zu wissen, dass ich vielen von ihnen überlegen bin.« Er schüttelte den Kopf und das blaue Leuchten an seinen Fingern erlosch. »Ich fühle mich nicht gut damit, aber es ist ein Teil von mir, genauso wie es ein Teil von dir ist, Marco. Aber deswegen bist du nicht plötzlich ein schlechter Mensch.«
 

»Warum fühle ich mich dann aber, als wäre ich es?« Marco biss die Zähne aufeinander und krallte die Finger in die steinerne Brüstung des Wasserbeckens. Persönliches Versagen schwebte wie eine bedrückende, dunkle Wolke über ihm, machte jeden Atemzug schwer und jeden Gedanken düster. Niedergeschlagen starrte er zu Boden und hob den Blick erst wieder, als er die überraschende Berührung von Laws Fingern am Oberarm spürte.
 

Laws stahlgraue Augen waren eindringlich, seine Miene todernst. »Weil du ein viel zu guter Mensch bist, Marco. Weil du dich selbst hinterfragst und dir den Kopf über viel zu viele Dinge zerbrichst, woran andere nicht einen Gedanken verschwenden. Ich habe selten jemanden getroffen, der so selbstlos agiert wie du, der sich immer erst um andere sorgt, als um sich selbst. Zweifle nicht an dir selbst. Du lässt mich glauben, dass es vielleicht doch noch Hoffnung und Gutes in dieser elenden Welt gibt...«
 

Law biss sich auf die Zunge und wandte kurz den Blick ab, überrascht von sich selbst und seinen so offenen Worten. Der Konzerner brachte eine Seite in ihm hervor, die er jahrelang tief in sich verschlossen hatte. In Marcos Nähe ließ er völlig selbstverständlich seine Deckung fallen, wollte seine tiefsten Gedanken mit ihm teilen und dafür sorgen, dass es ihm gut ging und er sich nicht quälen musste, vor allem nicht wegen eines Arschloches wie Weevil Newgate. Nachdem er kurz die Augen geschlossen hatte, ertastete Law den kleinen USB-Stick in seiner Tasche und zog ihn nach einem kleinen Zögern heraus, um ihn Marco in die Hand zu drücken.
 

Der runzelte fragend die Stirn. »Was ist das?«
 

Law zog die Schultern ein wenig hoch, als eine kalte Böe durch die Häuserschluchten strich und den Geruch von Matchatee aus dem tieferliegenden Japanischen Garten herauftrug. Er befeuchtete sich flüchtig die Lippen, konnte das herbe Aroma fast schmecken. »Der Beweis, das Weevil vermutlich jeden Schlag verdient hat, den du ihm verpasst hast«, erklärte er Marco. »Auf seinem PC waren nicht nur Filmchen für seine Follower, sondern auch wirklich derbes Material, das normalerweise illegal auf dem Schwarzmarkt gehandelt wird. Blutiges, gewaltverherrlichendes Videomaterial, in denen MAGs ihre Kräfte an wehrlosen Tieren und Menschen austesten. Zur Unterhaltung für reiche Geldsäcke, die sich solches Zeug dann überteuert und meist zugedröhnt als VR-Mitschnitt reinziehen, um sich aufzugeilen.« Law erschauderte angewidert.
 

»Was...?!«, blinzelte Marco gänzlich entgeistert. Er wurde merklich blasser.
 

Law griff erneut nach Marco und schloss seine eigenen Finger um die große Hand des Konzerners mit dem Datenstick. Ihm fiel auf, dass sein Hautton ein wenig heller als Marcos war... und das er sämtliche Berührungsängste in der Nähe des Blonden verlor, vielmehr, dass er die Nähe zu Marco ganz bewusst suchte. »Du solltest das offiziell an den Senat weiterleiten und Weevil damit ein für allemal aus dem Verkehr ziehen. Ja, das wird deinem Vater vielleicht nicht gefallen, aber dein Stiefbruder ist ein Schwein, er hat weit schlimmeres als deine Abreibung verdient. Ich will nicht, dass du dir wegen ihm auch nur noch eine Sekunde ernsthaft ein schlechtes Gewissen einredest.«
 

Marco sah auf ihre Hände, musste das erst einmal verarbeiten, bevor er den Blick hob und Laws attraktives, ernstes Gesicht ausgiebig musterte. Laws Hände waren überraschend warm und kräftig, sein Ausdruck sehr entschlossen und überzeugt. Marco wurde in diesem Moment sehr deutlich bewusst, dass er sich zu dem jungen Mann hingezogen fühlte, auf eine sehr tiefgreifende Art und Weise, weil er spürte, dass Law ihn verstehen konnte wie vielleicht niemand sonst. »Ich werde das den entsprechenden Stellen zukommen lassen«, versprach Marco und ließ den Datenstick in seine Jackentasche gleiten.
 

Für einen Moment war Marco wahrlich verloren gewesen, völlig aus seiner sonst so selbstbestimmten Ruhe gebracht und unversehens wieder in die Vergangenheit katapultiert - aber Laws Gegenwart und seine eindringlichen, ehrlichen Worte hatten ihn wieder aufgefangen. Law hatte gesehen, was unter Marcos Oberfläche lauerte, was immer ein Teil von ihm sein würde und war nicht davor zurückgeschreckt.
 

Ein Gruppe Passanten - den begeistert glänzenden Augen und der ausgelassenen Stimmung nach Touristen - kamen mit Tokio-typischen, bunten Regenschirmen an der Pagode vorbei. Eine junge Frau zückte ihr SmartCom, um ein paar Selfies vor der traumhaften Aussicht hier oben machen. Dabei schien sie Marco zu erkennen, denn sie warf sich die Haare über die Schulter und wollte schon neugierig zu ihnen herüber kommen. Doch Law wies die Frau mit einem eiskalten Blick in die Schranken, wodurch die schnell zu ihrer Freundin zurück huschte und sich bei ihr unterhakte.
 

»Das mit Stussy tut mir wirklich leid«, nahm Law das Gespräch wieder auf, nachdem die Gruppe weitergezogen war. Er meinte seine Worte durchaus ehrlich. Auch wenn er keinen Bezug zu der Frau hatte, bedauerte er ihren Tod. Ein weiteres, sinnlos ausgelöschtes Leben, das in den Mühlen der Megametropole zwischen den Fronten zerrieben worden war.
 

Marco nickte dankbar. Wenn er den Gedanken an Stussys Tod jetzt zuließ, war da wirklich wenig Trauer, sondern hauptsächlich eine Menge Wut und Unverständnis über die Wirren des Schicksals. »Wir waren kein Paar mehr und meine Gefühle für sie sind längst vergangen, aber solch einen Tod hatte sie nicht verdient.« Erschöpft wischte Marco sich über die müden Augen. »Ich... ich werde sehen, dass ich zumindest die Kosten für die Behandlung ihrer Mutter übernehmen kann. Irgendwie habe ich das Gefühl, das wäre ich ihr schuldig.«
 

Law beschämte die eigenartige Erleichterung, die er darüber empfand, dass Marco offenbar wirklich keine Gefühle mehr für die Frau gehabt hatte. »Gib' dir nicht die Schuld an ihrem Tod. Wie damals bei Kayle hättest du nichts tun können, um es zu verhindern.« Abermals legte Law die Hand auf Marcos Oberarm und bestärkte ihn mit einem sanften Druck seiner Finger. »Du solltest jetzt nachhause und dir ein wenig Ruhe gönnen.« Dass der Konzerner völlig durch den Wind war, war offensichtlich.
 

Marco seufzte und strich sich durch die Haare. »Ich muss so viel erledigen...-«

Doch Law hielt bestimmt dagegen. »Du musst dich jetzt vor allem erst einmal ausruhen. Du bist völlig übermüdet und emotional aufgewühlt. Alles andere kann warten.«
 

Marco musste widerwillig einsehen, dass Law recht hatte. In seinem jetzigen Zustand wäre er wohl für niemanden eine wirklich Hilfe. »Na schön, in Ordnung«, gab er nach, griff aber nach Laws Fingern, bevor der sich abwenden konnte und ihn daraufhin überrascht und abwartend ansah. »Danke, Law, für alles. Danke, dass du mich vorhin aufgehalten hast, dass du mich verstehst und nicht verurteilst, dass du... hier bist.«
 

Das winzige Lächeln auf Laws Lippen war wie ein wärmender Sonnenaufgang. »Nun, ich schätze, das machen... Freunde so?!« Er schien kurz unsicher über das Wort zu stolpern, doch sein Blick blieb fest auf Marcos gerichtet, als wollte er keine seiner Reaktionen verpassen. Die zaghafte Hoffnung in seinen Augen berührte Marco.
 

Er erwiderte das Lächeln und spürte, wie sich eine enorme Last von seinem Herzen hob und mit der nächsten, frischen Böe scheinbar hinfort geweht wurde. »Ja, das machen Freunde so«, bestätigte er sanft.

Planänderung

12.12.2069, 15.41 Uhr, Tokio
 


 

Freunde… Law schnaubte ungläubig und nahm einen Schluck aus dem Pappkaffeebecher, der sich angenehm heiß in seine Hände schmiegte, während er durch die Straßen von Downtown stapfte. Doch das warme Prickeln in seiner Magengegend rührte nicht nur von dem tiefschwarzen Getränk her, das war ihm nur zu bewusst. So viel also zu seinem Vorsatz, den Konzerner emotional auf Abstand zu halten. Das hatte ja ganz hervorragend funktioniert.
 

Was hätte Law einem Mann wie Marco Phoenix schon zu bieten? Er war, im Gegensatz zu ihm, unbedeutend und es war gut möglich, dass er auf dem Rachefeldzug gegen Doflamingo sterben würde, warum also eine Bindung aufbauen? Es war wohl mehr als vermessen, wieder hoffen zu wollen und sich ein Leben fern ab von all dem Mist hier zu wünschen.
 

Dabei wusste Law doch zu gut, wie leichtsinnig das war, sich wieder an einen anderen Menschen zu binden und Vertrauen zu schenken und trotzdem... in Marcos Nähe war eine logische Betrachtungsweise oft schwierig und er handelte dann furchtbar impulsiv und unüberlegt. Verdammt, eigentlich hatte er sich doch meist viel besser unter Kontrolle!
 

Law wich einem älteren Ripperdoc mit schütterem Haar aus, der schimpfend und murrend mit einem mechanischen Karren voller Kartons aus einer Seitengasse rumpelte. In der stand ein Lieferwagen mit dem silbernen Emblem der Kizaru-Group - direkter ‚Red Force‘ Konkurrent - über einem zischenden Abwasserkanal mit geöffneten Heckklappen. Ein paar Mitarbeiter in Overall entluden das Auto eilig.  
 

Die 'Lieferung' des dürren Ripperdocs mit der grauen Haut und den mechanischen Augen bestand aus zusammengewürfelten, kybernetischen Implantaten, deren Verarbeitung selbst für ein ungeschultes Auge deutlich zu wünschen übrig ließ. Vermutlich einige aussortierte, fehlerhafte Chargen der Produktionsfirma, die ihren Schrott trotzdem noch unter die Leute bringen wollte.
 

Der Ripperdoc würde seinen nichtsahnenden Kunden die mangelhaften Produkte trotzdem für überteuerte Preise implantieren, obwohl er garantiert wusste, dass es fahrlässig und gefährlich war. Doch viele der Bewohner in Downtown waren verzweifelt genug, um alle Vorsicht in den Wind zu schlagen, wenn es darum ging, weiterhin mit der gnadenlosen Gesellschaft mithalten zu können.
 

Law warf seinen Kaffeebecher in den übervollen Mülleimer an der Straßenecke und fischte sein SmartCom aus der Hosentasche, um erneut die Adresse zu überprüfen, die Mugiwaras rechte Hand Zorro ihm geschickt hatte. Kühler Wind strich durch die Häuserschlucht und ließ Law die Mütze tiefer ins Gesicht ziehen.
 

Ruffy bat um ein Treffen. Es war ungewöhnlich, dass der Strohhut von sich aus aktiv wurde und eine strategische Planung verlangte. Aber Law konnte das nur recht sein, denn er schätzte eine gewisse Eigeninitiative, auch wenn er am Ende gern alle Fäden selbst in der Hand hielt.
 

Er packte das Telefon weg und schob die Hände in seine Jackentaschen. Immerhin würde ihn die Planung von Jokers Untergang willkommen fokussieren und seine Gedanken hoffentlich von Marco Phoenix ablenken. Über all dem Chaos mit dem Zirkel durfte er seine eigenen Pläne nicht völlig vergessen. Law bog um eine Ecke und lief unter der Werbung einer singenden Torte aus Big Moms' Sortiment hindurch, wobei ihm die trällernde, süße Reklamemusik Kopfschmerzen verursachte.
 

Ein Streifenwagen des TPD fuhr langsam und mit kreiselndem Blaulicht an ihm vorbei. Law klappte den Kragen seiner Jacke hoch und tauchte in einer Gruppe Jugendlicher unter, die vor einem Casino herumlungerten und wohl überlegten, ob es lohnte, die letzten Eurodollar in eine Mahlzeit oder die flüchtige Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu investieren.
 

Schließlich fand Law das flackernde, schräg hängende Schild des abgehalfterten Nachtclubs, den Zorro ihm als Treffpunkt mitgeteilt hatte. Nach einem letzten, versichernden Blick über die Schulter, mögliche Verfolger ausschließend, eilte er die Stufen zu der Untergrundbar hinab und huschte durch die schwere Holztür nach drinnen.
 

Das Etablissement war genauso, wie es von außen vermuten ließ - abgeranzt, stinkend und düster. Nur ein paar armselige, blasse Gestalten drückten sich um die Uhrzeit in den Schatten herum. Die Luft war zum schneiden dick und feuchtwarm. Aus irgendeiner Ecke dudelte Musik aus einer vorsintflutlichen Jukebox und sollte wohl ein heimeliges Ambiente erzeugen.  
 

Darauf bedacht, nichts wirklich länger als nötig zu berühren und den sich träge dahinschleppenden Gästen auszuweichen, steuerte Law eine Ecke an, in der er Bonney mit Lysop bei einer Partie Billard entdeckt hatte. Die pinkhaarige Frau beugte sich gerade - zur Freude zwei gierig starrender Kerle an der schmuddeligen Theke - über den Billardtisch und lochte mit einem gekonnten Stoß gleich zwei der bunten Kugeln perfekt ein.
 

Auch Laws Blick glitt kurz über ihre wohlgeformte Kehrseite in den Hotpants, mehr eine reflexartige, als wirklich forcierte Reaktion. Für einen winzigen Moment erinnerte er sich an ihre hitzigen, hektischen Treffen in irgendeiner Gasse, an den schnellen, unpersönlichen Sex und das unkomplizierte Vergnügen.
 

Law war nie besonders sanft gewesen oder hatte sich mit einem ausgiebigen Vorspiel aufgehalten, doch sie hatte sich auch nie beschwert oder nach mehr verlangt. Es war nett gewesen, hatte dem Stressabbau und der Zerstreuung gedient, mehr aber irgendwie auch nicht. Er verspürte kein Verlangen danach, diese unverbindliche Affäre wieder aufzuwärmen, schon gar nicht mit einer Allianzpartnerin.
 

Lysop entdeckte Law zuerst und unterbrach ihr Spiel. Bonney richtete sich auf und stützte sich nun auf ihren Queue, während sie ihm abwartend entgegen blickte. Sie lächelte leicht, doch dieses Lächeln erreichte ihre Augen nicht. Und der Hacker wich seinem Blick aus, während er ein bisschen zu hastig nach seiner bereitstehenden Cola griff und bemüht unbeteiligt wirken wollte.
 

Law runzelte die Stirn und spannte die Hände in den fingerlosen Handschuhen. Er hatte sogleich das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, aber so recht konnte er das Gefühl nicht fassen. Seine Augen huschte erneut flüchtig durch die Bar, über jede dunkle Ecke und jeden verstohlenen Blick abschätzend. Alles wirkte normal und - für diesen Teil der Stadt - beinahe harmlos. Doch das warnende Kribbeln zwischen seinen Schulterblättern wollte nicht weichen und machte Law wachsam.
 

»Du bist zu spät«, bemerkte Bonney nach einem flüchtigen Blick auf die Uhr. »Das passt gar nicht zu dir.« Ihre pinken Nägel klopften auf den Queue, während sie sich lässig mit der Hüfte gegen den Billardtisch lehnte. Sie klang verwundert, denn das war tatsächlich nicht Laws Art. Normalerweise war er verlässlich wie ein Uhrwerk.
 

Seine Erwiderung war kühl und üblich emotionslos. »Ich war noch beschäftigt.« Er würde ihr sicherlich nicht erzählen, dass er mit Marco noch bei einem verspäteten Mittagessen beisammen gesessen hatte. Dass sie sich unterhalten und er die Zeit vergessen hatte und dass er sich - trotz all der Scheiße, die gerade passiert war - seit langem einmal wieder wie ein Mensch gefühlt hatte.
 

»Hm«, sie musterte Law nachdenklich, dann legte sie den Queue auf den Billardtisch und deutete einladend auf eine unscheinbare Tür im hinteren Teil der Bar. »Die anderen warten hinten. Ruffy wird froh sein, dass du endlich da bist.«
 

Law konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass er in eine Falle lief, als er ihr folgte und Lysop sich ihnen anschloss. Der Hacker war für seine Verhältnisse heute ziemlich wortkarg und das behagte Law irgendwie nicht. Nicht, dass er sich Lysops endloses Geschwafel zurückgewünscht hätte, aber dieser Umstand verstärkte nur seine ungute Vorahnung. Nur die aufgewühlten Nerven, beschwichtigte Law sich selbst. Nach den erst kürzlich zurückliegenden Ereignissen war es wohl kaum verwunderlich, dass er hinter jeder Ecke eine Verschwörung und überall lauernde Gefahren sehen wollte. Außerdem hatte er zu wenig geschlafen. Vermutlich brauchte auch er dringend einmal eine Pause.
 

Für einen Moment klappte es tatsächlich, sich zu beruhigen... zumindest bis die Tür hinter ihm zuschlug, die Musik verstummte und Dunkelheit ihn umfing. Und bis die schimmernde, scharfe Katanaklinge - umhüllt und verstärkt durch pyromantische Flammen - vor seiner Kehle erschien und Zorros grimmiges Gesicht im roten Licht des magischen Feuers auftauchte. Nicht einmal Law mit seinen geschulten Sinnen hatte den Samurai kommen hören.
 

»Keine falsche Bewegung, Trafalgar. Und halt deine Telekinese zurück«, befahl Mugiwaras rechte Hand knurrend und hob die Klinge noch ein wenig näher, bis Law die unnatürliche Hitze der Flammen unangenehm auf der Haut spüren konnte. Er zischte und riss den Kopf zurück. Intuitiv knisterte Energie um seine Fingerspitzen und Gold kroch in seine Augen, eine Reaktion, die er nicht gänzlich unterdrücken konnte.
 

Doch er zwang seine Magie zurück, vor allem auch, da er jetzt zusätzlich Ace' rauchige Aura im Rücken spürte. »Besser, du hörst auf Zorro. Er hatte heute noch keinen Sake und damit eine ziemlich kurze Zündschnur«, warnte der Pyromant, der jetzt neben Law trat und ihn ebenso finster anstarrte wie der grünhaarige Samurai.
 

»Was soll das!?«, stieß Law durch zusammengebissene Zähne aus. »Ich dachte, über diese Phase des Misstrauens wären wir längst hinaus?« Seine Gedanken rasten und unangenehm kalter Schweiß überzog seinen Nacken. Das Ganze konnte sich doch nur um einen Irrtum handeln. Er musste ruhig und konzentriert bleiben.
 

»Ja, das dachten wir eigentlich auch«, grollte Ace mühsam beherrscht und wies ihm mit einer übertrieben einladenden Geste die Richtung in den Raum. »Aber ich fürchte, du hast uns so einiges zu erklären, Trafalgar.«
 

Licht flammte auf, das Law kurz blinzeln ließ, bevor sich die Szenerie vor ihm offenbarte. Ace und Zorro geleiteten ihn in ein verstaubtes Hinterzimmer, was wohl als Getränkelager diente. Kisten, Kartons und Bierfässer stapelten sich bis fast unter die Decke, die Regale beidseitig waren mit Spirituosen aller Art gefüllt. Eine flackernde Neonröhre schwankte an der Decke, unter der sich die Gruppe um Mugiwara in dem kleinen, stickigen Raum versammelt hatte.
 

Ein bisschen fühlte es sich für Law an, als würde er vor ein Strafgericht geführt, da sich ihm nun alle Köpfe zuwandten. Die Blicke der Anwesenden waren weder sonderlich einladend, noch freundlich. Der Pyromant und der Samurai flankierten ihn wie Wärter und ließen ihn keine Sekunde aus den Augen. Sie wussten immerhin nicht, dass Law seine Kräfte im Moment kaum benutzen konnte.
 

Ruffy saß oberhalb von ein paar alten Getränkekisten. Er hatte die Hände auf die Knie gestützt und musterte Law mit ungewöhnlich ernster Miene aus dem Schatten seines Strohhutes. Seine Brauen waren leicht zusammengezogen, seine großen Augen funkelten durchdringend. Kein sonderlich gutes Omen, wie Law fand, denn der junge Bandenführer war selten ohne ein Lächeln anzutreffen.
 

Während Corby, Sanji und Cavendish ihn zwar missmutig musterten, aber zumindest recht gefasst aussahen, wirkte Bartolomeo wie ein tollwütiger Köter, den nur noch die hauchdünne Leine seines Herrn zurückhielt. Der grünhaarige Punk bleckte die spitz gefeilten Zähne und fixierte Law mit eindeutiger Mordlust in den Augen. Der Kerl verehrte den Strohhut wie einen Heiligen, aber Law fiel beim besten Willen nichts ein, womit er diesen Hass verdient hätte.
 

