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DEATH IN PARADISE - 01

Doppelfehler
von

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Neuanfang

Die karibische See schien heute unruhiger zu sein, als es für gewöhnlich der Fall war. Bereits vor mehreren Stunden hatte sich die Sonne hinter dichte Wolkenbänder versteckt. Seitdem frischte der Wind konstant auf, was wohl auch der Grund dafür war, dass sich heute Vormittag kaum jemand der Fähre anvertraut hatte. Die meisten Touristen warteten offensichtlich lieber auf die Fähre, die am Nachmittag dieselbe Strecke fahren würde. Das Wetter sollte nach der Mittagszeit besser werden.

In den fast schwarzen Augen der Frau, die allein auf dem Vordeck, am Bug der Katamaran-Fähre stand, spiegelte sich eine Mischung aus Trauer und Sehnsucht, seit die dunkle Linie der Insel am Horizont aufgetaucht war. Ihre gepflegten Hände hielten das Geländer des Vordecks fest umklammert, da der Seegang die Fähre spürbar krängen ließ. Diese seitlichen Schaukelbewegungen der Fähre waren der Hauptgrund dafür, dass keiner der wenigen anderen Passagiere sich hier oben aufhielt. Trotz des böigen Windes trug die Frau nur ein dünnes, dunkelblaues Trägerkleid und dazu passende Sandaletten.

Von der Steuerbordseite des Decks aus nahm die Frau den Anblick in sich auf. Die Insel am Horizont war ihre Heimat. Vor einem Jahr hatte sie diese Insel verlassen, um auf Martinique zu leben. Sie hatte geglaubt, dadurch die finsteren Erinnerungen daran, was passiert war, hinter sich lassen zu können. Sie hatte gehofft, es wäre irgendwann vorbei. Der erste Blick auf die Insel Saint Marie hatte sie eines Besseren belehrt. Sie war immer noch am Leben, Patrice immer noch tot. Es war nicht vorbei.

Florence Cassell schloss die Augen und atmete tief die salzig schmeckende Seeluft ein. Sie wusste nicht zu sagen, wie lange sie so allein auf dem Vordeck zugebracht hatte, als sie plötzlich angesprochen wurde.

„Ziemlich rauer Seegang, Miss. Ist das in diesen Breiten öfter der Fall?“

Florence Cassell öffnete die Augen wieder und wandte sich zu dem Mann um, dem die sonore Stimme gehörte. Sie erblickte einen sportlichen Mann, den sie auf Mitte dreißig schätzte. Vielleicht war er auch älter, ohne dass man ihm das ansah. Er trug eine elegant wirkende, dunkle Hose, ein kurzärmeliges, fliederfarbenes Hemd und dunkle, modische Lederschuhe. Sein Blick wirkte teils neugierig, teils interessiert und abschätzend. Das sanfte Lächeln, das sich auch in seinen grau-blauen Augen wiederfand, verlieh ihm eine pfiffige Note. Das kurze, dunkelblonde Haar passte zum Rest seiner Erscheinung. Insgesamt wirkte dieser offenbar durchtrainierte Mann auf Frauen, wie Florence befand. Dazu trug sicherlich auch seine leicht gebräunte Haut bei.

Florence Cassell wandte sich ihm ganz zu, lehnte sich mit der Hüfte gegen das Geländer und erwiderte angedeutet das Lächeln des Mannes. Mit weicher, klarer Stimme antwortete sie: „Meistens ist die See, rund um Saint Marie, ziemlich ruhig, Mister.“

Das Lächeln des Mannes, der sich ähnlich wie Florence rücklings gegen das Geländer lehnte und sich seitlich mit beiden Händen daran festhielt, vertiefte sich. An seinem Platz stehen bleibend meinte er: „Ich mag es, wenn das Wetter spürbar ist. Ich mag, wenn der Wind etwas heftiger weht oder wenn es regnet. Letzteres nicht zu stark natürlich.“

Es blieb für einen Moment lang still zwischen ihnen, bevor Florence sich ihrerseits erkundigte: „Was verschlägt Sie dann nach Saint-Marie? Dort scheint an dreihundert Tagen im Jahr die Sonne.“

Die Miene des Mannes wurde übergangslos ernster. „Ich beginne dort ein neues Leben. Morgen nehme ich dort meinen Dienst auf. Was ist mit Ihnen, Miss?“

„Ich kehre nach Hause zurück. Seit einem Jahr war ich nicht mehr dort. Nach einem schweren persönlichen Verlust habe ich es damals nicht mehr dort ausgehalten.“

Der Fremde nickte in Gedanken. „Ja, das kenne ich.“

Im Gesicht der Frau zeichnete sich eine deutliche Veränderung ab. Zorn funkelte in den dunklen Augen und bevor der Mann mehr sagen konnte, fuhr sie ihn an: „Sie haben doch keine Ahnung von dem, was ich erlebt habe! Wie können Sie sich anmaßen, zu behaupten, Sie würden das verstehen? Ist das etwa eine schräge Anmache?“

Echte Überraschung spiegelte sich auf dem Gesicht des Fremden. „Es lag nicht in meiner Absicht…“

„Wissen Sie was? Vergessen Sie es einfach, Mister!“

Die Frau verließ rasch das Vordeck und etwas verwirrt sah ihr der Mann hinterher, ohne dass sie es mitbekam. Sie fragte sich, was diesem arroganten Kerl überhaupt einfiel?
 

* * *
 

Derrick Faulkner verzichtete darauf, seinem ersten Impuls folgend, hinter der Frau herzueilen. Stattdessen wandte er sich nach einem Moment um und richtete seinen Blick auf den Horizont, wo die Insel unmerklich größer geworden zu sein schien. Dabei verdüsterte sich sein Blick, darüber grübelnd, welche seiner Worte diese heftige Reaktion bei der ihm unbekannten Frau ausgelöst haben mochten. Hatte sie wirklich geglaubt, dass er sein Verständnis nur vorgespielt hatte? Er hielt der Unbekannten zugute, dass sie vielleicht Schlimmeres erlebt hatte, als er ahnte. Das wäre eine Erklärung für ihr Verhalten. Vielleicht hatte der Ring etwas damit zu tun, den sie an einer goldenen Kette um den Hals trug.

Dabei hatte er selbst etwas Schlimmes erlebt. Vielleicht sogar schlimmeres als ein einzelner Mensch auszuhalten in der Lage war. Bei diesem Gedanken fuhr seine Rechte zu jener Stelle seines Hemdes, unter der ebenfalls ein Ring an einer goldenen Kette hing. Er wusste, was Verlust bedeutet. Tief durchatmend nahm er seine Hand wieder weg und ließ seine Gedanken in die Vergangenheit schweifend.

Nach dem schrecklichen Verlust, den er erlitten hatte, war ein fast einjähriger Krankenhausaufenthalt sein Schicksal gewesen. Danach musste er mühsam wieder das Gehen erlernen. Bis er das hinter sich gebracht hatte und wieder Sport treiben durfte, war ein weiteres Jahr verstrichen. Durch das, was diese Ereignisse nach sich gezogen hatte, nicht mehr in der Lage, seine Tätigkeit für die National Crime Agency, kurz NCA, weiterhin wahrzunehmen. Darum hatte man seiner Rückversetzung zum Metropolitan-Police-Service zugestimmt. Jener Polizeibehörde, für die er zuvor viele Jahre lang gearbeitet hatte. Zuletzt im Rang eines Detective-Inspectors. Als er nach einigen Monaten davon gehört hatte, dass der Posten des Polizei-Chiefs, auf der Insel Saint-Marie, die auch heute, im Jahr 2021, zu den britischen Überseegebieten gehörte vakant war, hatte er um seine Versetzung dorthin gebeten. Um dort vielleicht völlig von vorne beginnen zu können. Doch Derrick Faulkner war sich nicht sicher, ob das überhaupt möglich sein würde. Fakt war jedoch, dass er sein altes Leben in London nicht so weiterführen konnte und vielleicht auch nicht weiterführen wollte.

Wieder tief durchatmend fragte sich der hochgewachsene Mann, ob seine Entscheidung mutig war, oder ob sie feige war, weil er möglicherweise nur vor der Vergangenheit davonlief. Vielleicht fand er es auf der Insel heraus, zu der ihn seine spontane Entscheidung verschlagen hatte.

Je näher die Fähre der Insel kam, desto mehr wurde Faulkner von einem inneren Kribbeln erfasst. Schon morgen Früh würde er seinem neuen Chef gegenüberstehen. Er dachte dabei an die Unterhaltung mit seinem Superintendent zurück. Der hatte den Commissioner der Royal Saint-Marie Police, Selwyn Patterson, als harten Hund bezeichnet, dessen Führungsstil, gelinde gesagt, gewöhnungsbedürftig sein sollte. Im gleichen Atemzug waren auch Begriffe gefallen, wie: charmant, intelligent und gewieft. Auch was davon zu halten war, würde er zweifellos erst auf der Insel herausfinden.

Zu dieser Unruhe gesellte sich nach einer Weile die Vorfreude, seine zukünftigen Kollegen und Kolleginnen kennenzulernen und neue Bekanntschaften zu machen. Es war ihm stets leichtgefallen neue Freundschaften zu schließen.

Bei diesem Gedanken verzogen sich die Lippen seines Mundes zu einem spöttischen Grinsen. Der erste Versuch, eben hier vorne an Deck, strafte ihn Lügen, denn diese hübsche, dunkelhäutige Frau, die ihm die kalte Schulter gezeigt hatte, kennenzulernen war gründlich schiefgegangen. Was man noch als eine schmeichelhafte Untertreibung ansehen durfte.

Derrick Faulkner hakte das Ereignis schnell unter der Rubrik Künstlerpech ab und richtete seine Gedanken auf das, was vor ihm lag. Sein Vorgesetzter hatte ihn bei dem letzten Briefing vor seiner Abreise damit vertraut gemacht, dass er ein erst kürzlich brandneu zusammengewürfeltes Team übernehmen würde. Keine eingespielte Mannschaft, die bereits gemeinsam Fälle bearbeitet hatte. Als Rechte Hand sollte ihm zwar ein weiblicher Detective-Sergeant namens Florence Cassell dienen. Sie hatte bereits einige Jahre bei der Polizei von Honoré gedient, doch die übrigen beiden Teammitglieder sollten ihr ebenso unbekannt sein, wie ihm. Das hatte ihm zumindest sein Vorgesetzter mitgeteilt, der ihm gleichfalls eine knappe, schriftlichen Zusammenfassung der Dienstakte von Florence Cassell zukommen ließ.

Derrick Faulkner machte sich jedoch keine allzu großen Sorgen. Nach der einhelligen Meinung all seiner bisherigen Kollegen galt eine gute Menschenführung als eine seiner hervorstechenden Eigenschaften. Konnte schon sein. Zumindest war es ihm immer leichtgefallen, andere Menschen für seine Ziele einzuspannen und zu begeistern.

Zu seinen weniger hervorstechenden Eigenschaften zählte hingegen seine gelegentliche Ungeduld und seine Sprunghaftigkeit. Zudem sagte man ihm eine gelegentliche Launenhaftigkeit nach, auch wenn er versuchte, diese Schwächen zu minimieren.

Als Saint-Marie nur noch etwa einen Kilometer vor der Fähre lag, wandte sich Derrick Faulkner vom Anblick der grünen, hügeligen Insel ab. Es wurde Zeit, das Gepäck zu holen und sich auf das Verlassen der Fähre vorzubereiten. Dabei ergab sich vielleicht eine Gelegenheit, nochmal mit der hübschen Frau von vorhin zu reden und vielleicht das Missverständnis zwischen ihnen auszuräumen. Dieser Gedanke stimmte ihn zuversichtlich.
 

* * *
 

Schneller, als Derrick Faulkner es erwartet hatte, machte die Fähre im Hafen von Honoré fest. Beim Verlassen der Fähre entdeckte der Mann jene Frau, mit der er auf dem Vordeck aneinandergeraten war. Seinen Rucksack angelegt und die riesige Reisetasche geschultert schritt er rasch aus, um an ihre Seite zu gelangen.

Auf der gleichen Höhe mit der Unbekannten räusperte sich Faulkner und sagte höflich: „Entschuldigen Sie bitte, Miss. Ich wollte Sie oben auf dem Vordeck ganz bestimmt nicht beleidigen oder ihre Gefühle verletzen.“

Gemeinsam zu den beiden Taxen marschierend sah die Frau ihn an. Unwillig, jedoch ohne das wütende Funkeln von vorhin in ihren Augen, gab sie zurück: „Tut mir leid, Mister, aber ich bin in Eile. Einen schönen Tag noch.“

Damit wandte sie sich von ihm ab und hielt auf das vordere Taxi zu. Ohne sich noch einmal zu ihm umzusehen, bat sie den Fahrer, ihr Gepäck im Kofferraum zu verstauen. Gleich darauf war das Taxi außer Sicht.

„Das war wohl nichts“, murmelte Faulkner missgelaunt und hielt dann auf das zweite Taxi zu. Erst jetzt bemerkte er, dass dieses Taxi offensichtlich von einer Frau gefahren wurde.

Zuvor noch dem abfahrenden Taxi hinterher winkend, lehnte sie nun gegen das eigene Taxi. Die schlanke, sehnig wirkende Frau sah ihn an. In ihren dunklen Augen funkelten sowohl Enttäuschung, als auch Schadenfreude, als sie vergnügt meinte: „Was haben Sie denn angestellt, dass meine Freundin Florence Sie so offensichtlich abblitzen lassen hat?“

„Nur ein Missverständnis“, gab Derrick Faulkner in Gedanken zurück. Erst nach einem Moment horchte er dem Klang der Worte nach und sah die Fahrerin direkt an.

„Sagten Sie eben Florence? Doch nicht Florence Cassell?“

Etwas überrascht erwiderte die Frau mit den kurzen Haaren seinen Blick. „Ich habe Sie noch nie auf dieser Insel gesehen, Mister. Woher kennen Sie Florence?“

„Oh, so kann man das wirklich nicht nennen“, antwortete Faulkner ausweichend. „Ich kenne bisher nur etwas mehr, als ihren Namen. Jetzt würde ich gerne etwas von der Insel sehen. Was halten Sie davon, mich einmal um die Insel zu fahren?“

Die Frau grinste breit. „Das wird aber teuer, Mister. Das wird Sie mindestens zweihundert Ostkaribische Dollar kosten.“

„Sagen wir dreihundert und Sie lassen sich etwas Zeit, damit ich die Schönheit der Insel genießen kann“, machte Faulkner einen Gegenvorschlag.

Das Grinsen der Frau wurde um eine Spur breiter. „Sie sind aber ein lausiger Geschäftsmann, Mister. Na, dann laden Sie ihr Gepäck nur schnell in den Kofferraum, damit wir losfahren können, bevor Sie es sich noch anders überlegen.“

Derrick Faulkners Laune besserte sich spürbar, nachdem das Taxi Honoré hinter sich gelassen hatte. Zunächst schweigend aus dem Fenster sehend fragte er nach einer Weile die Frau am Steuer des Taxis: „Kennen Sie Florence schon lange?“

Es dauerte einen Moment, bis die Frau erwiderte: „Seit unserer gemeinsamen Schulzeit. Wir waren in demselben Jahrgang.“

Faulkner musterte die Frau kurz und meinte: „Ist Ihre Freundin immer so kurz ab?“

„Nein. So ist Florence normalerweise nicht. Vielleicht hat sie sich aber auch deutlich verändert, seit unserer Schulzeit.“

„Vielleicht ist ja etwas passiert, durch das sie meine Worte auf der Fähre missverstanden haben könnte“, entfuhr es Faulkner. „Das würde es vermutlich erklären.“

Auf den fragenden Blick der Frau hin erklärte Derrick Faulkner ihr, in knapper Form, was sich auf der Fähre abgespielt hatte. Als er Ihren missbilligenden Blick bemerkte, fügte er düster an: „Leider ist es eine Tatsache, dass ich wirklich etwas erlebt habe, das ziemlich extrem gewesen ist. Doch darüber möchte ich im Augenblick wirklich nicht sprechen.“

„Okay“, erwiderte die Fahrerin unbekümmert. „Dann reden wir darüber, was Sie auf diese Insel verschlagen hat. Sind Sie ein Tourist?“

„Nein, ich bin nicht zu meinem Vergnügen hier.“

Die Frau sah ihn kurz an und orakelte: „Dann sind Sie bestimmt der Schlauch-Jockey, der in Honoré schon sehnsüchtig erwartet wird.“

Derrick Faulkner machte ein wenig geistreiches Gesicht. „Ich fürchte, ich bin mit dem hiesigen Insel-Slang noch nicht vertraut.“

Die Frau lachte vergnügt. Das schien sie überhaupt viel und gerne zu tun. „Ich meinte, Sie sind der neue Chief, richtig?“

„Richtig“, bestätigte Faulkner, ohne zu ahnen, dass die Frau an seiner Seite etwas ganz anderes gemeint hatte. Dann murmelte er nachdenklich: „Schlauch-Jockey?“

Die Landschaft änderte sich und Faulkner vergaß das kurze Intermezzo. Die nun etwas hügeliger werdende Landschaft und die Weite der Ostkaribischen See nahmen ihn gefangen. Vereinzelt erkannte er kleinere, vorgelagerte Inseln; kaum mehr als größere Felsen, die aussahen, als habe sie ein Riese hier wahllos ins Meer geworfen.

Erst als die Straße etwas von der Küste weg durch einen Waldstreifen führte, ergriff Faulkner wieder das Wort. „Es ist wunderschön hier, Miss.“

„Seien Sie nicht so übertrieben förmlich und sagen Sie einfach Céline.“

Derrick Faulkner gefiel die ungezwungene Art der Frau. „In Ordnung, Céline. Dann sagen Sie ihrerseits einfach Derrick zu mir.“

Céline erwiderte das Lächeln des Mannes. „Abgemacht. Übrigens machen Sie nicht den Eindruck eines typischen Engländers auf mich.“

Derrick Faulkner schmunzelte, bevor er meinte: „Das mag daran liegen, dass ich kein so typischer Engländer bin. Meine Kindheit und Jugendzeit habe ich in Deutschland verbracht. Erst mit Beginn meines Studiums kehrte ich nach England zurück.“

Der Mann sah für einen Moment zur Seite und wechselte dann abrupt das Thema, indem er sich erkundigte: „Meine Recherchen über diese Insel haben ergeben, dass immer noch rund dreißig Prozent der Inselbevölkerung französischer Abstammung sind, stimmt das in etwa?“

Die Frau an seiner Seite nickte. „Ja, das kommt hin. Die Insel wurde den Briten zwar vor fünfzig Jahren zurückgegeben, doch wie sie erkennen können, wird hier immer noch rechts gefahren. Auch die Nummernschilder der Autos sind nach wie vor französisch. So, wie die Namen vieler Personen auf dieser Insel.“

„Hoffentlich denke ich daran, sobald mein Fahrrad, zusammen mit meinen übrigen Sachen, hier eingetrudelt ist. Wäre fatal, wenn ich mich als Geisterfahrer betätige.“

Die Frau musterte ihn taxierend und erwiderte dann: „Sie scheinen eine Menge Sport zu treiben, Derrick. Ist in Ihrem Job bestimmt nicht verkehrt?“

„Ja, mitunter ist es ganz nützlich“, stimmte der Mann zu. „Es hilft, wenn man schneller ist, als die Bösen.“

„Ah, ich verstehe. Sie meinen die Brandstifter.“

„Nicht nur die“, gab der Mann zurück. „Auch Diebe, Mörder und andere Ganoven.“

Céline sah den Mann neben sich irritiert an. „Moment, was hat ein Feuerwehr-Chief denn mit Dieben, Mördern und anderen Ganoven zu tun?“

Jetzt war die Reihe an Derrick Faulkner irritiert dreinzublicken. „Gar nichts.“

Erst nach einem langen Moment begriff der Mann endlich und stöhnte auf: „Jetzt verstehe ich endlich, was Sie mit Schlauch-Jockey gemeint haben. Nein, ich bin kein Feuerwehrmann, sondern der neue Detective-Inspector der Polizei von Honoré. Na ja, vielleicht nicht mehr ganz so neu, wenn man es genau nimmt.“

Die Taxifahrerin lachte amüsiert. „Na, da haben wir vorhin ja schön aneinander vorbeigeredet, Derrick. Nur gut, dass ich Ihnen bis jetzt noch nichts von meinen illegalen Nebeneinkünften erzählt habe.“

Die Frau nickte todernst, bis sie das verblüffte Gesicht des Mannes zum Lachen reizte. „Hey, das war nur ein Spaß.“

„Das hoffe ich für Sie, Céline“, knurrte Faulkner gespielt finster. „Ich bin vielleicht ein lausiger Geschäftsmann aber dafür ein sehr guter Ermittler, müssen Sie wissen.“

Der Rest der Fahrt verlief heiter und erleichtert befand Derrick Faulkner, dass zumindest der zweite Kontakt zu einer Einwohnerin dieser Insel positiv verlaufen war.
 

* * *
 

Nachdem sie wieder in Honoré angekommen waren, hatte sich Derrick Faulkner vor dem Polizeirevier absetzen lassen. Sein Vorgesetzter hatte ihm vor seiner Abreise erklärt, dass sein zukünftiger Detective-Sergeant wusste, wo man ihn unterzubringen gedachte. Er hatte von einer Art Dienstvilla gesprochen jedoch dabei gleichzeitig anklingen lassen, dass es sich bei dieser Standardunterkunft wohl eher um eine bessere Hütte handelte.

Nachdem sich Céline mit einem überraschend kräftigen Handschlag von ihm verabschiedet hatte, sah sich der Mann um. Das Revier machte einen freundlichen Eindruck. Weitaus weniger kalt und abweisend, als es bei europäischen Einrichtungen dieser Art der Fall war. Vielleicht lag es daran, dass alle drei Türen, die ins Innere der Polizeistation führten, weit geöffnet waren. Man erreichte sie über eine Steintreppe, die dann über eine kleinere Holztreppe im oberen Bereich zu der vorgelagerten, überdachten Veranda hinaufführte. Über den beiden großen Schildern an der Wand mit den Worten HONORÉ POLICE entdeckte Faulkner das Wappen der Polizei von Honoré. Ein gelber Papagei vor der französischen Trikolore und dem weißen Schriftzug Police Saint-Marie.

Links der Polizeistation führte eine Straße hinauf quer von Norden nach Süden, über die Insel. Auf der anderen Seite dieser Straße lag die katholische Kirche von Saint-Marie, dicht an einen der kleineren Hügel geschmiegt, die Honoré zur Inselmitte hin umgaben.

Nach der Fahrt um die Insel schulterte der Mann gutgelaunt Rucksack und Reisetasche und stieg rasch die Treppe zur Veranda hinauf. Oben angekommen überlegte er kurz, ob er anklopfen sollte. Er entschied sich dagegen und trat ganz ungezwungen ein.

Das Erste, was ihm ins Auge sprang, war der knallgelbe Farbton der Wände, im Innern der Station. Das schien ihm gewöhnungsbedürftig zu sein. Ebenso wie der im gelb-grünen Schachmuster geflieste Boden. Zusammen mit der weißen Decke des Raumes, unter der ein halbes Dutzend Deckenventilatoren surrten, und der Einrichtung aus dunklem Holz wirkte der Raum nicht unbedingt wie ein Polizeibüro auf ihn. Vielleicht war es genau das, was ihm sofort daran gefiel.

Er sah sich rasch um und schritt dabei zwischen drei der Schreibtische. Florence Cassell entdeckte er nicht, dafür eine uniformierte Frau, mit den drei silbern-weißen Winkeln eines Sergeants auf den schwarzen Schulterklappen ihrer himmelblauen Uniformbluse. Dazu trug sie eine nachtblaue Uniformhose, die von einem weißen Gürtel, mit Messingkoppel gehalten wurde. Unter dem rechten Ärmel der kurzärmeligen Bluse hindurch, zog sich eine weiße Kordel. Die bis kurz über den Gürtel herabhängende Schnur der Kordel endete in einer fingerlangen, silbernen Ziernadel. Von der Klappe der linken Brusttasche hing ein rundes Abzeichen der Polizei von Saint-Marie, identisch mit jenem Wappensymbol, das Faulkner draußen an der Wand gesehen hatte.

Etwas weiter hinten im Raum sah ein junger Mann in einer identisch aussehenden Uniform in einer der Schubladen Akten durch. Er nahm keinerlei Notiz von ihm.

Als die Uniformierte, die Faulkner auf Mitte bis Ende dreißig schätzte, fragend von ihrem Platz aus zu ihm aufsah, sprach er sie an: „Ach, entschuldigen Sie, Sergeant. Können Sie mir sagen, wo ich Detective-Sergeant Florence Cassell finden kann?“

Die Polizistin erhob sich langsam hinter ihrem Schreibtisch, der dem Eingang, den er benutzt hatte, am nächsten stand. Erst jetzt wurde ersichtlich, dass sie deutlich höher gewachsen war, als die Frau, nach der er sich bei ihr erkundigt hatte.

Bevor die Polizistin auf Derrick Faulkners Frage antworten konnte, nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung zu seiner Rechten wahr. Als er in diese Richtung sah, erkannte er Florence Cassell, die von der Veranda aus die Station betrat. Anscheinend war sie in der Ortschaft unterwegs gewesen.

Mit einem Lächeln meinte er zu dem Sergeant: „Hat sich schon erledigt.“

Damit wandte er sich zu Florence Cassell, die ihn in demselben Moment wiedererkannte. Mit finsterer Miene schritt sie zu ihm hin, sah sie ihn an und fragte gereizt: „Was machen denn Sie hier, Mister? Sollten Sie nicht woanders sein?“

Fragend sah Faulkner die Frau an und stellte sein Gepäck ab. Dabei spürte er ein leichtes Magengrummeln. „Wo sollte ich denn Ihrer Meinung nach sein?“

Florence Cassell wandte sich ihm zu. „Nun, am anderen Ende der Insel.“

„Ach“, machte Faulkner. „Verraten Sie mir auch, warum ich ausgerechnet dort sein sollte? Vielleicht deshalb, weil Ihnen meine Nase nicht passt?“

„Nein, weil es dort brennt!“

„Ist das mein Problem?“

Sie fuhren beide gleichermaßen herum, als eine Bassstimme vom Eingang der Station her fragte: „Guten Morgen, Team. Von welchem Problem ist hier die Rede?“

Detective-Sergeant Florence Cassell fasste sich zuerst und antwortete dem Mann, in der hell-beigen Uniform, der bedächtig seine schwarze Dienstmütze vom Kopf nahm und sie unter den linken Arm klemmte, diplomatisch: „Guten Tag, Commissioner. Wir waren gerade dabei, das herauszufinden.“

Zur gelinden Verwunderung der Frau, sah ihr Gegenüber den massigen Chef der Royal Saint-Marie Police an und sagte zu ihm: „Commissioner Patterson, ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ich weiß, dass Sie mich erst für morgen Früh erwartet haben, doch ich bin einen Tag früher angekommen, um mich in Ruhe einrichten zu können.“

Der Commissioner erlaubte sich ein breites Grinsen und erwiderte: „Das finde ich sehr löblich, Chief.“

Seine Stimme etwas anhebend sagte der Commissioner laut in die Runde: „Team, ich bitte um einen Moment Aufmerksamkeit. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Ihnen den zukünftigen Leitenden Ermittler der Polizei von Honoré vorzustellen. Detective-Inspector Derrick Faulkner, von der London Metropolitan Police.“

Die Reaktion der Anwesenden fiel sehr verschieden aus. Während der hochgewachsene, sportlich wirkende Officer von seinen Akten abließ und sich neugierig näherte, setzte der weibliche Sergeant ein verlegenes Lächeln auf. Florence Cassell ihrerseits sah ungläubig vom Commissioner zu dem dunkelblonden Mann, der sie, mit seinen mindesten 1,90 Metern Körpergröße alle überragte.

