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Balance Defenders Kurzgeschichten

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Aufgabe war: "Deine sensibelste Figur will ein romantisches Dinner kochen. Sie hat die Hauptzutat vergessen und es ist nach Ladenschluss. Was passiert?"

Das war die erste Protastik-Kurzgeschichte, die ich geschrieben habe, weshalb sie eine meiner kürzesten ist.
Wenn ihr euch wundert: Ich bin einfach schon mal in die Zukunft gesprungen, wodurch die Justin x Vivien Fans einen Einblick in ihr zukünftiges Pärchenverhalten bekommen können. XD

Zugegeben, die sensibelste Figur ist eigentlich Serena, aber mit ihr wäre das komplett im Chaos versunken, sie hätte ihre ganze Frustration an dem armen Vitali ausgelassen, der gar nichts verstanden hätte. :'D
Außerdem habe ich den Eindruck, dass es zu abwegig ist, dass Serena es wagt, etwas für Vitali zu kochen, auch wegen ihrer Vegetarier-Fleischesser-Problematik. :'D Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Eigentlich sollte der Lieblingsprota mit der Maske bis Mitternacht eine Rolle seiner Wahl einnehmen dürfen. Irgendwie hat sich das in meinem Kopf jedoch verselbstständigt (da von meinen Protas keiner direkt „Hier“ geschrien hat) und ist schließlich in eine ganz andere Richtung abgedriftet… Tja, das darf jetzt mein Lieblingsantagonist ausbaden. :D

Zeitlich gesehen spielt diese Kurzgeschichte im 3. Band von Balance Defenders parallel zu Kapitel 107 "Eriks Rolle und Vorsorgemaßnahmen" (Fasching/Karneval ist schließlich ab dem 11.11.). Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Aufgabe lautete: "Deine konservativste Figur wacht am Aschermittwoch (oder ähnlichem) bei sich zu Hause neben einer wildfremden nackten Person auf. Was passiert?"
Wie ihr euch denken könnt, war das eine der Aufgaben zum Ende der Karnevalszeit.

Für meine Kurzgeschichten gilt im Allgemeinen, dass wir Vivien und Justin bereits als Paar erleben, auch wenn sie in der Hauptstory noch nicht an diesem Punkt sind. . Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
"Deine impulsivste Figur hat sich zur Abstinenz entschlossen. Was meidet sie und gelingt es?"

Eine Sache, von der Serena/Destiny wirklich nur schwer ablassen kann, ist es, mit Vitali/Change zu streiten. Dadurch dass sie ihn deutlich mehr mag als es ihr lieb ist, ist sie meistens ziemlich gemein zu ihm. Schließlich soll er das auf gar keinen Fall merken! Zu sehr ist sie davon überzeugt, dass er in ihr nie mehr als eine brutale Irre sehen wird. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
"Dein*e Prota darf sich in eine Katze verwandeln. Bei wem taucht sie auf und was tut sie?" Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Protastik-Aufgabe lautete: „Deine verzweifeltste Figur findet ein Behältnis mit einem Flaschengeist. Was passiert?“

Diese Protastik-Geschichte setzt an einem Punkt im dritten Band von BalanceDefenders an. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Aufgabe lautete „Dein*e Meister*in der Ausreden ist scheinbar tot und muss mit dem Tod ums Leben feilschen.“
Da war es klar, dass Vivien ran muss.

Angesichts der Aufgabe, brauche ich wohl nicht erwähnen, dass das Thema Tod vorkommt, nur so als Triggerwarnung. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
„Deine redseligste Figur trinkt aus Versehen ein Wahrheitsserum. Dummerweise begegnet sie kurz darauf ihrem Erzfeind.“ Ein Vitali x Serena Kapitel.

Der zweite Teil der Aufgabe, dass meine redseligste Figur – Vitali – ihrem Erzfeind begegnet, hat mich dazu veranlasst, eine Begebenheit zu wählen, die tatsächlich im vierten Band von Balance Defenders vorkommen wird, nämlich dass Vitali zum Geburtstag seiner Großmutter muss.
Sorry, Grauen-Eminenz, aber für Vitali kommst du nicht an seine schreckliche Großmutter ran. XD
Zu diesem Zeitpunkt stehen die sechs einer neuen Art von Lichtlosen gegenüber, den sogenannten Plagen, die so einiges bewirken können. Daher gibt es nun einfach eine Wahrheits-Plage statt eines Wahrheitsserums. ;D

Irgendwie hat meine Bearbeitung dieser Aufgabe komplett den Rahmen gesprengt und der Text ist deeeeuuutlich länger geworden als ursprünglich geplant (wie eines meiner normalen Freitagskapitel) – dabei habe ich extra schon ein paar Szenen wieder rausgeschmissen. Ich bedanke mich jetzt schon bei jedem, der sich die Zeit nimmt, es zu lesen!

Es ist auf jeden Fall bisher meine Lieblingsgeschichte, vielleicht auch weil sie eine Alternative zu dem darstellt, wie die Begebenheit sich im 4. Band abspielen wird. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Die #protastik Aufgabe lautete:
„Deine mächtigste Figur befindet sich in einer Besprechung – plötzlich sieht sie einen Hasen, der sie anspricht.“
Irgendwie hätte ich noch mal auf die Aufgabenstellung schauen sollen, denn ich hatte völlig vergessen, dass der Hase die Figur ansprechen soll. Aber clever wie ich bin, ist mir natürlich aufgefallen, dass ‚jemanden ansprechen‘ auch anders verstanden werden kann!
Grauen-Eminenz, meine mächtigste Figur und Antagonist in Balance Defenders, findet den Hasen auf jeden Fall sehr ansprechend. Schließlich hat er eine besondere Vorliebe für Besprechungen seiner Schatthenmeisterorganisation Pandämonium. Da kommt ihm ein bisschen Ablenkung doch gelegen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Protastik-Aufgabe zu dieser Kurzgeschichte hat mich vor eine ziemliche Herausforderung gestellt, denn sie lautete:
Dein*e Lieblingsprota fragt dich nach einem guten Buch. Was empfiehlst du – und warum?

Ich hatte nicht erwartet, dass das so ausarten würde, aber ihr müsst wissen, dass ich meinen Figuren zuvor noch nie so gegenüberstand. Es war also eine sehr aufwühlende Erfahrung, die sich über deutlich mehr Zeilen erstreckt hat als geplant und viel mehr Selbstoffenbarung beinhaltet als beabsichtigt. Aber lest selbst. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Die #protastik Aufgabe von @ankebecker_a , @lucas_snowhite und @christinamariehuhn lautete: „Eine deiner unfreundlichsten Figuren muss im Kinderparadies (mit Bällebad!) aushelfen und wird mit der Trotzreaktion eines Dreijährigen konfrontiert (inkl. auf dem Boden wälzen).“
Grauen-Eminenz, mein Antagonist aus BalanceDefenders, freut sich schon… XD
Übrigens handelt es sich quasi um die Fortsetzung seines letzten Auftritts Ein Osterhase für Grauen-Eminenz. Wenn man also nicht weiß, wofür er diese Strafe bekommen hat, einfach dort nachlesen. ;D Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Aufgabe lautete: „Deine stärkste Figur gerät in der Antike zu den Gladiatoren ins Colosseum. Was passiert?“
Da Grauen-Eminenz sowohl vom Beherrschen seiner magischen Fähigkeiten als auch körperlich meine stärkste Figur ist, kommt er auch jetzt wieder zum Zug, wobei er gerne drauf verzichtet hätte. 😋
Triggertechnisch sollte ich vielleicht darauf hinweisen, dass Tod vorkommt und dass mein Antagonist nicht gerade die beste mentale Gesundheit aufweist. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Aufgabe: „Deine unsportlichste Figur muss für ihr Volk ein entscheidendes Turnier bestreiten. Was geschieht und zu was führt das Ergebnis?“

Meine unsportlichste Figur ist eindeutig Serena/Destiny. Sport ist für sie ein Grauen und Ausdauer hat sie auch keine. Ich hatte ursprünglich eine ganz andere Version schreiben wollen mit einem komplett anderen Ausgang, aber lest selbst. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Aufgabe: "Dein*e Prota wird plötzlich mit einem Arzt/Heiler verwechselt und findet sich mitten in einer Behandlung wieder. Wie reagiert sie?"
Da Grauen-Eminenz in der Geschichte zuvor gegen Destiny "verloren" hat, muss er hier ran.
Aus praktischen Gründen ist diese Protastik-Geschichte eine Fortsetzung von Grauen-Eminenz im Kinderparadies. Freiwillig geht der Gute einfach nicht unter Menschen. :‘D
Viel Vergnügen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Aufgabe war: „Ein Jahr Protastik! Deine Figuren nutzen ein sich auftuendes Dimensionsloch in deine Welt, um dir zu sagen, was sie von ihren Protastikauftritten halten“.

Da das Gespräch mit meinen Figuren in eine deutlich andere Richtung geraten ist als geplant, habe ich damals auf Bildern ihre Meinung festgehalten: Was denken die Beschützer, Grauen-Eminenz und Ewigkeit über die Protastik? Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
„Ein Bollerwagen bewegt sich mit rasender Geschwindigkeit einen Abhang hinunter. Eine steile Klippe ist nah. Was tut deine mutigste Figur?“, lautete die Aufgabe.
Ich hab mir einige Freiheiten bei der Aufgabe erlaubt, so gibt es zum Beispiel keine Klippe, aber dafür eine andere Gefahr am Ende des Abhangs.
Was die Figur betrifft: Wenn es um spontanen Heldenmut geht, gewinnt üblicherweise Vitali das Rennen. Meine todesmutigste Figur ist allerdings Ewigkeit und da sie letzte Woche darum gebettelt hat, auch mal mitmachen zu dürfen, bekommt sie heute ihren großen Auftritt!
Naja, so groß wird er nicht, denn diesmal gibt es nur eine ganz kleine, einfache Geschichte, die gerade deshalb wunderbar zu Ewigkeit passt.

Zur Info: Mit „Vereinen“ meint Ewigkeit Vivien. Sie hat nämlich den Tick, ausschließlich die deutschen Beschützernamen zu verwenden.
Was Ewigkeits Größe anbelangt, sie misst ca. zwölf Zentimeter. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
„Ein*e Dom*se zeigt reges Interesse an einer deiner zurückhaltenden Figuren. Was geschieht?“
Keine Sorge, hier ist alles jugendfrei!

Ich wusste erst nicht, was mit Dom*se (mit kurzem o gesprochen) gemeint ist, auch wenn mir die Begriffe „dominant“ und „submissive“ (zu Deutsch: devot) vertraut waren. Aber gut, jetzt bin ich schlauer. 😄 Dennoch hat sich meine Geschichte in eine ganz andere Richtung entwickelt. Ich hoffe, ihr verzeiht mir das. 😋

Außerdem gab es ein paar comicartige Bilder dazu, die ich aufgrund des Videos am Ende empfehle anzuschauen.

Da es Abschnitte aus Ewigkeits Sicht gibt, hier wieder die Info: Sie benutzt stets die deutschen Beschützernamen und meint z.B. mit „Vereinen“ Vivien, deren Beschützername Vereinen/Unite ist. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Die #protastik Aufgabe lautete: „Dein*e Prota wird auf der Straße angesprochen, um Werbung zu machen. Findet es statt? Für welches Produkt wäre die Bereitschaft da?“
Diesmal bekommt Ariane eine etwas größere Rolle, allerdings erfahrt ihr die ganze Situation aus Eriks Sicht.
Viel Spaß! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
„Dein*e Anta organisiert eine Grillparty. Kommt irgendjemand freiwillig? Landet gar jemand von den Gästen am Spieß?“

Wusstet ihr, dass „Grillen“ früher auch für grelles Schreien verwendet wurde und dass man darunter auch albernes Verhalten, wunderliche Einfälle und das Nachhängen trübsinniger Gedanken verstand? Dem deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm sei Dank, kann man solche Bedeutungen noch heute nachschlagen.
Und im Englischen wird „to grill someone“ auch umgangssprachlich dafür verwendet, wenn man jemandem auf den Zahn fühlt.
Tja, schlussendlich ist aus der Grillparty bei Grauen-Eminenz wohl eher eine „Grillen“party geworden. Aber lest selbst. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
‚Dein*e Prota hat ihre Abenteuer hinter sich. „Wie konntest du mir nur diesen Namen geben?“, fragt das zehnjährige Kind. Wie lautet die Antwort?‘

Ein paar Vorab-Infos für diejenigen, die die Haupthandlung von Balance Defenders nicht kennen:
Erik hat ein ziemlich schwieriges Verhältnis zu seinen Eltern, besonders zu seinem Vater. Die Erwartungen, die auf ihm als Sohn der angesehenen Familie Donner lasten, beeinflussen sein Handeln und sein Selbstbild maßgeblich und nicht grade zum Positiven. Das führt nicht selten zu Konflikten, auch zwischen ihm und Ariane. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
"Deine erfolgreichste Figur nimmt eine Auszeit vom „Job“. Was macht sie und kommt sie auf andere Gedanken?", lautete die Aufgabe. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
„Die Partner*in deiner ehrlichsten Figur fragt, ob das gewählte Outfit gefällt. Leider würde die Wahrheit vernichtend ausfallen. Wie lautet die Antwort?“

Mal sehen was sich meine Protas aus Balance Defenders dieses Mal für die Erfüllung der Aufgabe ausdenken. ;D
Kleiner Hinweis: Vitali nennt Serena häufig Tiny, abgeleitet von ihrem Beschützername Destiny. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Zum heutigen #Protastiktag lautet die Aufgabe:
„In einer Bar trifft deine Lieblingsfigur in Abenteuerlaune auf Lilith. Was passiert?“

Da ich bei dem Thema Lilith direkt an die traditionelle Dichotomie Heilige vs. Hure denken musste, schicke ich meine kleine Ewigkeit ins Rennen – zumal sie sich am meisten darüber freut. 😄

Die #Protastik #Schreibchallenge von @ankebecker_a , @lucas_snowhite und @christinamariehuhn – alias #ProtasaufAbwegen – steht heute im Zeichen der neu erschienenen Kurzgeschichtensammlung „Scherben einer Göttin“ , in der sich 18 Autor*innen der sagenumwobene Frauengestalt #Lilith jeweils literarisch gewidmet haben.
Im Rahmen dessen gab es vom 18.-24.07.2023 auch eine #Kreativchallenge bzw. ein #Gewinnspiel , für das man ein literarisches oder sonstwie künstlerisches Werk zu Lilith veröffentlichen sollte. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Fortsetzung von Ewigkeits Treffen mit Lilith
„In einer Bar trifft deine Lieblingsfigur in Abenteuerlaune auf Lilith. Was passiert?“

Kleine Vorwarnung, das wird für Grauen-Eminenz nicht ganz so gediegen wie für Ewigkeit. 😅

Das habt ihr nun @andreas.paul.549 zu verdanken, der ein Zusammentreffen von Lilith und Grauen-Eminenz erleben wollte. 😂 Okay, ich gebe es zu, die Verantwortung liegt bei mir. Aber den Anstoß hat Andreas gegeben! Böse Männer, die eine Frau dazu bringen, fiese Dinge zu tun. 🤣
Also bekommt ihr nun quasi eine Fortsetzung meiner #Protastik Geschichte zum Thema: „In einer Bar trifft deine Lieblingsfigur in Abenteuerlaune auf Lilith. Was passiert?“
Sorry, @ankebecker_a , @lucas_snowhite und @christinamariehuhn , dass ihr jetzt noch mehr zu lesen bekommt. 😂 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich wünsche euch einen wunderschönen Heiligabend!

Ich war ziemlich nachlässig mit dem Veröffentlichen den Kurzgeschichten, daher wird denen, die die Geschichten nicht schon von Instagram kennen, manches seltsam vorkommen, da in diesem Weihnachts-Special auf bestimmte Ereignisse der Protastik-Kurzgeschichten Bezug genommen wird. Übrigens gab es auch Self-Insert-Aufgaben, sodass ich als Autorin auch hier einen kurzen Auftritt habe. Lasst euch davon nicht beirren.
Viel Freude! Komplett anzeigen

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Justin und das romantische Dinner

Justin war nervös.

Zum Valentinstag hatte sein Vater seine Mutter zu einem Restaurantbesuch ausgeführt und er durfte die Küche und das Esszimmer für ein romantisches Dinner mit Vivien nutzen.

Dieser Abend sollte etwas Besonderes werden.

Er hatte lange gegrübelt, über welche Speise Vivien sich am meisten freuen würde, und hatte sich schließlich für gefüllte Pfannkuchen mit Bechamelsoße entschieden, weil er wusste, dass sie Pfannkuchen liebte. Da er null Erfahrung im Kochen hatte, hatte er sich extra von seiner Mutter zeigen lassen, wie man das Gericht richtig zubereitete.

Er würde das hinbekommen! Erst einmal die Zutaten aus dem Kühlschrank holen.

Aber… wo waren die Eier?

Er suchte im Kühlschrank und auf der Arbeitsfläche, ja auch im Esszimmer, vielleicht hatte sein unzuverlässiger Bruder sie ja irgendwo stehen lassen. Aber nirgends waren sie zu finden.

Das durfte doch nicht wahr sein! Er war sich sicher gewesen, dass er alle Zutaten da hatte! Wie hatte er nur so nachlässig sein können? Verzweiflung überkam ihn.

Es war Sonntag, alle Läden hatten geschlossen und er wusste, dass auch im Geschäft seiner Eltern keine Eier mehr vorhanden waren. Die würden erst morgen wieder geliefert werden.

Was sollte er bloß tun?!

Vitali in den Supermarkt teleportieren und Eier dort holen und das Geld an die Kasse legen zu lassen, war eine blödsinnige Idee. Seine Fähigkeiten, Gedanken zu lesen und Erinnerungen zu löschen, waren auch nicht hilfreich.

Eier bei den Nachbarn leihen? Viviens Familie waren seine Nachbarn! Wie würde das denn aussehen? Als hätte er ihre Verabredung vergessen und würde nun auf die Schnelle etwas organisieren. Neeeeiiin!!!

Ruhig bleiben. Was konnte er sonst tun? Etwas anderes kochen? Aber er hatte Vivien Pfannkuchen versprochen! Und zudem hatte er keine Ahnung, wie man eine andere Speise zubereitete.

Resignation nahm immer mehr seine Sinne ein. Mit gesenktem Haupt starrte er auf die Arbeitsfläche vor sich. Das war eine Katastrophe.

Plötzlich klingelte es an der Tür. Auch das noch.

Das Gesicht unglücklich verzogen lief er zur Haustür und öffnete.

Vivien stand strahlend davor und sprudelte in ihrer quirligen Art sofort los.

„Ich weiß, ich sollte erst später kommen. Aber ich fände es viel schöner, wenn wir zusammen kochen! Ich möchte so viel Zeit wie möglich mit dir verbringen!“ Sie strahlte ihn an. Bei einem Blick in sein Gesicht fielen ihre Mundwinkel abrupt nach unten. Besorgnis trat auf ihre Züge. „Alles okay?“

Justin war nach Heulen zumute. Er war so ein Versager.

„Justin…“ Sie berührte sachte seinen Oberarm und er zog den Kopf ein. „Was ist denn?“

Er war unfähig, ihr zu gestehen, wie sehr er den Abend ruiniert hatte.

Jäh schlang Vivien ihre Arme um ihn und schmiegte sich an seinen Brustkorb. Sie stellte keine weiteren Fragen, als wäre es nicht wichtig, was geschehen war, solange sie für ihn da sein konnte.

Erste Worte drangen aus seinem Mund. „Ich … ich hab die Eier… Wir haben keine Eier.“

Plötzlich begann Vivien zu lachen. Er konnte das nicht nachvollziehen.

Sie sah zu ihm auf und grinste. „Mir ist egal, was wir essen. Ich freue mich sowieso am meisten auf das Dessert.“

Aber… er hatte überhaupt kein Dessert eingeplant!

Seine Bestürzung war ihm wohl anzusehen, wieder kicherte Vivien.

„Wusstest du etwa nicht, dass ich am allerallerliebsten Justinküsse habe?“

Das Blut schoss ihm in den Kopf.

Was?

Ein neckischer Unterton trat in ihre Stimme. „Also von mir aus können wir gerne sofort zum Dessert übergehen.“

Justin war unfähig darauf zu antworten, sein ganzes Gesicht glühte.

„Wir … wir sollten …“, druckste er. „Essen!“

Vivien lachte und ließ ihn los. „Ich kann Eier von uns drüben holen. Aber…“ Sie legte den Kopf schräg und schürzte die Lippen. „Darf ich trotzdem schon vom Dessert naschen?“ Sie blinzelte ihn mit ihren großen amethystfarbenen Kulleraugen an.

Er schluckte, spürte das Blut in seinem Kopf pulsieren und beugte sich behutsam zu ihr.

Grauen-Eminenz und die Maske

Grauen-Eminenz war genervt.

Schon wieder so ein Paket vom Pandämonium. Das verhieß nichts Gutes, zumal es nicht angekündigt worden war.

Er wollte die Fracht gereizt auf den Tisch knallen. Noch rechtzeitig stoppte ihn die jähe Befürchtung, dass sich darin etwas befinden könnte, das er auf keinen Fall in seinem Schatthenreich freilassen wollte.

Die Begebenheit mit den Allpträumen hatte ihm gereicht. Außerdem hatte er schon genug mit diesem Bengel zu tun, dem es Spaß machte, Räume zu zerlegen.

Miesepetrig öffnete er das Paket.

Eine schwarze, üppig mit Schnörkeln und Verzierungen geschmückte Halbmaske kam zum Vorschein.

Oh nee, seine Schatthenmeistervereinigung wollte doch nicht ernsthaft eine Faschingsveranstaltung abhalten!

Hoffentlich gab es keine Anwesenheitspflicht.

Da Schatthenmeister gemeinhin als Einzelgänger galten, hatte es in letzter Zeit Newsletter gegeben, die gemeinsame Aktivitäten propagierten, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken.

Widerlich.

Er erwartete schon eine Einladung in dem Paket vorzufinden, doch stattdessen lag eine Broschüre darin, die wie eine Bedienungsanleitung anmutete.

Hieß das, dieses Ding hatte tatsächlich eine Funktion, außer seinen Träger lächerlich aussehen zu lassen?

Grmpf. Hätte man einer Brille, die bestimmte Energielevel oder sonstwas sichtbar werden ließ, nicht ein etwas schlichteres, praktischeres Aussehen verleihen können? Allein diese albernen Federn am oberen Teil der Maske.

Egal.

Er nahm die Maske in beide Hände und führte sie an sein Gesicht.

Wie magnetisch von seiner Haut angezogen, sprang die Maske aus seinen Händen. Unter Grauen-Eminenz‘ Aufschrei saugte sich das Material an ihm fest. Vergeblich versuchte er, das Scheusal wieder zu entfernen.

Verflucht! Warum hatte er die verdammte Bedienungsanleitung nicht gelesen?! Das musste ein Folterinstrument sein!

Das ekelhafte Gefühl verschwand abrupt wieder, doch die Maske ließ sich nicht abnehmen.

Grauen-Eminenz ärgerte sich über sich selbst.

Gerne hätte er dieses vermaledeite Ding einfach mit seinen Kräften zerstört, aber das hätte bedeutet, sein Gesicht ebenfalls dem verheerenden Effekt auszusetzen. Und auch wenn er nicht eitel war, verzichtete er lieber auf ein komplett entstelltes Äußeres.

Stöhnend öffnete er die Augen und stockte beim Anblick seiner Hände.

Die sonst graue Haut war nun beige. Das allein hätte ihn schon verstört, denn seit Jahren hatte ihn nichts dazu gebracht, diese Camouflage ungewollt abzulegen. Doch das Gruseligste war, dass seine Unterarme anders aussahen als noch Momente zuvor.

Hastig wandte er sich um und ließ in einer Ecke des Raumes einen mannshohen Spiegel erscheinen.

Er schluckte und zwang sich vor den Spiegel zu treten, die schlimmsten Befürchtungen im Hinterkopf.

Oh nein. Nein, nein, NEIN!

Aus dem Spiegel sah ihm ein Teenager entgegen – ohne Maske.

Er wirbelte herum, riss die vermeintliche Gebrauchsanweisung aus dem Karton und suchte hastig nach einer Erklärung hierfür.

Der Träger der Maske verwandelte sich in die Person, an die er zuletzt gedacht hatte.

Das konnte doch nicht wahr sein! Wieso ausgerechnet der Bengel!!!

Okay, es wäre schlimmer gewesen, er hätte sich in einen der Versager vom Pandämonium verwandelt, dennoch war das absolut störend.

Wie konnte man diesen Effekt aufheben? Zurück zur Bedienungsanleitung.

Waaas?! Hielt bis Mitternacht an! So viel Zeit hatte er nicht!

Er las weiter.

Bla bla bla richtiger Gebrauch bla, Aufbewahrung bla, Garantie bla. Nutzungshinweise!

Vorsicht, Modell i278 hat eine eingebaute Sicherheitsvorkehrung, die ein vorzeitiges Lösen der Maske bewirkt, sobald die tatsächliche Person in das Blickfeld des Trägers kommt.

Na super.

Grauen-Eminenz sah auf die Uhr. 7:20.

Der Bengel und seine Freunde würden sich bereits auf dem Weg in die Schule befinden. Er hatte wohl keine andere Wahl, als schnellstmöglich in ihre Nähe zu kommen.

Halt, konnte er den Effekt der Maske vielleicht mit seinen eigenen Kräften übertönen? Dann war es nicht nötig, diesen Zirkus zu veranstalten.

Er stellte sich vor den Spiegel, doch nichts tat sich.

Warum musste das ausgerechnet heute passieren?

Argh, er würde nie wieder unter der Woche ein Paket des Pandämoniums öffnen! Ihm doch egal, ob er dann böse Anrufe erhielt.

Ein frustrierter Blick aus stechend blaugrünen Augen schlug ihm aus dem Spiegel entgegen. Er musste zur Schule.
 

Auf Sichtweite an Erik herankommen, das war alles. Das sollte ihm doch gelingen.

Aber wenn die Maske sich löste, dann würde sofort seine eigentliche Gestalt sichtbar werden. Das konnte zu Problemen führen.

Auch wenn er seine Kräfte einsetzte, um sein Aussehen anzupassen, ging das nicht von einer Sekunde auf die andere.

Ach, was machte er sich verrückt? Er konnte einfach alle in Schlaf versetzen oder eine Barriere errichten. Dennoch war das bei einer so großen Schule keine Kleinigkeit.

Ruhig bleiben.

Er ging auf den Schuleingang zu. Vielleicht konnte er hier warten, bis Erik eintraf. Das wäre definitiv das Einfachste. Allerdings hatte er nicht bedacht, dass sich hier bereits einige Jugendliche zusammengefunden hatten.

Wie er Teenager hasste! Diese schnatternden, einen auf cool machenden, minderbemittelten Hormonsklaven!

Tief durchatmen.

Er platzierte sich neben der großen Treppe zum Haupteingang nahe einem der Büsche und beobachtete halbherzig, wie nach und nach Schüler die Treppe hinauf strömten.

Hoffentlich hatte das bald ein Ende.

„Hi!“

Mit zusammengezogenen Augenbrauen drehte er sich zu der Schülerin um, die ihn einfach ungefragt angesprochen hatte.

„Hi.“, brummte er und lenkte seine Augen von ihr weg, um zu signalisieren, dass er kein Interesse an einem Gespräch hatte.

„Du stehst sonst nie hier. Wie kommt’s?“

„Mir war grade danach.“, knurrte er und stand kurz davor, die Göre anzuschreien, dass sie ihn in Ruhe lassen sollte. Warum hatte er sich auch unbedingt in einen Schönling verwandeln müssen?

Er suchte die Gegend nach einem Anzeichen von Erik ab.

„Wartest du auf jemanden?“, fragte die aufdringliche Tussi.

„Ja.“

„Sag mal, du und Ariane, seid ihr …“

„Ja!“, blaffte er heftig, damit sie endlich Ruhe gab. „Und sie ist sehr eifersüchtig, also …“ Er machte eine Handbewegung, die signalisierte, dass sie die Fliege machen sollte.

Die Göre wurde aufmüpfig. „Achso, du lässt dich also von Prinzessin Perfect herumkommandieren.“

Grauen-Eminenz biss die Zähne zusammen, sein Blick wurde mörderisch. „Wenn du sie noch mal so nennst,…“ Der Impuls, seine Kräfte in seiner Rechten erscheinen zu lassen, packte ihn. Nur mit Mühe konnte er ihn unterdrücken.

„Verpiss dich.“, zischte er.

Etwas wie Schock trat in das Gesicht seines Gegenübers.

Endlich zog die dumme Gans Leine. Vermutlich war sein Verhalten so gar nicht Erik-typisch gewesen, aber das war gerade sein geringstes Problem.

Warum er die Beschützerin hatte verteidigen wollen? Wahrscheinlich weil er seine Auserwählten als Eigentum ansah. Nur er durfte sie beleidigen!

Er seufzte und wandte sich wieder der Umgebung zu.

Na endlich!

Weiter vorne konnte er Eriks Silhouette ausmachen, wie er erhobenen Hauptes auf das Schulgebäude zu lief, als wäre er Teil eines Parfüm Werbespots.

Grauen-Eminenz hatte keine Zeit für spöttische Gedanken. Er spürte, wie die Maske sich löste.

Hastig rannte er los, bevor jemand seine Verwandlung mitbekam.

Justin und die Fremde in seinem Bett

Justin kam langsam zu sich. Etwas Schweres lastete auf ihm, das er sich nicht erklären konnte. Er versuchte sich wegzudrehen, aber das Etwas behinderte ihn dabei.

Verwirrt schlug er die Augen auf. Und erstarrte.

Den Atem anhaltend, flehte er inständig, dass er halluzinierte.

Panisch wollte er die Blondine, die bäuchlings zur Hälfte auf ihm lag, von sich stoßen, stattdessen schlug er die Decke beiseite und unterdrückte nur schwer einen Aufschrei.

Er kniff die Augen zu und befreite sich umständlich von der Fremden, indem er die Decke nahm und sie damit von sich schob.

Hastig stieg er über sie und flüchtete Hals über Kopf aus seinem Zimmer.
 

Eigentlich hätte Vivien gerne länger geschlafen, schließlich waren Faschingsferien. Doch da ihre Geschwister zu den Frühaufstehern zählten und ihre Mutter bereits das Haus verlassen hatte, war auch sie schon auf den Beinen und konnte direkt an die Tür gehen, als es klingelte.

In seinem Schlafanzug stand Justin vor der Tür. Er wirkte völlig verstört, einem Nervenzusammenbruch nahe.

„Justin, was …“ Sie griff nach seinem Arm. „Ist was mit deinen Eltern?“

Er schüttelte den Kopf und schien die Tränen kaum zurückhalten zu können.

„Komm rein.“, sagte sie hastig.

Offenbar würde es mehr als eine Umarmung brauchen, um ihn zu beruhigen.

Zu ihrer Verwunderung schüttelte er abermals den Kopf und schaute so beschämt, als wolle er ein entsetzliches Geständnis ablegen.

„Was ist denn?“, fragte sie vorsichtig und merkte, dass sie ebenfalls die Ruhe verlor.

Auf die Frage hin verzerrte sich sein Gesicht noch mehr.

„Justin.“, flehte sie.

Er verdeckte das Gesicht mit seinem Unterarm.

Nur mit Mühe brachte er Worte hervor. „…Da ist jemand“, presste er hervor. „in meinem Zimmer.“

„Was meinst du?“

„Eine…“ Sie sah, wie sich jeder Muskel in ihm anspannte. „Frau.“

Vivien versuchte daraus schlau zu werden. „Was für eine Frau?“

„Ich weiß nicht.“, japste Justin.

„Justin, wieso …“ Vivien stockte. „Du meinst, eine Frau war in deinem Zimmer, als du aufgewacht bist?“

Endlich nahm er den Arm herunter, sodass sie ihm wieder in die Augen sehen konnte. Er nickte.

„Ist sie tot?“

Er schüttelte den Kopf, dann stockte er. „Ich weiß nicht.“

Vivien war verwirrt. Es war nicht Justins Art, vor einer Person, die offenbar Hilfe brauchte, davonzulaufen.

„Denkst du, dass sie etwas mit Grauen-Eminenz zu tun hat? Der Brief über die Allpträume war damals auch bei dir aufgetaucht. Das heißt, es könnte sich ein Portal in deinem Zimmer befinden.“

Sie konnte Justin ansehen, dass ihm diese Idee noch gar nicht gekommen war.

Es kam selten vor, dass sie nicht verstand, was in ihm vorging. Gerade wirkte er so verzweifelt, als würde er von einem schlechten Gewissen gepeinigt.

„Was hast du denn?“, fragte sie beunruhigt.

Justin entfuhr ein Schluchzen.

Die plötzliche Erkenntnis traf sie. „Hat sie dir was angetan?“

Sein Atem wurde hektisch.

Ohne Umschweife schloss Vivien ihre Arme um ihn, doch Justin erwiderte die Geste nicht.

Warum wollte er nicht hereinkommen? Was hatte diese fremde Frau bei ihm zu suchen und was war vorgefallen, das Justin in einen solchen Zustand versetzt hatte?

Sie ließ von ihm ab. „Komm.“, sagte sie entschieden.

Justin wehrte sich nicht, als sie ihn hinüber zu seinem Haus zog, er schloss sogar die Tür auf. Doch immer wieder hatte sie den Eindruck, dass er verschwinden wollte.

Sich davon nicht beirren lassend, schlug sie direkt den Weg zu seinem Zimmer ein, doch Justin stoppte mitten in der Bewegung. Aus seinem Blick sprach Angst.

Wer auch immer ihm das angetan hatte, würde dafür bezahlen! Sie ließ ihn los und stapfte auf sein Zimmer zu, bereit, diese Person das Fürchten zu lehren.

„Vivien.“, hörte sie Justin ängstlich rufen. Er sah sie so mitleiderregend an, als befürchte er, die Welt würde im nächsten Moment untergehen.

Sie griff nach der Türklinke und betrat das Zimmer.
 

Justin wollte sterben. Das war der schlimmste Moment seines Lebens und das obwohl er als Beschützer schon so viele Herausforderungen und lebensbedrohliche Situationen hatte meistern müssen. Er hatte panische Angst, wie Vivien reagieren würde.

Wie sollte sie beim Anblick einer nackten Frau in seinem Bett nicht glauben, dass er …? Warum hatte er es nicht gesagt? Sie vorgewarnt?

Er hatte es einfach nicht über sich bringen können!

Endlos lange Sekunden blieb Vivien in seinem Zimmer. Aus den Sekunden wurden Minuten.

Justin hielt es nicht mehr aus.

Szenen, in denen Vivien im nächsten Moment aus dem Zimmer stürmen, ihn ohrfeigen und Schluss machen würde, wechselten sich ab mit der Vorstellung, dass sie weinend in seinem Zimmer zusammengebrochen war.

Er trat vor seine Zimmertür, getraute sich jedoch nicht hineinzugehen. Plötzlich öffnete sich eine Tür hinter ihm.

Völlig verkatert kam sein älterer Bruder Gary heraus.

„Steh nicht im Weg.“, brabbelte er und wollte wohl ins Bad wanken.

Justin packte ihn an der Schulter.
 

Vivien hatte in Justins Bett eine splitterfasernackte Blondine vorgefunden, die sich anscheinend direkt vor seinem Bett entkleidet hatte. Grob hatte sie die Fremde wachzurütteln versucht, doch auch wenn sie offenbar noch lebte, weigerte sie sich zurück in den Wachzustand zu kommen. Bei dem Geruch von Alkohol, der von ihr ausging, wenig verwunderlich.

Um herauszufinden, was vorgefallen war, brauchte Vivien Justins Telepathie. Zum Glück besaß sie die Gabe, die Kräfte der anderen zu kopieren, denn so wie sie Justin kannte, würde er sich weigern, in die Erinnerungen dieser Person einzudringen.

Sie stand auf.

Vor Justins Zimmer fand sie nicht nur ihn, sondern auch seinen Bruder vor. Dieser sah so aus, als hätte er den Faschingsdienstag durchgefeiert.

Das erklärte zumindest, wie die Fremde hierhergekommen war.

„Hast du jemanden ins Haus gebracht?“, fragte Justin wütend. Er hatte also ebenfalls diesen Schluss gezogen.

Gary hielt sich den Kopf. „Ja und?“

Justins Gesicht verzerrte sich vor Zorn. Hastig schritt Vivien ein, bevor sich seine emotionale Aufregung auf eine Weise entladen konnte, die er später bereut hätte.

Sobald sie in Justins Blickfeld trat, wich die rasende Wut der Verängstigung.

„Alles gut.“, versicherte sie ihm und wandte sich dann an Gary. „Erklär das.“

Gary schien nicht zu begreifen.

„Wieso liegt deine Freundin in Justins Bett?“, präzisierte Vivien.

„Sie ist nicht –“ Gary stöhnte. „Das ist die Freundin von nem Kumpel. Ich weiß nicht, was die alles eingeworfen hat.“ Vivien ging davon aus, dass er damit andeuten wollte, dass die Blondine unter Drogen stand.

„Ich wollte sie heimbringen. Aber sie meinte, ihre Eltern killen sie. Ich konnte sie ja schlecht draußen pennen lassen.“

Für jemanden mit einem Kater war er erstaunlich eloquent.

Vivien verschränkte die Arme vor der Brust. „Und wieso hat sich ihr Freund nicht um sie gekümmert?“

Gary verdrehte die Augen und zuckte mit den Schultern. „Der ist mit ner anderen Tussi abgezogen.“

Justin schaute verständnislos. „Warum?“

„Sei nicht so naiv.“, grummelte Gary und schüttelte missbilligend den Kopf, was er sogleich zu bereuen schien. Wieder hielt er sich den Kopf.

So sehr Vivien Garys Verhalten lobenswert finden wollte, sie war viel zu missgestimmt darüber, dass er dafür gesorgt hatte, dass diese Person Justin belästigen konnte.

„Wie ist sie in Justins Zimmer gelandet?“, fragte sie weiter.

„Was weiß ich. Vielleicht auf’m Weg vom Klo zurück ins falsche Zimmer. Ich hab ihr nicht die ganze Zeit beim Kotzen die Haare gehalten. Ich bin nicht mal mit ihr befreundet!“, rechtfertigte sich Gary. Er schaute regelrecht beleidigt. „Kann ich doch nichts für, dass kein anderer sich um sie gekümmert hat.“

Bei einem Blick zu Justin erkannte Vivien, dass das Mitleid für die fremde Blondine sowohl seine Wut auf seinen Bruder als auch seine Verstörtheit getilgt hatte. Sie selbst war dagegen noch nicht wirklich besänftigt.

„Wieso…“ Justin unterbrach sich und senkte beschämt den Blick.

Vivien begriff, was er fragen wollte. „Sie hat sich ausgezogen, bevor sie in Justins Bett gestiegen ist.“, informierte sie Gary.

Kurz verzog sich Garys Gesicht, als verstünde er, was das für Justin bedeutete. Dann schimpfte er lautstark. „Mann, ist doch nicht mein Bier!“

Vivien spürte das grimmige Lächeln auf ihren Lippen und änderte es schnellstens zu einem fröhlichen Ausdruck.

„Justin, wärst du so lieb und würdest ein Glas Wasser und Aspirin bringen?“, säuselte sie zuckersüß.

Justin schaute etwas irritiert, als sähe er nun wirklich keinen Grund dazu. Ihr zuliebe machte er sich dennoch auf den Weg.

Auch Gary wollte sich in Bewegung setzen, doch Vivien verstellte ihm den Weg.

„Ich muss pissen.“

Vivien kicherte vergnügt, was Gary sichtlich irritierte.

Breit grinsend fixierte sie ihn. „Wenn wegen dir noch mal eine nackte Frau in Justins Bett landet.“ Sie klatschte ihre Handflächen aufeinander. „Dann wirst du nichts mehr haben, mit dem du pissen kannst.“ Sie kicherte begeistert.

Garys Gesichtszüge entgleisten.
 

Er fand nicht, dass es Gary verdient hatte, jetzt auch noch verhätschelt zu werden. Andererseits hielt er seinen Versuch, dieses Mädchen zu beschützen, für ehrenwert. Sie hatte es offenbar wirklich schwer gehabt.

Justin seufzte und machte sich mit einem Glas Wasser und Kopfschmerztabletten wieder zurück in den ersten Stock.

Vivien nahm ihm beides ab und reichte es Gary. „Das bringst du jetzt deiner Freundin und kümmerst dich gut um sie.“

„Sie ist nicht meine –“

Vivien lächelte freudig, woraufhin Gary das Gesicht verzog und Glas und Tabletten entgegennahm.

Sie drehte sich zu Justin. „Ich hole dir Kleidung und wir gehen zu mir.“

Abermals richtete sie das Wort an Gary. „Und du sorgst dafür, dass sie zu Hause ist, bevor eure Eltern heimkommen.“
 

„Ich kann dir später helfen, das Bett neu zu beziehen.“, sagte Vivien, nachdem Justin sich im Bad umgezogen hatte.

„Danke.“ Justin wirkte unsicher. „Danke, dass du nicht…“ Er ließ den Kopf hängen.

Sachte umfasste sie seine Linke und sah ihm in die Augen.

