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Nachhilfe

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel handelt aus der Sicht von Connor, der mit sich selbst zu kämpfen hat. Er begreift etwas sehr Wichtiges für ihn und fasst einen Entschluss.

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Mal wieder ein Kapitel aus der Sicht von Connor.

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich verrate es ja bereits in den ersten Zeilen: Es handelt sich um ein Kapitel aus der Sicht Connors. Er träumt. Träume sind das Fenster zu einer anderen Welt, einer Welt, in der man bedingt Kontrolle über seine Handlungen hat. Sie spiegeln unsere innersten Sehnsüchte wider.

Ich denke, das wird der Leserschaft schon aufgefallen sein, aber Connors Liebe drückt sich eigentlich anders aus als durch körperliche Nähe. Durchaus, aber nicht durch Sexualität an sich. In seinen Augen wäre es richtig gewesen zu warten, einen unschuldigen und unberührten Danny vor sich zu haben. Küssen und kuscheln sind jene Komponenten, die für ihn wichtig sind, genauso wie Romantik. Letzteres ist wahrscheinlich das, was ihn am meisten auszeichnet. Das und die Tatsache, dass er in seiner eigenen Welt lebt, wenn es darum geht. Für Connor gäbe es nichts Befriedigenderes als so weit aufzusteigen, gesellschaftlich wie auch körperlich und geistig, als dass er Danny die Welt zu Füßen legen könnte. Auch gäbe es keinen größeren Lohn für ihn als ein ehrliches "Ich liebe dich" von Danny zu hören. Das ist sein sehnsüchtigster Wunsch.

In so einem mittelalterlichen Setting wären sie wahrscheinlich Ritter und Bauernjunge. Und in den alten Sagen und Legenden war es die Liebe, die einen zu großen Taten befähigte. Aphrodite meinte zu Piper in Helden des Olymps, dass die Liebe die Macht besäße einen Gott in die Knie zu zwingen. Ich bin auch dieser Auffassung. Wenn jemand sein Gegenüber so aufrichtig und ehrlich liebt, rein und voller Hingabe, dann kann er sich auch mit einem Zeus messen, oder einem Ares. Ich glaube auch fest daran, dass genau diese Form der Liebe unrealistisch sein mag, aber gelebt werden kann. Liebe mag ultimativ egoistisch, aber auch ultimativ selbstlos sein. Und wenn man einmal so einen Danny gefunden hat, sollte man ihn nicht mehr gehen lassen ;).

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Mal wieder ein Kapitel aus der Sicht Connors. Viel Spaß! ;) Komplett anzeigen

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Ich lag auf meinem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und blies Trübsal. Nicht, dass das meine eigentliche Art gewesen wäre, eigentlich war ich fröhlich und lebenslustig, aber gerade jetzt war mir nicht danach zumute. Ich war unglücklich verliebt, in Nick, den Nachbarsjungen, der nebenbei noch mit meinem großen Bruder Caleb ging. Am Anfang hat mich das alles wenig gestört, im Gegenteil: Ich habe mich sogar gefreut. Jetzt sah die Sache ein wenig anders aus, da ich auch auf Nicky, wie wir ihn fast alle nannten, stand. Stehen war untertrieben: Ich war über beide Ohren in ihn verliebt. Zeit mit ihm zu verbringen bedeutete Schmetterlinge im Bauch zu haben, ein ganz flaues Gefühl im Magen, positiver Natur.
 

Heute war Samstag und ich hatte meine Arbeiten alle erledigt: Die Hausaufgaben waren gemacht, die Pferde waren bis zum Abend versorgt, Klein Nicky, der neuste Familienzuwachs in Form eines kleinen Katers, döste neben mir und Leo, mein Hund, der bespaßte sich meistens eh selbst. Letzterer bewegte mich gleich auch dazu aufstehen, denn er bellte. Das war ein Zeichen dafür, dass sich jemand dem Hof näherte. Ich stand also auf und ging nach unten um meine Nase gegen die Fensterscheibe zu drücken.
 