Kurz zu Florence Cassell blickend flüsterte Faulkner ihr zu: „Sie dachten bestimmt, ich sei der neue Feuerwehr-Chief, stimmt´s?“

Sich zu Selwyn Patterson wendend meinte Falkner deutlich vernehmbar: „Ich bin froh hier zu sein, Commissioner Patterson. Ich denke, Sie wissen warum.“

Der Commissioner nickte mit ernster Miene. Unbestimmt erwiderte er: „Ja, Inspector. Sehen Sie es als einen Neuanfang. Willkommen im Paradies.“

„Vielen Dank, Sir.“

Patterson nickte knapp. „Dann darf ich Ihnen jetzt das Team vorstellen, Inspector. Die junge Kollegin, mit der sie bereits so intensiv diskutiert haben, ist Detective-Sergeant Florence Cassell. Eine ausgezeichnete Polizistin, die ich persönlich erst vor wenigen Tagen angefordert habe. Ich bin froh, sie wieder hier zu haben. Das hier, rechts neben mir, ist Sergeant Sarah Dechiles. Der junge Mann zu Ihrer Linken ist Officer Wellesley Karr.“

Faulkner reichte seinen zukünftigen Kollegen und Kolleginnen die Hand, wobei er nach den Rängen vorging. Danach wollte er das Wort ergreifen, doch das Klingeln des Telefons unterbrach ihn.

Es war Sarah Dechiles, die den Anruf entgegennahm, da sie dem Telefonapparat am nächsten stand. Ihre Miene wurde übergangslos ernst. Als sie den Hörer wieder auflegte, sah sie zu Patterson und erklärte: „Es gibt einen Toten. Nach Aussage der Anruferin ein Unfall.“

Patterson seinerseits wandte sich zu Derrick Faulkner. „Ich weiß, dass sie offiziell Ihren Dienst erst morgen beginnen, Inspector. Doch vielleicht kann ich Sie dazu überreden, einen Tag früher zu beginnen?“

Faulkner nickte zustimmend. „Natürlich kann ich sofort beginnen, Commissioner. Das ist doch selbstverständlich.“

Selwyn Patterson machte ein zufriedenes Gesicht. „Ausgezeichnet, Inspector. Detective-Sergeant Cassell wird Ihnen später zeigen, wo wir Sie unterbringen werden. Jetzt möchte ich Sie und Ihr Team nicht weiter aufhalten. Guten Tag.“

Damit setzte der Commissioner seine Dienstmütze auf und verließ, gemessenen Schrittes, das Büro der Polizeistation.

Florence Cassell wandte sich an ihre beiden Untergebenen, ließ sich die Adresse geben, erkundigte sich nach den Eckdaten und wies ihre beiden Untergebenen danach an, mit dem Dienstmotorrad vorauszufahren. Als die beiden Uniformierten die Station verlassen hatten, sah Florence peinlich berührt ihren neuen Vorgesetzten an und suchte nach den passenden Worten.

Derrick Faulkner kam ihr zuvor, indem er meinte: „Hören Sie, Florence. Ich habe nicht vor, Ihnen wegen der harschen Worte auf der Fähre irgendwie einen Strick zu drehen. Wir werden das machen, was Sie selbst vorhin vorgeschlagen haben. Wir vergessen das einfach. Allerdings möchte ich Sie darum bitten, Ihnen später erklären zu dürfen, was ich auf der Fähre damit meinte, als ich sagte, dass ich das kenne. Was sagen Sie?“

Erleichtert sah ihn die Frau an. „Klingt nach einer guten Idee. Vielen Dank, Sir.“

Der Detective-Inspector lächelte schwach. „Kein Problem, ich bin nicht nachtragend. Doch jetzt sollten wir uns beeilen. Unser erster gemeinsamer Fall wartet.“

„Ich fahre, Sir.“

Derrick Faulkner schmunzelte unterdrückt. „Natürlich fahren Sie, Florence. Ich kenne mich doch noch gar nicht aus, auf der Insel. Da würden wir doch sonst wo landen.“

Gemeinsam verließen sie die Polizeistation und Derrick Faulkner hoffte inständig, dass sich die Spannungen zwischen ihm und Florence Cassell schnell abbauen lassen würden.

Tod einer Tennislegende

Eine Stunde, bevor Derrick Faulkner die Polizeistation in Honoré betrat, stritt die ehemalige Tennislegende Henderson Wayne lautstark mit seinem Schwager James Watt. Auf der Terrasse der Mietvilla im Rollstuhl sitzend funkelte der Dreißigjährige ihn wütend an.

„Du bist eine Null, James!“

„Dafür saufe ich wenigstens nicht, wie ein Loch!“, gab Watt eisig zurück. „Seit einem Jahr lässt du dich nur noch gehen! Sicher, der Unfall war tragisch. Er hat deine sportliche Karriere beendet, doch das ist keine Entschuldigung für dein jämmerliches Verhalten!“

„Wer ist hier jämmerlich!“, begehrte der Querschnittgelähmte mit wankender Stimme auf. „Du hast doch keine Ahnung, wie das ist!“

„Oh, ja! Jetzt spielst du wieder einmal die Karte des armen, unverstandenen Krüppels aus, dessen Leben vorbei ist! Das hast du inzwischen wirklich drauf! Aber ich sage dir jetzt mal was: Es gibt eine Menge Leute, denen es viel schlechter geht als dir! Also hör endlich damit auf, dich selbst zu bemitleiden und hör auf mit der Sauferei!“

Bevor die Situation eskalieren konnte, flog die große Glastür auf, die von der Terrasse aus den Weg ins Innere der Villa freigab. Natalie, eine blonde Frau, in demselben Alter, wie Henderson Wayne, kam auf die Terrasse gerannt und legte von hinten die Arme um ihren Verlobten, beinahe als wolle sie ihn vor dem zehn Jahre älteren James Watt beschützen. Wütend zu James aufsehend fauchte Natalie den Schwager ihres Verlobten an: „Lass ihn endlich in Ruhe, James! Hen hat sich eben noch nicht damit abgefunden!“

„Ja, verhätschele ihn ruhig weiter!“, erwiderte der Vierzigjährige grob.

Ann-Doreen Watt, die Schwester von Henderson Wayne, kam nun ebenfalls aus der Villa gerannt. Sich an die Seite ihres Mannes stellend fragte sie frustriert: „Worüber streitet ihr zwei diesmal schon wieder? Muss das denn immer sein? Dieser Urlaub sollte der Erholung dienen, doch ihr zwei verderbt ihn gerade! Was war denn?“

„Frag das mal deinen Bruder!“, fauchte James Watt, noch immer wütend. „Er gefiel sich darin, mich als Null zu bezeichnen.“

„Du bist ja auch eine!“, legte Henderson Wayne nach.

James Watt funkelte seinen Schwager wütend an. „Wenn du nicht im Rollstuhl sitzen würdest, dann hätte ich die längst ein paar ins Gesicht gesteckt. Manchmal würde ich dich am liebsten umbringen, dann wäre endlich Ruhe!“

Ann sah ihren Mann vorwurfsvoll an. „James! Bitte!“

„Ist doch wahr!“, polterte Watt weiter und schritt in Richtung Innenbereich. „Von mir aus kann er sich hier draußen weiter besaufen und selbst bemitleiden, aber ohne mich!“

Ann-Doreen sah entschuldigend zu ihrem Bruder und seiner Verlobten, bevor sie James eilig ins Innere der Villa folgte.

Draußen auf der Terrasse legte Natalie sanft den Kopf ihres angetrunkenen Verlobten an ihre Brust und streichelte seine Wange. Nach einer Weile sagte sie sanft: „Er hat es vermutlich nicht so gemeint, Hen. Vielleicht hat er ja auch Recht. Du hast wirklich sehr viel getrunken, seit dem Autounfall.“

„Du meinst, seit dem Autounfall, bei dem du angetrunken gefahren bist!“, verbesserte der Querschnittgelähmte kühl. „Wäre es nicht so gewesen, dann hättest du einen Krüppel, der im Rollstuhl sitzt, doch längst verlassen.“

Henderson Wayne starrte geradeaus, die steile Treppe hinunter, auf den Tennisplatz. Dass diese Villa einen solchen Platz hatte, schien ihm wie ein Hohn. Er war sich sicher, dass James, der die Villa angemietete, das mit Absicht getan hatte.

Erst ein leises Schluchzen ließ ihn aufblicken.

Natalie wischte sich die Tränen weg, als er sie ansah. Mit erstickter Stimme sagte sie heiser: „Du weißt ganz genau, dass das nicht wahr ist. Ich liebe dich, Hen. Das wird sich niemals ändern, hörst du?“

Henderson Wayne tat es in demselben Moment leid, dass er eben zu weit gegangen war. Mit Tränen in den Augen erwiderte er: „Es war gemein von mir und es tut mir leid, Natalie. Ich liebe dich doch auch.“

Für eine geraume Weile verblieben sie so auf der Terrasse, bis Natalie zu den dunklen Wolken am Himmel sah und fragte: „Kommst du mit rein?“

„Gleich, Liebes. Ich möchte nur noch eine Weile hier draußen sitzen.“

Natalie löste ihre Arme von Henderson. „In Ordnung, du willst also wieder mit deiner Handheld-Konsole spielen. Aber lass mich nicht zu lange da drin allein, hörst du?“

Sie schritt davon und Henderson Wayne sah über den Tennisplatz hinweg auf die fernen Hügel der Insel. Dann nahm er seine Retro-Handheld-Spielekonsole von Nintendo aus einer Seitentasche seines Rollstuhls und schaltete sie ein. Wenn er schon nicht mehr richtig Tennis spielen konnte, dann zumindest auf dem Bildschirm dieser Konsole.

Einige Minuten später war er vollkommen in das Videospiel versunken. Er merkte nicht, dass sich eine Gestalt von hinten seinem Rollstuhl näherte. So kam die Kippbewegung nach vorne vollkommen überraschend für ihn. Hilflos stürzte er mit seinem Rollstuhl die steile Treppe hinunter. Dabei verlor er jegliches Orientierungsgefühl. Es wurde kurzzeitig schwarz vor seinen Augen, bevor er wieder etwas erkennen konnte. Wilder Schmerz durchströmte seinen Oberkörper. Aus den Augenwinkeln erkannte er eine Person auf der Terrasse, die boshaft zu ihm hinab lächelte. Sie wandte sich ab und ging davon.

Eine erneute Ohnmacht drohte ihn zu übermannen, als er vor sich seine Spielekonsole entdeckte. Mit geradezu übermenschlicher Anstrengung griff er nach ihr, löschte das aktuelle Spiel und stellte den Zweispieler-Modus ein. Henderson Wayne spürte in einem Moment vollkommener Klarheit, dass er sterben würde. Mit letzter Willenskraft schlug er für Spieler 1 zweimal ein Ass. Dann ließ er die Konsole aus seiner Hand zu Boden rutschen und starb.
 

* * *
 

„Wie lange sind Sie schon bei der London Metropolitan Police, Sir.“

Derrick Faulkner sah Florence Cassell von der Seite an. Erleichtert darüber, dass sie es war, die eine Unterhaltung beginnen wollte, antwortete er: „Ich war vierundzwanzig, als ich meine Laufbahn bei der Polizei von Greater London begann. Das ist rund fünfzehn Jahre her. Nach sieben Jahren wechselte ich zur National Crime Agency, kurz NCA. Das könnte man als die britische Version des FBI bezeichnen.“

„Klingt beeindruckend, Sir.“

Derrick Faulkner blickte düster vor sich hin, wegen der Erinnerungen, die er soeben selbst heraufbeschworen hatte. Rasch hakte er ein: „Was ist mit Ihnen, Florence? Mir wurde mitgeteilt, dass man Sie relativ früh zum DS befördert hat.“

Die Frau sah kurz zur Seite und bestätigte: „Ja, ich war gerade erst fünfundzwanzig. Mein damaliger DI, Humphrey Goodman, hatte zudem eine ziemlich chaotische Art, müssen Sie wissen. Deswegen habe ich sehr früh gelernt Verantwortung zu übernehmen.“

Es dauerte einen Moment, bis sich Faulkner erkundigte: „Kratzen Sie gerade an der Legende des DI Goodman?“

„Oh - nein. So meinte ich das nicht. Humphrey Goodman ist einer der brillantesten Ermittler, die ich kenne. Aber auch etwas, um es vorsichtig zu formulieren, unkonventionell.“

Der Brite lachte vergnügt auf. „Ach so. Das meinen Sie. Inzwischen wurde er übrigens zum DCI befördert. Seine zweite Frau scheint ihm gutzutun.“

„Er hat Martha also wirklich geheiratet? Das freut mich für ihn.“

Um etwas von diesem Thema wegzukommen, erkundigte sich Faulkner rasch: „Wohin genau fahren wir eigentlich?“

„Die Villa, in der sich das Unglück ereignet hat, liegt am Rand des Naturschutzgebietes, Sir. Ein gewisser James Watt, der mit seiner Verlobten seiner Schwester und deren Mann hier Urlaub macht, hat sie für drei Wochen angemietet. Bei dem Toten handelt es sich um den ehemaligen Tennisprofi Henderson Wayne.“

Etwas verlegen wirkend meinte der Ermittler: „Na, toll. Sie haben das auf dem Revier als Information bekommen und ich war nicht genügend auf Zack zuzuhören. Sie müssen ja einen schönen ersten Eindruck von Ihrem neuen Chief haben.“

„Den hatte ich bereits“, entfuhr es der Polizistin. Erst einen Moment später bemerkte sie den Fauxpas und fügte schnell hinzu: „Tut mir leid, Sir, das ist mir so herausgerutscht.“

„Ich mag ehrliche Menschen“, gab Faulkner spitz zurück. „Solange die Ehrlichkeit nicht allzu schmerzhaft wird.“

Für eine Weile blieb es still in dem Land-Rover vom Typ Defender-110. Erst nach einer ganzen Weile fragte Florence Cassel, um den Faden der begonnenen Unterhaltung nicht abreißen zu lassen: „Sind Sie in London Humphrey Goodman jemals begegnet?“

„Nur einmal, ganz kurz. In dieser kurzen Zeit hat er es dennoch geschafft zwei Teetassen und einen Blumenkübel abzuräumen.“

Florence lachte hell auf. „Ja, das klingt ganz nach dem Chief.“

Derrick Faulkner beobachtete die Polizistin aufmerksam von der Seite. Nach einem Moment fragte er: „Sie haben ihn sehr gemocht, wie es scheint.“

Ein unmerkliches Lächeln umspielte die Lippen der Frau. „Ja, trotz seiner chaotischen Art ist er ein großartiger und sehr liebenswerter Mensch. Ich habe ihn am Ende nicht nur als Vorgesetzten gesehen, sondern als einen guten Freund.“

Wieder blieb es für eine Weile still, bevor Florence fragte: „Wenn ich eben gut zugehört habe, dann sind Sie erst neununddreißig, Sir?“

„Richtig“, bestätigte Faulkner. „All Ihre anderen Vorgesetzten waren wohl etwas älter, vermute ich mal.“

Ein melancholischer Zug erschien auf dem Gesicht der Frau. „Ja, der letzte DI, bevor ich für ein Jahr nach Martinique fuhr, hatte bereits eine erwachsene Tochter und hätte, zumindest dem Alter nach, als mein Vater durchgehen können.“

„Tja, dieser Eindruck entsteht bei Ihrem jetzigen DI bestimmt nicht. Als höflicher Mensch frage ich Sie natürlich nicht nach Ihrem Alter.“

„Weil Sie das vermutlich bereits meiner Dienstakte entnommen haben“, konterte Florence trocken.

„Auch das“, gab Faulkner offen zu. „Doch wenn ich es nicht wüsste, dann würde ich sie auf höchstens achtundzwanzig schätzen.“

Die Polizistin hob leicht ihre Augenbrauen und erwiderte mit spöttischem Unterton: „Mein Vater hat mich vor charmanten Männern gewarnt.“

Derrick Faulkner seufzte übertrieben: „Das war vermutlich nicht verkehrt.“

„Dort vorne beginnt das Grundstück, das zur Villa gehört“, lenkte Florence Cassell die Gedanken des Detective-Inspectors wieder auf den Grund ihres Hierseins.

„In Ordnung, dann werden wir mal sehen, ob das Unglück tatsächlich eins war. Wenn es nach mir geht, dann ist es tatsächlich so einfach. Denn dann könnte ich den Rest des Nachmittags dazu nutzen, um mich in meiner eigenen Villa umzusehen.“

Mit einem beinahe verschmitzten Lächeln verbesserte Florence: „Sie meinen, in Ihrer eigenen Hütte, Sir.“

„Ja, das hatte ich befürchtet.“

Florence bremste den Land-Rover ab und erwiderte: „So schlimm, wie es sich anhört, ist es nun auch wieder nicht. Sie haben dort alles, was Sie brauchen. Eine komplett eingerichtete Küche, Dusche, Bett, Wohneinrichtung, Veranda und einen Baum. Zudem ein altes Boot, direkt vor der Veranda, am Strand. Sogar ein Haustier ist bereits da.“

Derrick Faulkner nickte und stieg aus, als der Wagen hielt. Erst, als auch Florence ausgestiegen war, fragte er über die Motorhaube des gelb-blauen Land-Rovers hinweg: „Sagten Sie gerade Baum? Und was für ein Haustier?“

Florence wirkte geradezu vergnügt, als sie zurückgab: „Nun ja, Sir, es wächst ein Baum durch das Dach der Hütte. Bei dem Haustier handelt es sich um eine kleine grüne Eidechse aus der Gattung der Anolis. Sie heißt übrigens Harry. Also passen Sie nachher bitte auf, wohin Sie treten, Sir.“

Kopfschüttelnd wartete der Chief darauf, dass Florence den Rover umrundete und meinte dabei: „Das muss ich erst einmal verdauen. Aber direkt am Strand klingt gut.“

„Es wird Ihnen bestimmt gefallen, Sir.“

Faulkner nickte nur und warf einen Blick auf das Motorrad mit Seitenwagen. Erst jetzt entzifferte er den Schriftzug am Tank und meinte: „Eine Royal-Enfield habe ich bereits seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Unser Team ist also vollzählig vor Ort. Dabei fällt mir ein, dass wir das Revier gar nicht zugesperrt haben.“

Niemand, auf dieser Insel, würde das Sakrileg begehen, dort hineinzugehen und etwas zu entwenden, oder dort unerlaubt Akten einzusehen, oder sonst etwas anzustellen. Zumal wir Insulaner aufeinander achten. Selbst wenn es jemand wagen sollte, würde mindestens ein Dutzend Menschen sofort auf die Barrikaden steigen. Der- oder diejenige hätte nichts zu lachen, Sir. Sie könnten dort zehntausend Dollar offen liegen lassen und die wären nach Stunden immer noch da.“

Der Hochgewachsene sah etwas verwundert zu Florence. „Erstaunlich. Das wäre so in London, oder in sonst einer Großstadt in Europa, kaum möglich. Ich bin begeistert. Aber jetzt lassen Sie uns sehen, was der Rest des Teams bis jetzt herausfinden konnte.“
 

* * *
 

Derrick Faulkner betrat mit Florence die Terrasse der Villa, wo sie die drei übrigen Bewohner des Anwesens entdeckten. Während sie gemeinsam zu den drei Angehörigen des Verstorbenen schritten, sagte der Inspector: „Sie reden mit den Angehörigen, Florence. Ich selbst werde mich derweil mal direkt am Ort des Unglücks umsehen.“

„In Ordnung, Sir.“

Faulkner nickte ihr dankbar zu. Er selbst fühlte sich momentan noch nicht in der Lage, den Schmerz der Hinterbliebenen auszuhalten. Dazu würde es wohl einiger Einsätze bedürfen. Er musste erst wieder langsam zu dieser Seite seines Berufs zurückfinden.

Nachdem Faulkner kurz Umschau gehalten hatte, entdeckte er Sergeant Dechiles und Officer Karr bei der Leiche, die unten, am Zaun des Tennisplatzes lag. Neben einem umgestürzten Rollstuhl.

Auf dem Weg, die Treppe hinunter, rief sich Faulkner den Namen des Toten in Erinnerung. Erst jetzt realisierte er, dass es sich offensichtlich um die Tennislegende handelte, die für England zweimal hintereinander Wimbledon gewonnen hatte. Die gesamte Sportwelt war nach seinem Autounfall erschüttert gewesen.

Wie schon früher, in ähnlichen Situationen wie dieser, blendete Derrick Faulkner alles um sich herum aus und konzentrierte sich auf das Wesentliche. Sich zu den beiden Polizisten unter seinem Kommando begebend, wandte er sich an Sarah Dechiles.

„Was konnten Sie bisher feststellen, Sergeant?“

Die Frau, deren Teint deutlich dunkler war, als der von Florence Cassell, sah zu ihm auf und erwiderte mit rauchiger Stimme: „Er scheint die Treppe hinuntergestürzt zu sein, die von der Terrasse zum Tennisplatz führt, Sir. Die sichtbaren Verletzungen am Körper der Leiche unterstützen diese Vermutung. Eine Unachtsamkeit, die ihn das Leben gekostet hat.“

„Hm“, machte Faulkner. „Zuerst der Autounfall und jetzt dieser Treppensturz. Das ist wirklich spektakuläres Pech, finden Sie nicht auch, Sergeant?“

Während Dechiles noch herauszufinden versuchte, ob diese Bemerkung rhetorisch gemeint gewesen war, begab sich der Dunkelblonde zu dem umgestürzten Rollstuhl. Er sah ihn sich von mehreren Seiten aus an. Nach einer Weile meinte er zu Dechiles gewandt: „Ich brauche ein Paar Handschuhe.“

Die Angesprochene reichte sie Faulkner, der sich die Einweghandschuhe rasch überstreifte und dann am rechten Rad des Rollstuhls rüttelte. Nach einem Moment meinte er nachdenklich, mehr zu sich selbst: „Das ist seltsam.“

„Was ist seltsam, Sir?“

Es war Officer Karr gewesen, der die Frage mit sonorer Stimme gestellt hatte.

Derrick Faulkner sah den Vierundzwanzigjährigen an und erklärte: „Seltsam ist, dass die Bremse des Rollstuhls angezogen ist. Ich glaube, wir können ausschließen, dass das bei dem Sturz passierte. Schon gar nicht von selbst, denn dazu ist der Mechanismus der Bremse zu kompliziert aufgebaut. Sie wurde also angezogen. Fragt sich nur von wem. Bitte nehmen Sie Fingerabdrücke von dem gesamten Rollstuhl, bevor er von hier entfernt wird.“

„Vermutlich hat der Tote die Bremse angezogen“, orakelte Karr.

„Ja, das glaube ich auch“, stimmte Faulkner nachdenklich zu. „Die Frage ist nur: Wann genau passierte das? Wissen Sie, wenn ich in einem Rollstuhl sitzen und dann plötzlich eine Treppe hinunterstürzen wurde, dann würde ich an alles Mögliche denken, aber nicht daran, automatisch zur Bremse des Rollstuhls zu greifen. Vermutlich würde ich sie auch gar nicht finden, bevor ich aus dem Stuhl herausfalle.“

Sarah Dechiles sah ihren neuen Vorgesetzten nachdenklich an. „Was schließen Sie daraus, Inspector? Denken Sie, jemand hat daran gedreht?“

„Steht noch nicht fest“, versetzte Faulkner. „Allerdings wird der Verstorbene wohl kaum mit angezogener Bremse gefahren sein. Hat er sie also selbst angezogen, dann hat jemand bei diesem… Unfall etwas nachgeholfen. Doch darüber machen wir uns erst dann Gedanken, wenn wir die Fingerabdrücke identifiziert haben.“

„Falls es welche gibt“, wandte Sarah Dechiles ein.

„Richtig Sergeant.“

Nach einem Moment richtete sich Faulkner auf und schritt um den Rollstuhl herum. Dabei fiel sein Blick auf eine Handheld-Konsole. Interessiert kniete sich Derrick Faulkner ab und sah sich die Konsole an. Ohne seinen Blick von dem kleinen Bildschirm zu nehmen, fragte der Inspector nachdenklich: „Gehört diese Spielekonsole dem Toten?“

„Danach wollten wir die Angehörigen fragen, sobald wir hier unten fertig sind“, gab Sarah Dechiles zurück.

Erst, als die Polizistin schon nicht mehr mit einer Antwort rechnete, erwiderte Faulkner in Gedanken: „Das werde ich übernehmen, Sergeant. Bitte machen Sie ein Foto von der Konsole und speziell von dem Bildschirm. Wenn diese Konsole tatsächlich dem Toten gehört hat, dann finde ich es schon etwas schräg, dass er ausgerechnet ein Tennisspiel darauf gespielt hat. Außerdem…“

Als Derrick Faulkner abbrach, erkundigte sich Sarah Dechiles neugierig: „Außerdem was, Sir?“

Faulkner sah die Frau an. „Nun, hier scheint der Zweispieler-Modus eingeschaltet zu sein. Doch um auf einer solchen Konsole ein Spiel im Zweispieler-Modus spielen zu können, braucht man einen Mitspieler, der eine identische Konsole hat. Mit dem gleichen Spiel.“

Officer Karr sah Faulkner überlegend an. „Könnte sich das Gerät nicht von selbst auf diesen Modus eingestellt haben, Sir?“

Der Inspector schüttelte den Kopf. „Das Gerät sieht nicht so aus, als wäre es mehrmals auf dem Boden aufgeschlagen. Außerdem liegt es in unmittelbarer Nähe der Hand, des Toten. Das legt den Schluss nahe, dass der Tote es in den Händen hielt. Doch er wird kaum im Zweispieler-Modus gespielt haben. Das wäre extrem langweilig. Außerdem ist da der Spielstand. Irgendwer hat den Modus eingestellt und zweimal gepunktet. Doch wozu?“

Wellesley Karr nickte zustimmend. „Rätselhaft, Sir.“

Derrick Faulkner zog die Handschuhe aus und stopfte sie achtlos in seine linke Hosentasche. Dabei meinte er mit schwachem Grinsen zu Karr: „Sie sind ein Meister der Untertreibung, Officer.“

Derrick Faulkner sah zum Himmel hinauf. Nach einigen Regentropfen, auf dem Weg hierher, schien nun die Sonne zwischen den immer weniger werdenden Wolken hindurch. Sich mit den Fingern der linken Hand durch das kurze, dichte Haar fahrend meinte er: „Schön warm hier.“

„Warten Sie erst einmal den Sommer ab“, spöttelte Sarah Dechiles. „Da braten auf dieser Insel dicke Leute in ihrem eigenen Fett.“

Die Polizistin musterte den Briten ungeniert und sagte dann gönnerhaft: „Na, Sie sehen ja ganz gut aus, Sir.“

Faulkner warf dem Sergeant einen langen Blick zu, erwiderte aber nichts auf ihre Worte. Stattdessen meinte er nach einem Moment mahnend: „Vergessen Sie nicht, auch Fingerabdrücke von der Konsole zu nehmen. Nachdem Sie mindestens zwei Fotos von dem Bildschirm der Konsole geschossen haben schalten Sie das Gerät bitte aus, bevor Sie es vorsichtig eintüten. Falls Sie mich brauchen, ich bin bei Detective-Sergeant Cassell.“

Damit wandte sich der Inspector ab und schritt rasch die Treppe hinauf.