Bonney lehnte sich neben Sanji an die schlecht verputzte Wand und schnorrte sich von ihm eine Zigarette. Sie wich Laws Blick nun aus und knibbelte gedankenschwer an ihren Fingernägeln, während Sanji ihr galant die Zigarette ansteckte. Vielleicht huschte so etwas wie Enttäuschung über ihr Gesicht, doch Law war sich nicht sicher.
 

»Ich dachte, wir wären Freunde, Torao«, hallte die Stimme des Strohhutes wie eine Anklage auf Law nieder. Ruffy stützte das Kinn auf die Faust und schob die Unterlippe ein wenig vor, als Law nun gemächlich den Blick hob. Der junge Bandenführer wirkte ehrlich frustriert.
 

Verwirrung und Unruhe machten sich in Law breit, denn er tappte völlig im Dunkeln und wusste einfach nicht, was das Ganze sollte. Er konnte nicht überlegt agieren, sondern schlichtweg nur reagieren - eine Handlungsweise, die er verabscheute. Normalerweise war er den Dingen immer gern mindestens fünf Schritte voraus. Kurz glitt Laws geschmälerter Blick abschätzend über die Anwesenden, während er die trockenen Lippen mit der Zungenspitze befeuchtete und seine nächsten Worte mit Bedacht wählte. »Wir waren nie Freunde, Mugiwara-ya«, korrigierte Law den Strohhut. »Viel mehr immer nur Partner in einer Allianz, in der jeder sein eigenes Ziel verfolgt.«
 

Doch wie so oft schien der junge Anführer ihm gar nicht richtig zuzuhören. »Du hast geholfen, Ace zu retten und ich dachte, dass wird alles eine super lustige und spannende Sache, unsere Allianz...«, Ruffy blähte die Backen auf und schmollte weiter. »Aber belogen zu werden macht irgendwie keinen Spaß! Das machen Freunde nicht!«
 

Lysop schnalzte altklug mit der Zunge. »Ich hab's dir ja gleich gesagt, dass du diesem zwielichtigen Typen nicht vertrauen darfst, Ruffy. Und ich wollte nur nochmal erinnern, dass ich von Anfang an gegen dieses Bündnis war! Ich wusste, dass er uns verraten wird!«
 

Cavendish rollte entnervt mit den Augen. »Jaja, lass' gut sein, Lysop. Inzwischen hast du es echt oft genug erwähnt«, meinte er kopfschüttelnd. Er griff sich wahllos eine bauchige Weinflasche aus einem Regal, studierte das Etikett kurz, bevor er sie mit den Zähnen entkorkte und einen großen Schluck nahm.
 

Law zog die Brauen zusammen. So langsam verwandelte sich seine anfängliche Unruhe in tiefgehende Anspannung. »Ich habe dich nie belogen, Mugiwara-ya«, stellte Law überzeugt klar. Natürlich hatte er dem Strohhut und seiner Bande nicht alles erzählt, nur soviel, wie sie eben wissen mussten, aber gelogen hatte er nicht.
 

»Ach, nicht?!« Ace löste sich jetzt von seiner Seite und bewegte sich, bis er zu Füßen seines jüngeren Bruders stand. Law verfolgte ihn wachsam mit den Augen, während Zorros Katana noch immer wie eine unmissverständliche Warnung vor seiner Kehle schwebte. Die Klinge spiegelte das kalte Neonlicht wie ein höhnisches Zwinkern.
 

Der Pyromant schob die Hände lässig in die Taschen seiner weiten, schwarzen Hose. »Vielleicht erklärst du uns dann kurz, warum wir erst jetzt erfahren«, sein finsterer Blick schoss sich förmlich auf Law ein, »dass du Jokers persönlicher Henker und Vollstrecker bist?!« Der Triumph der Überraschung blitzte in seinen Augen.
 

Law trocknete der Mund aus und für eine Sekunde war er wahrlich sprachlos. Er senkte den Blick leicht und verbarg seine Überraschung unter dem Schirm seiner Mütze, während er in den Jackentaschen die Fäuste ballte. Seine Nägel gruben sich in die Handflächen. »Und was bringt dich zu dieser Annahme, Ace-ya?«, fragte er mit einem zurückhaltenden Raunen.
 

»Ach«, Ace kratze sich gespielt nachdenklich am Kinn, bevor er auf die Schatten hinter Cavendish zeigte, aus denen sich jetzt eine weibliche Gestalt löste, »vielleicht ja eine Augenzeugin, die genau gesehen hat, wer du bist und was du getan hast, Trafalgar Law.«
 

Riku Rebecca trat nun zögerlich neben Cavendish.
 

Law weitete die Augen. Er hätte sicherlich mit vielem gerechnet, doch nicht damit, das Mädchen hier zu sehen. Sie hätte er als Letztes erwartet. Die Puzzleteile in Laws Kopf begannen sich zusammenzusetzen und ein Bild zu formen. Offenbar war sie wohl schlauer und weitsichtiger als ihr engstirniger Bruder und hatte sich auf die Suche nach Unterstützung für ihre Sache gemacht. Gut für sie, im Augenblick schlecht für ihn. Es war Rebecca anzusehen, dass sie sich hier nicht wirklich wohl fühlte, denn sie konnte Law kaum ansehen. Kein Wunder, bei dem, was er vor ihren Augen getan hatte. Sie musste ihn wahrlich für ein Monster halten.
 

Das Mädchen rieb sich die Arme, als würde ihr frösteln und Cavendish zog sich sogleich die eigene Jacke aus und legte sie der jungen Frau zuvorkommend um die schmalen Schultern. »Ist er das, Rebecca?«, fragte der blonde Schönling sanft. »Ist das Jokers 'Rachedämon'?«
 

Sie zögerte kurz, doch dann nickte sie. »Ja schon, das ist er, aber er... ich glaube, er wollte uns...-« Sie krallte die Finger halt suchend in den Stoff der Jacke und holte zittrig Luft. Sie wisperte verunsichert: »Ich denke nicht, dass er wirklich...-«
 

»Interessant, nicht?!« Doch Ace überging ihre Worte einfach und ließ seine Hand in Flammen aufgehen. Er richtete die Finger einer Pistole gleich auf Laws Herz. »Sie hat uns erzählt, was in Doflamingos Anwesen passiert ist und welch beeindruckende Show du geboten hast. Anscheinend kennst du Doflamingo viel besser, als wir bisher dachten.«
 

Eine unsichtbare Macht schien Law die Kehle zuzuschnüren und beinahe wäre ihm ein humorloses Lachen entwichen. Das Schicksal war doch wahrlich ein mieser Verräter. Er hatte für dieses Mädchen und ihren leichtsinnigen Bruder sehr viel riskiert und genau das sollte ihm jetzt das Genick brechen?! Das bekam man nun, wenn man weich wurde und für andere einstand. Das Gefühl, in eine Falle geraten zu sein, verstärkte sich nur noch und Law fiel in diesem Moment einfach kein stichhaltiges Argument ein, um diesen so gestaltlichen Beweis seiner Verfehlungen irgendwie entkräften zu können. All seine Pläne, seine ganzen Gedankenkonstrukte, schienen um ihn zu zerbröckeln wie ein fragiles Glashaus.
 

»Also, was soll dieses Spielchen, Trafalgar? Was war dein großer Plan?«, hakte Ace ungeduldig nach. In seiner Stimme schwang lauernde Angriffslust. »Wolltest du uns bei nächster Gelegenheit in eine Falle locken und deinem Boss wie ein braves Hündchen auf dem Silbertablett präsentieren oder was sollte das werden, hm?« Der Pyromant begann wie ein Raubtier vor Law auf und ab zu laufen, während seine dunklen Augen förmlich Funken sprühten.
 

»Du hast ja keine Ahnung...« Law blähte die Nasenflügel unter einem aufgewühlten Atemzug. Er zog die unruhig zuckenden Hände aus den Taschen und die Magie knisterte erneut um seine Fingerspitzen, begierig darauf, losgelassen zu werden. Er mochte das Gefühl wahrlich nicht, in die Ecke gedrängt zu werden und schon gar nicht, wenn man ihm zeitgleich unterstellte, Doflamingos willenlose Marionette zu sein.
 

»Warum hast du uns nicht gleich die Wahrheit gesagt? Was hast du zu verbergen... Oni

»Woher sollte ich wissen, ob man euch trauen kann?! Joker hat in der ganzen Stadt seine Spitzel«, knurrte Law.

»Oh, jetzt sind wir schon Spitzel?!« Ace' Hände gingen impulsiv völlig in Flammen auf.
 

Die Neonröhre über den sich taxierenden Kontrahenten knisterte vernehmlich durch das stumme Kräftemessen. Der Staub auf dem Boden wirbelte um Laws Füße, während seine Finger einen sirrenden, kinetischen Energiekreis formten. Aus dem Augenwinkel schätzte er die Entfernung zu Zorro ab und wie lang es wohl dauern würde, an seine eigene Klinge zu gelangen. Law wusste, dass es ihm vermutlich Hirn und Verstand zerfetzen würde, sollte er seine Telekinese benutzen, aber er würde nicht kampflos hier in diesem dreckigen Hinterzimmer sterben. So würde er nicht abtreten, ausgeschlossen!
 

Bartolomeo beobachtete Law und Ace eine Weile mit ungeduldig wippender Fußspitze, dann schnaubte er unwirsch. »Scheiß' drauf!« Der grünhaarige Punk schüttelte seinen extravaganten, roten Mantel von den Schultern und dehnte seinen Nacken mit einem vernehmlichen Knacken seiner Wirbel. »Lasst ihn uns einfach fertig machen, das ist die beste und schnellste Lösung! Komm schon, Ruffy-senpai, ich...-«
 

»Nein«, bestimmte der Strohhut mit einem forschen Kopfschütteln. »Ace, Barto, lasst ihn! Zorro, nimm' das Schwert runter. Ich will hören, was er zu sagen hat.« Vielleicht mochte man manchmal dem Eindruck erliegen, der junge Anführer wäre kopflos, doch wenn es darauf ankam, konnte er äußerst fokussiert sein und legte eine fast schon charismatische Entschlossenheit an den Tag.
 

»Tz«, machte Ace unzufrieden, doch sein Feuer erlosch und er verschränkte die Arme. »Verschwendete Zeit...«

Bartolomeo trat mit einem schweren Stiefel frustriert gegen eines der Regale, doch er gehorchte. Auch der Samurai ließ sein Katana ohne weiteres zögern sinken, schob es aber nicht in die Schwertscheide an seiner Hüfte zurück. Vermutlich hielt er es wie Law, der stets der Überzeugung war, Vorsicht wäre besser als Nachsicht.
 

Sanji schnippte die Asche von seiner Zigarette. »Besser, du nutzt die Chance weise, die unser großmütiger Boss dir gewährt, Trafalgar«, riet der Blonde. »Sonst kriechst du besser gleich zu deinem Herrn zurück.«
 

Law zeigte die Zähne. »Ich bin nicht Jokers Schoßhund«, berichtigte er mit schneidender Stimme, bevor er sich selbst zu mehr Umsicht mahnte. Vielleicht war es doch an der Zeit, endlich reinen Wein einzuschenken. Eine große Wahl hatte er eh nicht. »Ihr habt recht, ich gehöre offiziell zu seinem Gefolge, aber ich bin ihm nicht treu ergeben. Ich agiere schon seit geraumer Zeit hinter seinem Rücken gegen ihn. Kein Wort, was ich euch sagte, war gelogen, aber ich habe euch ein paar Details verschwiegen«, räumte Law zerknirscht ein. »Ich kann mir bedingungsloses Vertrauen nur schwer leisten.«
 

Ace zog skeptisch die Augenbrauen hoch. Er wirkte wenig überzeugt. »Ein paar... Details?! Das hört sich an, als hättest du nur vergessen, uns über Jokers Lieblingsessen aufzuklären! Aber du gehörst zu ihm und hast für ihn getötet!«
 

»Weil ich keine andere Wahl hatte«, entgegnete Law scharf. »Was glaubst du, was er mit mir anstellen würde, wenn er herausfindet, dass ich ihn seit Jahren hintergehe?! Wenn ich an diesem Abend nicht getan hätte, was er wollte«, sein Blick schnellte jetzt zu Rebecca, »dann hätte er erst euch alle und anschließend vermutlich mich beseitigt, einfach aus einer Laune heraus. Joker duldet keinen Ungehorsam und keinen Verrat. Niemals. Vor allem nicht vor den Augen seines wertvollen Geschäftspartners.« Law verschränkte die Arme vor der Brust. »Seit Jahren versuche ich seinen Plänen entgegenzuarbeiten, soweit es mir eben möglich ist.« Er senkte den Kopf ein wenig. Schuld und Reue - Gefühle, die er selten zuließ - machten ihm das Reden schwer. »Ich kann die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Ich kann nur versuchen, weiteres Leid zu verhindern.«
 

In Rebeccas Augen glomm zaghaftes Verständnis, als sie nun für die anderen erklärte: »Mein Bruder Shin und ich haben uns an diesem Abend selbst in eine ausweglose Situation gebracht und wenn er nicht eingeschritten wäre, dann...-« Ihre Stimme erstarb und Cavendish legte ihr bestärkend den Arm um die Schulter. »Er hätte uns nicht helfen müssen, aber er hat es versucht, so gut es eben ging. Shin ist von dem Gedanken an Rache und Hass zerfressen, er kann es nicht sehen, aber ich erkenne, was du für uns getan hast, Trafalgar Law.«
 

Law presste die Lippen aufeinander. Diese Absolution fühlte sich falsch an. Er verdiente sie nicht. Er konnte sich selbst kaum vergeben, da sollte es dieses Mädchen erst recht nicht tun, das durch sein Mitverschulden fast die gesamte Familie verloren hatte...
 

»Warum?« Ruffy hatte die Hände auf die Knie gestützt und musterte Law nun ergründend. »Warum hintergehst du Mingo?«
 

Law holte tief Luft, um sich zu wappnen und schloss kurz die Augen, bevor er sich dem Strohhut wieder zuwandte. Die nächsten Worte waren für ihn nicht leicht auszusprechen, jede Silbe wie ein bleischweres Gewicht auf seiner Seele. Aber er wusste, dass nur die Wahrheit den Strohhut würde überzeugen können. »Weil Doflamingo einen Menschen getötet hat, der mir verdammt wichtig war.«, Law schluckte hart, »Und weil dieser Mensch Doflamingo und seine Machenschaften immer hatte aufhalten wollen und ich es ihm schuldig bin, sein Werk fortzuführen.« Er ging sicher, dass Mugiwara einen Bruchteil all dieser ungefilterten Emotionen in seinen brennenden Augen zu sehen bekam, die er sonst stets zurückhielt. »Du kannst mir vertrauen, wenn ich dir sage, dass ich nichts mehr will als seinen Untergang und Vergeltung für seine Verbrechen«, versicherte er mit dunkler Stimme.
 

Angespanntes Schweigen breitete sich aus. Jeder im Raum schien den Atem anzuhalten und wartete auf das Urteil des Strohhutes. Ruffy legte den Kopf auf die Seite und studierte Laws Gesicht erneut sehr eindringlich, dann warf er die Hände in die Luft und lachte gelöst. »Okay, dann machen wir weiter mit unserer Allianz! Wann geht’s nach Punk Hazard?«
 

»Bitte was?!« Lysop klappte der Kiefer herunter. »Das kann nicht dein Ernst sein, Ruffy!? Der Kerl ist ein verdammter Dämon!«, zeigte er anklagend auf Law. »Ich will ihn nicht in mein-... ähm, Bonneys Nähe! Das ist viel zu gefährlich!«
 

»Wie rührend.« Bonney stieß ein knappes Lachen aus. »Keine Sorge, im Gegensatz zu dir kann ich schon auf mich aufpassen, Langnase.« Sie hüpfte auf eine Kiste und ließ sich dort nieder.

»Lysop hat nicht ganz unrecht...«, gab Ace zu bedenken. Er schob sich seinen orangen Cowboyhut in den Nacken und blickte forschend zu seinem Bruder auf. »Ruffy, du weißt, ich vertraue deinem Urteil, aber bist du dir wirklich sicher, das du weiterhin mit ihm arbeiten willst?«
 

Doch der junge Bandenführer machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn er sagt, dass er Mingo das Handwerk legen will, dann glaube ich ihm. Wir sind doch Freunde, shishishishi«, giggelte er unbekümmert.
 

Law sog die Luft geräuschvoll in die Nase. Hatte der Strohhut denn gar nichts verstanden? »Mugiwara-ya, wir sind nicht...-«, begann er, besann sich dann aber eines besseren. Sollte Ruffy eben in dem Glauben leben, immerhin sorgte dessen Gutmütigkeit gerade dafür, dass Law nicht sämtliche seiner Pläne erneut über den Haufen werfen musste.
 

»Damit ist es wohl entschieden.« Bonney zwinkerte Law zu, während sie die Beine auf ihrem Sitzplatz überschlug. »Freut mich, dass du noch im Boot bist, Trafalgar.«
 

»Nun, nachdem das ja nun geklärt ist, sollten wir endlich zum entscheidenden Teil dieses Treffens kommen«, meldete Sanji sich zu Wort. Er drückte seine Zigarette im Boden einer zerbrochenen Schnapsflasche auf dem Regal neben sich aus. Dann zog er sein SmartCom heraus und tippte mit fliegenden Fingern eine kurze Nachricht ein. »Ich möchte euch jemanden vorstellen. Eine Frau, die ich erst kürzlich kennengelernt habe und die uns vielleicht noch ein paar entscheidende Infos zu Jokers Plänen liefern kann. Sie will uns helfen.«
 

»Was meinst du damit?«, fragte Corby mit gerunzelter Stirn, der die Diskussion bisher eher schweigsam verfolgt hatte. Er saß an einem klapprigen Tisch mit seinem Laptop, sah jetzt aber über den Rand seiner getönten Brille auf. Wie Law inzwischen wusste, war er der inoffizielle Quartiermeister der Bande und kümmerte sich um die meisten organisatorischen Dinge. »Ich dachte, wir verlassen uns auf Laws Infos?«
 

Sanji tat den Einwand mit einem Schulterzucken ab. »Wie wir eben gesehen haben, ist es ist doch immer besser, sich eine zweite Meinung einzuholen. Vertraut mir einfach.«
 

Auch Law zog die Brauen misstrauisch zusammen. Wen sollte der Blonde wohl aufgetrieben haben, der ebenfalls über Doflamingos Vorhaben im Bilde war? Einen ehemaligen Geschäftspartner vielleicht? Er wusste wirklich nicht, was er davon halten sollte und Unruhe beschlich ihn erneut, als sich die Tür zum Hinterzimmer öffnete. Kurz schwappten Gesprächsfetzen und ein wenig Musik vom Hauptraum herein, bevor die Tür wieder ins Schloss gedrückt wurde. Dann erklangen Schritte und alle wandten sich wachsam dem Durchgang zur Bar zu. Sanji ging der hochgewachsenen, kurvigen Gestalt in dem dunklen Kapuzenmantel entgegen und ergriff deren schlanke, blasse Hand, um diese für einen geziemten Handkuss an seine Lippen zu ziehen. »Eine Freude, dass du gekommen bist, meine Liebe...«, flötete der Blonde entzückt.
 

Laws Herzschlag stockte bedrohlich, als die Frau ihre Kapuze zurückschob und Riku Violas Gesicht enthüllt wurde. Für einen Moment wusste er nicht, was er glauben sollte, da ihm so viele Gedanken gleichzeitig durch den Kopf schossen. Er fühlte sich völlig überrumpelt von dieser Entwicklung. Was zum Teufel macht sie hier?! Soll sie Doflamingo wirklich ebenfalls hintergehen wollen?! Oder ist das eine Falle? Ist sie für Joker hier, um seine Feinde ausfindig zu machen? Hat sie den gutgläubigen Sanji mit ihren Fähigkeiten hinter's Licht geführt?
 

Rebecca gab ein ersticktes, überraschtes Geräusch von sich, dann eilte sie zu ihrer Verwandten und schlang die Arme um die großgewachsene Frau, die ihre Nichte fest in eine Umarmung zog. Viola drückte das Gesicht für einen sentimentalen Moment in das pinke Haar des Mädchens, ihre Gefühle schienen in diesem Moment durchaus echt und nicht gespielt. Dann fixierte Viola die restlichen Anwesenden über Rebeccas Kopf hinweg mit sorgsamer Vorsicht.
 

Bei Laws Anblick erstarrte die dunkelhaarige Frau flüchtig und sie maßen sich gegenseitig kritisch. „Dich hier zu sehen, sollte mich wahrscheinlich nicht überraschen. Nachdem, was du gestern für meinen Neffen und meine Nichte getan hast, ahnte ich bereits, dass in deiner Brust doch noch ein Herz schlagen muss, Law...“
 

Violas gedankliche Stimme zu hören, war ein regelrechter Schock. Bisher hatte Law sich nur mit Lamy auf diese Weise unterhalten. Die Überraschung, sie hier zu sehen, musste ihn unachtsam gemacht haben, sodass er seine Barrieren gesenkt hatte. Er zog seine mentalen Schutzmauern wieder hoch, ließ aber einen Spalt für die Telepatin offen. “Was tust du hier?“, fragte er die Frau über ihre mentale Verbindung.
 