Tatsächlich bog ein mir völlig unbekanntes Auto ein. Es war gelb und sah mit seinem Spoiler und den breiten Reifen erstens teuer aus und wirkte zweitens es ein wenig deplatziert, als es neben Calebs verbeultem Ford Escort parkte. Meine Neugierde war geweckt. Die Türen gingen auf und das Rätsel wurde gelüftet, zumindest teilweise; auf der Beifahrerseite stieg ein junger Mann aus, hochgewachsen, mit blonden, leicht gelockten Haaren und Undercut, sowie Goldrahmenbrille. Das war Magnus, der Freund meines Bruders, oder wie man das nennen mochte. Caleb war ja jetzt mit Nicky zusammen. Das war ungewöhnlich, denn Magnus besuchte uns nahezu nie. Ich konnte die Treffen von Caleb und ihm auf dem Hof an einer Hand abzählen. Der Fahrer indes machte einen äußerst genervten Eindruck. Er war hochgewachsen, breitschultrig, hatte kurzgeschnittene, blonde Haare und blaue Augen. Beide sprachen angeregt miteinander und der Blonde gestikulierte in Richtung unseres Hauses, nur um sich danach auf eine nichtvorhandene Armbanduhr zu tippen. Als Leo sich dann daran machte das Duo in Beschlag zu nehmen ging ich nach draußen. Nicht jeder mochte Hunde und wenn der Fremde Angst hatte, konnte das unschön enden. Leo war handzahm und tat niemandem etwas, aber er hatte die Angewohnheit alles und jeden anzuspringen und abzuschlabbern.
 

Ich griff nach der Türklinke, als diese bereits nach unten gedrückt wurde. Magnus starrte kurz auf mich herab und lächelte dann freundlich: „Hi, Danny. Ist dein Bruder da?“

Das war eine gute Frage, denn oft hing er, sofern er Zeit hatte, bei Nicky rum, wohl aus Rücksicht auf mich. Ich war ja nicht gänzlich dumm: Die Wände waren dünn und Calebs Zimmer lag direkt neben meinem.
 

„Ähm, hallo“, antwortete ich und rieb mir den Arm. Sollte ich ihm sagen wo mein Bruder gerade war? Eigentlich wäre es angebracht gewesen, da sie sich auch einen Dreck um meine Gefühle scherten.

„Drüben bei Nicky, schätze ich.“
 

Magnus´ Lächeln gefror schlagartig. „Ähm, danke“, murmelte er und gewann wieder seine Fassung. „Dann werde ich mal nachsehen ob ich ihn aufgabeln kann.“ Damit machte er auf dem Absatz kehrt und ich sah ihm nach, wie er zu Nicky hinüberstapfte. Ein weiteres, lautstarkes Bellen riss mich aus meinen Gedanken. Verdammt, Leo!
 

Der schwarz-weiß gescheckte Zottelhund hatte sich inzwischen einen neuen Spielpartner gesucht, der ihm schmunzelnd das Ohr kraulte. Hechelnd schleckte ihm Leo über die Finger und hatte ihm schon einige Pfotenabdrücke auf dem blütenweißen Shirt hinterlassen. Auch die kurzen schwarzen Trainingsshorts waren mit einigen Andenken versehen worden. Entweder dem Typen war das nicht aufgefallen oder schlichtweg egal. Nach einiger Zeit fiel sein Blick auf mich und Leo ließ von ihm ab um mich in Beschlag zu nehmen. Kurz wurde ich mit einem abschätzenden Blick aus den eisblauen Augen bedacht, bevor die Hand gehoben und ich mit einem freundlichen „Hi, ist das deiner?“ begrüßt wurde.
 

„Ja, das ist Leo!“, antwortete ich euphorisch und kraulte meinen Hund dabei im Nacken. „Ähm, tut mir leid wegen deinen Sachen“, murmelte ich schuldbewusst und senkte den Blick.
 

Mein Gesprächspartner sah an sich hinab und lachte dann leise: „Ach das. Dafür gibt es Waschmaschinen. Ich mag Hunde, keine Sorge. Leo ist ja wirklich zutraulich.“
 

Sofort nickte ich eifrig: „Ja, ist er.“
 

„Ich nehme mal an, da Magnus so rasch abgerauscht ist, wirst du nicht Caleb sein?“
 

„Nein, ich bin Danny, der Bruder von Caleb.“
 

„Ah ja, da war was. Freut mich dich kennenzulernen, Danny. Ich bin Connor.“
 

Connor verschränkte die Arme vor der Brust, überkreuzte die Beine und lehnte sich gegen die Fahrertür. Er beobachtete noch immer Leo, der um mich herumsprang bevor er aufjaulte und in Richtung Stall davonwetzte. Wahrscheinlich hatte er irgendetwas gehört oder so.
 