„Keine Angst, das nächste Mal, wenn du neben einer nackten Frau aufwachst, bin ich bei dir.“

Justin schaute unglücklich, als wolle er das keinesfalls noch mal erleben.

Mit einem verspielten Lächeln versuchte sie, ihn dazu zu bewegen, über ihre Worte nachzudenken.

Seine Miene wandelte sich allmählich von fragend zu verwirrt. Schließlich wurde Schock in seinen Zügen sichtbar, der absoluter Verlegenheit wich. Sein Gesicht war wieder so puterrot wie sie es von ihm gewöhnt war. Sie ergriff die Gelegenheit, um ihn nochmals zu umarmen.

Serenas/Destinys Versuch, von Streitigkeiten mit Vitali/Change abzulassen

Gerade im Training war es fast unmöglich, ihn nicht zu beleidigen oder anzuschreien! Dabei hatte Destiny sich fest vorgenommen, ihre Garstigkeit Change gegenüber wenigstens fünf Tage lang zu unterlassen – und ihn nicht willentlich oder versehentlich zu paralysieren. Er hatte schließlich etwas Besseres verdient…

Betrübt ließ sie den Kopf hängen und seufzte.

Zumindest sollte heute jeder alleine trainieren statt in Teams oder in Partnerarbeit, das hieß sie würde weniger Berührungspunkte mit ihm haben.

„Aah!“ Ein erschrockener Aufschrei entfuhr ihr, als Change ohne Vorwarnung neben ihr auftauchte. Dabei hatte er doch an einer ganz anderen Stelle seine Teleportation üben wollen!

Gerade noch unterband sie den feurigen Drang, ihm lauthals alles an den Kopf zu werfen, was ihr in den Sinn kam. Hastig wandte sie den Blick ab. Ihre Laune war ihr immer viel zu deutlich anzusehen.

„Bist du sauer?“, fragte er in ungewohntem Tonfall.

Nicht austicken.

„Nein.“ Mist, sie hatte gedacht, höher zu sprechen, würde sie freundlicher klingen lassen, stattdessen hatte es einen verstörenden Effekt.

Change verzog das Gesicht, als würde er davon ausgehen, dass ihre Wut ein neues Level erreicht hatte.

Na toll, selbst wenn sie sich Mühe gab, hielt er sie für eine Psychopathin.

Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Was hab ich jetzt wieder gemacht?“

Sie versuchte, der Konfrontation auszuweichen, und drehte den Kopf noch weiter weg. „Wie kommst du darauf?“

„Du ignorierst mich!“, schrie er mit unverhältnismäßiger Heftigkeit, selbst für seine Verhältnisse.

Den übermächtigen Impuls, ihn ebenfalls anzuschreien, musste sie unterdrücken.

Ihn nur nicht direkt ansehen! Sonst war ihre Selbstbeherrschung dahin.

Sehr kontrolliert antwortete sie: „Tu ich nicht.“

„Tust du wohl!“, beharrte Change umso vehementer. „Sonst schreist du mich wegen allem an und beschwerst dich und –“

Von dem plötzlichen Abbruch irritiert lugte sie in seine Richtung. Er hatte einen Schmollmund gezogen.

Was sollte das denn?

„Und was?“, forderte sie zu erfahren.

Er zuckte mit den Schultern und sah ihr nicht länger ins Gesicht. „Vergiss es.“

Im gleichen Moment war er in einen weiter hinten gelegenen Teil des Trainingsraums teleportiert.

Was …- Wieso?!

Raaaaaaah! Verdammt noch mal, sie gab sich hier doch die allergrößte Mühe! Und nur für diesen undankbaren Deppen! Wieso musste dieser Vollidiot sich jetzt so aufführen?! Er hatte ja keine Ahnung, wie schwer es ihr gefallen war, vorhin nicht bei jedem seiner bescheuerten Scherze einen bissigen Kommentar abzugeben, ihm das Grinsen nicht aus dem Gesicht zu wischen und auch sonstige Sticheleien zu unterlassen! Und jetzt warf er ihr vor, ihn zu ignorieren?!

Es reichte!

Mit raschen Schritten begab sie sich zu Change, wollte ihn am liebsten anbrüllen, was sein verdammtes Problem war, riss sich aber zusammen.

Schwer beherrscht stand sie da, wollte etwas sagen, wusste aber, dass es nach rasender Wut klingen würde und unterließ es daher.

Change warf ihr nur einen kurzen Blick zu und wirkte gekränkt.

Die Stimme noch länger unter Kontrolle zu halten, wurde zur Zerreißprobe. „Soll ich dich lieber wieder anschreien?“

„Ja!“, gab Change überzeugt von sich.

Sie starrte ihn an.

Er wich ihrem Blick aus.

„Bist du verrückt geworden?“, fragte sie ungläubig.

Lautstark machte er sich Luft: „Sag doch einfach, wenn du mich nicht mehr magst!“

Ihr Atem stockte. Jähe Verlegenheit loderte in ihr auf und verzehrte ihren Verstand.

Changes sprechendes Gesicht machte überdeutlich, dass er wirklich glaubte, von ihr abgewiesen zu werden.

Aber wie sollte sie ihm … Sie konnte doch nicht … Das war zu viel für sie!

Sie fühlte Tränen der Ohnmacht in sich aufsteigen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten.

„Du Vollidiot!“, keifte sie aus voller Kehle, schrie alle Frustration heraus. „Du bist der allergrößte Trottel auf der ganzen Welt! Wie kann man nur so dumm sein!“

Bitterböse funkelte sie ihn an.

Unter ihren tobsüchtigen Schreien war er kurz zusammengezuckt. Doch mit einem Mal begann er zu grinsen, als wäre die Welt wieder in Ordnung.

„Grins nicht so blöd!“, kreischte sie.

Doch seine leuchtendblauen Augen drückten noch immer Erleichterung aus. Ihr fiel jetzt erst auf, dass sie ihm den ganzen Tag nicht in die Augen gesehen hatte, wie sie es sonst immer tat, wenn sie sich stritten. Sie hatte den Anblick vermisst.

Aber sein freches Grinsen hätte sie einfach direkt aus ihrer Beherrschung gerissen. Er sah damit so entsetzlich niedlich aus, dass er jegliche Versuche, diese grauenhafte Verliebtheit kleinzuhalten, komplett zunichtemachte! Verdammt, warum musste sie auch immer so schreckliche Glücksgefühle verspüren, wenn er sie so anlächelte? Natürlich schrie sie ihn dann wegen jeder Kleinigkeit an!

„Hör auf zu grinsen.“ Sie schlug ihm gegen den Oberarm und begriff, dass sie durch die fehlenden Streitigkeiten bisher keine Begründung gehabt hatte, ihn heute zu berühren oder ihm so nahe zu sein wie jetzt.

Sein lausbubenhaftes Lachen erklang.

„Wie bescheuert bist du eigentlich, dass du angeschrien werden willst?!“, wetterte sie weiter und sah ein, dass jede Nähe zu ihm unter dem Deckmantel ihrer Zankereien stattfand.

Nochmals sah sie ihm direkt ins Gesicht, wie sie es sich nur traute, wenn sie so tun konnte, als wäre das allein ihrer Wut geschuldet und nicht ganz anderen Gefühlen.

Wer hätte geglaubt, dass ihre Abstinenz von Gemeinheiten ihm gegenüber sich als Abstinenz von ihm herausstellen würde?

„Dann bin ich halt nicht weniger gemein zu dir!“, rief sie und verschränkte die Arme vor der Brust..

Change grinste freudig – fast so, als hätte er all ihre gerade gewonnenen Erkenntnisse lange vor ihr gehabt – und stupste sie schelmisch an.

Serenas Katzenabenteuer

Ewigkeit hatte sie dazu angewiesen, auch zu Hause ihre Fähigkeiten zu trainieren.

Serena wusste allerdings nicht, wie sie es alleine üben sollte, eine Seelenwelt zu kontrollieren. Sie konnte ja schlecht in ihre eigene gehen, und zum Paralysieren brauchte sie auch ein Gegenüber.

Es blieb ihr wohl keine bessere Option, als das Ganze mental durchzuspielen.

Sie schloss die Augen und stellte sich vor, sich in einer Seelenwelt zu befinden. Üblicherweise reagierte diese sowohl auf ihre Gefühle als auch ihre Gedanken. So nützlich das sein mochte, manchmal war es äußerst störend, denn jede kleine Regung in ihr konnte etwas Ungewolltes auslösen.

Vor ihrem inneren Auge malte sie sich aus, wie die Umgebung sich nach ihren Wünschen umformte. In ihrer Vorstellung war das leicht.

Die Überlegung kam in ihr auf, ob sie auch sich selbst beeinflussen konnte. Schließlich war ihr Körper in der Seelenwelt ja nur eine Art Projektion, auch wenn es sich anfühlte, als wäre sie in Fleisch und Blut dort.

Wenn es ihr also nicht gelang, ein Hindernis aus dem Weg zu räumen, konnte sie dann dafür sorgen, dass sie geschickt wie eine Katze darüber hinweg springen konnte?

Unsinn. Wozu konnte Vitali denn Fliegen? Außerdem: Wenn sie es schon nicht hinbekam, die Seelenwelt zu kontrollieren, gelang es ihr erst recht nicht, plötzlich sportlich zu sein.

Sie seufzte.

Die Worte der anderen, dass sie sich nicht immer selbst runterziehen sollte, kamen ihr in den Sinn.

Okay, okay. Sie bemühte sich, die Frustration auszuatmen und spürte wider Erwarten tatsächlich Erleichterung. Es kam ihr fast so vor, als würde sie sich von ihrem Körper entfernen, als würde dieser immer leichter werden. Sie genoss die ungekannte Empfindung und atmete weiter.

Einen letzten tiefen Atemzug ausstoßend öffnete sie wieder die Augen – und machte einen Satz in die Höhe.

Was ging hier vor?!

Panisch betrachtete sie ihre Hände, doch bei dem Versuch kippte sie zur Seite weg, denn statt Händen hatte sie zwei dunkelbraune Pfötchen. Hektisch fasste sie mir ihrer rechten Pfote an ihren Kopf und spürte Katzenöhrchen.

Sie stieß einen Laut der Verzweiflung aus, der sich wie klagendes Miauen anhörte. Der Versuch, ein menschliches Wort hervorzubringen scheiterte.

Sofort rief sie in Gedanken Ewigkeits Namen. Doch ihr Helferlein erschien nicht, um ihr Beistand zu leisten.

Plötzlich hörte sie ein Kratzen an ihrer Zimmertür. Das Signal, dass ihre Hündin hereingelassen werden wollte.

Oh Gott, wenn ihre Schwester nun die Tür öffnete, war sie geliefert!

Hastig sprang sie auf, von ihrem Bett runter und stürmte auf die geöffnete Tür zum Balkon zu.

Sie flüchtete hinaus, den Weg, den sie damals schon beim Angriff der Schatthen genommen hatte.

Innerlich verfluchte sie sich. Wie hatte sie es nur hinbekommen, sich in diese Bredouille zu bringen?

Vor sich sah sie den Baum des Nachbarn, der einzige Fluchtweg. Egal, was man über Katzen sagte, sie hatte noch immer keine Ahnung, wie man einen Baum hinunterkletterte! Und sie kam sich kein Stück geschickter vor als damals als sie es das erste Mal machen musste!

Von ihrem Zimmer her hörte sie ihre Schwester ihren Namen rufen.

Sie hatte keine Zeit lange nachzudenken! Sie krallte sich am erstbesten Ast fest und kraxelte unbeholfen nach unten.

Verdammt! Die Strecke war in diesem kleinen Körper noch viel größer!

Verkrampft bemühte sie sich, mit den Krallen Halt zu finden, bis sie auf einer Höhe angekommen war, bei der sie sich den Sprung zutraute. Heftig schnaufend und zitternd rannte sie los.

Sie musste einen der anderen aufsuchen und ihm irgendwie klarmachen, dass sie in diesem Katzenkörper steckte! Aber Ariane, Vivien und Justin waren viel zu tierfreundlich, die hätten ihr vermutlich nur Milch hingestellt, aber nicht verstanden, was sie von ihnen wollte. Und Erik hätte sie vermutlich ignoriert. Warum musste Vitali am weitesten von ihr entfernt wohnen?!

Er war ein Hundemensch, da war sie sich sicher, so wie er mit ihrer Hündin umging, war das ziemlich offensichtlich. Bestimmt würde er sich wundern, wenn eine Katze seine Nähe suchte.

Aber wie sollte sie ihm klar machen, dass sie diese Katze war?

Ganz ruhig, erst mal dort ankommen.

Wer hätte geglaubt, dass der Weg nicht nur lang, sondern auch gefährlich sein würde? Dass man Menschen nicht trauen konnte, hatte sie ja schon immer gewusst. Aber nun musste sie auch noch ständig auf der Hut sein vor Hunden und anderen Katzen, die ihr Revier verteidigen wollten.

Endlich sah sie das Haus der Familie Luft vor sich. War das nicht Vitalis Mutter? Gott sei Dank! Sie hätte sonst nicht gewusst, wie sie überhaupt ins Haus hätte kommen sollen.

Sie wollte zu ihr rennen, aber selbst als Katze hatte sie einfach keine Kondition!

Frau Luft war gerade im Begriff wieder ins Haus zu gehen, sie hatte wohl nur die Blumen gegossen.

In ihrer Not ließ Serena einen Schrei los. Ein klagender Katzenlaut drang aus ihrer Kehle.

Tatsächlich stoppte Vitalis Mutter in der Bewegung und sah in ihre Richtung.

Serena ergriff ihre Chance und versuchte irgendwie, halbwegs niedliche Laute zu erzeugen, in einem Versuch, die Aufmerksamkeit zu behalten.

Die letzten Kraftreserven mobilisierend sprang sie näher an die aus ihrer Perspektive riesig wirkende Frau zu. Dabei war sie normalerweise etwas größer als Vitalis Mutter.

Frau Luft gab ihrer Stimme den seltsamen Ton, den man nur nutzte, wenn man mit Kleinkindern und Tieren sprach. „Na, du. Du siehst ja ganz erschöpft aus.“

Serena miaute und hoffte, dass das der richtige Klang war.

„Möchtest du ein bisschen Milch?“

Sie versuchte ihren Lauten etwas Bejahendes zu geben.

„Warte hier.“

Nein! Sie musste da rein!

Mit dem Mut der Verzweiflung sprang sie die Treppenstufen hinauf, an Vitalis Mutter vorbei ins Innere des Hauses.

Vitali!

Mit einer Gießkanne stand er in der Diele. Ungebremst stürmte sie auf ihn zu und verlieh ihrem Elend lautstark Ausdruck. Doch Vitali starrte sie nur verständnislos an und blickte dann zu seiner Mutter, die ihr gefolgt war.

„Kennst du die Katze?“, fragte Frau Luft.

Vitali verzog irritiert das Gesicht und schüttelte den Kopf.

Serena versuchte weiterhin mit klagendem Miauen ihre Misere zu erklären.

Plötzlich wurde sie von hinten gepackt und in die Höhe gehoben. Einen Schreckenslaut ausstoßend war sie im ersten Moment bewegungsunfähig.

„Die kratzt noch.“, warnte Vitali.

„Ach was! Das ist ein ganz liebes Kätzchen.“

Von wegen! Serena versuchte sich aus dem Griff von Vitalis Mutter zu befreien. Dabei fiel ihr Blick auf den Boden unter ihr. Das war so weit oben! Sie schrak augenblicklich zurück.

„Hat die Katze Höhenangst?“, fragte Vitali ungläubig.

Endlich ließ seine Mutter sie wieder auf den Boden.

Schnellstmöglich flüchtete sie vor ihr und sah aus geeigneter Distanz wieder zu Vitali. Es musste ihr irgendwie gelingen, mit ihm alleine zu sein!

Eilig sah sie sich um und stürzte auf die Treppe nach oben zu. Sie hüpfte die ersten Stufen hinauf.

„Hey!“, rief Vitali ihr nach.

Sie musste schnell genug oben sein, damit niemand sie packen konnte. Wieso waren Stufen nur so weit auseinander?

Endlich oben angekommen hastete sie weiter zur Tür seines Zimmers und begann qualvoll zu jammern.

Vitali war auch schon hinter ihr. „Was willst du denn?“, schimpfte er.

Sie deutete mit ihrem Köpfchen auf die Tür und jaulte weiter herzzerreißend.

Vitali stöhnte und erbarmte sich.

Sobald die Tür auch nur einen Spalt weit geöffnet war, schlüpfte sie hinein. Zielsicher steuerte sie auf Vitalis Bett zu und sprang.

Statt elegant mit allen Vieren auf dem Bett zu landen, schaffte sie es gerade so, sich mit den Vorderpfoten an seiner Bettdecke festzukrallen. Panisch bemühte sie sich, nicht abzustürzen, doch dabei zog sie die Decke nur immer weiter zu sich. Sie schrie.

Im gleichen Moment wurde sie an der Taille umfasst und auf das Bett gesetzt.

Vitali stöhnte und setzte sich neben sie. „Zufrieden?“

Sie war noch zu perplex, um darauf zu reagieren. Tapsig bewegte sie sich auf der weichen Daunenbettdecke. Diese fühlte sich total weich und flauschig unter ihren Pfötchen an.

„Für eine Katze bist du echt ungeschickt.“, kommentierte Vitali.

Empört fauchte sie.

Vitali schnaubte belustig. „Wie Tiny.“

Bei der Nennung des Spitznamens, den er für sie nutzte, stürzte sie an seine Seite und versuchte ihm klarzumachen, dass sie sie war!

Er hob die Hände. „Hey! Ist ja gut!“ Ehe sie mit dem Verstand erfasst hatte, wohin seine Hand entschwunden war, spürte sie es.

Vitalis Finger berührten ihren Nacken, mit ungeahnter Präzision kraulte er ihr Köpfchen.

Ein Schauder ging durch ihren gesamten Körper.

Vitali lachte. „Das gefällt dir, was?“

Vor übergroßer Scham wollte sie im Erdboden versinken!

Im gleichen Moment strich seine Hand über ihren Rücken und verscheuchte jeden Gedanken ans Verschwinden. Ihr Herz klopfte so heftig, dass sie unfähig war, sich von ihm zu entfernen. Seine Berührung löste weitere Schauer in ihr aus. Dann war da ein seltsames Vibrieren in ihrem Körper, untermalt von einem unwillkürlichen Brummen. Verschämt begriff sie, dass sie schnurrte.

Vitali lachte auf eine jungenhaft erfreute Art und Weise, doch sie getraute sich nicht, zu ihm aufzublicken. Sie wehrte sich nicht, als er sie sachte umfasste und auf seinen Schoß setzte.

Gott, das war so peinlich!

Er fuhr darin fort, sie zu streicheln. Sie musste das dringend unterbinden! Aber … sie konnte nicht.

Schüchtern drückte sie ihr Köpfchen gegen seinen Bauch, während er sie liebevoll verwöhnte.

Sie spürte, wie sein Lachen seinen Körper zum Beben brachte. „Serena hätte mich längst gekratzt und gebissen.“

Dieser Vollidiot…

Er durfte auf gar keinen Fall erfahren, dass sie sie war!!!

Wieso war sie nicht auf die Idee gekommen, zu Ariane zu gehen und dort so zu tun, als wäre sie verletzt? Dann hätte ihre Freundin vielleicht ihre Heilungskräfte eingesetzt und eventuell hätte sie dabei diese Verwandlung rückgängig gemacht. Sie war so ein Trottel.

Ihr vergingen die Gedanken, als Vitali seine Zärtlichkeiten wieder aufnahm. Ohne Gegenwehr ließ sie es geschehen.

Sie wusste nicht, ob es Vitalis Nähe war oder das Schnurren, das ihr Körper produzierte, aber irgendwie fühlte sie sich mit einem Mal unheimlich schläfrig. Ihre Augenlider fielen herab.

Während sie in die Traumwelt hinüberglitt, offenbarte sich ihr der Wunsch, diese Nähe zu Vitali in ihrer normalen Gestalt genießen zu dürfen.
 

Serena riss die Augen auf. Oh nein, sie konnte doch nicht auf Vitalis Schoß eingeschlafen sein!

Zu ihrer Überraschung fand sie sich in ihrem Zimmer wieder, in ihrem gewohnten Körper.

Hatte sie das alles nur geträumt?

Das Gefühl, das Vitalis Berührung in ihr ausgelöst hatte … Das hatte sich so real angefühlt.

Abermals wurde sie verlegen.

Wie gut, dass er niemals davon erfahren würde!
 

Ob Serena das wirklich nur geträumt hat oder sie sich auf Vitalis Schoß zurückverwandelt und er sie mit dem Vorsatz, niemals ein Sterbenswörtchen über diese Situation zu verlieren, nach Hause teleportiert hat? Wer weiß.

Eriks Wunsch

Seine Atmung war schwer, als drohe er zu ersticken, doch er nahm es längst nicht mehr wahr.

Gedankenfetzen jagten durch seinen Geist, immer wieder.

‚Du musst dich unbedingt besser um Erik kümmern! Er glaubt, du liebst ihn nicht.‘

Der Blick seines Vaters.

Er zitterte.

Dann entdeckte er auf dem Boden seines Zimmers ein kleines Fläschchen, das orientalisch anmutete. Etwas so Geschmackloses konnte nur ein Abschiedsgeschenk seiner Tante sein.

Grob packte er das Fläschchen und wollte es an die Wand schleudern, es zerschellen sehen, doch die Kraft verließ ihn.

Er sackte in sich zusammen und wollte sterben. Nein, er wollte nicht mehr existieren.

Er wünschte sich, nicht länger er zu sein!

Hilflose Schluchzer entrangen sich seiner Kehle. Wieso konnte er nicht einfach anders sein? Nicht wie er!

Die völlige Ohnmacht ließ seinen gesamten Körper erbeben. Dass er noch immer das kleine Glasfläschchen in Händen hielt, hatte keinerlei Bedeutung für ihn. Der Schleier der Verzweiflung vernebelte seine Sinne.

 

Als Erik die Augen wieder öffnete, fand er sich in der Schule wieder.

Verwirrt fasste er sich an den Kopf. Er konnte sich nicht an den Morgen erinnern oder wie er hier hergekommen war. Auch hatte er seine Kuriertasche nicht um und trug keine Jacke.

Ein jähes Schaudern erfasste ihn, automatisch drehte er sich um und erstarrte.

Ein junger Mann mit schwarzen Haaren und stechend blaugrünen Augen in einer Lederjacke, eine Kuriertasche um die rechte Schulter, kam auf ihn zu. Das war – er!

Sein Doppelgänger schien ihn gar nicht erst wahrzunehmen. Ungebremst lief er auf ihn zu. Vor Schock war Erik nicht fähig, sich zu bewegen. Das war auch gar nicht nötig.

Der Schwarzhaarige lief durch ihn hindurch, als bestünde er nur aus Luft.

Erik wurde panisch und starrte seine Hände an. Wieder zitterte er.

Das konnte nicht wahr sein, das durfte nicht wahr sein.

Für weitere Momente stand er so da, von der ganzen Situation überfordert. Dann blickte er wieder auf und erkannte Vitali. Sein lockerer Gang, die eher schlaksige Statur.

Ehe Erik sich versah, war er auf ihn zu gerannt. Doch Vitali nahm keine Notiz von ihm, er gähnte herzhaft, so wie er es häufig montagmorgens tat.

Erik wich aus. Auf eine Wiederholung der verstörenden Erfahrung, dass man durch ihn hindurchgehen konnte, wollte er verzichten.

Da er nicht wusste, was er anderes tun sollte, folgte er Vitali ins Klassenzimmer.

„Jo.“, gab Vitali von sich. Das war seine Art, ihn zu grüßen, wenn er eigentlich zu müde dazu war.

Sein Doppelgänger wandte sich halb zu Vitali und schaute, als wäre es unter seiner Würde, mit jemandem wie ihm auch nur ein Wort zu wechseln.

Vitali ließ sich davon nicht beirren. „Mi’m falschen Fuß aufgestanden?“

Der Doppelgänger drehte sich von ihm weg.

„Ey.“ Vitali boxte ihm freundschaftlich gegen den Oberarm.

Der falsche Erik warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Hast du deine Tage oder was?“, fragte Vitali verständnislos.

In diesem Moment hörte Erik hinter sich Arianes Stimme.

„Guten Morgen.“, sagte sie freundlich wie immer, während Serena schweigend mit ihr das Zimmer betrat.

„Erik hat seine Tage.“, antwortete Vitali leichthin.

Serena zischte. „Wahrscheinlich hält er bloß dein blödes Geschwätz nicht mehr aus.“

Vitali wandte sich zurück an den Doppelgänger und grinste. „Hey, euer Zyklus ist synchron!“

Serena kreischte: „Halt die Klappe!“

„Was kann ich dafür, dass ihr schlechte Laune habt?“, meinte Vitali.

„Sie wäre weniger schlecht, wenn du still wärst!“, gab Serena zurück.

„Ach Quatsch.“, dementierte Vitali. „Ich bin das einzige, das euch aufheitert.“ Er grinste breit.

Ariane konnte ihre Belustigung nicht verstecken.

Geräuschvoll schob der Doppelgänger seinen Stuhl zurück, packte seine Jacke und die Tasche und ging zu einem freien Platz in der letzten Reihe.

Vitalis Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er damit nun wirklich nicht gerechnet hatte, auch Ariane und Serena wirkten davon völlig aus dem Konzept gebracht.

Vitali versuchte mimisch von Ariane zu erfahren, was vor sich ging, doch sie war offensichtlich genauso überfragt, während sich Sorge auf Serenas Gesicht breit machte.

Vivien und Justin trafen im Klassenzimmer ein.

„Hi!“, rief Vivien, doch sobald sie die Gesichter der anderen sah und Eriks freien Platz neben Vitali bemerkte, änderte sich ihr Gesichtsausdruck.

Ariane deutete möglichst vorsichtig nach hinten, wo der Doppelgänger Platz genommen hatte.

„Was ist passiert?“, fragte Justin möglichst leise.

Ariane schüttelte den Kopf, um anzudeuten, dass sie das selbst nicht wusste.

Im gleichen Moment löste sich Vivien von ihnen und lief schnurstracks zu dem Doppelgänger. Erik folgte ihr.

„Hi.“, grüßte sie.

Der Doppelgänger ignorierte sie.

„Es ist okay, wenn du Abstand brauchst. Wir sind für dich da, sobald du es willst.“ Mit diesen Worten ging Vivien zurück zu den anderen. Erik tat es ihr gleich.

„Was hast du ihm gesagt?“, flüsterte Ariane.

Vivien lächelte. „Dass wir für ihn da sind, wenn er dafür bereit ist.“

An Arianes zweifelndem Gesichtsausdruck war abzulesen, dass sie sich davon keine großen Erfolgschancen versprach.

Herr Mayer, ihr Wirtschafts- und Klassenlehrer, betrat den Raum und wies sie dazu an, ihre Plätze einzunehmen. Auch ihm entging der leere Platz neben Vitali nicht.

„Ist Erik krank?“

Beleidigt verzog Vitali das Gesicht, er hatte offenbar keine Lust, den Lehrer darauf hinzuweisen, dass der vermeintliche Erik sich nach hinten verzogen hatte.

Erik konnte sehen, dass sein Doppelgänger die Hand hob und damit auf sich aufmerksam machte.

„Habt ihr euch gestritten?“, fragte Herr Mayer frei heraus und deutlich irritiert.

Vitalis Mund formte sich noch mehr zu einem Schmollmund.

Herr Mayer seufzte und ließ die Sache auf sich beruhen.

In Ermangelung einer besseren Alternative nahm Erik seinen üblichen Platz neben Vitali ein.

Die ganze Situation war noch immer zu viel für ihn. Und zum allerersten Mal sehnte er sich danach, dass andere ihn berühren konnten.

Die Wirtschafts-Doppelstunde nutzte er dazu, die anderen fünf zu beobachten. Zu gerne hätte er Vitali bei seinen Verständnisproblemen geholfen. Vitali war immer schnell im Begreifen, es brauchte nur einen kleinen Stupser in die richtige Richtung, doch unsichtbar und lautlos wie er war, konnte er ihm den nicht geben.

Dafür konnte er ohne Probleme aufstehen und sich zu den anderen stellen.

Ariane lugte immer wieder zu seinem Doppelgänger nach hinten. Es war offensichtlich, dass sie die ganze Sache sehr mitnahm.

Er hätte ihr gerne versichert, dass – Er wusste nicht was.

Ein stummer Seufzer entfuhr ihm.

Was sollte er nur tun?

Er ging zurück an seinen Platz und bettete den Kopf auf die Tischplatte, etwas, das er sich sonst nie erlaubt hätte. Die Hoffnung, dass er vielleicht einfach einschlafen und dann in seinem Bett erwachen würde, kam in ihm auf. Doch als die Schulglocke die erste fünfzehn Minuten Pause einläutete, war er noch immer da, unsichtbar.

Sobald Herr Mayer den Raum verlassen hatte, stand Ariane auf.

Erhobenen Hauptes lief sie nach hinten, wo sich der Doppelgänger hingesetzt hatte. Erik sah ihr an, wie viel Überwindung sie das kostete. Sie war eigentlich viel zu stolz, um ihm hinterherzulaufen. Dass sie sich dennoch dazu genötigt sah, schmerzte ihn irgendwie.

Seine Rechte ballte sich zur Faust. Am liebsten hätte er diesen Doppelgänger dafür bestraft. Stattdessen erhob er sich, um aus nächster Nähe zu erfahren, was Ariane vorhatte.

„Können wir … reden?“, fragte sie leise.

Dass die Blicke der ganzen Klasse auf sie gerichtet waren, machte es ihr noch schwerer, da war Erik sich sicher. Bestimmt würde sofort das Gerücht umgehen, dass sie ihm ein Liebesgeständnis machen wollte.

Schon allein weil sie sich dem aussetzte, hätte er ihr diesen Gefallen getan, egal wie wütend er gewesen wäre.

„Ich sehe keinen Grund dafür.“, sagte dagegen der Doppelgänger kalt.

Erik entging nicht, wie getroffen Ariane von den Worten war.

Kurz wurde ihr Atem schwer, dann wandte sie sich um und ging von ihm weg. Erik konnte an der Beherrschtheit ihrer Schritte erkennen, wie aufgewühlt sie war. Anstatt sich zurück an ihren Platz zu setzen, ging sie aus dem Klassenzimmer. Er blieb an ihrer Seite, beobachtete ihre Mimik.

Er glaubte, verstehen zu können, dass sie nicht wusste, wohin mit ihren Gefühlen, die sie nicht in der Öffentlichkeit zeigen konnte. Er kannte diesen Schmerz nur allzu gut.

Kurz verspürte er den Impuls, sie am Arm zu berühren, stoppte sich aber noch rechtzeitig. Er konnte sich das nicht länger ansehen.

Schnellen Schrittes ging er zurück ins Klassenzimmer.

Er sah, dass Serena besorgt war, nun auch um Ariane. Dagegen wirkte Vitali, als würde er gleich platzen.

Vitali sprang von seinem Sitzplatz auf, er machte sich nicht die Mühe, zu dem Doppelgänger nach hinten zu gehen.

„Was ist dein verdammtes Problem?!“, brüllte er.

Der Doppelgänger ignorierte ihn, als hätte er gar nicht mitbekommen, dass er gemeint war.

„Vitali.“, sagte Justin tadelnd, in einem Versuch, ihn zur Vernunft zu bringen.

„Ich will wissen, was das soll!“, schrie Vitali nun Justin an.

„Was is’n los?“, mischte sich Erkan, der Klassensprecher, ein. „Ehekrise?“

Vitali schnaubte und flüchtete aus dem Klassenzimmer.

Erik sah, dass Serenas Verzweiflung wuchs. Hilflos drehte sie sich zu Vivien. Dann stand sie auf und folgte Vitali nach.

Derweil ergriff Erkan nochmals das Wort. „Hey, was is’n mit dir und deiner Sippe?“

Die anderen Klassenkameraden warteten ebenso gespannt auf die Antwort des Doppelgängers.

Der Doppelgänger stand auf. Ohne zu antworten, verließ er ebenfalls das Klassenzimmer. Im gleichen Moment sprang Vivien auf und eilte ihm nach. Justin zögerte.

„Hey Justin, was geht bei euch?“, wurde nun er von Erkan gefragt.

Erik wartete Justins Antwort nicht ab, sondern rannte Vivien nach.

„Erik!“, schrie Vivien.

Der Doppelgänger blieb im Gang stehen.

Vivien hastete an seine Seite. „Ich will nur verstehen, warum du wütend bist.“

„Ich bin nicht wütend.“, sagte der Doppelgänger kalt. „Es ist unnötig, Zeit mit euch zu verbringen.“

„Unnötig?“

„Ich wechsle zurück aufs Internat.“

Erik glaubte, sich verhört zu haben.

„Wenn dich das glücklich macht.“, antwortete Vivien und Erik wusste, dass sie das sagte, um ihn wütend zu machen. Sie war gut genug darin, andere zu durchschauen, um zu wissen, dass eine Rückkehr aufs Internat einer Niederlage gleichkam.

Der Doppelgänger antwortete nicht.

„Dein Vater wird sich freuen!“, rief sie euphorisch aus. Erik hätte sie dafür angeschrien, doch seinen Doppelgänger ließen die Worte kalt.

Dann bemerkte Erik, dass Justin ebenfalls in den Gang getreten war.

„Was ist los?“, fragte er besorgt.

Vivien wandte sich strahlend zu ihm. „Erik geht zurück aufs Internat. Und weil er uns nicht das Herz brechen wollte, dachte er, es wäre besser, auf Abstand zu gehen.“

Der kalte Blick des Doppelgängers traf Vivien. „Ihr spielt nicht in meiner Liga.“

„Ach, ich kann überall spielen.“, entgegnete Vivien überzeugt.

Die Augen des Doppelgängers verengten sich. „Hör zu. Was auch immer du dir einredest, ihr werdet nie gut genug für mich sein.“

Justin trafen die Worte sichtlich. Vivien dagegen blieb gelassen.

„Ich hatte nicht den Anspruch, gut genug zu sein.“

Justin trat heran und griff nach ihrem Arm. „Vivien.“

„Gib dich mit deinesgleichen ab.“, sagte der Doppelgänger hart und warf Justin einen abschätzigen Blick zu.

Justins Gesichtsausdruck wurde hart. „Was auch immer mit dir los ist, so kannst du nicht mit ihr reden.“

Der Doppelgänger schnaubte verächtlich. „Glaubst du, wenn du sie verteidigst, entwickelt sie plötzlich Gefühle für dich?“

Schock und Schmerz traten in Justins Gesicht, hastig ließ er von Vivien ab. 

Erik spürte Wut, wusste er doch, dass Justin sich ständig ausredete, dass Vivien mehr als nur einen guten Freund in ihm sah. Dann fiel sein Blick auf Vivien.

So sehr sie eben noch gelächelt und wie wenig sie auf die Worte seines Doppelgängers gegeben hatte, der Angriff auf Justin hatte etwas in ihr ausgelöst.

„Es reicht.“, sagte sie ernst.

„Auf einmal?“, spottete Eriks Doppelgänger.

„Wenn du uns wehtun willst, um uns fernzuhalten, verletzt du damit am meisten dich selbst.“

Der Doppelgänger stieß ein belustigtes Geräusch aus und trat einen Schritt auf Vivien zu. Von oben herab sah er sie an. „Zu drollig, wie du dir einredest, dass die Leute dich nicht einfach nur nervig finden. Dabei kennst du doch die Wahrheit.“

„Hör auf!“ Erst als er seine eigene Stimme wahrnahm, bemerkte Erik, dass er schrie, auch wenn es niemand hören konnte.

Ein Blick auf Vivien bestätigte nur, was er bereits wusste. Die Worte des Doppelgängers hatten ihr Inneres in Stücke geschlagen.

Hass packte Erik.

Vivien und die anderen, jeder von ihnen, sie alle waren seine F-

Er konnte das Wort nicht einmal gedanklich aussprechen. Doch die Feuchtigkeit, die sich in seinen Augen sammelte, machte ihm klar, wie emotional er war.

Er wollte das nicht. Er wollte nicht, dass ihnen wehgetan wurde.

Wieso konnten sie ihn nicht einfach ignorieren? Wieso mussten sie sich von seinem Doppelgänger verletzen lassen? Wieso?!

Er ballte die Hände zu Fäusten und wurde von stummen Schluchzern geschüttelt.

Er wusste, wieso.

Tränen lösten sich aus seinen Augen.

Sie waren seine Familie.

Er wollte bei ihnen sein!

Das war doch alles, was er sich wünschte!

Eine seltsame Taubheit ermächtigte sich seiner, als würden Nebelschwaden sein Denken erschweren. Müdigkeit und Erschöpfung drückten auf seinen Kopf. Ihm war, als würde er hinfortgerissen werden.

 

Erik rang nach Atem, er spürte, dass er am Boden kauerte. Der Schwindel ließ nach.

Verwirrt schlug er die Augen auf und fand sich in seinem Zimmer wieder.

War das eine Wahnvorstellung gewesen?

In seiner Linken bemerkte er das fremdartige Fläschchen von zuvor. Überstürzt riss er sich davon los, als jage es ihm Angst ein.

Es war albern, aber was, wenn …

Der Wunsch, nicht er sein zu wollen, war dumm gewesen. In Wirklichkeit wollte er, dass ihm seine Identität nicht länger solche Schmerzen bereitete. Sein Blick fiel auf den großen Spiegel im hinteren Ende seines Zimmers. Er erhob sich.

Vivien und der Tod

Vivien fand sich auf einer von dunklen Nebeln umhüllten Ebene wieder, deren wahre Größe sie nicht erahnen konnte. In den Nebeln vor ihr stand ein Sensenmann.

Ob es sich tatsächlich um einen Sensenmann oder eine Sensenfrau handelte oder eine Mischung aus beidem konnte sie nicht sagen. Die schwarze Robe war ja nicht grade figurbetont und sie war die Letzte, die der Sensenperson vorschrieb, welchem Geschlecht sie sich zuordnen sollte. Sie hatte ohnehin größere Probleme.

Wie war sie hier gelandet und was war überhaupt passiert?

„Hast du vor, mich anzugreifen?“, fragte sie die Sensenperson. Es war besser, direkt zu wissen, was Sache war.

Eine tiefe Stimme, aus der viele zu sprechen schienen, ertönte: „Dafür gibt es keinen Grund.“

„Gut, dann sind wir uns ja einig.“, meinte Vivien. „Könntest du mir dann vielleicht sagen, wie ich hier rauskomme?“

„Folge mir.“ Sie merkte jetzt erst, dass die Sensenperson offenbar über dem Boden schwebte.

„Vitali, wenn das ein Scherz ist, …“, setzte sie an. „Dann ist er echt gut!“

„Ich bin nicht Vitali.“

„Ja, das würde er auch sagen.“

„Ich bin nicht Vitali.“, wiederholte die Sensenperson.

„Wer bist du dann?“

„Das weißt du.“

„Also jemand, den ich kenne!“

„Jeder kennt mich.“, antwortete die Sensenperson in ehrfurchtgebietendem Ton.

„Ja, mich auch.“, behauptete Vivien lächelnd.

„Das bezweifle ich.“, meinte die Sensenperson.

„Also ich kenne niemanden, der mich nicht kennt.“ Vivien grinste.

„Kannte.“, verbesserte die Sensenperson.

„Du meinst, du kennst mich nicht?“

„Ich kenne jeden.“

„Wow.“, sagte Vivien. „Ist das nicht anstrengend? Wie hältst du die alle auseinander?“

„Berufsgeheimnis.“

Vivien lachte. „Du bist witzig.“

Die Sensenperson starrte sie an. Okay, eigentlich konnte Vivien das nicht so genau sagen, schließlich verdeckte diese Kapuze das gesamte Gesicht. Aber sie nahm an, dass die Sensenperson sie anstarrte.

„Ist das so eine Nahtoderfahrung?“, fragte sie.

„Streiche das ‚Nah‘“

„Es ist eine Erfahrung!“, scherzte Vivien.

„Die letzte.“, stellte die Sensenperson klar.

„Also, ich glaube, da liegt eine Verwechslung vor.“

„Es gibt keine Verwechslungen.“

„Sagt wer?“

„Ich.“, verkündete die Sensenperson mit Nachdruck.

„Ich bin mir nicht sicher, wie viel ich auf dein Wort gebe.“

„Du bist ziemlich dreist.“

„Ja, das höre ich öfter.“ Vivien grinste.

„Ab jetzt nicht mehr.“

Vivien zuckte mit den Schultern. „Ich habe nicht vor, damit aufzuhören.“

„Deine Vorsätze sind nicht länger von Bedeutung.“, sagte die Sensenperson ernst.

„Also ich bin der Meinung, dass die immer von Bedeutung sind.“, widersprach Vivien.

„Du bist nicht die erste, bei der die Phase der Leugnung länger anhält.“

„Okay, sprechen wir Klartext.“, entschied Vivien. „Du deutest die ganze Zeit an, dass ich tot bin und ich deute die ganze Zeit an, dass ich es nicht bin. Hat einer von uns irgendwelche Beweise für seine Behauptung?“

Die Sensenperson hob gebieterisch ihren Arm und der Nebel zu ihrer Rechten wurde zu einer Art Leinwand umfunktioniert. Das Bild zeigte Viviens Freunde, die um ihren leblosen Körper knieten und bitterlich weinten.