„Nun, wie es scheint, das Gleiche, was auch du hier tust. Sieht so aus, als müssten wir uns jetzt einfach gegenseitig vertrauen.“

„Ich vertraue niemandem...“

„Ich weiß. Das würde ich an deiner Stelle auch nicht.“
 

Zorro schob sein Katana endlich zurück in die Schwertscheide an seiner Hüfte und schnaubte geringschätzig. »Verflucht, Kochlöffel, hast du dich schon wieder von einer Frau um den Finger wickeln lassen?! Die Letzte, die du angeschleppt hast, hat versucht uns zu töten...«

Sanji schnauzte ungehalten zurück: »Halt die Klappe, Schwertfuchtler! Viola-chen ist nicht so! Du hast wirklich keine Ahnung, wie man sich in Gegenwart einer schönen Frau verhält!«

Der Samurai zog unbeeindruckt eine Braue hoch: »Na, zumindest weiß ich, dass man nicht zu solch einem sabbernden Idioten wie du werden sollte...«
 

Law verfolgte den hitzigen Wortwechsel der beiden ungläubig, während Bonney auf ihrem Sitzplatz nur schwer seufzte und Corby peinlich berührt hinter seinem Laptop verschwand. Dann wandte Law sich mit gedämpfter Stimme an Ruffy: »Habt ihr eigentlich eine Ahnung, wer sie ist?«
 

Doch Sanji hatte ihn trotzdem gehört. »Eine verdammt schöne und liebreizende Lady, würde ich meinen«, schwärmte der Blonde, der seine Augen kaum von der hübschen, dunkelhaarigen Frau abwenden konnte.
 

Law war ein wenig befremdet durch dieses Verhalten, denn er wusste nicht, wie es sich anfühlte, so leidenschaftlich für einen anderen Menschen zu brennen. Seit Corazon hatte er niemandem mehr genug vertraut, um sich je ernsthaft verlieben zu können. Er fragte sich manchmal, ob er überhaupt zu solch einem Gefühl fähig war, fern ab der Liebe für seine Schwester.
 

»Nö, keine Ahnung...«, platzte der Strohhut arglos heraus und baumelte fröhlich mit den Beinen. »Aber mehr Freunde sind doch immer gut!«
 

»Sie gehört ebenfalls zu Jokers Gefolge«, eröffnete Law vorsichtig. Wenn sie schon dabei waren, alle Karten auf den Tisch zu legen, sollte er dieses Detail wohl ebenfalls nicht unerwähnt lassen. Er maß die Frau erneut mit einem scharfen, abschätzenden Blick, doch sein Argwohn hielt sich eigentlich in Grenzen.
 

Ace zuckte mit den Schultern. »Nun, wenn wir uns entscheiden, dir weiterhin zu vertrauen, dann können wir uns wohl auch anhören, was sie zu sagen hat, nicht wahr?«
 

Im Stillen musste Law ihm recht geben. Vielleicht hatte er Viola nie wirklich einschätzen können, aber er war sich zumindest sicher, dass sie nie etwas tun würde, was das Wohl ihrer Nichte und ihres Neffen gefährden könnte. Vielleicht hatte sie tatsächlich ebenfalls auf ihre ganz eigene Art und Weise all die Jahre gegen Doflamingo intrigiert.
 

Viola legte Rebecca eine Hand auf die Schulter und erwiderte Laws Blick unerschüttert. »Offensichtlich spielen wir wohl alle die Rollen, die uns zugedacht wurden und müssen Dinge tun, die wir nicht wollen...«, erklärte sie gefasst. Law presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und schwieg.
 

Viola schob sich eine Strähne ihres dunklen Haares hinter das Ohr, bevor sie ihr Wort an alle richtete: »Ja, ich gehöre zu Doflamingo, aber nicht freiwillig. Mein Name ist Riku Viola, ich bin die Tante von Rebecca und ihrem Bruder Shin und die Tochter des getöteten Riku Doldo. Joker hat meiner Familie vor vielen Jahren alles genommen und mir blieb nichts anderes übrig, als mich in seine Dienste zu begeben, um meine letzten, lebenden Verwandten zu retten. Ihr habt sicher viele Fragen und ich werde sie euch alle beantworten. Aber seid bitte versichert, dass ihr mir trauen könnt, denn ich riskiere so einiges, indem ich heute hierher gekommen bin.«
 

»Ich bürge für meine Tante«, versicherte Rebecca und legte sich die Hand auf das Herz.
 

»Du musst dir keine Sorgen machen, Viola-Darling«, versuchte Sanji sie mit schmeichelnder Stimme zu beruhigen. »Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas geschieht.«
 

Die dunkelhaarige Frau schenkte dem Blonden ein zurückhaltendes Lächeln. »Sanji hat mir versichert, dass ich euch trauen kann, darum bin ich heute hier.« Sie drückte ihre Nichte erneut beschützend an sich. »Allein werden wir es nie schaffen, gegen Doflamingo anzukommen, das mussten wir erst kürzlich schmerzlich erfahren. Aber er darf nicht noch mächtiger werden und er muss für seine Verbrechen büßen.« Ihre Augen verschleierten sich für einen Moment in Wut und Trauer, dann straffte sie sich. »Sanji sagte, dass ihr alles in eurer Macht stehende tun werdet, um ihn aufzuhalten...«
 

»Das stimmt«, bestätigte Ruffy und schlug die Faust enthusiastisch in seine Handfläche. »Wir werden Mingo in den Arsch treten!«

»Ihr habt es auf Punk Hazard abgesehen?!«, fragte Viola.

Ace nickte. »Richtig. Es war Trafalgars Idee.« Der Pyromant beäugte Law zwar noch immer wachsam, doch zumindest schwang in seiner Stimme keine offene Feindseligkeit mehr mit. Er schien die Entscheidung seines Bruders zu akzeptieren und beugte sich dessen Einschätzung. Was aber sicherlich nicht ausschloss, dass er trotzdem ein Auge auf Law hatte.
 

Viola zog ihr Datenpad aus ihrem Mantel und legte es auf den Tisch, an dem Corby saß. Dann rief sie ein dreidimensionales Holo der Region um Punk Hazard auf, wie Law sogleich erkannte. »Ein guter Gedanke«, würdigte sie den Plan. »Caesar ist Doflamingos Trumpfkarte. Ohne ihn kann er den Grundstoff für das Beta nicht herstellen. Kaido ist im Moment der Hauptabnehmer für Beta und Doflamingo würde ernsthafte Schwierigkeiten bekommen, wenn er ihn nicht mehr beliefern könnte. Darüber hinaus arbeitet Caesar an wirklich schrecklichen Waffen für all die Warlords der Welt. Von daher ist Punk Hazard das perfekte Ziel, um Jokers Imperium anzugreifen.«
 

Die holographische Karte veränderte sich. Einige Geländeformationen um die Forschungseinrichtung färbten sich rot. »Doflamingo hat Punk Hazard ganz bewusst für seine geheimen Experimente ausgewählt. Es liegt in einer tektonisch sehr aktiven Region Japans. Durch die zerklüftete Landschaft ist es sehr schwer zu erreichen, von den noch immer versprengten Scornbauten dort draußen einmal abgesehen. Selbst der Luftweg ist durch die Gebirgswinde riskant. Es gibt nur einen Weg, um sicher dorthin zu gelangen.« Viola drehte das Modell, bis die unterirdischen Magmakammern und brüchigen Erdschichten sichtbar wurden, welche die Region durchzogen.
 

»Das wissen wir bereits«, meldete sich Law mit rauer Stimme zu Wort. Er trat einen Schritt näher und deutete auf einen schmalen Gebirgstunnel nahe der Forschungseinrichtung. »Nur ein Weg, um hinein und wieder hinaus zu gelangen. Er ist gut gesichert, die Einrichtung selbst dafür aber kaum.«
 

»Ja«, bestätigte Viola mit einem Nicken. »Weil Schutz durch die natürlichen Gegebenheiten kaum nötig war. Niemand verirrt sich dorthin, niemand kennt den Weg, der nicht zumindest einmal dort gewesen ist. Bis vor kurzem war es schon fast gänzlich unangreifbar. Das perfekte Versteck.«
 

»War?« Zorro verschränkte die Arme vor der massiven Brust und hob eine Braue. »Was soll das bedeuten?«
 

»Es gibt eine Entwicklung, von der ihr vermutlich noch nichts wisst.« Mit einer entschlossenen Handbewegung veränderte Viola die Karte erneut. Ein tiefer Riss in den unteren Erdschichten lief nun wie eine klaffende Wunde durch die Region und das Gelände umher hatte sich verändert. »Obwohl Whitebeard und die anderen Geomanten vor einigen Jahren Japan grundlegend stabilisieren konnten, ist das Inselreich doch seit „The Fall“ gezeichnet und immer wieder gibt es Erdbeben. Das Letzte ereignete sich erst vorgestern Nacht und nun...«
 

Sie zoomte den Tunnel heran, den einzigen Zugangsweg nach Punk Hazard, der nun von der Karte verschwunden war. An seiner Stelle schlängelte sich jetzt ein massiver Magmastrom durch die Gebirgskette. »... ist Punk Hazard vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten.«
 

Corby tippte eilig auf der Tastatur seines Laptops und durchsuchte ein paar Seiten, bevor er sich zurücklehnte und die Brille von der Nase zog. Er starrte ernüchtert in die Runde. »Sie hat recht. Das Beben wurde im Netz ein paar mal erwähnt, da die Region jedoch unbewohnt ist und niemand zu schaden kam, wurde es nicht groß in den Nachrichten thematisiert. Aber die Regierung hat das Areal inzwischen großflächig zum Sperrgebiet erklären, um die Leute von dort fernzuhalten.«
 

»Verfluchte Scheiße...«, kommentierte Bartolomeo die Situation sehr treffend.
 

Auch Law stieß die Luft in einem gezischten Fluch aus und massierte sich die Nasenwurzel frustriert. Er hatte alles so gut geplant, bis ins kleinste Detail durchdacht und dann machte ihm gerade eine Naturkatastrophe einen Strich durch die Rechnung? Das durfte doch alles nicht wahr sein!
 

»Ich weiß, dass Doflamingo auch in den Reihen der japanischen Regierung Günstlinge und Kunden hat«, erzählte Viola. »Für ihn ist die Entwicklung ein wahrer Segen. Denn um jetzt noch dorthin zu gelangen, müsstet ihr schon mindestens ein hohes Tier in der Regierung sein und noch dazu fliegen können, denn Punk Hazard ist nun nur noch durch die Luft zu erreichen.«
 

Ruffy zog die Mundwinkel enttäuscht nach unten. »Heißt das, wir können Mingo doch nicht in den Arsch treten?! Och menno...«

Lysop klopfte ihm aufmunternd die Schulter. »Ach naja, vielleicht ist es ja besser so. Das war doch eh alles viel zu gefährlich.«
 

»Wir haben zu lang gewartet...« Ace kickte eine leere Bierdose durch den Raum. An seinen Haarspitzen loderten Flammen. »Verflucht, ich habe es gleich gewusst!«
 

»Hätten wir bloß nicht auf dich gehört, Trafalgar!«, zischte Bartolomeo Law aggressiv an und baute sich vor diesem auf. »Dein Plan war Scheiße!«

Unbeeindruckt hob Law das Kinn. Ein Hauch von Gold wirbelte durch seine Augen. »Du denkst also, du könntest es besser?! Nur zu, plane du die nächsten Schritte«, forderte er den anderen mit einem Grollen heraus.
 

»Hey Hey, Jungs, nun macht mal halblang«, meinte Bonney, die von der Kiste gehüpft war und sich zwischen den Punk und Law schob. »Das mit dem Erdbeben hätte Law ja gar nicht wissen können. Niemand konnte so was ahnen.« Sie tätschelte dem schnaubenden Bartolomeo die tätowierte Brust. »Komm schon, Großer, beruhige dich.«
 

»Und was machen wir nun? Blasen wir die ganze Sache ab?«, fragte Corby in die Runde.

Lysop hob sofort zustimmend die Hand. »Hervorragende Idee!«

Cavendish schlug ihm zurechtweisend auf den Hinterkopf. »Dann war alles bisher für umsonst, sei doch nicht dumm.«
 

Viola beendete die Holoprojektion und nahm ihr Datenpad wieder an sich. »Punk Hazard ist immer noch Doflamingos wunder Punkt. Vor allem, da sich seine Geschäfte durch Tesoros Eintreffen deutlich beschleunigt haben.« Ihr Blick suchte den von Law. »Crown hat ein abscheuliches Giftgas entwickelt, an dem Kaido bei einer Präsentation größtes Interesse gezeigt hat. Ende nächster Woche soll die erste Lieferung nach Schanghai ausgeschifft werden. Aber noch befindet es sich in Punk Hazard.«
 

Ruffy hüpfte von seinem Kistenstapel und begann mit Dehnungs- und Aufwärmübungen, als würde er sich bereits auf einen Kampf vorbereiten. »Die verschwundenen Kinder, von denen Rebecca erzählt hat...«

»... befinden sich mit ziemlicher Sicherheit ebenfalls in der Forschungseinrichtung. Ich vermute, Crown testet neue, verbesserte Beta-Varianten an ihnen«, erklärte Viola mit belegter Stimme. Es war ihr anzusehen, dass sie mit ihrer - wenn auch unfreiwilligen - Rolle in diesem perfiden Spiel haderte. »Ich habe viel zu lange weggesehen...«, murmelte sie voller Reue. Rebecca griff mitfühlend nach ihren verkrampften Hände.
 

»Na dann ist doch alles klar, wir machen Punk Hazard und den Clown fertig!«, bestimmte der Strohhut euphorisch und grinste breit in die Runde.
 

»Der Typ heißt Crown«, berichtigte Cavendish.

Zorro schnaubte resigniert. »Ruffy, hast du eben denn gar nicht zugehört?! Wir kommen dort nicht hin!«

»Oh, shishishishi, das ist aber blöd«, kratzte sich der junge Anführer verlegen den Nacken.
 

»Doch, wir werden dort hinkommen«, meinte Law bestimmt. Die Rädchen in seinem Kopf begannen bereits zu arbeiten und die Grundsteine eines möglichen Szenarios zu legen, auch wenn ihm eigentlich wenig gefiel, wohin seine Überlegungen am Ende führen würden. Oder zu wem. »Wir halten an dem Plan fest. Caesar Crown und Doflamingo müssen aufgehalten werden. Diese Lieferung an Kaido darf den Hafen von Tokio nie verlassen.«
 

»Und die Kinder müssen gerettet werden«, fügte Sanji an. Law bestätigte das durch ein knappes Nicken.
 

»Und wie willst du das anstellen?«, fragte Ace. Die Skepsis in seinem Blick war kaum zu übersehen. »Hast du noch mehr Geheimnisse, von denen du uns vielleicht erzählen willst?«
 

Nein, das wollte Law definitiv nicht. Es gab Dinge, von denen wollte er eigentlich niemandem etwas erzählen. Aber er würde es müssen, spätestens dann, wenn sein wahnwitziger Plan tatsächlich Gestalt annehmen sollte. »Ich werde euch davon erzählen, sobald ich sicher bin, dass es auch funktionieren wird. Vorher würde es gar keinen Sinn machen. Gebt mir ein paar Tage und haltet euch bereit. Ich werde euch informieren, sobald ich alles in die Wege geleitet habe.«
 

»Alles klar, Torao! Wir werden auf dein Stichwort warten, hehe«, versprach der Strohhut.
 

Lysop räusperte sich vernehmlich. »Ähm, darf ich vielleicht mein Veto einlegen...?«

»Nein!«

»Klappe Lysop!«
 

Law wollte sich gerade zum gehen abwenden, als Viola überraschend nach seinem Arm griff und bat: »Law. Warte.«
 

Während die anderen noch über die Einzelheiten ihre Mission beratschlagten, führte Viola Law ein wenig beiseite. »Ich weiß, bisher du hast keinen Grund mir zu vertrauen, deshalb will ich dich warnen. Doflamingo ist dir gegenüber misstrauisch, Law. Ich weiß nicht, ob er etwas von all dem hier ahnt«, mit einer knappen Handbewegung schloss sie den Raum und die Leute darin ein, »oder ob es nur seine Paranoia ist, aber sei auf der Hut. Gib ihm keinen Anlass, weiter an dir zu zweifeln.«
 

Law kniff die Augen zusammen. Ein bitterer Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. »Lässt er mich beschatten?«, fragte er rau. Seit Jahren war sein Vorhaben, den Kartellkönig zu stürzen, endlich fast zum greifen nahe, jetzt durfte er sich keine Fehler mehr erlauben. Er musste noch vorsichtiger sein und alle Eventualitäten bedenken.
 

»Das hat er, als du nach deiner Mission so lange nicht wieder aufgetaucht bist«, teilte Viola mit. »Aber im Moment nicht, nein. Er muss seine Ressourcen gerade anderweitig bündeln. Doch er ist argwöhnisch wegen deiner Verbindung zu diesem Konzerner. Ich habe es gesehen. Manchmal kann ich nachts in seinen Geist eindringen, wenn er schläft und ein paar Dinge aufschnappen...« Sie erschauderte.
 

Ein Spiel mit dem Feuer, in dem Kopf des Kartellkönigs zu wühlen und sicherlich nicht selten furchteinflössend. Law mochte sich nicht einmal vorstellen, was Viola in dem Geist dieses Wahnsinnigen zu sehen bekam. Seine Achtung vor der Frau stieg merklich an.
 

»Gib ihm etwas, das seinen Argwohn besänftigt. Liefere ihm ein paar Informationen und überzeuge ihn davon, dass du ihm noch immer treu ergeben bist«, riet Viola ihm. »Er liebt und achtet dich wie einen Bruder. Er beobachtet dich schärfer als alle anderen, aber er vertraut dir auch mehr als allen anderen.«
 

Law rieb sich angespannt über die Brauen. Er hatte so etwas schon befürchtet und langsam zog sich die Schlinge um seinen Hals immer enger, die Luft wurde dünner. Und ihm wurde klar, dass er noch heute unbedingt mit jemandem reden musste. Er konnte das nun nicht mehr auf die lange Bank schieben. »Danke für den Hinweis.«
 

Er verließ die Bar und begab sich zuerst noch einmal zu seiner Wohnung, um ein paar frische Klamotten und andere private Dinge für seine Schwester und sich selbst zu holen, bevor er sich dann auf den Rückweg nach Ikebukuro machte. Inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen und die Stadt erstrahlte im falschen Licht der farbenfrohen Werbebanner.
 

Den gesamten Weg zurück zum Tower rang Law mit sich und seinem Gewissen. Er hatte hoch gepokert und Mugiwaras Bande gegenüber so getan, als wäre die Lösung ihrer Probleme bereits zum Greifen nahe und als wüsste er mit Bestimmtheit, wie sie diese schwierige, riskante Mission würden doch noch bewältigen können. Nichts mehr als ein Kinderspiel.
 

Doch das war es ganz und gar nicht. Denn eigentlich war es undenkbar, was er plante und um was er Marco dafür bitten musste, aber der Konzerner war der Einzige, der ihm im Moment noch helfen konnte. Ohne Marcos Hilfe würden sie niemals nach Punk Hazard gelangen. Der Konzerner allein hatte die Mittel und die Möglichkeiten, um sie jetzt noch in die Forschungseinrichtung zu bringen und dabei hatte er Marco wirklich nicht in diesen ganzen Mist mit reinziehen wollen.
 

»Verflucht...« Law nahm die Mütze ab, als er mit dem Aufzug im Newgate-Tower zur Gästeetage unterwegs war und knetete den plüschigen Stoff in den unruhigen Händen. Mit einem schweren Seufzen lehnte er den Hinterkopf gegen die Liftwand. Er war unendlich nervös und aufgewühlt. Alles in ihm drängte auf Flucht und auf Rückzug und das nicht nur, weil ihm bewusst war, dass er kurz davor stand, Marco endlich die ganze Wahrheit über sich zu erzählen. Nein, er musste sich eingestehen, dass er befürchtete, Marco könnte sich dann von ihm abwenden.
 

Diese Vorstellung bereitete Law Unbehagen und er wollte sich dafür hassen, weil genau solch sentimentaler Mist passierte, wenn man sich auf andere Menschen einließ. Man machte sich abhängen von ihnen und wollte sie nicht mehr verlieren. Den Luxus dieser Gefühle konnte Law sich in seiner momentanen Lage kaum leisten und trotzdem ahnte er, dass Marcos Ablehnung und eine Zurückweisung von dessen Seite für ihn schwer zu verdauen wäre.
 

Gottverdammt... er mochte diesen Kerl wirklich.
 

Aber selbst wenn Marco ihn nach der Wahrheit mit anderen Augen sehen würde und das zwischen ihnen - was auch immer es war - damit vorbei wäre, er musste den Konzerner einfach irgendwie davon überzeugen, ihnen trotzdem zu helfen. An der ganzen Sache hing immerhin sehr viel mehr als nur seine persönlichen Befindlichkeiten. Doflamingo und Caesar Crown mussten aus dem Verkehr gezogen werden, da sie eine sehr reale Gefahr für viele unschuldige Leben darstellen.
 

Der Aufzug hielt sanft in der Zieletage und Law straffte sich entschlossen. Am besten brachte er das Gespräch jetzt gleich hinter sich, sonst würde ihn sein Kopf wahrscheinlich nur in den Wahnsinn treiben, indem er sämtliche Eventualitäten zigmal durch- und zerdachte. Er musste sich dieser Sache jetzt stellen.
 

Der Aufenthaltsraum war leer, bis auf ein paar Koffer, die wahrscheinlich von Jimbei stammten. Der japanstämmige Personalchef wollte ebenfalls vorübergehend hier einziehen. Law würde sich an der Gegenwart des ruhigen, höflichen Mannes sicherlich kaum stören. Allgemein empfand er die Gesellschaft im Tower als angenehm und fühlte sich nach den wenigen Tagen hier bereits heimischer, als er es all die Jahre über im Donquixote-Anwesen je getan hatte.
 