Unten sah Wellesley Karr etwas unwillig seine Kollegin an und fragte leise: „War das eben etwa ein Versuch den Inspector anzubaggern, Sergeant?“

„Blödsinn!“, fauchte die zwölf Jahre ältere Frau heiser. Den Inspector dabei gleichzeitig mit interessierten Blicken abcheckend fügte sie grinsend hinzu: „Aber etwas Spaß wird ja wohl noch erlaubt sein, Wes.“
 

* * *
 

Als Derrick Faulkner die Terrasse erreicht hatte, bekam er gerade noch mit, wie sich Florence Cassell von den drei Hinterbliebenen verabschiedete. Als sie ihren Vorgesetzten erkannte, ging sie zu ihm und sagte: „Ich habe die drei Angehörigen befragt und mir ihre Personalien und Aussagen notiert, Sir. Möchten Sie sofort hören, was der Mann und die beiden Frauen ausgesagt haben?“

Derrick Faulkner schüttelte den Kopf. „Wir tragen alle Informationen auf dem Revier zusammen, sobald auch Sergeant Dechiles und Officer Karr wieder dort sind, Florence. Das hilft mir, ein besseres Gesamtbild von diesem Fall zu bekommen.“

„Denken Sie auch, dass es ein Unfall war?“

Der Inspector sah seine Kollegin ernst an. „Nein, Florence. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Mord war. Wenn wir wieder auf dem Revier sind, dann erkläre ich Ihnen und dem Rest des Teams, was mich zu dieser Annahme veranlasst. Bevor wir den Tatort verlassen, werden wir noch die Pässe dieser drei Angehörigen einziehen, denn ich bin mir sicher, dass es einer von denen gewesen ist.“

„Warum kein Außenstehender, Sir?“

„Zu viele Unwägbarkeiten“, erklärte Faulkner. „Der- oder diejenige hätte in einem solchen Fall genau wissen müssen, dass der Verstorbene ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt allein und unbeobachtet sein würde. Nein, das scheint mir zu abwegig. Wir behalten es aber im Hinterkopf, falls unser Verdacht, dass es einer der Angehörigen war, sich nicht bestätigt.“

„Wer hätte etwas von Henderson Waynes Tod?“

Der Inspector lächelte unmerklich. „Das ist genau die richtige Frage, Florence. Wenn wir das wissen, dann haben wir unseren Mörder, dessen bin ich mir sicher.“

Zehn Minuten später meldete Sarah Dechiles mit tragender Stimme, vom Tennisplatz her: „Sir, wir haben die Spurensicherung abgeschlossen!“

„Sehr gut, Sergeant!“, rief Faulkner zurück. „Dann können wir den inzwischen eingetroffenen Sanitätern sagen, dass sie die Leiche endlich abtransportieren können. Ach, und Officer Karr: Bringen Sie bitte den Rollstuhl mit hinauf. Wir werden das Teil im Rover mit zum Revier nehmen!“

Derrick Faulkner sah auf seine Armbanduhr, die zur Hälfte blau und zur Hälfte rosa war und auf dem Zifferblatt eine Maus mit übergroßen Füßen zeigte.

Florence Cassell fiel diese seltsame Armbanduhr am Handgelenk des Mannes erst jetzt auf und teils neugierig, teils erstaunt fragte sie: „Ist das etwa eine Diddl-Uhr?“

Das Gesicht des Mannes verschloss sich und dunkel erwiderte er: „Ist eine lange Geschichte, Florence. Heute werden wir im Revier noch die Beweisstücke sichten und Sie bringen mich und das Team auf Ihren Wissensstand. Danach werden Sie mir meine Unterkunft zeigen. Ab morgen Früh werden wir dann Vollgas geben.“

Florence Cassell, die instinktiv spürte, dass sie mit ihrer Frage eine Saite bei dem Inspector berührt hatte, hakte nicht weiter nach, sondern erwiderte: „In Ordnung, Sir.“

Gemeinsam verließen sie das Grundstück und sagten den Sanitätern Bescheid. Nachdem Officer Karr den Rollstuhl in den Rover gehoben hatte, schloss Derrick Faulkner die Hecktür und begab sich zur Beifahrerseite des geländegängigen Polizeifahrzeuges.

Die beiden uniformierten Polizisten kamen mit ihrer Royal-Enfield etwas vor dem Rover bei der Polizeistation Honoré an. Wieder übernahm es Wellesley Karr, den Rollstuhl zu tragen. Als er ihn im hinteren Bereich des Büros abgestellt hatte, wandte er sich erleichtert zu seinem Vorgesetzten um und erkundigte sich neugierig: „Was haben Sie denn mit dem Rollstuhl vor, Sir? Alle vorhandenen Fingerabdrücke haben wir bereits entnommen.“

„Ich möchte mich von einigen Dingen persönlich überzeugen“, erwiderte Derrick Faulkner nebulös. „Aber ebenfalls erst morgen Früh. Jetzt wird uns DS Cassell erst einmal davon unterrichten, was die Hinterbliebenen ausgesagt haben.“

Damit räumte Faulkner sein Gepäck aus dem Weg, ging zum Whiteboard, nahm einen Filzschreiber und sah auffordernd zu Florence Cassell.

Der Detective-Sergeant nickte und führte aus: „Da hätten wir zunächst einmal die Verlobte des Toten. Natalie Lorrimer – dreißig Jahre alt, Marketing-Managerin, geboren in East-Croydon. Dann wäre da die Schwester des Verstorbenen: Ann-Doreen Watt, wie auch ihr Bruder in Greenwich geboren, ebenfalls dreißig Jahre alt, wohnhaft in Chelsea, London. Zusammen mit ihrem Mann, James Watt, führt sie eine große, Londoner Werbeagentur. In den letzten Jahren brachen die Gewinne jedoch massiv ein. James Watt ist gebürtiger Schotte und vierzig Jahre alt. Er wurde in Inverness geboren.“

Florence Cassell unterbrach sich als sie ihren Vorgesetzten dabei beobachtete, wie er die Zahl 30 auf das Whiteboard schrieb.“

Als der Inspector bemerkte, dass Florence nicht weiterredete wandte er sich um und meinte: „Ich höre Ihnen zu Florence. Bitte fahren Sie fort.“

Die Frau räusperte sich leise und führte weiter aus: „Alle drei Hinterbliebenen berichteten mir, dass es vor dem Unglück einen Streit gab.“

„Vor dem Mord“, verbesserte der Inspector und sah dabei zu Sarah Dechiles und Wellesley Karr. „Zu Ihrer Information: Wir gehen hier von einem Mord aus.“

Auffordernd sah Faulkner wieder zum DS des Teams und Florence fuhr fort: „Laut einhelliger Aussage waren der Ver… ich meine, der Ermordete und James Watt in Streit geraten. Im Zuge des Disputes nannte Henderson Wayne seinen Schwager eine Null. Nach der Aussage von James Watt ging es bei der Auseinandersetzung um ausstehende Werbeeinnahmen, die Wayne noch zu bekommen hatte. Die beiden Frauen kamen dann dazu und schlichteten den Streit. Offenbar hatte der Ermordete eine Menge Alkohol getrunken und das wohl nicht zum ersten Mal, seit seinem Unfall.“

Derrick Faulkner, der hinter die 30 einen Doppelpunkt und eine Null geschrieben hatte, erkundigte sich interessiert: „Ist Wayne damals selbst gefahren?“

„Ich werde den Unfallbericht morgen anfordern, Sir.“

„Sehr gut.“

Derrick Faulkner schrieb ein Fragezeichen hinter die Null und schob die Kappe auf die Spitze des Filzstiftes. Den Stift auf die Ablage des Whiteboards legend sagte er zu Sarah Dechiles und Wellesley Karr. „Sie beide kümmern sich darum, den Hintergrund-Check zu komplettieren. Behalten Sie dabei für sich, dass wir in einem Mord ermitteln, ich will die Vögel nicht frühzeitig aufscheuchen.“

Der Hochgewachsene nahm sein Gepäck auf, das er vorhin hiergelassen hatte. Dann sah er zu Florence und meinte: „Dann wollen wir mal.“

Offenbarungen

Derrick Faulkner hatte zuvor versucht, sich auszumalen, wie sein zukünftiges Zuhause aussehen würde, doch mit dieser geradezu paradiesisch wirkenden Aussicht auf das Meer, von der Veranda seiner Hütte aus - damit hatte er nicht gerechnet.

Den Anblick in sich aufnehmend sah Faulkner schließlich zu seiner Untergebenen und sagte ergriffen: „Das ist unglaublich. So schön hatte ich es mir nicht vorgestellt.“

„Vielleicht sollten Sie sich zuerst einmal im Innern der Hütte umsehen“, schlug die Frau vor, während sie ihm die Tüte mit Lebensmittel, die sie auf dem Weg hierher eingekauft hatten, abnahm. „Es ist zwar ordentlich und alles, was Sie brauchen werden, ist da, doch vermutlich werden Sie es etwas einfach und ländlich finden.“

„Riskieren wir einen Blick“, erwiderte Faulkner und wartete, bis Florence für ihn die Hütte aufgeschlossen hatte. Seine Reisetasche und den Rucksack aufnehmend betrat er, durch den Seiteneingang, hinter der Frau das Innere der Hütte. Neben einem riesigen Metallbett mit Moskitonetz, im Zentrum des großen Hauptraumes, stellte er das Gepäck ab und sah sich um. Zu seiner maßlosen Verblüffung wuchs wirklich ein Baum aus dem Boden des Zimmers durch die Decke der Hütte. So etwas gab es wohl nur hier, in der Karibik.

In den Regalen der dunklen Holzschränke entdeckte er einige Bücher, die seine Vorgänger hiergelassen hatten. Auf einem der kleineren Tische an der Wand stand ein Telefon mit Anrufbeantworter. Zu seiner gelinden Verwunderung entdeckte er auch einen modernen WLAN-Router, unter dem ein User-Manual herausragte. Einen kleinen Fernseher, einen alten Plattenspieler und einen CD-Radio-Kassettenrecorder gab es ebenfalls.

Nach dem ersten Rundblick sah er zu Florence, die in der Zwischenzeit für ihn die Lebensmittel eingeräumt und danach beiden Türen zur Veranda geöffnet hatte. Ihr anerkennend zunickend meinte er: „Gar nicht schlecht, was diese Hütte zu bieten hat. Meeresrauschen zum Einschlafen inklusive. Hier hat man nachts bestimmt seine Ruhe.“

„Keine Sorge, Sir“, gab Florence Cassell beruhigend zurück. „Mit der Hütte ist es dasselbe, wie mit dem Revier. Niemand würde das Sakrileg begehen, Sie hier zu belästigen oder hier einzudringen, wenn Sie nicht da sind. Selbst die kriminelle Fraktion will es sich nicht mit der Polizei von Honoré verscherzen.“

„Sehr beruhigend“, erwiderte Faulkner und schritt durch die linke Tür hinaus auf die umlaufende Veranda. Sich mit den Händen auf dem Holzgeländer abstützend sah er hinaus auf das Meer und sagte in Gedanken. „Alles ist so anders hier. Die Umgebung. Das Licht. Die Geräusche. Selbst die Luft riecht anders.“

„Sie werden sich daran gewöhnen, Sir“, versicherte Florence Cassell mit weicher Stimme. „Haben Sie es eilig, Ihre Sachen auszupacken, oder hat das noch etwas Zeit? Sie und ich haben seit einigen Stunden nichts mehr gegessen und in Catherines Bar gibt es ein hervorragendes, scharfes Gulasch. Mit Kartoffeln, Gemüse und…“

„Bei Gulasch hatten Sie mich bereits“, grinste der Mann. „Ich könnte wirklich etwas zu essen vertragen. Wie ist das Bier dort? Gibt es in dieser Bar auch deutsches Bier?“

„Seit fünfundzwanzig Jahren gibt es eine deutsche Brauerei auf Dominica. Das dort gebraute KUBULI-Bier wird auch hierher exportiert. Hier wird es jedoch, aus irgendwelchen rechtlichen Gründen, unter dem Namen ETENSEL verkauft. Schmeckt sehr gut.“

Mit echter Erleichterung in der Stimme meinte der Inspector: „Dem Himmel sei Dank. Was Bier angeht, bin ich nämlich ein verwöhnter Snob. Worauf warten wir noch?“

„Dann lassen Sie uns fahren, Sir.“

Sie brauchten nicht lange, um wieder nach Honoré zu gelangen. Derrick Faulkner schätzte, dass sie zu Fuß weniger als eine halbe Stunde gebraucht hätten, selbst wenn sie gemütlich gegangen wären. Kurze Wege waren ein weiterer Vorteil dieser kleinen Insel.

Florence parkte den Rover in Sichtweite der Bar und deutete nach vorne. „Die Besitzerin der Bar ist gleichzeitig die Bürgermeisterin von Honoré.“

„Vermutlich sollte ich mir hier das Wundern abgewöhnen“, meinte Faulkner und öffnete die Beifahrertür. Nachdem auch Florence den Rover verlassen hatte schritten sie langsam die Straße hinunter. Gegenüber der eigentlichen Bar, auf der anderen Seite der Straße, erkannte der Brite einen überdachten Bereich, der offensichtlich zur Bar gehörte. Dort, unmittelbar am Strand, standen Tische und Stühle auf dem unterbauten Holzboden. An den Pfeilern und unter der Decke hingen faustgroße Lampen, die jetzt, bei Einsetzen der Dämmerung, bereits eingeschaltet waren und für eine angenehme Beleuchtung sorgten.

„Wir haben Glück, Sir“, meinte Florence zu ihrem Begleiter. Der große Tisch ist noch frei. Am besten setzen wir uns an den, denn unsere Kollegen sehen bestimmt auch nachher noch herein. Das LA KAZ ist ein beliebter Treff.“

„Nach Ihnen, Florence.“

Noch bevor sie den Tisch erreicht hatten, steuerte eine bereits etwas ältere Frau auf sie zu. Sie hatte ein Tuch um ihr braunes Haar gewickelt, das an einigen Stellen bereits erste graue Strähnen aufwies. Sie trug ein weit wallendes langes Kleid, wie es auf der Insel nicht unüblich war. Ihre braunen Augen leuchteten, als sie Florence ansah und der Inspector ahnte, das die Frau den Detective-Sergeant kannte.

Die ersten Worte der hageren Frau bestätigten Faulkners Vermutung. Sie kam auf Florence zu und die beiden Frauen nahmen sich zur Begrüßung in die Arme.

„Florence, es ist schön dich wiederzusehen. Seit wann bist du wieder auf der Insel?“

Florence löste sich lächelnd aus der Umarmung der Frau. „Seit heute Mittag, Catherine. Es ist auch schön wieder hier zu sein.“

An der Polizistin zu Derrick Faulkner sehend kam die Frau, die Florence mit Catherine angesprochen hatte sofort auf den Punkt, indem sie fragte: „Wer ist dieser gutaussehende Mann in deiner Begleitung, Florence?“

Der Inspector wartete höflich, dass Florence ihn der Frau vorstellte. Erst danach reichte er der Frau die Hand und sagte: „Es freut mich Sie kennenzulernen, Madame.“

„Sagen Sie einfach Catherine zu mir, Inspector. Sie sind also der neue Chief der Royal Saint-Marie Police. Willkommen auf Saint-Marie. Was darf ich Ihnen bringen, Derrick? Einen Tee vielleicht?“

„Bloß das nicht!“, wehrte Faulkner ab, dem die offene Art der Frau gefiel. „Was ich jetzt vertragen könnte, wäre ein deutsches Bier. Florence versicherte mir, Sie haben welches.“

„Sehr gerne.“

„Zwei Bier“, warf Florence schmunzelnd ein. „Und zweimal das scharfe Gulasch.“

Die Hagere lächelte verbindlich. „Das Bier kommt sofort, das Gulasch dauert etwas.“

Damit entfernte sich die Besitzerin der Bar. Nachdem sie an dem Tisch Platz genommen hatten, sah Derrick Faulkner seine Kollegin an und meinte: „Eine erstaunliche Bürgermeisterin. Sie ist mir sympathisch.“

„Catherine scheint Sie auch zu mögen, Sir, sonst hätte sie Ihnen bestimmt nicht so schnell angeboten, sie beim Vornamen zu nennen.“

Nachdem Catherine persönlich das Bier zum Tisch gebracht hatte, prostete der Inspector Florence zu. Nach einem langen genießerischen Schluck stellte Faulkner seine Flasche auf den Tisch und nickte anerkennend. „Das ist wirklich gut.“

Eine kurze Pause entstand, bevor Florence auf die linke Hand ihres Vorgesetzten deutete. „Ich sehe an Ihrem Ringfinger einen hellen Streifen, Sir. Sie waren verheiratet?“

Der Mann nickte und erwiderte: „Ja, bis vor zwei Jahren. Das ist ein Teil der langen Geschichte, die ich vorhin erwähnt habe.“

„Eine schmerzliche Trennung, Sir?“

Derrick Faulkner sah an der linken Schulter der Frau vorbei, hinaus auf die See. Erst nach einem Moment antwortete er: „Ja, aber anders, als Sie vielleicht denken, Florence. Sie starb vor zwei Jahren.“

„Tut mir leid, Sir. Ich hätte nicht gefragt, wenn…“

„Ja, das glaube ich Ihnen“, wehrte Faulkner eilig ab. „Jetzt wissen Sie, wie ich meine Worte auf der Fähre gemeint habe. Es war ganz sicher keine schräge Anmache, Florence.“

Unangenehm berührt nickte die Frau und nahm schnell einen weiteren Schluck Bier. Schließlich sagte sie leise: „Meine Worte auf der Fähre bedaure ich, Sir.“

„Reden wir nicht mehr davon“, schlug Faulkner vor. Er sah auf den Ring, den die Polizistin an einer Kette um den Hals trug und meinte: „Ich vermute, dass Sie auch einen geliebten Menschen verloren haben. Sonst hätten Sie wohl weniger heftig reagiert.“

Florence sah ihren Vorgesetzten erstaunt an und der Inspector erklärte mit einem angedeuteten Lächeln: „In der Zusammenfassung Ihrer Dienstakte, die ich von meinem Superintendant bekam, stand lediglich, dass sie den Dienst in Honoré aus persönlichen Gründen quittiert haben. Sonst nichts weiter. Die Dienstakten von heute sind wohl auch nicht mehr das, was sie mal waren. Sie müssen nicht darüber sprechen.“

„Vielleicht wäre das gar nicht so verkehrt, Sir. Mit einem Unbeteiligten darüber zu reden hilft vielleicht.“

Sie wurden abgelenkt, als Sarah Dechiles und Wellesley Karr, jetzt in Zivil, an den Tisch traten und die Frau fragte: „Dürfen wir uns zu Ihnen beiden gesellen.“

„Na, nehmen Sie schon Platz“, gab der Inspector betont fröhlich zurück und fing dabei den etwas bedauernden Blick von Florence auf. Unbestimmt sagte er zu ihr: „Darüber können wir bestimmt ein anderes Mal reden.“

Sarah, die nicht ahnte, was ihr Vorgesetzter damit gemeint hatte, wandte sich in Richtung der Bar um und rief der jungen Bedienung zu, ihnen auch ein Bier zu bringen. Danach wandte sie sich wieder ihren beiden Vorgesetzten zu und meinte: „Dafür, dass wir vier ein bunt zusammengewürfelter Haufen sind, hat die Zusammenarbeit heute gut funktioniert. War zumindest mein Eindruck, nicht wahr, Sir?“

Der Inspector schmunzelte unterdrückt und trat etwas auf die Bremse, indem er erwiderte „Es hat ganz passabel funktioniert, Sergeant. Nicht sehr gut, aber immerhin.“

Florence Cassell verbiss sich ein Grinsen, bei den Worten ihres Vorgesetzten. Sie hatte die humorige Note seines Tonfalls bemerkt.

Sarah Dechiles ihrerseits sah den Inspector etwas ernüchtert an. Doch sie war nicht so schnell bereit aufzustecken, weshalb sie nachlegte: „Wir können uns noch steigern, Sir. Das war ja auch erst der erste Tag. Eigentlich nur ein halber, wenn man es genau nimmt.“

„Sie sagen es, Sergeant.“

Schon etwas zufriedener wirkend nahm Sarah Dechiles das Bier in Empfang, wodurch ihr der entsagungsvolle Blick entging, den Falkner Florence zuwarf. Sich ihm wieder zuwendend hielt sie ihm ihre Bierflasche entgegen und sagte: Na, dann prost!“

Sie stießen zu viert an.

Im Verlauf des Abends war es zum großen Teil Sarah Dechiles, die redete. Hauptsächlich pries sie dabei dem Inspector die Vorzüge der Insel an.

Unbemerkt von den anderen am Tisch hatte sich Florence in der Zeit einen ziemlichen Rausch angetrunken. Erst, nachdem sich Sarah und Wellesley verabschiedet hatten und er wieder allein mit Florence am Tisch saß, bekam Derrick Faulkner, der es bei zwei Flaschen Bier belassen hatte, den Zustand seiner Kollegin mit.

Florence schwankte leicht, als sie die Bar verließen und Derrick Faulkner überlegte, ob er es verantworten konnte, noch Auto zu fahren. Noch dazu so ein Ungetüm, wie den Defender-110. Er entschied sich, ob des Zustandes seiner Kollegin dafür, wobei er sich fragte, ob die meisten Leute, die angetrunken fuhren, dies nur deshalb taten, weil sie nicht mehr dazu imstande waren geradeaus zu laufen?

Na, wenigstens werden wir nicht in eine Verkehrskontrolle geraten, dachte der Brite amüsiert. Das wäre auch zu komisch.

Es dauerte eine geraume Weile, bis Derrick Faulkner seiner Kollegin den Autoschlüssel abnehmen und auf den Beifahrersitz verfrachten konnte. Aufatmend, nachdem er es endlich geschafft hatte, begab er sich zur Fahrerseite und stieg in den Rover ein.

„So, jetzt müssen Sie mir nur noch sagen, wohin ich sie bringen soll, Florence.“

Die Polizistin war bereits auf dem Beifahrersitz zusammengesunken und gab leise Schnarchgeräusche von sich.

Der Inspector versuchte, sie wieder wach zu bekommen. Nach einer Weile gab er es auf und beschloss, sie mit zu sich zu nehmen. Die Nacht war lauwarm und so würde es ihm nichts ausmachen, auf der Veranda, oder notfalls im Land-Rover zu schlafen. Er schüttelte seufzend den Kopf, bevor er den Motor startete und in Richtung seiner Hütte losfuhr.
 

* * *
 

Die Sonne stand bereits halb über dem Horizont, als Florence Cassell die Augen aufschlug. Nur noch dunkel konnte sich die Polizistin daran erinnern, in Catherines Bar gewesen zu sein. Noch dunkler daran, sie verlassen zu haben. Sie sah sich um und stellte fest, dass sie sich nicht Zuhause im Bett befand. Der Commissioner hatte ihre Dienstunterkunft ein Jahr lang nicht neu vergeben.

Bei einem weiteren Rundblick erkannte Florence endlich, wo sie sich befand. Sie war oft hier gewesen, nur hatte sie die Hütte des jeweiligen Detective-Inspectors noch nie aus dieser Perspektive gesehen.

Etwas schepperte leise und jemand pfiff leise ein ihr unbekanntes Lied. Offensichtlich hatte der Chief sie gestern Nacht hierher mitgenommen.

An diesem Punkt der Überlegungen angekommen sah Florence rasch unter die leichte Bettdecke und erschrak. Sie hatte nichts an. Erst nach einem neuen Umherschauen entdeckte sie ihre Sachen auf einem der Stühle, die an der Wand links von ihr standen.

„Wie konnte das passieren?“, entfuhr es ihr und sie richtete sich halb im Bett auf.

„Sie haben gebechert, wie zehn Mann“, kam die prompte Antwort von Derrick Faulkner aus Richtung der Küche. Gleich darauf schritt er mit einer Kanne in der Hand zu ihr in den Raum und die Polizistin zerrte rasch die Bettdecke vor ihren Körper.

Als der Inspector in das panische Gesicht der Frau sah, verschwand die Heiterkeit aus seinem Gesicht und er meinte unwillig: „Verderben Sie es sich nicht gleich am Morgen wieder mit mir, Florence. Das, was sie vielleicht befürchten, ist nie passiert. Das würde ich keiner Frau antun. Erst recht nicht meiner Kollegin und in diesem Fall Schutzbefohlenen.“

Florence Cassell sah ihren Vorgesetzten an, halb peinlich berührt, halb ungläubig. „Warum liege ich dann splitternackt in Ihrem Bett, Sir?“

Der Mann grinste schief. „Dafür bin nicht ich verantwortlich. Sie waren es, im Raum herumtanzte und irgendwann damit begannen, sich zu entkleiden. An dem Punkt bin ich aus dem Raum verschwunden. Zumal man Ihren lauten Gesang nicht wirklich schön nennen konnte. Nur gut, dass die Hütte so weit draußen liegt.“

Ungläubig fragte die Polizistin: „Ich habe gesungen, Sir?“

„Laut und falsch!“

„Oh, je.“ Erst nach einem Moment kam ihr eine andere Frage in den Sinn. „Wo haben Sie denn geschlafen, Sir?“

„Der hintere Bereich des Land-Rovers ist geräumiger, als ich dachte“, gab der Inspector vielsagend zurück. „Ich erwarte Sie auf der Veranda, wenn Sie geduscht haben.“

Damit verließ der Mann den Raum durch eine der beiden Türen, die zum Strand hin auf die Veranda hinaus führten. Offensichtlich hatte er Kaffee gemacht und sich um das Frühstück gekümmert.

Es dauerte mehr als zehn Minuten, bis Florence Cassell, jetzt angekleidet, zu Derrick Faulkner auf die Terrasse kam. Dabei schloss sie geblendet die Augen und gab ein leises Seufzen von sich.

„Feiern könnte so schön sein, wenn der Morgen danach nicht wäre“, spöttelte der Mann gutmütig. „Ich habe Rührei mit Speck gemacht und einen starken Kaffee. Ersteres wird den Restalkohol aus Ihrem Körper ziehen. Letzteres macht Sie in Sekunden munter.“

Florence nahm gegenüber ihres Vorgesetzten Platz und beobachtete ihn dabei, wie er ihr eine ordentliche Portion Rührei auf den Teller häufte. Danach goss er für sie einen Kaffee ein, bevor er sich selbst bediente. Dabei meinte er entschuldigend: „Gestern habe ich ganz vergessen, dass es auch Leute gibt, die ihren Kaffee nicht schwarz trinken.“

„Schwarz ist in Ordnung, Sir.“

Der Chief lächelte verbindlich. „Leider habe ich nur Herren-Duschgel im Haus, wie sie sicherlich festgestellt haben.“

Die Frau sah auf bei den Worten ihres Vorgesetzten und erwiderte, grimmig zustimmend: „Allerdings, Sir. Axe, der Duft der Frauen provoziert. Echt jetzt?“

Derrick Faulkner erlaubte sich ein amüsiertes Grinsen: „Passen Sie heute lieber auf, Florence, sonst gehen Sie am Abend mit einer festen Freundin nach Hause.“

„Eine ehemalige Klassenkameradin wollte mich haben, als ich sechzehn war. Ungeachtet dessen ist Céline eine tolle Kameradin gewesen.