„Bist du ein Freund von Magnus?“
 

Connor kratzte sich am Hals und wägte kurz ab. „So kann man es nennen, ja“, nickte er.
 

„Bist du mit ihm zusammen?“

Mir rutschte das Herz in die Hose. Ich hatte immer noch ein wenig Hoffnung, dass Magnus und mein Bruder sich irgendwie fanden und Nicky freiwerden würde für mich.
 

„Nein, das nicht. Wir haben gemeinsam mal in einer WG gewohnt.“
 

„Und warum fährst du ihn her?“
 

„Weil er selbst kein Auto hat und das von seinem Mitbewohner gerade in Reparatur ist.“
 

Ich zog die Brauen kurz in die Höhe und ging dann zu ihm, um das Auto eingehend zu begutachten. Daneben wirkte sogar das von Nicks Eltern, und das war noch eher neu, wie ein Spielzeug. Blank poliert, mit plattgedrückter, schwarzer Motorhaube, hochstehenden Scheinwerfern, dem Heckspoiler und den breiten Reifen sah das Ding wirklich böse aus. Ich lugte kurz in den Innenraum und legte den Kopf schief.
 

„Du hast ja nur zwei Sitze?“, fragte ich erstaunt.
 

„Mh. Die reichen auch völlig.“
 

„Was machst du denn, wenn du einmal mehr als eine Person dabei hast?“
 

„Tja, Pech gehabt“, grinste Connor und sah sich neugierig um. „Das ist also der Reiterhof von dem mir Magnus erzählt hat?“

„War“, korrigierte ich ihn und bestaunte noch immer das Auto. „Wir haben noch ein paar Pferde und geben auch Reitstunden, aber es ist nicht mehr wirklich, also…“ Ich suchte nach den richtigen Worten.
 

„Ich verstehe schon – ihr habt keinen Betrieb mehr.“
 

„Ja“, nickte ich und fuhr vorsichtig mit einem Finger über den Spoiler. Das Material wirkte ganz komisch, war weder Blech noch Metall und dazu schwarz. So etwas hatte ich nie gesehen, geschweige denn in den Fingern gehabt. „Das muss verdammt teuer gewesen sein, oder?“
 

„Hm?“ Connor drehte sich zu mir und ließ sein Smartphone in die Hosentasche zurückgleiten. „Was meinst du?“
 

„Das Auto.“ Ich deutete auf den ganzen Wagen.
 

„Achso, das. Ja.“
 

„Was ist das für eine Marke?“
 

„Porsche, warum?“
 

„Weil ich sowas nur aus dem Fernsehen kenne“, kicherte ich. „Und fährt er auch schnell?“
 

„Was denkst du?“ Connor schmunzelte und lehnte sich mit der linken Seite gegen den Wagen.
 

„Ja?“, war meine vorsichtige Antwort.
 

„Tut er. Wem gehört denn der Escort?“
 

„Meinem Bruder.“ Ich war noch immer zu abgelenkt. Normalerweise machte ich mir ja nichts aus solchen Sachen, aber Connors Auto wirkte echt cool. Cooler als die meisten Fahrzeuge, die ich kannte. Wie so ein echter Rennwagen.
 

„Hat auch schon bessere Tage gesehen, hm?“
 

Ich hatte gar nicht bemerkt wie Connor sich der grünen Schrottkiste genähert hatte. Natürlich durfte man sowas nicht laut sagen, denn der Escort war Calebs Heiligtum und jeder der ihn beleidigte wurde mit dem Blick des Todes und einem gesalzenen Kommentar bestraft.
 

„Lass das bloß nicht Caleb hören, sonst wird er böse.“
 

„Schon gut, ich verstehs ja. Wer an einem Wagen hängt, der will ihn einfach nicht hergeben. Da könnte man aber was machen.“
 

Ich zog die Augenbrauen fragend in die Höhe.
 

„Na, ich meine, das ausgebeulte Blech und so. Das wäre nicht so viel Arbeit.“
 

„Keine Ahnung? Caleb hat nie etwas in der Richtung unternommen. Ist ihm wohl zu teuer.“
 

„Hm.“ Connor hatte die Arme wieder vor der Brust verschränkt und überlegte. „Ist aber schade drum. So Escorts sind selten geworden und waren gute Fahrzeuge.“
 

„Kennst du dich denn mit Autos aus?“
 

„Ein bisschen. Genug um sie nicht gegen den nächsten Baum zu setzen, würde ich mal frech behaupten.“ Dabei grinste er schelmisch.
 