Law klopfte an die Tür des Zimmers, das genau neben seinem lag und das Marco nun vorübergehend bewohnte, wie Jozu ihm unten noch mitgeteilt hatte. Der Konzernchef würde auch hier auf der Etage wohnen, bis die Reparaturarbeiten im Penthouse abgeschlossen waren. Es weckte eine seltsame Nervosität in Law, dass sie sich nun irgendwie so... nah waren.
 

Aber Marco schien nicht da zu sein. Im Zimmer blieb es still. Doch Makino kam gerade aus ihrem Zimmer, ein paar Unterlagen auf dem Arm und stockte ihm Schritt, als sie Law bemerkte. »Oh, Hallo.« Sie lächelte ihm freundlich entgegen. »Suchst du nach Marco?«, schlussfolgerte die Ärztin richtig, als sie erkannte, vor welcher Tür er stand.
 

Law schob die Hände in seine Hosentaschen und nickte. Er kam sich seltsam ertappt vor. »Ich muss mit ihm reden. Weißt du, wo er ist?«
 

»Ja, er ist gerade bei deiner Schwester. Er wollte heute unbedingt noch eine Sitzung mit ihr abhalten. Aber er ist schon«, sie blickte kurz auf ihre Armbanduhr, »seit fast einer Stunde bei ihr. Er müsste eigentlich bald fertig sein. Soll ich ihm sagen, dass du da bist?« Sie lief zu Lamys Krankenzimmer, die Hand schon auf der Klinke.
 

»Nein, schon gut, stör' ihn bitte nicht«, schüttelte Law den Kopf. »Ich warte einfach hier draußen im Aufenthaltsraum, bis er fertig ist.«
 

Die Ärztin nickte mit einem sanften Lächeln und öffnete die Tür lautlos, um still und leise in das Zimmer zu schlüpfen und Law damit wieder allein mit seinen Gedanken zu lassen. Er holte das kleine, schwarze Notizbuch aus seinem Zimmer und ließ sich dann draußen in der Leseecke nieder. Wenn er unruhig war oder ihn etwas beschäftigte, half ihm oft das Zeichnen, auch wenn er in letzter Zeit eigentlich kaum noch Gelegenheit für diese Leidenschaft gefunden hatte, die ihn seit Kindesbeinen an begleitete.
 

Er wusste nicht, wie lang er dort saß und den Stift gedankenverloren über das Papier führte, doch irgendwann öffnete sich die Tür von Lamy Zimmer und Marco trat heraus. Law senkte seine Finger mit dem Stift und starrte den Konzerner einen zu langen Herzschlag lang paralysiert an, bis ihm wieder bewusst wurde, dass sie dringend reden mussten. »Marco, ich muss mit dir...-«
 

»Law... deine Schwester ist aufgewacht.«

Nötige Gespräche

»Law... deine Schwester ist aufgewacht«, unterrichtete Marco den jungen Mann, der es sich in der Sitzecke des Aufenthaltsraumes bequem gemacht hatte. Der wirkte für eine Sekunde komplett aus dem Konzept gebracht, als wäre er mit den Gedanken vollkommen woanders gewesen und gerade, als Marco meinte, seine Worte womöglich wiederholen zu müssen, stand Law ruckartig auf.
 

Stift und Buch fielen auf den flachen Beistelltisch, dann eilte er auch schon an Marco vorbei, der ihm zuvorkommend die Tür aufhielt. Im Krankenzimmer bemühte sich Makino ein wenig hilflos darum, ihre panische, eben erwachte Patientin zu beruhigen. Marco selbst war ziemlich überrascht gewesen, als Lamy während ihrer Sitzung unerwartet die Augen aufgeschlagen und ihn wie einen Geist angestarrt hatte. Sie sprach zwar gut auf die Behandlung an, doch so schnell hatte er nicht mit ihrem Erwachen gerechnet.
 

Lamy saß jetzt wie ein in die Ecke gedrängtes Kaninchen in ihrem Bett, die Knie angezogen und die Arme darum geschlungen, als wollte sie sich noch immer vor den Schatten des Phobiokineten schützen. Mit großen, dunklen Augen fixierte sie die ihr völlig unbekannten Menschen, beobachtete jede Bewegung, als würde sie jederzeit mit einem Angriff rechnen. Das braune Haar hing ihr wirr ins Gesicht und ihre Nasenflügel blähten sich nervös. Die hübschen Sommersprossen hoben sich deutlich von ihrer fahlen Haut ab.
 

Marco konnte ihre Magie spüren, die hektisch im Raum umher schoss und sich in Makinos und seinem Verstand festzusetzen versuchte. Er machte der jungen Frau keinen Vorwurf daraus, immerhin war sie an einem fremden Ort erwacht und ihre letzten Erinnerungen mussten sicherlich wie ein lebendig gewordener Alptraum anmuten. Kein Wunder, dass sie Angst hatte.
 

Doch durch Marcos mentalen Schild konnte ihre Kraft nicht dringen, die wie eine lockende, blumige Frühlingsbrise um seinen Geist strich. Auch Makinos Verstand schirmte er instinktiv ab. Lamy mochte keine bösen Absichten haben, vermutlich wollte sie sich nur schützen, indem sie nach Erklärungen suchte. Jedoch sollte man einen begabten Telepathen niemals ungehindert in seinen Kopf lassen.
 

»Lamy, ich bin es, Law.« Law trat an das Bett seiner Schwester und sprach sie leise und vorsichtig an, setzte sich zu ihr auf die Matratze und griff nach ihren verkrampften Händen. Sie zuckte leicht zusammen, Erkennen flackerte in ihren Augen, die sich zögerlich auf ihren Bruder fixierten. Dann ging ein Ruck durch ihren Körper und ihr Blick klärte sich, als würde sie aus der Tiefe des Ozeanes auftauchen.
 

»Law…?!«, hauchte sie verwirrt und gleichzeitig hoffnungsvoll.
 

In einer unendlich zärtlichen Geste strich Law ihr die Haarsträhnen aus dem Gesicht und seine Miene wurde nachgiebig, seine Stimme weicher und sanfter. Die Zuneigung darin bescherte Marco einen sicherlich unangemessenen, doch angenehmen Schauder. »Ich bin hier, Lamy. Alles ist gut. Du bist in Sicherheit.« Er zog seine Schwester in seine Arme und bettete das Kinn auf ihrem Scheitel.
 

Lamy klammerte sich an ihren Bruder, krallte die Finger in den Stoff des dünnen Pullovers auf seinem Rücken und schluchzte leise an seiner Brust. Der Schrecken des Erlebten schien erst jetzt von ihr abzufallen. Während Law ihr beruhigend über den Rücken streichelte, fanden seine Augen über ihren Schopf hinweg Marcos Blick und ließen ihn kurz hinter die Maske aus Kälte und Gleichgültigkeit sehen, die Law meist wie ein Schutzschild trug. Zurück blieb nur ein junger Mann, der sich um seine Schwester gesorgt hatte und der jetzt grenzenlos erleichtert und dankbar war, sie wieder im Arm halten zu dürfen. Das Licht in den grauen Iriden war strahlend und Marco wurde bewusst, dass er wahrscheinlich so einiges dafür getan hätte, um diesen Blick wieder bei Law zu sehen, um ihn… glücklich zu sehen.
 

Marco wandte sich ab, um den beiden einen Moment Privatsphäre zu gönnen. Makino gesellte sich zu ihm, Lamys Patientenakte an die Brust gedrückt. »Ich komme später nochmal wieder, um sie auf eventuelle körperliche Folgeschäden zu untersuchen«, sagte sie mit umsichtig gesenkter Stimme, der Blick halb über die Schulter zu den Geschwistern gewandt. Ein warmes Lächeln umspielte ihren Mund. »Ihre mentale Verfassung wirst du wohl am besten einschätzen können.« Sie tätschelte Marco leicht den Arm, dann verschwand sie leise durch die Tür.
 

Marco ging zum Tisch hinüber, wo Wasser bereitstand und schenkte zuvorkommend etwas aus der Karaffe in ein Glas, bevor er sich einen Stuhl heranzog und sich geräuschlos neben dem Bett niederließ. Er fühlte sich augenblicklich wie ein Eindringling in diesem intimen Moment zwischen den Geschwistern und hätte Lamy gern noch ein wenig mehr Erholung gegönnt. Doch er musste auch einsehen, dass sie dringend Informationen benötigten, bevor die Dinge mit dem Zirkel nur noch mehr aus dem Ruder liefen.
 

Nach ein paar Minuten hatte Lamy sich so weit beruhigt, dass sie sich von ihrem Bruder löste, der ihr liebevoll die Tränenspuren von den sommersprossigen Wangen wischte. »Wie geht es dir?«, fragte er sie sanft. Marco hatte es selten erlebt, dass er einen solch weichen Tonfall anschlug. Man spürte, dass seine Schwester unheimlich kostbar für ihn war.
 

»Nicht gerade berauschend«, kam ihre verhaltene Antwort nach einer Weile. Ihre Stimme war dünn und kratzig. »Mein Schädel tut weh. Es fühlt sich an, als hätte ich einen mordsmäßigen Kater, weil ich zehn Tage durchgefeiert habe…«, sie fuhr sich mit der Zunge über die Zähne und rümpfte angewidert die Nase. »Und dem Geschmack in meinem Mund nach könnte das sogar durchaus stimmen.«
 

Ihr Blick glitt jetzt zu Marco, als würde sie ihn das erste Mal wirklich bewusst wahrnehmen. Zurückhaltend musterte sie ihn, während er ihr das in weiser Voraussicht gefüllte Glas Wasser reichte. Sie nahm es entgegen und trank gierig ein paar Schlucke. Inzwischen hatten ihre Wangen wieder ein wenig Farbe angenommen und der erste Schock ihres Erwachens schien verebbt. »Lamy, das ist Marco«, stellte Law den Konzerner vor.
 

»Freut mich, dich kennenzulernen, Lamy.« Marco schenkte ihr ein freundliches Lächeln, das sie zaghaft erwiderte. Sie schien ihn nicht zu erkennen oder seinem Namen eine besondere Bedeutung beizumessen.
 

Wenn man Law und Lamy so nebeneinander sah, würde man wahrscheinlich nie darauf schließen, dass sie Geschwister waren, denn sie waren wie zwei Seiten einer Münze - wo alles an Law wie ein harter Winter war, scharf, gefährlich und kühl, wirkte Lamy wie ein milder Frühlingswind, freundlich und sanft. Allein ihr aufgeweckter Blick war in dieser Situation ähnlich abschätzend wie der ihres Bruders, jedoch längst nicht so argwöhnisch.
 

»Was zum Teufel ist mit mir passiert, Law? Wo sind wir hier?«, fragte sie ihren Bruder angespannt, mit einem erneuten, vorsichtigen Seitenblick auf Marco, als befürchtete sie, der könnte sich im nächsten Augenblick in einen weiteren Feind verwandeln.

»Du lagst ein paar Tage in einem mentalen Koma«, erklärte Law seiner Schwester jetzt ruhig. »Du wurdest von einem Phobiokineten angegriffen. Dein Geist war… sehr stark beschädigt.« Eine geschönte, harmlose Umschreibung für ihren in Fetzen gerissenen Verstand. »Kannst du dich denn an nichts mehr erinnern?«
 

Lamy erstarrte und in ihren Augen flackerte ein blasses Abbild des Schreckens, den sie erlitten hatte. Sie schluckte. »Ich... ich erinnere mich nur undeutlich, alles ist so verschwommen und bruchstückhaft, aber wenn das wahr ist... verflucht, wie konnte ich das überleben?«, fragte sie schockiert. Als MentalMAG wusste sie sicherlich um die Macht, aber auch die Folgen und Schäden eines solchen Angriffes. Normalerweise blieb von dem Verstand nach so einer Attacke nicht viel mehr als Ödland übrig.
 

Law wies auf Marco. »Marco hat dich geheilt. Wir befinden uns in seinem Zuhause, im Newgate-Tower.«
 

Lamy ließ das Glas sinken und ihre Augen weiteten sich ungläubig, als sie Marco nun doch genauer in Augenschein nahm. Der konnte ihre Magie spüren und sah Laws Lippen zucken - vermutlich tauschten sie sich auf gedanklicher Ebene aus, was keine unübliche Art der Kommunikation bei Telepathen war. Er hätte es vermutlich nicht anders gehalten, wenn er sein Gegenüber noch nicht einzuschätzen wüsste.
 

»Ja, der Newgate-Tower in Ikebukuro. Ich glaube nicht, dass es noch einen anderen hier in Tokio gibt«, sagte Law mit einer gewissen Nachdrücklichkeit in der Stimme, als wollte er seine Schwester darauf hinweisen, Marco nicht einfach aus dem Gespräch auszuschließen. Dabei war der sich sicher, dass die beiden sich häufig so miteinander verständigten.
 

Lamy blinzelte ihren Bruder verwundert an, als wäre sie von seiner Reaktion überrascht, dann wandte sie sich jedoch etwas verlegen an Marco: »Entschuldigung, das passiert manchmal einfach aus einem Reflex heraus...«, sie stockte und ihr Gesicht spiegelte jetzt eine ungläubige Begeisterung, als sie seinen Namen und den Ort schlussendlich in Verbindung zu bringen schien. »Oh mein Gott, du bist Marco Phoenix?! Und du bist ein Mentokinet!«
 

Law kniff die Augen fast schon gequält zusammen und massierte sich die Schläfe. Wenn Marco wetten müsste, hätte er darauf gesetzt, dass Lamy ihn gerade mental mit ihrem Übermut und einem Sturzbach an Gedanken bombardierte.
 

Marco schmunzelte und neigte den Kopf bestätigend. »Das stimmt.«

»Deshalb also komme ich einfach nicht in deinen Kopf«, platzte sie lebhaft heraus. »Diese undurchdringliche Mauer um deinen Verstand, so etwas habe ich noch nie gespürt. Ich hielt Mentokineten bisher eher für einen Mythos!«

»Lamy«, zischte Law einer Warnung gleich. Ihm schien ihre unverblümte Art reichlich unangenehm zu sein und vor allem die Unhöflichkeit, ungefragt in Marcos Geist eindringen zu wollen.

Sie stellte das leere Glas beiseite. »Was denn?«, zuckte sie arglos mit den Schultern, sich offenbar keiner Schuld bewusst.
 

Marco musste lachen, auch wenn er ihre andauernde, versuchte Infiltration gar nicht bemerkt hatte. Wenn er nicht von Natur aus gegen derlei Angriffe immun gewesen wäre, hätte er wohl beunruhigt sein müssen. Sie war ziemlich geschickt mit ihren Kräften und damit für einen Unterweltboss sicherlich Gold wert. »Nun, wie du siehst, sind wir zwar selten, aber keinesfalls besonders mythisch. Meine Hochachtung, wenn es dir tatsächlich gelungen wäre, meine mentalen Barrieren zu überwinden. Als Mentokinet komme ich leider nie in den Genuss einer geistigen Unterhaltung«, meinte er mit einem Zwinkern.
 

»Ist das manchmal nicht schrecklich… frustrierend?«, fragte Lamy neugierig. Für sie als Telepathin musste es beinahe unbegreiflich sein, Gedanken nicht auf diesem Wege teilen zu können. So geschützt Marco dadurch auch war, manchmal verwehrte ihm seine Begabung natürlich auch so einige Möglichkeiten.

»Ich kenne es nicht anders«, meinte Marco mit einem kleinen Lächeln. »Daher kann ich auch nichts vermissen.«

»Hm, ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, ohne meine Fähigkeiten zu sein«, Lamy stupste mit dem Zeigefinger gegen Laws Oberarm, »häufig ist die Telepathie der einzige Weg, um überhaupt mal ein Wort aus meinem grummeligen Bruder herauszubekommen…«
 

Laws Kopf ruckte herum und er starrte seine Schwester recht fassungslos an, schenkte ihr einen vernichtenden Blick. Seine Augenbrauen kräuselten sich finster und Marco war sich fast sicher, dass er ihr über ihre mentale Verbindung eine Rüge schickte. Sie reagierte auf seine zurechtweisende Miene nur mit einem unschuldigen Grinsen. Die beiden wirkten wirklich so gegensätzlich wie Tag und Nacht - wo Law stets zurückhaltend war, hatte Lamy offenbar wirklich überhaupt keine Berührungsängste.
 

»Ach wirklich?« Marcos Lächeln vertiefte sich und er sah Law an, während er sagte: »So schrecklich wortkarg ist er mir bisher gar nicht vorgekommen.«
 

Lamy wirkte recht verwundert. »Da musst du wohl jemand ganz anderen kennengelernt haben«, bemerkte sie mit kritisch gehobener Braue und einem forschenden Seitenblick auf ihren Bruder.

»Wir sollten vielleicht lieber zum ursprünglichen Thema zurückkehren, immerhin ist Lamy nicht grundlos hier«, erinnerte Law mit schneidender Stimme. Sein Gesicht glich wieder einer unergründlich ausdruckslosen Maske. Es war zu erahnen, dass es ihm nicht behagte, als Gesprächsthema fungieren zu müssen.
 

Marco lehnte sich ein wenig nach vorn und stützte die Unterarme auf die Knie. »Dein Bruder hat recht. Lamy, ich muss dir leider ein paar Fragen zu diesem Vorfall bei Yamamoto Ashitaka stellen.« Er verabscheute sich, dass er die junge Frau noch einmal mit dem Geschehen konfrontieren musste und sie damit zwang, das Ganze erneut zu durchleben, doch ihm blieb keine Wahl. Ein unbestimmtes Gefühl sagte Marco, dass ihnen die Zeit davonlief. »Ich muss wissen, was dort genau passiert ist.«
 

Lamy kniff die Augen angestrengt zusammen und griff sich dann mit schmerzverzerrter Miene an den Kopf. »Immer, wenn ich mich zu erinnern versuche, dröhnt mein Schädel...«, klagte sie mit entschuldigendem Blick. Marco vermutete eine Schutzreaktion ihres Verstands, um sie vor weiterem Schaden zu bewahren.

»Ich könnte mir das ansehen«, bot er an. »Du bist schneller wieder zu Bewusstsein gekommen, als ich erwartet hätte. Wahrscheinlich sind ein paar Verbindungen noch nicht vollständig geheilt. Das lässt sich aber schnell beheben«, erklärte er den Geschwistern.
 

Lamy sah Law an und als dieser bestätigend nickte, stimmte sie ebenfalls zu. Es war mehr als ersichtlich, dass sie große Stücke auf die Meinung ihres Bruders hielt und dass der ihm inzwischen so vorbehaltlos zu vertrauen schien, freute Marco ungemein. Ein wenig aufgeregt und neugierig zugleich beobachtete Lamy, wie er jetzt aufstand und ihr Gesicht mit seinen großen Händen federleicht umfasste.
 

»Keine Sorge, du wirst kaum etwas spüren«, versicherte er ihr mit sanfter Stimme. Es war tatsächlich nur geringer Aufwand und ein paar Minuten nötig, um die letzten, fasrigen Verbindungen in Lamys Geist zu finden und zu reparieren. Nachdem die gröbsten Schäden beseitigt waren, würde sich ihr Verstand in den nächsten Tagen selbst heilen und gänzlich regenerieren können. Mit etwas Glück würde tatsächlich kaum ein Hinweis auf die verheerenden Wunden bleiben, die der Phobiokinet geschlagen hatte.
 

Marco zog seine Hände zurück. Dabei verrutschte der Ärmel seines Hemdes und enthüllte das schimmernde Siegel auf seinem Handgelenk. Lamy entdeckte das Zeichen und blickte erst die silbrigen Linien und dann ihn erschrocken an. »Du gehörst zum Senat!?« Die tiefe Wut einer lang schwärenden Wunde trat in ihre Augen, ihre Haltung wurde angespannt und sie wechselte erneut einen schnellen Blick mit ihrem Bruder. »Stehe ich unter Verdacht? Verdächtigt man mich, dass ich irgendetwas mit den Vorfällen auf dieser Party zu tun habe?« Unbewusst verbarg sie das Zeichen des Kartellkönigs auf ihrem eigenen Handgelenk. »Warum bin ich wirklich hier?« In diesem Augenblick glich sie ihrem Bruder so sehr, dass es beinahe unheimlich war - dieselbe eisige Abneigung in den Augen; der gleiche grimmige, unerbittliche Zug um die Lippen.
 

Marco konnte ihr die Vorsicht und das Misstrauen noch nicht einmal wirklich übelnehmen, immerhin musste sie glauben, dass man sie womöglich aufgrund ihrer Verbindung zu Joker festsetzen wollte. Allerdings schien dieser fast manische Vorbehalt gegen den Senat keinesfalls auf bloßen Vorurteilen zu gründen. Irgendetwas musste in der Vergangenheit passiert sein, dass Lamy wie auch Law so wenig Vertrauen in diese Institution hatten.
 

Marco setzte sich wieder und faltete die Hände gemächlich auf dem Knie, nachdem er die Beine überschlagen hatte. Durch Law hatte er inzwischen reichlich Erfahrung mit dieser offenen Feindseligkeit und ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. »Du bist vorrangig für deine Genesung hier, Lamy. Aber natürlich auch, weil du eine Zeugin bist und der Senat wissen will, was genau bei Yamamoto Ashitaka vorgefallen ist. Denn es gab weitere Morde dieser Art. Nicht mehr und nicht weniger, das habe ich bereits deinem Bruder versichert.« Sein Blick glitt flüchtig zu Law und hielt dessen scharfen Augen stand. »Ihr beide seid freie Bürger und könnt gehen, wohin ihr wollt. Ihr seid keine Gefangenen«, wiederholte er sein Versprechen unbeirrt.
 