„Ach“, machte der Inspector. „Ist diese Céline zufällig schlank, eher sehnig? Kurzes Haar? Lockere, ungezwungene Art?“

„So habe ich sie in Erinnerung. Aber woher…“

„Sie fährt Taxi auf Saint-Marie.“

Etwas ungläubig sah Florence ihren Vorgesetzten an. „Sie war in dem zweiten Taxi, am Hafen? Mir ist sie gar nicht aufgefallen.“

„Sie hatten vielleicht zu viel damit zu tun, sauer auf mich zu sein?“

„Also war es Ihre Schuld, Sir“, konterte Florence trocken. Sie genoss das Frühstück und den Kaffee sichtlich. Danach sagte sie, auf das Thema vom vergangenen Abend zurückkommend: „Als Sie gestern den Verlust eines geliebten Menschen erwähnten, da wollte ich Ihnen von meinem verstorbenen Verlobten Patrice erzählen. Wissen Sie, sein bester Freund ermordete das Mädchen, mit dem er zusammen war. Patrice wollte es nicht wahrhaben. Als er versuchte, auf eigene Faust die Hintergründe der Tat aufzuklären, da folgte ich ihm. Ohne meine Kollegen. Bevor ich ihn finden konnte wurde ich niedergeschossen. Mein Verlobter wurde von der Schützin, die glaubte, ich sei tot, anschließend ermordet.“

Derrick Faulkner hatte mit versteinerter Miene zugehört. Nach einem langen Moment rang er sich dazu durch Florence zu erzählen: „Meine Frau und meine Tochter wurden, vor zwei Jahren, von den Handlangern der bulgarischen Mafia getötet. Ich war damals für die NCA tätig und hatte einen Schlag gegen einen Zweig dieser Verbrecherorganisation gelandet. Es gab jedoch einen Maulwurf, der Tage zuvor die Identität von mir und meinem Team weitergeleitet hatte. In der Nacht kamen sie und nahmen das Haus mit Raketenwerfern unter Feuer. Meine Frau und meine achtjährige Tochter starben, bei dieser Attacke. Dass ich überlebte war nichts weiter, als ein Zufall. Ich konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Ich stand also auf und ging in den Keller um mir ein Glas eingemachter Pfirsiche zu holen, als der Angriff erfolgte. Drei Tage lang lag ich verschüttet unter den Trümmern des Hauses. Nachdem man mich, gerade noch lebend, gefunden hatte, wurde ich in eine geheime, medizinische Anlage der NCA gebracht, wo ich zunächst, schwer verletzt, zehn Monate im Koma lag. Danach musste ich ganz neu lernen zu laufen. Erst nach knapp zwei Jahren war ich körperlich wieder so fit, wie vor der Attacke. Einer meiner Kollegen brachte mir damals die Uhr meiner Tochter ins Krankenhaus. Sie war, wie durch ein Wunder, heil geblieben. Seitdem trage ich sie.“

Erschüttert hauchte die Polizistin: „Das ist ja schrecklich, Sir.“

Die Augen des Mannes schienen aus ferner Vergangenheit zurückzukommen, als er den erschütterten Blick der Frau erwiderte. „Ich möchte damit ganz bestimmt nicht kleinreden, was Ihnen selbst widerfahren ist, Florence. Was ich sagen will ist, dass es Dinge gibt, die wir niemals vergessen werden. Doch wir leben dennoch weiter, so gut wir können und das sollten wir auch. Vielleicht hilft es Ihnen darüber hinaus, zu wissen, dass Sie mit jemanden reden können, der Ihre Situation versteht. Was mich im Moment primär interessiert ist: Haben Sie aktuell ein Problem mit Alkohol?“

Florence Cassell sah für einen Moment lang durch ihr Gegenüber hindurch. Sie erinnerte sich daran, wie sie vor drei Tagen weinend unter der Dusche gesessen hatte. Unsicher, ob sie es schaffen würde, sich ihren Dämonen auf Saint-Marie zu stellen. Nach einem langen Moment klärte sich ihr Blick und sie antwortete mit fester Stimme: „Nein, es gibt kein Alkoholproblem, Sir.“

„Dann ist dieser Punkt geklärt“, gab sich der Inspector mit dieser Antwort zufrieden.

Als Florence Cassell endlich die Gabel zur Seite legte und Faulkner ihr eine zweite Tasse Kaffee eingoss, erkundigte sich die Frau: „Wurden die Mörder Ihrer Familie gefasst?“

Der Inspector nickte. „Ja, noch während ich im Koma lag. Irgendwie war es bedrückend für mich, sie nicht selbst stellen zu können. Der Maulwurf wurde ebenfalls entlarvt. Er erschoss sich, als meine Kollegen ihn verhaften wollten. Wie war es bei Ihnen?“

„Mein damaliger Chief konnte die Mörderin ausfindig machen und überführen. Ich selbst habe ihr damals die Handschellen angelegt.“

„Haben Sie sich danach besser gefühlt?“

Florence schüttelte den Kopf. „Nein, Sir. Die Genugtuung wegen der Festnahme dauerte nur kurze Zeit an. Die schreckliche Leere in mir blieb. Was mir aber half, war der Rat von DI Mooney, der mir sagte, ich solle mich daran erinnern, wofür der Ring steht, den ich seit damals an einer Kette um den Hals trage. Er sagte mir, dass Patrice sicherlich wollen würde, dass ich irgendwann wieder glücklich werde. Irgendwie.“

„Sie hatten Glück, einen so weisen Mann als Chief zu haben, Florence. Etwas ganz ähnliches sagte mir meine Schwester, kurz vor meiner Abreise hierher. Sie und ihre Familie sind die einzigen Angehörigen, die ich noch habe. Wir stehen uns zum Glück sehr nahe.“

Die Antwort der Frau bestand aus einem zuversichtlichen Lächeln. Nach einem Blick auf die Armbanduhr sagte sie: „Ich muss los, wenn ich mich noch bei mir umziehen und rechtzeitig auf dem Revier sein will.“

Derrick Faulkner kramte den Autoschlüssel aus der Hosentasche seiner Jeans und reichte ihn seiner Kollegin. „Nehmen Sie den Wagen, ich gehe zu Fuß. Wir sehen uns dann auf dem Revier.“

Florence nahm den Schlüssel an sich und machte sich auf den Weg zum Rover. Dabei sah der Inspector seiner nachdenklich hinterher und er spürte dabei, dass ihm die Unterhaltung mit ihr seelisch gutgetan hatte. Vielleicht konnten sie sich gegenseitig dabei helfen, die persönlichen Verluste zu überwinden. Der Gedanke gefiel ihm.

Polizeiliche Raffinesse

Als Derrick Faulkner die Polizeistation von Honoré erreichte, stellte er fest, dass Sergeant Dechiles bereits anwesend war. Sie saß am Schreibtisch, rechts der Eingänge, und nahm die Beweismittel des aktuellen Falles in einer Liste auf.

„Guten Morgen, Sergeant“, grüßte Faulkner, als er hereinkam. Dabei fiel sein Blick auf die Wanduhr. „Sie sind aber bereits sehr früh hier.“

„Zwangsläufig, Sir“, gab die Frau lächelnd zurück. „Da ich gestern nicht mehr daran gedacht habe, Ihnen einen Schlüssel für die Türen zu geben, bin ich heute etwas eher erschienen, um aufzuschließen. Über Nacht schließen wir nämlich schon ab.“

Damit erhob sich die Frau geschmeidig, holte einen silberfarbenen Schlüssel aus einer der Schubladen des Schreibtisches, an dem sie saß und reichte ihn ihrem Vorgesetzten.

„Vielen Dank, Sergeant.“

Faulkner steckte den Schlüssel in die linke Hosentasche und legte seinen Sportrucksack auf den Schreibtisch, hinter dem er eine Landkarte der Insel entdeckte. Eine zweite Karte, die nur Honoré und die nähere Umgebung davon zeigte, hing darunter.

Faulkner umrundete den Schreibtisch und warf einen interessierten Blick auf beide Karten. Nach einem Moment fragte er über die Schulter hinweg: „Ich nehme an, das hier ist mein Schreibtisch, Sergeant?“

„Ja, Sir.“

Der Inspector holte seinen Laptop samt Netzteil aus dem Rucksack und schloss ihn an. Danach suchte er kurz das Netzwerkkabel, fand es und verband es ebenfalls mit seinem Computer. Anschließend legte er einen kostbar aussehenden Füller, einen silbernen Kugelschreiber, einen Filzschreiber und ein schwarzes Notizbuch auf die polierte Platte des Schreibtisches. Als er nochmal den Filzschreiber nahm und ihn an den beiden anderen Schreibutensilien ausrichtete, hörte er ein unterdrücktes Kichern.

Fragend sah er zu Sarah Dechiles und seine Untergebene meinte verlegen: „Entschuldigen Sie, Sir, aber ich habe noch nie gesehen, dass jemand seine Stifte so ordentlich, wie zu einer Parade, auf dem Schreibtisch ausrichtet.“

„Sie haben meine CD-Sammlung noch nicht gesehen“, versetzte der Inspector. „Es mag vielleicht seltsam klingen, doch Ordnung hilft mir dabei, schwierige Situationen in den Griff zu bekommen, oder zumindest sie besser zu verstehen.“

Derrick Faulkner griff wieder in einen Rucksack und legte weitere Dinge in eine der Schreibtischschubladen, bevor er den Rucksack rechts von sich in der Ecke deponierte. Einen flachen Notizblock steckte er in die Brusttasche seines kurzärmligen, fliederfarbenen Hemdes, während er wieder hinter dem Schreibtisch hervortrat. Er ging zum Whiteboard, an dem er gestern die Zahlen 30:0 notiert hatte. Heute hingen darunter Bilder der drei Angehörigen von Henderson Wayne. Jemand hatte in sehr ordentlicher Schrift die jeweiligen Namen darunter geschrieben.

„Mir gefällt die Schrift“, meinte Faulkner nach einer Weile und sah sich zu Sarah Dechiles um.

„Das wird Officer Karr bestimmt freuen zu hören“, gab die Uniformierte fröhlich zurück. „Seine tolle Schrift ist wohl auch der Grund dafür, dass unbedingt er die Namen aufschreiben wollte, Sir.“

Bevor Faulkner etwas erwidern konnte, kamen Florence Cassell, Officer Karr und zum Schluss der Commissioner in den Raum.

„Sieht nach einer Royal Saint-Marie Police Vollversammlung aus“, scherzte Faulkner und nickte dem Commissioner zu. „Guten Morgen, Commissioner.“

Selwyn Pattersons Gesicht blieb verschlossen. Bedächtig seine schwarze Dienstmütze abnehmend und sie Sergeant Dechiles reichend, wünschte er dem Team einen guten Morgen. Langsam schritt er danach zu Faulkner, dessen Lächeln sich langsam verlor.

Wieder ernsthaft erkundigte sich Faulkner bei seinem Vorgesetzten: „Was kann ich für Sie tun, Commissioner Patterson?“

Patterson musterte den Detective-Inspector einen Moment lang, bevor er sagte: „Wir haben seit der letzten Woche ein Problem mit einem raffinierten Taschendieb, hier in Honoré. Besonders, wenn Markt ist, so wie heute.“

„Verstehe, Sir. Wir sollten jedoch zuerst den Mord an Henderson Wayne aufklären.“

Die Augenlider des Commissioners öffneten sich etwas weiter. „Mord? Aber ich dachte, es wäre ein Unfall gewesen.“

„Das haben die Hinterbliebenen ausgesagt. Doch keiner will zum Zeitpunkt des Treppensturzes bei Wayne gewesen sein, sodass dies bislang nur eine Annahme ist.“

Selwyn Patterson kam etwas näher zu Faulkner. „Haben Sie denn Beweise dafür, dass es Mord war, Inspector?“

Derrick Faulkner gab unumwunden zu: „Nein, Sir. Doch es gibt einige Anhaltspunkte, die den Verdacht nahelegen. Deswegen wollte ich heute nochmal mit Detective-Sergeant Cassell zu der Villa hinausfahren.“

„Nun, Inspector, von meiner Seite des Schreibtisches sieht es so aus: Nächste Woche haben wir Ostern. Dann werden zahlreiche Touristen die Insel bevölkern. Was gut ist, denn die Hälfte der Inselbewohner lebt vom Tourismus. Was wir ganz zuletzt gebrauchen können, ist eine negative Bewertung unserer Insel, aufgrund eines gewieften Diebes.“

Faulkner überlegte fieberhaft und entschied dann: „In Ordnung, Commissioner. Ich werde DS Cassell mit Sergeant Dechiles zur Villa schicken und mich dafür persönlich um den Taschendieb kümmern. Im Gegensatz zu meinen drei Kollegen bin ich selbst hier auf der Insel noch relativ unbekannt und gehe vermutlich für den Dieb als Tourist durch. In der Zwischenzeit hält Officer Karr hier die Stellung.“

Der Commissioner grinste breit. „Ausgezeichnet, dann freue ich mich schon, von Ihren Erfolgen zu hören, Inspector. Bald schon. In beiden Fällen. Team…“

Der Chef der Polizei auf Saint-Marie wandte sich ab, ließ sich im Vorbeigehen von Sarah Dechiles seine Dienstmütze reichen und schritt zur Tür hinaus.

Nicht sonderlich glücklich über die Einmischung des Commissioners in sein Tagesgeschäft sah Faulkner zu Florence Cassell, die nur mitleidig blickend die Schultern hob. Offensichtlich kannte sie derlei Auftritte des Commissioners bereits. Sie trug, nachdem sie Zuhause gewesen war, nun schwarze Hotpants und ein stahlblaues Trägertop. Dazu passende, blaue Turnschuhe.

Sarah Dechiles, die in ihrer Nähe stand, schnupperte in der Luft herum und näherte sich Florence Cassell unmerklich immer mehr an. Dabei atmete sie tief ein und aus und gab ein genießerisches Seufzen von sich.

Unwillig sah Florence ihre Kollegin an und erkundigte sich, ob deren seltsamen Verhaltens: „Was haben Sie denn, Sergeant?“

Sarah Dechiles öffnete die Augen, die sie fast geschlossen hatte und sah Florence mit verklärter Miene an. „Es muss am Duft Ihres neuen Duschgels liegen, Detective-Sergeant. Ich finde, es ist so… es ist so…“

„Provokant?“, half Florence ihrer Kollegin aus.

Sarah Dechiles machte eine zustimmende Geste und nickte: „Genau das ist das Wort, nach dem ich gesucht hatte.“

Florence Cassell warf Derrick Faulkner, der die Szene feixend verfolgt hatte, einen giftigen Blick zu und erkundigte sich bei ihm: „Sollen wir sofort zur Villa fahren, Sir?“

Der Inspector nickte. „Ja, Florence. Ich möchte wissen, wer damals das Auto fuhr, mit dem Wayne verunglückte. Außerdem brauchen wir eine Kopie des Testamentes, sofern es überhaupt eins gibt. Stellen Sie also bitte fest, was der Verstorbene vererbt und wer der oder die Meistbegünstigte ist.“

Florence Cassell machte sich eilig ein paar Notizen und sah danach wieder zu Faulkner auf. „Ist das alles, Sir?“

Derrick Faulkner überlegte kurz und meinte dann: „Nicht ganz, Florence. Versuchen Sie herauszubekommen, wie das Verhältnis der drei Hinterbliebenen zu dem Toten vor, während und nach dem Unfall von Henderson Wayne war.“

„Alles klar, Sir.“

Florence Cassell steckte den Notizblock in die Handtasche, hängte sie sich um und schritt zu Sarah Dechiles, die sich bereits ihr Dienstkäppi aufgesetzt hatte, das, anders als die Schirmmützen für männliche Uniformierte, eher einem Hut glich.

Nachdem die beiden Frauen das Revier verlassen hatten, sah Faulkner zu Wellesley Karr und seufzte, gespielt leidend: „Tja, jetzt sind nur noch wir zwei übrig.“

Der junge Officer sah seinen Vorgesetzten fragend an und Faulkner fügte rasch an: „In Ordnung. Ich werde mich dann gleich auch auf den Weg machen. Haben Sie ein Handy, das sie mir für ein oder zwei Stunden borgen können, damit ich für Sie notfalls erreichbar bin? Ich muss mir heute erst einmal einen Handyvertrag mit einem lokalen Anbieter abschließen. Schreiben Sie mir doch bitte auf, was Sie mir empfehlen würden und wohin ich mich deswegen wenden kann.“

Der junge Officer beeilte sich, der Bitte seines Vorgesetzten nachzukommen und schrieb eilig einige Notizen auf einen Zettel. Als er ihn Faulkner reichte, machte der DI ein zufriedenes Gesicht.

„Ich sagte bereits zum Sergeant, dass ich Ihre Schrift mag, Officer. Vielen Dank.“

Den Zettel zweimal faltend und in seine Brusttasche steckend nahm er von Karr dessen Handy in Empfang, wobei der Officer meinte: „Aber passen Sie gut darauf auf, Sir. Das Handy ist brandneu.“

„Keine Sorge, Officer.“

Derrick Faulkner schritt zur linken Tür. Als er sie fast erreicht hatte umspielte für einen Moment ein amüsiertes Lächeln seine Lippen. Schnell wieder ernst werdend drehte er sich im Türrahmen um und fragte scheinheilig: „Ich nehme an, das Handy ist versichert?“

Damit verließ der Inspector die Polizeistation und glaubte hinter sich ein leises, resignierendes Seufzen von Officer Wellesley Karr zu hören.
 

* * *
 

Nachdem Faulkner zunächst das Geschäft aufgesucht hatte, dessen Adresse auf dem Zettel stand, machte sich der Polizist auf den Weg zum Markt, auf dem die Händler schon eifrig ihren jeweiligen Geschäften nachgingen.

Bereits von Weitem hörte Faulkner das geschäftige Stimmengewirr und er blieb für eine Weile stehen, um die Szenerie auf sich wirken zu lassen. Nach einem langen Moment setzte er sich wieder in Bewegung, wobei er seine Geldbörse aus der hinteren, rechten Hosentasche zog, ein paar Geldscheine herausnahm und die Börse dann in die linke vordere Hosentasche zu stecken. Dafür zog er seine Polizeimarke aus der hinteren, linken Hosentasche, legte die Geldscheine zwischen Abzeichen und Dienstausweis. Sofern man nicht genau hinsah, konnte man sie leicht für eine Geldbörse halten. Der Vorteil zu seiner Geldbörse war der, dass das Futteral der Marke einen integrierten GPS-Sender besaß. Er konnte sie jederzeit mit Hilfe der Software auf seinem Laptop oder einer App auf seinem Smartphone orten.

Ein Freund aus dem Londoner Raubdezernat hatte ihm mal gesagt, dass es Zeitverschwendung sei, einen Dieb zu verfolgen. Er hatte gemeint, es sei besser, ihm so lange Leine zu lassen, dass er sich darin verheddert und selbst zu Fall bringt.

Nach einigen Metern holte er die Dienstmarke nochmal heraus und entnahm den Dienstausweis, um ihn in seine Hemdtasche zu stecken. Der sollte nicht verloren gehen.

So vorbereitet mischte Faulkner sich unter die vielen Besucher des Marktes. Bereits nach kurzer Zeit hatte ihn die Atmosphäre des Ortes gefangen. Er spürte förmlich, wie hier das Leben pulsierte. Es war so ganz anders, als das, was er bisher gewohnt war.

Fast wäre Derrick Faulkner mit einer hochgewachsenen Frau zusammengestoßen. Zu seiner Überraschung sah er in ein bekanntes Gesicht und ihm entfuhr: „Céline? Guten Morgen. Schön, Sie wiederzusehen.“

Die Frau lächelte ihm zu. „Ja, ich freue mich auch. Machen Sie erste Einkäufe?“

„Eher zweite Einkäufe“, erwiderte Faulkner unbestimmt. „Was ist mit Ihnen?“

„Oh, nur das Übliche. Etwas Obst und Gemüse, bevor ich mich wieder in mein Taxi schwinge und zur anderen Seite der Insel fahre. Da legt in einer Stunde ein großer Ausflugsdampfer an und bringt Kundschaft.“

„Sie lernen bestimmt jede Menge interessanter Leute kennen und hören das ein oder andere. Haben Sie in der letzten Zeit etwas über einen Taschendieb gehört?“

„Nur, dass mal wieder einer sein Unwesen auf der Insel treiben soll. Ich hoffe, sie werden ihn schnell erwischen.“

Derrick Faulkner sah die Frau beschwörend an und raunte ihr zu: „Nicht so laut, Céline. Ich bin nämlich im Grunde hierhergekommen, um ihn ausfindig zu machen. Gehen wir zu dem Stand dort drüben. Da ist gerade ein dichtes Gedränge.“

Gemeinsam schritten sie zu einem der Obststände und Faulkner holte seine Dienstmarke aus der hinteren Hosentasche, um der Mappe auffällig den dort zuvor deponierten Geldschein zu entnehmen. Danach steckte er die Dienstmarke wieder zurück. Als er an der Reihe war und mit der Dollarnote einen Apfel bezahlte, wurde er von der rechten Seite angerempelt. Das junge Mädchen, das sich für einen Augenblick an ihm festhielt, entschuldigte sich sofort bei ihm und tauchte im nächsten Moment in der Menge unter.

„Dieses kleine Biest hat Sie beklaut, Derrick“, entfuhr es Céline gleich darauf von der anderen Seite und sie rief alarmierend: „Haltet die Diebin!“

Derrick Faulkners Blick wandte sich schnell nach rechts und sah gerade noch, wie eine schlanke Gestalt um die Ecke eines nahestehenden Hauses verschwand.

Céline wollte die Verfolgung aufnehmen, doch Faulkner hielt sie am Arm zurück. Dabei sagte er amüsiert. Lassen Sie sie ruhig entkommen. Mein Geld habe ich hier.“

Damit holte der Inspector sein Portemonnaie hervor und steckte es an seinen üblichen Platz zurück.

Céline machte ein erstauntes Gesicht. „Was hat die kleine Kröte Ihnen denn dann gestohlen, wenn nicht Ihr Geld, Chief?“

„Meine Dienstmarke. In deren Schutzmappe ist ein GPS-Sender eingearbeitet. Hinterherlaufen hätte gar keinen Sinn. So schnell, wie das Mädchen verschwand, könnte die vermutlich bei der Olympiade mitlaufen. Hat Usain Bolt übrigens eine kleine Schwester?“

Céline grinste bei seinen Worten. Dann meinte sie: „Was, wenn sie sofort nachsieht und merkt, was Sache ist. Dann wirft sie die Marke weg und der Trick war vergebens.“

„Das könnte passieren“, gab Faulkner zu. „Doch ich vermute, dass sie erst einmal weiter ihr Glück versucht und sich die Beute erst später ansieht. Dann kann ich sie später, zusammen mit den Corpus Delicti, überführen. Andernfalls finde ich zumindest schnell meine Polizeimarke wieder. Jetzt können wir erst einmal in Ruhe zu Ende einkaufen, denn die Diebin wird sich vorübergehend eine andere Wirkungsstätte suchen.“
 

* * *
 

Eine Stunde später tauchte Derrick Faulkner wieder in der Polizeistation auf. Dort gab er zunächst Wellesley Karr sein Handy zurück, der es erleichtert in Empfang nahm. Etwas aus seinem Schreibtisch nehmend, verschwand Faulkner kurz in dem Raum, wo die Fundsachen aufbewahrt wurden. Kaum eine Minute später erschien er wieder bei Karr, sich dabei das Hemd zurecht zupfend.

„Ich brauche ein Paar Handschellen, Officer Karr.“

Der junge Polizist sah seinen Vorgesetzten fragend an. „Dann hatten Sie bereits Erfolg, was den Dieb angeht, Sir?“

„Es handelt sich um eine Diebin“, berichtigte ihn der Inspector. „Ob es ein Erfolg wird, muss sich erst noch herausstellen, aber ich bin optimistisch.“

Faulkner nahm ein Paar Handschellen und den dazugehörigen Schlüssel in Empfang. Die Handschellen seitlich hinter den Gürtel seiner Jeans klemmend holte er sein Smartphone heraus und rief die Verfolgungs-App auf. Dasselbe Programm, das er auch auf seinem Laptop installiert hatte. Mit dem Smartphone in der Hand schritt er zu der Landkarte, die hinter seinem Schreibtisch hing. Immer wieder von dem kleinen Bildschirm zur Karte sehend fragte er schließlich Karr: „Wie weit ist es nach Villeneuve, Officer?“

„Mit dem Motorrad etwa eine Viertelstunde, Sir.“

„Können Sie mit dem Ding umgehen?“

Karr grinste vergnügt. „Ich hatte gehofft, dass Sie mich das fragen würden, Sir.“

„Dann machen wir uns mal auf den Weg dorthin, Officer. Aber wir fahren nicht direkt in den Ort, sondern stellen das Motorrad vorher so ab, dass man es von dort aus nicht entdecken kann.“

„Alles klar, Sir“, bestätigte Karr, der froh zu sein schien raus zu kommen.

Auf dem Weg nach draußen trafen die beiden Polizisten auf ihre Kolleginnen und Faulkner erklärte Florence im Vorbeigehen: „Wir sind in spätestens einer Stunde wieder da. Wir verfolgen eine heiße Spur, zu unserem Taschendieb.“

DS Cassell bestätigte und begab sich mit Sarah Dechiles ins Innere der Station.

Sich im Beiwagen der Royal-Enfield einen der beiden schwarzen Helme aufsetzend nahm Faulkner schließlich wieder sein Smartphone zur Hand und sah interessiert auf die Wegverfolgung. Dabei fragte er Karr, der sich dazu bereit machte das Motorrad zu starten: „Liegt die Villa des verstorbenen Tennisstars nicht auf dem Weg nach Villeneuve?“

Karr bestätigte und Derrick Faulkner murmelte: „Ist schon ein seltsamer Zufall. Ich mag keine seltsamen Zufälle.“

„Sir?“

Derrick Faulkner sah fragend zu Karr, der etwas herumdruckste, bevor er sich geradeheraus erkundigte: „War das vorhin ein Messer, das Sie aus Ihrem Schreibtisch genommen haben?“

Der Inspector lächelte beruhigend: „Ja. Zu Ihrer Beruhigung, ich habe eine Erlaubnis dafür, es in einem Rückenhalfter zu tragen. Schusswaffen offen zu tragen ist Beamten der Polizei von Saint-Marie verboten. Es gibt jedoch eine Gesetzeslücke, durch welche dieses Messer, zur reinen Selbstverteidigung, kein Problem darstellt. Übrigens, auch das zu Ihrer Beruhigung, denke ich nicht, dass ich es hierbei brauchen werde. Aber Vorsicht ist bekanntlich die Mutter der Porzellankiste, sagt man.“

Wellesley Karr nickte beruhigt und startete die Maschine.

Während der Fahrt hing Derrick Faulkner seinen eigenen Gedanken nach. Nur hin und wieder sah er auf sein Smartphone. Etwas mehr als eine Meile vor der Villa, in der Henderson Wayne umgekommen war, verlangsamte Wellesley Karr das Motorrad und fuhr es ein Stück in einen schmalen Waldweg hinein.

Als die Maschine anhielt, stieg Derrick Faulkner behände aus, legte den Helm auf den Sitz des Seitenwagens und wandte sich zu Officer Karr. „Sie warten hier, Officer. Sollte ich in, sagen wir, einer halben Stunde nicht wieder hier sein, dann folgen Sie mir.“

Karr, der ebenfalls seinen Helm abgenommen hatte, fragte besorgt: „Soll ich nicht vielleicht doch besser mitkommen, Sir?“

Der Inspector lächelte aufmunternd. „Mit einer Halbwüchsigen komme ich wohl allein zurecht, Officer. Außerdem werde ich vorsichtig sein.“

Damit wandte sich Derrick Faulkner ab und marschierte zurück zur Straße. Sich anhand der Daten seines Smartphones kurz orientierend wandte er sich nach links und schritt forsch aus. Hinter der Kurve erkannte er zu seiner Linken eine verlassene Hütte, die zwischen zwei verwildert aussehenden Ackerflächen stand. Ein schmaler unbefestigter Weg führte, in einhundert Metern Entfernung, von der Straße aus zu dem windschiefen Gebäude.

Vorsichtig näherte sich der Inspector dem Gebäude und horchte angestrengt, ob er außer dem leisen Wispern des Passat-Windes noch andere Geräusche wahrnehmen konnte.

Faulkner hörte nichts und er fragte sich, ob die Verdächtige vielleicht schon wieder in Honoré unterwegs war. Möglicherweise hatte das Mädchen nur die Beute in Sicherheit gebracht. Vielleicht hatte aber auch Céline recht und die Diebin hatte sich nur seiner Dienstmarke entledigt. In diesem Fall war er aufgeflogen und eine weitere Undercover-Aktion seinerseits aussichtslos.