„Ich freue mich schon, wenn ich einmal den Führerschein habe. Dann brauche ich Caleb nicht mehr bitten mich herumzukutschieren.“
 

„Wie alt bist du denn?“
 

„15, aber fast 16“, erklärte ich mit vor stolz geschwellter Brust. Mit 16 war man schließlich schon fast erwachsen!
 

„Dann hast du ja noch ein bisschen. Ich weiß noch, in deinem Alter habe ich auch vom Führerschein geträumt.“ Connor lachte erneut und schüttelte den Kopf. Wie er so dastand, mit Leos Pfotenabdrucksmuster auf dem Shirt und Hose. sowie seiner freundlichen Art war er direkt sympathisch.
 

„Wie alt bist du denn?“
 

„21, fast 22“, zwinkerte er mir zu.
 

„Woah, und dann kannst du dir schon so ein Auto leisten?“ Mir blieb der Mund offen stehen.
 

„Mh, ich nicht, aber meine Eltern.“
 

Gerade als ich etwas erwidern wollte, hörten wir Schritte. Magnus kam, in Begleitung meines Bruders, zurückgestapft. Beide wirkten nicht sonderlich begeistert. Caleb fixierte mich mit einem wütenden Blick: Das würde Ärger geben.
 

„Haben es die Turteltauben dann oder muss ich noch mehr von meiner Freizeit opfern?“ Connors Gesicht zeigte ein spottendes Grinsen und ich biss mir auf die Lippen. Meinen Bruder zu reizen war keine gute Idee.
 

„Wir sind fertig“, lächelte Magnus gequält. Hätte er noch am Kragen seines Shirts gezogen wäre das Bild perfekt gewesen. Ihm war die ganze Situation mehr als unangenehm, aber das offen zu zeigen erschien ihm wohl doch unpassend.
 

Caleb seinerseits starrte Connor finster nieder.
 

„Nettes Auto übrigens. Habe schon lange keinen Escort mehr gesehen. Die sterben aus.“
 

Mein Bruder stutzte kurz und ich wusste genau, er dachte gerade darüber nach, ob man ihn verarschte. Auch wenn er an seinem Auto hing, so wusste er, dass es eine einzige Rostlaube war.
 

„Wenn du einen guten Karosserieschlosser kennst, könnte man was am Blech machen. Schaut nach nicht so viel aus. Mehr oberflächlicher Kram.“
 

„Ach was?“, schnaubte Caleb.
 

„Brich dir mal keinen ab.“ Connor rollte mit den Augen und ging auf mich zu um mir die Hand zu reichen. „Hat mich gefreut, Danny. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder. Wahrscheinlich, wenn der nächste Beziehungszoff ansteht.“
 

Ich ergriff die mir dargebotene Hand und schüttelte sie überschwänglich. „Wäre cool! Können wir dann mal eine Runde fahren?“
 

„Klar.“
 

„Nein.“
 

Ich sah zu Caleb, der mit ausdrucksloser Miene das Schauspiel vor sich beobachtete.
 

„Warum?“, fragte ich aufgebracht. Das war schließlich mein neuer Bekannter, nicht seiner!
 

„Weil das viel zu gefährlich ist.“
 

„Ich denke, meine Karre ist ein wenig sicherer als deine. Nix gegen den Escort, aber heute gelten andere Sicherheitsstandards.“ Connor schüttelte den Kopf und stieg ein.
 

„Bis irgendwann mal, Caleb.“ Magnus hob die Hand zum Abschied und stieg dann ebenfalls ein, ohne eine Reaktion abzuwarten. Der Motor dröhnte auf und der gelbe Sportwagen setzte zurück um dann zu verschwinden. Ich sah ihnen fast schon ein wenig traurig nach. Seit Nick< und Caleb gemeinsam gingen, oder wie auch immer man das nennen mochte, versuchte auch ich ihnen aus dem Weg zu gehen. Da wir hier aber weit abseits vom Schuss lebten, hatte ich wenig Gesellschaft und der Bus in die nächste Stadt fuhr auch nur alle heilige drei Zeiten.
 