Lamy wirkte noch nicht recht überzeugt und zudem reichlich überfordert mit diesen Informationen, doch Law bekräftigte Marcos Worte überraschend. »Du kannst ihm glauben, Lamy, er sagt die Wahrheit. Der Senat will nur diese Mordfälle aufklären, sie sind nicht interessiert an uns oder unseren... Verbindungen«, beruhigte er seine Schwester. »Erzähl ihm, was du noch weißt. Es wird auch uns zu Gute kommen, die Drahtzieher hinter diesen Mordfällen zu finden.«
 

Sicherlich dachte Law ebenso an die Ereignisse der letzten Nacht - die lauernde Gefahr, in der sie alle schwebten. Der Zirkel schien wie ein Damoklesschwert, das bedrohlich über ihrer aller Köpfe hing und wenn man Weevils wirren Aussagen glauben schenken konnte, dann würde es verheerend werden, wenn die Klinge herabfuhr...
 

Wieder studierte Lamy das Gesicht ihres Bruders sehr eindringlich, dann ließ sie sich in die Kissen zurücksinken und stieß die Luft in einem langen Atemzug aus. »Okay, na schön...« Ihre schlanken Finger zupften an der Bettdecke, während sie sich die Lippen befeuchtete. »Ich bin an diesem Abend mit einem, ähm, Freund auf diese Geburtstagsfeier gegangen, weil… uhm«, ein unschlüssiger Seitenblick traf Marco, bevor sie vage fortfuhr, »… weil ich hoffte, mich mit jemandem treffen und unterhalten zu können. Ich stand nicht auf der Gästeliste, aber mein, äh, Freund hat mich als seine Begleitung vorgestellt.«
 

Marco war durchaus bewusst, dass hier wesentlich mehr dahinter steckte und dieser ominöse Freund sicherlich kein Freund im klassischen Sinne sein mochte, aber Lamy Beweggründe taten im Moment wenig zur Sache. Allerdings fiel ihm Laws eisenharte Miene auf. Der junge Mann hatte seine Gesichtszüge beneidenswert gut unter Kontrolle, doch seine grauen Augen verrieten ihn durch das nur mühsam unterdrückte Feuer darin. Irgendetwas an Lamys Erzählung schien ihn aufzuwühlen, auch wenn er dazu vorerst schwieg.
 

Lamy fuhr zögerlich fort: »Die Feier lief eigentlich ganz normal. Bis gegen Mitternacht plötzlich diese Leute auftauchten...« Sie erschauderte sichtlich und Law griff instinktiv nach ihrer Hand, um sie zu bestärken, was ihr ein dankbares Lächeln entlockte. »Ich hielt das anfänglich für eine Überraschung, für irgendeine dramatische Aufführung, die man für den Geburtstag geplant hatte. Nicht selten vertreiben sich die UpperClass-Snobs die Zeit mit irgendwelchen komischen Riten oder Orgien.« Sie sah Marco an und räusperte sich verlegen, als sie sich bewusst wurde, dass sie ihn damit vielleicht indirekt beleidigt hatte. »Ähm... also, sie waren zu sechst und alle trugen diese seltsamen weißen, Porzellanmasken wie auf einem skurrilen Maskenball, daher konnte ich ihre Gesichter nicht wirklich erkennen...«
 

Law tauschte einen stillen Blick mit Marco. Auch die beiden MAGs, die letzte Nacht den Tower angegriffen hatten, hatten diese Art Masken getragen. In Marco keimte immer mehr der Verdacht auf, dass sie es mit einer Art fanatischer Sekte zu tun hatten und niemand konnte im Moment einschätzen, wie weit deren Wurzeln in der Gesellschaft bereits reichten.
 

»Mir wurde dann schnell klar, dass etwas nicht stimmte, denn einer dieser Männer war irgendwie nicht normal, er war…«, Lamy runzelte die Stirn, suchte nach Worten und klammerte sich sichtlich an die Hand ihres Bruders, »anders, älter als alle anderen, obwohl er nicht so aussah. Ich weiß nicht, wie ich es sonst beschreiben könnte. Von ihm ging eine Aura aus, die furchtbar dunkel und bösartig war, wie ein lebendig gewordener Albtraum…« In ihren Augen schwamm nackte Furcht - ein Nachhall der Schrecken, die sie erlitten hatte.
 

Marco konnte ihr Unbehagen nachempfinden und daran, wie Law die Lippen zu einer schmalen, blutleeren Linie zusammenpresste, ahnte er, dass es dem jungen Mann ganz ähnlich gehen musste. Sie hatten den Phobiokineten selbst gespürt und dessen uralte, boshafte Aura. Eigenartig, dass der Senat bisher keine Hinweise auf derartige MAGs gefunden hatte - gerade Rang A MAGs blieben selten lang unentdeckt.
 

»Alle wurden unruhig und ich ahnte, dass der Abend nicht gut ausgehen würde. Ich wollte mich unbemerkt absetzen, aber sie hatten die Ausgänge bereits blockiert und ließen niemanden gehen. Sie haben Yamamoto und seine Frau bedrängt und wollten unbedingt etwas von ihnen haben, einen Gegenstand und den Aufenthaltsort einer Frau…-«

»Einer Frau?«, hakte Marco hellhörig nach.

Lamy nickte. »Nico Robin. Ihr Name fiel häufiger, sie waren ganz versessen auf sie und es schien wichtig, sie zu finden. Doch Yamamoto hat sich geweigert ihnen zu sagen, wo sie ist und das hat diesen Typen nicht gefallen…«
 

Marco zog die Stirn nachdenklich in Falten und strich sich mit den Fingern über die stoppelige Kieferlinie. Dieser Name tauchte im Zusammenhang mit der ganzen Geschichte das erste Mal auf und war möglicherweise endlich ein Hinweis und eine handfeste Spur, der man folgen konnte. Ihm standen zwar nicht Spiders Ressourcen zur Verfügung, doch er schickte Sabo trotzdem eine interne Nachricht und bat ihn, den Namen durch ein paar Datenbanken laufen zu lassen. »Wie ging es weiter?«, animierte er Lamy sanft zum Weitererzählen.
 

Lamy schluckte vernehmlich und ihre Finger verkrampften sich in Laws Griff. Heiser fuhr sie fort: »Dann... begannen die Schreie. Dieser unheimliche Kerl entfesselte seine Magie ungebremst unter den Gästen. Es war... es war so ein schreckliches Gedränge, alle wollten plötzlich in Todesangst fliehen, fielen und trampelten übereinander, sie verletzten sich in dem Chaos gegenseitig… ich… ich konnte seiner Attacke anfänglich einigermaßen standhalten und wollte ebenfalls weg, aber irgendjemand hielt mich fest und eine andere Frau schlug mir in ihrer Panik ins Gesicht. Ich stürzte zu Boden und versuchte irgendwo Schutz zu finden. Ich dachte wirklich, ich sterbe und ich hatte solche Angst…«
 

Sie holte zitternd Luft und starrte angespannt ins Leere. Ihre Unterlippe bebte. Law strich ihr mit dem Daumen beruhigend über den Handrücken und Marco gab ihr Zeit, um sich zu sammeln. Als sie wieder sprach, war ihre Stimme noch immer rau und fassungslos. »Er hat innerhalb von Sekunden aus diesen Menschen angsterfüllte Tiere gemacht, die von ihren Urängsten zerfressen wurden. Überall diese Panik, dieses Leid… es war furchtbar…«
 

Marco wollte sich nicht einmal vorstellen, was die junge Frau in diesen Momenten wohl durchlitten hatte. Allein unter Fremden, den eigenen Ängsten hilflos ausgeliefert. Sie war unheimlich stark, doch das war ihr Bruder ebenso und selbst Law hatte die Magie des Phobiokineten in der letzten Nacht eiskalt erwischt. Law schien ähnliche Gedanken zu haben, denn er musterte Lamy mitfühlend und besorgt, auch wenn in seinen Augen ebenfalls ein Anflug von Zorn brannte. Zorn auf diesen MAG, vielleicht sogar auf sich selbst, weil er seine Schwester nicht beschützt hatte. Aber vielleicht auch auf denjenigen, der Lamy erst in diese Situation gebracht hatte, denn es war sicherlich kein purer Zufall, dass sie an diesem Abend bei Yamamoto aufgetaucht war.
 

»Ich hatte wirklich schon mit meinem Leben abgeschlossen, da riss mich plötzlich jemand auf die Füße und zerrte mich weg aus diesem Chaos…« Lamy blinzelte, als wäre sie jetzt noch verwundert darüber. »Es war die Ehefrau von Yamamoto. Sie war auch ein MentalMAG wie ich, deshalb konnte sie ebenfalls länger widerstehen. Sie führte mich unbemerkt in ein abgelegenes Badezimmer und sagte mir, dass ich dortbleiben und mich verstecken sollte. Sie... sie wusste, dass sie sterben würde, ich habe es ihr angesehen, doch sie hatte keine Angst«, wisperte Lamy den Tränen nahe. »Sie war mutig und unglaublich entschlossen. Sie drückte mir ein kleines Metallstück in die Hand und sagte mir, dass ich Nico Robin suchen solle, dass dies ein Bruchstück eines Siegels wäre und dass diese Leute es unter keinen Umständen in die Finger bekommen dürften, sonst würde es Krieg geben.« Sie hielt kurz inne und kaute unsicher auf ihrer Unterlippe, als wüsste sie nicht, ob sie wirklich weitersprechen sollte. »Und bevor sie ging... zeigte sie mir eine Vision von unserer Welt und was diese Leute mit dem vollständigen Siegel anstellen würden...«
 

Marcos Worte waren atemlos und gepresst. »Und was hast du gesehen?«, fragte er, obwohl er die Antwort irgendwie bereits ahnte. Sie saß wie ein giftiges Insekt in seinem Nacken, hatte sich dort festgebissen und ließ sich nicht abschütteln.

Lamys Augen waren groß und dunkel, ihre Stimme zitterte. »Die gesamte Erde brannte in den Feuern des Krieges…«
 

Die Worte legten sich wie schwerer Dunst über den Raum und schienen die Luft dünn zu machen. Law versteifte sich und auch Marco richtete sich auf. Unbehagen ballte sich in seinem Magen zusammen. Lamy zog die zarten Schultern hoch, ihr unsicherer Blick flackerte zwischen ihrem Bruder und Marco umher. »Es war am Ende nur ein kurzes Bild, kaum mehr als eine bloße Ahnung. Jeder weiß, dass Visionen ständig im Wandel sind und niemals unabänderlich… vielleicht hat es nichts zu bedeuten…«
 

»Mach dir keinen Kopf deswegen, Lamy. Womöglich war es eine Metapher oder diese Vision war ein Trugbild«, versuchte Law seine Schwester zu beschwichtigen und den unheilvollen Worten die Schwere zu nehmen. Doch die Anspannung in seiner schlanken Gestalt wich nicht gänzlich. Düstere Schatten lagen unter seinen Augen und sein Blick suchte den von Marco, schien ihn stumm zu bitten, seine Schwester nicht weiter in die Sache hineinzuziehen.
 

»Viel mehr weiß ich nicht mehr«, fuhr Lamy dann leise fort. »Ich habe mich dort versteckt und die ganze Zeit gebetet, dass sie mich nicht doch auch holen kommen, während ich die Schreie der anderen Leute gehört habe. Irgendwann bin ich ohnmächtig geworden, als mich eine besonders heftige Woge der Magie dieses Phobiokineten traf…«

»Wahrscheinlich haben sie Lamys Fehlen nicht bemerkt, weil sie nicht auf der Gästeliste stand«, schlussfolgerte Law.
 

Marco nickte nachdenklich. »Das wusste Yamamotos Frau offensichtlich ebenfalls, deswegen hat sie Lamy ausgewählt. Nach ihr haben sie nicht gesucht, es fiel nicht auf, dass sie nicht unter den toten Gästen war«, stimmte Marco zu. Zumindest dieses Rätsel war gelöst.

»Wie geht es jetzt weiter?« Law sah ihn abwartend an.
 

Marco holte tief Luft und rieb sich über die steile Falte zwischen seinen Brauen. Mühsam sortierte er seine Gedanken. »Es scheint im Augenblick oberste Priorität, diese Nico Robin zu finden. Der Zirkel sucht sie und wenn Yamamoto ihren Aufenthaltsort selbst unter Folter nicht preisgegeben hat, wollte er sie vermutlich schützen. Also kann sie dem Zirkel entweder schaden oder sie brauchen sie, um ihre Pläne zu verwirklichen.«
 

»Oder beides«, überlegte Law laut.
 

»Der Senat sollte auf jeden Fall davon erfahren. Ich werde Shanks unterrichten.« Marco erhob sich und sah Lamy an. »Ich danke dir für deine Informationen. Wie ich bereits sagte, sehe ich keine Veranlassung, euch hier festzuhalten. Aber in Anbetracht deines Gesundheitszustandes würde ich dir raten, noch ein paar Tage unter Beobachtung im Tower zu bleiben. Ich würde gern sicher gehen, dass keine geistigen oder körperlichen Folgeschäden deines mentalen Komas auftreten.« Sein Blick huschte zu Law. »Wenn ihr wollt, würde ich mich freuen, euch weiterhin als Gäste in meinem Haus willkommen heißen zu dürfen.«
 

Als Senatsmitglied hätte es sicherlich in Marcos Macht gestanden, die beiden noch länger festzuhalten und ein selbstsüchtiger Teil von ihm verfolgte diese Überlegung sogar kurz, weil er befürchtete, dass Law genauso schnell aus seinem Leben verschwinden könnte, wie er gekommen war. Doch er verwarf diesen schändlichen Gedanken sofort, denn Vertrauen gründete sich nicht auf Zwang und eine Freundschaft schon gar nicht.
 

»Ich lasse euch dann allein, aber Makino wird sicherlich noch einmal für eine Untersuchung zurückkehren. Sie ist Ärztin und hat sich die letzten Tage um dich gekümmert«, erklärte er Lamy. »Und du hast sicherlich Hunger. Ich werde veranlassen, dass man dir ein leichtes Abendessen zubereitet.« Er lächelte die junge Frau wohlwollend an.

Lamys Wangen bekamen ein wenig Röte und sie legte sich eine Hand peinlich berührt auf den Magen, der gerade in diesem Augenblick ein vernehmliches Grummeln von sich gab, als würde er sich nach langem Schlaf seiner Funktion wieder erinnern. »Tja... das klingt offensichtlich hervorragend«, lachte sie verlegen.
 

»Wenn du sonst etwas benötigst, dann sag einfach Haruta Bescheid.«

»Haruta?«
 

»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Trafalgar.« Die Projektion der KI erschien lautlos neben dem Krankenbett und Lamy zuckte erschrocken zusammen, bevor sie das Hologramm mit offenem Mund anstarrte. »Rufen Sie einfach nach mir, wenn Sie etwas brauchen«, erläuterte der junge Mann mit einem freundlichen Gesichtsausdruck.
 

»Meine Güte, eine unabhängige KI, das ist ja total abgefahren!«, war Lamys begeistertes Resümee. Law rollte nur knapp mit den Augen, doch ein winziges Lächeln kräuselte seine Mundwinkel. Er wirkte erleichtert, dass seine Schwester trotz allem ihren Frohsinn nicht verloren hatte.
 

Bevor Marco gehen konnte, hielt Lamy ihn zurück, mit einem Blick voll ernsthafter Entschlossenheit, der sehr an ihren Bruder erinnerte. »Ich glaube, ich muss dir danken, Marco. Du hast mir ein Leben mit Schnabeltasse und Bettpfanne erspart. Danke, dass du mich geheilt hast«, sagte sie fest. »Ich weiß gar nicht, wie wir… wie ich dir das je vergelten könnte. Ich stehe in deiner Schuld und wenn ich irgendetwas…-«
 

Marco hob abwiegelnd eine Hand. Es schmeichelte ihm, aber er wollte nicht, dass sich Lamy ihm gegenüber verpflichtet fühlte. »Du stehst nicht in meiner Schuld. Ich habe es gern getan. Wenn ich helfen kann, dann sollte ich meine Kräfte auch nutzen, um Gutes zu tun.«
 

Doch Lamy blieb bestimmt. »Viele in deiner Position hätten Menschen wie uns niemals geholfen, selbst wenn sie es könnten, oder zumindest Profit für sich daraus geschlagen«, bemerkte sie mit einer Härte, die Marco traurig stimmte. Es war schrecklich, dass so junge Menschen mit so viel Argwohn und Vorurteilen behaftet waren und das sicherlich aus bereits erlebten Erfahrungen heraus.
 

»Na dann kann ich mir scheinbar ja etwas darauf einbilden, die Ausnahme der Regel zu sein, hm?«, meinte er leichthin mit einem charmanten Zwinkern, was der jungen Frau eine zarte Röte in die Wangen trieb. Sie war ehrlich bezaubernd und wirklich hübsch und vielleicht wäre Marco ihrem Zauber unter anderen Umständen erlegen, doch sein Interesse war viel zu sehr von ihrem Bruder gefesselt, der ihn aus grauen Augen aufmerksam musterte. Law übte eine unwiderstehlichen Anziehung auf ihn aus, wie das Feuer, bei dem die Gefahr immer mitschwang, sich am Ende zu verbrennen. »Außerdem hat dein Bruder mir bereits mehr als einmal geholfen, in der Hinsicht sind wir wohl mehr als quitt«, meinte er mit einem leichten Lächeln zu Law, der ein Stück weit fast verlegen wirkte, seinem Blick aber nicht auswich. »Die Zusammenarbeit mit ihm ist durchaus produktiv und sehr angenehm.«
 

Während Lamy gänzlich verwundert wirkte, huschten die unterschiedlichsten Emotionen durch Laws Augen, doch keine schien er so recht zulassen zu wollen. Lamy holte Luft, um etwas zu sagen, doch Law kam ihr zuvor und fragte Marco mit dunkler Stimme: »Hättest du später noch etwas Zeit für mich? Ich muss unbedingt mit dir reden.«
 

»Natürlich, komm dann einfach vorbei. Du weißt ja, wo du mich finden kannst.« Marco wäre nicht mal im Traum eingefallen, Law zurückzuweisen. Er würde sich Zeit für ihn nehmen. Aber vorher musste er dringend noch ein paar Telefonate führen.
 

Nachdem Marco den Raum verlassen hatte, starrte Lamy noch eine Weile nachdenklich auf die Tür, bevor sie die Lippen schürzte und Law mit einem ergründenden Blick fixierte. Ihre Fingerspitzen tippten auf der Bettdecke. »Okay... also nicht, dass Marco Phoenix nicht ziemlich heiß und unheimlich charmant wäre, aber warum genau arbeiten wir jetzt nochmal für den Senat?«
 

Law verschränkte die Arme und erwiderte den bohrenden Blick seiner Schwester ungerührt, dabei wusste er nur zu gut, dass es sie irgendwann unweigerlich auf die Palme bringen würde, wenn sie ihm alles aus der Nase ziehen musste. Aber er musste jetzt vorsichtig sein, was er ihr berichtete und was nicht - so erleichtert er auch war, dass sie tatsächlich gänzlich die Alte schien. »Wir tun gar nichts. Und ich helfe Marco. Nicht dem Senat. Zumindest temporär.«
 

Weiß Marco... von Doffy? Weiß er, zu wem wir gehören“, wechselte Lamy vorausschauend auf die gedankliche Ebene, da sie ahnte, dass die KI sicherlich jedes Wort mithören würde.
 

Laws Kiefer verkrampfte sich und er musste arg an sich halten, um Lamy nicht deutlich daran zu erinnern, dass er niemandem gehörte außer sich selbst. „Sicherlich ahnt er es, er ist nicht dumm, aber ich habe es ihm nicht erzählt.“ Zumindest bisher nicht, aber wenn Law an seinem Plan festhalten wollte, wäre Marco bald ausreichend im Bilde.
 

Ist er ein Ziel? Arbeitest du deshalb mit ihm zusammen?“, fragte Lamy für Laws Geschmack ein wenig zu eifrig. Ihn ärgerte es, dass sie so völlig selbstverständlich davon ausging, dass nur Doflamingo der Grund für seine Kooperation sein konnte. Als ob nur Joker zu bestimmen hatte, wen er in sein Leben ließ und wen nicht.
 

Nein“, antwortete er schneidend. „Er ist kein Ziel. Niemand hier ist ein Ziel. Wir sind nicht für Joker hier und wir werden hier auch nicht für ihn spionieren“, stellte er nachdrücklich klar. Lamy sah ihn irritiert an.
 

»Also machst du das... völlig freiwillig?« Natürlich musste sie skeptisch sein, denn Law arbeitete normalerweise nie mit irgendjemandem zusammen. Sie kannte ihn als einen kategorischen Einzelgänger und er war in diesem Moment selbst verblüfft darüber, wie wenig ihm diese vorübergehende Partnerschaft mit Marco eigentlich ausmachte.
 

Law stand ruckartig vom Bett auf und goss sich jetzt selbst ein Glas Wasser ein, um seine Hände zu beschäftigen. »Ich mache es, weil Marco Hilfe brauchte. Außerdem hat er dich geheilt«, erklärte er kurz angebunden. Das war nur ein Teil der Wahrheit, das wusste er selbst. Er genoss die Nähe des Konzerners, da er sich in seiner Gegenwart seit langem einmal wieder... lebendig fühlte.
 

Lamy sah ihn so skeptisch an, als befürchtete sie ernsthaft, er würde sich gleich eine Maske vom Gesicht reißen und enthüllen, dass er ihren Bruder nur gespielt hatte. »Ich versteh's nicht, Law, warst du nicht derjenige, der mich immer vor Männern wie Marco Phoenix gewarnt hat? Wie oft hast du mir das eingetrichtert - traue niemals einem Konzerner und schon gar keinem vom Senat?! Das waren doch deine Worte! Und jetzt entscheidest du, dass das alles hinfällig ist?!«, warf sie ihm ratlos vor.
 