Faulkner erreichte das Haus. Beinahe lautlos betrat er das Innere des Gebäudes und er hoffte, nicht ganz zu Unrecht, dass der auffrischende Wind, der einen der, zu dieser Jahreszeit typischen, Regenschauer ankündigte, die geringfügigen Geräusche die er nicht völlig vermeiden konnte übertönte.

Der Polizist stellte fest, dass es sich bei diesem Haus um eine Scheune gehandelt haben musste. Immer noch gab es ein paar halb zerfallene Strohballen hier unten. Etwa in der Mitte des weiten Raumes, in dem auch ein verrosteter Traktor stand, führte eine hölzerne Treppe zu der oberen Ebene der Scheune, die etwa fünf Meter höher lag.

Als der Inspector die Treppe fast erreicht hatte, hörte er von oben einige leise Geräusche. Erst nach einigen Herzschlägen realisierte er, dass jemand dort oben eine Melodie summte. Die Stimme klang hell. Anscheinend hatte er doch Glück.

Langsam und geschmeidig die Stufen der Treppe hinauf steigen, wobei er sich fast in Zeitlupe bewegte, schlich sich der Polizist noch oben. Vor dem letzten Teilstück der Treppe duckte er sich und spähte, knapp über dem Bodenniveau zu der Stelle, von der die leise Stimme kam. Er sah sich unbemerkt von dem Mädchen um.

Links erkannte er, in der Ecke, ein altes, klappriges Metallbett mit einem schmuddeligen Bezug, Decke und Kissen. In der anderen Ecke hatte das Mädchen, mit Hilfe eines fleckigen Sofas und einer Holzkiste, so etwas wie eine Sitzecke eingerichtet. Ein paar Kerzen standen auf der Kiste. Daneben lag ein abgegriffenes Taschenbuch.

Nachdem Faulkner sich davon überzeugt hatte, dass die Treppe der einzige Weg nach unten war, richtete er sich auf und schritt die letzten fünf Stufen hinauf.

An der Wand, unter dem Fenster, das im Grunde nur eine rechteckige Aussparung in der Holzwand war, saß das junge Mädchen, das Faulkner auf dem Markt angerempelt hatte, um ihn dabei zu bestehlen. Ihr schulterlanges, schwarzes Haar hatte sie hinter dem Kopf mit einem Haargummi gebändigt. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie recht mager wirkte. Sie trug kurze, zerschlissene Jeans, dazu ein farbiges Trägertopp und an den Füßen billige blassblaue Stoffturnschuhe, die drohten aus dem Leim zu gehen.

Vor ihr lagen mehrere Geldbörsen, die sie gerade auf deren Inhalt untersuchte.

Derrick Faulkner räusperte sich leise und sagte mit normaler Lautstärke: „Sie sind also der raffinierte Taschendieb, der seit einer Woche Honoré unsicher macht.“

Beim Klang seiner sonoren Stimme fuhr das Mädchen erschrocken zusammen und ließ die Geldbörse fallen, die sie in den Händen gehalten hatte. Panisch blickte sie zuerst ihn an und warf dann einen Blick hinter sich.

„Bitte verzichte darauf aus dem Fenster zu springen, Mädchen. Du würdest dir dabei sämtliche Knochen brechen. Lass uns ganz ruhig und vernünftig bleiben.“

Das Mädchen erhob sich langsam. Es zitterte am gesamten Leib und noch immer irrte ihr Blick zwischen ihm und dem Fenster hin und her.

Derrick Faulkner blieb stehen, wo er war. „Hab keine Angst vor mir.“

Das Mädchen lachte verzweifelt und Tränen schossen ihr in die Augen. „Wie haben Sie mich gefunden? Was wollen Sie? Wollen sie mich… mich ver…“

„Um Himmels Willen, nein, Mädchen“, sagte Faulkner schnell. „Du kannst beruhigt sein, ich bin Polizist. Okay, ich gebe zu, das war ein schlechter Versuch dich zu beruhigen.“

Unglaube lag im Blick des zitternden Mädchens und Tränen rannen ihr nun über die schmalen Wangen.

„Hör zu: Ich bleibe ganz ruhig hier stehen und du suchst meine Dienstmarke zwischen den Geldbörsen heraus, die du mir, statt meines Portemonnaies, auf dem Markt aus meiner Hosentasche gestohlen hast.“

Das Mädchen kniete sie ab, ohne Faulkner aus den Augen zu lassen. Als sie mehr nach den Börsen tastete, als nach ihnen zu sehen, seufzte der Inspector schwach und schob seine Hände demonstrativ in die hinteren Hosentaschen.

Etwas weniger panisch, als zuvor, sah das Mädchen jetzt die Geldbörsen durch und wirkte überrascht, als sie seine Polizeimarke aufklappte. Als sie wieder zu Faulkner sah, meinte dieser beruhigend. „In der Mappe der Dienstmarke ist ein GPS-Sender. Über den habe ich dich gefunden. Jetzt ahnst du vermutlich auch, warum ich dich auf dem Markt habe entkommen lassen. Wirf mir die Marke bitte rüber, okay?“

Der Mann nahm eine Hand aus den Hosentaschen und das Mädchen warf ihm die Dienstmarke zu. Er fing sie aus der Luft und schob seinen Dienstausweis hinter die Klarsichtfolie der ledernen Mappe.

„Okay und jetzt sammle bitte die Geldbörsen auf und komm her.“

Das Mädchen sah Derrick Faulkner wieder panisch an und schüttelte nur stumm den Kopf ohne dabei seiner Aufforderung Folge zu leisten.

Mit ruhiger Stimme fragte der Inspector das Mädchen: „Dir ist schon klar, was Widerstand gegen die Staatsgewalt bedeutet? Falls nicht: Es bedeutet, dass ich dir Handschellen anlegen muss, bevor ich dich abführe. Mir wäre es lieber, wenn du keinen Ärger machst, denn dann muss ich das nicht. Ach und noch eins: Wenn du versuchen solltest zu fliehen und wir dich über die halbe Insel jagen müssen, dann werde ich ganz sauer. Ich habe nämlich nebenbei auch noch einen Mord aufzuklären.“

Die Dienstmarke hinter den Gürtel seiner Jeans steckend sah er das Mädchen abwartend an. „Übrigens, mein Kollege taucht hier in etwa fünfzehn Minuten auf, falls wir in dieser Zeit nicht bei ihm sind und dann ist der Handel, von wegen keine Handschellen, aber mal sowas vom Tisch.“

Noch immer etwas eingeschüchtert sagte das Mädchen: „Sie verhalten sich nicht, wie ein Polizist, Mister.“

Faulkner verdrehte die Augen. „Ach, komm, du hast doch bestimmt noch keinen Polizisten wirklich näher kennengelernt.“

„Außerdem sind Sie raffinierter, als ein Ganove.“

„Tja, Berufsrisiko.“

Derrick Faulkner wartete noch einen Moment und sagte dann ernster: „Meine Geduld ist nicht unendlich, Mädchen. Wenn du nicht mitspielst, dann werden es am Ende doch die Handschellen, fürchte ich.“

Mürrisch machte sich das Mädchen endlich daran, die gestohlenen Geldbörsen vom Boden aufzusammeln. Danach sah sie den Polizisten fragend an.

Derrick Faulkner lächelte beruhigend. „Okay, jetzt werde ich zuerst die Treppe hinuntergehen und du kommst ganz brav hinterher.“

Der Inspector machte damit kehrt. Langsam schritt er die Treppe hinunter. Als er hinter sich die Schritte des Mädchens auf der Treppe hörte, grinste er zufrieden. Noch bevor er unten ankam, fragte er über die Schulter hinweg: „Wie ist dein Name? Ich meine, auf dem Revier kriegen wir das ohnehin heraus, nachdem wir deine Fingerabdrücke genommen haben. Doch es könnte einen Unterschied machen, ob ich bei deiner Verhandlung dem Richter sage, dass du vollumfänglich kooperiert und Reue an den Tag gelegt hast, oder ob ich sage, du hättest dich widersetzt und uneinsichtig gezeigt.“

„Ich heiße Dayana“, murrte das Mädchen widerwillig. „Dayana Tanguy.“

Mein Name ist Derrick Faulkner. Offiziell, seit heute Morgen, der Leitende Inspector der Polizei auf Saint-Marie.“

„Toll, dann bin ich wohl Ihre erste Verhaftung?“

„Hör jetzt endlich mal auf zu jammern“, versetzte der Inspector. „Sei froh, dass ich nicht zu diesen sturen Beamten gehöre, die nur ihren Job machen. Ich werde versuchen, dir zu helfen, doch du musst mich deinerseits dann auch helfen lassen, okay?“

Es dauerte einen Moment, bis das Mädchen mit kratziger Stimme erwiderte: „Okay!“

„Dann sind wir uns einig“, bemerkte der Mann und wartete an der Scheunentür. Höflich hielt er sie dem Mädchen auf, das ihn groß ansah. Offensichtlich hatte Dayana Tanguy bisher nicht viel Erfahrung mit netten Menschen gemacht und der Inspector spürte eine Welle von väterlichen Emotionen in sich aufsteigen. Er riss sich zusammen, atmete tief durch und folgte dem Mädchen dann nach draußen.
 

* * *
 

Nachdem der Inspector mit dem Mädchen bei Officer Wellesley Karr angekommen war, hatte er seinen Untergebenen angewiesen, Verbindung mit dem Revier aufzunehmen und Sergeant Dechiles mit dem Rover hierher zu bestellen.

Als der Land-Rover bei ihnen anhielt, stieg Sarah Dechiles aus und öffnete automatisch die hintere Tür des Defender-110, als sie das Mädchen neben ihren beiden Kollegen stehen sah.

Zur Überraschung der Frau meinte Faulkner missbilligend zu ihr: „Wollen Sie etwa ein Kind hinten im Rover einsperren, Sergeant? Sie fahren mit Officer Karr zurück und nehmen so lange die Geldbörsen in Verwahrung.“

Damit nahm er Sarah Dechiles den Wagenschlüssel aus der Hand, schloss die hintere Wagentür wieder und sah das Mädchen auffordernd an, nachdem es der Polizistin die Geldbörsen übergeben hatte.

Nachdem das Mädchen auf der Beifahrerseite eingestiegen war, schloss der Inspector die Tür und stieg auf der Fahrerseite ein.

Als der Wagen schließlich um die Kurve gefahren war und ihrem Blick entschwand, sah Sarah Dechiles zu Wellesley Karr und erkundigte sich fassungslos: „Sag mal, Wes, wer von uns beiden spinnt jetzt? Ich oder der Chief?“

Der Officer grinste nur, antwortete jedoch nicht auf die Frage.

Davon bekam Derrick Faulkner nichts mit. Mit dem Mädchen in Richtung Honoré fahrend mutmaßte er: „Du bist noch nicht lange auf Saint-Marie, richtig?“

Dayana Tanguy nickte und fragte ihrerseits: „Das stimmt. Wie kommen Sie darauf?“

„War nur so eine Vermutung. Weil die Diebstähle erst vor etwa einer Woche begonnen haben, wie ich von meinem Commissioner erfuhr.“

Für eine Weile blieb es still bevor der Inspector das Mädchen vorsichtig fragte: „Du bist von Zuhause weggelaufen, habe ich Recht?“

Das Mädchen wandte den Kopf zur Seite. Nach einem Moment gab Dayana ein leises Schniefen von sich. „Ich will nicht zurück.“

Der Inspector dachte krampfhaft nach, bei ihren Worten. Er hatte eine Vermutung, weshalb er schließlich leise fragte: „Ich sollte dich wohl besser nicht fragen, wie alt du bist, so wie es den Anschein hat?“

Das Mädchen nickte schluchzend und verbarg das Gesicht in den Händen.

„Du könntest mir jedoch sagen, wann du Geburtstag hast.“

Dayana wischte sich über das Gesicht und sah Derrick Faulkner fragend von der Seite an. Rau sagte sie: „Am vierzehnten Juni, Mister.“

Der Mann vermied immer noch, nach ihrem Alter zu fragen. Stattdessen bemerkte er: „Also nur noch knapp drei Monate?“

Dayana verstand und gab zurück: „Das ist richtig. Aber was…“

„Sage jetzt gar nichts mehr und hör zu: Solange ich dein Alter nicht erfahre und du mir glaubhaft einreden kannst, dass du bereits volljährig bist, kann ich dich, nach bestem Wissen und Gewissen, bereits morgen dem Richter vorführen. Nach der recht eindeutigen Beweislage wird es noch an demselben Tag zu einer Verurteilung kommen. Da du zuvor hier nicht auffällig warst, wird der Richter dir eine Geldstrafe aufbrummen, die du natürlich nicht bezahlen kannst. Also wird diese Geldstrafe vermutlich in etwa drei Monate Sozialdienst umgewandelt werden. Entscheidend ist, dass du diesen Dienst auf Saint-Marie ableisten musst und einmal verurteilt kannst du, rein theoretisch, erst nach Ablauf dieser drei Monate zurückgeschickt werden. Sofern du zu diesem Zeitpunkt nicht volljährig sein solltest.“

Dayana sah den Mann an ihrer Seite beinahe fassungslos an. Mit einem zaghaften Lächeln fragte sie: „Das würden Sie für mich tun, Mister Faulkner?“

„Was denn tun?“, fragte der Inspector verschwörerisch. „Diese Unterhaltung hat nie stattgefunden, Dayana. Ich habe nur laut gedacht.“

„Aber was ist mit der Ermittlung meiner Daten?“

Faulkner lachte leise. „Hatte ich erwähnt, dass ich der Leiter des Dezernats bin? Ich lege die Reihenfolge der Ermittlungen fest. Und wie ich bereits sagte, wir ermitteln auch in einem Mordfall. Du musst nur den Mund halten, hast du verstanden.“

„Wieder zaghaft lächelnd erwiderte das Mädchen: „Ja, Mister.“

„Und stelle gefälligst das zufriedene Lächeln ab, sonst kommen meine Leute doch gleich dahinter, dass etwas im Busch ist. Die sind nicht von gestern. Leider muss ich dich für eine Nacht in eine der Zellen des Reviers einsperren, aber das stehst du wohl durch.“

Dayana nickte ernsthaft. „Muss ich wohl.“

Als Derrick Faulkner den Rover vor einem der reservierten Parkplätze, direkt vor der Polizeistation, anhielt, sagte er: „Behalte diesen finsteren Blick bei. Der passt besser zu einer Diebin, die gerade festgenommen wurde. Nur eins noch, bevor wir hineingehen: Was war der Grund dafür, dass du weggelaufen bist?“

Dayana sah zu Boden. „Meine Eltern sind beide Alkoholiker. Ständig haben sie sich gestritten und sogar gegenseitig geschlagen. Das habe ich zuletzt einfach nicht mehr ausgehalten. Es hat mich zerrissen und ich hatte Angst, auch so zu werden.“

Derrick Faulkner nickte in Gedanken. „Das tut mir sehr leid, Dayana. Nun komm, bringen wir die Formalitäten hinter uns.“

Kriminalistische Kunstkniffe

Da es einen Gefangenen in der Polizeistation gab, war Sergeant Sarah Dechiles bis Mitternacht auf ihrem Posten geblieben, bis Derrick Faulkner sie abgelöst hatte. Nachdem die Polizistin gegangen war, hatte er kurz in den Zellentrakt geschaut, wo Dayana Tanguy friedlich schlief. Anschließend hatte er seinen Laptop eingeschaltet und sich nochmal in Bezug auf die Rechtslage auf den neuesten Stand gebracht.

Derrick Faulkner war bewusst, dass Commissioner Patterson irgendwann hinter sein kleines Spielchen kommen würde. Doch in diesem Fall war ihm das Wohl des Mädchens wichtiger, als irgendwelche Paragraphen. Er konnte nur hoffen, dass Commissioner Selwyn Patterson dafür Verständnis aufbringen würde.

Nachdem er eine Weile darüber gegrübelt hatte, stand er auf und begab sich zum Whiteboard. Sinnend sah er auf den Spielstand, den er oben notiert hatte. Er war sich sicher, dass der Ermordete damit einen Hinweis auf seinen Mörder hatte geben wollen und es oblag ihm, intelligent genug zu sein, diesen Hinweis zu verstehen. Doch im Moment verstand er an diesem Hinweis rein gar nichts.

Die 30 hatte er zuerst mit den beiden Frauen in Verbindung gebracht. Doch von Florence hatte er vorhin erfahren, dass die Werbefirma von James Watt und seiner Frau THIRTY DEGREES MARKETING hieß. Also musste er sich auf die Bedeutung der Null konzentrieren. Nach den Aussagen der Hinterbliebenen hatte Henderson Wayne seinen Schwager eine Null genannt. Das würde passen, doch es fehlte ein brauchbares Motiv. Das fehlte bisher auch bei beiden Frauen. Mittel und Möglichkeiten hatten alle drei gehabt, darum war es so wichtig, auf das Motiv zu kommen. Also würde er, nach der Verurteilung des Mädchens, mit voller Energie in diese Richtung ermitteln müssen.

Derrick Faulkner schloss seine Augen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Florence hatte zu berichten gewusst, dass sich das Verhältnis zwischen Henderson Wayne und seiner Verlobten, nach dem Unfall, immer mehr angespannt hatte. Doch das mochte daran liegen, dass Natalie Lorrimer den Unfallwagen gefahren hatte.

Faulkner seufzte leise. Laut des medizinischen Befundes war Wayne an den Folgen des Treppensturzes gestorben. Wer immer den Mann getötet hatte, er oder sie hatte das Ganze vermutlich sehr genau geplant. Nach seiner Erfahrung gab es bei Morden keine Zufälle. Nach einer Weile begannen seine Gedanken, sich im Kreis zu drehen. Er döste weg und wachte erst wieder auf, als draußen das erste fahle Licht des anbrechenden Morgens die Landschaft in ein unwirkliches Licht tauchte.

Derrick Faulkner reckte sich und stand auf, um sich einen Kaffee zu machen. Ein kurzer Regenschauer hatte etwas Abkühlung gebracht. Doch auch mit knapp 20 Grad Celsius war der anbrechende Morgen ungewohnt warm für ihn. Es würde sicherlich einige Zeit brauchen, bis er sich an das hiesige Klima gewöhnt hatte.

Faulkner zog sein Hemd aus, legte den Rückenhalfter mit dem Messer ab und zog sich danach wieder an. Den Halfter nachdenklich betrachtend legte er ihn schließlich wieder in die Schublade seines Schreibtisches, der er sie gestern entnommen hatte.

Darum bemüht leise zu sein, um Dayana nicht aufzuwecken, schüttete sich Faulkner eine große Tasse Kaffee ein, als er durchgelaufen war, und begab sich wieder hinter seinen Schreibtisch. Dabei fragte er sich zum wiederholten Mal, ob es falsch war, was er zu tun beabsichtigte. Doch auch diesmal sagte er sich, dass der Mensch vor Paragraphen gehen musste. Andererseits gefiel es Faulkner nicht, das Recht in dieser Form auszulegen. Er fragte sich, ob er diese Ausnahme machen durfte. Seine Befürchtung war, dass es keine bleiben würde, wenn er diese Grenze erst einmal überschritten hatte.

Noch gestern Nachmittag hatte er mit Richterin Anne Stone telefoniert, um für heute eine Verhandlung anzuberaumen. Florence hatte behauptet, dass diese Frau nicht umsonst als Eiserne Lady bezeichnet wurde. Nun, die Reibeisen-Stimme hatte, nach der Meinung des Inspectors, zu dieser Bezeichnung zumindest schon einmal gepasst.

Unzufrieden mit sich selbst zog der Polizist das Notizbuch zu sich heran, schaltete seinen Laptop ein und lenkte sich damit ab, im Internet Informationen über Henderson Wayne zu suchen. Das Notizbuch aufschlagend, jedoch nichts notierend, las er einen längeren Artikel, der sich mit dem Autounfall der Tennislegende beschäftigte. Nach der Durchsicht einiger weiterer Artikel darüber schloss er das Notizbuch wieder, frustriert darüber, dass er nichts gefunden hatte, was sich zu notieren gelohnt hätte.

Der Polizist trank den Rest seines Kaffees, erhob sich und schritt dann auf die Veranda hinaus. Sich mit den Ellenbogen auf das Geländer lehnend blickte er über die Dächer der tiefer liegenden Häuser auf das Meer hinaus. Nicht mehr lange und Honoré würde zum Leben erwachen. Faulkner hatte die Zeit, kurz vor Sonnenaufgang, stets gemocht. Sie versetzte ihn in eine ruhige und friedfertige Stimmung. Auf den Wellen spiegelten sich bereits die Reflexe der aufgegangenen Sonne, die sich, hier in Honoré, noch hinter den östlichen Hügeln verbarg. Zu seiner Rechten schlug die Kirchturmuhr sieben.

Zu Überraschung des Inspectors tauchte bereits zehn Minuten später Florence Cassel auf, denn ihr Dienst begann erst um acht Uhr.

Sie begrüßten sich knapp, als sie oben bei Faulkner ankam. Nach einem kurzen Moment erschien Florence wieder auf der Veranda und stellte sich zu ihrem Vorgesetzten. Es dauerte eine Weile, bis sie leise meinte: „Sir, Sie hatten es gestern ziemlich eilig, mit Richterin Stone zu telefonieren.“

„Ich möchte den Fall mit der Diebin abschließen, Florence“, erwiderte der Mann ausweichend. „Damit wir uns voll und ganz auf den Mord konzentrieren können.“

„Haben wir das Alter der Diebin schon bestätigt, Sir.“

Der Inspector sah Florence an und erwiderte: „Nein, das erledigen wir heute Nachmittag. Es gibt jedoch vorerst keinen Grund zu der Annahme, die Diebin wäre nicht achtzehn. Sie macht zumindest den Eindruck. Ist vermutlich eine reine Formsache.“

Die Augenbrauen der Polizistin hoben sich. „Sollten wir das nicht zuerst erledigen?“

Der Inspektor sah die Frau nur unwillig an und sie hakte sofort nach: „Sie kennen schon die Antwort darauf, nicht wahr, Sir?“

„Es vermeidet eine menschliche Tragödie, die Fakten in diesem Fall nicht zu früh zu kennen, also fragen Sie nicht weiter. Ich will Sie da nicht mit hineinziehen, Florence.“

„Das haben Sie bereits getan, Sir. Wir sind ein Team. Also, reden Sie mit mir.“

Der Mann zögerte einen Moment lang, bevor er eindringlich erklärte: „Was ich weiß ist, dass die Diebin bei sich Zuhause die Hölle erwarten würde. Sagen wir also, es wäre besser, wenn sie zunächst eine dreimonatige Strafe auf Saint-Marie verbüßen müsste. Dann würde sich dieses Problem quasi von selbst erledigen.“

Florence Cassell, die gut zwischen den Zeilen lesen konnte, fragte nach: „Was sagt das Gesetz dazu?“

„Von dieser Seite her ist die Sache einwandfrei. Sie muss nur vor einer Verifizierung ihres Alters rechtskräftig verurteilt werden. Was durchaus wahrscheinlich ist, da ich mich bis dahin auf die Aussage der Festgenommenen stützen kann. Also bitte, Florence.“

Die Frau sagte für eine ganze Weile nichts. Endlich deutete sie ein Lächeln an und fragte sanft: „Sie haben Mitleid mit dem Mädchen und entscheiden deshalb mit dem Herzen, statt sich neutral an das Gesetz zu halten, wie es Ihre Pflicht wäre? Das ist riskant, Sir.“

„Das weiß ich.“

Florence nickte. „Wie ich bereits sagte, wir sind ein Team. Ich halte ihnen also den Rücken frei. Doch das hier sollte ein absoluter Ausnahmefall bleiben, denn ich kann und will so etwas nicht permanent decken. Sie verstehen mich, Sir?“

Derrick Faulkner sah seine Kollegin dankbar an. „Ich verstehe Sie, Florence und ich verspreche Ihnen, dass ich das nicht zur Gewohnheit werden lasse. Der Commissioner wird mir dafür ohnehin die Ohren langziehen, wenn er Wind davon kriegt.“

„Vermutlich wird er das, Sir. Doch der Commissioner ist kein Unmensch.“

Faulkner nickte nur und folgte nach einem Moment der Polizistin ins Innere der Station, um nach Dayana Tanguy zu sehen.
 

* * *
 

Der Prozess gegen Dayana Tanguy, wegen mehrfachen Diebstahls, dauerte nicht lange. Es kam, wie Derrick Faulkner es dem Mädchen vorausgesagt hatte. Richterin Anne Stone verurteilte sie zu drei Monaten Dienst bei der Stadtreinigung von Honoré. Da sie obdachlos und mittellos war, wurde ihr eine einfache kleine aber saubere Unterkunft gestellt. Bereits am nächsten Tag sollte sie ihren Strafdienst antreten.

Als Derrick Faulkner mit der Verurteilten das Gerichtsgebäude verließ, um sie zu der neuen Unterkunft zu fahren, kam ihnen Commissioner Selwyn Patterson entgegen. Der Chief schickte das Mädchen zum Land-Rover und wappnete sich innerlich für das, was nun vermutlich auf ihn zukommen würde. Zumindest schwante Faulkner nichts Gutes, bei der finsteren Miene seines Vorgesetzten.

„Guten Morgen, Inspector Faulkner“, sprach Patterson seinen Untergebenen mit tragender Stimme an. „Auf ein Wort.“

Derrick Faulkner nahm unwillkürlich Haltung an und erkundigte sich neutral: „Natürlich, Commissioner. Was kann ich für Sie tun?“

Einen bezeichnenden Blick zu dem Mädchen am Land-Rover werfend grollte der ergraute Commissioner: „Für diese Frage ist es wohl etwas zu spät, Inspector. Aber immerhin könnten Sie mir die Gründe nennen, für ihr unkonventionelles Verhalten.“

Der Inspector sah in den Augen des Commissioners, dass dieser genau wusste, was im Gange war und er entschloss sich dazu, dem Mann reinen Wein einzuschenken. Im Verlauf der Beichte stellte er klar, dass er allein es gewesen war, der entschieden hatte.“

Nachdem der Inspector geendet hatte, sah der Commissioner erneut zu dem Mädchen und danach zu seinem Untergebenen. „Ich habe so eine Ahnung, welche Gefühle Sie bei dieser Aktion geleitet haben, Inspektor. Also schön. Ich werde mich vor Sie stellen. Weil Sie ehrlich waren und sonst keinen verpfiffen haben. Aber sollten Sie mir bei einer wichtigen Sache hier auf Saint-Marie querschießen, dann werde ich Sie - wie könnte man das am besten sagen? Dann werde ich Sie kielholen lassen. Auf dem neuesten Flugzeugträger Ihrer britischen Majestät und das wird bestimmt kein Vergnügen, Inspector.“

Die Haltung des Inspectors straffte sich noch etwas mehr. „Verstanden, Sir.“

„Dann wünsche ich Ihnen noch einen guten Tag.“

Der Commissioner schritt in Richtung des Gerichtsgebäudes davon und Derrick Faulkner sah im mit gemischten Gefühlen nach. Nach einem Moment aufatmend schritt er zu dem Rover, wo ihn Dayana fragend musterte.

„Der sah ziemlich sauer aus, Inspector.“

„Der war ziemlich sauer“, gab der Mann trocken zurück. „Aber er hat mir nicht den Kopf abgerissen und ich habe meinen Job noch. Also gut gelaufen, könnte man sagen.“

„Danke, Sir.“

Der Polizist winkte ab. „Schon gut. Jetzt setze ich dich erst einmal bei deinem neuen Zuhause ab. Du versprichst mir, dass du in den nächsten drei Monaten keinen Ärger machen wirst, denn ich habe mich für dich ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt.“

Das Mädchen nickte ernsthaft und stieg in den Wagen.