Vivien wandte den Blick ab und musste sich kurz sammeln. Hände zu Fäusten ballen, Zähne zusammenbeißen, weitermachen. Wie immer.

„Fake News!“, rief sie. „Sowas kann heutzutage doch jeder fälschen! Serena könnte das auch. Das ist hier doch auch so eine Art Nebendimension. Vielleicht hast du einfach nur die gleiche Fähigkeit wie sie und willst mir einreden, ich sei tot, damit ich mit dir mitgehe.“

„Wir befinden uns hier in einem Raum jenseits der Zeit. Ganz gleich wie lange du leugnest, es wird nichts an dem Umstand ändern, dass deine Lebenszeit abgelaufen ist.“

„Wer bestimmt das?“, forderte sie zu wissen. „Ich verlange mit demjenigen zu sprechen! Ich habe noch eine ganze Liste an Dingen, die ich erleben muss, bevor ich gehe.“

„Und das wäre?“

„Nachdem ich Monate gebraucht habe, um mit Justin zusammenzukommen, kann ich nicht sterben, bevor wir nicht Sex hatten. Und so wie ich Justin kenne, könnte das noch Jahre dauern. Außerdem will ich sehen, wie Serena und Vitali und Erik und Ariane Pärchen werden. Mein Shipper-Herz verkraftet das nicht. Weißt du nicht, wie das ist, wenn man die ganze Zeit etwas verfolgt und will, dass bestimmte Personen endlich eine Beziehung eingehen und dann wird die Serie abgesetzt? Das geht so nicht. Ich will das gefälligst miterleben! Außerdem hab ich vor, mein Leben mit Justin und den anderen zu verbringen und zu sehen, wie meine Geschwister erwachsen werden. Und ich will Kinder mit Justin. Stell dir nur vor, das wäre eine absolute Verschwendung. Justins Kinder werden die süßesten auf der ganzen Welt und wenn ich jetzt einfach sterbe, dann – wer weiß, ob er dann überhaupt noch mal eine andere an sich ranlässt. Er ist so sensibel. Außerdem neigt Serena eh schon zu depressiven Verstimmungen. Ich kann nicht zulassen, dass sie komplett zusammenbricht, wenn ich nicht mehr da bin. Und überhaupt! Das kann ich keinem von ihnen antun! Ich habe Verantwortung zu tragen!“

„Das haben andere auch.“

Vivien stieß empört die Luft aus. „Ich möchte mit jemandem reden, mit dem ich hierüber verhandeln kann.“

„Man verhandelt nicht über seinen Tod.“

„Ich habe mich noch nie an Regeln gehalten.“, meinte Vivien nonchalant. „Also wo ist mein Ansprechpartner? Kann ich die Nummer der Service Hotline bekommen? Ich habe eine Beschwerde zu machen.“

„Keine Service Hotline. Kein Kundenservice.“

„Das gibt eine schlechte Google Bewertung.“

Die blöde Sensenperson ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen.

„Der Teufel!“, fiel es Vivien ein. „Der Teufel geht doch gerne Wetten ein. Also will ich mit dem Teufel sprechen, damit er mir ein Angebot unterbreiten kann.“

„So funktioniert das nicht.“

„Natürlich funktioniert das so!“, rief Vivien. „Du bist ja nur beleidigt, weil ich es herausgefunden habe.“

Die Sensenperson seufzte.

Das war ein gutes Zeichen! Einfach weiterreden und der Sensenperson den letzten Nerv rauben! Vielleicht gelang es ihr so, diesem Mist zu entkommen.

„Ich bin mir ohnehin sicher, dass der Teufel ein Interesse daran hat, dass ich leben bleibe. Ich meine, ich habe mir vorgenommen, den unschuldigsten Jungen überhaupt zu verführen, ich manipuliere grundsätzlich jeden in meiner Umgebung und ich bin wirklich gut darin.“ Sie blinzelte ihr Gegenüber unschuldig an.

„Es gibt keinen Teufel.“, sagte die Sensenperson unbeeindruckt.

„Das würde ich an deiner Stelle jetzt auch behaupten. Überhaupt könnte das alles nur ein Trick sein. Vielleicht bist du nur ein Lichtloser, der mir etwas vorgaukelt. Genau. Oder es ist wieder eine Wahnvorstellung der Allpträume. Wieso diskutiere ich überhaupt mit dir?“

Vivien wandte sich um und versuchte einen Weg durch die Nebel zu finden. Doch als sie durch die erste Nebelbank hindurchgetreten war, stand schon wieder die Sensenperson vor ihr. Sie machte kehrt und versuchte ihr Glück an einer anderen Stelle. Gleiches Ergebnis.

„Es gibt kein Entkommen von diesem Ort.“, verkündete die Sensenperson.

„Blabla.“, sagte Vivien. „Natürlich! Wenn das der Trick eines Lichtlosen ist, kann ich nicht von hier entkommen. Ich muss irgendwie mit den anderen Kontakt aufnehmen.“ Sie hob den Kopf und rief in die Höhe. „Ewigkeit! Ewigkeeeeeiit!!!“

„Hier kann dich niemand hören.“, sprach die Sensenperson.

Ein kleines weißes Licht erschien neben Vivien.

„Ewigkeit!“ Sie fischte das Schmetterlingsmädchen aus der Luft und drückte es gegen ihre Wange.

Du zerdrückst mich.“, klagte die Kleine.

Vivien ließ sie los und wischte sich die Tränen aus den Augen.

Was hast du?“, fragte Ewigkeit, dann entdeckte sie die Sensenperson.

Etwas ging in Ewigkeits Blick vor. Eine Veränderung, die Vivien schon so lange nicht mehr gesehen hatte.

„Hab keine Angst.“, sagte die melodische Frauenstimme, von der sie geglaubt hatte, sie nie wieder hören zu können.

„Eternity…“ Weitere Tränen trübten Viviens Blick. Nachdem sie Ewigkeit fast getötet hatten, war ihre zweite Stimme nicht mehr aufgetaucht.

Das hatte nur bedeuten können, dass sie dem damaligen Angriff nicht hatte entkommen können. Zumindest hatte Vivien das bisher angenommen.

Eternitys Blick war sanft. Es lag kein Groll darin. „Ich kümmere mich darum. Schließ die Augen.“

Vivien war sich unsicher, ob sie dem Folge leisten sollte. Sie fürchtete sich davor, nichts mehr zu sehen.

„Vertrau mir.“

Vivien schniefte und nickte. Hinter ihren geschlossenen Lidern konnte sie weiterhin Eternitys Leuchten wahrnehmen.

„Es ist nicht ihre Zeit.“, sprach Eternity salbungsvoll.

„Du hast das nicht zu entscheiden.“ Mit geschlossenen Augen wirkte die mächtige Stimme des Todes noch angsteinflößender.

Eternity klang unbeeindruckt, fast als wäre sie es gewöhnt, mit dem Tod zu sprechen. „Genauso wenig wie du.“ Ihre Stimme war fest. „Du folgst dem Leben.“

„Du weißt, was es bedeutet, den Fluss zu unterbrechen.“, gemahnte der Tod.

Vivien war verwirrt. Kannte Eternity tatsächlich den Tod? War sie ihm damals ebenfalls begegnet?

„Das weiß ich besser als jeder andere.“, antwortete Eternity. „Und du weißt, welche Entscheidung ich treffen würde, wenn es in meiner Macht stünde. Doch sie ist eine derjenigen, die dazu beiträgt, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Das liegt in unser aller Interesse.“

Es war befremdlich, Eternity sprechen zu hören, als wäre sie ebenso mächtig wie der Tod. Oder hatte sie einfach keine Angst vor ihm?

„So einfach ist es nicht.“, widersprach der Tod.

„Doch, so einfach ist es. Du brauchst sie nicht schonen. Sie wird den Schmerz des Lebens ertragen.“

„Sie wird es bereuen.“

Vivien spürte den Stich der Angst.

„Das tun Menschen nunmal.“, sagte Eternity hart.

„Du versagst ihr den Frieden. Ob sie dir diese Grausamkeit verzeiht?“

„Ich suche nicht nach Vergebung. Und ich bin nicht so gnädig wie du.“

Irgendwie klang das beängstigend.

Ein Schnauben kam vom Tod. „Sie wollte mit dem Teufel verhandeln. Offenbar ist ihr das gelungen.“

„Hättest du ihr die Wahrheit gesagt, hätte sie den Weg alleine zurück gefunden.“, entgegnete Eternitys Stimme entschieden. „Jeder Mensch ist sein eigener Teufel.“

Das war das letzte, das Vivien hörte.

Ein übermächtiger Schwindel erfasste sie. Ihre Sinne schwanden, ohne dass sie sich noch dagegen hätte wehren können. Die Erinnerungen entflohen ihr. Sie versuchte nochmals die Augen zu öffnen und glaubte schemenhaft eine leuchtende Frauengestalt zu erkennen. Dann war alles verschwunden.

 

Schmerz. Sie stieß einen Laut des Leids aus.

„Vivien!“

So sehr sie Justins Stimme liebte, das war verdammt laut.

Sie hörte den Lärm der andere, die plötzlich auch auf die Idee kamen, sie anzuschreien. Musste das sein?

„Hey Verlangen, du solltest sie heilen.“

Secret war offenbar auch da. Er war der einzige, der es wagte, sich über Arianes Beschützernamen lustig zu machen. Vivien wollte grinsen, aber ihr tat alles weh.

Dann spürte sie, wie von ihren Beinen aus die beruhigende Energie von Arianes Heilungskräften auf sie über ging.

Gott sei Dank. Das war echt unerträglich gewesen.

Nun begriff sie auch, dass sie in Justins Armen liegen musste, sie konnte seinen Geruch wahrnehmen und seinen festen Griff. Serena schluchzte neben ihr lautstark.

Schwerfällig öffnete Vivien die Augen, um die anderen zu beruhigen, dass sie nicht tot war. Sofort bereute sie es und kniff sie wieder zu. Das war so anstrengend. Sie war nicht mal in der Lage, es zu genießen, dass Justin sie festhielt.

Etwas Helles erschien vor ihr. Nochmals startete sie den Versuch, etwas zu sehen.

Ewigkeit schwebte vor ihr und lächelte sie freudig an.

Vivien atmete erleichtert auf und wusste im gleichen Moment, dass alles gut werden würde.

Vitali und die Wahrheit

Als Vitali an diesem Morgen erwachte, hatte er bereits eine seltsame Ahnung, dass etwas nicht stimmte.

Und das lag nicht daran, dass er heute mit seiner Familie zu der Geburtstagsfeier seiner verhassten Großmutter fahren musste. Es hatte nicht mal etwas damit zu tun, dass – aufgrund der akuten Gefahr der noch freien Plagen – entschieden worden war, dass Serena ihn begleiten sollte. Irgendeinen Freund als Unterstützung auf die Familienfeier mitzunehmen, hätte sein Vater nicht erlaubt. Doch da Vitalis Mutter eh dauernd so tat, als wären Serena und er ein Paar, war Vivien die Idee gekommen, dass sie das für sich nutzen sollten. Es war schließlich völlig normal, seiner festen Freundin die restliche Familie vorstellen zu wollen. Das hieß jedoch, dass Serena und er den ganzen Tag so tun mussten, als wären sie wirklich zusammen.

Was das Problem war, das selbst diese Herausforderungen in den Schatten stellte, begriff Vitali erst, als seine Mutter ihn mit seiner nun endlich offiziellen Beziehung zu Serena aufzog.

„Sie geht nur wegen den Plagen mit, nicht wegen mir.“ Er stockte.

Seine Mutter sah ihn irritiert an.

Er wollte hastig eine Ausrede finden, was er damit gemeint hatte, aber sein Mund ließ es nicht zu, dass er irgendetwas Erfundenes aussprach.

„Plagen?“

„So Dinger, die einen besetzen und einen seltsame Dinge tun lassen.“, erklärte er, ohne es zu wollen.

„Nicht heute, Vitali.“, brummte seine Mutter. „Du weißt, wie deine Oma auf solche Scherze reagiert. Du musst es nicht auch noch darauf anlegen, dass sie dir wieder etwas unterstellt.“

„Sie hasst mich!“, schrie Vitali und ärgerte sich, dass es ihm nicht mal gelang, die Worte einfach zu unterdrücken.

„Vitali.“, sagte seine Mutter drängend. „Es ist nur ein Tag.“

Vitali biss die Zähne zusammen, wirbelte herum und ging zurück in das Zimmer von ihm und seinem Bruder.

Sein jüngerer Bruder Viktor, Vicki genannt, hatte bereits seinen feinen Sonntagsanzug herausgeholt.

Vitali versuchte zu fluchen, aber nicht mal das wollte ihm gelingen.

„Was ist los?“, fragte Vicki verwundert.

„Ich kann nicht lügen!“, schrie Vitali. „Ich kann nicht mal NICHT sagen, was ich denke!“

Vicki schien nicht zu begreifen.

„Frag mich irgendwas, was ich dir sonst nie sagen würde!“

„Hast du damals mein ferngesteuertes Auto kaputt gemacht?“

„Es war ein Versehen!“, rief Vitali.

Vicki wirkte noch nicht überzeugt. „Bist du in Serena verliebt?“

Warum ausgerechnet diese Frage!

„Ja!“, schoss es aus Vitalis Mund.

„Du kannst echt nicht lügen.“, stellte Vicki fassungslos fest.

„Wehe du fragst mich noch so was!“, beschwerte sich Vitali.

„Was machst du, wenn ich es tue?“, fragte Vicki gespannt.

„Gar nichts.“, gestand Vitali. „Aber es verletzt mich, wenn du das ausnutzt.“

„Tut mir leid.“, sagte Vicki kleinlaut.

Vitali stöhnte. „Ich kann so auf keinen Fall –“ Verdammt, er konnte nicht mal eine solche Behauptung aufstellen! „Wenn ich so mitgehe, dann –“

„Du sagst allen Verwandten, was du von ihnen denkst.“, beendete Vicki den Gedanken.

Vitali verzog das Gesicht. Verzweifelt hielt er sich den Kopf und verfluchte diesen Zustand.

„Ich will ster- leben. Aaaah! Das macht mich ver- Es macht gar nichts. Ich drehe –“

Das war definitiv die schrecklichste Plage von allen!

Halt! Wenn es eine Plage war, dann konnte man sie doch entfernen!

„Bist du sicher, dass du von einer Plage besessen bist?“, fragte Justin.

Vitali hatte sie alle zu einer Notsitzung einberufen und sie ins Hauptquartier teleportiert. Da Vivien und Justin heute auf Viviens Geschwister aufpassen sollten, war Ewigkeit zurückgeblieben, um den Job solange zu übernehmen.

„Nein.“, gestand Vitali. „Aber ich sage alles, was ich wirklich denke.“

„Tust du das nicht immer?“, fragte Ariane verwundert.

„Nein!“, rief Vitali.

„Es wirkt immer so.“, meinte Ariane.

„Ich sage nicht alles, was ich denke!“, stellte Vitali klar und forderte lautstark: „Mach was mit deinem Schutzschild, damit die Plage rausgeht!“

Erik stoppte ihn. „Wir müssen erst wissen, welche Welle die Plage auflösen kann.“

„Ich hab nicht so viel Zeit.“, drängte Vitali. „Die Familienfeier ist demnächst.“

Erik ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. „Also, du kannst nicht lügen.“

„Ich sage einfach direkt das, was ich wirklich denke, auch wenn ich es gar nicht sagen will.“, erklärte Vitali. „Und ich kann es nicht einfach zurückhalten, es kommt so aus meinem Mund geschossen!“

Erik wandte sich an Vivien. „Denkst du, du bekommst eine Welle hin, die so was wie Verstellung und Zurückhaltung beinhaltet.“

Vivien grinste, als wäre das ihr Spezialgebiet.

„Das heißt, ich soll direkt den Schutzschild benutzen?“, fragte Ariane nochmals in die Runde.

„Ja!“, rief Vitali.

Justin nickte bestätigend.

Ariane ließ ihrer Körperoberfläche ihren Schild entspringen. Ohne Weiteres ließ er Vitali passieren. Doch im Gegensatz zu dem Mal, als Serena besessen gewesen war, zeigte sich nicht plötzlich jenseits des Schilds eine Plage.

„Wieso geht es nicht?“, schrie Vitali.

„Ich weiß nicht.“, sagte Ariane und löste den Schild auf.

„Vielleicht ist jede Plage anders.“, überlegte Justin laut.

„Macht, dass sie rausgeht.“, flehte Vitali.

Ariane trat heran, um es mit ihren Läuterungsfähigkeiten zu versuchen.

„Hat es gewirkt?“, fragte sie.

„Keine Ahnung.“, antwortete Vitali. „Frag mich was.“

Vivien kam herbeigesprungen. „Darf ich?“ Ihre Augen funkelten vor Neugier.

„Du willst mir nur eine superpeinliche Frage stellen, die ich dir sonst nie beantworten würde! Und dann will ich im Erdboden versinken.“

Vivien drehte sich zu Ariane. „Es hat wohl nicht geholfen.“

Ariane schüttelte den Kopf.

„Tut doch was!“, bettelte Vitali. „Wenn ich meine Oma treffe, sage ich ihr sonst alles, was ich über sie denke!“

„Und was denkst du über sie?“, wollte Vivien wissen.

„Sie hasst mich! Sie hat mich schon immer gehasst. Mich und meine Mutter. Und sie hat jede Gelegenheit genutzt, um mich als Lügner hinzustellen. Dabei hat sie gelogen!“ Vitali spürte, wie bei der Erinnerung die Tränen in ihm hochkamen.

Vivien berührte ihn am Arm und er spürte, wie eine andere Emotion auf ihn überging. Er begriff, dass sie ihm ein Gefühl von sich übertrug, um ihn zu beruhigen. Vielleicht weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, ihm die Frage gestellt zu haben.

Serena mischte sich ein. „Sag deiner Mutter einfach, dass du zu Hause bleibst.“

„Das – Mein Vater verlangt, dass wir zum Geburtstag seiner Mutter alle mitgehen. Ihm ist völlig egal, ob ich das will oder nicht.“

„Dann tu so, als wärst du krank.“, entgegnete Serena.

„Was an ‚Ich kann nur die Wahrheit sagen‘ hast du nicht verstanden?“

„Du musst ja nicht sagen, du bist krank, sondern nur so tun.“

„Ich kann nicht.“, erwiderte Vitali hilflos. „Ich kann nicht mal irgendwas tun, das nicht ehrlich ist.“ Er bedeckte seine Augen mit den Händen.

Ariane versuchte nochmals, ihn zu beruhigen. „Aber du bist doch allgemein immer ehrlich.“

„Mann, ich sag nicht immer alles, was ich denke! Normalerweise stelle ich mich doof, wenn ich auf was nicht reagieren will. Und weil mich eh alle für dumm halten, kaufen sie mir das auch ab.“

Ariane starrte ihn an.

Vitali konnte nicht fassen, dass er das gerade verraten hatte!

Vivien scherzte. „Vielleicht könnte dich Serena paralysieren. Wenn du bewegungsunfähig im Bett liegst, dann kannst du definitiv nicht mit.“

„Dann bringen sie mich ins Krankenhaus! Und nur Ariane kann die Paralyse aufheben. Die bringen mich noch auf die Intensivstation und da dürfen nur Familienangehörige hin!“

„Ja, das ist ein Problem.“, stimmte Vivien zu.

„Und wenn Serena dich einschlafen lässt?“, schlug Ariane vor. „Sie sollte doch eh mit dir auf diese Geburtstagsfeier.“

„Du meinst, es ist besser, ich penne mitten im Restaurant ein, als dass ich meiner Verwandtschaft die Meinung sage?“

Ariane schaute, als könne sie das nicht beantworten.

Vitali seufzte. „Mein Vater wird wieder schimpfen und sich für mich schämen. So wie immer.“ Er verzog den Mund. Warum musste er das nur laut aussprechen?

Erik erhob die Stimme. „Du musst wegen deinem Vater mit auf diese Feier, aber wegen deinem Vater kannst du nicht mit auf die Feier, weil er wütend wird, wenn du irgendwem sagst, das du wirklich denkst.“

„Ja.“, bestätigte Vitali. „Wenn ich meiner Oma oder irgendwem von seinen Verwandten sage, was ich von ihnen halte, dann hab ich Hausarrest bis ich 18 bin und kriege kein Taschengeld mehr.“

Erik wandte sich an Serena. „Kriegst du es hin, dass er nicht ins Gespräch mit jemandem kommt?“

„Wie soll ich das denn machen?“, rief Serena.

„Ihr seid da als Pärchen. Du musst einfach so tun, als würdest du seine gesamte Aufmerksamkeit beanspruchen.“

„Er kann sich nicht zurückhalten!“, erinnerte Serena. „Egal was ich mache, er wird jedem sagen, was er denkt, wenn derjenige nur vorbei läuft.“

Vivien grinste über das ganze Gesicht. „Du könntest ihn jedes Mal küssen, dann kann er nicht reden.“ Sie lachte hämisch.

„Halt die Klappe!“, kreischte Serena.

„Erik, Vivien, kann ich mit euch reden?“, bat Vitali hektisch.

Ohne auf ihre Antwort zu warten, lief er in den Trainingsbereich. Die beiden folgten ihm.

Obwohl es auszuschließen war, dass die anderen vom Aufenthaltsraum aus hören konnten, was er hier zu Vivien und Erik sagte, flüsterte er.

„Ihr könnt mich nicht –“ Wieder dieses Phänomen, dass er nichts aussprechen konnte, das offensichtlich nicht den Tatsachen entsprach. „Lasst mich nicht mit Tiny alleine!“

Vivien grinste. „Hast du Angst, ihr deine Liebe zu gestehen?“

„Ja!“ Er warf seinen Kopf in den Nacken und flehte inständig, dass diese Wahrheitssache endlich aufhörte.

Erik atmete geräuschvoll aus. „Sie weiß jetzt, dass du nur die Wahrheit sagen kannst, wäre das nicht eine gute Chance, es zu tun?“

„Bist du – Ich kann das n- Aaah! Ich hab Angst!“

„Wovor?“, fragte Vivien interessiert.

Warum ausgerechnet diese Frage?! „Dass –“ Kurz hielt Vitali inne, weil sein Inneres erst die wahre Antwort finden musste. „Wenn ich ihr das sage, dann gibt es kein Zurück. Ich kann das nicht rückgängig machen.“

„Wieso solltest du es rückgängig machen wollen?“, fragte Vivien weiter.

„Weil ich denke, dass sie was anderes will.“ Vitali zog den Kopf ein.

„Was meinst du?“

Konnte Vivien nicht aufhören, solche Fragen zu stellen?

„Sie wünscht sich jemanden, der sie versteht und einfühlsam ist und so was wie in nem Disney-Film. Die große Liebe. Das –“ Betrübt sah er auf. „Ich bin kein Disney Prinz.“

Vivien wirkte vergnügt. „Du könntest Aladdin sein, nur brauchst du keinen Teppich zum Fliegen.“

„Das ist nicht – Ich –“ Vitali seufzte. „Ich hab Angst, dass sie mir das Herz bricht.“ Es war unerträglich, sich das eingestehen zu müssen.

„Oh, das ist so süß!“, jauchzte Vivien. „Ihr habt beide Angst, dass der andere euch gar nicht wirklich mag, dabei seid ihr beide so ineinander verliebt.“

„Sie ist nicht – Woher willst du wissen, dass sie in mich verliebt ist?“

Vivien kicherte, als wäre das eine urkomische Frage.

Vitali sah hilfesuchend zu Erik, dann senkte er frustriert das Haupt. Die Worte kamen unwillkürlich. „Du würdest besser zu ihr passen.“

Nun lachte Vivien lautstark.

„Was ist daran so lustig?“, verlangte Vitali zu erfahren.

„Dass du Serenas Männergeschmack total falsch einschätzt.“

„Mann! Erik ist supergutaussehend, intelligent, einfühlsam, sexy, stark und versteht sie ohne Worte! Wie soll ich dagegen ankommen?“

Erik sah ihn ausdruckslos an.

„Oooh.“, flötete Vivien. „Wenn deine Liebeserklärung an sie halb so romantisch wird, wie die gerade an Erik.“

„Halt die – Es tut mir weh, dass du dich über mich lustig machst!“

Reue trat in Viviens Züge. „Tut mir leid.“

Vitali hielt sich den Kopf. „Könntest du Justin davon überzeugen, am Ende des Tages Serenas Erinnerungen zu löschen?“

Erik hob vielsagend die Augenbrauen. „Du weißt, dass er das niemals tun würde.“

„Ich bin geliefert.“

Erik holte Atem. „Nur zu deiner Info. Das, was du gerade über mich gesagt hast, sieht Serena in dir.“

„Ich verstehe sie nu-“ Vitali stockte. Er konnte das Wort nicht aussprechen. Hieß das etwa, dass er tatsächlich glaubte, sie ein bisschen zu verstehen?

„Du merkst das vielleicht nicht, aber du verstehst viele Seiten an ihr besser als ich.“, sagte Erik.

Vivien nickte.

Vitali sah von einem zum anderen. „Das hilft mir überhaupt n- Ich hab trotzdem Angst.“

„Was ist schlimmer, alleine auf die Familienfeier gehen oder Gefahr laufen, Serena deine Gefühle zu gestehen?“, fragte Erik.

Vitali musste darüber nachdenken. Es klang beides schlimm. „Kann nicht jemand anderes mitgehen?“

„Du kennst die Antwort.“, entgegnete Erik.

Vitali seufzte tief.

Erik stellte die nächste Frage. „Willst du, dass sie dich begleitet?“

„Ja.“, antwortete Vitali, ohne zu zögern. „Aber ich will allgemein, dass sie bei mir ist.“

Wie kam es, dass etwas sich viel heftiger anfühlte, wenn man es laut aussprach?

„Willst du, dass sie weiß, was du für sie fühlst?“

„Ja.“, gestand Vitali und sah seine Freunde leidend an.

„Dann hast du deine Antwort.“, meinte Erik.

 

******

 

 

Da er ehrlich mit Ja geantwortet hatte, als es darum ging, ob er neben Serena sitzen wolle, saß sie zwischen ihm und seinem Bruder auf der Rückbank. Die Fahrt dauerte eine halbe Stunde, dann kamen sie an dem gutbürgerlichen Gasthof in ländlicher Umgebung an, in dem die Familienfeier stattfand.

Seine gesamte Verwandtschaft väterlicherseits war bereits anwesend.

Die drei jüngeren Geschwister seines Vaters, ein Bruder und zwei Schwestern, waren allesamt studiert. Die unterschwelligen Sticheleien gegen den niedrigeren Bildungsstand seines Vaters hatte Vitali schon als Kind wahrzunehmen gelernt.

Vitalis Vater, Hermann Luft, hatte nach dem frühen Tod seines Vaters bereits in jungen Jahren viel und hart arbeiten müssen, um die Familie mit zu ernähren. Hermann hatte immer nur das gemacht, was von ihm verlangt worden war. Das einzige Mal, dass er sich gegen das entschieden hatte, was seine Mutter von ihm wollte, war als er Vitalis Mutter Irina geheiratet hatte.

In den Augen von Vitalis Großmutter war Irina nichts als ein freches Russenweib. Dabei war sie hier geboren worden und ihre Vorfahren stammten aus Deutschland. Natürlich hatte Großmutter Luft ihre wahren Gedanken nie offen ausgesprochen, zumindest nicht vor Vitalis Eltern. Als er klein gewesen war, hatte sie vor ihm dagegen keinen Hehl daraus gemacht, wie sie über seine Mutter dachte. Und als er seinen Eltern davon erzählt hatte, hatte diese Hexe alles abgestritten und ihn als Lügner hingestellt. Auch wenn er davon ausging, dass seine Mutter eigentlich wusste, wie ihre Schwiegermutter zu ihr stand, hatte sie ihn damals nicht verteidigt. Noch heute schmerzte ihn diese Erinnerung.

Vitalis Blick erfasste weitere seiner Verwandten.

Achja, da waren sein Cousin, der so alt war wie er, und seine drei Jahre jüngere Kusine, beide natürlich auf dem Gymnasium. Er erinnerte sich noch, wie sehr sie ihm das ständig unter die Nase gerieben hatten, als er noch auf der Realschule gewesen war. Er war sich sicher, dass sie auch darüber, dass er nun auf dem Wirtschaftsgymnasium sein Abitur machen wollte, die Nase rümpften, denn ein berufliches Gymnasium konnte natürlich nicht mit einem normalen mithalten.

Wie er dieses bekloppte Snob-Denken verabscheute! Dabei wusste er ja, dass diese Ideen von seinem Onkel stammen mussten, dem Lieblingssohn seiner Großmutter, der studiert und eine anständige deutsche Frau geehelicht hatte, die auch brav arbeiten ging, im Gegensatz zu seiner Mutter, die ja nur Hausfrau war.

Er hasste es, hier gute Miene zum bösen Spiel machen zu müssen und zu wissen, dass seine Verwandtschaft doch eh nur darauf wartete, sich über ihn und seine Familie das Maul zu zerreißen.

Eine Berührung an seiner Hand ließ ihn zusammenschrecken. Er riss seinen Kopf zu Serena herum, die neben ihm stand.

Ihr besorgter Blick machte ihm klar, dass man ihm seine Gedanken wohl wieder hatte ansehen können. Eigentlich fand er es nicht schlimm, ein sprechendes Gesicht zu haben, aber in manchen Momenten war es störend.

Sein Vater schritt auf seinen Bruder zu und sie umarmten sich, tauschten nutzlose Floskeln aus.

„Wer ist das?“, flüsterte Serena ihm zu.

„Mein bekloppter Onkel, der meint, er wäre ach so toll.“, antwortete Vitali und konnte Serena ansehen, dass sie die Frage bereute.

„Vitali.“, zischte seine Mutter von vorne, musste sich aber bereits umdrehen, um freudestrahlend ihre Schwägerin zu begrüßen.

Vitali stöhnte.

Er spürte, wie Serena seine Hand ergriff. Fragend sah er sie an.

„Ich bin deine –“ Sie unterbrach sich kurz. „Partnerin.“

Vitali horchte auf. Das war nicht gelogen. Sie waren schließlich Beschützerpartner.

„Vitali!“, rief sein Onkel lautstark. Vitalis Hand entzog sich automatisch Serenas. „Du bist ja noch größer geworden! Aber du solltest mal etwas Sport machen, damit du nicht so ein Spargeltarzan bleibst.“ Sein Onkel boxte ihm gegen die Schulter und lachte laut.

Vitali war genervt davon, dass alle dauernd darauf rumreiten mussten, dass er nicht muskulös war. Doch ehe sich Worte in seinem Mund gebildet hatten, die er entgegnen konnte, brachte Serenas Stimme ihn aus dem Konzept.

„Er ist gut so wie er ist.“, verkündete sie bestimmt.

Fassungslos starrte er sie an. Ihr Blick war fest, ja regelrecht abweisend seinem Onkel gegenüber.

Sein Onkel schnaubte. „Ach du bist also Vitalis Freundin, die unbedingt mitkommen musste.“

„Ja.“, sagte Serena, ohne etwas an ihrem feindseligen Gesichtsausdruck zu ändern.

Vitali erkannte, dass sein Vater nicht begeistert von Serenas Verhalten war.

Sein Onkel sah von oben auf sie herab, zumindest versuchte er es. Bei Serenas Größe war das nicht sonderlich einfach, für jemanden, der ein ganzes Stück kleiner als Vitali war.

„Wie ich sehe, hat Vitali jemanden gefunden, der noch weniger Manieren hat als er.“

„Zumindest habe ich nicht weniger als Sie.“, zischte Serena.

Vitali konnte nicht anders, er musste grinsen. Er hatte Serenas Aufmüpfigkeit noch nie attraktiver gefunden als in diesem Moment.

„Vitali.“, brummte sein Vater erbost.

In diesem Moment ergossen sich die Worte aus Vitalis Innerem. „Selbst wenn ich Spitzensportler wäre und die höflichste Freundin aller Zeiten hätte, würdet ihr doch immer noch was finden, was euch an mir nicht passt. Also wozu mir die Mühe geben? Ihr könnt euren Schwanzvergleich ohne mich weitermachen.“

Er griff nach Serenas Hand und zog sie weiter in den Raum.

„Vitali!“, brüllte sein Vater.

Vitali blieb stehen und drehte sich zu seinem Vater um. Mit den Worten nahm auch seine Erregung zu. „Was? Ist es so schlimm, dass ich sage, was ich denke, im Gegensatz zu dir, der sich alles gefallen lässt und nicht mal den Mund aufkriegt, wenn seine Familie beleidigt wird? Als wären WIR ein Grund, sich zu schämen!“ Tränen hatten sich in seinen Augen gesammelt. „Ich bin nicht dafür da, damit du dich nicht länger unterlegen fühlst!“ Eine Träne löste sich aus Vitalis Augen. Er atmete schwer.

„Es reicht!“, donnerte eine resolute Frauenstimme und Vitali sah, dass seine Großmutter wutentbrannt zu ihm trat. „Du magst dich zu Hause so aufführen können, aber nicht hier! Man hätte dich früh genug Manieren lehren müssen!“

„Manieren!“, schrie Vitali. „Du hast meine Mutter noch nie mit Respekt behandelt! Du hast mich als Lügner beschimpft. Du hast dafür gesorgt, dass mein Vater mich geschlagen hat, für etwas, das ich nicht getan habe! Wenn hier jemand keine Manieren hat, dann bist das du!“, brüllte er. Vor lauter Tränen konnte er nichts mehr sehen.

„Raus!“, bellte seine Großmutter. „Raus! Und lass dich hier nie wieder blicken!“

Vitali liefen Tränen über die Wangen. „Ich war doch eh nie willkommen.“, spie er bitter aus. Er spürte, dass seine Hand sich viel zu fest um Serenas gekrampft hatte. Er ließ sie los, drehte sich um, erkannte den geschockten Blick seiner Mutter, das ängstliche Gesicht seines kleinen Bruders, der von der Situation völlig überfordert zu sein schien, und eilte hinaus.

Er rannte, raus, an die frische Luft und erbrach ein bitterliches Schluchzen, bedeckte sein Gesicht mit den Händen.

Er bekam kaum mit, wie jemand ihm folgte, doch wusste er, dass es Serena war, als die Person ihre Arme um ihn schlang.

Hilflos klammerte er sich an sie. Seine stummen Schluchzer brachten sein Inneres zum Beben. Er krümmte sich vor Leid. Seine Finger gruben sich in Serenas Jacke.

‚Die Wahrheit tut weh.‘

Eine fremdartige, dunkle Stimme erklang in Vitalis Gedanken. Er spürte, wie sich etwas aus seinem Körper löste, als hätten die Tränen ihm Bahn gebrochen.

Nach Luft schnappend ließ er Serena los, sah automatisch auf und entdeckte dort in der Luft schwebend etwas Fremdartiges.

Es sah aus wie ein im Wind wehendes Stück von etwas, das sich in fließenden Bewegungen erging. Wie ein seltsames Gespenst aus Licht und Dunkelheit.

Die Plage!

‚Plage.‘, schnaubte die dunkle Stimme in seinem Kopf, als hätte sie seine Gedanken gelesen. ‚Das einzige, was euch Menschen plagt, sind die geheimen Wünsche eures Herzens, die ihr glaubt, unterdrücken zu müssen.‘

Obwohl er keine Augen an der Erscheinung erkennen konnte, hatte er das Gefühl, sie würde direkt in sein Inneres sehen.

‚Aus Angst.‘

Er glaubte, etwas Gönnerhaftes in die fremde Stimme treten zu hören. ‚Sag, hast du heute etwas offenbart, das du nicht aus tiefstem Herzen einmal aussprechen wolltest? Das dein Herz nicht längst ans Tageslicht bringen wollte? Das du nicht so gefühlt hast? Bin wirklich ich dein Feind oder nicht vielmehr deine eigene Feigheit?‘

Vitali rang nach Atem.

‚Nun, willst du, dass ich es ungeschehen mache? Dass sich keiner mehr an deine Wahrheit erinnert? An den Schmerz, den du so lange unterdrückt hast? Willst du weiterhin Verstecken spielen aus Angst vor Veränderung?‘ Etwas Spöttisches trat in die Stimme. ‚Change.‘

Dass die Plage seinen Beschützernamen kannte, jagte ihm einen Schauer über den Rücken.

‚Überlege es dir gut, denn ich kenne die Wahrheit.‘

„Ich will niemandem wehtun.“, sagte Vitali.

Ein tiefes Lachen schallte in seinem Kopf. ‚Solange du lebst, wirst du anderen wehtun, Junge. Veränderung zerstört, aber sie ist notwendig. Du solltest das wissen. Oder verschließt du dich so sehr vor deinem wahren Wesen?‘

Die Worte trafen Vitali.

‚Schmerz ist der Begleiter der Veränderung, Wahrheit Fluch und Segen. Und Leben ist Schmerz, wenn du festhältst an dem, wie du es haben willst oder wie du glaubst, wie es besser wäre, statt dich dem Wandel hinzugeben.‘

Vitali schüttelte den Kopf. „Mein Vater …“

‚Ist es sein Leben? Willst du seine Wahrheit leben oder deine?‘

Vitali rang mit sich.

‚Angst ist menschlich. Aber sag mir, was du willst, Change. Willst du tun, was die Angst dir zuflüstert und deine Wahrheit runterschlucken, bis du an ihr erstickst?‘

„Ich kann nicht einfach …“

‚Wer hat gesagt, es wäre einfach?‘

„Ich will nicht, dass jemand wegen mir leiden muss.“

‚Deshalb leidest du an ihrer Stelle? Ist es das, wofür du hier bist? Um die Fehler anderer zu bezahlen? Dein Vater hat seine Wahl getroffen, deine Mutter ihre. Doch was ist deine? Hast du nicht lange genug gelitten, um sie stolz auf dich zu machen?‘

Vitalis Mund verzog sich, er biss sich auf die Unterlippe in einem Versuch, die Tränen nicht erneut hochkommen zu lassen.

‚Du bist nicht dafür da, den Schmerz anderer zu unterdrücken, indem du ihr Spiel spielst. Betrüge dich nicht. Der Schmerz ist da, ob er an die Oberfläche dringt oder unter ihr schwillt.'

„Wirst du es rückgängig machen?“, fragte Vitali.

‚Ich habe dich gewählt, Change, weil alles in dir aufrichtig ist. Enttäusche mich nicht, indem du eine Wahl triffst, mit der du dich selbst belügst.‘

„Ich kann nicht mehr.“, sagte Vitali.

‚Glaube mir, du kannst sehr viel mehr, wenn du nur aufhörst, davonzulaufen.‘

Vitali bedeckte die Augen mit den Händen. Er wusste, was von ihm verlangt wurde.

‚Wenn du mich erlösen willst, dann wähle die Wahrheit.‘

Er blickte nochmals auf und begriff. Bisher war er davon ausgegangen gewesen, dass man Lichtlose stets mit einer gegensätzlichen Schwingung auflöste. Doch diese Plage war wie ein Gefangener auf der Suche nach einer Seele, die die Wahrheit wählen würde, trotz der Konsequenzen, die dies nach sich zog.

Langsam atmete er ein und aus, traf seine Wahl.

„Ich werde mutig sein.“

Er glaubte, ein dankbares Nicken an der Plage zu erkennen und ein Lächeln. Allmählich löste sie sich in funkelnden Schimmer auf und hinterließ ein Gefühl von finaler Erlösung.

„Vitali.“

Er sah Serena an. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sie die ganze Zeit über nicht versucht hatte, die Plage zu paralysieren oder zu attackieren.

„Alles okay?“, fragte sie besorgt.

In diesem Moment dämmerte ihm, dass sie die Plage nicht gesehen und nicht gehört hatte, dass dieses ganze Gespräch nur in seinem Kopf stattgefunden hatte.

Er nickte, noch zu überwältigt von allem, um sich zu Worten durchzuringen.

„Vitali!“ Das war die Stimme seiner Mutter. Ängstlich drehte er sich zum Ursprung des Rufs um.

Mit seinem kleinen Bruder an der Hand kam seine Mutter auf ihn zu.

Er fürchtete sich vor ihrer Reaktion, davor, dass sie ihm Vorwürfe machen würde.

Serena trat vor ihn. „Er kann nichts dafür!“, rief sie verzweifelt aus. „Er wollte das nicht.“

„Das weiß ich.“, sagte seine Mutter streng. Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah sie ihn an. „Wir gehen.“

Vitali glaubte, sich verhört zu haben.

„Was ist mit Papa?“, fragte Vicki aufgelöst.

Vitali sah die Züge seiner Mutter hart werden, als müsse sie ihre eigenen Gefühle unterdrücken. Er fühlte sich entsetzlich schuldig.

„Irina!“

Unwillkürlich wich Vitali einen Schritt zurück, als sein Vater ebenfalls aus dem Gasthof gestürmt kam.

Seine Mutter ließ Vicki los und wirbelte zu ihm herum. „Ich werde nicht wieder da reingehen!“, schrie sie. „Ich habe das lange genug mitgemacht! Aber jetzt reicht es! Ich lasse meinen Sohn nicht mehr so behandeln!“

Sein Vater schwieg, sah zu Vitalis Verwirrung nicht wütend, sondern völlig am Ende aus, als hätte er keine Kraft mehr für dieses Gespräch.