Law schnaubte und nahm einen Schluck Wasser. Erst dann wandte er sich seiner Schwester wieder gänzlich zu. »Na schön, Lamy, was willst du hören? Dass ich mich vielleicht geirrt habe? Okay, das habe ich, denn möglicherweise sind nicht alle von ihnen völlige Arschlöcher«, gab er zähneknirschend zu. Erst jetzt fiel ihm auf, wie engstirnig er all die Jahre über gewesen war, wie verbittert und unfair.
 

Lamy sah ihn so entgeistert an, als hätte er gerade The Fall geleugnet. »Du und dich geirrt?! Oh man, ich glaub, ich muss doch tot sein...«, murmelte sie spöttisch und ließ sich in die Kissen zurückfallen. Theatralisch legte sie sich den Handrücken über die Augen. »Mein Bruder entdeckt seine soziale Seite.«
 

Law knurrte unwillig. »Du tust ja gerade so, als wäre das außergewöhnlich...«
 

Lamy zog die Hand zurück und blinzelte ihn vorwurfsvoll an. »Bitte Law, ich weiß nicht, ob es dir je aufgefallen ist, aber du bist nicht gerade ein Menschenfreund. Du unterhältst dich nicht mal freiwillig mit irgendjemanden länger als fünf Minuten und schon gar nicht tust du irgendwelchen Leuten selbstlose Gefallen.« Sie zerrte ihr Plüschtier unter der Decke hervor und hielt ihm die grimmige Katze wie eine Anklage entgegen. »Das bist du normalerweise: muffelig, mürrisch und wortkarg. Also verzeih mir, wenn ich ein bisschen verwirrt bin und sag mir«, ihr Zeigefinger wies auf die Tür, durch die Marco eben erst verschwunden war, »was hat sich geändert? Was ist bei ihm anders? Warum vertraust du ihm?«
 

Law presste den Mund zu einer dünnen Linie zusammen. Lamy hatte schon immer die Eigenschaft besessen, ihn viel zu schnell viel zu gründlich zu durchschauen und dazu eine nervtötende Beharrlichkeit. Sie würde nicht Ruhe geben, bis sie erfahren hatte, was sie wissen wollte. »Weil er mehr als einmal für mich da war, als ich Hilfe brauchte und nichts dafür verlangt hat. Er... hat mir das Leben gerettet.«
 

Er berichtete seiner Schwester im Schnelldurchlauf und recht emotionslos von den Ereignissen der letzten Tage - von dem Scornbau, Kulehas Auftrag, dem nächtlichen Angriff auf den Tower und Stussys Ermordung. Er erzählte ihr auch, dass Marco ihm mit seinen Kopfschmerzen geholfen hatte, auch wenn er die Ursache dafür und den Bannzauber in seinem Kopf erst einmal außen vor ließ. Ebenso verschwieg er alle persönlichen Details rund um Marcos Vergangenheit und Privatleben.
 

Nachdem er geendet hatte, starrte Lamy ihn eine ganze Weile ziemlich sprachlos an. Dann jedoch hoben sich ihre Mundwinkel zu einem wissenden Grinsen. »Du meine Güte... oh mein Gott«, sie schlug sich atemlos die Hand vor den Mund und quietschte entzückt. »Du magst ihn! Ich fasse es ja nicht!«
 

Law fühlte sich, als hätte man einen Eiswasserkübel über ihm ausgekippt. Die direkte Art seiner Schwester war für ihn manchmal wahrlich schwer zu verdauen. Seine Augen huschten durch den Raum und entgegen jeglicher Logik hoffte er, dass die KI dieses Gespräch nicht gehört hatte. »Das ist Unsinn«, sagte er lahm, obwohl er wusste, dass Lamy recht hatte. Aber wenn er es zugegeben hätte, hätte sie nicht mehr aufgehört, ihn damit zu nerven. »Ich bin ihm einfach dankbar für seine Hilfe und dafür, dass er kein Kotzbrocken ist.«
 

»Hm, schon klar...« Das amüsierte Schmunzeln auf Lamys Lippen blieb wie festgewachsen. Sie schien sich ihrer Intuition ziemlich sicher.
 

Law seufzte und setzte sich wieder zu ihr auf die Kante des Bettes. Es war definitiv Zeit, das Thema zu wechseln und ein paar Dinge anzusprechen. »Ich will, dass du erst einmal hier bleibst, Lamy, und dich unauffällig verhältst. Keine Nachrichten, kein Lebenszeichen, an niemanden, auch nicht an Joker.«

Lamy zog die Brauen unwillig zusammen. »Was? Aber warum denn? Doffy ist doch sicher...-«
 

»Was? Besorgt?!« Law schnaubte spöttisch. »Vergiss Doflamingo mal für einen Augenblick, der kommt schon allein klar.« Ihm schlug es schwer auf den Magen, wie sehr Lamy seinen größten Feind doch anhimmelte. Joker hatte sie aus einem heruntergekommenen Waisenhaus gerettet und wieder mit ihrem totgeglaubten Bruder zusammengeführt, für sie war er ein strahlender Ritter in Rüstung - der Unterweltboss mit dem Herzen aus Gold. Sie sah nicht, was er wirklich war, erkannte nicht das Monster in Menschengestalt.
 

Law fuhr sich mit der Hand durch die Haare und schlug einen eindringlichen Tonfall an: »Diese Organisation hinter den Morden ist vermutlich auch immer noch hinter dir her. Sie wissen, dass du dieses Massaker überlebt hast und vielleicht versuchen sie noch einen Anschlag. Daher ist es besser, du hältst dich erst einmal bedeckt, bis der Senat diese Sache geklärt hat. Tu mir den Gefallen und höre wenigstens dieses eine Mal auf mich.« Er zog eine Augenbraue bezeichnend hoch. »Immerhin haben wir ja gesehen, in was für Schwierigkeiten du dich bringst, wenn du es nicht tust...«
 

Lamy schob die Unterlippe vor und verschränkte die Arme abwehrend vor der Brust. »Es ist wohl kaum fair, mir das jetzt vorzuhalten«, murmelte sie trotzig.
 

Nein, das war es sicher nicht, aber Law sträubten sich die Nackenhaare bei der Vorstellung, mit welcher Art schmierigem und zwielichtigem „Freund“ Lamy wohl auf dieser Party von Yamamoto gewesen war. Das Pflaster, auf dem sie sich regelmäßig bewegten, war am Ende nicht weniger als ein Haifischbecken und seiner Ansicht nach hatte seine Schwester darin überhaupt nichts verloren.
 

Doch Doflamingo sah dies häufig anders und Lamy unterschätzte die Gefahr - vielleicht auch, weil Law stets alles dafür tat, sie davon fern zu halten und sie die Schatten und Abgründe ihrer Welt nicht sehen zu lassen. Sie war geschickt, wenn es darum ging, Männer um den Finger zu wickeln - ein Grund, warum Joker sie so gern einsetzte, um für wohlhabende, einflussreiche Konzerner oder Kartellmitglieder die unterhaltsame, hübsche Begleitung zu spielen.
 

»Nein, aber wenn du auf mich gehört hättest, wärst du jetzt vielleicht gar nicht erst in dieser Lage. Wie oft habe ich dir gesagt, dass du keine unbedachten Aktionen starten sollst, wenn ich nicht da bin?! Wie oft habe ich dir...-« Law unterbrach sich selbst und biss sich auf die Zunge. Was geschehen war, war geschehen - Vorhaltungen würden daran auch nichts ändern. Er stieß die Luft hart aus und griff nach Lamys Hand. »Bitte, hör nur dieses eine Mal auf mich und tu das, was ich dir sage. Du musst mir jetzt vertrauen«, beschwor er sie.
 

»Okay, ich bleibe hier, wenn du das unbedingt willst«, stimmte sie widerwillig zu. Dann sah sie sich ratlos um. »Aber was soll ich hier die ganze Zeit machen? Ich kann doch nicht den lieben langen Tag im Bett rumliegen...«
 

»Ich kann dir deine Violine vorbeibringen, dann kannst du ja zur Abwechslung mal jemandem anders damit auf die Nerven gehen«, erwiderte er trocken. Lamy warf ihr Plüschtier nach ihm, doch er fing es knapp vor seinem Gesicht auf. »Ruh dich aus. Genieße die Zeit für dich. Du wirst schon etwas finden, womit du dir die Zeit vertreiben kannst.«
 

Law wollte sich gerade erheben, da griff Lamy nach seinem Arm und hielt ihn zurück. »Law, warte...« Ihr Gesicht war ungewöhnlich ernst. »Du solltest noch etwas wissen.« Sie kaute verunsichert auf ihrer Unterlippe, bevor sie zögerlich mit der Sprache herausrückte. »Yamamotos Ehefrau hat noch etwas gesagt, etwas, was ich Marco nicht erzählt habe...«

Law verzog das Gesicht missbilligend. »Warum nicht? Es könnte wichtig...-«
 

»Weil es unsere Familie betrifft und damit niemanden sonst etwas angeht!«, fiel Lamy ihm energisch ins Wort. Unsicherheit flackerte durch ihre Augen, gepaart mit einem alten Schmerz, der nie wirklich heilen konnte. Normalerweise sprachen sie kaum über die Vergangenheit und was damals passiert war. »Und weil es irgendwie keinen Sinn ergibt.«
 

Law verengte die Augen wachsam. Anspannung ließ ihn sich gerade aufsetzen. »Was hat sie gesagt?«
 

Sie sagte, meine Familie hätte… altes Blut. Ich solle Nico Robin finden, weil sie unsere Hilfe brauchen könnte...“ Lamy sah Law verwirrt an. „Was kann sie damit gemeint haben, Law? Hast du Vater oder Mutter jemals so etwas sagen hören?
 

Laws Gesicht blieb regungslos, auch wenn er in Gedanken jeden verblassenden, längst vergangenen Moment seiner Erinnerung in Verbindung mit ihren Eltern durchwühlte. Da war so viel Trauer und Wut, aber auch Liebe, so viele Emotionen, die Law tief in sich begraben hatte und die er nicht wagte aufzuwecken. „Nein, nicht das ich mich erinnern würde“, antwortete er.
 

Aber dort war ein Kribbeln, ein Aufblitzen am Rande seiner Wahrnehmung, als wäre da eine Information, die er vergessen hatte, doch er konnte den Gedanken nicht fassen, der sich ihm immer wieder wie ein Nebelfetzen entzog. Das Wissen um den Bannzauber in seinem Kopf bekam einen bitteren Beigeschmack. Er musste unbedingt herausfinden, was es damit auf sich hatte.
 

»Vergiss' es einfach, vermutlich war es nur Gerede«, riet er seiner Schwester, auch wenn er da selbst nicht gänzlich glauben konnte. Und Lamy schien ebenso wenig überzeugt, ließ die Sache aber tatsächlich erst einmal auf sich beruhen.
 

Law verließ das Zimmer, als Makino hereinkam und sammelte sich kurz, bevor er an Marcos Tür klopfte. Er konnte den Konzerner dahinter gedämpft reden hören, hoffentlich würde er nicht gerade unpassend kommen, doch Marco öffnete und trat mit einem kleinen Lächeln beiseite, um Law einzulassen. Er telefonierte nebenbei, denn die Kybernetik seiner schmalen Brillengläser flimmerte bläulich und gab seinen ohnehin blauen Augen eine satte Tiefe.
 

»Es tut mir wirklich ausgesprochen leid, dass ich der Präsentation nicht persönlich beiwohnen kann, Mister Sato. Doch eine dringende, private Angelegenheit verlangt meine ganze Aufmerksamkeit.« Der Konzerner zeigte Law per Handzeichen, dass er noch fünf Minuten bräuchte, während er sich auf der Kante des Schreibtisches niederließ, der das einzige Möbelstück war, das sich von Laws eigener Zimmereinrichtung unterschied.
 

»Nein, meinem Vater geht es gut, keine Sorge. Er lässt beste Grüße ausrichten.« Marco warf Law einen entschuldigenden Blick zu und deutete auf die kleine Sitzecke, als Zeichen, dass er bereits Platz nehmen könnte, während er offenbar mit einem ziemlich hartnäckigen Geschäftspartner telefonierte. »Natürlich werde ich meine Assistentin anweisen, so bald wie möglich einen Ersatztermin zu vereinbaren, wenn Sie meine persönliche Einschätzung wünschen.« Der Tisch war mit einer kleinen, aber reichen Auswahl an Speisen beladen, dazu frischer Kaffee und Tee. Es war für zwei Personen eingedeckt und Law fragte sich unweigerlich, ob Marco wohl noch Besuch erwartete.
 

Der Konzerner beendete das Gespräch mit einem erleichterten Seufzen. »Entschuldige, ich musste noch ein paar Dinge klären, das hat länger gedauert als gedacht«, erklärte Marco, während seine Brillengläser mit einem leisen Surren zurückglitten und er sich auf den Stuhl Law gegenüber fallen ließ. »Aber jetzt bin ich ganz und gar für dich da«, meinte er lächelnd und wies einladend auf die Speisen auf dem Tisch. »Bedien dich ruhig, wenn du magst.«
 

Also keine Verabredung, bemerkte Law beruhigt. Er hatte zwar keinen sonderlich großen Hunger, goss sich aber eine Tasse des frisch aufgebrühten Tees ein. Der herbe Duft des Macha stieg ihm wohlig in die Nase und beruhigte seine plötzlich flatternden Nerven ein wenig. »Konntest du schon mit Shanks reden? Wird er herkommen?« Dem anderen Konzerner wäre es zuzutrauen, dass er darauf bestand, Lamy selbst noch einmal zu befragen und das wollte er seiner Schwester eigentlich ersparen.
 

»Nein, Shanks wird vorerst in Osaka bleiben«, verneinte Marco. »Er hat einen eigenen Vermisstenfall in seiner Firma. Eine langjährige Mitarbeiterin und Projektleiterin eines neuartigen Zellregenerationsverfahrens ist spurlos verschwunden und er befürchtet, dass dies ebenfalls mit dem Zirkel zusammenhängen könnte.« Er schenkte sich selbst eine Tasse Kaffee ein. »Ich habe vorhin kurz mit ihm, Rayleigh und Sakazuki telefoniert.«
 

Law war immer noch erstaunt, wie selbstverständlich Marco all diese Informationen inzwischen mit ihm teilte. Sein Vertrauen in ihn musste wirklich groß sein, wenn er sich nicht einmal Gedanken darüber machte, all diese prekären Senatsangelegenheiten mit einem Fremden zu besprechen... Nein, mit einem Freund, berichtigte er sich in Gedanken selbst. »Was sagt der Senat zu Lamys Informationen?«
 

Marcos Miene wurde ernster und er rührte gedankenschwer ein wenig Zucker in seinen Kaffee, bevor er den Löffel beiseite legte. »Sie wollen in den Senatsarchiven nach den Erwähnungen eines Siegels suchen lassen, auf das die Beschreibung passen könnte. Möglicherweise wurde irgendwann während der Magiekriege der Prototyp einer Waffe oder gewisse Ressourcen unter Verschluss genommen, auf die es der Zirkel jetzt abgesehen haben könnte.«
 

»Und die Ankündigung eines Krieges? Wie will der Senat darauf reagieren?« Law griff nach dem Stück einer kunstvoll aufgeschnittenen sattpinken Frucht. Das saftige Fleisch zerfloss förmlich auf seiner Zunge und schmeckte ausgezeichnet. Normalerweise war Obst in der Magametropole so teuer und schwer zu beschaffen, dass man selten in den Genuss frischer Früchte kam.
 

Marco nahm einen Schluck aus seiner Tasse, dann schnalzte er missmutig mit der Zunge. »Ich würde schätzen, vorerst gar nicht. Sakazuki meinte, dass es bis auf die Unruhen in der inneren Mongolei und ein paar Bürgeraufstände und Machtstreitigkeiten im ostasiatischen Raum gerade keinen nennenswerten Brennpunkt gäbe, der auf einen großflächig eskalierenden Waffenkonflikt hindeuten würde. Die Anzeichen für globale, kriegerische Aktivitäten werden im Moment als gering eingestuft«, erläuterte Marco nüchtern. »Sie sehen aufgrund der vagen Aussage einer toten Frau im Augenblick keinen akuten Handlungsbedarf.« Der Konzerner wirkte merklich unzufrieden.
 

»Das ist alles?«, zischte Law ungläubig. »Sie stufen es als gering ein und das war's dann?« Sein Blick verfinsterte sich. »Sie sehen doch, was dieser Zirkel anrichtet. Meine Schwester wurde fast getötet! Will der Senat einfach untätig bleiben und all diese Morde unter den Teppich kehren? Sie können die Gefahr doch nicht einfach ignorieren.« Law war sich darüber bewusst, dass ein hohes Maß an persönlichem Groll gegen den Senat aus seinen Worten sprach - er hatte es bereits einmal erlebt, dass ein Massaker einfach vertuscht und die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen wurden waren...
 

»Sie werden es im Auge behalten, aber laut Sakazukis Aussage können sie nicht jedes Mal eine Großoffensive lostreten, sobald irgendein fanatischer Haufen mit einer neuen Weltordnung droht. Dergleichen passiert tagtäglich in den sozialen Medien oder irgendwelchen Untergrundbars. Sie wollen abwarten, wie sich die Lage weiter entwickelt. Ich würde mir auch mehr wünschen, doch mein Stimmrecht in dieser Angelegenheit ist scheinbar recht gering«, gab Marco zerknirscht zu. Er sah Law jetzt fast entschuldigend an.
 

Sofort tat Law seine bissige Wortwahl leid. Natürlich hielt er nicht viel vom Senat, allerdings war Marco ebenfalls ein Mitglied und zumindest diesem traute er mehr Weitsicht und Gerechtigkeitssinn als den meisten anderen Regierungsbeamten zu. »Tut mir leid, ich wollte nicht unfair erscheinen. Du hast sicher getan, was du konntest«, räumte Law ein.
 

Marco hob eine Schulter leicht an. »Nun, davon scheinen nicht alle überzeugt. Sakazuki hat den Vorschlag geäußert, mich jetzt von dem Fall abzuziehen, nachdem deine Schwester erwacht ist.« Er stellte seine Tasse ein wenig zu heftig ab, der einzige Hinweis auf seinen inneren Frust, wo sein Gesicht beinahe ungerührt blieb. Seine blauen Augen funkelten.
 

»Was? Aber wieso?« Law war fassungslos und plötzlich merklich unruhig. Er wollte nicht, dass seine Schwester womöglich in die Obhut eines anderen Senatsmitgliedes kam. Oder das ihre Zusammenarbeit so schnell endete. »Du hast doch nichts falsch gemacht.« Seiner Ansicht nach war Marco Phoenix eine wahre Bereicherung für den verstaubten, korrupten Verein und äußerst engagiert, was man gewiss nicht von allen Senatsmitgliedern behaupten konnte.
 

Marco zuckte mit den Achseln. Sein helles Hemd spannte sich um seine Oberarme. »Seine Begründung? Mich aus der Schusslinie bringen. Als könnte ich nicht selbst auf mich aufpassen. Eigentlich sollte ich mich nur um die Heilung deiner Schwester kümmern und gar nicht so weit in den Fall eingreifen. Offensichtlich hat Shanks hier recht eigenmächtig gehandelt und seine Befugnisse überschritten, indem er mir so viel Verantwortung abgetreten hat. In Sakazukis Augen soll ich mich wohl lieber in eine Bibliothek hocken und Bücher wälzen, dafür wäre ein MentalMAG wie ich wohl besser geeignet…«, stieß er grollend aus. Alter Schmerz verdunkelte seine Augen, gepaart mit einer gehörigen Portion Wut - sicherlich dachte er in diesem Augenblick an seinen leiblichen Vater, der sich einst ähnlich geringschätzig über Marco geäußert hatte.
 

»Was sagt Silvers Rayleigh dazu?« Law konnte sich nicht vorstellen, dass der andere Senatssprecher diesen Schwachsinn unterstützen würde. Silvers Rayleigh war ihm wie ein sehr fairer und rationaler Mensch vorgekommen.

Marco schnaubte. »Er findet es genauso lächerlich. Er hat mir hinterher den Hinweis gegeben, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und meine Pläne zu verfolgen.«
 

Law griff wieder nach seiner Teetasse und wärmte sich die Hände daran. »Und was wirst du jetzt tun?«, fragte er vorsichtig und studierte Marcos Gesicht ausführlich. Die hohen Augenbrauen, die markante Nase und die leicht abstehenden Ohren passten sicherlich nicht zu klassischen Schönheitsidealen und Law hatte sich bisher auch kaum Gedanken darüber gemacht, aber er fand Marco irgendwie für einen Mann durchaus... ansprechend. Und wenn der Konzerner lächelte, war er geradezu unverschämt attraktiv.
 

Marcos Mundwinkel hoben sich zu einem recht durchtriebenen Grinsen. »Nun, wie gut, dass Sakazuki mich schlecht kennt, nicht wahr? Stumpfsinnig Befehle befolgen war vermutlich eh nie meine Stärke«, lachte er leise und zwinkerte Law verschwörerisch zu. »Ich werde weiter machen wie geplant.«
 

Law ließ sich zu einem winzigen Schmunzeln hinreißen. Marcos freundliches Wesen, sein klarer Verstand und seine beständige Zuversicht waren wie ein glimmendes Feuer, das Law von innen heraus wärmte. Er wehrte sich nicht mehr gegen das Gefühl von Vertrautheit zwischen ihnen, viel mehr hieß er es willkommen.
 

»Morgen früh werde ich nach Toyohashi aufbrechen«, fuhr Marco fort, während er ein Sandwich auf seinen Teller lud. »Wie ich vorhin bereits sagte, deine Schwester und du können natürlich hierbleiben, Law. Solange ihr wollt, auch wenn ich nicht da bin.«
 

»Danke, das ist sehr großzügig von dir«, raunte Law mit belegter Stimme. Marcos Angebot freute ihn und gleichzeitig machte es den kalten, schweren Stein in seinem Magen nur noch präsenter, der sich schlechtes Gewissen nannte. Er musste Marco endlich reinen Wein einschenken, er hatte verdient, die Wahrheit zu wissen.
 