Als sie vor der Unterkunft hielten, zerrte Derrick Faulkner seine Geldbörse heraus und entnahm ihr 300 Ostkaribische Dollar. Sie dem Mädchen reichend meinte er: „Davon kaufst du dir etwas zu essen und ein paar neue Klamotten. Das ist nicht geschenkt, Dayana. Nachdem du deine Strafe verbüßt, und einen festen Job gefunden hast, zahlst du mir das Geld irgendwann zurück. Das hat aber keine Eile.“

Dayana Tanguy wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihre Augen schimmerten feucht, als sie zögernd die Geldscheine nahm. Sie schluckte und fragte: „Warum tun Sie das, Mister?“

Derrick Faulkner sah das Mädchen offen an und schluckte trocken. Etwas kratzig erwiderte er: „Ich hatte eine Tochter. Als sie acht Jahre alt war, wurden sie und meine Frau ermordet. Für sie kann ich nicht mehr da sein, aber für dich schon. Du erinnerst mich an meine Tochter Nancy, obwohl sie dir gar nicht ähnlich sah. Darum möchte ich nicht, dass du dein Leben verpfuschst, zumal du gar nichts dafür kannst.“

Das Mädchen sah ihn stumm an und nahm ihn nach einer Weile spontan in die Arme.

Als sie ihn wieder freigab, sagte Faulkner betont grob, damit seine Emotionen ihn nicht übermannen konnten: „Jetzt raus mit dir, du Racker. Ich habe zu tun.“

Das Mädchen stieg rasch aus. Draußen winkte Dayana ihm noch einmal zu und betrat das zweistöckige Gebäude, vor dem der Rover stand. Faulkner wartete eine Weile und sah sinnend durch die Windschutzscheibe des Rovers, bevor er den Motor startete und losfuhr.
 

* * *
 

Zurück auf dem Revier sah Florence Cassell ihren Vorgesetzten fragend an. „Wie ist es gelaufen, Sir?“

Derrick Faulkner grinste schief und machte eine wiegende Geste mit der linken Hand. „Die Verurteilung ist durch. Gleich nach dem Verlassen des Gerichts habe ich den Commissioner getroffen. Nun, Sie sehen es ja. Der Kopf ist noch dran.“

Sowohl Sarah Dechiles, als auch Wellesley Karr, die mit der letzten Bemerkung des Inspectors nichts anzufangen wussten, sahen von Faulkner zu Florence, die jedoch nur unmerklich den Kopf schüttelte.

Derrick Faulkner entging dies während er unverwandt auf das Whiteboard starrte. Nach einer Weile sah er zu Florence und fragte, etwas abwesend: „Haben wir die Kopie des Testaments, Detective-Sergeant?“

„Ja, Sir. Wie ich es vermutet hatte, ist seine Verlobte, Natalie Uma Larissa Lorrimer, die Hauptbegünstigte. Seine Schwester Ann-Doreen bekommt nur einen Anteil von zwanzig Prozent des Vermögens von Henderson Wayne.“

„Natalie Uma Larissa Lorrimer“, echote Sarah Dechiles. „Das ist kein Name, das ist ein Beruf. Jede Wette.“

„Ja, ist schon ein ziemlich krasser Name“, meinte Faulkner zustimmend. „Doch dafür kann sie letztlich nichts. Was sagt der Unfallbericht, aus England, Sergeant?“

Sarah Dechiles konzentrierte sich und gab Auskunft: „Damals hat besagte Frau mit dem krassen Namen hinter dem Steuer des Wagens gesessen. Sie hatte Glück und trug lediglich einige Rippenprellungen und einen Armbruch davon.“

„Was Sie so Glück nennen“, spöttelte Faulkner und zwinkerte Dechiles dabei zu. „Sieht nicht danach aus, als wäre das bereits ein Mordversuch gewesen. Außerdem hätte sie das gesamte Vermögen bekommen, wenn sie verheiratet gewesen wären.“

„Das potenzielle Motiv liegt also eher beim Ehepaar Watt“, stellte Florence Cassell fest und blickte dabei fragend zu Faulkner.

Zweifel lagen in den Augen des Inspectors. „Nur, falls Henderson Wayne nicht vorhatte, sich von seiner Verlobten zu trennen oder sein Testament zu ändern.“

„Wir haben in den sichergestellten Unterlagen des Verstorbenen kein solches Dokument gefunden und es scheint auch keine Hinweise oder Gerüchte über eine Trennung zu geben, Sir“, warf Wellesley Karr ein. „Übrigens, Sir, die Verlobte von Henderson Wayne hat vorhin angerufen und darum gebeten, dass wir den Rollstuhl zurückgeben. Wie sie sagte, möchte sie ihn aus sentimentalen Gründen wiederhaben.“

„Falls sie nochmal anruft, dann sagen Sie ihr, dass wir den Rollstuhl noch für unsere Untersuchungen brauchen“, gab der Inspector zurück. Danach sah er in die Runde und meinte: „Findet das außer mir noch jemand schräg? Ich meine, wer stellt sich ausgerechnet einen Rollstuhl als Andenken an eine Person in die Bude? Wozu gibt es denn Fotos?“

Keiner von Derrick Faulkners Untergebenen schien eine Idee zu haben und der Inspector sagte nach eine Weile: „Das dachte ich mir.“

Nachdem Faulkner noch eine Weile nachdenklich dagestanden hatte, sah er zu Florence und meinte zu ihr: „Ich hole jetzt den Rollstuhl und wir zwei machen ein paar Versuche auf der Veranda, Florence.“

„Was denn für Versuche, Sir?“

„Werden Sie dann schon sehen.“

Nach nebenan, in den Asservaten-Raum verschwindend, hörten Derrick Faulkners Untergebene ihn für eine Weile rumoren, bevor er wieder mit dem Rollstuhl bei ihnen auftauchte. Er schob ihn nicht, sondern trug ihn umständlich zur Tür hinaus.

Florence Cassell sah Dechiles und Karr verwirrt an, bevor sie ihrem Vorgesetzten hinaus auf die Veranda folgte.

Draußen hatte Derrick Faulkner inzwischen den Sport-Rollstuhl dicht an der Holztreppe abgesetzt, die hinunter zur Vorveranda führte, auf der eine Reihe von großen Blumenkästen stand. Von dort aus führte die Steintreppe hinunter auf die Straße.

Florence kam näher und fragte: „Was jetzt, Sir?“

Faulkner deutete auf den Rollstuhl und erklärte: „Ich setze mich jetzt in den Rollstuhl, dessen Bremse noch immer angezogen ist, Florence. So, wie es war, als wir den Stuhl vorgefunden haben.“

Faulkner umrundete den Rollstuhl und setzte sich hinein. Etwas hin und her rutschend, bis er einigermaßen bequem saß, stellte er schließlich seine Füße auf die entsprechenden Fußplatten.

Florence beobachtete den Inspector dabei, wie er damit begann, heftig in dem Rollstuhl vor und zurück zu schaukeln. Dabei musste sie sich ein Lachen verbeißen, da es so aussah, als würde ihr Vorgesetzter bei einem Heavy-Metal-Konzert voll mitgehen. Nach einem Moment warnte sie: „Seien Sie vorsichtig, Sir.“

Derrick Faulkner hörte auf zu wippen und sah seitlich zu Florence. „Ein Versagen der Bremse können wir ausschließen. Auch einen Unfall, denn die Bremse funktioniert so gut, dass Wayne unmöglich aus Versehen über die Kante des Treppenabsatzes gerollt sein kann. Das bedeutet im Umkehrschluss eins: Jemand hat nachgeholfen.“

„Wie wir bereits vermutet haben, Sir.“

Faulkner nickte. „Richtig, Florence. Stellen wir mal fest, wie kräftig jemand sein muss, um den Rollstuhl, mit Inhalt, umkippen zu können.“

„Sir?“

„Versuchen Sie, mich aus dem Rollstuhl zu kippen, Florence. Keine Sorge, ich bin ja nicht so hilflos, wie Henderson Wayne.“

„Wenn Sie meinen, Sir.“

Etwas zögerlich trat die Polizistin hinter den Rollstuhl. Dann packte sie von unten fest die beiden Griffe, die zum Schieben gedacht waren und kippte den Rollstuhl schwungvoll nach vorne. Dabei wurde sie davon überrascht, dass es wesentlich einfacher gelang, als sie es zuvor angenommen hatte.

Nicht weniger überrascht war Derrick Faulkner, der vornüber fiel. Er hatte geplant rechtzeitig aus dem Rollstuhl zu springen, doch für dieses Vorhaben passierte alles viel zu schnell. Er schaffte es gerade noch, die Arme schützend über seinen Kopf zu legen, bevor er die Holztreppe hinunterfiel. Einen Moment später krachte der Rollstuhl auf ihn und Faulkner gab ein schmerzhaftes Ächzen von sich.

Während Florence Cassell bestürzt zu ihrem Vorgesetzten hinuntersah, empörte sich lautstark eine Frau, die auf der Straße, vor der Station, diese Szene verfolgt hatte.

„Bist du völlig von Sinnen, Florence? Was machst du denn da mit einem hilflosen Kranken?“, schrie eine helle Stimme zu der Polizistin hinauf.

Auf die Straße hinuntersehend, erkannte die Polizistin ihre Freundin Céline. Immer noch etwas unter dem Eindruck der Ereignisse stehend rief sie zurück: „Er wollte das so!“

„Ach ja?“

Zur Überraschung der Taxifahrerin kam von dem Mann, den sie nicht erkannt hatte, in diesem Moment ein Lebenszeichen, als er grollend meinte: „Krank ist okay, Céline, aber das hilflos nehmen Sie gefälligst zurück.“

Céline, die schnell die Treppe hinauf gerannt war, kniete sich zu dem Mann hinunter, der sich langsam vom Boden aufrappelte. Sie legte ihre Hand auf seine Wange und fragte überrascht: „Sie sind das?“

Die Lippen des Mannes verzogen sich zu einem schmerzlichen Grinsen und Céline nahm schnell ihre Hand wieder fort.

Als Faulkner endlich aufrecht stand, hielt er sich den linken Arm und gab zurück: „In voller Größe. Florence hat mich wirklich auf meine Anweisung hin hier herunterbefördert. Allerdings hatte ich das Ende etwas anders geplant. Es handelt sich um eine Ermittlung.“

Von weiter oben sagte Florence: „Schön, dass wir uns endlich wiedersehen, Céline. Ich wollte dich eigentlich gestern besuchen. Was machst du hier?“

„Ich hatte dieselbe Idee, Flo. Bevor ich gesehen habe, wie du mit Rollstuhlfahrern umspringst, wollte ich mal kurz hereinschauen, um dich auf der Insel zu begrüßen.“

Derrick Faulkner nahm den Rollstuhl zur Seite, um Céline den Weg nach oben freizumachen. Danach folgte er der Frau, inklusive des ziemlich ramponierten Transportgerätes, hinauf zur Veranda.

Florence zog ihre alte Schulfreundin schnell zu der Bank hinüber, die zwischen zwei der Türen stand.

Derrick Faulkner schritt derweil mit dem Rollstuhl ins Innere der Station, wo er aus den Augenwinkeln mitbekam, wie sich Sarah Dechiles und Wellesley Karr rasch an ihre Schreibtische setzten.

Mit einem unterdrückten Schmunzeln ob der Neugier seiner Untergebenen brachte der Inspector schnell den Rollstuhl zurück.

Als Faulkner in den Büroraum zurückkam, sah ihn Sarah Dechiles etwas erschrocken an und deutete auf seinen linken Arm. „Sie bluten, Sir.“

„Ich habe keine Zeit zum Bluten.“

Sarah Dechiles erhob sich und holte den Verbandskasten. Mit ihm zu ihrem Vorgesetzten gehend, gab sie ärgerlich zurück: „Das hier ist nicht der Film PREDATOR, Sir. Ich hoffe, Sie haben wenigstens Zeit genug, um sich von mir verbinden zu lassen.“

„Schon gut, Sergeant“, erwiderte Faulkner beschwichtigend und hielt ihr den Arm hin. „Mögen Sie den Film?“

Während die Frau die Wunde desinfizierte und sie anschließend verband, bestätigte sie: „Ja, der Film gefällt mir. Auch, wenn manche Sprüche ziemlich albern sind.“

„Ich habe es ja verstanden, Sergeant.“

Die Frau grummelte vor sich hin, erwiderte aber nichts darauf. Nach einer Weile legte sie zwei Klammern an, mit denen sie den Verband schloss.

Das Werk seiner Untergebenen begutachtend meinte Faulkner: „Sie haben das offensichtlich nicht zum ersten Mal gemacht, Sergeant?“

„Leider“, antwortete Dechiles lakonisch und verstaute den Verbandskasten wieder. „Seien Sie das nächste Mal einfach etwas vorsichtiger, Sir.“

Mit gelinder Verwunderung zu Sarah Dechiles sehend, wandte sich der Inspector um und blickte zum Whiteboard. Nach einem Moment nahm er einen Filzschreiber von der Ablage des Boards und notierte: Sturz war kein Unfall! Den Filzschreiber schließend und wieder zurücklegend grübelte Faulkner über das Verhalten des Sergeants nach. Offensichtlich hatte sie sich wirklich Sorgen um ihn gemacht. Mit einem unbewussten Lächeln schritt er zu seinem Schreibtisch, setzte sich in den Lehnstuhl und dachte über das nach, was er und Florence draußen herausgefunden hatten. Dabei bekam er mit, wie Karr einen Anruf entgegennahm und dem Anrufer mitteilte, dass der Rollstuhl von Henderson Wayne noch Teil der aktuellen polizeilichen Ermittlungen sei.

Noch bevor Karr den Hörer wieder aufgelegt hatte, sah Faulkner zu dem Officer und erkundigte sich: „Das war schon wieder Natalie Lorrimer?“

„Ja, Sir“, bestätigte der Officer. „Diese Frau entwickelt sich echt zur Nervensäge.“

Das Telefon klingelte erneut. Diesmal nahm Sarah Dechiles ab, während Faulkner fragend zu Karr sah.

Sarah Dechiles sagte nach einer Weile nur: „Ich werde es ihm ausrichten.“

Nachdem Sergeant Dechiles den Hörer aufgelegt hatte, sah sie zu ihrem Vorgesetzten und erklärte: „Der Anruf kam vom Flugplatz, Sir. Dort ist ein Paket für Sie angekommen.“

Das Gesicht des Inspectors hellte sich auf. Sich hinter seinem Schreibtisch erhebend sah er zu Dechiles und sagte freudig: „Wir fahren sofort dorthin, Sergeant. Und danach bringen Sie mich zu meiner Hütte, denn in diesen Sachen, die ich seit gestern trage, kann ich nicht vernünftig nachdenken.“

Sich an Officer Karr wendend erkundigte sich Faulkner: „Wann bekommen wir übrigens den abschließenden Autopsie-Bericht?“

„Nicht vor morgen Früh, schätze ich.“

Der Inspector bedankte sich bei Karr, schritt zu Sarah Dechiles und gab ihr die Schlüssel des Land-Rovers. „Auf geht’s, Sergeant. Sie fahren.“

Flirts und Versicherungen

Umgezogen und sich dadurch wesentlich wohler fühlend, stieg Derrick Faulkner eine Stunde später, gemeinsam mit Sarah Dechiles die Treppen der Polizeistation hinauf.

Der Sergeant sah Faulkner an und meinte feststellend: „Sie fahren also regelmäßig Fahrrad, um sich fit zu halten, Sir. Ich selbst bevorzuge es, zu laufen – und zu tanzen natürlich auch.“

„Tanzen?“

Sie betraten das Büro und erst dort antwortete Dechiles: „Ja, im bunten Nachtleben von Honoré, Inspector.“

„Honoré hat ein Nachtleben?“

Die Polizistin lachte vergnügt. „Nicht ganz so offensichtlich, wie in London, aber ja. Vielleicht möchten Sie heute Abend mitkommen, dann machen wir Honoré unsicher.“

Derrick Faulkner überlegte kurz und gab nachdenklich zurück: „Kein schlechter Gedanke, Sergeant. Obwohl wir, als Polizisten, das Gegenteil bewirken sollten.“

„Ach was, Sir“, zerstreute Dechiles die Bedenken ihres Vorgesetzten. „Etwas tanzen und ein oder zwei Cocktails – was soll da schon passieren. Sie können doch tanzen?“

„Ja, was das betrifft, gibt es keine Probleme. Also gut. Wann und wo treffen wir uns?“

Sarah Dechiles machte ein vergnügtes Gesicht. „Ich hole Sie um acht Uhr ab und wir fahren im Rover hierher, um ihn abzustellen. Von hier aus ist es nicht weit.“

„Ich erwarte Sie also etwa gegen halb neun“, stimmte Derrick Faulkner ironisch zu und schmunzelte fein, als die Frau ihre Stirn runzelte.

Florence Cassell, die an ihrem Schreibtisch saß, warf dem Inspector einen langen Blick zu, kommentierte die Unterhaltung jedoch nicht weiter.

Derrick Faulkner entging nicht, dass Florence etwas auf der Seele zu liegen schien, doch er beschloss darauf zu warten, dass sie von sich aus das Thema anschneiden würde. Gegenwärtig verfolgte er andere Gedanken. Er meinte schließlich: „Wir fahren nochmal zu den drei Hinterbliebenen, Florence. Momentan haben wir nicht wirklich etwas in der Hand. Vielleicht kriegen wir etwas heraus, wenn wir sie selbst mit einigen Details füttern.“

Florence nickte knapp und folgte ihm hinaus.

Unterwegs blieb es zunächst still zwischen ihnen, bis die Polizistin geradeheraus fragte: „Halten Sie es für richtig, mit Sergeant Dechiles auszugehen?“

Die Überraschung im Blick des Inspectors war echt, als er fragte: „Wie meinen Sie das? Wir haben kein Date. Dechiles und ich sind Kollegen. Außerdem sind wir zwei auch schon essen gegangen. Ganz zu schweigen davon, dass man Ihnen nachsagen könnte, bereits eine Nacht bei mir verbracht zu haben. Doch wir beide wissen, dass das ganz harmlos war.“

„Schon richtig“, räumte Florence ein. „Dennoch…“

„Okay, warum denken Sie, dies wäre eine andere Situation?“

Florence Cassell suchte nach Worten. Erst nach einer Weile meinte sie: „Ich habe einfach den Eindruck, dass Sergeant Dechiles mehr darin sieht?“

Verwundert hob Derrick Faulkner seine Augenbrauen. „Und das gefällt Ihnen nicht?“

Die Frau sah Faulkner grüblerisch an, bis er seufzend meinte: „Sollte sich das bewahrheiten, dann werde ich Sarah Dechiles enttäuschen müssen, fürchte ich. Es wird nämlich so ablaufen, Florence: Wir werden gemeinsam etwas trinken, uns unterhalten und vielleicht sogar tanzen. Doch danach wird jeder zu sich nach Hause gehen. Allein!“

Etwas beruhigter wirkend meinte Florence: „Klingt vernünftig, Sir.“

„Nein, das klingt, als wäre ich vierzehn und würde ich mich bei meiner Mom rechtfertigen müssen. Falls es Ihnen entgangen sein sollte, das war kein Kompliment.“

Florence sparte sich einen Kommentar dazu und Faulkner wechselte das Thema: „Wie fanden Sie das Kostüm, das Natalie Lorrimer bei unserem ersten Besuch trug? Ich meine, dieses auffällige, bordeauxrote Kostüm.“

„Nicht mein Fall“, gab die Polizistin zurück. „Etwas zu auffällig, für meinen Geschmack, Sir.“

„Verstehe, Sie gehören zu den Frauen, die sich morgens vor den Spiegel stellen und dabei denken: Was könnte ich nur anziehen, damit mich nur bloß keiner ansieht?

Florence Cassell sah Faulkner strafend an und dieser beschwichtigte rasch: „Das war nur ein Scherz, Florence. Wie verlief übrigens Ihr Wiedersehen mit Céline?“

„Sehr gut. Ich habe sie, bei dieser Gelegenheit, gleich zu meiner Geburtstagsfeier eingeladen. Morgen Abend, im LA KAZ, nach Feierabend. Ich hoffe, Sie kommen auch, Sir.“

„Sehr gerne, Florence.“

Sie erreichten die Villa.

Nachdem das Tor hinter sich gelassen hatten, schritten sie, über den breiten Kiesweg auf die Villa zu und Florence erkundigte sich bei dem Inspector: „Ich nehme an, dass diesmal Sie die Befragung leiten möchten, Sir?“

„Richtig“, bestätigte Faulkner knapp. „Aber wundern Sie sich nicht, wenn ich erwähne, dass in der Nähe der Villa, am Tag des Unglücks, jemand gesehen wurde. Ich bin sehr gespannt, ob einer der drei Verdächtigen darauf anspringen wird. Im Grunde sind wir überhaupt nur deswegen hier.“

Es war die Schwester von Henderson Wayne, die sie am Eingang der Villa empfing. Ganz in Schwarz gekleidet, sah sie fragend zu den beiden Beamten. „Was wollen Sie?“

Faulkner wunderte sich nicht über diesen frostigen Empfang. Er selbst hatte, für mehrere Wochen, niemanden sehen wollen, nachdem man ihn, nachdem er damals aus dem Koma erwacht war, mit dem Tod seiner Familie konfrontiert hatte.

„Wir sind nur hier, weil wir einen Hinweis erhalten haben, der etwas mit dem Tod Ihres Bruders zu tun haben könnte, Misses Watt.“

Neugier spiegelte sich auf dem Gesicht von Ann-Doreen Watt, als sie die Beamten hereinließ. „Was für Hinweise denn?“

Faulkner wartete, bis sie den Salon erreicht hatten, in dem sie auf Natalie Lorrimer und James Watt trafen. Er schritt etwas vor an und sagte: „Ich erklärte Misses Watt eben, dass wir, im Fall des Todes von Henderson Wayne, einem neuen Hinweis folgen.“

James Watt sah die beiden Polizisten fragend an. „Was für einen Hinweis? Ich dachte, der Tod meines Schwagers sei als Unfall klassifiziert worden.“

„Nun, das war er auch, bis zu dieser Zeugenaussage. Jemand will eine fremde Person in der Nähe dieser Villa gesehen haben, Mister Watt. Möglicherweise war es also fahrlässige Tötung, oder gar vorsätzlicher Mord.“

Zur gelinden Überraschung von Derrick Faulkner war es Ann-Doreen Watt, die daraufhin sagte: „Dieser Zeuge meinte vermutlich dieses junge, abgerissene Ding, das in den Tagen zuvor mehrmals um die Villa herumgeschlichen ist. Eine Einheimische, würde ich sagen, Inspector.“

Faulkner wandte sich nun interessiert an die blonde Frau. „Könnten Sie das besagte junge Ding genauer beschreiben, Misses Watt?“

Die Frau sah in Gedanken zum Fenster hinaus und erwiderte nachdenklich: „Eine junge Frau. Sie trug kurze, zerschlissene Jeans, dazu irgend so ein gemustertes Topp und schäbige Stoffturnschuhe, wenn ich mich recht erinnere. Sie war ziemlich mager. Schulterlange, schwarze Haare.“

Faulkner fing einen vielsagenden Blick seiner Kollegin auf. Er ging nicht darauf ein, sondern wandte sich zu James Watt und Natalie Lorrimer. „Hat einer von Ihnen diese junge Frau auch gesehen?“

Die beiden Angesprochenen verneinten. Es war James Watt, der sich erkundigte: „Glauben Sie, dass dieses Mädchen etwas mit dem Tod meines Schwagers zu tun hat?“

Es war Florence Cassell, die darauf antwortete: „Das werden wir herausfinden, Sir.“

Faulkner machte sich eine kurze Notiz in seinem Block und steckte ihn zurück in die Brusttasche seines Hemdes. „Ich danke Ihnen, dass Sie sich in dieser Zeit der Trauer Zeit für uns genommen haben. Das war es dann auch schon.“

Die beiden Beamten verabschiedeten sich von den Hinterbliebenen. Als sie das Tor des Grundstückes erreichten meinte Florence: „Sir, es gibt eine Person, auf die Misses Watts Beschreibung passt.“

Faulkner öffnete das Tor, ließ seiner Kollegin den Vortritt und folgte ihr dann. Erst, nachdem sie wieder im Rover saßen und nach Honoré fuhren, meinte er: „Für mich ergibt das keinen Sinn. Warum hat Misses Watt das Mädchen nicht bereits zuvor, von sich aus erwähnt. Ist doch seltsam.“

Florence widersprach energisch: „Sir, wir können eine Aussage nicht deswegen ignorieren, weil sie uns nicht gefällt. Sie wissen, dass ich Recht habe.“

Der Inspector fuhr den Rover auf den Seitenstreifen der Straße und hielt an. Danach stellte er den Motor aus und sah seine Kollegin eindringlich an. Beschwörend sagte er: „Florence, ich habe dieses Mädchen sehr genau beobachtet. Ich habe mit Dayana geredet und ihr dabei in die Augen gesehen. Dieses Mädchen ist von Zuhause weggelaufen, weil sie es bei ihren gewalttätigen Alkoholiker-Eltern nicht länger ertragen hat. Unabhängig davon, was mir das Mädchen erzählte, habe ich natürlich eigene Recherchen angestellt, denn ich bin alles andere, als naiv. Diese Recherchen ergaben, dass die Eltern des Mädchens einige Male auf Saint-Lucia, immer wegen häuslicher Gewalt, vor Gericht standen. Das Mädchen war verzweifelt und ich bin davon überzeugt, dass sie viel zu viel Angst gehabt hätte, sich auf das Grundstück zu schleichen. Noch dazu bei Tag, wenn alle Bewohner da sind.“

„Beurteilen Sie die Lage wirklich objektiv, Sir?“

Derrick Faulkner hielt dem fragenden Blick seiner Kollegin stand. Überzeugend gab er zurück: „Ja, das tue ich, Florence. Ich werde jedoch, im Laufe des morgigen Tages, mal mit Dayana reden. Falls sie am Tag des Mordes in der Nähe der Villa gewesen ist, dann könnte ihr etwas aufgefallen sein, das uns weiterhilft.“

Florence Cassell schien mit sich zu ringen, bevor sie sagte: „Also schön, Inspector. Ich habe versprochen, Ihnen den Rücken freizuhalten und das werde ich auch.“

Erleichtert erwiderte Faulkner: „Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen.“

Danach startete der Inspector den Motor des Rovers und setzte die Fahrt fort.
 

* * *
 

Am Abend fuhr Sarah Dechiles mit dem Land-Rover um kurz vor halb neun vor der Hütte des Inspectors vor, wo Faulkner bereits auf sie wartete.

Als der Inspector zu Dechiles in den Wagen stieg, erlaubte er sich ein breites Grinsen und die Frau meinte warnend: „Sagen Sie nichts, Sir.“

Die Frau musternd, die nun statt ihrer Uniform ein schickes, eng anliegendes Röhrenkleid in schwarz und blau trug, nickte der Mann und erwiderte: „Wie könnte ich, bei diesem bezaubernden Anblick. Dann wollen wir mal, Sergeant.“

Sarah Dechiles, die ihrerseits den Inspector aufmerksam angesehen hatte, der nun statt Jeans eine dunkle Tuchhose, schwarze Schuhe und ein kurzärmeliges, dunkelblaues Hemd trug, nickte ihm zu. „Sie können sich aber auch sehen lassen, Sir. Ist Ihnen schon aufgefallen, dass wir quasi im Partnerlook unterwegs sind?“

„Sie haben Recht, Sergeant. Ist aber alles reiner Zufall, würde ich sagen.“

Die Frau grinste breit. „Na, ich weiß nicht.“

Nachdem Sie mit dem Rover zur Polizeistation gefahren waren, brauchten sie tatsächlich nur wenige Minuten, bis sie am Ende einer Seitengasse eine unscheinbare Holztür erreichten. Vor ihr stehenbleibend erklärte Sarah Dechiles dem Inspector: „Das hier ist der heißeste Schuppen auf der ganzen Insel, Sir.“

„Sieht eher aus, wie der Eingang zu einer Abstellkammer.“

Faulkners Untergebene warf ihm einen giftigen Blick zu und klopfte in einem bestimmten Rhythmus an der Tür.