„Irina…“

„Nichts Irina! Du weißt genauso gut wie ich, dass sie nur so zu ihm ist, weil er nach mir kommt!“

Vitali horchte auf. Die hellen Haare hatte er von seinem Vater, während Vicki rein äußerlich mehr Ähnlichkeit mit seiner Mutter hatte, aber dafür deutlich zu ruhig und brav war. Obwohl seine Großmutter andauernd angedeutet hatte, dass er seiner Mutter ähnelte, als er klein gewesen war, hatte er darüber nie weiter nachgedacht.

„Entweder stehst du zu deiner Familie, zu UNS, oder du lässt es!“, forderte seine Mutter mit Nachdruck. „Wenn dir deine Mutter wichtiger ist als ich, dann weiß ich zumindest, woran ich bin.“

Das Gesicht seines Vaters verzog sich, als würden die Worte ihm Leid zufügen. Er schien den Tränen nahe zu sein.

„Kommst du mit uns oder bleibst du hier?“, forderte seine Mutter zu erfahren.

Sein Vater antwortete nicht. Wie ein geschlagener Hund lief er an ihnen vorbei zum Wagen.

 

Die ersten Minuten der Heimfahrt über herrschte Schweigen. Vitali schämte sich, einen Streit zwischen seinen Eltern heraufbeschworen zu haben. Diese ganze Situation ging auf seine Kappe.

Seine Mutter durchbrach die Stille. „Es tut mir leid, dass du das mitbekommen musstest.“ Er verstand, dass sie mit Serena redete.

„Mir tut es leid.“, antwortete Serena und wirkte, als würde sie mit sich hadern. „Bitte seien sie nicht böse auf Vitali. Er wollte das alles nicht.“

Vitali fürchtete sich vor der Reaktion seiner Eltern auf ihre Worte.

„Darüber brauchst du dir keine Sorgen machen.“, entgegnete seine Mutter in einem Tonfall, von dem Vitali nicht sagen konnte, ob er Wut auf Serena oder auf ihn beinhaltete. „Ich hätte schon viel früher etwas sagen müssen.“

Vitali zuckte zusammen.

„Das ist meine Schuld.“, behauptete Serena. „Wenn ich nicht dabei gewesen wäre, hätte sich Vitali nicht so benommen.“

Es schmerzte Vitali, dass sie die Verantwortung für sein Verhalten auf sich nehmen wollte.

„Es ist gut, dass du dabei warst.“, sagte seine Mutter unerwartet. „Er hat sich zu lange alles gefallen lassen.“

„Irina.“, grollte sein Vater.

„Was?“, fuhr sie ihn an. „Ich habe meinen Sohn nicht dazu erzogen, still und leise zu sein, auch wenn das deiner Mutter recht gewesen wäre. Meine Kinder sollen für sich einstehen und sich nicht kleinmachen lassen wie du!“

„Mama.“, flehte Vicki.

Doch ihre Mutter ließ sich nicht beirren. „Du hast dich immer unterbuttern lassen in deiner Familie und ich dachte, ich muss still sein, damit meine Kinder es nicht von deiner Verwandtschaft abbekommen, dass ich nicht reinpasse. Einmal nur hätte ich mir gewünscht, dass du hinstehst und ihnen sagst, dass sie aufhören sollen! Es ist doch eine Schande, dass unser Sohn das für uns machen musste!“

„Irina…“

Vitali glaubte, etwas Flehendes aus der Stimme seines Vaters herauszuhören und sah sich gezwungen, das Wort zu ergreifen.

„Ma.“, sagte er zaghaft.

„Du hast nichts falsch gemacht!“, schimpfte seine Mutter.

„Können wir aufhören, darüber zu sprechen?“, bat er.

Seine Mutter schwieg.

Vitali atmete langsam aus und wandte sich zu Serena. Es war offensichtlich, dass sie sich unwohl fühlte aufgrund der ganzen Situation. Er griff nach ihrer Hand.

Von der ungewohnten Geste überrascht, sah sie ihn fragend an. Vitali blieb ihr eine Antwort schuldig. Er sah aus dem Fenster und hielt ihre Hand.

 

Zu Vitalis Erleichterung hatte sein Vater während der Fahrt kurz nach der Hand seiner Mutter gegriffen und sie hatte es zugelassen, ohne sich ihm zu entziehen. Das war ein gutes Zeichen.

Schließlich kamen sie vor Serenas Haus an.

„Vitali, begleite deine Freundin zur Tür.“, befahl seine Mutter.

Zum ersten Mal störte ihn das nicht.

Während er den Weg von dem weiß gestrichenen Zaun bis zur Eingangstür neben ihr her ging und Serena ihren Schlüssel aus ihrer Handtasche hervorholte, fasste Vitali einen Entschluss. Er wollte nicht mehr feige sein.

„Tiny.“

Serena stoppte in der Bewegung und sah ihn an.

„Damals hast du gesagt: ‘Freunde‘“

Sie schien zu verstehen, dass er auf ihre eigene Besessenheit anspielte. Etwas Ängstliches trat in ihr Gesicht, als fürchte sie, dass er ihr die Freundschaft kündigen wollte.

Vitali rang nach Worten. „Ich … Nicht nur!“

Ihre Augenbrauen gaben ihre Verwirrung wieder.

„Nicht nur Freunde.“, sagte er und versuchte ihr mit einem Blick zu verdeutlichen, was er ihr mitteilen wollte. Aber das genügte offenbar nicht.

„Ich will, …“ Er holte nochmals Luft. „Du bist mehr für mich.“ Sein Herz klopfte wie wild bei den Worten. Seine Augen suchten in ihren nach einer Bestätigung, nach irgendwas.

Ihr Mund war nicht länger geschlossen, als wäre seine Eröffnung für einen Moment zu viel für sie.

Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr unmissverständlich klarzumachen, worauf er hinauswollte. „Ich will, dass du mehr in mir siehst als einen Freund und Beschützerpartner.“

Er schluckte. „Das ist alles.“ Er senkte den Blick. „Meine Eltern warten.“

Kurz schweifte sein Blick über ihr ängstliches Gesicht, dann wandte er sich ab und lief dem Auto seiner Eltern entgegen.

„Vitali!“

Er stoppte und drehte sich zu ihr um.

Für eine Sekunde starrte sie ihn verzweifelt an, dann rannte sie plötzlich auf ihn zu.

Ohne länger zu zögern, legte sie ihre Rechte auf seine eine Gesichtshälfte und drückte ihm einen Kuss auf die andere. Hastig zog sie sich zurück und sah ihm furchtsam in die Augen.

Er antwortete mit fragendem Blick.

„Immer.“, stieß sie mit hoher Stimme aus.

Vitali blinzelte. Serena trat einen Schritt zurück und zog beschämt den Kopf ein, sah dann aber doch wieder zu ihm auf, als wolle sie seine Reaktion nicht verpassen.

Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Er strahlte sie an.

Davon offenbar noch verlegener werdend, lächelte sie scheu in sich hinein.

Ein Hupen erklang.

„Ich muss gehen.“, stellte Vitali fest.

Serena nickte.

Noch einen Atemzug blieb er bei ihr stehen, sah sie an, lächelte.

Dann begann sein Herz abermals zu rasen. Hastig, bevor er es sich anders überlegen konnte, beugte er sich zu ihr und gab ihr ebenfalls einen Kuss auf die Wange.

Nur kurz streiften seine Augen ihr liebliches Antlitz, ihre niedliche Reaktion, dann eilte er grinsend dem Wagen seiner Familie entgegen.

Veränderung hatte auch ihre Vorteile.

Ein Osterhase für Grauen-Eminenz

Wie er diese Besprechungen hasste.

Am liebsten wäre er dieser Versammlung an Vollpfosten ferngeblieben, aber leider war die Teilnahme verpflichtend und er hätte mit Konsequenzen rechnen müssen, wenn er sich verweigert hätte. Und wer wusste, welche genau das gewesen wären.

Für ihn war es ein Leichtes, irgendwelche entfleuchten Schatthen einzufangen – etwas, vor dem sich die meisten anderen Schatthenmeister fürchteten – aber selbst die Pappenheimer vom Pandämonium hatten mittlerweile begriffen, dass sie ihn damit nicht in die Schranken weisen konnten.

Zumindest war es nur eine Online-Veranstaltung und er konnte hier in seinem Schatthenreich sitzen, statt sich mit den anderen Schatthenmeistern rumzuärgern, die sich doch tatsächlich was darauf einbildeten, aus ihren negativen Gefühlen stinkende Schatthen zu erschaffen.

Außerdem hatten die offensichtlich Probleme mit seiner grauen Hautfarbe. Pff, die waren doch nur neidisch, weil sie ihr Aussehen nicht verändern konnten.

Lustlos lauschte er den Ausführungen des Vorsitzenden, als er plötzlich etwas ungewohnt Buntes in seinen Augenwinkeln bemerkte.

Was?! Hier konnte nichts eindringen, ohne dass er es bemerkte!

Das Etwas huschte weiter vor, sodass er es nun erkennen konnte.

Okay, es war wieder soweit…

Ein großes Hoppelhäschen mit braunem Fell und weißem Puschelschwanz stand auf seinen Hinterläufen neben seinem Tisch. Und natürlich war es kein ganz gewöhnlicher Hase. Oh nein. Er hatte einen Flechtkorb auf dem Rücken, in dem sich quietschbunt bemalte Eier befanden.

Na toll, der Osterhase. Was sonst!

Zumindest war es nicht Bugs Bunny, der ihn mit „Is was Doc?“, begrüßte.

Grauen-Eminenz seufzte innerlich.

Solche abstrusen Dinge passierten in seinem Schatthenreich manchmal, wenn er viel zu wenig geschlafen hatte oder sein Bewusstsein sonstwie getrübt war. Ein Grund, warum er jeglichen Drogen abgeschworen hatte – neben dem Umstand, dass die Schatthen versuchten ihn zu töten, sobald sie bemerkten, dass er nicht hundertprozentig bei Sinnen war.

Hier konnte er zwar alles nach seinen Wünschen gestalten, aber dafür spielte ihm sein Reich manchmal üble Streiche.

Seine Augen folgten dem Hasen, ohne dass er den Kopf zu sehr bewegte. Nicht dass noch bemerkt wurde, dass seine Aufmerksamkeit gerade nicht bei dem langweiligen Vortrag war.

Der Hase hoppelte auf seinen Hinterläufen vorwärts, mit ungeahnter Beweglichkeit holte er aus seinem umgeschnallten Korb ein buntes Ei und legte es in einer Ecke ab.

In dem sonst dunkelgrauen Raum stach die knallige Farbe umso mehr hervor. Weiter hüpfte der Hase und wiederholte die Prozedur. Mehr und mehr bunte Eier durchbrachen die sonst düstere Stimmung. Mittlerweile waren es sechs an der Zahl, jedes in einer anderen Farbe des Regenbogens erstrahlend.

Was wollte ihm sein Unterbewusstsein damit wohl sagen?

Ach egal. Hauptsache, es kam nicht als nächstes noch der Weihnachtsmann, um ihm zu erklären, warum er kein braver Junge gewesen war und daher kein Geschenk verdient hatte.

Als würde ihn das interessieren.

Ein Seufzen entfuhr ihm. Nicht mal der Weihnachtsmann hätte ihm den einen Wunsch erfüllen können, aus dem er sich auf diesen ganzen Schwachsinn eingelassen hatte. Das wusste er.

„Haben Sie etwas Wichtiges beizutragen, Herr Grau?“

Gerne hätte Grauen-Eminenz auf seinen richtigen Namen hingewiesen, stattdessen schluckte er seinen bissigen Kommentar hinunter.

„Nichts, das Sie nicht sehr viel wortgewaltiger und mit mehr Fremdwörtern ausdrücken könnten.“

Verstimmung trat in den Blick des Vorsitzenden. „Oh bitte, beehren Sie uns mit ihren Eindrücken und Gedanken zu diesem Thema.“

„Ich möchte Ihnen ungern die Show stehlen, wo Ihnen doch sonst niemand zuhört.“

Rasende Wut, die er zu unterdrücken suchte, wurde in dem Gesicht des Mannes sichtbar. „Nur weil Sie sich närrische Freiheiten herausnehmen, heißt das nicht, dass Sie sich hier alles erlauben können. Ihr Auftreten als desaturierter Meister Proper zeugt von dem drängenden Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, ebenso wie Ihre pubertäre Art zu provozieren und sich zu artikulieren. Bemitleidenswert.“

Grauen-Eminenz konnte die genervte Bewegung seiner Augen nicht unterdrücken, zumal er keine Ahnung hatte, was ‚desaturiert‘ bedeuten sollte.

„Wenn Sie das sagen, wird es wohl stimmen.“, gab er schlicht von sich.

„Wiederholen Sie bitte meine letzten Ausführungen.“, forderte der Vorsitzende mit hocherhobener Nase.

Grauen-Eminenz schwieg.

„Dies ist keine Veranstaltung, die man einfach nur absitzt! Es hat fatale Konsequenzen, wenn Sie sich nicht an die vorgestellten Regeln halten.“

Grauen-Eminenz‘ Augen verengten sich. „Erstens wäre es Ihnen doch recht, wenn ich fatale Konsequenzen zu spüren bekäme. Zweitens sind die von Ihnen vorgestellten Regeln zum sicheren Umgang mit Schatthen nur für Leute interessant, die es sonst nicht auf die Reihe kriegen, sich nicht von ihren Lichtlosen killen zu lassen. Eine Kategorie, der ich nicht angehöre. Denn im Gegensatz zu Ihnen bin ich kein Schatthenverweser, sondern ein Schatthenmeister. Jemand, der nicht nur auf seinem Bürostuhl sitzt und sich schlaue Regeln ausdenkt, sondern der schon mehr Schatthen von verschiedenen Meistern gegenüberstand als in den Vordruck meiner Akte passt. Und wissen Sie warum?“ Er legte eine bedeutsame Pause ein. „Weil ich die Eier dazu habe.“

Der Mann schnaubte. Es war ihm anzusehen, dass er die Zähne zusammenbiss. „Ich habe keine Zeit für Ihre proletarische Armuts-Rhetorik und gedenke nicht, Sie auch noch mit meiner Aufmerksamkeit für dieses Schauspiel zu belohnen.“

Dann ging er schlicht dazu über, mit seinem Stoff fortzufahren.

Grauen-Eminenz bemerkte, dass das Osterhäschen zu ihm gehoppelt kam.

Er senkte den Arm und streckte ihm die Hand hin.

Ein triumphierendes Grinsen stahl sich auf sein Gesicht, als der Hase mit seiner Pfote bei ihm einschlug.

Ich, meine Lieblingsprotas und die Buchempfehlung

Acht Augenpaare starren mich an. Erwartungsvoll, grimmig, interessiert, unsicher, skeptisch, freundlich, begeistert und auf der Hut.

Es ist komisch, ihnen so gegenüberzustehen, normalerweise bin ich eben nicht ich, also nicht anwesend, sondern verschwinde hinter ihnen, sehe die Welt aus ihren Augen, gehe in ihnen auf. Ich bin dann sie und fühle mich dadurch sicher und geborgen. Jetzt, so ihnen gegenüber, als eigenständige Person, spüre ich Unsicherheit. Kurz frage ich mich, was sie von mir denken, dabei kann ich ihnen ansehen, dass sie wissen, wer ich bin und sie mir nicht übel gesonnen sind. Ich kenne sie ja besser als jeder andere.

Natürlich, Grauen-Eminenz zieht ein Gesicht, als wäre er extrem entnervt, klar, er ist ja der Antagonist und möchte taff rüberkommen, das bin ich ja von ihm gewöhnt.

Serena ist in Habachtstellung, als befürchte sie, dass ich etwas von ihr verlange, das sie nicht leisten kann oder will, als könnte sie den Anforderungen einfach grundsätzlich nicht genügen. Das tut mir leid. Ich sollte mich wohl sputen, zu erklären, worum es geht, damit sie sich nicht weiter so verrückt macht.

Auch Justin wirkt, als nehme er an, für irgendetwas gerügt zu werden. Erik dagegen schaut so kritisch, als könne ich in seinen Augen nur etwas falsch machen. Irgendwie trifft mich das mehr als Grauen-Eminenz‘ böser Blick. Hastig wende ich mich Vivien, Vitali, Ariane und Ewigkeit zu.

Die vier schauen deutlich weniger abweisend. Vivien wirkt sogar so, als würde sie mich am liebsten umarmen, aber unterließe es, um mich nicht zu überfordern.

Okay.

„Ich, ähm, die Protastik. Also, äh, die Aufgabe, die dieswöchige Aufgabe ist, dass mein Lieblingsprotagonist – also – ich meinem Lieblingsprotagonist ein Buch empfehlen soll, ach nein, er bzw. sie soll mich nach einem Buch fragen. Wartet, ich les noch mal die Aufgabe. Ja, er oder sie fragt mich nach einem guten Buch und ich soll sagen, welches ich empfehle und warum.“

Grauen-Eminenz fährt mich wütend an. „Und was soll ich dann hier?!“

Wow, wenn man ihm so gegenübersteht, sieht er deutlich gruseliger aus, als ich dachte, und seine Stimme ist wirklich sehr einschüchternd. Während ich aus seiner Perspektive schreibe, ist er immer so witzig. Und dann weiß ich – glaube ich – dass er nicht wirklich so böse ist, wie er tut. Aber jetzt hinterfrage ich das. Vielleicht kenne ich ihn ja gar nicht! Vielleicht ist er viel boshafter als ich dachte. Ich bin verunsichert, dabei mag ich ihn doch eigentlich…

„Was?!“, brüllt er mich gereizt an.

„Du schüchterst sie ein.“, sagt Vivien zu ihm. Dass sie ihm gegenüber so gelassen auftreten kann, beeindruckt mich jetzt noch mehr.

„Gut so!“, schreit er. „Ich habe mit dieser bekloppten Aufgabe nichts zu tun!“

Vivien grinst. Oh, sie ist ja noch viel niedlicher, wenn sie grinst, als ich dachte! Sie sieht dabei so frech und süß zugleich aus! „Vielleicht wollte sie ja ein Casting für ihren Lieblingsprota machen.“, scherzt sie.

„Hä?“, ruft Vitali. Der Anblick seines sprechenden Gesichts in live vor mir ist sehr einnehmend. „Ich mach bei keinem Casting mit!“

Ein halb spöttisches Lächeln schleicht sich auf Eriks Züge. „Glaubst du, sie will, dass du ihr vorsingst?“

Ich hätte gedacht, dass er die ganze Zeit schweigen würde, aber wenn es um Vitali geht, ist er manchmal lockerer als man denkt. Das ist wirklich knuffig.

„Was weiß ich!“, ruft Vitali.

Justin sieht mich sorgenvoll an. „Was sollen wir denn tun?“

„Nichts.“, sage ich hastig. „Also nichts Bestimmtes. Was ich meine ist, … Ihr seid alle meine Lieblinge, ich kann mich nicht entscheiden, wer von euch mein Lieblingsprotagonist ist.“

„Ich bin kein Protagonist.“, herrscht Grauen-Eminenz mich mit schneidender Stimme an, was mich zusammenfahren lässt.

Ich merke, dass seine grimmige Abwehr deutlich amüsanter ist, wenn man sie nicht direkt abbekommt.

Ich senke die Augenbrauen und schaue mit verzogenem Mund zu ihm auf. Er sollte wissen, dass ich alles über ihn weiß und ich entscheide, ob er ein Protagonist ist oder nicht!

Er beißt die Zähne zusammen, als würde ihm klar werden, dass ich am längeren Hebel sitze. Ich hoffe, er begreift, dass ich nur sein Bestes will, ihn aber auch nicht zwingen werde, etwas zu tun, das er nicht will. Das muss schon von ihm ausgehen.

Ariane ergreift das Wort. „Wir sollen Sie nach einer Buchempfehlung fragen?“

Dass sie mich siezt, versetzt mir einen Stich. Ich fühle mich auf einmal extrem alt, dabei war ich jünger als sie, als ich mit dieser Geschichte anfing. Aber stimmt, Ariane ist erst später hinzugekommen als die anderen. Ob sie irgendeinen Groll deswegen auf mich hat?

Unsinn, es ist Ariane. Sie ist einfach sehr höflich und versucht dauernd, perfekt zu sein.

„Ihr könnt mich duzen.“, stelle ich klar.

„Ich will gar keine Buchempfehlung.“, meint halblaut Vitali an die anderen gewandt. Wahrscheinlich wäre ihm eine Videospielempfehlung lieber. Da kenne ich mich nicht so aus, aber ich habe Freunde, die ich fragen könnte. Mein einer Kumpel hat mir Persona 5 ans Herz gelegt. Oder war es eine andere Zahl? Aber ob es Vitali gefallen würde? Ach, ich schweife vom Thema ab.

Serena wirft ihm einen tödlichen Blick zu, als wolle sie ihm stumm mitteilen, dass er sie nicht alle blamieren solle.

„Was?“, fordert er von ihr zu erfahren.

Sie schüttelt nur den Kopf, als wäre er zu blöd oder als würde sie sich für ihn schämen. Ich bin baff, wie abweisend sie dabei wirkt. Ich weiß ja, wie gern sie Vitali hat. Aber nun beeindruckt es mich umso mehr, dass Vitali tatsächlich hinter ihre Fassade schauen kann.

Ich versuche mir Gehör zu verschaffen. „Was haltet ihr von eurer eigenen Geschichte?“

Die meisten von ihnen schauen verständnislos, Vivien dagegen klatscht freudig in die Hände und strahlt über das ganze Gesicht.

Oh, sie ist so süß! Auf andere Weise als Ewigkeit, die wirklich äußerst zerbrechlich wirkt mit ihren grazilen Gliedern, den zart schimmernden Schmetterlingsflügeln, gerade mal handgroß. Ich bemerke jetzt erst den zauberhaften Glöckchenklang, der von ihr ausgeht.

„Was meinen – meinst du mit unserer Geschichte?“, hakt Ariane nach. Sie ist ja meistens diejenige, die die Fragen ausspricht, die alle haben.

„Naja, Balance Defenders. Die Geschichte von euch, die ich schreibe.“

Etwas geht in Serenas Gesicht vor, Erkenntnis. „Auf keinen Fall!“, kreischt sie, wohl verstehend, dass sie in ihren Teilen mehr von sich offenbart, als sie die anderen wissen lassen möchte, vermutlich insbesondere Vitali. Dabei gehe ich nicht davon aus, dass er es lesen würde, es sei denn ich würde ihm explizit sagen, welches Kapitel und welche Stelle er lesen soll, um Serenas Gedanken zu erfahren.

Ariane sieht sie verwundert an. „Wieso nicht?“

„Die Charaktere dürfen doch nicht einfach alles wissen, was der Autor weiß! Das ruiniert die ganze Handlung!“, schreit Serena. „Außerdem hat sie das gerade auch IHM vorgeschlagen!“ Sie zeigt unverhohlen auf Grauen-Eminenz.

Justin nickt. „Er könnte das gegen uns verwenden.“

Grauen-Eminenz verdreht die Augen, als hätte er genug, was er gegen sie verwenden könnte, auch ohne das.

Plötzlich werden Arianes Augen groß. „Ich bin auch dagegen.“ Ihr Blick war kurz zu Erik gewandert, daher kann ich mir zusammenreimen, dass sie befürchtet, dass die Eröffnungen aus der niedergeschriebenen Geschichte Erik überfordern könnten. Vor allem Details, die sie ihm bisher vorenthalten haben, um ihn zu schonen. Ich sehe ein, dass das keine gute Idee ist.

„Stimmt. Ähm, ich habe noch zwei andere Empfehlungen. Das eine ist eine Geschichte, die eine Freundin von mir schreibt, also wir haben uns über unsere Geschichten angefreundet. Es geht um eine Welt, in der es Dämonen gibt, also die sind quasi wie Götter, und sie suchen sich Menschen aus, mit denen sie sich verbinden und denen sie ihre Kraft geben, aber die Dämonenbesitzer sind bei den anderen Menschen nicht sonderlich beliebt. Es gibt auch viele verschiedene Charaktere wie bei euch und es geht auch oft um den Alltag und es ist echt schön gemacht, mit tiefsinnigen Themen etc. Der Titel ist Demon Girls & Boys. Zum anderen eine Geschichte von einem Kumpel, den ich auch übers Schreiben kennengelernt habe, die ist eher High Fantasy. Es geht um eine taffe Heldin, die Teufelswaffen einsammelt, nachdem sie durch eine fast oder eigentlich richtig gestorben ist, aber wieder auferstand. Mit ihren Begleitern zusammen erlebt sie Abenteuer. Da gibt es mehr Action. Sie heißt Morgenstern.“

Erik sieht mich an und mir wird bewusst, dass er mit Fantasy nichts anfangen kann. Auch Ariane hätte wohl lieber eine Art Thriller oder Abenteuerroman, in den geschichtliche Fakten und dergleichen mit eingewoben sind, um einen Schatz zu finden oder so. Justins Ausdruck nach zu urteilen, würde er mir zuliebe auch diese Fantasy-Geschichten lesen, einfach um mir eine Freude zu machen.

Er ist wirklich ein Schatz.

„Kommen Liebesgeschichten darin vor?“, fragt Vivien neugierig. Achja, sie liebt Romantik.

„Ja, in beiden.“ Ich lächle, denn es freut mich, dass sie sich dafür interessiert, dabei hätte ich ja wissen können, dass die vorgeschlagenen Werke ihren und Serenas Geschmack treffen könnten.

Eigentlich denke ich, dass Morgenstern auch Vitali gefallen würde wegen dem Humor. Aber er ist nunmal keine Leseratte. Ich ja leider auch nicht. Irgendwie schon peinlich, schließlich erwartet das jeder von einem, wenn man selbst schreibt. Dadurch fühle ich mich oft schlecht, denn sollte ein guter Autor nicht auch viel lesen? Ah, ich schweife schon wieder ab mit meinen Gedanken!

„Ihr müsst natürlich nichts davon lesen. Das ist ja auch gar nicht Teil der Aufgabe.“

Vivien ruft: „Wo kann ich es lesen?“

„Ähm, auf Animexx, so wie eure Geschichte. Äh, ich hab mir gar nicht überlegt, ob ihr in eurer Welt darauf zugreifen könnt. Das ist eine faszinierende Frage.“

Oje, jetzt habe ich mir mehr Arbeit gemacht. Vielleicht sollte ich dieses Gespräch schnell beenden, bevor Vivien noch auf die Idee kommt, dass ich ein Special schreiben soll, in dem sie in meine Realität überwechseln und mein Leben auf den Kopf stellen. Das würde ihr sicher gefallen.

Oh Gott, hoffentlich würde Justin sie aufhalten.

„Danke, dass ihr alle hergekommen seid.“, versuche ich einen Schluss zu finden. „Das hat mir echt geholfen. Ich habe mich sehr gefreut, euch mal leibhaftig zu sehen. Ist aber auch seltsam. Ihr seid so groß.“

„Vivien nicht.“, merkt Vitali an, schließlich ist Vivien nur eins fünfzig und damit einen Kopf kleiner als ich. Andererseits ist es faszinierend, dass er Vivien nennt statt Ewigkeit.

Vivien lacht. Ihre geringe Größe macht ihr glücklicherweise nichts aus. Ich fürchte, Serena leidet sogar eher darunter, dass sie so groß ist, dabei ist sie nur zwei, drei Zentimeter größer als ich, ein Meter vierundsiebzig, aber dadurch ist sie eben das größte der Mädchen, gleich groß wie Justin. Neben Vitali fällt es aber gar nicht auf.

Ich ergehe mich schon wieder in unnötigen Überlegungen, dabei wollte ich diese Protastik-Geschichte doch gar nicht so lang werden lassen! Sicher sind die Leser sonst nur genervt, schließlich passiert hier doch überhaupt nichts. Kein Konflikt, der gelöst wird, nur ein seltsames Gespräch zwischen mir und meinen Charakteren, die sie nicht mal richtig kennen. Bestimmt werden sie von den ganzen Namen völlig verwirrt sein! Und Ewigkeit hat gar nichts gesagt. Sie scheint auch jetzt nichts sagen zu wollen.

Vielleicht hätte ich das anders aufziehen, auf eine bessere Idee warten sollen.

Oh Mann. Wieder diese Selbstzweifel... Ich muss damit aufhören.

Ich schaue meine sechs, Ewigkeit und Grauen-Eminenz an. Ich bin echt froh, dass ich sie habe. Sie machen mich wirklich glücklich, auch wenn sie es nicht wissen.

Sie wissen es doch nicht, oder?

Was wissen sie überhaupt über mich? Bin ich nicht eine komplett Fremde für sie? Aber gleichzeitig kennen sie mich doch bestimmt besser als jeder andere, oder? Wir halten es schließlich schon fast 21 Jahre miteinander aus.

Natürlich haben sich ihre Charaktere in dieser Zeit geändert und vor allem ihre Story, aber trotzdem sind sie schon so lange Teil von mir und haben mich so viel über mich gelehrt, haben mich begleitet, sind mir beigestanden. Ich habe sie wirklich lieb.

Vivien dreht sich plötzlich zu den anderen um und gibt ihnen ein Zeichen.

Zu meiner Überraschung kommen alle auf einmal auf mich zu und nehmen mich in den Arm.

Ich höre Ewigkeits Glöckchenklang, werde emotional und muss schluchzen. Tränen laufen über meine Wangen.

„Du hast gesagt, sie würde sich drüber freuen!“, beschwert sich Vitali, wohl bei Vivien.

Serena fährt ihn an. „Sie weint vor Rührung, du Vollidiot.“

„Ich dachte, nur du machst das.“, gibt er zurück.

„Sie ist unsere Autorin, du Depp! Was glaubst du, von wem wir diese bescheuerten Eigenschaften haben!“, keift sie.

„Also sie ist schuld, dass du mich dauernd paralysierst?“

Serena gibt ein unzufriedenes Geräusch von sich.

Die beiden können sich wirklich in jedem Moment streiten.

Jemand streicht mir von hinten über den Kopf und ich weiß instinktiv, dass es Grauen-Eminenz ist. Ich bin erstaunt, dass er das vor den Beschützern tut, doch er hört auch direkt wieder damit auf.

Ich weiß, ich sollte mehr an mich glauben, weniger zweifeln. Sicher bin ich oft anstrengend für sie alle. Trotzdem halten sie zu mir. Das treibt mir schon wieder die Tränen in die Augen.

Ich bin ganz froh, dass Vitali mich dafür nicht anschreit, wie er es in der Vergangenheit öfters bei Serena getan hat, wenn ihre Tränen ihn überforderten. Aber ich weiß ja, es lag daran, dass er nicht wusste, wie er damit umgehen soll. Dennoch könnte ich das gerade nicht gut wegstecken. Justins einfühlsame Ruhe ist in diesem Moment eher das, was ich brauche.

Erik seufzt. „Wie lange willst du dich noch kleinreden?“

Ich muss schlucken. Natürlich muss er den Finger in die Wunde legen.

„Erik.“, tadelt Ariane. „Sie gibt ihr Bestes.“

„Sie kann mehr.“, behauptet Erik.

Ich weiß nicht, ob ich mich davon geschmeichelt oder unter Druck gesetzt fühlen soll. Und ich habe den Eindruck, meine Gedanken klingen Serenas gerade allzu ähnlich.

Es ist nicht so einfach, will ich trotzig entgegnen, aber das kommt mir auch wie etwas vor, das Serena sagen würde. Komischerweise würde Erik das nie so brutal Serena gegenüber äußern. Das bedeutet wohl, von mir erwartet er mehr. Ich bin mittlerweile ja auch deutlich älter.

Stimmt, ich bin ja jetzt die Älteste in dieser Runde. Dabei war Grauen-Eminenz so viel älter als ich, als ich mit dieser Geschichte anfing.

Aah! Diese Gedankenabschweifungen sind echt nicht gut. Ich bin ein verdammt schlechter Erzähler!

Was wollte ich denn jetzt gerade machen?

Äh, wollte mir nicht Erik gerade eine Strafpredigt halten?

Darin ist er ja ziemlich gut und er sagt dabei meist sehr direkte und wahre Dinge, die den anderen zwar treffen, aber aufbauen sollen. Wird er das jetzt auch bei mir machen?

Ich warte, hebe den Blick und sehe ihn an.

Er macht mir stumm klar, dass ich seine Worte nicht brauche. Er erwartet, dass ich die Antwort selbst kenne, schließlich hat er seine Eigenschaften ja auch von mir. Im Umkehrschluss bedeutet das wohl, ich bin selbst tiefsinnig genug und habe ausreichend Durchblick, um mich aus jedem Loch rauszuholen.

Dass er eine so hohe Meinung von mir hat, ehrt mich, schließlich kenne ich seine hohen Ansprüche – die hat er ja auch von mir. Irgendwie tut mir das leid. Ich weiß ja, wie sehr er unter ihnen leidet.

Sie alle leiden schlussendlich unter meinen Schwächen…

„Danke.“, sage ich. „Dass ihr für mich da seid und das alles mit mir gemeinsam durchsteht. Dieses ganze Leben. Das ist echt anstrengend.“

Vivien lacht.

„Ihr seid stärker als ihr denkt.“, setze ich fort.

„Sag dir das gefälligst selbst.“, antwortet Erik grob.

Ich verziehe den Mund, schließlich habe ich das gerade nur gesagt, weil ich erkannt habe, dass das auch für mich gilt.

Ich seufze. „Ich gebe mein Bestes.“, verspreche ich.

„Du musst nicht dein Bestes geben.“, widerspricht Erik. „Du musst einfach nur Freude daran haben.“

Ich bin extrem überrascht, dass er so etwas von sich gibt. Woher hat er denn jetzt diese Reife? Gut, er besitzt ja einen sechsten Sinn, vielleicht wusste er daher, was ich gerade hören musste.

„Danke.“, antworte ich.

Justins beruhigende Stimme erklingt. „Wir sind hier.“, versichert er glaubhaft. „Wannimmer du uns brauchst.“

Ich nicke dankbar. Etwas beschämt presse ich hervor „Ich hab euch lieb“ und frage mich, ob es unangebracht ist, ihnen das zu sagen. Es ist so viel leichter, Vivien das aussprechen zu lassen.

„Wir dich auch.“, antwortet ausgerechnet Erik, zwar in einem Ton, der eher abweisend als herzlich klingt, dennoch wundere ich mich erneut, warum ER das ausspricht, etwas, das sonst typisch für Vivien wäre. Aber ich kenne Vivien, sie weiß, wann sie schweigen muss, um anderen Raum zu lassen. Und vielleicht musste ich diesen Satz von Erik hören.

Es fällt mir schwer, mich von ihnen zu verabschieden, denn das bedeutet wieder zurück zu müssen in mein Leben, in meinen Alltag, die Probleme des Erwachsenseins, die Existenz! Wieder alleine mit meinen Gedanken sein…

Ich hole noch einmal tief Luft und entsinne mich Justins Worten. Dennoch fürchte ich mich, denn es ist leichter, in meiner Fantasie zu bleiben, in der ich entscheide, was geschieht. Wo mich niemand angreifen kann…

Wieder schäme ich mich für den Gedanken. Das werden doch später Leute lesen. Ich sollte das rauslöschen. Das ist viel zu persönlich und intim! Die Leute denken sicher, ich bin ein Schwächling, wenn ich so was schreibe.

Ach Mann. Warum mache ich es mir denn jetzt wieder so schwer und verheddere mich in meinen eigenen Gedanken? Wieso kann das nicht einfach aufhören?

Ich seufze lang und tief. Momentan finde ich mich selbst oft schrecklich anstrengend.

„Hey!“, ruft Vitali.

Ich blinzle ihn an, doch er scheint nichts weiter sagen zu wollen, er wollte mich wohl bloß aus meinen Gedanken reißen, aber sobald ich darüber nachdenke, fängt das Gedankenkarussell sich wieder an zu drehen! Ich schüttele den Kopf.

Mein Blick fällt auf Serena, die so viel von meinem Teenager-Ich hat, so viel von meinen Unsicherheiten, auch wenn ich die auch auf die anderen verteilt habe.

Ich weiß, es ist nicht schlimm, schwach zu sein, dennoch schäme ich mich dafür und mache es dadurch noch schlimmer.

Wie hat Vitali mal gesagt: Es ist okay, sei einfach wie du bist. Und: Du bist wichtig. Das hat er zwar nicht zu mir gesagt, aber zu Justin und Serena. Und das ist fast dasselbe.

Ich sollte mich darauf konzentrieren, dass sie nicht nur meine Schwächen haben, sondern auch meine Stärken. Ja. Jeder von ihnen stellt Stärken von mir dar. Stärken, die in mir sind.

Und vielleicht werden viele diese seltsamen Gedankenergüsse befremdlich finden, vor allem, weil sie sich endlos hinziehen, aber vielleicht wird es irgendwem gefallen.

Ist das schlussendlich überhaupt wichtig?

Ich bin hier. Im Hier und Jetzt, diesem Moment.

Durch den Mund stoße ich den Atem aus und mache mir bewusst, dass es nur darum geht, jetzt hier sein zu dürfen, da sein zu können.

Ich beginne zu lächeln und lasse meine Erwartungen gehen.

Grauen-Eminenz im Kinderparadies

„Sind Sie der Clown?“, fragte ihn die Frau beim Eintreten in den Kinderspielbereich.

Schon von draußen war das Schreien und Toben der Kinder hörbar gewesen. Aber hier drin war es kaum auszuhalten. Der ganze Raum sah so unnatürlich fröhlich und bunt aus, dass es Grauen-Eminenz kaum fassen konnte. Schließlich war das hier Teil des Veranstaltungsorts einer Pandämoniums-Feier!

Die Wut über die Unterstellung der Tussi hielt er unter Kontrolle, doch ehe er antworten konnte, sprach sie einfach weiter.

„Ich weiß nicht, ob das mit dem Grau bei den Kindern so gut ankommt. Haben Sie nicht noch ein anderes Kostüm dabei? Irgendwas mit mehr Farbe?“ Sie schaute hinter ihn, als erwarte sie, dass er dort einen riesigen Koffer mit Utensilien stehen hatte.

Er biss die Zähne zusammen und presste schließlich seine Antwort hervor. „Ich bin nicht der Clown.“

Von der Aussage war die Frau offenkundig irritiert. „Wer sind Sie dann?“

Wie er es hasste, dieser Trulla erklären zu müssen, worum es ging. Er dachte, sie wäre darüber informiert worden! Schließlich war er nicht freiwillig hier!

Wieder spürte er die Wut in sich aufkommen und konnte es kaum unterdrücken, dass sie sich in einer Energiewelle entlud.

„Mir wurde aufgetragen, mich hier zu melden. Ich soll aushelfen.“, knurrte er.

„Ach Sie sind dieser Freak, von dem alle reden!“

Er war sich sicher, dass mittlerweile eine violette Energie um seine Faust loderte, aber diese Tusnelda schien es gar nicht zu bemerken.

Seit wann durften hier überhaupt Frauen rein!

Sonst war das Pandämonium wohl die am chauvinistischsten aufgebaute Schatthenmeisterorganisation überhaupt. Bevölkert von lauter bekloppten Typen, die sich immer noch für das überlegenere Geschlecht hielten.

Und warum gab es ein Kinderparadies?! Wie konnte eine vernünftig denkende Frau sich mit einem dieser Gestörten einlassen und auch noch dessen Kinder zur Welt bringen?!!!

Wahrscheinlich wurden die alle geschlagen und eingesperrt oder so was. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass irgendeine Frau freiwillig ihre Lebenszeit mit einem Schatthenmeister oder –verweser verbrachte.

Doch die Trulla vor ihm sah weder verprügelt, noch angekettet aus.

Kurz wandte er den Blick den Lärmfabrikanten zu. Mehrere Kinder unterschiedlicher Größe und Couleur kletterten eine Burg hoch und rutschten von dort aus kreischend in ein quietschbuntes Bällebad.

„Haben Sie schon mal mit Kindern gearbeitet?“

„Seh ich so aus?“, blaffte Grauen-Eminenz.

Die Frau musterte ihn kurz von oben bis unten und zog ein Gesicht, als habe sie den Schluss gezogen, dass sie nicht davon ausging, dass eine Frau sich von ihm schwängern lassen würde.

Diese!

Dabei war er verdammt gut gebaut! Er war ein verflucht attraktiver Mann! Klar?!

Blöde Tusse…

„Bringen Sie keines um, fassen Sie keines an unsittlichen Stellen an und gaffen sie keines unanständig an.“, erklärte die Frau abschätzig.

Am liebsten hätte er SIE umgebracht!

„Setzen Sie sich einfach hier hin und passen Sie auf, dass die Kinder sich nicht gegenseitig was antun. Ich hol solange die Papiere.“ Sie verwies auf einen Hocker und war aus der Tür.

Hätte er geahnt, welche Strafe ihn dieses Mal erwartete, hätte er seine Klappe gegenüber dem Vorsitzenden der letzten Online-Veranstaltung nicht so weit aufgerissen. Dieser hatte seinen Eier-Spruch leider nicht so witzig gefunden.

Natürlich nicht. Wenn man keine hatte und das Pandämonium vorschickte, um die eigenen Probleme zu klären…

Grauen-Eminenz stöhnte und drehte sich widerwillig den Kindern zu.

Zum Glück waren es nicht zu viele. Anscheinend vier Jungen und drei Mädchen, bei dem letzten Kind konnte er an der Kleidung nicht absehen, was es war. Allgemein fragte er sich, wie andere Erwachsene das Kindern ansahen. Die sahen für ihn alle gleich aus. Selbst die Stimmen waren gleich nervig.