Marco winkte ab. »Da gibt es nichts zu danken, Law, ich würde einen Freund niemals meines Hauses verweisen«, sagte er völlig unbekümmert. Seine Worte waren eine Einladung, genau wie sein ehrlicher Blick und das warme Lächeln, dass seine Mundwinkel umspielte. »Und mir wäre auch nicht wohl bei dem Gedanken, euch gehen zu lassen, wenn ihr eventuell ebenso eine Zielscheibe auf dem Rücken tragt. Inzwischen wird der Zirkel dein Gesicht genauso gut kennen wie meines.« Er biss von seinem Sandwich ab und kaute bedächtig. »Aber du sagtest vorhin, dass du mit mir reden musst. Womit kann ich dir denn helfen?«
 

Law trank den letzten Schluck von seinem Tee, dann stellte er die Tasse entschlossen ab und holte tief Luft. Seine Stimme klang rau und angespannt, als er zögerlich in Erinnerung rief: »Du hast gesagt, du wärst für mich da, wenn ich dich brauchen würde. Ich müsste es nur sagen. Gilt dieses Angebot noch?« Vorsichtig sah er den Konzerner an und studierte dessen Reaktion.
 

»Natürlich«, bestätigte Marco ohne Zögern. Sein Blick war abwartend und aufmerksam. Er stellte seine Tasse ebenfalls beiseite und schlug die Beine übereinander. »Das war keine hohle Phrase, Law. Ich stehe zu meinem Wort.«
 

Law biss sich auf die Zunge und kratzte mit dem Daumennagel über das aufgedruckte Emblem der Newgate Corp. auf der Tasse. Er war lang nicht mehr so nervös gewesen oder hatte solch eine innere Unsicherheit verspürt. »Ich fürchte, ich muss dich um etwas bitten und ich weiß durchaus, dass mir das eigentlich gar nicht zusteht, bei allem, was du schon für meine Schwester und mich getan hast. Es ist vermessen, noch mehr zu erwarten…-«
 

»Hey«, unterbrach ihn der Konzerner sanft. Marcos große Hand schob sich in Laws Sichtfeld und berührte zaghaft seine Finger, welche die Tasse so krampfhaft umklammert hielten, dass sich die Fingerknöchel spitz durch die Haut bohrten. Ihm war gar nicht aufgefallen, wie angespannt er tatsächlich war und wie viel Furcht er davor hatte, wieder einen Menschen zu verlieren, der ihm nicht gleichgültig war. »Law, rede einfach mit mir, hm?« Marco lächelte ihn ermunternd an. »Ich entscheide dann, ob es vermessen ist oder nicht. Also, worum geht es? Raus mit der Sprache.« Der Konzerner zog seine Hand zurück, als wollte er Law nicht zu nahe treten, doch ihn hatte die zurückhaltende Berührung gar nicht gestört.
 

Law straffte sich und hielt Marcos Blick. »Ich glaube, inzwischen wird es dir vermutlich mehr als klar sein, dass Lamy und ich zum Kartell von Donquixote Doflamingo zählen. Wir arbeiten für Joker und sind Teil seiner Familie.« Nun, damit war die Katze also aus dem Sack und Law hätte niemals erwartet, dass er diese brisante Wahrheit gerade einem Konzerner und Senatsmitglied offenbaren würde.
 

Aber Marco schien eigentlich wenig schockiert. Er setzte sich ein wenig aufrechter hin, doch er wirkte gefasst und nicht wirklich überrascht. »Nun, so einige Anzeichen haben bereits darauf hingedeutet, aber ich war mir nie wirklich sicher«, räumte er ein. »Ich bin froh, dass du es mir sagst, aber das ändert jetzt nichts an meiner Meinung über dich, falls du das befürchtet hast, Law.«
 

Natürlich hatte Marco das schon seit einiger Zeit geahnt und trotzdem gehofft, dass er womöglich falsch liegen würde. Es änderte für ihn wirklich nichts an seiner Verbindung und seiner... ja, Zuneigung zu Law, aber sicherlich konnte es einige Dinge wesentlich komplizierter machen. Doch das Law ihm davon erzählte, wertete er als großen Vertrauensbeweis und möglicherweise war der junge Mann mit der ganzen Situation ja auch gar nicht so glücklich. »Wie seid ihr an ihn geraten?« Marco musste das einfach fragen, während er Law Tee nachschenkte.
 

»Unsere Eltern... sind schon lang tot«, Law starrte in seine Tasse, aus der feiner Dampf aufstieg. Seine grauen Augen umwölkten sich, als hätte er mit schmerzhaften Erinnerungen zu kämpfen. »Wir haben keine lebenden Verwandten weiter und wurden nach dem Tod unserer Eltern getrennt. Diese Organisation ist wohl das, was einer Familie für uns inzwischen am nächsten kommt. Joker hat Lamy vor einigen Jahren aus einem Waisenhaus gerettet, seitdem agiert sie ab und an für ihn als Spionin. Zu der Zeit gehörte ich aber bereits schon eine ganze Weile zu ihm. Ich habe mich ihm vor vielen Jahren aus eigenem Antrieb heraus angeschlossen und lange freiwillig für ihn getötet.«
 

Law hob den Blick, als wollte er Marcos Reaktion genauestens beobachten - er wirkte kühl, seine Worte waren fast sachlich, doch Marco erkannte die Unsicherheit dahinter. Law war das Ganze längst nicht so gleichgültig, wie seine recht emotionslose Schilderung wohl Glauben machen sollte. Marco spürte, dass da wesentlich mehr dahinter steckte.
 

»Ich bin sein Schatten, den er ausschickt, wenn er sich gewisser Dinge entledigen will. Ich bin einer seiner Attentäter und lange konnte ich damit gut leben.« Law wusste nicht, was er von Marco erwartet hatte. Vielleicht Abscheu, eine Form von Urteil, möglicherweise Misstrauen oder auch nur Vorsicht, doch nichts davon spiegelte sich auf dem Gesicht des Konzerners. Er sah Law weiterhin aufmerksam an, geduldig, nachdenklich… verständnisvoll. Kein Mitleid, denn Mitleid hätte Law auch schwer ertragen.
 

Ihre Geschichten mochte sich ähnlich sein, doch wo Marco gewissermaßen in sein früheres Leben als gezüchteter Attentäter gezwungen worden war, hatte Law sich bewusst selbst für dieses Leben entschieden. Marco hatte keine Wahl gehabt - er schon und darin lag der gravierende Unterschied, auch wenn er damals noch zu jung gewesen war, um alle Folgen seiner Entscheidung zu begreifen.
 

»Aber inzwischen ist das anders«, mutmaßte Marco ruhig und veränderte seine Haltung ein wenig. Der Stoff seiner dunklen Anzughose raschelte. Er griff nach der Kaffeekanne und schenkte nun sich selbst nach. Unter dem hellen Hemd, dass er trug, bewegten sich die Ausläufer der türkisblauen Schwingen auf seiner Schulter.
 

»Inzwischen ist so einiges anders«, gab Law zu. Marco schien gewillt, ihm weiter zuzuhören, was ihn zaghaft Hoffnung schöpfen ließ. »Kurz bevor Lamy wieder in mein Leben trat, hat Doflamingo etwas getan, was ich ihm niemals vergeben kann. Etwas, was mir die Augen geöffnet hat, was er wirklich ist und immer sein wird - ein Monster in Menschengestalt.« Er blickte in Marcos blaue Augen, die ihm einen sicheren Halt versprachen. »Er hat seinen Bruder getötet. Den Mann, der wie ein Vater für mich war.«
 

Die Worte schwebten schwer im Raum und Laws Kehle fühlte sich zu eng an, als hätte er diese eigentlich viel zu lang zurückgehalten. Zum ersten Mal sprach er diese Wahrheit offen einem anderen gegenüber aus, gestattete sich der Wirklichkeit Fuß zu fassen und sich verwundbar zu machen. Das Entsetzen darüber blieb aus, weil er erkannte, dass er Marco tatsächlich vertraute.
 

Marco blinzelte langsam. Zwischen seinen Brauen bildete sich eine nachdenkliche Falte, als er den Kopf leicht neigte und treffend kombinierte: »Dein Freund, dem das Motorrad gehörte...« Seine Aufmerksamkeit war erstaunlich. Law war davon ausgegangen, dass er diese Detail sicherlich längst vergessen hatte - doch Marco hatte es sich gemerkt. Sein Interesse war zu keiner Zeit gespielt gewesen.
 

Law nickte. »Er war ein verdeckter Ermittler, der die Machenschaften seines Bruders hatte aufhalten wollen. Joker kontrolliert einen Großteil des Schwarzmarktes für Waffen, illegale Sklavenmärkte und natürlich weite Gebiete in Downtown durch den Drogenhandel. Corazon wollte seinen ungesunden Machtzuwachs aufhalten.« Law schluckte. Es tat noch immer weh, seinen Namen auszusprechen. »Er war ein guter Mensch. Er hat mich auf eine Art gerettet, die wohl die wenigsten je verstehen können und Joker hat ihn einfach kaltblütig ermordet, nachdem er herausgefunden hatte, dass ihn sein eigener Bruder hinterging.« Die Wut und die Trauer über diese Ungerechtigkeit waren all die Jahre über nicht weniger geworden. Law biss die Zähne aufeinander, um seine Magie zu besänftigen, die wie ein unruhiger Tiger in seinem Inneren rumorte und seinen Emotionen antwortete.
 

Wieder suchte er Marcos Augen, deren klares Blau wie ein Anker in diesem grenzenlosen Chaos war, das sein Leben im Moment darstellte. Diese unerschütterliche Ruhe, die der Konzerner ausstrahlte, war wie Balsam für Laws aufgeworfene Nerven. »Nach Corazons Tod habe ich angefangen, hinter seinem Rücken gegen Joker zu agieren. Ich will das Werk seines Bruders fortsetzen.« Laws Augen blitzten auf, als er mit eisiger Entschlossenheit erklärte: »Ich werde Doflamingo aufhalten, egal, was es kostet.«
 

Marcos Brauen senkten sich sein Stück, sein Blick war forschend. Zaghaft fragte er: »Weiß deine Schwester von all dem?«

Law schüttelte sofort den Kopf. »Nein, Lamy weiß nichts davon und das soll auch so bleiben. Ich will sie damit nicht belasten. Das ist allein meine Sache«, antwortete er gröber als beabsichtigt. Seine ganze Haltung war unnachgiebig.
 

Marco bestürmte eisiges Entsetzen bei dem Gedanken, welch kompromissloses Ziel sich Law gesetzt hatte - einen Kartellkönig stürzen und das gänzlich im Alleingang. Wie viele Jahre trug er diese Bürde nun schon einsam auf seinen Schultern? Wie lange schon versuchte er mit der einen Hand Jokers Imperium zu stürzen und mit der anderen seine Schwester zu beschützen?
 

Marco wollte seiner Bestürzung Ausdruck verleihen, wollte Law sagen, dass dies keinesfalls gesund sein konnte, doch bei dessen stählernem Blick besann er sich eines besseren und schwieg. Er würde Law keine Vorhaltungen machen und er würde sich ihm nicht aufdrängen, auch wenn sein Beschützerinstinkt brüllend erwachte und ihn zum Handeln zwingen wollte. »Weiß Joker, dass du hier bist?«, fragte er stattdessen.
 

»Ja, er weiß, das Lamy und ich hier sind. Das konnte ich nicht verschweigen, denn er hat uns zusammen im Purgatory gesehen«, sagte Law. »Aber ich habe ihm nichts von der Sache mit dem Zirkel erzählt und auch nichts relevantes über dich oder deine Firma«, versicherte er. »Joker glaubt, ich bin hier, um dich auszuspionieren. Er ist natürlich begierig auf deine Firmengeheimnisse und vor allem interessiert an Forschungs- und Projektunterlagen der Newgate Corp., die er dann gewinnbringend umsetzen könnte. Aber ich werde ihm natürlich nichts liefern.«
 

Marco betrachtete ihn ergründend und Law erwiderte seinen Blick unerschrocken. Er mochte viel in seinem Leben schrecklich falsch gemacht haben, doch das hier, diese Sache mit Marco, diese vorsichtige Freundschaft, das wollte er nicht verderben. Er brauchte Marco, wahrscheinlich mehr, als er sich selbst eingestand, aber er würde den Konzerner nicht seiner eigenen Sache opfern.
 

»Wird dich das nicht in Gefahr bringen, wenn du ihm so gar nichts lieferst?«, fragte Marco frei heraus. Seine Finger strichen nachdenklich über die Tischplatte.

Law zuckte gleichgültig mit den Schultern. Mit diesem Problem musste er sich später auseinandersetzen. »Möglicherweise. Aber darum werde ich mich kümmern, wenn es soweit ist.« Sein Tonfall war nicht abschmetternd, doch sehr bestimmt, denn er wollte nicht, das Marco das Gefühl bekäme, er müsste ihm auch in dieser Angelegenheit beistehen.
 

Marco griff nach seiner Kaffeetasse. Seine Miene war gefasst. »Na schön. Und worum willst du mich nun bitten, Law?«
 

Law erzählte ihm alles - von Punk Hazard, Caesar Crown, seinem ursprünglichen Plan, Mugiwaras Bande und der drängenden Zeit. Er ließ kein Detail aus, bis der Konzerner völlig im Bilde war und wusste, welche Rolle er bei diesem Unterfangen einnehmen sollte. Er besaß diesen hochmodernen Truppentransport-Jet und als Senatsmitglied ausreichend Macht, um in das Sperrgebiet zu gelangen.
 

Marco sah am Ende ziemlich überwältigt aus und ließ sich nach einem schweren Atemzug auf seinem Stuhl zurücksinken. Er schwieg ein paar lange Augenblicke und Laws zaghafte Hoffnung schwand bereits. »Okay, wow...«, stieß Marco dann die angehaltene Luft aus und glitt mit der Hand rastlos durch seine Haare, bevor er die Finger im Nacken liegen ließ. »Das ist keine Kleinigkeit, worum du mich da bittest. Das könnte mich und meine Firma viel kosten«, sagte er ehrlich. Law konnte förmlich sehen, wie er in Gedanken sämtliche Risiken abwog - natürlich, wenn er sich hier als Konzernboss einmischte, bezog er Stellung. Dadurch lief er Gefahr, sich einen Kartellkönig zum Feind zu machen.
 

Law konnte nicht mehr sitzen bleiben. Unruhig stand er auf und lief ein paar Schritte durch das plötzlich viel zu kleine Zimmer. Er hasste sich fast dafür, dass er Marco überhaupt in diese Lage brachte, dass er ihn um so etwas bitten musste, aber ohne ihn würde er völlig von neuem beginnen müssen und er wusste nicht, ob er die Kraft dafür noch hätte nach all den Jahren der Planung. Dieses ganze Unterfangen hatte am Ende nicht nur Doflamingos Imperium zermürbt, sondern auch ihn selbst.
 

»Ich weiß und glaub mir, ich würde es nicht tun, wenn nicht so viel davon abhängen würde, Marco«, versicherte Law.  »Aber Joker muss aufgehalten werden. Er ist inzwischen viel zu mächtig geworden und irgendwann wird ihm die Unterwelt nicht mehr reichen. Seine Ränke erstrecken sich jetzt schon bis in die Regierung Japans. Stell dir vor, wie einflussreich er erst sein wird, wenn er sein Einflussgebiet durch Gildo Tesoro auf China erweitern kann. Wenn Kaido durch ihn sein Machtgebiet vergrößert, werden diese drei Giganten über einen Großteil des ostasiatischen Raumes herrschen. Nicht einmal der Senat könnte ihnen dann noch wirkungsvoll Einhalt gebieten.«
 

Dass seine Worte auf fruchtbaren Boden trafen, zeigte Marcos düsteres Stirnrunzeln. Er als Konzernchef musste auch solche Entwicklungen im Auge behalten und abwägen. Sein Kiefer spannte sich an, während sich sein Kybernetik aktivierte und er offenbar online einige Informationen abrief. »Crown ist ein seit vielen Jahren vom Senat gesuchter Genetik-Wissenschaflter mit Hang zum Extremen«, las Marco vor, während seine Finger gedankenschwer auf der Stuhllehne trommelten. Offenbar hatte er inzwischen Zugriff auf die Datenbanken des Senats. »Er ist als hochgradig gefährlich und skrupellos eingestuft.«
 

»Das stimmt«, bestätigte Law und lehnte sich mit der Hüfte an den Schreibtisch, die Arme vor der Brust verschränkt. »Er eiferte viele Jahre Dr. Vegapunk nach, hat es mit seinen unethischen Experimenten aber irgendwann einfach übertrieben. Als man ihn gefangen nehmen wollte, ist er untergetaucht. Joker hat ihn gefunden und aufgenommen, denn beide profitieren von dieser Partnerschaft - Crown hat den Schutz eines Kartellkönigs und genug Geld, um in Ruhe zu forschen und stellt dafür reichlich Beta für Jokers Schwarzmarkt her. Aber nicht nur das...« Er suchte eindringlich Marcos Blick. »Er forscht auch an weiteren experimentellen Drogen und an genbasierten Massenvernichtungswaffen und vieles davon testet er an verwaisten Straßenkindern, die das Kartell auf Tokios Straßen aufsammelt und zu ihm nach Punk Hazard bringt.« Es war mehr als hinterhältig, dieses Argument in den Ring zu werfen, das wusste Law selbst, denn ein moralischer Mensch wie Marco konnte das nicht einfach ignorieren.
 

Marco strich sich angespannt über eine Braue, dann stand er ebenfalls auf und ging zu seinem Schreibtisch, um etwas auf dem offenen Laptop dort einzugeben. Law verfolgte mit unruhigen Augen, wie sich der Konzerner über den Tisch lehnte und seine Finger über die Tastatur flogen. »Würde der Verlust von Punk Hazard Doflamingo wirklich aus dem Gleichgewicht bringen? Wäre es ein empfindlicher Rückschlag für ihn?«, fragte Marco, ohne aufzusehen.
 

»Ja«, bestätigte Law überzeugt. »Kaido ist im Moment sein Hauptabnehmer, ihm hat er reichlich Beta für seine Anhänger und die ersten experimentellen Giftgas-Waffen versprochen. Kaido baut auf Jokers Unterstützung bei der Erweiterung seines Reiches und dafür hat er ihm eine Menge Geld im voraus gezahlt.« Diese Information zu erlangen, war für Law  unglaublich bedeutsam gewesen, genau wie das Wissen darüber, dass Joker einen Großteil dieses Geldes bereits in eigene Projekte investiert hatte.
 

Marcos Finger auf der Tastatur hielten kurz inne und er sah auf, den Kopf leicht schräg gelegt. Das künstliche Licht des Monitors spiegelte sich in seinen Brillengläsern. »Und ich gehe mal davon aus, dass jemand wie Kaido wohl wenig erfreut wäre, wenn sich so eine Investition als Leerlauf erweist.«
 

»Das ist noch untertrieben«, raunte Law in düsterer Genugtuung. »Doflamingo würde in ernsthafte Bedrängnis geraten. So ein Warlord ist nicht der verständigste Geschäftspartner.« Er beobachtete, wie Marco mit konzentriert zusammengezogenen Brauen weiter an seinem Laptop arbeitete. Angespannt grub er die Fingerspitzen in den Stoff seines Pullovers. Er brauchte eine Antwort, irgendetwas, damit er wusste, mit was er arbeiten konnte. »Marco, du musst das nicht für mich tun, tu es, weil es das Richtige ist, ich...-«
 

Der Konzerner klappte seinen Laptop zu und richtete sich auf. »Okay.«

»Okay?«

»Ich werde dir helfen, Law.«

Obwohl Law ungewöhnliche Erleichterung durchströmte, blieb natürlich das schlechte Gewissen darüber, den Blonden am Ende doch in seine Angelegenheiten hineinzuziehen. »Marco, du musst nicht überstürzt eine Entscheidung treffen...«
 

Der Konzerner kam um den Schreibtisch herum. »Du hast recht, es ist sicherlich das Richtige, Joker Einhalt zu gebieten. Aber allein deshalb werde ich bei diesem verrückten Plan nicht mitmachen.« Er kam näher und blieb unweit vor Law stehen, so nah, dass ihm Marcos angenehmer Geruch in die Nase stieg. So nah, dass Law das Klopfen des Pulses an der Kehle des anderen Mannes sehen konnte. Marcos Augen waren so eindringlich, sodass Law den Blick nicht abwenden konnte. »Sondern wegen dir. Ich werde wegen dir bei diesem Vorhaben mitmachen, Law. Ich werde es tun, weil du mich darum gebeten hast«, sagte er bestimmt.
 

Law versteifte sich und ließ die Verschränkung seiner Arme fallen, um die Hände an die Tischkante zu krallen. Diese offene Unterstützung, diese kompromisslose Bereitschaft, ihm zu helfen, überforderte ihn reichlich. Er war es seit Corazon nicht gewohnt, dass irgendjemand so entschlossen war, für ihn zu kämpfen. »Es gibt wesentlich bessere Gründe, um...-«
 

»Ah, das denke ich nicht«, unterbrach Marco ihn mit einem zurechtweisenden Zungeschnalzen. »Du wirst akzeptieren müssen, dass ich einem Freund helfen will und dass du mir dieses Risiko wert bist. Ansonsten bin ich raus aus der Sache, ganz einfach.« Seine Tonlage war unerbittlich, genau wie sein Blick - der Blick eines Firmenchefs, der es gewohnt sein musste, harte Entscheidungen durchzusetzen.
 