Gleich darauf öffnete sich die Tür und ein wuchtiger Insulaner musterte sie kritisch. Als er die Frau ansah, begann der Riese zu lächeln. „Hallo Sarah, du warst schon seit einiger Zeit nicht mehr hier. Wen hast du denn da bei dir?“

„Meinen Chef, also benimm dich gefälligst, Jaden.“

Der Türsteher nickte dem Inspector zu und gab den Weg für ihn und Sarah frei. Hinter seiner Untergebenen betrat Derrick Faulkner das Etablissement und blieb nach drei Schritten stehen. Auf einer Tanzfläche aus poliertem Edelholz tanzten mehrere Dutzend Männer und Frauen zu heißen Reggaeklängen. Die meisten von ihnen jünger als er und Dechiles.

Nach einem raschen Rundumblick wandte sich der Inspector an Dechiles. „Der Laden ist wirklich toll, Sergeant.“

Die Frau lachte und begrüßte zwei gutaussehende Männer mit einer Umarmung und Küssen auf die Wangen, während sie sich zu zweit einen Weg zur Bar bahnten. Dort angekommen meinte die Polizistin vergnügt: „Das habe ich Ihnen doch gesagt. Möchten Sie lieber ein Bier oder einen Cocktail, Sir?“

„Lieber ein Bier. Cocktails kommen später an die Reihe.“

„Das ist ein Wort, Sir“, grinste die Frau und wandte sich dem Barkeeper zu.

Derrick Faulkner nutzte inzwischen die Gelegenheit, um sich genauer in dem Lokal umzusehen. Etwa dreiviertel der Gäste schienen dunkelhäutig zu sein. Offensichtlich war diese Location eher ein Geheimtipp, als ein bekannter Touristentreff. Die meisten Frauen hier trugen ganz ähnliche, figurbetonte Kleider, wie Sarah Dechiles. Die ein oder andere warf ihm einen interessierten Blick zu und lächelnd stellte Faulkner fest, dass er sich hier wohlfühlte.

Als er sich wieder seiner Kollegin zuwandte, reichte sie ihm eine Flasche ETENSEL und prostete ihm zu. Dabei fragte sie anzüglich: „Haben sie schon eine im Visier, Sir?“

„Nein - fünf“, erwiderte Faulkner spöttelnd.

Sie nahmen einen Schluck und als sie die Flaschen auf dem Tresen der Bar abstellten, erkannte Faulkner ein bekanntes Gesicht. Fast gleichzeitig stieß ihn Sarah Dechiles an und forderte ihn auf: „Sie sollten die Freundin von Detective-Sergeant Cassell um einen Tanz bitten. Sehen Sie, wie sie ihnen zuwinkt?“

„Sie sind nicht sauer, deswegen?“

„Ach was, ich angel mir schon einen anderen netten Typ.“

Der Inspector schüttelte grinsend den Kopf. „Okay, dann werde ich mal. Aber es ist schon Jahre her, seit ich zuletzt Reggae getanzt habe, also entschuldige ich mich besser jetzt schon bei Ihnen dafür, was Sie gleich sehen werden.“

Damit stieß sich der Inspector vom Tresen ab und bahnte sich einen Weg, zwischen den Tanzenden hindurch, auf Céline zu. In dem tiefvioletten engen Minikleid, das sowohl handgroße, rautenförmige Aussparungen an den Hüften, als auch eine zwischen Brüsten und Bauchnabel aufwies, hatte er sie eben fast nicht wiedererkannt.

Céline strahlte Faulkner an, als er sie erreichte. „Guten Abend, Derrick. Sarah hat Sie also dazu überredet das Tanzbein zu schwingen. Sie sehen chic aus.“

„Das Kompliment kann ich nur erwidern, Céline. Beinahe hätte ich Sie gar nicht erkannt, in diesem heißen Teil. Sie sehen toll aus.“

„Tanzen wir?“

„Dazu kam ich her.“

Derrick Faulkner mischte sich mit Céline zwischen die Tänzer und Tänzerinnen, wobei beide die Blicke der anwesenden Männer und Frauen auf sich zogen. Nachdem sie eine Weile miteinander getanzt hatten, spielte der DJ etwas langsamere Musik, zu der sich einige Paare in dem Lokal nun eng aneinandergeschmiegt bewegten.

Bevor der Inspector wusste, wie ihm geschah, trat Céline näher an ihn heran und legte die Arme um seinen Nacken. Fast automatisch umarmte Faulkner die Frau, die sich an ihn schmiegte, wobei sie ihn nicht aus den Augen ließ.

Nach einem Moment fragte Céline ihn: „Ist es Ihnen unangenehm so eng mit mir zu tanzen, Derrick?“

Faulkner sah Céline in die Augen und schüttelte den Kopf. „Nein. Es ist nur das erste Mal, dass ich, nach dem Tod meiner Frau, mit einer anderen Frau tanze. Das ist für mich nur etwas ungewohnt, das ist alles.“

Céline sah den Mann überrascht an. „Davon hat mir Florence gar nichts erzählt.“

„Na ja, vermutlich war sie sich nicht sicher, ob mir das unangenehm wäre. Ich würde das auch nicht jedem Menschen anvertrauen.“

Die Frau nickte mitfühlend und schmiegte sich wieder an Faulkner.

Aus den Augenwinkeln bemerkte der Inspector, dass Sarah Dechiles sich tatsächlich einen jungen und gutaussehenden Mann geangelt hatte, mit dem sie sich, dicht an dicht, über die Tanzfläche bewegte. Er selbst genoss für den Moment den Tanz mit Céline.“

Der Song war noch nicht zu Ende, als plötzlich Sarah Dechiles neben Faulkner auftauchte und drängend zu ihm sagte: „Ich fürchte, ich muss abklatschen, Sir!“

Derrick Faulkner öffnete seine Augen, die er für einen Moment geschlossen hatte und sah seine Kollegin unwillig an. „Sie müssen?“

Sarah Dechiles sah den Inspector ernst an und sagte scharf: „Unbedingt, Sir.“

Derrick Faulkner sah bedauernd zu Céline und sagte schnell: „Wir treffen uns später an der Bar, meine Kollegin muss offenbar etwas loswerden.“

Mit einem Augenzwinkern ließ Céline ihn und Sarah allein. Kaum war sie weg, zischte der Inspector: „Was soll denn das, Sergeant?“

Die Frau legte die Arme in seinen Nacken und verlangte verschwörerisch: „Spielen Sie mit, Sir. Und dabei sehen Sie dann unauffällig über meine linke Schulter.“

Faulkner legte locker die Arme um seine Kollegin und tat das, was Dechiles von ihm verlangt hatte. Nach einem Moment entdeckte er, in der Ecke der Location, James Watt. Zuerst dachte er, seine Frau wäre bei ihm, doch dann erkannte er, dass es sich um Natalie Lorrimer handelte, die er dort in seinen Armen hielt. Nach einem Moment küssten sich die beiden und Faulkner drehte den Kopf etwas zu Watt und seiner Begleiterin hin.

Als sich James Watt von der Frau löste, wandte Faulkner schnell den Blick ab und sah Sarah Dechiles an. „Das sind ja ganz neue Erkenntnisse. Ich glaube, die beiden sind gerade im Begriff zu gehen, Sergeant.“

„Folgen wir ihnen?“

Der Polizist schüttelte unmerklich den Kopf. „Nein. Bis wir am Land-Rover sind, wären die beiden vermutlich über alle Berge und zu Fuß fallen wir doch sofort auf. Außerdem wissen wir ja jetzt, was es zu wissen gibt. Die beiden haben, oder hatten, ein Verhältnis.“

„Was machen wir dann?“

Die Musik wurde wieder schneller und Faulkner meinte entsagungsvoll: „Ich werde mich bei Céline für unser Verhalten entschuldigen. Das mache ich. Was machen Sie?“

Zur Antwort nahm Sarah Dechiles vergnügt die Arme über den Kopf und begann damit, lasziv die schlanken Hüften hin und her zu wiegen.“

Derrick Faulkner grinste schief. „Hätte mir klar sein müssen.“

Als der Inspector die Bar erreichte, gesellte sich Céline zu ihm. „Das sah aber eher nach einem Arbeitsgespräch aus, als nach einem Tanz.“

„Das war es auch“, stimmte Faulkner der Frau schmunzelnd zu. „Unser Verhalten tut mir leid, doch es ging um ein Detail in einer Mordermittlung.“

„Dann verzeihe ich Ihnen“, gurrte die Frau und gab dem Inspector einen Kuss auf die Wange. Ihm danach fragend in die Augen sehend, legte sie die rechte Hand auf seine Wange und küsste ihn sanft auf die Lippen.“

Etwas erstaunt blickte Faulkner die Frau an und sagte rau: „Jetzt bin ich sprachlos. Von Florence habe ich zufällig erfahren, dass Sie…“

Faulkner brachte den Satz nicht zu Ende und so sagte Céline feststellend: „Sie dachten, ich würde auf Frauen stehen? Nun ja, aber eben nicht nur auf Frauen. Ich lege mich weder auf ein bestimmtes Geschlecht fest, noch auf einen bestimmten Partner, Derrick. Das schockiert Sie hoffentlich nicht.“

„Natürlich nicht. Jeder soll sein Leben so gestalten, wie es ihm oder ihr gefällt.“

Das Lächeln der Frau vertiefte sich und sich wieder gegen den Mann drängend fragte sie: „Dann wären Sie nicht abgeneigt, mich nach Hause zu begleiten, damit ich im Dunkel der Nacht nicht überfallen werde? Und Sie kämen noch auf einen Kaffee mit zu mir? Ich meine, natürlich nur, falls da zwischen Ihnen und Ihrer Kollegin wirklich nichts läuft.“

Derrick Faulkner zögerte kurz. Dann erwiderte er: „Da wir gemeinsam herkamen, muss ich mich, wenn wir gehen, zumindest von ihr verabschieden und mich für die Unhöflichkeit entschuldigen, fürchte ich.“

Céline seufzte: „Dass ihr Briten so übergenau sein müsst.“

„Das ist wohl eher die deutsche Seite“, berichtigte der Inspector und sah zur Seite, als sich Sarah Dechiles mit einem Mann im Schlepptau, den sie beim Hereinkommen begrüßt hatte, zu ihnen gesellte. Sie stellte ihn schlicht als Ernesto vor.

Sie verbrachten den Rest des Abends weitgehend zu viert und schließlich waren es Sarah Dechiles und Ernesto, die sich zuerst verabschiedeten.

Grinsend sah Céline den Inspector an, mit dem zusammen sie mehrere Cocktails getrunken hatte. „Damit sind Sie aus dem Schneider. Gehen wir dann auch?“

Derrick Faulkner, der bereits vor einer Weile eine Entscheidung getroffen hatte, nickte zustimmend. „Wir gehen. Zu Ihnen, oder zu mir?“

„Zu mir ist es näher“, gab Céline zurück.

In der schmalen Gasse, die zur Hauptstraße von Honoré führte, blieb Céline mit Faulkner an einer dunklen Stelle stehen und legte rasch beide Arme um seinen Nacken. „Da ist noch etwas, das ich bereits beim Tanzen tun wollte.“

Noch bevor Derrick Faulkner sich danach erkundigen konnte, was sie gemeint hatte, küsste Céline ihn sanft und der Inspector erwiderte den Kuss.“

Als sie sich nach geraumer Weile wieder voneinander lösten, sagte Céline ernsthaft: „Es ist aber, wie ich es dir im Lokal bereits sagte: Ich lasse mich nicht vereinnahmen.“

„Das sagtest du und ich akzeptiere das.“

„Dann lass uns gehen, Derrick.“

Spiel, Satz und Sieg

Florence parkte um 07:30 Uhr den Defender-110 neben der Hütte des Inspectors. Schon früher hatte sie ihre jeweiligen Vorgesetzten um diese Zeit hier aufgesucht, um sie anschließend zur Polizeistation zu fahren, da die Hütte doch ziemlich abseits von Honoré lag.

Der Inspector hatte ja versichert, er würde zu sich nach Hause gehen und keine wilde Geschichte mit Sarah Dechiles beginnen. Also ging sie ganz selbstverständlich davon aus, ihn hier vorzufinden. Vermutlich saß er gerade beim Frühstück.

Guter Dinge betrat Florence Cassell die Veranda und schritt zur Frontseite herum. Beide Türen waren geschlossen, was die Polizistin merkwürdig fand. Hatte der Inspector vielleicht doch Besuch bei sich. Vorsichtig spähte sie durch eine der Türscheiben ins Innere der Hütte. Zumindest das Bett schien unberührt zu sein.

Florence entschloss sich dazu eine der unverschlossenen Türen zu öffnen und rief ins Innere: „Inspector Faulkner?“

Alles blieb ruhig. Bei einem Blick zur Schrankwand, wo sie eine Bewegung entdeckt hatte, entdeckte sie Harry, die kleine Eidechse, die inzwischen zum Inventar der Hütte zu gehören schien. Zur Überraschung der Frau kam eine zweite Eidechse zum Vorschein, die schnell zu Harry herunterkrabbelte.

„Kaum bin ich mal ein Jahr weg, suchst du dir eine andere Freundin?“, sprach Florence mit der kleinen, etwas intensiver grünen Eidechse. „Du enttäuschst mich.“

Die beiden Eidechsen sahen die Frau gleichermaßen neugierig an, bevor sie behände wieder auf den Schrank hinaufkletterten.

Überzeugt davon, dass niemand sonst hier war, schloss die Frau die Tür wieder und schritt zur anderen Seite der Veranda. Auch dort war niemand zu sehen.

Als Florence ihre Schlüsse aus dem Fehlen des Inspectors zog, begannen ihre Augen gefährlich zu funkeln und sie murmelte: „Von wegen, jeder geht zu sich nach Hause. Mittel, Motiv und Möglichkeit. Das ist die Faustregel, der wir folgen, nicht wahr?“

Wütend stapfte sie zum Rover und fuhr zurück zur Polizeistation. Als sie von der Straße aus auf den kleinen Vorplatz des Reviers einbog, entdeckte sie ihren Vorgesetzten an einem Taxi stehen. Er gefiel sich darin, ihrer Freundin Céline einen Kuss zu geben, bevor diese sich lächelnd in das Taxi setzte, ihm zuwinkte und hupend an dem Rover vorbeifuhr.

Als Derrick Faulkner den Land-Rover entdeckte, blieb er stehen, um auf seine Kollegin zu warten, die den Wagen parkte und ihn rasch verließ.

„Guten Morgen, Florence“, begrüßte Faulkner sie gutgelaunt.

Die Angesprochene bemerkte sofort, dass der Inspector gelassener und zufriedener wirkte, als noch am gestrigen Abend. Es dauerte nur einen Moment, bis die Polizistin erahnte, warum das so war.

Nach einem knappen Gegengruß kam Florence gleich auf den Punkt und fragte: „Also, Sie und Céline?“

„Sie will keine feste Beziehung, falls Sie das meinen“, antwortete Faulkner offen.

„Ach“, machte die Polizistin. „Kommen Sie damit zurecht?“

Neben Florence die Treppe hinaufgehend gab der Inspector zu: „Momentan ist mir dieses Arrangement ganz recht. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob ich schon wieder bereit wäre, für eine feste Beziehung.“

Florence nickte in Gedanken. „Na, dann…“

„Wo waren Sie denn am frühen Morgen mit dem Rover, Florence?“

Die Frau warf ihm einen undefinierbaren Blick zu. „Ich war bei Ihnen draußen, um Sie abzuholen, Sir. Sie können sich bestimmt meine Überraschung vorstellen, als ich Sie dort nicht angetroffen habe.“

„Und gleichfalls Ihre Gedankengänge“, behauptete der Inspector. „Sie dachten doch bestimmt, dass ich, entgegen meiner Versicherung, die ich Ihnen gab, doch etwas mit dem Sergeant angefangen habe.“

„Der Gedanke kam mir“, gab Florence zu.

Sie betraten den Büroraum, wo Officer Karr bereits an seinem Schreibtisch saß. Abrupt das Thema wechselnd, berichtete Faulkner davon, was er und Sarah Dechiles gestern Abend gesehen hatten.

Gerade als Faulkner mit seinen Ausführungen endete, betrat Sergeant Dechiles den Raum. Verschmitzt grinsend grüßte sie in die Runde.

Vom Sergeant zum Inspector sehend meinte Florence Cassell ironisch: „Das nächste Mal gehe ich mit.“

Faulkner, der zum Whiteboard schritt und das neue Detail dort anschrieb, sah sich zu seinen Untergebenen um und sagte: „Das Bild setzt sich vor meinem inneren Auge zusammen aber ich habe das unbestimmte Gefühl, dass da noch etwas fehlt.“

„Sir, heute Morgen hat schon wieder diese Natalie Lorrimer hier angerufen“, mischte sich Wellesley Karr ein. „Ist dieser verdammte Rollstuhl so etwas, wie ein geheimer Schatz?“

Derrick Faulkner wirbelte zu dem jungen Officer herum. „Sagen Sie das nochmal.“

Etwas irritiert wiederholte Karr seinen Satz und Faulkner verschwand schnell in der Asservatenkammer des Reviers. Gleich darauf tauchte er mit dem ramponierten Rollstuhl wieder auf, holte sich ein Paar Untersuchungshandschuhe und begann damit, die Seitentaschen zu untersuchen. Einen Moment später zog er seine rechte Hand aus der rechten Seitentasche des Gerätes und hielt ein, in einer Schutzfolie eingeschobenes Dokument hoch. Die erste Seite kurz überfliegend erklärte er: „Das ist ein Testament.“

Der Inspector entnahm das Dokument der Folie, blätterte es vorsichtig durch und fügte dann hinzu: „Es ist noch nicht notariell beglaubigt, also nicht rechtskräftig. Officer Karr: Untersuchen Sie das Dokument und die Folie nach Fingerabdrücken.“

Der Officer nahm beides entgegen, nachdem er sich ebenfalls Gummihandschuhe übergestreift hatte.

Derweil wandte sich Faulkner an Sarah Dechiles: „Ich brauche dringend den Bericht darüber, was die Autopsie erbracht hat, Sergeant. Rufen Sie bitte an und machen Sie dem Labor etwas Druck.“

Als der Inspector zu Florence sah, fragte sie: „Sie wissen, wer es war, Sir?“

„Ich ahne es, Florence. Wenn ich den Autopsiebericht habe und Officer Karr die Fingerabdrücke auf dem Dokument findet, die ich dort vermute, dann weiß ich es.“

„Okay, sobald es so weit ist, werden wir alle Verdächtigen zusammenrufen und Sie konfrontieren sie damit, wer von ihnen der Mörder ist.“

Irritiert sah Faulkner zu Florence. „Wieso das denn? Wir verhaften den Täter. Aus.“

„So wurde das auf Saint-Marie in den letzten neun Jahren nicht gehandhabt, Sir. Ihre Vorgänger haben stets alle Verdächtigen zusammenkommen lassen, um ihnen dann die Lösung des Falles zu präsentieren. Oft war auch der Commissioner mit dabei. Der will bestimmt erfahren, wie Sie den Fall gelöst haben. Das wäre, besonders nach der Episode mit Dayana, ganz bestimmt auch gut für Ihr Ansehen bei ihm, Sir.“

Etwas verwirrt nickte Faulkner schließlich. „Wenn Sie es sagen, Florence. Dann machen wir es so. Zumindest dieses eine Mal.“

Erst als er Florence wieder ansah, fiel ihm auf, dass sie heute ein elegantes Kostüm trug, statt der üblichen Hotpants nebst Trägershirt. Gleich darauf erinnerte er sich daran warum und er reichte ihr lächelnd die Hand: „Übrigens, alles Gute zum Geburtstag.“

Die Frau nahm dankend die Glückwünsche entgegen und auch Sarah Dechiles und Wellesley Karr schlossen sich an.

Vor dem Whiteboard ging Derrick Faulkner noch einmal alle Fakten durch, bis Sarah Dechiles einwarf: „Inspector, der Bericht ist da.“

Der Einfachheit halber schritt Faulkner zu Dechiles und sah über deren Schulter hinweg auf den Bildschirm des Computers. Ungeduldig las Faulkner den Bericht und lächelte schließlich wissend. „Dachte ich es mir doch.“

Faulkner richtete sich wieder auf und sah zu Wellesley Karr. „Wie weit sind Sie, Officer. Konnten Sie Fingerabdrücke entdecken?“

Der Officer sah auf und nickte. „Es sind Abdrücke von zwei verschiedenen Personen auf der Folie, Sir.“

„Lassen Sie mich raten, Officer. Von dem Toten und von seiner Verlobten.“

Erstaunt sah Karr seinen Vorgesetzten an und nickte. „Woher wussten Sie das?“

Derrick Faulkner lächelte in Gedanken, bevor er meinte: „Alles andere hätte absolut keinen Sinn ergeben und auch nicht zum Spielstand gepasst.“

Wellesley Karr machte ein wenig geistreiches Gesicht. „Spielstand, Sir?“

„Ich erkläre es, wenn wir die Verdächtigen versammelt haben“, wich der Inspector einer sofortigen Antwort aus. „Wenn wir vor Ort sind, dann müssen Sie übrigens noch etwas für mich finden und als Beweismittel sichern.“

Faulkner wandte er sich an Florence. „Rufen Sie die Verdächtigen in der Villa zusammen. Ich werde den Fall vor Ort aufklären. Ach, und bestellen Sie bitte den Commissioner ebenfalls dorthin. Vielleicht ist er ja Tennis-Fan.“

Florence unterdrückte ein Lachen und gab zurück: „Wir sind beide ziemlich overdressed dafür, Sir. Besser, ich lasse die Kostümjacke hier, bevor sie noch zerknittert.“
 

* * *
 

Sieben Menschen hatten sich unter den großen Sonnensegeln, am Swimmingpool der gemieteten Villa versammelt. Auf der einen Seite James und Ann-Doreen Watt mit der Verlobten des verstorbenen Henderson Wayne. Auf der anderen Seite die gesamte Polizei von Saint-Marie, außer Wellesley Karr, der auf Geheiß des Inspectors im Innern der Villa ein Beweisstück suchen und sichern sollte.

Für Derrick Faulkner war diese Art der Aufklärung eines Mordfalles etwas ungewohnt und so machte er zunächst einen etwas nervösen Eindruck.

Bevor Faulkner etwas sagen konnte, erkundigte sich Natalie Lorrimer bei ihm: „Was soll dieser Unfug? Warum haben Sie hier die gesamte Polizei der Insel aufgeboten?“

„Dazu komme ich gleich“, beschied Faulkner ihr, jetzt ganz ruhig. „Ich habe bisher nie so verfahren, doch ich bin offen für Neues.“

Derrick Faulkner sah zum Commissioner, der ihm auffordernd zunickte.

„Also schön“, begann der Inspector mit seinen Ausführungen. „Fangen wir damit an, dass ich von Beginn an nie an einen Unfall geglaubt habe. Henderson Wayne wurde ermordet, und zwar von einem von Ihnen.“

Ann-Doreen Watt sprang von ihrem Stuhl auf: „Aber das ist doch Irrsinn, Inspector!“

„Bitte setzen Sie sich wieder hin“, bat Florence Cassell, deren Worte, trotz des sanften Tonfalls, eindringlich wirkten.

Derrick Faulkner nickte seiner Kollegin dankbar zu, wandte sich wieder an die drei Hinterbliebenen der kürzlich verstorbenen Tennislegende und führte aus: „Was mich sofort stutzig machte, als wir uns erstmals den Ort des sogenannten Unglücks ansahen war, dass die Bremse des Rollstuhls angezogen war. Ich habe gestern versucht, ohne Fremdeinwirkung, die Treppen des Polizeireviers damit hinabzustürzen. Glauben Sie mir, das war nicht möglich.“

Derrick Faulkner verzog für einen Moment das Gesicht und deutete auf den Verband an seinem Oberarm. „Andererseits war es meiner Kollegin Florence sehr wohl möglich, mich über den Rand der Treppe zu stoßen. Keine schöne Erinnerung.“

Faulkner begab sich zu dem Tisch, auf dem Sarah Dechiles die Beweismittel abgelegt hatte. Er nahm den Beutel, in dem sich Waynes Handheld-Konsole befand und hielt ihn hoch. Dabei wandte er sich wieder an die versammelten Menschen. „Das hier ist die Spielekonsole des Verstorbenen. Als wir sie sicherten, fiel mir der angezeigte Spielstand des darauf enthaltenen Tennisspiels sofort auf. Dreißig zu Null. Was mir ebenfalls auffiel war, dass Henderson Wayne den Zweispieler-Modus aktiviert hatte. Was recht seltsam ist, denn ohne einen zweiten Mitspieler mit einer identischen Konsole ergibt das keinen Sinn.“

„Aber die Konsole könnte sich doch beim Sturz so verstellt haben“, wandte James Watt, der zwischen seiner Frau und Natalie Lorrimer saß, grimmig ein.

„In diesem Fall hätten wir Kratzer auf der Konsole gefunden“, widerlegte der Inspector diese Vermutung. „Nein, unser Opfer muss sie in seinen Händen festgehalten haben. Vor dem Sturz wird er aber wohl kaum den Zweispieler-Modus aktiviert haben, also liegt die Vermutung nahe, dass es erst nach dem Sturz geschah. Aber warum?“

„Ja, genau!“, hieb Natalie Lorrimer in dieselbe Kerbe. Sie befand sich dem Pool am nächsten. „Warum sollte mein Verlobter so etwas getan haben?“

„Das ist eine gute Frage“, gab der Inspector zu. „Ich habe sie mir auch gestellt. Meine Antwort darauf war: Ich, in Henderson Waynes Fall, würde wollen, dass man meinen Mörder zur Rechenschaft zieht. Das wollte Henderson Wayne, der seinen Mörder vermutlich gesehen hat, zweifellos auch.“

Wieder war es die Schwester des Verstorbenen, die sich ereiferte: „Aber das ist doch ziemlich weit hergeholt, Inspector!“

Faulkner nickte und sah die Frau direkt an. „Allein für sich vielleicht, Misses Watt. Doch zusammen mit allen anderen Indizien ergibt diese Vermutung Sinn. Nun, ich fragte mich natürlich, wofür beide Werte stehen könnten. Da ist zunächst die Dreißig. Bei jedem von Ihnen gibt es zu dieser Zahl eine Verbindung.“

Derrick Faulkner wandte sich an James Watt und erklärte ihm: „Da wäre zunächst ihre Firma: THIRTY DEGREES MARKETING. Dazu dann die Null. Nach einhelliger Aussage der Anwesenden am Tag des Mordes, hatte Ihr Schwager Sie als Null bezeichnet.“

Ungläubig sah James Watt den Inspector an und gab beschwörend zurück: „Aber ich habe meinen Schwager nicht umgebracht!“

„Wirklich nicht?“, konterte Faulkner ernst. „Auch nicht, weil er Ihnen und Natalie im Wege war? Wir wissen, dass Sie ein Verhältnis mit Natalie Lorrimer haben. Außerdem sind die Gewinne Ihrer Firma eingebrochen.“

Erschrocken und zugleich schuldbewusst sah James Watt von Faulkner zu seiner Frau. Er wollte etwas sagen, doch Ann-Doreen gab ihm eine schallende Ohrfeige, bevor er den Mund aufmachen konnte. Dabei rückte sie demonstrativ mit dem Stuhl von ihrem Ehemann ab und fuhr ihn wütend an: „Du verdammter Mistkerl!“

„Bitte beruhigen Sie sich“, verlangte Sarah Dechiles mit scharfer Stimme und begab sich zwischen die Stühle der beiden Eheleute.