Ohne Vorwarnung kam ein Junge – zumindest waren die Haare kurz und er trug Jeans und ein blaues T-Shirt mit grellgrünen Dreiecken – mit zornigem Blick auf ihn zugestapft. Er war vielleicht drei, aber Grauen-Eminenz hatte keine Ahnung, wie man das Alter von Kindern richtig schätzte.

„Ich will Eis!“, forderte das Balg und stampfte fest auf den Boden auf, wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.

„Ich will auch viel.“, entgegnete Grauen-Eminenz desinteressiert.

„Gib mir Eis!“, schrie der Junge noch lauter.

Grauen-Eminenz schnaubte halb belustigt, halb genervt. „Und was passiert, wenn ich dir keins gebe?“

Aus voller Kehle begann der Junge zu schreien. Grauen-Eminenz hielt sich die Ohren zu.

Dann warf sich das Balg auf den Boden, schrie weiter, schlug um sich, wälzte sich hin und her. Immerhin setzte es dabei keine gefährlichen Wellen oder sonstigen Fähigkeiten frei wie es bei ihm selbst der Fall gewesen wäre – außer dem ohrenbetäubenden Geschrei natürlich.

Irgendwie faszinierend, wie viel Energie so ein Kind hatte. Wie lange hielt es das wohl aus?

Mit Ohrstöpseln hätte er das gerne näher erforscht.

Plötzlich mischte sich ein anderer Laut ein, fast als würde dieser kleine Widerling anfangen zu weinen. Der Dreikäsehoch schrie nicht länger bloß, er schluchzte und heulte.

Aus einem unerfindlichen Grund spürte Grauen-Eminenz Schmerz in sich aufkommen.

Der Hass und der Zorn, den dieses Kind zeigte, waren übertrieben. Die Schluchzer jedoch klangen so erbärmlich, als wären sie echt.

Dabei traute er Kindern grundsätzlich nicht über den Weg. Für ihn waren das alles manipulative kleine Drecksbälger, die alles taten, um zu bekommen, was sie wollten. Aber…

Er erinnerte sich zurück an seinen eigenen Zorn, an die Hilflosigkeit, die er als Kind gespürt hatte.

Wie gut konnte ein Schatthenmeister schon als Vater sein? Wer wusste, was er dem Kind antat?

Grauen-Eminenz streckte die Arme aus und hob den Jungen mit seiner Telekinese vom Boden auf.

Vor Überraschung hörte der Kleine auf zu heulen. Er sah ihn mit großen Augen an.

Mit langsamen Auf- und Abbewegungen seiner Arme wiegte Grauen-Eminenz ihn. Zu seiner Überraschung begann der Kleine plötzlich zu lachen.

„Was tun Sie da?!“, kreischte eine Frauenstimme vom Eingang her.

Fast hätte er vor Überraschung das Balg fallen lassen. Er drehte den Kopf und erkannte die Trulla von zuvor.

„Sind Sie komplett übergeschnappt?!“

Es war wohl besser, den Kleinen wieder runterzulassen als ihn als Wurfgeschoss zu verwenden und die Olle damit auszuknocken. Die Idee gefiel Grauen-Eminenz dennoch.

Vorsichtig senkte er die Arme, derweil schrie die Trulla immer noch lautstark auf ihn ein. Blöd, dass es bei der nichts bringen würde, sie durch die Luft zu schleudern.

Sobald er die Telekinese aufgehoben hatte. rannte der Kleine auf ihn zu und umklammerte sein Bein.

Was zum!

„Noch mal! Noch mal!“, forderte er.

Grauen-Eminenz war davon überfordert, nur die Olle gab nun endlich Frieden.

Ein paar der anderen Kinder kamen nun auch heran und strahlten begeistert, als würden sie bei einer Jahrmarktsattraktion anstehen. Sie hoben die Arme in die Luft und kreischten durcheinander.

Er warf der Schreckschraube einen arroganten Blick zu, der sie offenkundig über die Maßen ärgerte. 

Grauen-Eminenz im Kolosseum

Es ging zu schnell, als dass er überhaupt noch hätte schreien können.

Der harte Aufprall trieb den Atem aus seinen Lungen. Der unerträgliche Lärm einer viel zu großen Menschenmenge brandete an sein Ohr, Helligkeit glühte hinter seinen Augenlidern, die er aufgrund der Hitze Sonnenlicht zuschrieb. Ein widerlicher Gestank von Blut, Schweiß, Urin und etwas Tierischem, zog ihm in die Nase, als er den ersten Atemzug tat.

Er riss die Augen auf, wurde geblendet von der Lichtreflexion eines –

Der Stahl der Klinge schlug in den sandigen Boden, Reflexen sei Dank!

Sofort war Grauen-Eminenz auf den Beinen, versuchte sich ein Bild der Situation zu machen. Doch dafür blieb kaum Zeit.

Der halbnackte Hüne mit dem beknackten Helm, riss das Schwert zu ihm herum.

Mit einem Sprung nach hinten wich er dem Hieb aus. Doch hinter ihm waren noch mehr dieser Irren. Einer ohne Helm war mit einem Dreizack und einem – äh Fischernetz? – bewaffnet.

Wer zum Henker hatte diese Leute ausgestattet?! Die Helme sahen zwar alle auf ihre Weise bekloppt aus, aber die einen hatten riesige Schilde, die anderen kleine, manche gar keine, und die Waffen waren unterschiedlich lang. Und war das ein Wolfskopf, den einer weiter hinten trug?

Keine Zeit, darüber nachzudenken! Der Wolfsspinner warf gerade einen Speer nach ihm.

Dieser Gefahr entgangen, fand er sich plötzlich in dem Netz von Fischers Fritze wieder.

Es reichte!

In einer Energiewelle ließ er seine Wut nach außen schnellen und riss damit sämtliche Gegner von den Füßen.

Idioten.

Die Menge jubelte. Schier unüberschaubare Massen waren ringsum auf zahllosen Tribünen versammelt und trugen absurde Römerkostüme.

Er war also im Kolosseum gelandet. Super.

Er versuchte, sich aus dem Netz zu befreien.

Verdammt. Das konnte doch nicht so schwer sein! Wieso – Er kämpfte vergeblich gegen das Netz.

Wut packte ihn! Mit hektischen Armbewegungen setzte er seine Telekinese ein und schleuderte ein paar der Bekloppten zur Seite. Einen mit einem glatten Helm, der nur zwei kleine Augenlöcher hatte hielt er zu Boden gedrückt.

„Gib mir den Dolch.“, verlangte er. Doch sein Gegenüber brabbelte nur irgendwas auf Latein.

Na toll, langsam übertrieb das Pandämonium es aber mit diesem altsprachlichen Scheiß!

War es nicht schlimm genug, dass sie immer wieder mit irgendwelchen lateinischen und griechischen Begriffen um sich warfen?

Er wollte dem Gegner gerade selbst den Dolch aus der Hand reißen, als er von hinten mit einem Schild attackiert wurde.

Verflucht, hatten diese Leute keinen Anstand?

Wutentbrannt drehte er sich dem Angreifer zu und ließ das Netz in violetten Flammen aufgehen, die rasend schnell das Material zerfraßen. Das war leider wenig angenehm. Das Brennen auf seiner Haut war deutlich spürbar, doch dank seiner Selbstheilungskräfte konnte er wirklichen Schaden verhindern.

Von den unnatürlich wirkenden Flammen wohl kurz abgeschreckt, hatte der Typ, dessen Visier ihn mit den zahlreichen runden Löchern an ein Fliegenauge erinnerte, Abstand gehalten.

Grauen-Eminenz ließ seine Energie als violett leuchtendes Wabern um seine Arme erscheinen. Doch das schien den Angreifer nicht länger abzuhalten.

Was zum Henker!

Er wich dem Angriff aus.

Das waren Menschen. Augenscheinlich ziemlich dumme Menschen, aber -  nein, das war keine Pandämoniumsveranstaltung. Hier lagen Leichen! Das hier -

Hastig sah er sich in der Arena um. Hier musste irgendwo. Dort!

In einer prunkvollen Loge hinter einem metallenen Sicherheitsnetz in der ersten Reihe residierte der vermeintliche Kaiser.

Er wollte sich gerade diesem zuwenden, als er bemerkte, wie die Gladiatoren um ihn herum auf Sicherheitsabstand gingen.

Alarmiert drehte er sich um und sah, wie ein metallenes Tor nach oben gezogen wurde und ein hungrig wirkender Löwe heraustrottete.

Er hatte keine Lust mehr…

Entschlossenen Schrittes lief er auf die Loge des Kaisers zu. Er hob den Arm, deutete auf den Monarchen und rief:

„Asinus est!“

Von den Reihen des Amphitheaters drang lautes Gelächter.

Dabei kam es Grauen-Eminenz ziemlich erbärmlich vor, dass die einzige Beleidigung, die er auf Latein beherrschte, ‚Esel‘ war.

Der Kaiser erhob sich, sein Gesicht kam Grauen-Eminenz seltsam bekannt vor, dann rief er einen Befehl, den er nicht verstand. Leider schienen alle anderen Gladiatoren ihm da voraus zu sein.

Sie alle stürmten mit einem Mal auf ihn zu, als hätten sie nur noch ihn als Gegner.

Grauen-Eminenz überprüfte auf die Schnelle, wie er das Schutznetz der Kaiserloge zerstören könnte, ohne dass dieser Mistkerl direkt flüchtete.

Wieder einmal ärgerte er sich, nicht teleportieren zu können.

Mit einer Energiewelle musste er die Gladiatoren von den Füßen reißen, doch ein paar von ihnen blieben tatsächlich stehen! Telekinetisch packte er den Typ mit dem Krummschwert und schleuderte ihn gegen die schützende Abgrenzung der kaiserlichen Tribüne. Leider brachte das nicht viel.

Okay, dann war wohl doch Multitasking nötig. Wie er das hasste…

Er hob den Arm, fixierte den Kaiser und riss seine Hand nach hinten. Die Telekinese beförderte den Kaiser gegen sein eigenes Sicherheitsnetz, hielt ihn dort fest.

Noch ehe die Leibwächter ihre Pfeile auf ihn abfeuern konnten, sprang Grauen-Eminenz zu der Loge hinauf und klammerte sich an das Gitter, musste den Kaiser dafür kurz loslassen.

Er konzentrierte sich auf seine Kräfte und ließ das Metall unter seinen Händen weich und verformbar werden.

Mist, das dauerte viel zu lange! Und schon waren Leibwächter mit Speeren zur Stelle, um ihn aufzuspießen.

Grauen-Eminenz gab es auf, sich noch länger unter Kontrolle zu halten.

Sein Hass brach aus seinem Körper hervor, sprang jeden Menschen an, der im Umkreis von zehn Metern von ihm entfernt stand. Schreie.

Mit unmenschlicher Gewalt riss er das Stück Gitter das ihn von seiner Rache trennte aus der Abgrenzung, schleuderte es hinter sich und trat hinein.

Ebenso wie seine Untergebenen und Berater krümmte sich der Kaiser auf dem Boden. Grauen-Eminenz fühlte kein Mitleid. Der Hass leitete seine Bewegungen.

Blind vor Zorn und Vergeltungsdrang packte er den Mann am Hals und hielt ihn in die Höhe. Da erkannte er das Gesicht.

Kaltes Grauen überkam ihn.

Was war das für ein krankes Spiel?

Er begann zu zittern, seine Atmung wurde hektisch.

Wegen ihm war er hier. In einer Arena ganz anderer Art. Kämpfte. Wusste nicht wofür. Alles war so sinnlos. Selbst sich zu wehren.

Er bemerkte nicht einmal, wie er den Mann losließ, wich zurück, kauerte sich auf den Boden, wurde panisch. Hilfesuchend fasste er an die Stelle an seiner Brust, die er immer berührte, wenn er aufzugeben drohte. Doch es half nichts. Wozu war er hier? Wozu kämpfte er noch? Er konnte nicht gewinnen, hatte längst alles verloren.

Er erbrach ein ersticktes Schluchzen, hasste sich selbst dafür und wartete auf den Tod.

Das Bild des verstörten Bengels blitzte vor seinem inneren Auge auf, wie er völlig verzweifelt in seinem Schatthenreich aufgetaucht war, verloren, verlassen, ohne irgendwen an seiner Seite, der ihm hätte Halt geben können.

Er bekam keine Luft.

Nein.

Einen Schrei loslassend erhob er sich, sprang vor und packte den Kaiser an seiner Tunika. Mit bloßer Muskelkraft schleuderte er ihn durch das Loch in die Arena, dem Löwen zum Fraß vor.

Nicht länger hielt er sich zurück. Seine nächste Energiewelle brach jedem Menschen in der Kaiserloge das Genick.

Das beruhigende Gefühl, jeden getötet zu haben, machte sich in ihm breit.

Jetzt musste er nur noch zurück, um zu verhindern dass der dumme Bengel seine Fehler wiederholte.

Tränen bildeten sich in seinen Augen, aber es war zu viel geschehen, um noch irgendwas zu betrauern. Er hatte kein Recht mehr dazu.

Trostlos hob er den Blick gen Himmel und schloss die Augen.

 

Unbändig rang er nach Atem, als ertrinke er in seiner eigenen Vorstellung, den Bildern seiner Vision oder Albtraums, was auch immer es gewesen war.

Sein Kissen war nass von seinem Schweiß. Er setzte sich auf und berührte die Stelle an seiner Brust. Endlich ließ die Panik nach. Ein stummes Wimmern kam über seine Lippen. Seine Hand wurde zur Faust, klammerte sich an das letzte Stück Geborgenheit in der Finsternis.

Nein, er würde nicht aufgeben. Das hatte er sich geschworen.

Destiny vs. Grauen-Eminenz

Es handelte sich um eine leere, weite Fläche in einem Graublau, die von einer unsichtbaren Lichtquelle gespeist wurde. Die Beschützer und der Schatthenmeister hatten sich auf dieser Meta-Ebene zusammengefunden, um den geforderten Wettkampf auszutragen.

Destiny stand Grauen-Eminenz gegenüber.

Dass ausgerechnet sie für die Gleichgewichtsbeschützer gegen den Schatthenmeister antreten sollte, machte sie wütend. Wütend und verzweifelt!

Gegen den glatzköpfigen Hünen mit der grauen Haut und dem erbarmungslosen Blick hatte sie keine Chance!

Wieso hatten die anderen zugelassen, dass ausgerechnet sie sich dieser entsetzlichen Aufgabe stellen musste? Sie fühlte sich so verraten.

Hätte sie bloß auf der Stelle verschwinden können! Sie wollte nicht kämpfen. Die anderen waren doch so viel stärker als sie!

Sie spürte den Impuls, vor lauter Trotz auszurufen, dass sie aufgab, noch bevor überhaupt das Zeichen zum Beginn des Kampfes gegeben worden war.

Sie war so wütend! Nicht auf den Schatthenmeister, sondern auf ihre Freunde, die keinerlei Rücksicht darauf nahmen, wie schlecht es ihr bei dieser Aufgabe ging! Am liebsten hätte sie sich selbst mit ihren Kräften verletzt, um ihnen zu zeigen, wie überfordert sie war. Aber das war dumm.

Dann würden die anderen eben mitansehen müssen, wie der Schatthenmeister sie quälte. Vielleicht würden sie dann einsehen, was sie ihr hier antaten.

Unite trat von abseits des durch weiße Linien eingegrenzten Kampfbereichs heran. „Seid ihr bereit?“

Destiny antwortete nicht, sah nicht mal in ihre Richtung. Unite brauchte nicht glauben, dass sie ihr das so leicht verzieh.

„Bringen wir’s hinter uns.“, grummelte Grauen-Eminenz, als hätte er noch was Besseres zu tun, als seine Zeit hiermit zu verschwenden.

„Destiny?“, hakte Unite nach.

„Kann dir egal sein.“, zischte sie und wusste, dass ihre Worte Unite treffen würden.

„Destiny!“, rief Trusts Stimme tadelnd, aber sie wollte nicht hören.

Es war ihr egal, dass diese Aufgabe nicht von ihnen gestellt worden war, sie hätten etwas dagegen unternehmen sollen!

Sie unterdrückte ein Schluchzen.

Changes Stimme ertönte. „Mann, Tiny, wenn du dich anstrengst, besiegst du ihn!“

Destiny wirbelte herum und schrie: „Ich kann ihn nicht besiegen! Und das ist euch doch völlig egal!“

Sie sah, dass Desire auf ihre Unterstellung hin geschockt wirkte, während Trust Miene ausdruckslos war, Unite innerlich zu leiden schien und Erik ernst dreinblickte. Ewigkeit machte wie immer ein so entsetzlich unschuldiges Gesicht, als würde sie gar nichts verstehen.

Wut zeichnete sich dagegen auf Changes Zügen ab.

„Hast du sie noch alle?!“, brüllte er.

Sie wandte sich ab, wieder Grauen-Eminenz zu. „Wir können anfangen.“

Unite zögerte, dann gab sie das Zeichen.

Destiny wartete auf den Schmerz.

Nichts geschah.

„Es geht los.“, grollte Grauen-Eminenz, als störe ihn ihr fehlender Einsatz.

Es war ihr zu blöd, ihm darauf zu antworten.

Der Schatthenmeister stieß ein wütendes Geräusch aus.

Sie sah nicht auf, aber sie spürte, wie eine Energiewelle knapp an ihr vorbeischoss.

Sie hatte Angst.

„Du kannst paralysieren!“, schrie Grauen-Eminenz ihr zu, als wolle er, dass sie sich wehrte. 

Doch wozu sollte sie kämpfen, wo doch ohnehin feststand, dass sie verlor?

„Hey!“, brüllte Grauen-Eminenz. Vergebens.

Sie wollte einfach nur, dass es schnell vorbei war.

Vom Ton her hatte Grauen-Eminenz sich nun den anderen Beschützern zugedreht: „Die ist kaputt. Gebt mir einen anderen Gegner!“

Da hatte er wohl Recht. Sie war kaputt. Jemand wie sie sollte keine Beschützerin sein. Sie sollte überhaupt nicht sein.

„Tiny!“, schrie Change, doch das machte sie nur wütend. Sie wollte nicht, dass er an sie glaubte und ihr damit dumme Hoffnungen machte.

Tränen bildeten sich in ihren Augen.

Sie war doch viel zu schwach, um irgendetwas auszurichten.

Im nächsten Moment wurde sie von einer Druckwelle kreischend von den Fußen gerissen.

„Hör auf zu heulen!“, donnerte Grauen-Eminenz wutentbrannt.

Auf allen Vieren kauernd sah sie zu ihm auf, wie er eine violette Energie heraufbeschwor und sie in seinen Händen schussbereit machte.

„Destiny!“, rief nun auch Desire.

Ihre Atmung war zu hektisch. Würde sie einen Angriff des Schatthenmeisters überhaupt überleben?

Er schoss und sie kniff die Augen zu. Als sie sie wieder öffnete, erkannte sie ein Loch im Boden vor sich.

„Steh auf!“, befahl Grauen-Eminenz. Sie gehorchte. „Greif an!“

Doch sie hatte viel zu große Angst davor. Wenn sie ihre Kräfte einsetzte, gab es kein Zurück mehr, damit würde sie in diesen Kampf einwilligen.

„Hör auf, so zu schauen!!!!“ Die Stimme des Schatthenmeisters war zu einem noch angsteinflößenderen Brüllen herangewachsen.

Sie schüttelte den Kopf.

Nun stöhnte er wie ein genervter Teenager.

 

Grauen-Eminenz war einem Nervenzusammenbruch nahe.

Diese -! Was zum Henker war ihr verdammtes Problem?! Er wusste, dass dieses Mädchen Fähigkeiten besaß, die es zu einer ernsthaften Gefahr machten. Aber stattdessen stand diese Göre da wie ein Häufchen Elend, als wäre sie die bemitleidenswerteste Kreatur überhaupt.

Das machte ihn so wütend!

Am liebsten hätte er seine Telekinese benutzt, um das aus ihr rauszuschütteln! Oder ihr eine Ohrfeige zu geben, die sie zur Vernunft brachte. Doch leider schien diese Emo-Teenagerin so dickköpfig zu sein, dass sie sich dann bloß noch mehr in ihre Opferhaltung verkrochen hätte.

Es reichte.

Er brummte. „Ich gebe auf.“

Die Beschützerin starrte ihn fassungslos an, als wolle er einen üblen Scherz machen.

Trotzig rief er ihr zu: „Jetzt weißt du mal, wie das ist, wenn einer aufgibt, bevor er’s überhaupt versucht hat!“

Sie schien nicht zu begreifen.

Am liebsten hätte er sie dafür erneut von den Füßen gefegt!

„Wie blöd bist du eigentlich?! Du hast Kräfte, die du in einem Kampf einsetzen könntest! Aber du stehst da, als wärst du ein armes Bauernopfer! Wie ich das hasse! Wie kann man sich selbst nur so bemitleiden?!“

Gut, dass es hier keine Möbel gab. Sein Wutausbruch hätte sicher wieder ungewollt Dinge in die Luft gejagt.

„Wehr dich gefälligst, anstatt alles mit dir machen zu lassen! Sonst bleibst du für immer ein Opfer!“

Wieso sah diese dumme Göre ihr Potenzial nicht?! Wie verbohrt war sie eigentlich?

Das konnte er nicht einfach so stehen lassen.

Aufgebracht stapfte er zu ihr. Sein Nähern jagte ihr offensichtlich Angst ein.

Endlich hob sie ihre Hände, fast als wäre sie endlich bereit, sich gegen ihn zu wehren. Doch ihre Haltung wirkte noch immer viel zu unsicher.

Als sie zurückzuweichen drohte, blieb er stehen. „Du bist eine Beschützerin! Zeig mal etwas Stolz!“

Sie wirkte von seinen Worten nur völlig verwirrt.

Mit ausgestrecktem Arm deutete er auf ihre Freunde. „Wer von ihnen kann mich bewegungsunfähig machen?“

Sie wandte sich ihnen kurz zu und sah dann wieder ihn an, noch immer ängstlich

„Wer glaubst du, kann mir von ihnen am gefährlichsten werden?“, präzisierte er.

Ihr Blick deutete auf Erik.

Grauen-Eminenz schnaubte. Auch wenn der Bengel erstaunliche Kräfte besaß, waren diese den seinen ähnlich und damit etwas, auf das er gefasst war.

„Denk noch mal drüber nach.“

Zog sie jetzt ernsthaft einen Schmollmund? Wie wenig Selbstvertrauen hatte dieses Mädchen?!

Er stöhnte. „Denk, was du willst. Aber red dir nicht ein, dass es die Wahrheit ist.“

Ohne Weiteres wandte er sich um und entfernte sich, nicht ohne seine Sinne und seine Intuition darauf auszurichten, was sie als nächstes tat.

„Warte!“, rief sie mit zu hoher Stimme.

Er ignorierte es. Seine geschärften Sinne nahmen war, dass ihre Atmung sich beschleunigte, und seine Intuition ließ ihn spüren, dass ein Entschluss in ihr reifte. Er machte sich gefasst.

Rechtzeitig wirbelte er herum, um ihren Paralyseangriff mit einer Barriere abzuwehren.

Er schenkte ihr ein anerkennendes Grinsen. „Bis zum nächsten Mal.“

Dann schritt er durch das Portal, das ihn zurück in sein Schatthenreich brachte.

 

„Er hat wirklich aufgegeben…?“, fragte Desire tonlos.

„Woohoo!“, rief Change und stürmte an Destinys Seite. Doch sobald er den Arm um sie zu legen versuchte, war er paralysiert.

Destiny wirbelte zu den anderen herum. „Wehe, ihr lasst mich noch mal alleine gegen ihn antreten!“

Anstatt etwas zu entgegnen, warf sich Unite in ihre Arme und klammerte sich an sie.

Destiny schwieg und ließ sie gewähren. Auch dass Ewigkeit sich an ihre Wange drückte, kommentierte sie nicht.

Desire erledigte derweil die mittlerweile gewöhnte Aufgabe, Change von Destinys Paralyse zu befreien.

Sobald er wieder dazu fähig war, schimpfte er lautstark: „Ey, wieso paralysierst du SIE nicht!“ Er verwies auf Unite.

Destiny warf ihm einen bedrohlichen Blick zu, sodass er etwas zurückwich, um nicht erneut bewegungsunfähig gemacht zu werden.

Erik wandte sich an Trust. „Was war eigentlich der Einsatz?“ Dass Grauen-Eminenz aufgegeben hatte, schien ihn nicht weiter zu überraschen.

Trust antwortete. „Wenn er gewonnen hätte, hätte er nicht mehr bei der Protastik mitmachen müssen.“

Change klinkte sich ein. „Und was haben wir jetzt gewonnen?“

Unite löste sich von Destiny und grinste. „Wir müssen weniger Protastikaufgaben erledigen.“

Change nickte zufrieden. Kein schlechter Deal.

Grauen-Eminenz als Arzt

Endlich eine Pause!

Diese Gören waren aber auch anstrengend. Und aus einem unerfindlichen Grund schienen sie einen regelrechten Narren an ihm gefressen zu haben. Dauernd wollten sie, dass er mit ihnen spielte. Egal wie genervt er sie anschaute!

Grmpf.

Auf der Suche nach einem ruhigen Platz lief er auf eine der Glastüren zu und trat hinaus in einen begrünten Hinterhof.

Eines musste man dem Pandämonium ja lassen, der Veranstaltungsort war tatsächlich gut gewählt. Allerdings wirkte er so extrem alltäglich, als handle es sich um eine stinknormale Tagung langweiliger Schlipsträger und nicht die Versammlung von Schatthenmeistern und -verwesern einer Geheimorganisation.

Angesichts dessen kam er sich mit seiner grauen Haut und der Kleidung, die eher wirkte, als befände er sich auf einem Spezialeinsatz, irgendwie deplatziert vor.

Er stöhnte und ließ sich auf eine Steinbank sinken. Die Sonne schien und er hätte fast geglaubt, etwas Ruhe finden zu können, als eine Stimme schrill zu schreien begann.

Warum ausgerechnet in SEINER Nähe?

Grauen-Eminenz ignorierte den Missklang, der deutlich machte, dass da jemand Hilfe brauchte.

Das war eine Pandämoniums-Veranstaltung! Wer auch immer sich mit solchen Bekloppten einließ, musste ja wohl wissen, dass es sich nicht gerade um nette, soziale Zeitgenossen handelte, die einem hilfreich zur Hand gingen.

Oh nein, kamen da etwa schnelle Schritte näher?

„Sie – Sie sind doch –! Kommen Sie schnell!“, rief ein hektischer dünner Mann.

Grauen-Eminenz rührte sich nicht.

Doch dieses Männlein besaß tatsächlich die Frechheit, ihn am Arm zu packen! Kräftetechnisch war Grauen-Eminenz ihm so deutlich überlegen, dass es ihm absurd vorkam, sich gegen den Griff zu wehren. Das war ja lachhaft.

Also ließ er sich von dem, was auch immer dieser Mann war, ein Schatthenverweser? – einer dieser komischen Bürohengste, die sich bekloppte Regeln für Schatthenmeister ausdachten und sich um die Verwaltung kümmerten – mitschleifen. Schlicht weil er keinen Nerv hatte, ihn K.O. zu schlagen.

Nicht dass er sonst dauerhaft mit Kindern arbeiten musste oder gar einen Schatthengesellen aufgedrückt bekam.

Der Mann in dem stinklangweiligen mausgrauen Anzug, aus dessen Brusttasche eine Packung Tic Tac herauslugte, zerrte ihn hin zu einem am Boden kauernden und schwer atmenden Jungen von vielleicht sechs Jahren.

„Tun Sie was!“, forderte der Mann panisch.

Grauen-Eminenz unterdrückte ein Stöhnen und verdrehte die Augen. Mit einer geschickten Bewegung entwendete er dem Mann dann die Tic Tac Packung, öffnete sie und schüttelte drei der Lutschdragées in seine Hand.

Kniend hielt er sie dem Jungen hin.

„Lutschen.“, befahl er.

Der Junge schaute eingeschüchtert und tat wie ihm geheißen.

„Was- was tun Sie denn da? Das sind Tic Tac!“, rief der Verweser-Futzi. „Wie soll denn das helfen?“

Grauen-Eminenz sah nicht ein, diesem Trottel darauf zu antworten, doch das Kind schaute nun ängstlich.

„Das hilft, weil ich sage, dass es hilft.“, sagte er streng und baute sich wieder zu voller Größe auf.

Seine hünenhafte Statur schien großen Eindruck auf den Jungen zu machen.

„Was sind sie denn für ein Arzt?!“, kreischte der Mann neben ihm.

Sah er etwa aus wie ein Arzt?

Wütend drückte Grauen-Eminenz dem Deppen seine Tic Tac in die Hand und durchbohrte ihn mit einem Blick.

Hastig stopfte dieser sich daraufhin ein paar der Dragées in den Mund, als wäre er dazu genötigt worden.

Endlich gab er Ruhe.

Auch der Junge zu Grauen-Eminenz‘ Füßen atmete allmählich wieder regelmäßiger und tiefer.

Placebo sei Dank.

Grauen-Eminenz beugte sich zu ihm und hievte ihn kurzerhand auf seinen Arm. Der Junge wehrte sich nicht, sondern legte direkt seine Arme um ihn.

„Willst du später Schatthenmeister werden?“, fragte er ihn grimmig.

Der Junge schüttelte den Kopf.

„Gut so.“ Er lief mitsamt dem Jungen auf den Eingang des Gebäudes zu.

„Wo bringen Sie ihn denn hin?“, forderte der Mann aufgewühlt zu erfahren.

„Ins Kinderparadies.“, grollte Grauen-Eminenz. „Zu den anderen Nervensägen. Der kleine Mann sieht aus, als könne er den Job besser machen als ich.“

Er kontrollierte den Blick des Jungen. Tatsächlich wirkte dieser fasziniert davon, von einem so großgewachsenen und starken Mann wie ihm für würdig gehalten zu werden, eine verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen.

Grauen-Eminenz ignorierte die fehlgeleitete und völlig unangebrachte Bewunderung des Kleinen.

Er wollte nur, dass dieser seinen Job übernahm. Nichts weiter.

Er hatte kein weiches Herz oder so!!!

Kurz hielt er an und drehte sich nochmals zu dem verwirrt dreinschauenden Männlein herum, das sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn tupfte.

Fordernd streckte er ihm die Hand hin.

„Die Tic Tac.“

Ohne Widerworte reichte dieser ihm die Packung.

Grauen-Eminenz drückte sie dem Jungen auf seinem Arm in die Hand.

„Hier.“ Sein Blick glitt nach vorn. „Für den Fall, dass wir noch mehr Leute verarzten müssen.“

Der Kleine nickte pflichteifrig, als sei er fest dazu entschlossen, ihm zu assistieren.

 

Jubiläum - Ein Besuch meiner Figuren

Verbissen sitze ich am Laptop. Zum Jubiläum der Protastik möchte ich eine besondere Geschichte schreiben! Eine herzerwärmende, freudige, meinetwegen auch lustige!

Ach, ich sollte meine Ansprüche runterschrauben, sonst stehe ich am Schluss ohne Geschichte da.

Ich weiß einfach nicht, wo ich anfangen soll.

„Reginaaaaaaaaaa!!!!!“ Eine überfreudige Stimme reißt mich aus meinen Gedanken, sie klingt warm und vertraut wie eine Kindheitserinnerung.

Im gleichen Moment finde ich mich – zumindest mein Oberkörper – in einer überschwänglichen Umarmung wieder. Ich spüre die Wärme und Weichheit einer Person, die eindeutig nicht besonders groß ist, denn obwohl ich sitze, werde ich gegen ihre großzügige Oberweite gepresst.

Es ist echt seltsam, Viviens plötzliche Nähe zu spüren, auch wenn die Protastikaufgabe mich ja eigentlich darauf hätte gefasst machen können.

Sie kichert so liebenswert und hat diese herzliche Art, dass man sich direkt zu Hause und zu einem Lächeln verführt fühlt.

Nun sehe ich auch die anderen sich nähern, Vivien ist wohl vorausgerannt.

Vitali hebt lässig die Hand zum Gruß „Jo!“ und grinst über das ganze Gesicht, offensichtlich hocherfreut über diesen Ausflug.

Serena neben ihm wirkt deutlich reservierter. Ich sehe ihr an, dass sie sich unwohl fühlt, ja nicht recht weiß, wie sie sich verhalten soll. Sie kommt sich vermutlich fehl am Platz vor. Die Arme. Das erklärt auch, warum sie so nah neben Vitali läuft, was sonst eher ungewöhnlich ist. Vielleicht hofft sie, dass etwas von seiner Leichtigkeit auf sie abfärbt. Oder sie plant, einfach sein Verhalten zu kommentieren und dadurch mit ihm streiten zu können, statt mit mir zu reden. Vitali ist schließlich derjenige, der immerzu auf sie reagiert, während die anderen gerade eher auf das Treffen mit mir fixiert sind.

Auch Justin, der ein paar Schritte hinter Vivien stehen geblieben ist, schaut schüchtern. Er will sicher nichts falsch machen, weiß aber nicht recht, wie er sich nun geben soll. Stocksteif steht er da, als stünde er einer Berühmtheit gegenüber. Das ist mir peinlich.

Ich löse mich sachte aus Viviens Umarmung und lächle sie an. Sofort hüpft sie an Justins Seite und ergreift seine Hand. Ich weiß, dass ihr seine Nähe Sicherheit gibt, bloß wird er dadurch noch verschämter. Das erinnert mich an die Szene, die ich immer noch schreiben muss, damit die Handlung weitergeht – wie Justin Viviens Vater kennenlernt. Ah, meine Gedanken schweifen ab.

Oh, ähm. Ich erhebe mich von meinem Bürostuhl und merke, dass ich selbst nicht weiß, was ich jetzt am besten tun soll. Ach verdammt.

„Hallo.“, sage ich und komme mir etwas blöd vor.

Vivien kichert vergnügt.

Serena und Vitali haben sich neben Justin gestellt und machen Platz für Ariane und Erik.

Vitali grinst mich an. Das ist lieb. Oh Mann, jetzt will ich sie alle gerne umarmen, aber das wäre sicher unangebracht. Erik wäre absolut nicht begeistert. Er schaut schon jetzt so distanziert.

Naja, ich weiß ja, dass er sich meist gezwungen fühlt, seine überlegene Aura aufrechtzuerhalten wie eine Rüstung. Vielleicht ist er in Wirklichkeit ja auch unschlüssig, welches Verhalten mir gegenüber angemessen ist. Er ist ja bei allen Menschen so, die er nicht wirklich kennt. Zumindest macht er dabei einen sehr selbstbewussten Eindruck.

Ich lenke meinen Blick auf Ariane. Sie ist wunderschön. Wie immer. Für den Anlass hat sie sich wohl extra zurechtgemacht und trägt ein verspieltes Kleid mit Spitze. Irgendwie hab ich ein schlechtes Gewissen, dass mir ausgerechnet ihre Schönheit auffällt, etwas, das sie sicher nicht gutheißen würde. Aber mit ihrem freundlichen Lächeln und ihrem inneren Strahlen ist sie einfach wunderschön. Die Art von Schönheit, die man einfach bewundern muss, weil sie so echt ist.

„Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum!“, sagt sie und ihr ist anzusehen, dass sie es wirklich so meint.

„Ähm, eigentlich…“, druckse ich.

Vitali dreht sich zu ihr. „Wir haben doch bloß bei 14 Geschichten mitgemacht.“

Ja, genau das war mein Gedanke.

Vivien kichert. „Eigentlich hat vor allem Grauen-Eminenz mitgemacht!“

Serena schimpft: „Hör auf, ihn zu erwähnen, sonst taucht der auch noch auf.“

„Aber darauf warten die Leser doch!“, ruft Vivien quietschfidel. „Der Star der Protastik!“ Sie lacht schadenfroh oder euphorisch - wahrscheinlich beides. Und ich muss ihr Recht geben: Jeder wartet auf Grauen-Eminenz. Selbst ich.

Ach Mist, ich sollte mich über die Anwesenheit der sechs freuen. Aber sobald Vivien ihn erwähnt hat, frage ich mich, was Grauen-Eminenz sagen wird. Dass er noch kommen wird, steht für mich außer Frage. Er ist ja doch zu neugierig und eigentlich mag er die Aufmerksamkeit ja auch. Das würde er sich nicht entgehen lassen.

„Wo ist eigentlich Ewigkeit?“, frage ich.

Plötzlich blitzt ein Licht direkt vor meiner Nase auf, sodass ich fast zurücktaumle und über meinen Rechner stürze. Glücklicherweise nur fast.

„Glückwunsch!“, schreit Ewigkeit in der Luft schwebend mit ihrer glockenhellen, kindlichen Stimme.

Im gleichen Moment fangen alle sechs an zu klatschen.

Das … das ist echt peinlich, wie sie mir applaudieren.

„Ähm… das ist … Die Protastik kommt doch nicht von mir! Klatscht besser für Anke, Lucas und Christina!“

„Wir klatschen für dich.“, stellt Vivien klar. „Immerhin hast du zwei Jahre lang jeden Freitag ein Kapitel unserer Geschichte veröffentlicht.“

„Äh, das… hat doch gar nichts hiermit zu tun! Das ist ein total anderes Thema! Und außerdem mache ich doch gerade eine Pause. Und das interessiert doch hier auch niemanden!“

„Und du bist jetzt verlobt!“, ruft Vivien.

„Vivieeen!“, kreische ich. „Das hat hier nichts zu suchen!“

Oh mein Gott, warum tut sie mir das an? Ich bin doch die Autorin, ich entscheide doch, was hier geschrieben steht und das Thema wollte ich nun wirklich nicht drin haben.

„DU!“ Eine mächtige Männerstimme rollt donnernd durch den Raum. Eigentlich bin ich ganz froh über die Ablenkung und außerdem finde ich seine Stimme ja sexy – Verdammt, Regina, jeder kann gerade deine Gedanken lesen! Hör auf so was zu denken. – Aber… wir alle haben doch darauf gewartet, dass er endlich kommt…

Gut, dass Grauen-Eminenz‘ Stimme mich von weiteren Gedankenergüssen abhält.

Er ist ein Stück entfernt hinter den sechsen aufgetaucht und funkelt mich feindselig an. „Mitkommen!“, befiehlt er.

Wer würde da Nein sagen? Innerlich lache ich über meinen eigenen Scherz. Achja.

Ich mache eine beschwichtigende Geste zu den sechsen und Ewigkeit, „Keine Sorge.“, und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.

Ich versuche nicht übertrieben fröhlich Grauen-Eminenz entgegenzueilen, aber meine Mundwinkel sind weit nach oben gezogen. Ich freue mich einfach, ihn zu sehen!

Er ist wirklich ein Hüne und muskulös. Ich muss noch breiter grinsen.

Sein Blick verrät mir, dass er davon restlos entnervt ist.

Kann ich irgendwie verstehen, würde mir wohl nicht anders gehen, wenn mich jemand so anhimmeln würde. Innerlich lache ich darüber.

„Raus.“, knurrt er und verweist auf die Glastür die zur Treppe hinausführt.

Oh Mann, ich wollte ihn umarmen!

Ich höre einen unartikulierten Laut der Genervtheit in seiner Kehle und bemerke, dass ich einen Schmollmund gezogen habe. Ups.

Mich wieder zusammenreißend öffne ich die Tür. Okay, wenn Grauen-Eminenz hinter einem steht, ist das schon etwas unheimlich. Er hat wirklich eine starke Präsenz.

Ich trete auf den Treppenabsatz und mache ihm Platz. Ich bezweifle, dass er hinunter will.

Seine Haltung ist schon ziemlich königlich fällt mir auf, während er die Tür schließt. Klar, er ist ja auch der Herrscher über sein Schatthenreich. Hehe.

Ich erstarre, als er seinen harten Blick auf mich richtet. Vielleicht sollte ich ihn doch etwas ernster nehmen.

Sein Gesichtsausdruck zeugt von Abscheu. Kurz habe ich den Eindruck, er stünde vor einem Wutausbruch.

Vorsichtig hebe ich die Arme, um zu zeigen, dass ich unbewaffnet bin. Bitte nicht angreifen.

Und ich hatte gedacht, er würde mich vielleicht zur Gratulation kurz an sich ziehen. Voll daneben. Dabei kann er manchmal echt lieb sein!

Er stößt ein langes, enerviertes Schnauben aus.

Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich ihm in der Protastik so einiges zugemutet.

Aber hey! Er hat das immer mit Bravour gemeistert!

Okay, der Albtraum mit dem Kolosseum war schlimm, aber dafür kann ich nichts. Das war ursprünglich nicht als tragische Geschichte gedacht. Es waren seine Geister der Vergangenheit und seine eigenen inneren Kämpfe, die das in diese Richtung getrieben haben. Und nein, dafür bin ich nicht verantwortlich. Das ist eine Frage der Authentizität und ich achte auf das, was beim Schreiben von seiner Seite kommt. Ja, natürlich spielen meine Gefühle da rein, keine Frage, aber trotzdem.

„Tut mir leid?“, sage ich unsicher.

Geht es ihm gerade nicht gut? Vielleicht sollte ich für ihn da sein. Oh Gott, hat er gerade eine schwere Phase? Was kann ich für ihn tun?