Law musste sich geschlagen geben, obwohl es sich nicht einmal nach einer Niederlage anfühlte. Nicht, wenn Marcos blaue Augen nur ihn ansahen, mit einer Intensität, die beinahe einer Berührung glich. Dieses warme, angenehme Ziehen in seinem Magen ließ seine Mundwinkel zaghaft in die Höhe wandern. »Na schön«, raunte er ergeben. »Danke, Marco.« Dieses eine Wort schien bald zu wenig, um seine tiefe Verbundenheit für den Konzerner auszudrücken.
 

Doch Marco schüttelte den Kopf und lehnte sich neben Law an den Schreibtisch, sodass sich ihre Schultern berührten. Seine Wärme schien sich fast durch den dünnen Stoff von Laws Pullover zu brennen. »Dank mir jetzt noch nicht, sondern erst, wenn wir alles erfolgreich hinter uns gebracht haben. Immerhin kann so einiges schief gehen«, erinnerte er mit einem schrägen Schmunzeln.
 

»Trotzdem bist du bereit mir zu helfen. Das bedeutet mir viel«, gestand Law unerwartet freimütig. Einer plötzlichen Eingebung folgend entschied er dann: »Ich werde dich nach Toyohashi begleiten.«

Marco hob verwundert eine Braue. »Law, du musst dich mir gegenüber jetzt nicht verpflichtet fühlen...«
 

»Das tue ich nicht«, erwiderte Law. »Ich möchte dir einfach... als Freund helfen. Möglicherweise kannst du Unterstützung gebrauchen.« Es war die Wahrheit. Am Ende bot er seine Hilfe aus rein selbstlosen Gründen an - Lamy war stabil und auf dem Weg der Besserung und damit war es eigentlich nicht mehr nötig, dass er in der Senatssache noch hilfreich fungierte. Aber er wollte es, aus freien Stücken und nicht, weil er irgendeine Gegenleistung erwartete.
 

Marco lächelte aufrichtig, was Law nur in seinem Beschluss bestärkte. »Nun, dann kann ich wohl nichts dagegen sagen«, meinte er mit einem Zwinkern. »Und freue mich, dass du mich weiter begleiten wirst, Law.«


Nachwort zu diesem Kapitel:
* Fahrzeuge geliehen aus Cyberpunk 2077 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, ihr hattet alle schöne Weihnachten und wünsche euch hiermit einen guten Rutsch ins neue Jahr! :)

(Für alle, die Gildo Tesoro nicht kennen - er stammt aus dem One Piece "Gold" Film.) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (18)
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Von:  Votani
2024-04-17T21:09:52+00:00 17.04.2024 23:09
Das ist das Kapitel, das ich gerade gelesen und kommentieren wollte! :'D

Ich sitze schon eine Weile dran, war aber immer so beschaeftigt, dass ich nie mehr als ein paar Absaetze am Stueck lesen konnte. Aber ich wollte dir nur sagen, dass ich noch dabei bin und hoffentlich jetzt wieder etwas schneller lesen kann. :)

Das Kapitel hat ein gutes Bild ueber Laws Leben gegeben. Ich mag wie nah du am Manga bleibst und es doch so gut ins AU umsetzen kann. Doflamingo ist gut getroffen und ich finde es interessant, dass du Viola drin hast. Das macht es irgendwie spannender. *lach*
Ich habe irgendwie angenommen, dass Tesoro ein OC ist, da ich den Gold Film bisher nicht gesehen habe. Oder aber ein neu auftauchender Chara ist, da ich mit dem Manga auch nicht ganz auf dem Laufenden bin (daran arbeite ich auch!). Aber gestoert, dass ich nicht wusste, wer er ist, hat es mich beim Lesen ueberhaupt nicht. Sein Charakter kam so oder so gut herueber!

Besonders spannend war natuerlich das Ende, wo Law wieder zum Chirurg des Todes wird, weil er sein Cover nicht aufgeben kann. Es hat einfach gepasst, hat mir aber fuer die Leute und fuer Law natuerlich leid getan. D: Ich bin gespannt, ob es irgendwelche Auswirkungen auf Law haben wird und ob Marco da helfen kann. Ich hab ja nix gegen ein bisschen hurt/comfort. *hust*

Ich bin gespannt, wie es weitergeht!

LG
Antwort von:  Ceydrael
05.05.2024 17:05
Lass dir ruhig Zeit mit lesen ;) Jeder hat sein eigenes Tempo und es hetzt ja auch nichts. Ich bin auch nicht gerade ein Rennwagen beim Schreiben xD

Puh, ich sag dir, ich bin immer erleichtert, wenn man mir mitteilt, dass ich die Canon-Handlung doch einigermaßen gut ins AU umgesetzt bekommen habe, ohne eine 1zu1 Kopie zu erschaffen. Das war mir auch immer wichtig, doch was eigenes daraus zu machen, ohne den Background der Charaktere zu sehr zu verzerren :)
Vor dem Kapitel hatte ich tatsächlich wegen Doffy ein wenig Angst, aber freut mich, dass er mir gelungen ist! :D

Tesoro stammt tatsächlich aus dem Film und ist damit auch mehr oder weniger Canon, aber ich glaube, für die Handlung hier ist es eher nebensächlich, ob man ihn kennt ;) Ich mochte den Film aber tatsächlich recht gern und fand es passend, ihn hier mit einbauen zu können :)

Oh ja, das Ende wird durchaus noch Auswirkungen auf Law haben und du hast da auch einen ganz guten Verdacht in Richtung Marco ;) Wahrscheinlich hast du inzwischen eh schon weitergelesen, dann wirst du wissen, wovon ich rede ;D
Ich glaube, ich kann dir ohne zu viel zu verraten, schon sagen, dass durchaus noch ein bisschen hurt/comfort folgen wird ;) Ich denke, ich habe hier ein ganz gutes Spektrum abgedeckt ^^

Ich wünsche dir viel Spaß beim Weiterlesen und bedanke mich herzlich für deine Kommentare! <3
Liebe Grüße!
Von:  Votani
2024-04-17T21:04:35+00:00 17.04.2024 23:04
Ok, ich dachte, ich habe das Kapitel bereits kommentiert, weil ich das schon sehr langer Zeit gelesen habe. Ich habe mich scheinbar selbst verwirrt. *hust* Jedenfalls wollte ich noch ein Kommentar hier hinterlassen, bevor ich zum naechsten Kapitel springe. :)

Ich finde es natuerlich wieder sehr gelungen, ganz besonders wegen der vielen Marco/Law Interaktion. Zu schade, dass Law Marcos Angebot am Ende nicht hatte annehmen koennen. :'D

Auch der Plot mit den drei(?) Teilen und wer die anderen zwei in Japan hat ist interessant! Ich bin gespannt, ob sie an die herankommen, besonders an das von Enel. Die Welt und der Plot sind allegemein mindestens genauso interessant wie das Ship. <3

LG
Antwort von:  Ceydrael
05.05.2024 16:57
Hey Hey Votani!
Mensch, ich freu mich wirklich total zu lesen, dass du hier noch dabei bist! :D

Und schön zu lesen, dass du die Handlung und die Interaktionen zwischen den beiden noch immer magst! ^-^
Ja, das hier war mehr ein "Info-Kapitel", um schonmal ein bisschen anzuteasern, wohin der Plot noch gehen soll, hehe. Ich bin sehr glücklich, dass du den Plot auch noch interessant findest... hab manchmal schon die Befürchtung, er ist zu verwirrend xD
Sei gespannt, wie es weitergeht und ob Enel noch seinen Auftritt bekommen wird! ;D

Liebe Grüße!
Von:  Ruha_Ducky
2024-02-11T14:06:21+00:00 11.02.2024 15:06
Uhhh neues Kapitel *.*
Da hast du mir den Tag versüßt
War wieder sehr schön zu lesen
Bin so gespannt auf meeeeeehr :3
Antwort von:  Ceydrael
11.02.2024 18:16
Hey Hey!
Freut mich ja, dass nach der langen Zeit überhaupt noch jemand zum Lesen hier ist ^^'
Und natürlich schön zu lesen, dass du deinen Spaß mit dem Kapitel hattest :3
Antwort von:  Ruha_Ducky
15.02.2024 13:12
Ich bleibe auf jeden Fall dabei!
Freue mich immer total wenn es ein neues Kapitel gibt :D
Von:  Ruha_Ducky
2023-06-24T21:41:06+00:00 24.06.2023 23:41
Neues Kapitel *.*
Im Vergleich zum letzten, welches seeeehr turbulent war, ist dieses sehr ruhig.
Aber dennoch wieder schön, das Warten lohnt sich jedes Mal!
Bin wie immer gespannt wie es weiter geht. ^.^
Antwort von:  Ceydrael
15.07.2023 11:34
Hey Ruha_Ducky!
Freut mich, dass dir auch das etwas ruhigere Kapitel gefallen hat und du der Geschichte weiterhin die Treue hältst, auch wenn es mal etwas dauert ^^
Liebe Grüße!
Von:  Votani
2023-06-07T01:34:29+00:00 07.06.2023 03:34
Mich gibt es noch und ich lese auch noch! :D
Das war ein sehr lange Kapitel. *lach* Es hat ein bisschen wie so eine Art Uebergangskapitel gewirkt, da wir wiede rmehr von Marco und Law getrennt als Leser bekommen haben, aber es hat mir trotzdem sehr gut gefallen. Man lernt beide Charakter einfach als Personnen mehr kennen. Z.B. Marcos Vergangenheit und auch Laws Plaene, da er sich mit Luffy verbunden hat. Ich find das ziemlich gut eingefaedelt. Und dann am Ende noch diesen Moment zusammen, als Law sich um Marcos Knoechel kuemmert. *-* Ich hatte jedenfalls wieder eine Menge Spass beim Lesen und werde auch fleissig weiterlesen/aufholen!

LG
Antwort von:  Ceydrael
17.06.2023 15:07
Hey Hey Votani!
Mensch, das freut ich total von dir zu lesen! *-* Ich dachte schon, bei der Menge an Text hättest du womöglich kapituliert ;D
Ich wollte hier bewusst jeweils auf das Leben der beiden außerhalb der sich überschlagenden Ereignisse eingehen und zeigen, dass beide ja trotz des aktuellen "Falls" noch ganz andere Probleme zu bewältigen haben. Das erschien mir auch wichtig, um sie als Personen wieder greifbarer zu machen. Freut mich, dass es dir gefallen hat! :)
Ich denke, im Grunde ihres Herzens sind sie beide schon "Kümmerer", die für andere sorgen - Marco zeigt das offen, Law eher unterschwellig ^^' Aber ich glaube, auch wenn ihm Leute wichtig sind, wird er alles dafür tun, dass es ihnen gut geht. Und obwohl Law sich eigentlich von Marco fernhalten wollte, kann er nicht aus seiner Haut und sucht eben dessen Nähe, da es Marco gerade nicht wirklich gut geht... perfekt auch, dass Haruta in dem Fall als Match-Maker fungiert ;D
Ich hoffe, du hasst auch Spaß an den weiteren Kapiteln! :)
Liebe Grüße
Cey
Von:  Ruha_Ducky
2023-02-13T16:48:13+00:00 13.02.2023 17:48
Uhhh neues Kapitel :D
Und was für eines!
Wieder so schön geschrieben
Ich war echt gespannt auf die nächste Begegnung zwischen Law und Marco nachdem was bei Doflamingo passiert ist
Gut das Marco zur Stelle war und Law sich etwas auf ihn eingelassen hat
Sooo gespannt wie es weiter geht :D
Antwort von:  Ceydrael
25.02.2023 14:12
Hey Ruha_Ducky! :)
Freut mich sehr, dass dir das neue Kapitel wieder gefallen hat!
Ja, Marco durfte hier Retter in der Not spielen und Law begreifen, dass es vielleicht gar nicht so schlimm ist, sich auch mal von anderen helfen zu lassen ^^
Bleib ruhig gespannt dabei, ich denke, es geht aufregend weiter ;D
Liebe Grüße!
Von:  Votani
2023-02-08T17:09:11+00:00 08.02.2023 18:09
Puh, hat mich einige Zeit gekostet, um durch das lange Kapitel zu kommen. Ich habe es immer so ein bisschen pro Tag gelesen, was sehr angenehm war. :D
Jedenfalls hatte das Kapitel eine Menge Action. Ich freu mich total, dass du Nami & (vorallem) Nojiko eingebaut hast. Besonders letztere ist dir sehr gut gelungen. Allgemein fand ich auch Genzo als Tierarzt total spannend und wie sie da heimlich helfen. Hoffentlich kriegen sie wirklich keinen Aerger in der Zukunft. Es war aber auch ein netter Abstecher fuer Marco und Law!
Generall mag ich, wie beide Angriffe die beiden mehr und mehr zusammengeschweisst haben. *-* Natuerlich ist Law da skeptisch, wenn Marco so ruhig und offen und ehrlich ist. Das ist er ja nun gar nicht gewoehnt, was es aber nur besser fuer den Leser macht. :)
Das Kapitel hat mir sehr gut gefallen und ich freue mich aufs Weiterlesen, was bei den laengeren Kapitel einfach nur etwas laenger dauert. ;)

LG
Antwort von:  Ceydrael
12.02.2023 11:17
Hey Votani!
Ich hab mich super über dein Review gefreut und darüber, dass du hier noch immer mit von der Partie bist und beständig dabei bleibst! :)
Leider kann ich dich wohl in Bezug auf die Länge der Kapitel nicht wirklich beruhigen, ich fürchte fast, viel kürzer wird es nie wirklich ^^' Aber es ist ja auch völlig okay, wenn du dir Zeit beim Lesen lässt, eine Geschichte soll man ja auch genießen ;)
Ich wollte dir schon längst noch auf deine Nachricht antworten, sry, dass sich das alles etwas zieht. Das Jahr hat schon wieder mit ziemlich viel Stress angefangen, da bin ich schon froh, wenn ich nebenbei immer noch ein bisschen zum Weiterschreiben komme ^^'
Schön zu lesen, dass dir hier Nami und Nojiko so positiv ins Auge gefallen sind. Allgemein macht es in einem AU ja immer ganz besonders viel Spaß, all die klassischen OP-Charaktere einzubringen und was ganz eigenes draus zu machen. Hier fand ich es irgendwie besonders witzig, die Strohhut-Bande einzubauen - fast alle sind irgendwie bisher dabei, nur nicht so, wie man es vermutlich erwarten würde. Wenn du weiterliest, wirst du dann merken, was ich meine, hehe :D
Und durch diese vielen, kleinen Zwischenetappen können sich Marco&Law natürlich ganz gemächlich nah kommen, ohne dass es überstürzt oder zu hastig wirkt. Schritt für Schritt dürfen sie sich annähern und das ist hoffentlich beinahe genauso spannend zu schreiben wie zu lesen ;D

Liebe Grüße
Cey :)
Von:  Votani
2022-12-24T00:19:52+00:00 24.12.2022 01:19
Ich sitze schon eine Weile an dem Kapitel, hatte aber irgendwie keine Zeit, um es zu beenden. Habe ich jetzt nachgeholt!
Nach der Action im letzten Kapitel und so war dieses hier eher ruhig, aber dafuer hattest du Zeit, die Beziehung der beiden etwas zu vertiefen, was mir ebenfalls sehr gut gefallen hat. Erst die Unterhaltungen im Auto und natuerlich die kleine Szene im Club, in der Law Marco an sich zieht, um von Diamante nicht gesehen zu werden. Sehr toll. :)
Auch die Beschreibungen, was den Club angeht, fand ich sehr gelungen. Und Thatch! Ich liebe ihn, obwohl er im Manga ja eher eine super kleine Rolle hat & das meiste eher headcanon ist, aber ich stell ihn mir sehr aehnlich vor, weshalb mir deine Interpretierung so gut gefaellt. Ich kann ihn mir als bisexuell auch sehr gut vorstellen.
Sehr gutes Kapitel, ich bin gespannt & freu mich, dass du Dr. Kuleha eingebaut hast. :D
Antwort von:  Ceydrael
25.12.2022 10:36
Hallöchen Votani! Freut mich, wieder von dir zu hören... schöne Weihnachten übrigens! :D
Es ist natürlich schön zu lesen, dass dir die vielen kleinen Details im Kapitel gefallen haben, zb wie der Auftritt von Kuleha :D Ich weiß nicht, irgendwie kann ich mir sie in so einem Setting auch recht gut vorstellen.
Spaß gemacht hat es hier auch allemal, die Beziehung zwischen Law und Marco so langsam aufleben zu lassen, dieser langsame, gemächliche Aufbau empfinde ich immer besonders reizvoll. Man fiebert als Autor schon selbst immer auf jeden Meilenstein hin :D
Oh und schön, dass du Thatch so positiv erwähnt hat. Ich hatte schon Gedanken, dass er vielleicht doch ein wenig zu klischeehaft geraten ist ^^' Bin froh, dass es nicht so ist!
Von:  Ruha_Ducky
2022-11-20T20:28:16+00:00 20.11.2022 21:28
Jetzt hatte ich endlich die Zeit das Kapitel in Ruhe zu lesen.
Sehr komplex alles, aber wieder toll geschrieben, man kann richtig gut eintauchen.
Schön zu lesen wie sich so langsam eine Verbindung zwischen Law und Marco aufbaut.
Antwort von:  Ceydrael
27.11.2022 10:09
Hallöchen Ruha_Ducky! :)
Freut mich, dass du noch mit von der Partie bist und dass dich auch dieses komplexere Kapitel überzeugen konnte!
Gerade dieser langsam Beziehungsaufbau zwischen den beiden macht mir unheimlich viel Spaß. Man fiebert so doch viel mehr auf diesen einen Moment zwischen den beiden hin, indem sie sich endlich wirklich näher kommen, als wenn gleich alles im ersten Kapitel Knall auf Fall passiert ^^'
Liebe Grüße!
Antwort von:  Ruha_Ducky
28.11.2022 22:43
Das definitiv! Bin echt begeistert.
Auch die Vielfalt an Charakteren die du einbaust ist toll, bin gespannt welche Rolle sie noch alle spielen.
Oh ja, ich mag slow burn stories auch viel lieber :D
Freue mich schon auf das nächste Kapitel
Von:  Votani
2022-11-16T21:26:55+00:00 16.11.2022 22:26
Endlich zum Weiterlesen gekommen! :D
Ich liebe die FF noch immer und freue mich immer, wenn ich Zeit habe. Ich lese die Kapitel durch die Laengste meist ueber mehrere Tage hinweg, aber es ist eben toll, weil ich immer etwas habe, das auf mich wartet. *lach*

Das Kapitel hat mir auch wieder sehr gut gefallen. Es ist nett, etwas mehr ueber Law zu erfahren. Bzw. wirklich gut gelungen, wie du seine Storyline/Vergangenheit aus dem Manga uebernommen und so passend in das AU gepackt hast. Das macht mir an AUs auch immer am meisten Spass. :')
Auch dass seine Schwester mitspielt, finde ich uebrigens super! Klar, dass Doflamingo das nur getan hat, um Law fester an sich binden zu koennen.

Aber auch die ganzen Marco/Law Momente waren sehr niedlich. Marco ist schon richtig fazsiniert von ihm und auch Law kann nicht leugnen, dass er eigentlich vollkommen in Ordnung ist. Es passt zu beiden Charakteren sehr gut. Ich freu mich auf mehr. :D

Ich mochte auch Shanks Rolle. Einerseits ist er recht offen, gleichzeitig erwartet er aber auch etwas von Law, was vollkommen verstaendlich ist. Marco ist zu gut fuer diese Welt, denn immerhin darf man wohl wirklich nicht vergessen, dass Law eigentlich auf der anderen Seite steht und man ihm nicht zu schnell vertrauen darf. Nur als Leser weiss man es besser. Jedenfalls hat mir die kleine Auseinandersetzung gefallen.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht. *-*
Antwort von:  Ceydrael
27.11.2022 10:05
Hey, hat mich sehr gefreut, wieder von dir zu hören, Votani! :)
Ah und ich bin sehr erleichtert zu lesen, dass du Laws Vergangenheit hier im AU gut umgesetzt bzw eingesetzt findest. Dieses ganze Mafia/Unterwelt/Banden-Flair passt auch einfach gut für Doflamingo, immerhin hatte er in OP ja eine ganz ähnliche Rolle mit illegalem Teufelsfruchthandel und dergleichen. Von daher war das Einbinden gar nicht so schwer.
Lamy hier am Leben zu lassen, fand ich einfach slebst ganz spannend, vor allem, weil ich es mir lustig vorstelle, Law eine aufgeweckte, kleine Schwester an die Seite zu stellen, die die sanfteren Charakterzüge aus ihm herauskitzeln kann ^^

Je mehr ich Marco und Law zusammen schreibe, desto mehr gefällt mir das Pair auch selbst. Irgendwie haben die zwei eine wirklich gute Dynamik, einfach dadurch, dass Marco so sanft und ruhig ist und Law dadurch eine Beständigkeit und Sicherheit bieten kann, die er sicherlich braucht, um sich einfach zu öffnen. Es besteht schon gegenseitiges Interesse, freut mich, dass man da shier herauslesen konnte :D

Shanks, ja, Shanks spielt ihr bisschen die Rolle des "Bad Cop" wohingegen Marco wohl eher der "Good Cop" ist ;D Wo der eine vielleicht manchmal zu vertrauensvoll ist, ist der andere sicher ab und an etwas zu hart und forsch ^^' Aber Shanks muss in seiner Rolle schon ein "harter Hund" sein, um sich durchzusetzen. Ihn empfand ich für die Rolle des knallharten Senatsermittlers irgendwie am Passensten - in OP ist es ja meist auch so, man muss nur Shanks' Name erwähnen und die meisten machen sich schon in die Hose xD

Ich bin gespannt, was du zum weiteren Verlauf sagen wirst ;)


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