„Kommen wir zu Ihnen, Misses Watt“, fuhr Faulkner fort. „Sie sind dreißig Jahre alt und wie Ihr Bruder wurden Sie in Greenwich geboren. Wie Sie sicherlich wissen, verläuft durch diesen Ort der Nullmeridian. Dreißig – Null.“

„Was?“, schrie Ann-Doreen Watt den Inspector an. „Wollen Sie damit etwa behaupten, ich habe meinen eigenen Bruder getötet?“

„Nein!“

Derrick Faulkner ließ dieses eine Wort für einen Moment wirken, bevor er sich Natalie Lorrimer zuwandte und mit anklagendem Blick feststellte: „Denn Sie waren es, Miss Lorrimer, die Henderson Wayne ermordete. Sie wollten Henderson Wayne beerben um danach mit James Watt zusammen sein zu können. Was hatten Sie noch vor, Miss Lorrimer? Wollten sie irgendwann auch die Schwester Ihres Verlobten umbringen?“

Natalie Lorrimer lachte schrill. „Aber das sind doch Hirngespinste!“

„Durchaus nicht, Miss Lorrimer. Sie sind ebenfalls dreißig Jahre alt, so wie auch die Schwester des Ermordeten. Ich gebe zu, dass mich, auf Sie bezogen, die Null zunächst irritiert hat, denn zu dieser Ziffer gab es zunächst keinerlei Verbindung. Zumindest scheinbar. Doch irgendwann sprachen meine Kolleginnen nacheinander ihren vollen Namen aus und erst im Anschluss daran verstand ich, was Henderson Wayne der Nachwelt hatte mitteilen wollen. Ich zolle dabei nachträglich seiner Fähigkeit, unkonventionell denken zu können, allerhöchsten Respekt. Denn die Ziffer Null steht hier nicht für einen Wert – sie stellt ein Monogramm dar. Ihr vollständiger Name lautet Natalie Uma Larissa Lorrimer. Daraus ergibt sich N-U-L-L oder auch Null.“

Die Verdächtigte sprang von ihrem Stuhl auf. Der Blick der blonden Frau wirkte unstet, als sie ausrief: „Das nennen Sie einen Beweis?“

Faulkner lächelte humorlos. „Das allein ist nur die halbe Miete. Doch da waren Ihre Anrufe auf der Polizeistation, in den letzten Tagen. Sie wollten den Rollstuhl Ihres Verlobten wiederhaben. Angeblich als Andenken. Das fand ich etwas schräg, denn im Allgemeinen hängt man sich ein Foto von den Personen, an die man sich erinnern will, an die Wand. Es musste also einen anderen Grund dafür geben, dass Sie meinen Officer damit genervt haben. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich recht spät darauf kam. Als ich endlich die Seitentaschen des Rollstuhls untersuchte, fand ich ein Testament. Es enthält eine wesentliche Änderung zum bisherigen Testament des Ermordeten, aber das wissen Sie.“

„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden, Mister“, stritt Natalie Lorrimer panisch um sich sehend die Behauptung des Inspectors ab.

Derrick Faulkner schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. „In diesem Fall wüsste ich zu gerne, warum wir, neben den Fingerabdrücken ihres Verlobten auch Ihre auf dem Dokument und auf der Schutzfolie fanden, in welcher das Dokument steckte. Schlussendlich ist da noch der Obduktionsbericht, den uns der Leiter des forensischen Labors auf Guadeloupe heute Früh schickte. Man fand einige bordeauxrote Stofffäden unter den Fingernägeln des Toten. Ganz offensichtlich griff er nach hinten, als sie ihn die Treppe hinabstürzten. Wissen Sie, das war auch mein erster Reflex, als mich meine Kollegin, bei dem vorhin erwähnten Versuch, aus dem Rollstuhl gekippt hat. Ich erinnere mich daran, dass Sie am Tag des Unglücks ein gleichfarbiges Kostüm trugen.“

In diesem Moment erschien Officer Wellesley Karr bei ihnen. Mit einem Kostüm in bordeauxrot. Zufrieden wirkend hielt er den Beweismittelbeutel hoch, in dem es sich nun befand, und sagte zu Derrick Faulkner: „Sie hatten Recht, Chief. Es war ziemlich gut versteckt, aber nicht gut genug für einen Officer der Polizei von Honoré.“

Faulkner horchte den Worten des Officers nach. Etwas hatte sich verändert. Erst nach einigen Sekunden wusste Faulkner, was es gewesen war. Wellesley Karr hatte ihn zum ersten Mal nicht mit dem neutralen Sir, sondern mit Chief angesprochen. Er wechselte einen schnellen Blick mit dem Commissioner, der eine zufriedene Miene aufgesetzt hatte. Wieder zu Karr sehend, meinte er: „Danke, Officer Karr.“

Von seinem Kollegen zu Natalie Lorrimer sehend sagte er: „Letzten Endes hat es Ihnen nichts gebracht, zu verhindern, dass das neu aufgesetzte Testament rechtskräftig wird. Denn man kann eine Person nicht beerben, die man selbst ermordet hat. Eine forensische Untersuchung des Kostüms wird uns bestätigen, dass die gefundenen Fäden, unter den Fingernägeln des Mordopfers, von Ihrem Kostüm stammt. Zudem werden wir sicherlich auch noch DNA-Spuren des Ermordeten daran finden. Sergeant Dechiles – festnehmen.“

Natalie Lorrimer, die immer noch stand, versetzte dem überraschten Inspector einen heftigen Stoß und nutzte seine momentane Verblüffung, um an ihm vorbeizurennen.

Florence Cassell reagierte blitzschnell und rannte seitlich auf die Flüchtende zu. Mit Wucht gegen Natalie Lorrimer prallend packte die Polizistin zu und strauchelte mit ihr über den Rand des Swimmingpools hinaus.

Wie in Zeitlupe nahm Derrick Faulkner wahr, wie die beiden Frauen in das Schwimmbecken stürzten. Er rannte zum Rand des Pools und gab seinen beiden Untergeben einen Wink. „Nehmen Sie beide Natalie Lorrimer fest und bringen Sie die Verdächtige zum Land-Rover. Aber passen Sie auf, das die Dame nicht noch einmal entwischen kann.“

Während Florence Cassell im Pool die wild strampelnde Tatverdächtige festhielt und zum Rand zerrte, kam der Commissioner zu Faulkner und sagte rau: „Ich bin heute sehr zufrieden mit Ihnen, Inspector. Mit der Aufklärung dieses Mordes haben Sie sich, in meinen Augen, sozusagen rehabilitiert. Aber nur um das klarzustellen. Das nächste Mal erscheinen Sie zur Aufklärung eines Mordfalls nicht so, als wollten Sie tanzen gehen.“

„Kann ich nicht versprechen“, entgegnete Faulkner grinsend, bemerkte den kritischen Blick von Selwyn Patterson und fügte rasch hinzu: „Aber ich werde mir alle Mühe geben.“

„Da bin ich ganz sicher, Inspector. Guten Tag.“

Damit verließ Patterson, der in seinem eigenen Wagen hierhergekommen war, das Gelände und Faulkner sah wieder zum Pool.

Sergeant Dechiles und Officer Karr zogen gerade Natalie Lorrimer aus dem Wasser und führten sie danach ab, während das Ehepaar Watt, mit einigem Abstand zueinander, in die Villa ging.

Derrick Faulkner hoffte inständig, dass es heute hier nicht noch einen weiteren Mord geben würde, als er zu Florence hinuntersah und ihr seine Hand reichte.“

Triefend vor Nässe stand Florence schließlich vor Faulkner und der Mann starrte seine Kollegin unwillkürlich an. Das Wasser hatte den weißen Stoff der Bluse und den ebenfalls weißen Stoff des Spitzen-BH darunter quasi durchsichtig werden lassen. Deutlich zeichneten sich die Brüste der Polizistin und deren dunkle Spitzen darunter ab.

Gleichzeitig damit, dass dieser Umstand auch Florence auffiel, sah Derrick Faulkner der Frau, peinlich berührt, geradewegs in die Augen.

Als die Frau ihn anfunkelte und sich schnell herumdrehte, sagte Faulkner mit rauer Stimme: „Ich gebe Ihnen mein Hemd, Florence.“

„Das ist auch das Mindeste, Chief.“

Die Polizistin sah das zufriedene Lächeln ihres Vorgesetzten, weil auch sie ihn nun als Chief bezeichnet hatte, nicht, sondern legte zuerst die Bluse und danach auch den BH ab.

Faulkner legte Florence von hinten sein Hemd über die Schultern und sie schlüpfte schnell hinein. Sich halb zu ihrem Vorgesetzten umdrehend verschloss sie das Hemd zunächst mit zwei Knöpfen. Dann jedoch überlegte sie es sich anders, öffnete die Knöpfe wieder und verknotete die Enden über dem Bauchnabel.

Derrick Faulkner machte eine Leidensmiene, als die Frau den Doppelknoten schließlich fest zusammenzog.

„Was ist, Chief?“

Faulkner deutete anklagend auf den Knoten. „Das ist eines meiner Lieblingshemden. Es wird Wochen dauern, um diese Falten wieder glattzubügeln.“

Florence Cassell lächelte nur, irgendwie schadenfroh, wie der Inspector befand. Nach einem Moment nahm sie ihre nassen Sachen, wrang sie über dem Rand des Pools aus und meinte: „Damit haben Sie also Ihren ersten Mordfall auf Saint-Marie gelöst, Chief.“

Ja, weil die Mörderin einen Doppelfehler beging. Natalie Lorrimer hat vergessen die Bremse des Rollstuhls zu lösen. Wäre Waynes Verlobten dieser Fehler nicht unterlaufen, dann wäre ich vermutlich nie auf die Idee gekommen, dass es sich um Mord handelt.

Sie setzten sich gemeinsam in Bewegung.

Als der Inspector keinerlei Anstalten machte, auf den zweiten Fehler einzugehen, meinte Florence: „Sie sprachen von einem Doppelfehler, Chief. Was war der zweite Fehler?“

Seiner Kollegin ernst in die Augen sehend antwortete Derrick Faulkner mit grimmigem Tonfall: „Sie hat ihn in meinem Zuständigkeitsbereich getötet.“

Heimkehr

Die Geburtstagsfeier für Florence Cassell fand nicht in dem überdachten Bereich am Strand statt, sondern hinter der eigentlichen Bar, auf der anderen Seite der Straße. Catherine Bordey hatte diesen Bereich für Florence und ihre Gäste reserviert. Dabei hatte die Besitzerin des LA KAZ sich nicht lumpen lassen und ein warmes Buffet aufgefahren. An Getränken gab es neben Bier einige Spirituosen und auf Wunsch konnten die Gäste auch Cocktails ordern.

Detective-Inspector Derrick Faulkner erschien etwas später, da er noch fieberhaft ein passendes Geburtstagsgeschenk für seine Kollegin gesucht hatte. Schließlich fand er, bereits halb verzweifelt, doch noch etwas Passendes für sie, nachdem er mit Céline telefoniert hatte.

So war die Geburtstagsfeier bereits in vollem Gange, als er mit dem kleinen Präsent in seiner linken Hand auf Florence zuschritt. Er bemerkte, dass Florence das Haar kunstvoll geflochten, und hinter dem Kopf hochgesteckt hatte. Er fand, dass ihr das fabelhaft stand. Sein Hemd trug sie natürlich nicht mehr, sondern ein anderes Kostüm mit passender Bluse.

Als Florence ihren Vorgesetzten erkannte, schritt sie lächelnd zu ihm. „Ich freue mich sehr, dass Sie gekommen sind, Chief.“

Der Inspector nahm sie bei den Schultern und hauchte ihr einen Kuss auf die rechte Wange. „Nochmals herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Das hier ist für Sie.“

Florence nahm das Geschenk entgegen und bedankte sich. Neugierig darauf, was es ist, packte sie es aus und ihre Augen begannen zu strahlen, als sie auf den sehr seltenen Gedichtband von Alexander Pope sah. Gerührt sagte sie: „Vielen Dank, Chief.“

Gemeinsam schritten sie zu den anderen Gästen und Florence stellte ihm die Leute vor, die er bisher noch nicht kennengelernt hatte. Als sie endlich damit durch waren, lachte Florence: „Ich überlasse Sie jetzt besser Céline, Inspector.“

„Das ist auch dein Glück“, meinte Céline scherzhaft, als sie zu ihnen kam. Vergnügt hakte sie sich bei Faulkner unter und zog ihn mit sich. Etwas abseits der anderen Gäste gab sie ihm einen flüchtigen Kuss und raunte leise: „Schön dich zu sehen.“

„Ja, das ist es“, gab der Polizist zustimmend zurück. „Besonders, nach diesem etwas turbulenten Nachmittag.“

„Ja, mir ist, als hätte ich davon gehört. Man darf also auch dir gratulieren.“

„Eher dem gesamten Team“, wehrte Faulkner bescheiden ab und es war auch so gemeint. Schnell das Thema wechselnd erkundigte er sich: „Tanzen wir?“

Céline sah den Inspector mit unbestimmbarem Blick an. „Nun ja, ich bin heute Abend mit einer Freundin hier. Du verstehst?“

„Ich verstehe“, erwiderte Faulkner und er fragte sich insgeheim, ob das vielleicht ein Test seiner tatsächlichen Gesinnung war. Wollte Céline wissen, ob er wirklich mit ihrem Arrangement klarkam?

„Du bist nicht verstimmt deswegen?“

Derrick Faulkner sah Céline nun direkt in die Augen. „Nein, ich habe es ernst gemeint, als ich dir gestern Nacht versicherte, dass ich kein Problem damit habe. Was du mir allerdings verraten könntest: Wie heißt du eigentlich mit Nachnamen? Oder ist das geheim?“

Céline lachte amüsiert. „Nein, gar nicht. Ich heiße Durand. Céline Durand.

„Ein gut klingender Name. Zuerst hatte ich befürchtet, du würdest Dion sagen.“

Die Frau gab Faulkner einen derben Klaps auf die Brust. „Bist du noch zu retten? Vergleiche mich nie wieder mit dieser Schnulzen-Trulla!“

Derrick Faulkner grinste breit, enthielt sich aber wohlweislich jeglichen Kommentars. Stattdessen meinte er: „Dann wünsche ich dir und deiner Freundin heute Abend viel Spaß.“

Die Frau hob leicht ihre Augenbrauen. „Du willst gar nicht mehr über sie erfahren?“

Faulkner sah Céline wieder in die Augen. „Falls es dafür keine beruflichen Gründe gibt nicht. Ich denke, wenn du mir von ihr erzählen möchtest, dann wirst du es schon tun.“

Freude zeichnete sich auf dem Gesicht der Frau ab. „Ich bin wirklich glücklich darüber, dass du es so siehst. Wir werden uns auch zukünftig bestimmt gut verstehen.“

Sie gingen gemeinsam zurück zu den übrigen Gästen, wo sich Céline von Faulkner trennte und zu einer schlanken, dunkelhäutigen Frau mit langen, nussbraun gefärbten Haaren gesellte. Sie sprachen miteinander und die Frau bei Céline sah kurz zu ihm herüber.

Faulkner nickte der Frau zu, bevor er sich zu Sarah Dechiles begab, die er in der Menge entdeckt hatte. Als er sie erreichte, nickte sie unauffällig in Richtung Céline und erkundigte sich direkt, so wie es ihre Art war: „Ärger im Paradies, Chief?“

„Wie kommen Sie denn darauf, Sergeant? Nein, momentan läuft bei mir alles genau in die richtige Richtung.“

Sarah Dechiles sah ihn taxierend an und gestand dann etwas erstaunt: „Sie machen tatsächlich einen rundherum zufriedenen Eindruck, Inspector. Wer hätte das gedacht.“

Der Mann lachte vergnügt. „Mann kann Dinge auch kaputtdenken, Sergeant. Lassen Sie uns lieber tanzen.“

„Ihre…“

„Céline ist heute Abend in Begleitung hier und hat ganz bestimmt nichts dagegen.“

Sarah Dechiles lächelte zufrieden. „Na, wenn das so ist.“

Sie tanzten eine ganze Weile miteinander, bevor sich auch Wellesley Karr und Florence Cassell dazugesellten. Bei einem der etwas langsameren Songs reichte Florence dem Inspector die Hände. Derrick Faulkner nahm sie in seine und lachend legten sie einen improvisierten Phantasie-Tanz hin.

Während sie sich, mit dem gebotenen Abstand, im Kreis bewegten, sagte die Frau vergnügt: „Ich möchte Ihnen für die Worte danken. Sie wissen schon: An dem Morgen, als ich in Ihrer Hütte erwachte. Vielleicht wäre diese Feier sonst eher ein Trauerspiel geworden.“

Faulkner zwinkerte ihr zu. „Jetzt hätte ich fast geantwortet, ich würde verstehen, was Sie meinen. Tatsache ist, dass dieses Gespräch auch mir geholfen hat. Ich habe mich nämlich erst danach wieder daran erinnert, dass der Rat, den ich Ihnen an diesem Morgen gegeben habe, und den Ihnen auch ihr letzter DI gab, in demselben Maß auch für mich selbst gilt. Vielleicht sind wir irgendwann so weit, dass Sie mir von Patrice erzählen und ich Ihnen von Freya und Nancy. Das wäre bestimmt nicht verkehrt. Was denken Sie?“

„Für einen Moment bekam ihr Lächeln eine schmerzliche Note. Im nächsten Moment überwand die Polizistin es und meinte: „Ja, ich denke, das ist eine gute Idee, Chief.“

„Aber jetzt keine tiefsinnigen Unterhaltungen mehr. Heute ist Ihr Geburtstag, Florence. Da sollten Sie Spaß haben.“

Der Detective-Inspector lächelte Florence aufmunternd zu und sie lachten vergnügt, als Derrick Faulkner seine Kollegin erneut schwungvoll im Kreis drehte.
 

* * *
 

Zwei Tage nach der Geburtstagsfeier von Florence Cassell stand Derrick Faulkner, am Sonntagmorgen, auf der Terrasse seiner Hütte und blickte versonnen auf die glitzernde Wasserfläche des Meeres hinaus. Der Passatwind wehte angenehm frisch aus nordöstlicher Richtung und machte die bereits jetzt herrschenden 27 Grad etwas erträglicher.

Draußen im Wasser planschte Dayana Tanguy, im Bikini, ausgelassen herum. Als sie den Inspector auf der Veranda entdeckte, rief sie zu ihm herüber: „Kommen Sie auch rein! Das kühlt herrlich ab, Inspector!“

„Später, Dayana. Ohne meinen zweiten Kaffee läuft gar nichts!“ Dabei hielt er vielsagend die Tasse in seiner Hand über den Kopf. Lachend einen Schluck nehmend lehnte er sich gutgelaunt auf das Geländer. In Gedanken ging er nochmal die Ereignisse der letzten Woche durch und schüttelte dann sacht seinen Kopf. Heute schien es im beinahe surreal, wie schnell sein Leben, hier auf Saint-Marie, völlig auf den Kopf gestellt worden war.

Er leitete ein Polizeidezernat auf einer tropischen Insel, die zu den Kleinen Antillen gehörte. Er hatte ein verzweifeltes Mädchen des Diebstahls überführt, das in ihm eine Art Vaterfigur sah, und er führte eine locker-intime Beziehung mit einer der Insulanerinnen. Noch dazu war diese Frau bisexuell veranlagt.

„Verrückte Geschichte“, murmelte Faulkner in Gedanken.

„Guten Morgen, Chief. Welche verrückte Geschichte meinen Sie?“

Derrick Faulkner fuhr aus seinen Gedanken auf. Bei einem schnellen Blick zur Seite erkannte er Florence Cassell, die sich ihm lächelnd näherte. Sie deutete auf ein Herrenhemd, das sie an einem Bügel trug. Zum Schutz hatte sie eine Folie darüber geschoben. „Gewaschen und gebügelt, Sir. Keine einzige Falte mehr drin.“

Der Inspector erwiderte den Morgengruß und antwortete auf die Frage von eben: „Ich hatte gerade eben nur laut gedacht, Florence. Möchten Sie eine Tasse Kaffee? Ich habe ihn ganz frisch aufgebrüht.“

Die Frau deutete mit dem Zeigefinger der freien Hand über die Schulter. „Gerne. Ich bringe nur schnell das Hemd rein, oder…“

„Keine nackte Frau drin, Florence“, beruhigte Faulkner seine Kollegin. „Aber passen Sie auf Harry und Meghan auf.“

Ein helles Lachen erklang aus der Hütte. „Nur ein Brite konnte auf die Idee kommen, der Eidechsen-Freundin von Harry den Namen Meghan zu geben.“

„Ein Amerikaner hätte vielleicht Sally bevorzugt.“

„Auch nicht schlecht, Sir.“

Als Florence wieder zu ihrem Vorgesetzten auf die Veranda kam, reichte Faulkner ihr eine große Tasse Kaffee. „Sie trinken ihn ja schwarz, wenn ich mich recht erinnere.“

„Danke, Sir.“

Florence Cassell stellte sich, mit etwas Abstand, neben Derrick Faulkner an das Geländer der Veranda, nahm einen Schluck von dem Kaffee und sah dann zu dem vergnügt im Meer schwimmenden Mädchen. „Haben Sie Dayana eingeladen herzukommen?“

Der Mann sah zur Seite. „Nein, Florence. Sie kam von sich aus. Ich hatte Dayana zwar angeboten, dass sie mich jederzeit besuchen darf, doch ich hatte, um ehrlich zu sein, nicht wirklich damit gerechnet. Besonders deswegen, weil ich sie zu der Aussage von Ann-Doreen Watt befragen musste. Deshalb freue ich mich, dass sie es getan hat. Vielleicht noch mehr darüber, sie so glücklich zu sehen, denn als ich ihr das erste Mal begegnete, in der verlassenen Scheune, da wirkte sie so einsam und unglücklich.“

Florence entdeckte echtes Mitgefühl in der Stimme des Mannes und in seinen Augen. Etwas verlegen meinte sie: „Kaum zu glauben, dass ich sie anfangs für einen kaltschnäuzigen Macho-Typ hielt, Chief.“

„Ich denke, wir haben uns anfangs wohl gegenseitig falsch eingeschätzt“, erwiderte Faulkner offen. „Vergessen wir das.“

„Ach bevor ich es vergesse, Sir. Ich wollte Ihnen noch sagen, dass ich mich über den Gedichtband von Alexander Pope sehr gefreut habe. Wie haben Sie diese seltene Ausgabe denn auf dieser Insel gefunden?“

Der Inspector sah für einen Moment in die Ferne. Schnell wieder seinen Blick auf Florence richtend gab er zu: „Gar nicht. Das Buch gehörte meiner Frau. Wie die Uhr meiner Tochter hat es den Anschlag unbeschadet überstanden. Freya hat es nicht mehr lesen können, deshalb dachte ich, dass Sie es haben sollten.“

Florence sah ihren Vorgesetzten aus großen Augen an: „Aber… Aber das kann ich doch gar nicht annehmen. Es ist…“

„Es ist eine sehr schmerzliche Erinnerung, Florence“, unterbrach der Mann sie. „So, wie die Uhr von Nancy und der Ring meiner verstorbenen Frau. Ein solch schmerzliches Erinnerungsstück reicht - und um meiner Familie zu gedenken braucht es auch gar keine Erinnerungsstücke. Ich werde Freya und Nancy niemals vergessen, Florence.“

„Dann bedanke ich mich nochmal ganz herzlich. Woher…“ Florence unterbrach sich diesmal selbst und stellte fest: „Sie haben natürlich meine Freundin Céline gefragt.“

Der Mann nickte schmunzelnd.

Für eine Weile sahen beide zu Dayana, bevor Florence sagte: „Sie erwecken bei mir fast den Eindruck, als wäre Dayana Ihre Tochter, Sir.“

Fragend sah Derrick Faulkner zu seiner Kollegin. „Ist das falsch?“

Die Polizistin schüttelte den Kopf und erwiderte: „Nein, Sir. Aber vielleicht sollten Sie sich nicht ganz so intensiv engagieren. Ich meine damit, vielleicht wäre ein gewisser emotionaler Abstand besser, Chief. Nachdem sie die Strafe verbüßt hat, wird sie vielleicht endlich auf eigenen Beinen stehen wollen. Möglicherweise verlässt sie Saint-Marie wieder.“

Der Inspector ahnte, worauf seine Kollegin hinauswollte und er nahm es ihr nicht übel. „Sie befürchten also, Dayana spielt mir momentan etwas vor? Das wäre möglich. Aber vielleicht auch nicht. Ich will auf keinen Fall die Möglichkeit verpassen, das Vertrauen des Mädchens zu gewinnen. Vielleicht gelingt mir das nicht aber ich will es wenigstens versuchen. Dieses Mädchen hat, so wie wir zwei, schlimme Dinge erlebt. Andere schlimme Dinge. Dinge, durch die sie quasi ebenfalls ihre Familie verloren hat.“

Zu dem Mädchen hinaussehend meinte Faulkner nach einer Weile: „Vielleicht habe ich während meiner Zeit bei der NCA vergessen, warum ich ursprünglich zur Polizei gegangen bin. Es mag vielleicht etwas naiv klingen, doch ursprünglich wollte ich zur Polizei, um Menschen helfen zu können. Nur ist das bei einem so großen Polizeiapparat, wie der London Metropolitan Police, viel weiter von den Menschen weg, als ich mir einbildete. Später dann, bei der NCA, hatte ich es nur noch mit Schwerkriminellen zu tun.“

Als Faulkner wieder zu Florence Cassell sah, leuchtete ein helles Feuer in seinen Augen. „Das hier, Florence, das ist echt. Ich habe, seit ich zur Polizei ging, zum ersten Mal das Gefühl, jemandem wirklich zu helfen. Deshalb bereue ich es auch in keinster Weise, auf diese Insel gekommen zu sein. Vielleicht kann ich hier etwas bewirken, was ich in England nicht bewirken konnte.“

„Ich würde es Ihnen wünschen, Sir.“

Florence trank den Kaffee aus und brachte die leere Tasse ganz selbstverständlich ins Innere der Hütte. Gleich darauf wieder auf der Veranda, fragte die Polizistin: „Was halten Sie davon, wenn ich Sie in Ihrem Vorhaben unterstütze, Inspector. Vielleicht kann Dayana auch eine Freundin ganz gut gebrauchen. Für die ein oder andere Unterhaltung unter Mädchen, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Dabei deutete Florence auf ihr buntes Minikleid. „Meinen Bikini habe ich drunter. Was halten Sie davon, wenn wir zunächst einmal gemeinsam mit Dayana schwimmen, Sir.“

„Gute Idee, aber zuerst brauche ich noch einen Kaffee. Das ist mein einziges Laster.“

Der Inspector verschwand in der Hütte, um sich eine weitere Tasse einzuschütten. Langsam wieder auf die Veranda hinaus gehend, bemerkte er, dass Florence ihr Kleid bereits abgelegt und über das Geländer der Veranda gehängt hatte. Etwa zwanzig Meter von der Hütte entfernt lag sie, im zartrosa Bikini, innerhalb der Wasserlinie auf dem Bauch und ließ sich, in regelmäßigen Abständen, von der Brandung überspülen. Dabei lachte sie, hob das linke Bein an und rief ihrem Vorgesetzten zu: „Das tut sehr gut, Chief.“

„Man sieht es Ihnen an, Florence.“

Der Inspector trank seinen Kaffee aus, schritt ins Innere der Hütte und zog sich um. Kaum eine Minute später sprang er, nur noch mit einer königsblauen Boxer-Badehose bekleidet, die Treppen der Veranda hinunter und lief ins Meer hinein. Als ihm das Wasser bis zu den Hüften reichte, warf er sich nach vorne und schwamm hinaus zu Dayana.

Florence Cassell, die es beobachtete schmunzelte bevor sie sich ebenfalls erhob, um ins Wasser zu laufen. Einige Momente später hörte man die drei so völlig verschiedenen Menschen vergnügt lachen, während sie im Wasser ihren Spaß hatten.
 

ende
 



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