Von meiner Gedankenspirale geleitet, umarme ich ihn einfach. Keine Sekunde später schiebt er mich von sich.

„Was zum –!“, grollt er und zieht hastig die Hände von mir zurück, als wäre ich giftig.

Wie fies.

Dann fixiert er mich mit ernstem Blick, der sich zu Wut wandelt. „Du musst aufhören, an deinen Entscheidungen zu zweifeln.“

Was? Wie kommt er denn jetzt darauf?

„Ich hab keinen Bock, deinen Mist auszubaden.“

„Was soll das heißen?“, verlange ich zu erfahren.

Seine grauen Augen funkeln bedrohlich. „Du weißt genau, was das heißt.“

In so Momenten bekomme selbst ich Angst vor ihm.

Ich lasse den Kopf hängen und seufze. „Es ist halt gerade nicht so einfach.“ Ich spüre wie Tränen in mir hochzukommen drohen. Oh Mann! – Wie oft habe ich jetzt schon ‚Oh Mann‘ gedacht. Das ist ja schrecklich.

Ich schlage die Augen nieder und würde mich am liebsten ganz klein machen.

„Wag ja nicht, so vor mir zu stehen.“, schimpft er.

Trotzig schaue ich zu ihm auf und ziehe nun wissentlich einen Schmollmund.

Er dreht den Kopf zur Seite und stößt geräuschvoll die Luft aus. „Was ist dein Problem?“

„Es ändert sich alles so plötzlich. Ich komme nicht hinterher. Ich weiß nicht-“

Er unterbricht mich. „Hör auf rumzuheulen.“

Meine Stimme wird spitz. „Ach, ist es besser, wie ein Besessener an einer Idee festzuhängen, weil man von der eigenen Schuld nicht ablassen kann?“

Das hätte ich nicht sagen sollen. Sein Gesichtsausdruck wird mörderisch. Ich will zurückweichen, aber hinter mir ist die Wand.

„Du.“, knurrt er. Mich überfällt Furcht. Dann entdecke ich etwas in seinen Augen, das Schmerz ausdrückt.

„Tut mir leid.“, schniefe ich.

Er wendet sich ab. Seine Stimme schrumpft zusammen. „Manchmal hasse ich dich.“

„Ich auch.“, gestehe ich.

Wieder dieses entnervte Stöhnen. „Du bist mir zu ähnlich.“

Die Worte lassen mich aufhorchen. Also das würde ich jetzt nicht unterschreiben.

„Das kotzt mich an!“, entfährt es ihm.

Im nächsten Moment finde ich mich von seiner rechten Hand an die Wand gedrückt wieder. Himmel, ist er stark! Das ist angsteinflößend.

„Du. Wirst. Gefälligst. An dich glauben!“, befiehlt er mir.

Ich überlege, ihm zu erklären, dass das so nicht funktioniert.

„Verdammt noch mal!“, schreit er und macht eine ausladende Armgeste. „Das ist so frustrierend mit dir!“

„Tschuldigung?“ Oh, er sieht aus, als wolle er mich gleich erwürgen.

„Du erschaffst Welten! Wir leiden und lachen. Und du? Dich macht der stinknormale Alltag fertig! Wieso nutzt du deine Gabe nicht mal, um dein eigenes Leben zu gestalten?“

„Ich weiß nicht wie.“, presse ich hervor.

„Denk doch einfach mal, dass du es kannst! Wie diese bekloppten Protastikaufgaben. Du hast es einfach versucht und es hat geklappt!“

Ich nicke langsam. „Bist du da, um mir zu helfen?“

Ein Laut tiefsten Widerwillens erklingt. „Immer.“, knurrt er wütend.

„Danke.“ Mein Lächeln ist zurückgekehrt. „Darf ich dich jetzt umarmen?“

„Denk nicht mal dran!“

 

 

Anmerkung:

Offscreen hat Grauen-Eminenz mich natürlich umarmt. Hihi.

Grauen-Eminenz: „Hab ich nicht!“

„Ich entscheide, was du machst.“

Grauen-Eminenz: „Grr…“

„Oh-oh. Nicht! Ich bin auch brav. Keine Kräfte auf mich anwenden. Aaah!“

Grauen-Eminenz: „Die Autorin ist geflüchtet, also ist das hier das Ende. Klar?!“

Ewigkeit und der Bollerwagen

Ewigkeit hatte Vereinens [= Viviens] Mutter und ihre Geschwister in einen Ort einige Autominuten entfernt begleitet. Dort wollten sie einen ‚Stadtbummel‘ machen.

Das Prinzip verstand Ewigkeit nicht so ganz, aber Vereinens kleine Schwester Ellen hatte ihr erklärt, dass man dabei die fremde Stadt erkundete.

Etwas Neues zu erforschen, klang einleuchtend. Vielleicht konnte sie ja neue Ideen für das Training der Beschützer finden!

Warum Vereinen sich dem Ausflug nicht angeschlossen hatte, hatte sie daher nicht nachvollziehen können. Aber die Beschützerin hatte sie ermutigt, die neue Umgebung umso genauer auszukundschaften, um ihr später alles genau erzählen zu können.

Ewigkeit fiel auf, dass es hier um einiges hügliger war als in Entschaithal. Nicht dass sie das gestört hätte, fliegend machte es keinen Unterschied.

Interessiert betrachtete sie die Schaufenster, an denen Viviens Familie vorbeikam, und flog auf die andere Straßenseite der Fußgängerzone, um sich auch dort umzusehen.

Weiter oben schien ein sogenannter Marktplatz zu sein, auf dem sie einen Springbrunnen erahnen konnte. Neugierig flog sie voraus.

Auf dem Weg lief ein Kind, das noch jünger als Ellen aussah, vielleicht drei oder vier. In seinem Bollerwagen zog es ein kleines Kätzchen mit sich.

Schnellstens machte Ewigkeit einen Bogen um die Katze. Sie hatte gelernt, dass diese Spezies gerne alles mit Flügeln, das sich schnell bewegte oder gar leuchtete, töten wollte.

Dabei bedachte sie nicht, dass kleine Kinder ihr ebenfalls gefährlich werden konnten – ein Nachteil davon, von ihnen gesehen zu werden.

Sie schrak zurück, als das Kleine seine Hände von dem Griff seines Bollerwagens nahm und stattdessen nach ihr zu greifen versuchte.

Hastig teleportierte Ewigkeit sich ein Stück weg, um dem Angriff zu entgehen.

Doch der kurze Moment genügte, dass der Bollerwagen, der nicht länger festgehalten wurde, die abschüssige Strecke hinabrollte. Geradewegs auf eine vielbefahrene Straße zu.

Das Kind begann lauthals zu heulen.

Ewigkeit nahm sofort die Verfolgung auf.

Durch gezieltes Teleportieren war sie schneller, doch der Wagen hielt nicht an und das Kätzchen miaute herzzerreißend.

Sie war doch ein Gleichgewichtsbegleiter! Sie musste etwas tun!

Todesmutig teleportierte sie sich hinter das Kätzchen und versuchte es am Genick nach oben zu ziehen. Aber sie war nicht dazu fähig, ein Wesen zu tragen, das größer war als sie selbst und mehr wog. Dabei konnte sie noch von Glück reden, dass das Kätzchen wohl noch zu schockiert von der Talfahrt war, um nach ihr zu schnappen.

In Ewigkeits Hirn ratterte es, sie musste das Kätzchen irgendwie dazu bringen, aus dem Wagen zu springen.

Sie teleportierte sich an die Seite des Wagens, direkt vor das Kätzchen, machte hektische Bewegungen – was aufgrund der Fahrt gar nicht so einfach war und all ihr Teleportationskönnen erforderte – und leuchtete immer wieder so hell auf wie sie konnte.

Wie hypnotisiert wollte das Kätzchen sie mit seiner Pfote erwischen.

Ewigkeit versuchte sich an noch schnelleren Bewegungen, bei denen sie die Distanz variierte.

Ein erschrockener Aufschrei entfuhr ihrer Kehle, als das Kätzchen zielgenau auf sie zu sprang.

Weg!

Schwer atmend sah sie von weiter oben, wie das Kätzchen zwar auf den Pfoten landete, aber aufgrund der Geschwindigkeit der Fahrt dennoch nicht unbeschadet blieb. Der Bollerwagen indes rollte weiter auf die Straße zu, wo er von einem Wagen erfasst wurde. Der Fahrer hielt an und schimpfte lautstark.

Ewigkeit seufzte erleichtert und sah zurück zu Vereinens Familie.

Vereinens Mutter hatte sich des weinenden Kindes angenommen.

Kai, Vereinens jüngerer Bruder von elf Jahren, kam ihr entgegen gerannt.

Als er bei ihr ankam, richtete er direkt das Wort an sie. „Wie geht’s der Katze?“

Ewigkeit hatte sich nicht nochmals in ihre Nähe getraut und wusste daher nichts zu antworten.

Sobald es den Jungen sah, begann das Kätzchen erbärmlich zu jammern. Behutsam hob er es auf und trug es wieder den Weg hinauf seinem Menschen entgegen.

„Es wird alles gut.“, versicherte er dem verängstigten Tier.

Dann hob er den Blick. „Das hast du toll gemacht.“, lobte er.

Ewigkeit wurde verlegen. Sie wusste nicht, ob das wirklich heldenhaft gewesen war, denn das Kätzchen war ja verletzt worden. Wenn sie größer gewesen wäre, hätte sie vielleicht mehr ausrichten können.

„Du bist verdammt schnell!“, sagte Kai beeindruckt. „Das war beeindruckend!“

Nun gab Ewigkeit ein heiteres Glöckchenklingeln von sich und flog beschwingte Bahnen, erfüllt von dem Gefühl, trotz ihrer geringen Größe etwas Großes geleistet zu haben.

Ewigkeit und der "Dom" wider Willen

Die sechs hatten sich mit Ewigkeit gemeinsam zur Eröffnung der nächsten Protastikaufgabe zusammengefunden. Bei der Beschreibung „eine deiner zurückhaltenden Figuren“ hefteten sich alle Blicke direkt auf Justin.

Ängstliche Verunsicherung trat auf seine Züge.

„Ich finde, wir sollten Ewigkeit nehmen!“, rief Vivien überschwänglich dazwischen und zog damit die Aufmerksamkeit auf sich.

Überglücklich kam Ewigkeit herbeigeschwebt.

„Hä?“, stieß Vitali ungläubig aus, auch Serena schaute verwirrt.

Erik indes verschränkte die Arme vor der Brust. Im Gegensatz zu den anderen verstand er den Begriff Dom und hatte Vivien angesehen, dass es ihr ebenso ging. Logisch, dass sie Justins Einsatz verhindern wollte.

„Vivien.“, setzte Ariane an. „Das ergibt keinen Sinn. Niemand kann sie sehen.“ Sie drehte sich zu den anderen. „Und was ist überhaupt ein, eine Domse?“

„Dafür habe ich die perfekte Lösung!“, verkündete Vivien überzeugt.
 

„Was ist das für eine bescheuerte Aufgabe!“, donnerte Grauen-Eminenz‘ wütende Stimme.

Er hatte sich auf der Meta-Ebene eingefunden, um einmal mehr seine unliebsame Pflicht zu erfüllen.

Vivien lächelte freudig. „Ich finde, du passt hervorragend zu der Rolle eines Doms!“

Grauen-Eminenz starrte sie an. Wahrscheinlich dachte diese Göre, dass Dom dasselbe wie Sadist war und Sadist das gleiche wie geisteskranker Gewalttäter. So ein Schwachsinn!

Außerdem war in der Aufgabe nicht gestanden, dass eine Figur in die Rolle eines Dom schlüpfen sollte!!!

Vivien grinste. „Du bist so kontrolliert!“ – Was?!! – „Ich bin sicher, du behältst das Wohl deines Gegenübers stets im Blick.“

Die wollte ihn doch verkackeiern! Wieso musste er sich so was von einer Minderjährigen anhören?!

Er stöhnte entnervt. „So was macht man nicht zum Spaß.“, stellte er klar. „Man kann nicht einfach die Rolle eines Dom einnehmen. Das erfordert ein intimes Vertrauensverhältnis. Der Sub muss sich komplett auf den Dom verlassen und es muss klare Absprachen geben. Auch wenn es nichtsexuell ist.“

Vivien klatschte in die Hände. „Ich wusste doch, dass du die richtige Besetzung bist!“, rief sie aus, als habe er mit seiner Erläuterung ihren Wahnsinn auch noch bestätigt!

„Ewigkeit ist auch schon da!“ Sie präsentierte mit den Händen eine Stelle neben ihrem Kopf. Dort war nichts.

Nicht schon wieder!!!!

 

Ewigkeit sah unschlüssig von Vereinen [Vivien] zu Grauen-Eminenz und zurück.

Auch wenn sie die dieswöchige Aufgabe nicht so ganz verstanden hatte, war sie darüber erfreut, wieder bei der Protastik mitmachen zu dürfen. Schicksal [Serena] hatte sich zwar lauthals über die Idee beschwert, sie in die Nähe des Schatthenmeisters zu lassen, doch Vereinen [Vivien] hatte sich für sie eingesetzt. Immerhin war die Zusammenarbeit für den letztjährigen Adventskalender auch erfolgreich gewesen.

„Wie soll ich mit jemandem interagieren, den ich weder sehen noch hören kann!“, schimpfte der Schatthenmeister.

Dieser Umstand hatte schon zur Weihnachtszeit einige Probleme mit sich gebracht. Zuerst hatte er sich sogar geweigert, überhaupt mit ihr aufzutreten.

Zu guter Letzt hatte er sich jedoch – mit der Begründung, dass sie ihn wenigstens nicht nerven konnte – damit abgefunden und sich sogar zu einem weiteren gemeinsamen Bild überreden lassen.

„Du sollst ja auch nur Interesse zeigen.“, meinte Vivien nonchalant.

„So geht das nicht!“, schrie Grauen-Eminenz.

„Warum nicht?“, wollte Vivien wissen.

„Weil – “ Er brach ab und rang wütend nach Worten. „Ich soll als Dom auftreten, dafür muss ich auf die Bedürfnisse und Wünsche des anderen eingehen. Das geht nicht ohne irgendeine Form von Kommunikation!“

„Du kannst ihre Berührung spüren!“, erinnerte Vivien.

Kurz zuckte Grauen-Eminenz‘ Gesicht, die Erinnerung an die Adventskalender-Aktion trat zurück in sein Bewusstsein.

Er hatte es keinem gesagt, aber wenn diese Ewigkeit ihm nah kam, konnte er ihre Präsenz spüren – eine tröstende Wärme. Ihre Berührung hatte ein Gefühl in ihm ausgelöst, auf das er gerne verzichtet hätte.

Er wandte den Blick ab. Hoffnung war ohnehin vergebens.

Der Rotschopf redete einfach weiter. „So könnte sie mit dir kommunizieren! Oder soll ich hier bleiben und dir übersetzen, was sie sagt und tut?“

Seine Augenbrauen zogen sich noch weiter zusammen. Irgendwie empfand er allein den Vorschlag als schamlos. „So funktioniert das nicht!“

„Aber kann Dom nicht auch bedeuten, dass man den anderen umsorgt?“, wandte Vivien ein. „Du könntest dich doch den ganzen Tag um sie kümmern! Oder zumindest für die nächste Stunde.“

Grauen-Eminenz wollte dem widersprechen, aber … Verdammt! „Gut, dann nehme ich sie mit ins Schatthenreich. Für eine Stunde!“

„Oh, sie kann nicht ins Schatthenreich.“, merkte Vivien an.

„Was?“, stieß er empört aus.

Vivien zuckte mit den Schultern. „Wir wissen nicht, wieso.“

Ein Stöhnen drang aus seiner Kehle. Wahrscheinlich war dieses seltsame Wesen, das sie Ewigkeit nannten, zu rein, um sich den dunklen Schwingungen seines Reichs auszusetzen. Wobei er nicht wirklich an die Existenz von irgendetwas Reinem in dieser Welt glaubte.

„Und wo soll ich dann mit ihr hin? Ich kann ja schlecht in der Fußgängerzone mit ihr rumlaufen!“ Er verwies auf seine graue Haut.

„Könntest du nicht die Hautfarbe ändern?“, schlug Vivien vor. „Die ist doch eh nicht echt.“

Wieder wurde er laut. „So oder gar nicht!“

 

Grauen-Eminenz stand in der Küche von Viviens Familie.

Was zum Henker war mit diesem Mädchen verkehrt?!

Auch wenn sie es irgendwie geschafft hatte, ihre Mutter und ihre Geschwister zu einem Familienausflug zu motivieren, war das einfach … Er kam sich hier so verkehrt vor!

Aber Vivien hatte gemeint, dass Ewigkeit sich bei ihr am besten auskannte und daher wohlfühlen würde.

Mit einem langen Seufzen machte er sich Luft.

„Also“ Er deutete auf seine rechte Gesichtshälfte. „Einmal antippen bedeutet Ja. Zweimal antippen bedeutet Nein. Verstanden?“

Nichts geschah.

„Du sollst mit Ja oder Nein antworten!“, herrschte er die Leere vor sich an. Er hatte keine Ahnung, wo die vermeintliche Ewigkeit sich aufhielt.

Eine flüchtige Berührung an seiner Wange ließ ihn zusammenzucken.

Verdammt! Er hatte das doch selbst vorgeschlagen!

„Okay.“, bestätigte er und sah sich in der Küche um. „Willst du… was essen?“

Es ärgerte ihn ungemein, dass er in seinen eigenen Ohren unbeholfen klang.

Die fremdartige Berührung kam zurück. Zweimal in kurzem Abstand.

Er spürte den Impuls, sich an die Wange zu fassen, unterband ihn jedoch. Normalerweise ließ er sich von niemandem berühren.

Doch im nächsten Moment stieg ihm ein schwacher Geruch in die Nase, den er nicht benennen konnte. Er schüttelte hastig den Kopf, um die Gefühle zu unterdrücken, die davon heraufbeschworen wurden.

Es roch nach Geborgenheit.

 

Ewigkeit nahm mit einiger Verwunderung die Reaktion des Schatthenmeisters wahr.

Er wirkte mit einem Mal so zerbrechlich, fast als drohe er in Tränen auszubrechen. Der Anblick ließ in ihr den drängenden Wunsch erwachen, sich um ihn zu kümmern.

Hastig sah sie sich im Raum um. Wie konnte sie ihn wohl trösten?

Ihr Blick fiel auf die kleine Vase mit einem Gänseblümchen, das Vereinens [Viviens] kleine Schwester gepflückt hatte. Geschwind flog sie dorthin und schwebte sogleich mit der Blume in Händen vor das Gesicht des Schatthenmeisters.

Doch irgendwie schien er sich darüber nicht zu freuen.

Er starrte sie oder eher das schwebende Gänseblümchen vor seiner Nase an und wirkte nicht gerade glücklich.

Geknickt ließ Ewigkeit die Blume sinken. Jäh befand sich die Hand des Schatthenmeisters unter ihr, als habe er sie auffangen wollen.

„Danke.“, druckste er und Ewigkeit ließ das Gänseblümchen in seine Hand fallen. Vor Freude gab sie ein heiteres Glöckchenläuten von sich, das er jedoch nicht wahrnahm.

„Du weiß nicht, was Dom bedeutet, oder?“

Sie schwebte näher an sein Gesicht und tippte ihn zweimal an.

„Es geht darum, dass man die eigene Kontrolle abgibt. Dafür muss man demjenigen sehr vertrauen.“

Fasziniert lauschte sie seiner Ausführung und berührte abermals seine Wange, um ihm zu signalisieren, dass sie ihm zuhörte.

Etwas in seinem Gesicht änderte sich. Die Härte kam zurück. „Du tätest besser daran, mir nicht zu vertrauen. Niemand sollte das.“

Sein Tonfall ließ sie kurz die Schultern hochziehen, dann fragte sie sich, ob sie nun mit Ja oder Nein antworten sollte.

Wieder seufzte er und sah entsetzlich verloren aus, so riesig er auch war.

Der Anblick betrübte sie. Sie wusste, dass Schatthenmeister ihre tiefschwingenden Emotionen zu Lichtlosen materialisierten, eine Technik, die von der gezielten Konzentration auf unschöne Gefühle lebte. Wie schmerzhaft musste ein solches Dasein sein?

Sie dachte kurz darüber nach, was sie bei Vereinens [Viviens] Geschwistern über das Trösten gelernt hatte.

Behutsam streichelte sie seine Wange.

Geradezu verstört schreckte er vor ihr zurück und riss die Hand an seine Gesichtshälfte, starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Stelle direkt neben ihr, wo er sie wohl vermutete.

Sein Mund verzog sich. „Lass das.“, murrte er.

Irgendwie brachte seine Miene sie zum Lächeln.

Bei seiner überstürzten Bewegung war ihm das Gänseblümchen aus der Hand gefallen. Er bückte sich danach und hob es auf.

Sein Blick blieb darauf fixiert und wieder zeigte sich Leid auf seinen Zügen. Etwas wie Sehnsucht glomm in der Tiefe seiner grauen Augen, die so schnell wieder verschwand wie sie gekommen war.

Mit betont festen Schritten ging er zu der Stelle, an der die Vase stand und steckte die Blume dorthin zurück. Als wäre sie etwas, das er schnellstmöglich loswerden wollte.

Ewigkeit fragte sich, was es war, nach dem er sich sehnte. Ihre kleine Hand umfasste ihren goldenen Anhänger.

Ob der Schatthenmeister die Ursache dafür kannte? Oder ging es ihm wie ihr, die keine Ahnung hatte, woher in manchen Momenten dieses bittersüße Gefühl in ihrem Herzen stammte. Und war das überhaupt wichtig?

„Wir sollten zurück in die Meta-Ebene gehen.“, verkündete der Schatthenmeister grimmig.

Ein Teil von ihr empfand etwas wie Enttäuschung.

Sie nickte und unterließ es, ihn nochmals zu berühren.

Erik, Ariane und die Werbung

„Danke, dass du mitgegangen bist.“, sagte Ariane.

Erik nickte bloß, ohne sie anzusehen. Was hätte er auch antworten sollen? Ganz sicher nicht, dass er nur hier war, weil die anderen keine Lust gehabt hatten, oder noch schlimmer, dass er gerne in ihrer Nähe war. Zu externen Anlässen Zeit mit ihr zu verbringen, war einfacher. Es verhinderte, dass sein Herz zu angreifbar wurde.

Er verdrängte den Gedanken daran und blickte sich auf dem Entschaithaler Messplatz um. Dass die Jobbörse so vergleichsweise groß ausfallen würde, hatte er nicht erwartet.

„Interessiert du dich für etwas Bestimmtes?“

Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen und ihre hellblauen Augen bekamen diesen aufgeweckten Glanz. „Ich wollte einfach sehen, was es alles gibt.“

Angesichts ihrer ungewohnten Begeisterung stahl sich ein Schmunzeln in seine Mundwinkel.

„Weil sich hier ein Abenteuer versteckt haben könnte?“ Das hatte sie damals auf Burg Rabenfels gesagt.

Ihrer erheiterten Miene nach zu urteilen, freute es sie, dass er sich an ihre Worte erinnerte. „Vielleicht.“

Kurz wandte er den Blick ab, um wieder die nötige innere Distanz einzunehmen. „Erstaunlich, dass du trotz allem noch Abenteuer suchst.“

„Ich habe nie behauptet, ich suche nach Gefahr.“, verkündete sie in dem spielerisch wehrhaften Tonfall, der sich bei ihren Wortgefechten eingebürgert hatte.

Von ihrer kecken Provokation ermutigt, näherte er sich ihrem Gesicht und senkte die Stimmlage. „Und ich dachte, du magst das Risiko.“ Vielsagend hob er die Augenbrauen.

Sie reckte das Kinn. „Nur wenn ich weiß, dass ich gewinne.“

Er musste grinsen und blieb in unmittelbarer Nähe zu ihr, genoss den Anblick ihrer unbeugsamen Miene.

Eine fremde Stimme unterbrach den Moment. „Entschuldigung!“

Ariane schreckte kurz zusammen und wandte sich hastig zum Urheber der Störung. Ihre angespannte Haltung machte deutlich, dass ihr die Situation peinlich war.

Erik musste ein wütendes Schnauben unterdrücken und fixierte den Mann, dem es offensichtlich an Anstand mangelte, Leute nicht in einem Gespräch zu unterbrechen – ja, man konnte sich auch mit Augen unterhalten!

„Sie wären perfekt für unsere Werbung!“, rief dieser wildfremde Mann voller Begeisterung aus und fixierte Ariane dabei, als wäre sie die Lösung für all seine Probleme. „Haben Sie Modelerfahrung?“

Die Frage war Ariane sichtlich peinlich. Erik wusste, sie hätte es bevorzugt, wegen anderer Qualitäten angesprochen zu werden als ihrem Aussehen.

Dass sie mit ihren langen goldblonden Haaren, ihren edlen Gesichtszügen und ihrer anmutigen Gestalt auffiel, war nicht verwunderlich. Doch dass Menschen sie darauf reduzierten, ärgerte ihn, schließlich hatte er während der Halloweenparty erlebt, welche Auswirkung das auf ihr Selbstwertgefühl hatte.

Er griff nach ihrem Arm und wollte sie weiterziehen, doch sie stemmte sich gegen seinen Griff.

Bei einem Blick in ihr Gesicht wurde ihm klar, dass sie natürlich zu höflich war, um jemanden einfach stehen zu lassen, und ließ widerwillig von ihr ab. Warum musste sie auch immer zu jedem nett sein?

Sie wandte sich an den Herrn. „Entschuldigen Sie, aber ich denke nicht, dass ich -“

Der Typ fiel ihr einfach ins Wort. „Oh bitte, Sie müssen! Wir haben schon bei zahlreichen Modelagenturen angefragt, aber niemand wäre besser dafür geeignet als Sie!“

Ariane geriet ins Stocken und Erik musste sich schwer zurückhalten.

Es sprudelte weiter aus dem Mund des Anzugträgers, während er seine Worte mit ausschweifenden Gesten untermalte. „Machen Sie sich keine Sorge wegen der Bezahlung. Nennen Sie mir Ihren Preis und ich kümmere mich darum!“

Erik biss die Zähne zusammen, um den Typen nicht anzufahren, dass sie nicht käuflich war!

„Ich …“, druckste Ariane.

„Oh bitte! Sie müssen mir diesen Gefallen tun. Sie sind meine letzte Hoffnung!“ Der Mann legte die Handflächen aufeinander und setzte den Blick eines Hundewelpen auf.

Ariane war deutlich überfordert.

„Sagen Sie Ja!“, flehte der aufdringliche Mann.

Erik trat einen Schritt zwischen den Typen und sie. „Kann ich kurz mit dir reden?“, sagte er grimmig.

Ariane antwortete nicht, sondern schaute nur bang.

Wenig freundlich drehte er sich zu dem manipulativen Typen, „Sie ist gleich wieder da.“

Nachdem sie zuvor so abweisend auf seine Einmischung reagiert hatte, unterließ er es, sie am Arm wegzuführen. Wortlos lief er in die Richtung, aus der sie gekommen waren, ohne direkt zu kontrollieren, ob Ariane ihm folgte.

Sie kam an seine Seite gehastet. „Was tust du?“ Es klang fast, als würde sie sein Verhalten missbilligen.

Er blieb stehen und fixierte sie mit durchdringendem Blick. „Was willst du?“

Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, als würde seine Frage keinen Sinn ergeben.

„Unabhängig von dem, was dieser Typ redet, was willst DU?“, präzisierte er.

Die Frage schien sie zu verunsichern. „Ich… weiß doch gar nicht, worum es geht.“ Ihr Blick wich dem seinen aus.

„Gibt es ein Produkt, für das du das gerne tätest?“

An der Form ihrer Mundwinkel und Augenbrauen konnte er ablesen, dass sie wieder damit rang, den Erwartungen anderer entsprechen zu wollen.

„Warum willst du das machen, wenn du es gar nicht möchtest?“, hakte er nach.

„Ich weiß doch gar nicht –“

„Doch, du weißt es.“, sagte er streng. „Aber du denkst, dieser Typ ist wichtiger als das, was du willst.“

Bestürzt sah sie auf.

„Ich hab es dir schon mal gesagt, du musst Grenzen setzen.“

Ihr Gesicht sprach Bände: Das war etwas, das ihr unsäglich schwer fiel.

Er konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken. „Was, denkst du, passiert, wenn du nicht machst, worum er dich bittet?“

„Er wirkt so verzweifelt.“, antwortete sie ausweichend.

„Und du denkst, du bist die einzige Person auf der Welt, die für diese Werbung geeignet ist.“, sagte er provokativ.

„Nein!“, rief sie und wurde wieder leiser. „Aber es scheint ihm wirklich wichtig zu sein.“

„Stimmt, du bist ohnehin unwichtig, wieso sollte es jemanden interessieren, was DU willst.“

Ihr Gesicht verzog sich, als nähme sie ihm die Worte übel. Dabei war nicht ER ihr Feind, sondern ihre Hemmung davor, anderen die Hilfe zu versagen.

„Wie kannst du nur so kalt sein?“, bemängelte sie, doch ihre Augen stellten sich dabei nicht den seinen. „Du weißt doch gar nicht –“

„Du auch nicht.“, stellte er klar und sah sie unbarmherzig an. „Warum ist dir jeder andere wichtiger als du selbst?“

„Das stimmt nicht.“, meinte sie in unsicherem Ton. „Es ist nur, … Es sollte niemand darunter leiden, nur weil ich … etwas keine Chance gebe.“

„Hörst du dir eigentlich zu?“, fuhr er sie an. „Du bist diesem Typ nichts schuldig! Du kennst ihn doch nicht mal! Was macht es dir so schwer, einfach mal für DICH einzustehen?“

Sie sah ihn an, als wisse sie nicht, was sie sagen sollte, und noch weniger, wieso ihre Wünsche es wert sein sollten, jemand anderen dafür zu enttäuschen.

Die Erkenntnis erfüllte ihn mit ohnmächtiger Wut. „Wenn ich dich um so einen Schwachsinn bitten würde, würdest du Nein sagen!“

Da war er wieder, der stolze Blick der Königin auf dem Weg zum Schafott, und er begriff, dass sie seine Aussage als Vorwurf aufgefasst hatte. Verdammt.

„Damit will ich sagen“, setzte er an. „Bei den Menschen, die wichtig sind, weißt du, dass du Nein sagen darfst. Und bei den anderen sollte dir die Reaktion nicht so viel ausmachen.“

Sie senkte das Haupt, als habe er ihr eine Strafpredigt gehalten. Dabei wollte er sie doch bloß dazu ermutigen, ihre Wünsche ernst zu nehmen!

Schweigend blieb er bei ihr stehen, hatte den Eindruck, dass etwas wie Trotz in ihr aufwallte, denn ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, lief sie an ihm vorbei zurück zu der Stelle, an der der Mann noch immer wartete.

Erik folgte ihr nicht, sondern sah aus der Entfernung zu, wie sie mit diesem Schauspieler sprach. Ihre Haltung wirkte so entschieden, wie er es von ihr kannte, wenn sie sauer auf ihn war. Daher konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, dass sie aus purem Trotz dem Angebot zustimmte, nur um ihm zu demonstrieren, dass er ihr nichts zu sagen hatte.

Ein Seufzen unterdrückend wandte er den Blick ab. Die Frustration fraß ihn innerlich auf.

Warum hatte er sich wieder emotional so mitreißen lassen, statt sich allein um seine Belange zu scheren?

Es war dumm, seinen Gefühlen zu erlauben, von anderen beeinflusst zu werden.

Ariane kam zurück zu ihm, er konnte sie nicht ansehen. Jetzt auch noch von ihr hören zu müssen, was sie mit dem übergriffigen Typen ausgemacht hatte, war ihm zuwider. Am liebsten wäre er einfach gegangen.

„Danke.“ Ihre Stimme klang sanft und ehrlich.

Irritiert richtete er seinen Blick auf sie.

„Alleine hätte ich mich nicht getraut, Nein zu sagen.“ Ihre Stimme schrumpfte zusammen. „Tut mir leid, dass ich es immer noch nicht kann.“

Die Eröffnung überrumpelte ihn zu sehr, als dass er darauf hätte antworten können. Er musste das erst einordnen.

„Ich weiß. Gleichgewichtsbeschützer, beide Seiten sind wichtig, Anziehen und Abstoßen.“, wiederholte sie, was er ihr im Training gesagt hatte, als es um ihren Schutzschild gegangen war.

Noch immer konnte er nicht glauben, dass sie das Angebot ausgeschlagen haben sollte. Er versuchte, sich wieder zu sammeln.

„Wofür sollte die Werbung eigentlich sein?“

Ariane machte große Augen und begann schließlich zu lachen. „Ich hab nicht gefragt.“

Er konnte nicht anders als in ihr Lachen mit einzustimmen.

Grillen und Grauen-Eminenz

Miesepetrig saß Grauen-Eminenz mit vor der Brust verschränkten Armen auf einem Gartenstuhl und sah gar nicht erst in ihre Richtung, als sie eintraten.

Die Beschützer, Ewigkeit und der Bedroher verharrten an ihrem Standort, direkt hinter dem hohen Gartentor.

Von außen war der Schrebergarten nicht einsehbar, hohe Büsche verwehrten den Blick. Welcher Schrecken sich dahinter verbarg, hatten sie sich nur in ihrer Fantasie ausmalen können. Doch was sie vorfanden, war nicht gerade das, was sie erwartet hatten.  

Auf der grünen Rasenfläche luden sechs Holzstühle zum Platznehmen ein. Weiter hinten stand ein Gartentisch.

Von der Anspannung, die besonders Trust, Destiny und Desire anzusehen war, blieb Change verschont.

„Wo ist der Grill?“, rief er aus. „Wo ist das Fleisch?!“

Destiny stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Seite.

Wenig begeistert ergänzte er: „Und das Tofuzeug für Tiny...“

Grauen-Eminenz warf ihm einen tödlichen Blick zu.

Hastig flüchtete Change näher zu Destiny, die durch ihre Paralysekräfte einen gewissen Schutz versprach.

Dass er sich zu ihr statt zu Desire rettete – obgleich sie selbst Desires Schutzschild bessere Chancen gegen den Schatthenmeister einräumte – ermutigte Destiny.

Mit maliziösem Lächeln drehte sie sich zu Change. „Sieht aus, als wolle er DICH grillen.“

Change zog eine beleidigte Miene. „In der Aufgabe hieß es, er soll eine Grillparty organisieren!“

Destiny legte den Kopf schräg. „Und er hat sich wohl entschieden, dass du am Spieß landest.“ Ihr Lächeln wurde noch breiter.

Unite begann, laut zu lachen. „Es ist so süß, wenn ihr flirtet!“

„Ich flirte nicht!“, rief Destiny viel zu schrill und drehte sich demonstrativ von Change weg. 

Change zuckte gelassen mit den Schultern. „Sie hasst mich einfach.“

Getroffen wandte sich Destiny daraufhin nochmals zu ihm, als haben seine Worte sie verletzt.

Change nahm schnellstens die Hände hoch, offenbar von ihrem Anblick eingeschüchterter als vom Schatthenmeister. „War nur’n Scherz. Nicht weinen!“

Wut zeichnete sich auf ihren Zügen ab, sie wirbelte zu Grauen-Eminenz. „Wo ist der Grill! Ich will Change aufspießen!“

„Du bist Vegetarier!“, erinnerte Change.

„Ich hab auch nicht vor, dich zu essen!“, zischte sie. 

Unite mischte sich in fröhlichem Ton ein. „Dabei würde er so gerne von dir vernascht werden!“

„Unite!“, kreischte Destiny beschämt. 

Auch Change verzog peinlich berührt das Gesicht. 

Ungeniert richtete Unite das Wort an Grauen-Eminenz. „Und was machen wir jetzt?“

Der Schatthenmeister grollte wie ein trotziger Junge. „Ich sollte eine Grillparty organisieren. Niemand hat gesagt, dass ich sie auch abhalte.“

Unite strahlte ihn an. „Wozu hast du uns sonst eingeladen?“,

Er wandte den Blick ab. „Das gehörte zum Organisieren.“

Secret gab ein spöttisch-amüsiertes Geräusch von sich und löste sich vom Rest der Gruppe. Nonchalant fläzte er sich auf den Holzstuhl neben Grauen-Eminenz und grinste anzüglich. „Schon traurig, wenn ein paar Teenager die einzigen Freunde sind.“

Grauen-Eminenz‘ Miene wurde von Zorn verzerrt. „Ihr seid –“

„Deine Experimente.“, vollendete Unite den Satz mit einer abwinkenden Geste und setzte sich auf den Stuhl Grauen-Eminenz gegenüber. Euphorisch rief sie aus: „Das heißt, wir sind so was wie deine Familie!“

Ein gefährliches Zucken in Grauen-Eminenz‘ Gesicht kündigte einen drohenden Wutanfall an.

Schnellstens folgte Trust Unite und setzte sich neben sie. „Wir haben nicht vor, einen Streit heraufzubeschwören.“, sagte er ernst.

Secret schnaubte. „Du vielleicht nicht.“

Trust antwortete mit einem mahnenden Blick und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Schatthenmeister. „Während der Protastik herrscht Waffenstillstand.“

„Achja, du hältst dich ja auch immer an Regeln.“, höhnte Secret. 

Trusts Kieferknochen traten kurz hervor. Langsam und bedeutungsvoll sprach er: „Ich weiß wenigstens, wo ich hingehöre.“

Die Provokation ging nicht spurlos an Secret vorbei. Er wirkte erbost. 

Desire ergriff das Wort. „Sind wir hier, um aufeinander loszugehen?“

Secret sah sie unverständig an. „Ja.“, antwortete er in völliger Selbstüberzeugung.

Empört reckte Desire das Kinn. „Du warst nicht mit WIR gemeint.“

Secret stieß die Luft halb belustigt, halb verächtlich aus. „Wen hast du denn dann gemeint, Verlangen?“

Wie stets verfehlte die Verunglimpfung ihres Beschützernamens ihr Ziel nicht. 

Grauen-Eminenz fasste sich an die Stirn, als spüre er einen Anflug von Migräne. „Müsst ihr hier sein?“

„Du hättest auch eine Grillparty ganz für dich allein organisieren können.“, antwortete Unite unbekümmert.

Grauen-Eminenz stockte. Es war ihm anzusehen, dass er nicht auf die Idee gekommen war. 

Ein unartikuliertes Stöhnen rollte in seiner Kehle. „Wer ist so blöd, ernsthaft der Einladung seines Feindes zu folgen?“

„Das hab ich auch gesagt!“, rief Destiny. 

Change hatte seine Lässigkeit wiedererlangt. „Unsere Gruppe hat“, er deutete auf Destiny, „eine potenzielle Schatthenmeisterin und“, sein Finger wanderte zu Secret, „nen zweiten Bekloppten, der uns ständig angreift. Noch‘n Böser mehr macht auch keinen Unterschied.“

Destiny zischte. „Ich paralysier dich gleich.“

Change ignorierte sie. „Ich sag doch, wir sind das Waisenhaus für Bösewichte.“

Ewigkeit untermalte seine Aussage mit einem fröhlichen Glöckchengeräusch. 

Grauen-Eminenz zeigte eine seltsame Reaktion. „Ihr habt Ewigkeit mitgebracht?“

Alle Blicke waren jäh auf ihn gerichtet. Bisher hatte er ihre Anwesenheit nie von alleine bemerkt. 

„Sie soll mir nicht zu nahe kommen!“, rief er und machte hektische Handbewegungen, als ginge er davon aus, dass sie um ihn herum schwirrte.

Unite zeigte hinüber zu Destiny, Change und Desire. „Sie ist da drüben.“

Die Eröffnung, dass Ewigkeit meterweit von ihm entfernt war, schockierte Grauen-Eminenz sichtlich.

Begeistert beugte Unite ihren Oberkörper nach vorn, näher zu ihm. „Kannst du sie jetzt schon auf diese Entfernung wahrnehmen?“

Grauen-Eminenz biss die Zähne zusammen und antwortete ausweichend. „Ich hab sie nicht eingeladen.“

Unite kicherte vergnügt.

„Ich will nicht, dass sie in meine Nähe kommt!“, bellte Grauen-Eminenz.

Die Aussage ließ Ewigkeit traurig den Kopf einziehen.

Destiny wurde vehement. „Ohne sie, ohne uns!“

Der Schatthenmeister erhob sich zu voller Größe. „Ich wollte euch nie da haben!“, donnerte er. 

Sofort sprang auch Trust auf und stellte sich schützend vor Unite, während Secret unbeeindruckt, gar gelangweilt, sitzen blieb. 

Ein trauriger Laut kam von Ewigkeit. Dieser löste abermals eine Reaktion in Grauen-Eminenz‘ Gesicht aus.

Unite war hinter Trusts Rücken hervorgetreten, um die Situation zu beobachten.

„Du kannst sie WIRKLICH spüren.“, stellte sie beeindruckt fest.

Etwas wie innere Zerrissenheit sprach aus Grauen-Eminenz ganzer Haltung.

Gönnerhaft eröffnete Secret: „Durch Unites Kräfte könntest du sie sogar sehen." Seine Augen glitten kurz zu Ewigkeit. 

Das Schmetterlingsmädchen war zurückgewichen und hielt seinen goldenen Anhänger fest umklammert, die Augen weit aufgerissen.

Secret sah wieder nach vorn und erhob sich. „Tja. Es wird Zeit zu gehen." 

Die anderen sahen ihn verwirrt an.

"Wir wollen Grauen-Eminenz' traute Einsamkeit doch nicht stören." Sein hämisches Grinsen suchte seinesgleichen. 

Pure Skepsis sprach aus Grauen-Eminenz' Zügen. 

"Oder willst du etwa, dass wir bei dir bleiben?", fragte Secret provokativ. 

Als Antwort zog Grauen--Eminenz eine abweisende Miene.

Mit der Eleganz eines Raubtiers entfernte sich Secret.

Trust sah ihm misstrauisch nach, als wittere er eine Finte. Eine Berührung ließ ihn zusammenzucken.

Unite ergriff seine Hand und lächelte ihn besänftigend an, sodass er sich mit ihr auf den Weg zu den anderen machte.

Im Vorbeigehen warf Secret einen Seitenblick auf Ewigkeit, deren befremdliche Reaktion keiner der anderen bemerkt zu haben schien.

Das eben war nicht Ewigkeits kindlich-unschuldiger Blick gewesen. Da war etwas anderes, Älteres hervorgetreten. Nun jedoch gab es keine Hinweise mehr darauf.

Er wusste nicht, was das zu bedeuten hatte oder wie und ob es mit Grauen-Eminenz zusammenhing. Aber – ein verschlagenes Grinsen erschien auf seinen Lippen – er würde es herausfinden.

 

▶Ende◀

 

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Wenn ihr es auch herausfinden wollt, muss ich euch leider auf die Hauptstory verweisen.

Eriks Sohn

„Wie konntest du mir nur diesen Namen geben?“

Erik senkte das Tablet, auf dem er gerade die Sonntagszeitung gelesen hatte, und hob skeptisch die rechte Augenbraue.

Mit fordernder Miene stand sein Sohn vor ihm. Wenn er so entrüstet schaute, war die Ähnlichkeit zu Ariane unverkennbar, auch wenn er die dunklen Haare von ihm hatte.

„Damian bedeutet der Mächtige.“, erklärte er nüchtern.

Doch Damian schien damit nicht zufrieden zu sein. Seine stechend blauen Augen funkelten, als er weitersprach. „Nicht das! Wieso heiße ich nur Donner? Ich will Donner-Bach heißen wie Mama!“

Erik seufzte und legte das Tablet nun vollständig zur Seite. „In Deutschland sind Doppelnamen für Kinder nicht erlaubt.“

„Warum nicht?“, forderte Damian zu erfahren.

Erik hatte mit dieser Frage gerechnet. Die Neugier hatte er definitiv auch von ihr.

„Das ist so entschieden worden. In anderen Ländern gibt es andere Regelungen.“

„Ich will aber auch einen Doppelnamen haben!“, verkündete Damian.

„Wenn du heiratest, kannst du einen bekommen.“

Damian reckte das Kinn. „Das ist unfair! Ich will dafür nicht extra heiraten müssen!“

Manchmal war die Ähnlichkeit zu Ariane erschreckend.

„Dann musst du wohl in die Politik gehen und das Gesetz ändern.“, entgegnete Erik.

Damian horchte auf und zog ein Gesicht, als hätte er gerade einen Entschluss gefasst. 

Erik war sich unsicher, ob er diesen Karriereplan seines Zehnjährigen gutheißen sollte und unterließ daher jedweden Kommentar. Widerworte hätten nur dazu geführt, dass Damian ihm beweisen wollte, es zu können. Dieser Junge war stur wie ein Esel und stolz dazu.

Tief ausatmend beugte er sich zu ihm, denn Damian hielt sich mittlerweile für zu erwachsen, um auf den Schoß genommen zu werden. Da Erik sich mit zehn Jahren auch schon reifer als viele  Erwachsene gefühlt hatte, war das wohl nicht weiter verwunderlich.

„Warum willst du Donner-Bach heißen?“

„Mama heißt so.“

Hatte Damian mit dieser Enthüllung extra gewartet, bis Ariane unter die Dusche gegangen war?

„Sie heißt so, weil sie mich geheiratet hat.“

Eigentlich hatte Ariane den Namen Donner gar nicht annehmen wollen. Erst nach langen Diskussionen hatte sie seinem Wunsch schließlich nachgegeben. Seine Eltern waren nun mal keine herzlichen Leute, das hatte nichts mit Ariane zu tun. Umgekehrt beäugte ihr Vater ihn nach fünfundzwanzig Jahren Beziehung immer noch kritisch.

„Warum heißt DU dann nicht so?“, wollte Damian wissen.

„Es können nicht beide Ehepartner einen Doppelnamen führen.“

„Warum nicht?“

„Gesetz.“

„Das Gesetz ist doof!“

Kurz fragte sich Erik, ob sein Sohn nun Tendenzen dazu hatte, irgendwann das Land zu regieren, oder ein Terrorist zu werden.

Wenn er seine eigene Vergangenheit bedachte, musste er sich wohl auf einiges gefasst machen.

Mit einem belustigten Schnauben wuschelte er Damian durchs Haar, sodass dieser indigniert aufschrie und sich von ihm losmachte.

Streng sah Erik ihn an. „Was hab ich dir gesagt, was es bedeutet, ein Donner zu sein?“,

„Ein Donner verliert nie.“, rezitierte Damian erhobenen Hauptes.

„Und wenn wir verlieren?“

„Dann gewinnen wir an Erfahrung!“

„Genau.“ Er lächelte Damian herausfordernd an. „Und welche Erfahrung hast du jetzt gewonnen?“

„Dass Gesetze doof sind.“

Erik unterdrückte ein Schmunzeln. Mahnend hob er die Augenbrauen.

„Ändere es, akzeptiere es oder lass es.“, verbesserte Damian sich, wirkte aber nicht wirklich zufrieden damit.

Erik sah seinen Sohn durchdringend an. „Wenn dir etwas wichtig genug ist, dann wirst du einen Weg finden. Oft muss man lange dafür kämpfen, immer wieder aufstehen. Aber wenn es das ist, was du willst, lohnt es sich durchzuhalten.“

Damians Mund verzog sich, seine Stirn ließ Zweifel erahnen, und Erik begriff, dass er zwar oft stark und erwachsen tat, aber schlussendlich sensibel und grüblerisch war. Vielleicht hatte dieses ganze Thema auch überhaupt nichts mit einem Nachnamen zu tun.

Aus eigener Erfahrung wusste Erik allzu gut, was es bedeutete, zwei starke Persönlichkeiten als Eltern zu haben, und wie sehr das auf der einen Seite anspornen und auf der anderen verschüchtern konnte.

Der Gedanke, dass sein Sohn sich den gleichen Druck machen könnte wie er früher, bekümmerte ihn.

Er tippte Damians Brust an. „In jedem Herzen wohnt die Kraft eines Beschützers. Aber sie wird nicht freigesetzt, wenn wir uns nach außen stark geben. Sie öffnet sich, wenn wir uns unserer Verletzlichkeit stellen.“

Damian schien das nicht nachvollziehen zu können.

„Weißt du, mir fiel es früher sehr schwer, ich selbst zu sein.“

Damian schaute, als könne er das nicht glauben. „Warum?“

„Weil ich dachte, ich müsste immer stark und perfekt sein wie meine Eltern.“ Erik musste schlucken. Auch nach all den Jahren war der Schmerz darüber nicht komplett verschwunden.

„Aber Oma und Opa sind doch nicht perfekt.“, wandte Damian verständnislos ein.

„Nein, aber ich dachte, ich müsste so sein wie sie. Und das war ich nicht.“

Damian senkte den Blick. „Aber … Du hast doch gesagt, man kann alles sein, was man will.“

„Ja, wenn man es WIRKLICH will. Und nicht weil man denkt, man sei sonst nicht gut genug.“

„Aber woher weiß man, was man wirklich will?“

Er sah seinen Sohn einen Moment stumm an. „Was du wirklich willst, ist ein Geheimnis, das nur du selbst entschlüsseln kannst.“

Die Stimme Damians bekam einen unglücklichen Ton. „Aber wenn ich es nicht verstehe?“

Erik erinnerte sich daran, ein ähnliches Gespräch einst mit Ariane geführt zu haben.

Ehe er zu einer Antwort kam, unterbrach ihn eine sich öffnende Tür.

Ariane trat ins Wohnzimmer. Ihr kurzgeschnittenes Haar war noch feucht und offenbarte daher seine dunkelgoldene Farbe nicht.

Es würde wohl noch etwas dauern, bis Erik sich an den neuen Haarschnitt gewöhnt hatte, auch wenn ihre Schönheit davon unabhängig war.

„Unser Sohn fragt, woher man weiß, was man wirklich will.“, informierte er sie.

Er konnte ihren Gesichtszügen entnehmen, dass sie das ebenfalls an früher erinnerte. Elegant schritt sie auf ihren gemeinsamen Sohn zu und ging vor ihm in die Hocke.

„Man weiß es, wenn man es wissen soll.“, sagte sie sacht.

Diese besonders sanfte Art zu sprechen hatte er sie bisher nur Damian gegenüber anwenden gehört. Wahrscheinlich war sie sich dessen nicht einmal bewusst.

Wenn er bedachte, dass sie einstmals keine Kinder zu bekommen geplant hatte, freute ihn ihre zärtliche Zuneigung umso mehr. Er wusste nicht genau, was zu ihrer Meinungsänderung geführt hatte.

Eines Tages vor über fünfzehn Jahren hatte sie ihm nur mitgeteilt, dass er gewiss ein guter Vater werden würde. Angesichts ihres fast traurigen Lächelns hatte er im ersten Moment befürchtet, sie wolle die Beziehung beenden, schließlich hatten sie über dieses Thema mehrmals heftig gestritten. Sie hatte nicht nachvollziehen können, warum es ihm trotz seiner Familiengeschichte so wichtig war, den Namen Donner weiterzugeben.

Wie erstarrt war er da gesessen und hatte sie fixiert, unfähig, etwas zu sagen. Sie hatte ihn umarmt, doch erst als sie ihm eröffnete, dass sie irgendwann ein Kind mit ihm haben wollte, hatte er die Bedeutung verstanden.

Damian schaute skeptisch. „Wer entscheidet das?“

Ariane lächelte. „Dein Herz.“

Damian gab ein Stöhnen von sich, das sie zum Lachen brachte.

„He.“, sagte Erik streng. Sofort richtete Damian seine Aufmerksamkeit auf ihn. „Der Kopf ist laut, das Herz ist leise.“

Die Aussage war für Damian wohl nicht wirklich hilfreich.

„Er meint, dass unser Kopf uns oft nur das sagt, was andere von uns wollen. Allein unser Herz weiß, was wir selbst wollen.“, erklärte Ariane und erhob sich aus der Hocke.

Damian zog ein nachdenkliches Gesicht, als würde etwas in ihm arbeiten. Schließlich nickte er entschieden.

Mit einem erhabenen Blick bedachte er seine Eltern und ging dann aus dem Zimmer, ohne sie über seine Erkenntnis zu informieren.

„Was war das?“, fragte Ariane irritiert.

Erik holte tief Luft und atmete aus. „Keine Ahnung.“

„Er kommt eindeutig nach dir.“, meinte sie überzeugt. „Man weiß nie, was in ihm vorgeht.“

Amüsiert schnaubend griff er mit seinem Arm um ihre Taille und zog sie auf seinen Schoß.

Mit stolz erhobenem Haupt sah sie auf ihn herab, als wolle sie fragen, was er damit bezwecken wollte.

„Danke.“

„Für was?“, fragte sie.

Seine Antwort war ein liebevolles Lächeln.

Sie wandte ihr Gesicht ab, ihre Stimme schrumpfte zusammen. „Wieso schaust du jetzt so?“

Dass er sie nach all den Jahren immer noch verlegen machen konnte, erfreute ihn und ließ ein Lachen aus seinem Inneren emporsteigen.

„Wieso lachst du?“, klagte Ariane in mädchenhaftem Ton.

„Weil ich glücklich bin.“

Perplex starrte sie ihn an. Sie hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass er so etwas Ehrliches sagen würde.

Ein mildes Lächeln erschien auf ihren Lippen. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und lehnte sich an ihn.

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen. „Ich werde Richter am Bundesverfassungsgericht!“

„Das ist nicht so einf-“

Ariane presste ihm eine Hand auf den Mund. „Das ist schön, mein Schatz.“, antwortete sie.

Wieder nickte Damian und war direkt wieder aus der Tür.

Ariane sah Erik an.

Gleichzeitig begannen sie zu lachen, darum bemüht, möglichst leise zu bleiben.

Ja, das war ihr Sohn!

 

▶Ende◀

 

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Erik stammt übrigens aus einer Anwaltsfamilie.

Was Ariane dazu bewegt hat, ihre Meinung bezüglich des Kinderkriegens zu ändern, konnte ich leider nicht offenbaren, da dies das Schicksal einer anderen Figur verraten hätte.

 

Wie Ariane und Erik überhaupt erst ein Paar werden und welche Abenteuer sie mit ihren Freunden erleben mussten, um diese Weisheit zu erlangen, erfahrt ihr in der Haupthandlung von Balance Defenders. 

Erfolg ist, was du draus machst (Vivien)

„Die erfolgreichste Figur?“, hakte Vitali irritiert nach.

Er und die anderen fünf hatten es sich auf ihrer großen Couch im Hauptquartier bequem gemacht.

„Ja.“, bestätigte Ariane mit Blick auf das Smartphone. „Deine erfolgreichste Figur nimmt eine Auszeit vom ‚Job‘. Was macht sie und kommt sie auf andere Gedanken?“, las sie nochmals vor. „Und hier steht, dass man sich überlegen kann, was unter ‚erfolgreich‘ verstanden wird.“

Vitali deutete mit dem Daumen gelangweilt auf Erik, der neben ihm saß.

Dieser warf ihm einen abschätzigen Blick zu, als wolle er der Nominierung widersprechen.

„Du hast gute Noten, bist reich, gutaussehend und die Tussis stehen alle auf dich.“, zählte Vitali in abgestumpftem Ton auf.

Vivien prustete los und konnte sich vor Lachen kaum halten.

„Mann! Was gibt’s da zu lachen?“, forderte Vitali vorwurfsvoll zu wissen und wirkte merklich zerknirscht über Viviens Reaktion.

Auch Justin war davon verwirrt und stimmte Vitalis Einschätzung stumm zu.

Erik gab ein genervtes Stöhnen von sich. „Das ist nicht Erfolg.“

„Klar ist das Erfolg.“, beharrte Vitali.

„Erfolg ist, wenn man sich etwas erarbeitet hat.“, korrigierte Erik gereizt. „Und nichts, das man einfach so in die Wiege gelegt bekommt.“

„Gute Noten bekommt man nicht in die Wiege gelegt.“, antwortete Ariane.

Erik ließ ihr einen eindeutigen Blick zukommen. Als Sohn der Familie Donner war es eine Selbstverständlichkeit, bestimmte Leistungen zu erbringen, diese galten noch lange nicht als Erfolg.

Ariane schwieg betreten.

Stattdessen schwebte Ewigkeit nun herbei und schaute Erik wissbegierig an, als warte sie auf eine weitere Erklärung von ihm.  

„Was?“, fragte er sie schmaläugig.

Ewigkeit schwieg, blinzelte und lächelte ihn an.

Serena, die auf der anderen Seite neben Ariane saß, ergriff das Wort. Ihr Blick war zu Boden gerichtet, ihre Stimme klang unsicher. „Manchmal gibt es doch auch Dinge, über die man sehr glücklich ist, obwohl man sie nicht verdient hat.“

Die anderen antworteten nicht, als warteten sie darauf, dass sie weitersprach. Daher setzte Serena zögerlich fort: „Menschen, die einem wichtig sind, hat man sich ja nicht erarbeitet.“

Ewigkeit gab ein glückliches Glöckchengeräusch von sich, als wolle sie dem zustimmen.

Vitali scherzte: „Stimmt, dass du uns noch nicht alle umgebracht hast, ist ein echter Erfolg!“ Er lachte.  

„Ich bring DICH gleich um!“, schrie Serena aufgebracht.

Vitali deutete unverhohlen mit dem Finger auf sie. „Das würde deine Erfolgsquote deutlich senken.“

Serena machte den Eindruck, ihm gleich an den Kragen gehen zu wollen.

Ariane kam wieder zum eigentlichen Thema zurück. „Wenn man bedenkt, welche Probleme wir bereits überstanden haben, sind wir wohl alle erfolgreich.“

„Jo, wir haben überlebt!“, meinte Vitali und hob seinen Arm halbherzig. Ewigkeit flog an seine Seite, um die Geste zu unterstützen.

Justin hakte ein. „Aber die Aufgabe galt der erfolgreichsten Figur.“

Vivien sah das locker. „Wir könnten uns ja alle eine Auszeit gönnen!“

„Ich glaube, so ist die Aufgabe nicht gemeint.“, antwortete Justin.

„Wir könnten auslosen.“, schlug Ariane vor.

Vivien schaute in die Runde. „Wer von uns würde denn gerne eine Auszeit nehmen?“

Keiner der anderen gab ein Zeichen.

„Also ist es euch egal?“ fragte Vivien.

Keine Widerworte.

„Dann gebe ich es offen zu.“, begann Vivien in gewichtigem Tonfall. „Ich bin die erfolgreichste Figur!“

Die anderen starrten sie an.

Vivien grinste. „Ich hab die allerbesten Freunde auf der ganzen Welt und dazu noch meinen Traummann. Erfolgreicher geht ja wohl nicht!“ Sie lehnte sich ungeniert gegen Justin links neben ihr.

Die Bezeichnung Traummann trieb ihm die Schamesröte ins Gesicht.

„Also mache ICH eine Auszeit.“, verkündete sie.

„Vom Beschützersein?“, fragte Ariane ungläubig.

Vivien lachte und sprang auf. Sie drehte sich nach rechts zu Vitali. „Bringst du mich auf die Meta-Ebene?“

„Hä?“, stieß Vitali aus.

„Was hast du vor?“, wollte Justin wissen.

„Ich mache eine Auszeit.“, wiederholte Vivien kokett.

„Du solltest nicht –“, setzte Justin an.

Vivien unterbrach ihn. „Das ist MEINE Auszeit, also entscheide ich, was ich mache.“

Justin sah besorgt drein.

In einer geübten Bewegung beugte Vivien sich zu ihm, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und sorgte damit abermals für eine schamhafte Röte in seinem Gesicht.

„Auf geht’s!“, rief sie.

 

Sobald er wie üblich auf der Meta-Ebene eingetroffen war, um seine Protastik-Aufgabe entgegenzunehmen, begann Grauen-Eminenz seinem Widerwillen Ausdruck zu verleihen.

„Ich bin ganz sicher nicht die erfolgreichste Figur!“, polterte er erbost. Erst dann fiel ihm auf, dass der rothaarige Terrorzwerg heute allein war.

„Wo sind die anderen?“, fragte er und ließ seinen Blick umherschweifen, als befürchte er einen Hinterhalt.

„Ich mache eine Auszeit.“, erklärte Vivien leichthin.

Grauen-Eminenz‘ Gesicht machte deutlich, dass er nicht nachvollziehen konnte, inwiefern sie die erfolgreichste Figur sein sollte.

Vivien setzte unbeirrt fort: „Und ich dachte mir, ich könnte währenddessen doch mit dir zusammenarbeiten!“, eröffnete sie ihm quietschfidel. „Du könntest mir beibringen, wie das mit dem Schatthenherstellen funktioniert, wir könnten uns besser kennenlernen und uns miteinander anfreunden!“

Völlige Fassungslosigkeit sprach aus Grauen-Eminenz‘ Miene.

„Du spinnst wohl!“, brüllte er wutentbrannt, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand durch das Portal, durch das er gekommen war.

Viviens Lippen kräuselten sich zu einem amüsiert-schelmischen Lächeln. Sie war schließlich nicht umsonst die erfolgreichste Figur. Egal wie aussichtslos die Situation, sie rappelte sich wieder auf und machte weiter.

Grauen-Eminenz konnte sich noch so sehr dagegen wehren, irgendwann würde er schon noch für ihr Team spielen.

Ein siegessicheres Grinsen nahm ihre Züge ein.

 

▶Ende◀

Das Outfit und die Wahrheit. (Serena und Vitali)

Zum Anlass der Protastik hatten die Beschützer sich in ihrem Hauptquartier eingefunden und es sich zu sechst auf der großen Couch bequem gemacht. Ewigkeit schwirrte interessiert um sie herum, während Ariane die dieswöchige Aufgabe vorlas.

„Vitali!“, urteilten Vivien und Erik einstimmig.

„Ääh?!“, rief Vitali aus.

Vorsichtig stimmte Justin zu. „Du sagst meistens, was du denkst.“ Offenbar hatte Justin jedoch Bedenken bezüglich dieser Aufgabe. Vitali auch.

Ewigkeit indes landete auf Justins Schulter und nickte Vitali euphorisch zu, als wäre sie sehr stolz auf ihn. Dabei erzeugte sie ein zartes Glöckchengeräusch.

Vivien amüsierte sich natürlich köstlich. „Und wir wissen ja, wer deine Partnerin ist.“ Mit ausschweifender Geste präsentierte sie Serena, die ihm gegenüber saß.

„Was?!“, schrie diese.

„Eigentlich sind wir doch alle Partner.“, wandte Ariane hastig ein, offenbar einen Wutausbruch Serenas verhindern wollend. „Wir sind schließlich ein Team.“

„Er betont aber immer, dass Serena seine Partnerin ist.“, sagte Erik und zeigte sein verschlagenes Lächeln.

Vitali verzog das Gesicht, Erik hatte ihn schon mehr als einmal damit aufgezogen. Dabei war das einfach Fakt! Vivien hatte sie schon am Anfang ihres Beschützerdaseins zu Partnern erklärt, weil sie sich dauernd gestritten hatten.

Serena wurde wieder laut. „Das ist total bescheuert!“

Hm. Wenn Vitali sich das recht überlegte, war das eigentlich eine ziemlich lustige Situation. 

Sie konnte ihm ja keinen Vorwurf machen, dass er irgendein Outfit von ihr beleidigte, wenn das Teil der Aufgabe war. Seine Mundwinkel zogen sich automatisch nach oben.

„Grins nicht so blöd!“, schrie Serena ihn an.

Vivien ging direkt dazu über, die Umsetzung zu planen. „Wir können doch unsere Beschützeruniform nach unseren Wünschen gestalten. Also kannst du in dein Zimmer gehen und daraus alles machen, worauf du Lust hast!“

„Das… Das ergibt überhaupt keinen Sinn!“, klagte Serena. „Dafür dürfte man die Aufgabe nicht kennen!“

Ariane drehte sich zu ihr. „Du könntest absichtlich ein nicht so schönes Outfit wählen.“

Serena spießte sie mit bitterbösen Blicken auf, sodass Ariane zurückwich.

Vivien klatschte in die Hände. Offenkundig konnte sie es kaum erwarten. „Auf geht’s!“

Mit erzürnter Miene stand Serena auf und stapfte wütend in Richtung der Zimmer davon.

Vitali konnte sich ein weiteres Grinsen nicht verkneifen.

 

Sie war so wütend und frustriert, dass sie hätte schreien können!

Sie knallte die Zimmertür hinter sich zu und stieß einen Laut der abgrundtiefen Frustration aus.

Mit vor Unzufriedenheit gekräuseltem Kinn stellte sie sich vor einen mannhohen Spiegel.

Wie sollte sie sich in diesem Zustand überhaupt verwandeln?

Sie fand es so gemein, dass die anderen sie dazu nötigten… Und sie hatte keine Lust, etwas Hässliches anzuziehen und sich dadurch lächerlich zu machen. Aber welche Wahl hatte sie denn? Sie wusste ja jetzt schon, dass Vitali alles beleidigen würde, was sie anzog.

Deprimiert senkte sich ihr Haupt. Zu gerne hätte sie ihm das Grinsen aus dem Gesicht gewischt, indem sie etwas Umwerfendes anzog und damit alle sprachlos machte! Doch sie war keine Schönheit wie Ariane, die allein mit ihrer Erscheinung einen gesamten Raum in Erstaunen versetzen konnte.

Serena seufzte, einen ebensolchen Auftritt wie Ariane in ihrem Märchenkleid zur Halloweenparty würde sie niemals hinlegen können.

Ihr Spiegelbild sah ihr entgegen. Die Unreinheiten und Rötungen, die leichten Augenringe, die aufgrund ihrer hellen Haut umso deutlicher hervortraten. Ob Make-up helfen würde?

Sie erinnerte sich daran, dass Vitali sich über Arianes perfektes Make-up zur Halloweenparty lustig gemacht hatte. Wenn sie selbst versuchte, sich zu schminken, würde sie nur noch mehr wie eine Vogelscheuche aussehen. Und auch ein enganliegendes, sexy Outfit wie in all den Filmen, in denen das hässliche Entlein durch eine Rundumerneuerung plötzlich zur strahlenden Schönheit mutierte, würde bei ihr nichts helfen. Dadurch würde nur ihre geringe Oberweite unterstrichen werden.

Die Frustration waberte wie eine dunkle Gewitterwolke über ihrem Haupt.

Es war egal. Sie würde einfach etwas anziehen, das ihr gefiel. Wen interessierte schon Vitalis Meinung? Er war ohnehin ein Idiot!

Sie reckte das Kinn und rief ihr Wappen herbei.

Ein goldener Schimmer ergoss sich auf beruhigende Weise über ihren Leib und wandelte ihre Kleidung in ihre Beschützeruniform.

Erhobenen Hauptes betrachtete sie ihr Spiegelbild.

Sie mochte ihre asymmetrisch geschnittene Beschützeruniform in dem kräftigen Cyanblau, mit den goldenen Schmuckstücken und ihren charakteristischen blutroten Edelsteinen.

Sie schloss kurz die Augen und konzentrierte sich auf das Rot der Steine, stellte sich vor, wie der Rest der Kleidung die gleiche Farbe annahm. Das Material zog sich von den einen Stellen zurück, breitete sich an anderen aus, veränderte seine Eigenschaften. Halbdurchsichtiger Stoff bekleidete ihre Arme und ihr Dekolleté. Wie ein Feuer züngelten goldene Verzierungen von ihrem Bauch, über ihre Brust, hin zu ihrem Schlüsselbein.

In ihrer Vorstellung entstand etwas, das an ein funkelndes Eiskunstlauf-Outfit erinnerte.

Als sie die Augen öffnete, konnte sie nicht anders als sich über das Ergebnis zu freuen. Stolz betrachtete sie ihr Werk. Es war wunderschön!

Doch sobald sie daran dachte, sich den anderen präsentieren zu müssen, schämte sie sich.

Sie machte sich doch bloß lächerlich. Warum hatte sie nicht bescheidene, ganz normale Alltagskleidung gewählt? Sie sah erneut in den Spiegel.

Weil sie etwas Besonderes anziehen wollte! Auch wenn andere es blöd fanden…

Sie ballte die Hände zu Fäusten.

 

Alle Blicke richteten sich auf Tiny, als sie mit grimmigem Gesichtsausdruck und heftigen Schritten zurück in den Gemeinschaftsraum kam.

Vitali stockte. Sie trug ein enganliegendes Etwas in feuerroter Farbe, das ihre Figur umschmeichelte, und wirkte wie eine aus einem Barbie-Film entsprungene Feuer-Prinzessin oder irgendsowas. Obwohl er ihre Vorliebe für kitschige, mädchenhafte Dinge kannte, hatte er sie noch nie etwas tragen sehen, das auch nur annähernd in diese Richtung ging. Ihre Beschützeruniform war bisher das Extravaganteste und Körperbetonteste gewesen. Nie hätte er geglaubt, sie in etwas Derartigem zu Gesicht zu bekommen!

Dann spürte er die lauernden Blicke von Vivien und Erik.

Verdammt! Er konnte doch nicht vor den anderen zugeben, dass er davon beeindruckt war! Sonst würden Erik und Vivien ihn für immer damit aufziehen.

Bei einem Blick auf Tiny stellte er fest, dass sie mit einem Mal verunsichert wirkte. Keiner von ihnen hatte bisher einen Kommentar abgegeben.

Hastig drehte sich Vitali zu den anderen, in der Hoffnung, dass sie etwas Nettes zu ihr sagten. Doch alle schauten ihn an, als wäre er der einzige, der ein Urteil abgeben durfte. Nur Ewigkeit gab ein fröhliches Glöckchengeräusch von sich und strahlte. Aber das tat sie ja immer.

Hilfesuchend sah er zu Justin. Glücklicherweise schien sein Freund ihn zu verstehen.

„In der Aufgabe hieß es nicht, dass wir dabei sein sollen.“, verkündete er und erhob sich.

Vivien stieß ein enttäuschtes „Ooooh“ aus, sprang aber ebenfalls auf.

Erik klopfte Vitali etwas zu fest auf den Rücken und lächelte ihn vielsagend an, was die ganze Situation nur noch peinlicher machte! Dann schloss er sich den anderen an, die in Richtung des Trainingsraums verschwanden.

Sobald sie weg waren, begriff Vitali, dass mit Serena alleine zu sein, dem Moment eine unangenehme Ernsthaftigkeit verlieh.

Mut fassend drehte er sich ihr zu.

Geradezu beschämt hatte sie ihre Arme um sich gelegt, als wolle sie sich gegen seinen Blick abschirmen.

Vitali stand auf und rieb sich den Hals, bevor er die Verlegenheitsgeste bemerkte und sich zwang, die Hand wieder herunterzunehmen. Wo sollte er nur hin mit seinen Händen?

 

„Sag doch einfach, dass du es hässlich findest!“, schimpfte Serena und klang dabei gleichzeitig gekränkt und abweisend. „Dann haben wir’s hinter uns.“

Was sollte er denn dazu sagen? Jetzt, wo sie alleine waren, traute er sich ja kaum, sie nochmals anzusehen! Dabei lud ihr Kostüm dazu ein.

„So solltest du nicht zur Schule.“, antwortete er ausweichend.

„Natürlich nicht!“, schrie sie.

Nochmals sah er sie an. Einen weiteren Moment rang er mit sich, wandte den Blick ab. „Steht dir.“

Ihre Stimme wurde auf befremdliche Weise schrill. „Lüg nicht!“

Mit einiger Bestürzung erkannte er, wie aufgelöst sie auf einmal war. Ein hohes schluchzendes Geräusch entrang sich ihrer Kehle. Sie wischte sich Tränen aus den Augen.

Warum weinte sie denn jetzt?

„Es steht dir wirklich gut!“, wiederholte er in einem verzweifelten Versuch, sie zu beruhigen.

Doch stattdessen fing sie daraufhin erst richtig zu weinen an.

Er verstand überhaupt nichts! Was sollte er denn noch sagen? Dass sie wunderschön war? Das brachte er wirklich nicht über sich! Das war viel zu peinlich!

Weitere Sekunden stand er reglos da, während sie weinte. Dann hielt er es nicht länger aus.

 

Die Tränen kamen ohne Unterbrechung. Sie konnte sie nicht aufhalten. Hilflos schluchzte sie und kämpfte vergeblich gegen das Emotionsinferno an. Es war unmöglich, dass Vitali so etwas sagte. Es konnte nicht stimmen.

Plötzlich spürte sie, wie er seine Arme um sie legte und fand sich an seiner Brust und gegen seine Schulter gepresst wieder.

 

Vitali war komplett überfordert und hielt sie einfach fest. Schließlich hatte das bisher jedes Mal geholfen, wenn sie aus unerfindlichen Gründen zu weinen anfing.

Er hörte, wie sie durch den Mund Atem holte und ihm fiel auf, dass er keine Taschentücher bei sich hatte. Sofort löste er sich wieder von ihr. „Ich hole Taschentücher!“

Im gleichen Moment teleportierte er.

 

Sie starrte auf die Stelle, an der er eben noch gestanden hatte und konnte nicht fassen, dass er deswegen seine Teleportation einsetzte. Dieser Trottel.

Nur Augenblicke später stand er mit mehreren Taschentuchpackungen vor ihr und hielt sie ihr entgegen. 

Dabei zog er ein Gesicht, als müsse er verhindern, dass sie verblutete oder aus sonstwelchen Gründen in Lebensgefahr schwebte.

Sie nahm eine der Packungen entgegen.

„Danke.“, presste sie hervor, obwohl sein Gesichtsausdruck sie ärgerte. Sie putzte sich mehrfach die Nase.

„Deine Beschützeruniform steht dir am besten.“

Völlig überrumpelt starrte sie ihn an. „Was?“

„Deine Beschützeruniform.“, wiederholte er.

Wie kam er auf diese absurde Idee? Sie zog den Kopf ein.

„Wieso?“, traute sie sich zu fragen.

 

Mist, was sollte er denn darauf antworten? Dass sie darin mehr von sich und ihrem Körper zeigte als sie es sonst tat, war sicher keine gesundheitsförderliche Antwort.

„Du …“, er rang nach Worten, „zeigst dich anders. Mehr ähm“, seine Augen wanderten kurz über ihre Erscheinung, „von dir.“

Ihre zweifelnde Miene machte ihm deutlich, dass sie nicht wusste, wovon er redete. Zumindest weinte sie nicht mehr.

„Sonst tust du entweder klein und wehrlos oder brutal und hart. Aber in deiner Beschützeruniform zeigst du, wie du wirklich bist.“

Seine Worte schienen sie durcheinanderzubringen.

Jäh erschien der goldene Schimmer ihrer Verwandlung, im gleichen Moment stand sie in ihrer Beschützerkleidung vor ihm.

Beschämt wich sie vor ihm zurück und bedeckte ihren Oberkörper mit den Armen, als würde sie sich darin nackt fühlen.

Er musste grinsen.

 

Ihr war zuvor nie aufgefallen, dass ihre Uniform Vitalis Lieblingsfarbe hatte. Das war ihr schrecklich peinlich!

„Was soll das heißen, wie ich wirklich bin!“, schimpfte sie, um ihren Kopf auf andere Gedanken zu bringen.

„Stark.“

Sie glaubte, sich verhört zu haben. „Ich bin nicht stark.“

„Hä? Bist du blöd?“, stieß er aus.

„Was?!“, schrie sie aufgebracht.

„Mann, du kannst paralysieren und in Seelenwelten eindringen. Du bist voll gefährlich!“

Na toll. Das klang wenig schmeichelhaft…

„Deshalb bist du die beste Partnerin.“

Die Eröffnung machte sie einen Moment mundtot. Es war völlig abwegig, dass er das ernst meinte. Sie paralysierte ihn doch bloß ständig.

Zögerlich fragte sie: „Wirklich?“

„Klar! Deshalb sind wir das beste Team.“ Er grinste wieder auf diese verspielt jungenhafte Weise, die das Blau seiner Augen zum Strahlen brachte.

Sie machte sich klein, was bei ihrer Größe nicht sonderlich erfolgreich war. „Danke.“

Jäh stockte sie. „Halt mal. In der Aufgabe hieß es, dass die Wahrheit vernichtend wäre!“ Argwöhnisch durchbohrte sie ihn mit Blicken.

„Mann!“, schrie er. „Stell dir vor, die anderen hätten das mitbekommen!“

Alleine die Vorstellung weckte in ihr das Bedürfnis, sich zu verstecken.

„Okay.“, sagte sie entschieden. „Du hast mir gesagt, es sieht kitschig und unmöglich aus.“, informierte sie ihn über die Antwort, die sie den anderen geben mussten.

Er nickte bestätigend. „Dann würdest du mir den Kopf abreißen.“, merkte er an.

„Stimmt.“ Sie überlegte. „Ich gehe einfach zu den anderen, und tu so, als würde ich nicht mehr mit dir reden wollen, weil ich so wütend bin.“

„Gute Idee!“, rief er und hielt ihr grinsend seine Faust hin.

Sie schlug bei ihm ein.

 

▶Ende◀

 

Na, ob Erik und Vivien ihnen das wirklich abkaufen?

 

Treffen mit Lilith (Ewigkeit)

Ewigkeit war aufgeregt! Eine neue Protastikaufgabe und sie durfte sie erfüllen!

‚Lilith‘ – das klang schön, wie eine Blume oder ein Mineral. Ihre durchscheinenden Schmetterlingsflügel bewegten sich vorfreudig.

Bisher war sie noch nie in einer Bar gewesen! Zu dieser späten Stunde durften die Beschützer sie auch nicht dorthin begleiten. Doch Ewigkeit war guter Dinge. Es gab ja ohnehin kaum Menschen, die sie sehen konnten, notfalls würde sie sich einfach direkt wieder zu den Beschützern teleportieren. Sie strich ihr perlmuttartig glänzendes Kleid zurecht, ein Gedanke genügte und sie fand sich im Inneren ihres Zielortes wieder.

Es war laut und stickig, Zigarettenrauch stieg ihr in Augen und Nase und ließ sie schnauben. Hastig schwebte sie weiter in das Innere, vorbei an einem Bartresen, an dem auf Hockern Menschen saßen, die Ewigkeit riesig vorkamen. Aber sie selbst war ja auch kaum so groß wie eine Hand. Der Barkeeper schüttelte ein metallisch glänzendes Behältnis, als würde er ein Musikinstrument zum Klingen bringen wollen, doch Ewigkeit konnte keine melodischen Töne wahrnehmen, zumal laute Musik in tiefem Bass den Raum erfüllte. Sie verfolgte interessiert das Schauspiel des Barkeepers, bis dieser den metallenen Gegenstand in zwei brach und dessen Inneres entleerte. Ewigkeit war davon beeindruckt und wurde zum Nachdenken gebracht.

Ob Lilith ein Mensch war? Keiner hatte ihr das so genau mitgeteilt. Vielleicht handelte es sich ja auch um eine Sache oder um ein Prinzip!

Es zog sie weiter nach hinten, wo ein ungewöhnlicher Tisch beleuchtet wurde, auf dem bunte Kugeln lagen. Ob des Anblicks von etwas Farbigem in der düsteren Umgebung ein fröhliches Glöckchenläuten ausstoßend, flog sie näher heran. Eine Frau mit langen schwarzen Haaren und dunklem Teint stand an dem Tisch. Sie hielt etwas langes Hölzernes in der Hand, mit dem sie eine weiße Kugel anstieß. Die weiße prallte gegen die bunten Kugeln. Davon in Aufruhr versetzt, flohen diese den Stoß und stürzten in eine unbekannte Tiefe. Das Schauspiel faszinierte Ewigkeit. Ihr Glöckchenlaut erklang.

Jäh richteten sich die Augen der Frau auf sie.

Ewigkeit erschrak und machte einen reflexartigen Satz nach hinten. Die Regenbogenhaut der Unbekannten war im Kontrast zu ihren Haaren und der gebräunten Haut unglaublich hell und erinnerte an Quecksilber. Entgegen Ewigkeits Annahme wandte die Frau ihren Blick nicht direkt wieder ab. Stattdessen richtete sie sich zu voller Größe auf, ihre Lippen formten ein verschwörerisches Lächeln, als würde sie sie begrüßen. Ewigkeit war zu perplex, um darauf direkt zu reagieren. Die Fremde machte eine auffordernde Bewegung mit ihrem Kopf und wandte sich um. Ewigkeit war verwirrt, aber folgte der Unbekannten durch eine Tür.

Hier war es noch dunkler, der Lärm der Musik blieb zurück und war nur noch als tiefes Wummern zu hören. Die Schwarzhaarige öffnete eine weitere Tür und bedeutete ihr mit einer Armbewegung einzutreten. Ewigkeit kam der Aufforderung nach.

Es handelte sich um einen kleinen Raum mit einem schwarzen Ledersofa und einem niedrigen, dunklen Tisch davor. In der Ecke stand ein beleuchtetes Aquarium, doch keine Fische bevölkerten sein Inneres, vielmehr schien es die Ruinen einer vergessenen Welt zu beherbergen.

Die geheimnisvolle Frau nahm auf dem Sofa Platz, lehnte sich geradezu gebieterisch zurück und stützte ihre Arme auf das Polster hinter sich. „Wie ist dein Name?“

Der Klang ihrer Stimme ließ Ewigkeit stocken. Eine unermessliche Tiefe schwang darin, die weniger in der Tonhöhe als vielmehr zwischen den Tönen schwang. Mit glockenheller Stimme antwortete sie ihr. „Ewigkeit.“

Wieder lächelte die Frau auf undurchsichtige Weise. „Ich bin die, die du gesucht hast.“

Vor fröhlicher Erregung bewegten sich Ewigkeits Flügel und sandten dabei sternenstaubartigen Glanz aus. Lilith beobachtete sie eingängig. „Weißt du, wer ich bin?“

„Du bist Lilith!“, rief Ewigkeit begeistert.

„So werde ich genannt.“, bestätigte die Frau. „Aber weißt du, was das bedeutet?“

Ewigkeit schüttelte ihren weißblonden Lockenkopf und strahlte.

Lilith nahm die Arme von der Rückenlehne, ihr Gesichtsausdruck wirkte nun ernster. Mit gesetzter Stimme sprach sie:

„Eine Hälfte der ersten beiden Menschen. Sie wollte die gleichen Rechte haben wie ihr Gegenstück. Doch nachdem sie ihr verwehrt wurden, floh sie aus dem vermeintlichen Paradies und ihre Kinder“, sie hielt kurz inne, ihre Augen wanderten zu Boden, „… wurden Dämonen.“

Ewigkeit zuckte zusammen.

„Fürchtest du dich?“ Ihr Ton klang so nüchtern, als stünde die Antwort längst fest, von Anbeginn der Zeit.

Ewigkeit dachte über die Frage nach. Dämon war ein anderes Wort für Lichtlose, Kreaturen wie die Schatthen und die Allpträume. War Lilith also eine Schatthenmeisterin? Aber sie hatte von ihren Kindern gesprochen… Die unliebsame Erinnerung daran, wie die Allpträume sie umkreist und als Dämon bezeichnet hatten, kam zurück. Ewigkeit zog die Schultern an und umklammerte ihr goldenes Medaillon.

„Sind … alle Dämonen deine Kinder?“, fragte sie zögerlich.

Ein gütiges Lächeln breitete sich auf Liliths feingeschwungenen Lippen aus, doch ihr Blick drückte Autorität aus. Sie schwieg.

„Wieso wurden deine Kinder Dämonen?“, wollte Ewigkeit stattdessen wissen.

Lilith beugte sich vor, ihre quecksilberfarbenen Augen glühten regelrecht. „Als Strafe.“

Sie lehnte sich wieder zurück. „Was weißt du über Dämonen?“

„Sie werden von Schatthenmeistern aus Emotionen geschaffen.“

Lilith wischte mit der Rechten durch die Luft. „Das sind keine vollständigen Dämonen. Wahre Dämonen sind keine bloßen Gefühlsauswüchse. Aber mit einem hast du Recht.“ Wieder wirkte ihr Blick lauernd. „Was sind Schatthenmeister?“

Ewigkeit blinzelte. „Menschen.“

Ein Grinsen Liliths machte deutlich, dass sie die richtige Antwort gegeben hatte. „Menschen können auch andere Menschen zu Dämonen machen.“

Ewigkeit riss die Augen auf.

Lilith hob ihre Hände. Etwas wurde daran sichtbar, ein unsichtbarer Verwesungsprozess, ein grauer Schleier, ein Dampf, der von ihren Händen ihre Unterarme hinabtropfte. Auch ohne Worte verstand Ewigkeit. Das, was sie da sah, war etwas, das Menschen Lilith angetan hatten.

„Jeder hat eine Wahl. Andere tragen nicht die Schuld an der unseren. Aber manchmal reicht der Glaube anderer, um uns zu dem zu machen, was sie in uns sehen. Egal, was sie in uns sehen.“

Ewigkeit glaubte, kurze Anspannung in Liliths Gesicht zu sehen, die sofort wieder verschwand. „Du hast Glück. Es gibt Menschen, die dich SO sehen.“ Sie verwies auf Ewigkeits lichtdurchflutete Gestalt.

Ewigkeit spürte die Tränen und konnte nicht anders als zu weinen. Die heftigen Emotionen, die Liliths Worte in ihr auslösten, waren so schmerzhaft, das sie es kaum ertragen konnte.

„Schh.. Schh…“, machte Lilith. „Das ist nichts, wofür du dich schämen müsstest. Es ist tröstlich, eine Schwester zu treffen, die von dem Fluch verschont blieb.“

Wimmernd bemühte sich Ewigkeit, sich zu beruhigen, aber sie konnte nicht. Sie hörte, wie Lilith sich erhob. Im nächsten Moment war sie direkt vor sie getreten.

„Menschen sind Monster.“, sagte sie bitter. „Aber…“ Ihre verseuchte Hand hob sich. Nahe Ewigkeit verharrte sie in der Luft, sodass Ewigkeits Leuchten auf sie fiel. Lilith schloss die Augen, schien den Moment in sich aufzunehmen. Ihre Augen öffneten sich wieder, etwas Verletzliches lag jenseits der Finsternis ihrer Pupillen. „… manche bringen auch Licht in den Schmerz.“ Ihre Lippen pressten sich kurz aufeinander. „Das macht es nur noch qualvoller.“ Etwas wie Hass blitzte in ihren Augen auf und Ewigkeit teleportierte sich gerade noch rechtzeitig in weitere Entfernung.

„Verschwinde!“, brüllte Lilith mit gebrochener Stimme.

Ewigkeit verharrte an ihrem Platz.

Lilith gewann ihre Fassung wieder und wandte sich um. „Verschwinde, bevor ich dich töte.“

Ein zarter tröstlicher Klang, wie ein Windspiel so sacht, umschwebte Ewigkeits Wesen.

Lilith spießte sie mit Blicken auf. „Du verstehst nichts von der Dunkelheit.“

Ewigkeits Ausstrahlung änderte sich, etwas so zeitlos Weises trat hinzu, dass Lilith kurz wie gelähmt davon war. Widerwillig schüttelte sie den Kopf. „Ich habe es damals schon gesagt und ich werde es wieder sagen: Kein Paradies für mich. Ich kann nicht verzeihen, nicht ihm und erst recht nicht –“ Sie unterbrach sich und starrte vor sich hin.

Ewigkeit begriff, wem sie nicht verzeihen und wessen Fluch sie nicht abstreifen konnte. Tiefe Traurigkeit erfasste sie.

„Geh jetzt.“, flüsterte Lilith, ohne sie anzusehen.

Kurz überlegte Ewigkeit, ihr zu sagen, dass sie keinen Grund hatte, sich selbst so zu zerstören, aber … Resigniert senkte sie den Blick. Sie wusste, dass es nichts bringen würde. Ihr blieb nur zu vertrauen, darauf, dass Liliths Weg sie eines Tages dazu führen würde, das gleiche zu sehen wie sie: Einen Engel, der hingefallen war und sich bisher nur noch nicht getraut hatte, wieder aufzustehen. Sanft lächelte sie.

Eines Tages würde sich Lilith über die Vergangenheit erheben und frei fliegen können. Frei wie der Wind.

Treffen mit Lilith (Grauen-Eminenz)

Grauen-Eminenz konnte nicht fassen, dass er sich darauf einließ. Das war eine Schnapsidee! Zumindest hatte er sich geweigert, diese Lilith in einer dubiosen Bar zu treffen. Und abenteuerlustig war er auch nicht!

Grummelnd fand er sich auf der Meta-Ebene ein.

Dort saß sie auf einem einzeln stehenden Stuhl im Nirgendwo der leeren Ebene. Eine Frau mit dunklem Teint und schwarzen Haaren. Ihre Ausstrahlung war respekt-, doch nicht angsteinflößend, vielmehr einladend. Genau das ließ ihn Abscheu empfinden.

Ein geradezu amüsierter Zug stahl sich auf ihre Lippen, es blitzte in ihren unnatürlich hellen Augen. Dann konnte sie nicht länger an sich halten und gab ein tiefes Lachen von sich, als wäre er der beste Witz, den sie seit Langem gehört hatte.

Er bemühte sich, sich die Empörung nicht ansehen zu lassen. Blöde Kuh.

„Du bist also der Schatthenmeister, von dem Ewigkeit sprach.“

Bei der Nennung von Ewigkeits Namen zuckte er kurz zusammen. Wieso schien eigentlich jeder sie sehen zu können außer ihm?! Und wieso hatte Ewigkeit sich mit ihr getroffen?

Jäh erhob sich Lilith, ihre Gestalt veränderte sich.

Wie erstarrt stand er da, während sie die Form annahm, die er am meisten fürchtete.

Er wollte schreien, doch es war kaum ein Flüstern, das über seine Lippen kam. „Lass das.“

Lilith kam noch näher und blieb vor ihm stehen. „Gefall ich dir etwa nicht?“

Er biss die Zähne zusammen und sah sie hasserfüllt an.  

„Ich dachte, du würdest dich freuen.“ Sie verwies auf ihre neue Form. „Ach.“ Sie führte ihre Finger an die Lippen, als bemerke sie ihren Fauxpas. „Hatte ich fast vergessen.“ Der Blick aus den Augen, die sie nun hatte, änderte sich zu Ablehnung. „Du bist ja Schuld daran.“ Sie lachte mit der Stimme, die nicht ihre eigene war.

Der Ton drohte ihn innerlich zu zerstören, weil ein Teil von ihm sich so schmerzlich nach ihm sehnte.

„Hör auf.“, stieß er halb schluchzend hervor.

Die Berührung an seiner Wange war so grausam, dass er sich nicht dagegen wehren konnte.

Sie flüsterte. „Denkst du, man wird dir jemals vergeben?“

Tränen lösten sich aus seinen Augen und liefen seine Wangen entlang.

„Gut.“ Lilith zog die Hand zurück. Sie nahm wieder ihre eigene Form an. „Du bist mir ähnlich.“, sprach sie in vertraulichem Ton.

Grauen-Eminenz versuchte seine aufgewühlten Gefühle zu verdrängen und in seinem Selbsthass zu ertränken. Eine schallende Ohrfeige traf sein Gesicht.

„Glaub nicht, dass es Vergebung auf dieser Welt gibt!“, fauchte Lilith aufgebracht.

Er reagierte nicht darauf.

„Keine Tränen und keine Reue können dich davon reinwaschen. Also versuch es erst gar nicht.“

Er schnaubte. Voller Widerwille sah er sie an. „Wenigstens lasse ich mir nicht von irgendwelchen alten Männern erzählen, wer ich bin.“

In Rage versetzt, versuchte sie nochmals ihn zu ohrfeigen. Er fing den Schlag ab und hielt ihren Unterarm fest.

Ihre Augen sprühten vor Zorn. „Sterblicher, du weißt nicht, mit was du es zu tun hast.“

„Mit einer verbitterten Alten, die alle Männer hasst, weil ein paar scheiße zu ihr waren? Und die sich zu fein war, sich davon loszusagen. Stattdessen rächt sie sich an anderen. Sehr reif für das Alter.“ Er ließ ihren Arm los.

Sie stieß ein belustigtes Geräusch aus. „Deshalb hat sie also dich erwähnt: Du glaubst, jenseits von Gut und Böse zu sein, von Schwarz und Weiß. Grau. Grauen-Eminenz. Sehr kreativ.“, spottete sie.

„Sagt die Frau, die immer noch den Namen trägt, den irgendwelche alten Säcke ihr gegeben haben.“

Sie lächelte süffisant. „Ich habe den Impuls, dir Höllenqualen zu bereiten. Aber dann fällt mir wieder ein, dass du das schon alleine wunderbar hinbekommst.“

„So viele Gemeinsamkeiten!“, entgegnete er nüchtern.

Lilith reckte ihr Kinn. „Ich wüsste da eine Sache, die du dir erst recht nicht verzeihen könntest.“ Zärtlich ließ sie ihre Hand über seine Brust wandern.

Hektisch zuckte er zurück.

Sie lachte. „Du machst es einem so leicht. Dummer Junge. Möchtest du, dass ich dafür lieber die andere Gestalt annehme?“

Dieses Mal war er es, der sie ohrfeigte.

Sie lachte ausgelassen. „Du machst mir nur umso mehr Lust darauf.“

„Du hast zwei gesunde Hände. Kümmer dich um dich selbst.“

„Selbstliebe ist nicht meine Stärke.“, säuselte sie. „Dabei kommt niemand zu Schaden.“ Eine aufreizende Bewegung ihrer Augenbrauen unterstrich ihre Aussage.

„Vielleicht würdest du damit denen, die dich zu DEM gemacht haben, mehr schaden, als indem du ihr Spiel spielst.“

„Oh ein wahrer Philosoph. Hast du noch mehr so weise Kalendersprüche parat oder ist das Jahr schon aufgebraucht?“ Ihre Stimme war zum Schluss in einen Ton übergegangen, als rede sie mit einem kleinen Kind.

„Sarkasmus – das Schwert der Machtlosen.“

„Selbsterkenntnis – der erste Weg zur Besserung.“ Ihre Augen glitten zu seinen Lippen.

Grauen-Eminenz spürte die Spannung und wich weiter vor ihr zurück. Für so selbstkontrolliert, hielt er sich nicht. Und er spürte, dass ein Teil von ihm sich aus purem Selbsthass in dieses Verderben stürzen würde. Der Drang war unbändig.

„Wirst du das nicht bereuen?“, fragte sie wissend.

„Ich hab zwei gesunde Hände.“

Sie lachte, dieses Mal wirkte sie fast verspielt und sah ihn einen Moment lächelnd an.

„Lebe wohl.“, sagte sie schließlich und nannte ihn bei seinem richtigen Namen. „Ich hoffe, du findest, was du suchst.“

„Das hoffe ich auch für dich.“, entgegnete er.

Sie schnaubte. „Ich bin nicht so naiv wie du.“

„Dein Blick sagt etwas anderes.“

Wieder stieß sie die Luft aus und betrachtete ihn aus ernsten Augen. „Ich hoffe, ich werde nicht bereuen, dich gehen gelassen zu haben.“

„Ich dachte, du bereust gern. Warum tust du’s sonst?“

„Wer hat gesagt, dass ich etwas bereue?“

„Keine Ahnung, deine Zerstörungswut, deine sadistische Ader, vielleicht deine etwas eigenwilligen erotischen Vorstellungen?“

Ihr Gesichtsausdruck diente ihm zur Antwort.

„Zu viel?“, fragte er.

„Eindeutig.“

Er hob die Arme, als könne er daran nun eh nichts mehr ändern.

Wieder hoben sich ihre Mundwinkel. „Es bleibt ja in der Familie.“

Er verstand diesen Kommentar nicht.

Sie wandte sich um, hob geradezu gelangweilt die Hand zum Abschied und verschwand.

Grauen-Eminenz atmete auf und war sehr froh, gesunde Hände zu haben.

Weihnachts-Special Grauen-Eminenz und die Weihnachtsfeier

„Sie wollen aber unbedingt mit dir feiern.“, sage ich beschwörend, doch Grauen-Eminenz schaut mich nur grimmig und abweisend an, wendet sogar den Blick ab, als wolle er gar nicht erst mit mir diskutieren.

„Ach komm schon.“, flehe ich ihn an.

Er schweigt, aber geht nicht. Mit einem Mal merke ich, dass ihn etwas beschäftigt. Sein Gesichtsausdruck wirkt, als würde er sich selbst verbieten wollen, dorthin zu gehen. Der Anblick lässt mir das Herz schmerzen und ich begreife, dass er sich selbst dieses Glück versagen will, weil er glaubt, sich selbst bestrafen zu müssen.

„Dich zu zerstören, bringt sie nicht zurück.“

Grauen-Eminenz wirbelt herum und fegt mit einer so brutalen Bewegung die Unterlagen von meinem Schreibtisch, dass ich verstört zusammenzucke. Er funkelt mich gewaltbereit an, als stehe er kurz davor, mir Schmerzen zu bereiten, weil ich sie zu erwähnen gewagt habe.

Ich sehe, wie er die heftigste Selbstbeherrschung anzuwenden versucht. Sein ganzes Gesicht ist angespannt, als zerreiße es ihn zwischen dem Bedürfnis, mir Gewalt anzutun, und dem Drang, sich selbst zu vernichten.

Ich bemühe mich, meine Angst niederzuringen, ich stehe auf und lege meine Hand auf seine rechte Faust, die noch auf dem Tisch ruht. Er atmet so heftig und ich spüre die Furcht, dass er mich für diese Geste schlagen wird. Etwas wie Hass blitzt aus seinen grauen Augen. Ich merke, dass ich kurz davor stehe zu weinen, weil mir das wehtut. Daraufhin ändert sich auch sein Gesichtsausdruck. Er lässt einen Schrei der Verzweiflung los.

„Du wirst dein Ziel nicht schneller erreichen, wenn du dich kaputt machst. Sie braucht dich.“

Jetzt bricht er in sich zusammen. Dieser riesige Mann mit der grauen Haut sinkt auf den Boden und ich schäme mich dafür, ihm genau das gesagt zu haben, von dem ich wusste, dass es ihn niederringen würde. Doch das, was ich ihm lieber gesagt hätte, hätte ihn nur gegen mich aufgebracht. So trage ich jedoch dazu bei, dass er diesen wahnwitzigen Weg weitergeht, anstatt sein eigenes Glück zu finden.

Oh Grauen-Eminenz, wenn du wüsstest. Wenn ich dir die ganze Geschichte erzählen könnte, doch du würdest mir nicht glauben. Das tut am meisten weh, dass du das Glück nicht einmal annehmen könntest, weil du ihm nicht vertraust.

Ich gehe vor ihm auf die Knie und lege ihm bedeutungsvoll die Hände auf die gesunkenen, wenn auch breiten Schultern. Ich werde dich glücklich machen, schwöre ich stumm, wohlwissend, dass er mich für den Satz lynchen würde.

„Sie warten auf dich.“

Grauen-Eminenz hebt den Blick und sieht mich an, als wolle er mich fragen, ob ich ihm das wirklich antun will.

Ich nicke ihm zu.

Er reißt sich von mir los, als wolle er mir sagen, dass er mich hasst, doch weiß ich, dass er nur sich selbst hasst, obwohl er so ein wertvolles Herz hat. Er entschwindet durch das Portal.
 

„Da bist du ja!“, rief Vivien begeistert aus und klatschte in die Hände, als der Schatthenmeister durch das Portal trat. Sie und die anderen hatten bereits den Christbaum geschmückt.

Grauen-Eminenz gab ein Grummeln von sich.

Wie immer sah man Vivien die Euphorie überdeutlich an. „Herzlichen Glückwunsch zum vollendeten Adventskalender!“

„Das ist ein Jahr her.“, knurrte er genervt.

„Ja, aber letztes Jahr wolltest du nicht mit uns feiern.“, belehrte ihn Vivien gut gelaunt.

„Das will ich auch jetzt nicht.“

Vivien ignorierte den Einwand geflissentlich und drehte sich mit einer präsentierenden Geste um. „Tataaa!“ Sie verwies auf den Christbaum.

Grauen-Eminenz stieß die Luft aus.

„Ewigkeit hat sich besonders auf dich gefreut.“, sprach Vivien quietschfidel weiter.

Grauen-Eminenz‘ Gesicht verzog sich kurz, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Er wandte den Blick ab. „Ich will sie nicht sehen.“ Er machte sich bereits auf die Proteste der Beschützer gefasst. Stattdessen lachte der kleinwüchsige Rotschopf, als hätte er einen Witz gerissen.

Empört stierte er sie an.

„Du klingst wie Serena. Die behauptet auch immer, Vitali nicht leiden zu können.“

„Klappe!“, kreischte Serena von hinten.

„Sie hat doch Recht.“, meinte Vitali amüsiert.

„Willst du, dass ich dich paralysiere?“, drohte Serena.

Ariane meldete sich vorsichtig zu Wort. „Genau genommen kann er sie ja auch nicht sehen.“

Vivien lachte abermals.

Unsicher sah Ewigkeit zu Erik. Er erwiderte den Blick des Schmetterlingsmädchens und gab ihr damit stumm zu verstehen, dass er den Schatthenmeister für ein unreifes Kleinkind hielt.

Justin ergriff das Wort. „Niemand zwingt dich, hier zu sein.“, verkündete er.

Mit Schmollmund drehte sich Vivien zu Justin. „Aber er hat bei dem Adventskalender mitgeholfen! Und er wollte letztes Jahr schon nicht auf dem Abschlussbild sein.“

„Das ist seine Entscheidung.“, beharrte Justin streng.

Vivien zog ein demonstrativ unglückliches Gesicht. Auch wenn sie Justins Beschützerdrang, was die Gruppe anbelangte, durchaus wertschätzte, war seine Sturheit, was die Aufrechterhaltung bestimmter Grenzen betraf, manchmal nicht sonderlich hilfreich. „Aber er ist extra hier hergekommen. Er traut sich nur nicht, weil wir nicht immer im gleichen Team spielen.“

Justins Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er diese Formulierung allzu euphemistisch fand. „Er ist der Schatthenmeister.“

„Ein Schatthenmeister.“, korrigierte Vivien lässig. „Es gibt ja mehrere davon.“

Justins Augen sagte, dass es sich aber um den Schatthenmeister handelte, der sie entführt und Schatthen auf sie gehetzt hatte.

„Es ist doch Weihnachten.“, flehte sie.

Justin atmete aus und heftete seinen Blick auf Grauen-Eminenz, als dürfe er ihn nicht aus den Augen lassen.

Grauen-Eminenz rührte sich nicht, als wisse er selbst nicht, was er hier tat.

„Komm, wir haben Plätzchen!“, eröffnete Vivien auffordernd.

Grauen-Eminenz wirkte, als wolle er umkehren.

In diesem Moment erhob sich Ewigkeit in die Lüfte und schwebte vorsichtig auf ihn zu. Er spürte offenbar, dass sie sich ihm näherte, denn er blickte auf, auch wenn er durch sie hindurch sah.

Sie gab ein sachtes Glöckchengeräusch von sich, um ihm Sicherheit zu schenken, doch stattdessen schien es ihn aufzuwühlen, als hätte sie damit einen wunden Punkt getroffen. Er sah so entsetzlich zerbrechlich aus, dass sie nicht wusste, wie sie ihn trösten sollte. Der Wunsch in ihr war unbändig. Doch offenbar schreckte ihre Gegenwart ihn bloß noch mehr ab. Sie getraute sich nicht, ihm näher zu kommen, so sehr sie sich danach sehnte. Ein trauriger Laut entfleuchte ihr.

Irritiert verfolgten die Beschützer das seltsame Schauspiel. Zu ihrer Überraschung wirkte es, als würde Ewigkeits Nähe etwas in dem Schatthenmeister bewirken, gerade so, als fürchte er sie oder – Ihr trauriger Klang schien ihn tatsächlich zu treffen. Seit wann konnte er diesen überhaupt wahrnehmen? Die Atmosphäre zwischen ihnen war befremdlich und bewirkte, dass keiner den Moment zu unterbrechen wagte.
 

Verdammt! Warum musste er ausgerechnet jetzt an diesen blöden Entwurf von Regina denken, indem sie ihn ungefragt zum Mentoren der Beschützer gemacht hatte! Er würde niemals mit ihnen auf einer Seite sein! Und schon gar nicht würde er… Sein Blick suchte Ewigkeit, obgleich er wusste, dass er sie nicht sehen würde. Er ballte die Hände zu Fäusten, um das Gefühl niederzuringen, das allein ihre Gegenwart in ihm auslöste. Dieses Gefühl von Geborgenheit und Ruhe, als würde er irgendwo hingehören. Sein Blick schweifte über die sechs Bälger, die sich die Beschützer nannten und die auf groteske Weise eine Verbindung zu ihm hatten, weil sie seine Experimente waren, seine Hoffnung.

Er biss die Zähne zusammen. „Habt ihr Glühwein?“

Vitali rief aus: „Das hab ich auch gefragt!“

„Wir sind minderjährig.“, erinnerte Justin.

„Ohne Glühwein, ohne mich.“, behauptete Grauen-Eminenz möglichst überzeugend.

„Ich hol welchen.“, rief Vitali und war sogleich verschwunden.

Argh, wieso vergaß er immer, dass dieser Luftikus teleportieren konnte!

Nur Momente später stand Vitali mit einer Glühweinflasche in der Hand wieder da und grinste.

„Was soll ich mit kaltem Glühwein!“, beschwerte sich Grauen-Eminenz in seiner Not.

Vitali zuckte mit den Schultern und hielt die Flasche Serena neben ihm hin.

„Was soll ich damit?“

„Warm machen.“, antwortete Vitali.

„Ich kann Dinge nicht einfach warm machen!“, schimpfte sie.

„Dabei bist du so hitzköpfig.“, grinste Vitali.

„Ich mach DIR gleich Feuer unterm Hintern!“

„Unter dem Glühwein würde reichen.“

Serena funkelte ihn wütend an.

Erik wandte sich ab. „Lasst es. Er sucht eh nur Ausreden, um nicht hier zu sein, obwohl er es will.“

Vivien kicherte, da Erik aus Erfahrung sprach.

Grauen-Eminenz zog ein ergrimmtes Gesicht, das deutlich machte, dass Erik den Kern der Sache getroffen hatte. Dadurch konnte er nicht einfach verschwinden, ohne sich eine Blöße zu geben.

Grollend stapfte er auf die geschmückten Tische zu und ließ sich auf einer der Sitzbänke nieder.

Als hätte er dadurch einen Bann gebrochen, flog Ewigkeit an seine Seite und nahm auf seiner Schulter Platz. Augenscheinlich war ihm das bewusst, denn er drehte sein Gesicht von ihr weg, als wäre ihm das peinlich, doch Ewigkeit ließ sich nicht länger beirren.

„Nur um sicher zu gehen, heute gilt Waffenstillstand, richtig?“, hakte Ariane nach.

Grauen-Eminenz knurrte nur. Vivien kicherte. Mit freudigen Bewegungen hüpfte sie an Grauen-Eminenz‘ Seite und setzte sich ihm gegenüber. Justin nahm den Platz neben ihm ein, wohl um keinen anderen dieser Gefahr auszusetzen. Auch die anderen ließen sich an dem Tisch nieder.

„Feiern wir!“, rief Vivien und riss ihren Arm in die Höhe. Im gleichen Moment begann peppige Weihnachtsmusik zu spielen.

Ewigkeit erzeugte ein begeistertes Glöckchengeschelle.

Grauen-Eminenz stöhnte resignierend und unterdrückte das Aufwärtszucken seiner Mundwinkel.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wenn ihr wissen wollt, wie Grauen-Eminenz dafür bestraft wurde, lest hier: Grauen-Eminenz im Kinderparadies

Die Bezeichnung 'desaturierter Meister Proper' ist übrigens eine Hommage an meinen lieben Freund totalwarANGEL, der diese in einem seiner witzigen Kommentare verwendet hat. 'desaturiert' bezieht sich auf Grauen-Eminenz graue Haut, also die entsättigte Farbe. 😄

Frohe Ostern! 🐰🐣🍀🌷 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und die Moral von der Geschicht:
ein jeder Autor eignet sich zum Prota - NICHT. 😆

Die zwei Werke, die ich hier erwähnt habe, findet ihr übrigens hier:
Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi
und
Morgenstern von totalwarANGEL Besagter hat übrigens auch eine dystopische Zukunftsstory mit einer Gruppe aus Teenies mit besonderen Fähigkeiten: Last Seed (vormals Last Generation) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wer wissen will, was Grauen-Eminenz an diesem Tag noch passiert ist, lese hier: Grauen-Eminenz als Arzt Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Da die Autorin geflüchtet ist, hier ein Blick auf das Gespräch zwischen den Figuren, das in der Zwischenzeit stattgefunden hat:

„Grauen-Eminenz hat Fans?!“, schreit Serena, über diese Eröffnung empört.
Nachdem ihre Autorin mit Grauen-Eminenz den Raum verlassen hat, kann sie nicht länger an sich halten. „Er ist cholerisch, bösartig und unberechenbar!“
„Wie du.“, meint Vitali locker und grinst sie an.
„Ich geb dir gleich bösartig!“, droht sie.
Vitali zuckt mit den Schultern, als wäre er das von ihr gewöhnt. „Du paralysierst mich ständig.“
Serena verzieht das Gesicht, da sie das nicht leugnen kann.
Ariane klinkt sich ein. „Aber ist es nicht moralisch fragwürdig, jemanden zu mögen, der verwerflich handelt?“ Etwas Derartiges würde sich mit ihrem Selbstbild nicht vereinbaren lassen.
„Gefühle haben nichts mit Moral und Logik zu tun.“, entgegnet Erik nüchtern, als spräche er aus Erfahrung. Ariane zweifelt daran.
„Aber wieso mag man jemanden, der anderen Leid zufügt?“, will sie wissen.
Die kleine Ewigkeit, ein handgroßes Mädchen mit durchsichtigen Schmetterlingsflügeln, hat derweil auf Justins rechter Schulter Platz genommen und lauscht wie er stumm dem Gespräch der anderen.
Viviens heitere Stimme erklingt: „Er hat einfach diese Ausstrahlung!“ Sie untermalt ihre Worte mit effektvollen Gesten. „Wie ein einsamer grauer Wolf. Sein sehnsüchtiges Heulen gen Vollmond gerichtet. Das innere Leid weggesperrt im Gehege seiner Schuld.“ Theatralisch legt sie die Handaußenfläche an ihre Stirn.
Die anderen starren sie an.
Vivien kichert. „Die Leute stehen einfach auf rebellische Außenseiter, groß, muskulös und grimmig. Jede noch so kleine Geste wird dann als Hinweis auf ein Herz aus Gold interpretiert. Sicher hat er sogar einen Waschbrettbauch!“
„Hääää?!“, schreit Vitali. „Wegen so nem Scheiß wird man gemocht?!“ Beleidigt verzieht er den Mund. Dass er durch seine schmale, lange Figur nicht als das Vorzeigebild eines Mannes gilt, nagt an ihm.
Erik ergreift das Wort. „Von normalem Krafttraining bekommt man keinen Waschbrettbauch.“, stellt er klar. „Es ist ein rein optischer Effekt, der spezieller Trainingsübungen bedarf und einem im Alltag nichts bringt.“
Vitali starrt ihn fassungslos an. „Du meinst, du hast keinen Waschbrettbauch?“
Da er Erik als Inbegriff des von Frauen begehrten Mannes abgespeichert hat, kann Vitali sich das nicht vorstellen.
Eriks eine Augenbraue senkt sich, während die andere sich hebt, er antwortet nicht.
Ariane protestiert. „So etwas Oberflächliches ist doch kein Grund, jemanden zu mögen!“ Sie hasst es, dass andere oft nur ihre Schönheit sehen.
Unterdessen ist Vivien an Justins Seite getreten. Seinem Blick nach zu urteilen, quält ihn der Gedanke, ob sie lieber einen Freund mit Waschbrettbauch hätte und ob Männer wie Grauen-Eminenz ihr Typ sind. Sie ergreift seinen Arm und schmiegt sich an ihn.
„Man verliebt sich in das Herz einer Person.“, sagt sie an die anderen gewandt. „Aber manchmal hat man Glück und“, sie richtet den Blick auf Justin, „derjenige ist auch noch unglaublich gutaussehend.“ Ihre Augen gleiten kurz vielsagend über seinen Körper, sodass selbst ihm die Andeutung nicht entgehen kann.
Im nächsten Moment ist sein ganzer Kopf puterrot.
„Und wie wir Regina kennen,“ – Vivien ist die einzige von ihnen, die die Autorin beim Namen nennt – „hat Grauen-Eminenz vielleicht wirklich ein gutes Herz.“ Sie grinst.
Bei den Worten horcht Ewigkeit auf und lächelt freudig.

[Für diesen Zusatzbeitrag sollten die Wörter "Waschbrettbauch, Vollmond, Gehege, Heulen, einsam" verwendet werden.] Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Info: Die Handlung rund um Ewigkeit und Grauen-Eminenz, die hier ihren Anfang nimmt, hat sich mittlerweile tatsächlich zu einer Fortsetzungsgeschichte entwickelt.
Ihre nächste Begegnung, die aber nur am Rande vorkommt, findet ihr hier: Grillen und Grauen-Eminenz Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Weil ich selbst es liebe, wenn Autoren mich einweihen, welche Gedanken sie sich beim Schreiben gemacht haben, wollte ich das diesmal mit euch teilen.


Hinter den Kulissen –Gedanken zur Geschichte und den Symbolen

Liliths Ausspruch „Ich habe es damals schon gesagt und ich werde es wieder sagen: Kein Paradies für mich.“, bezieht sich auf die Legende, dass drei Engel Lilith nach ihrer Flucht zurück zu Adam holen sollten, sie dies jedoch ablehnte. (Riesen gelten übrigens als Nachkommen von Engeln und Menschenfrauen.) Die Themen Flucht, Fall und Ruinen sind mehrfach angedeutet. Warum aber quecksilberfarbene Augen?
Quecksilber ist das einzige Metall, das bei Raumtemperatur flüssig ist, sein Name bedeutet so viel wie quicklebendiges Silber. Ich wollte damit die nicht greifbare Natur Liliths unterstreichen, die sich nicht in starren Strukturen halten lässt. Das alchemistische Symbol des Quecksilbers ist dasselbe wie für den Merkur, also eine Kreis, der auf einem Kreuz thront und oben etwas hat, das fast wie zwei Hörner aussieht. Man könnte es auch als Weiblichkeitssymbol mit Hörnern umdeuten.
Quecksilber wurde früher sehr häufig als Arzneimittel eingesetzt, z.B. gegen die Lustseuche Syphilis. Allerdings war das nicht sonderlich gesund. In der Homöopathie wird es in potenzierter Form als Mercurius verwendet. Insbesondere einige Gemütssymptome fand ich dabei passend für Lilith: „Heftige, schreckliche Impulse: zu morden; sich umzubringen. Angst, die ihn weit jagen könnte, als wenn er etwas verbrochen hätte oder ihm ein Unglück bevorstünde. Fast unwiderstehlicher Trieb in die Entfernung zu reisen. (Man denke an Liliths Flucht aus dem Paradies). Schmutzig an Geist und Körper. Lebensüberdruss.“ G.H.G. Jahr nennt außerdem: „Unaussprechliches Gefühl innern, unerträglichen Übels, als stehe er Höllenmarter aus“. Außerdem ist die typische Verschlechterungszeit von Mercurius nachts.
Übrigens wurde und wird teilweise noch heute Quecksilber für die Goldgewinnung verwendet. Und die Farbe Silber wird typischerweise mit dem Mond assoziiert, während Gold für die Sonne steht. Beides wird wiederum mit Weiblichkeit und Männlichkeit in Verbindung gebracht.
Das Zerbrechen eines Ganzen, bzw. die Spaltung in Zwei wollte ich mit dem Cocktail Shaker anklingen lassen.
Dass das Innere ausgeleert wird, nachdem die Hälften getrennt sind, sollte andeuten, dass dadurch etwas verloren geht. Ist damit die Spaltung in Männlich und Weiblich gemeint oder vielmehr in Gut und Böse? Man bedenke: Lilith aß nicht vom Baum der Erkenntnis, die Unterscheidung von Gut und Böse wurde dem Mensch erst danach möglich. In manchen Interpretationen ist die Schlange, die Eva rät, von der Frucht zu essen, in Wirklichkeit Lilith. Lilith jedoch hat Spaltung bereits durch ihre Ungleichbehandlung erfahren. Will sie Eva vielleicht nur auf etwas aufmerksam machen, das für sie bereits Realität ist?
Außerdem wollte ich auch die Frage reflektieren, ob es wirklich reicht, dass alle anderen einen für ein Monster halten, oder ist es nicht vielmehr die internalisierte Meinung der anderen? Kann ein anderer unseren Wert soweit in Abrede stellen, dass wir ihn verlieren, oder ist die Würde des Menschen tatsächlich unantastbar?
Allgemein neigen Menschen dazu, anderen die Menschlichkeit abzusprechen. So wurden Schwarze als Untermenschen kategorisiert. Und Frauen galten in der christlichen Religion lange als missratene Männer, ihnen wurde häufig sogar der Besitz einer Seele abgesprochen, da sie ja nicht nach dem Ebenbild Gottes geschaffen worden seien und daher nur als Werkzeug zur Fortpflanzung dienen sollten. Die Meinung anderer führt zu Handlungen, diese formen unsere Realität, sperren uns ein, verteufeln, versklaven uns. Schnell glaubt man, dann nur noch zwischen Opfer und Täter wählen zu können. Aber manchmal gilt es, sich davon frei zu machen. Der letzte Gedanke Ewigkeits verweist dabei auf Liliths Namen, denn die Silbe Lil kommt – laut Wikipedia – von der Bedeutung Wind. Insofern kann die Freiheit und das Erheben über die Verurteilung als ihr innewohnende Kraft verstanden werden. Die Nachsilbe –lith von griechisch lithos = Stein, deren Bedeutung in Ewigkeits Überlegungen am Anfang der Geschichte anklingt, steht dagegen für die Versteinerung, die Lilith noch gefangen hält.
Die Realität ist voller Ambiguitäten und jedes Zerreißen in Gut oder Böse wird ihr nicht gerecht. Lilith wirft Ewigkeit vor, die Dunkelheit nicht zu kennen und sie daher nicht verstehen zu können. Damit beweist sie ihr eigenes zerrissenes Denken, in dem es kein Zurück mehr gibt und kein Vorwärts. Ewigkeit dagegen widerspricht dem Gegensatz von Unschuld und Erfahrung. Es liegt nicht an fehlendem Wissen oder Naivität, dass sie Lilith nicht verurteilt. Sie behandelt sie einfach nur ebenbürtig.

Was denkt ihr darüber? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Frohe Weihnachten! 🎄 Und danke für all eure Unterstützung!
Alles alles Liebe und einen guten Rutsch ins neue Jahr! 🥰💖 Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  RukaHimenoshi
2023-01-29T16:51:18+00:00 29.01.2023 17:51
Naaaw, das ist ja eine süße Protastik!!!!! 🥹🥹
Hat wirklich Spaß gemacht, es zu lesen. Und ich finde es wirklich schön, dass du diese ganzen Gedankengänge aufgeschrieben hast. 🥰 (Und oh mein Gott, Grauen Emineeeeenz!!!!!!! Sein Auftritt… Seine REAKTION!!!!!! 😍😍😍)
Von:  totalwarANGEL
2023-01-28T00:15:57+00:00 28.01.2023 01:15
> High Fantasy
Was? Low Fantasy. Es ist Charakterbetont und dreht sich eher weniger um große Handlungen, die ganze Völker betreffen. Zumindest im Moment. Derzeit ist es "nur" Low Fantasy.

Hi hi, das war ja putzig.
Paar interessante Denkanstöße. Das mit den in andere Welten eintauchen z.B. ...
Antwort von:  Regina_Regenbogen
28.01.2023 16:26
😂 Okay, man vergebe mir meine inkorrekte Verwendung der Genre-Begriffe.
>Hi hi, das war ja putzig.
>Paar interessante Denkanstöße. Das mit
>den in andere Welten eintauchen z.B. ..
😄 Das freut mich.
Bei mir gibt es immer Denkanstöße. 😆👍
Von:  RukaHimenoshi
2022-04-29T10:30:37+00:00 29.04.2022 12:30
Aaaaaaaaaaaaaaah, ich liebe dieses Special!!!!!!!! 😍😍😍😍😍😍😍😍😍😍😍😍🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣
Grauen Eminenz war mal wieder genial in seinen Kontern und am Ende auch noch das High Five mit dem Häschen, naaaaaaw!!! 🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰

Und danke für die Aufklärung, ich hatte mit diesem Wort genauso wenig anfangen können 😆

Hehehe und die Eier in allen Regenbogenfarben? Das hat natürlich niiiichts mit den Beschützern zu tun, gar nicht. 🤭 Oder will Hasi damit mitteilen, dass G-E sich doch lieber mal nach hübschen Kerlen umschauen soll? 😏🌈 Vielleicht hat er aber auch einfach eine Vorliebe für Physik und Lichtbrechung 🤣
Antwort von:  Regina_Regenbogen
20.05.2022 12:19
Ich hoffe doch, dass es dir als Grauen-Eminenz Fan Nr. 1 gefallen hat. 😆
Und er ist einfach cool. 😎

>Hehehe und die Eier in allen Regenbogenfarben? Das hat natürlich niiiichts mit den Beschützern
>zu tun, gar nicht.
Neeeeeeiiiin, gaaaaaar nicht. 😁

>Oder will Hasi damit mitteilen, dass G-E sich doch lieber mal nach hübschen Kerlen umschauen
>soll? 😏🌈
Oho! Das wäre eine komplett neue Wendung. Dass der Hase ähm für andere Dinge steht, die ihm zugeordnet werden. 🙈 Oijoi. Wer weiß, wer weiß.

>Vielleicht hat er aber auch einfach eine Vorliebe für Physik und Lichtbrechung 🤣
Klar. Wer nicht? 🤣
Antwort von:  RukaHimenoshi
20.05.2022 13:21
>Ich hoffe doch, dass es dir als Grauen-Eminenz Fan Nr. 1 gefallen hat. 😆
Und wie!!! 😍😍😍😍😍😍 (Oh Gott, ich fühle mich diesem Titel gar nicht würdig genug... Obwohl ich in gewissem Sinne sogar als einzige ein Grauen-Eminenz-Fanshirt habe. 🙈 Aber... er ist zu gut für mich, dass ich seiner würdig wäre!!!!! 😭 Äh- böse 🤣)

Die Protastik-Geschichten hier hochzuladen finde ich auch ne richtig schöne Idee. 🥰 Eigentlich könnte ich das auch mit meinen paar vorhandenen machen. 😎
Antwort von:  Regina_Regenbogen
20.05.2022 13:33
>(Oh Gott, ich fühle mich diesem Titel gar nicht würdig genug... Obwohl ich in gewissem Sinne
>sogar als einzige ein Grauen-Eminenz-Fanshirt habe. 🙈)
Haha, ein richtiges Fanshirt von ihm müsste Grau sein. 😂😂😂
Aber du bist definitiv die einzige, der er bisher zum Geburtstag gratuliert hat. 🤣

>Aber... er ist zu gut für mich, dass ich seiner würdig wäre!!!!! 😭 Äh- böse 🤣
😂😂😂 Er ist leicht verstört von diesem Satz.

>Die Protastik-Geschichten hier hochzuladen finde ich auch ne richtig schöne Idee. 🥰 Eigentlich
>könnte ich das auch mit meinen paar vorhandenen machen. 😎
Jaaaaaa! 😍😍😍 Das wollte ich dir eh schon vorschlagen, aber ich dachte, es kommt vielleicht bedrängend rüber, daher hab ich nichts gesagt. 😂


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