Ich wurde an der Schulter gepackt und gezwungen meinem großen Bruder in die Augen zu schauen. Der wirkte zwar nicht sauer aber doch verstimmt.
 

„Warum hast du ihm gesagt, dass ich bei Nick bin?“
 

„Hätte ich lügen sollen?“
 

„Ja! Nein! Ach…“ Caleb ließ mich los und raufte sich die schwarzen Haare. „Hättest du nicht sagen können ich bin nicht da?“
 

„Dein Auto steht hier? Wo hättest du denn gewesen sein sollen?“
 

„Vielleicht ausreiten mit Abyss?“
 

„Und wenn er in den Stall geguckt hätte?“
 

„Hätte er nicht.“
 

„Woher willst du das so genau wissen?“ Ich schob trotzig meine Unterlippe vor, die gefährlich bebte. Streiten war etwas das ich absolut nicht konnte. Schon gar nicht mit Caleb. Wenn er böse auf mich war fühlte ich mich schuldig, sogar wenn ich Recht hatte.
 

„Weil er sich für sowas nicht interessiert.“
 

„Tut mir leid“, murmelte ich bedrückt.
 

„Schon gut“, seufzte mein Bruder. „Ich gehe nochmal…“ Er beendete den Satz nicht. Ich wusste sowieso was kommen würde.
 

„Jaja, ich weiß.“ Wütend, und um die Tränen in meinen Augen zu verbergen, wandte ich mich ab und stürmte ins Haus, nach oben, in mein Zimmer. Ich warf die Tür hinter mir zu und schnappte mir das erstbeste Kopfkissen, in das ich angestrengt heulte. Warum konnte Caleb nicht einfach mit diesem Magnus zusammen sein und ich mit Nicky? Dann wäre alles gut und wir hätten keinen Streit und ich wäre wieder gut drauf. So war das eine einzige Katastrophe und ich hielt das nicht ewig aus. Caleb schwieg noch mehr als sonst und die spärlichen Besuche von Nicky beschränkten sich darauf, dass sie mir, wohl aus schlechtem Gewissen heraus, auswichen. Ich weiß nicht was mich mehr fertig machte: Diese Distanz und Ablehnung oder sie gemeinsam zu sehen.
 

Neben mir regte sich etwas. Klein Nicky war gähnend aufgestanden und machte es sich auf meinem Bauch bequem. Gedankenverloren streichelte ich das kleine Fellbündel und starrte an die Decke. Warum wollte mich Nicky eigentlich nicht? Ich meine, ich war ungefähr in seinem Alter, dazu deutlich wenig abweisend als mein Bruder und wir hatten uns schon mehr als einmal geküsst. Lag es vielleicht daran, weil er noch immer ein Kind in mir sah? Manchmal drängte sich mir das Gefühl auf, ich sei sowas wie ein kleiner Bruder für Nicky, mehr nicht. Jetzt fühlte ich mich wie das fünfte Rad am Wagen und konnte nichts dagegen machen. Mit Caleb zu streiten brachte auch nichts. Genervt fuhr ich mir durch die Haare. Das war doch zum Verrücktwerden.
 

Unser Abendessen gestaltete sich als je eine Pizza für Caleb und mich, nachdem die Stallarbeit erledigt war. Wir aßen schweigend und wurden nur ab und an von einem miauenden Nicky unterbrochen, der an seiner vollen Milchschale stand und uns mit großen Augen anstarrte. Ich wartete noch eine Weile, bis es aus mir herausplatzte.
 

„Bist du jetzt mit Magnus wieder zusammen oder noch immer?“
 

Mein Bruder senkte seinen Blick ein wenig und strafte mich mit Schweigen.
 

„Caleb? Ich habe dich was gefragt?“
 

„Das verstehst du nicht, Danny“, wich er mir aus.
 

„Dann erkläre es mir doch so, dass ich es verstehe?“
 

„Das würde nichts ändern. Glaub mir einfach es ist besser so.“
 

„Warum darf ich nicht im Wagen von Magnus´ Freund mitfahren?“, versuchte ich das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken.
 

„Weil das viel zu gefährlich ist“, speiste mich mein Bruder mit der gleichen Antwort wie heute Nachmittag ab.
 

„Das ist doch gar nicht wahr! Du hast ihn doch gehört: Sein Auto ist viel sicherer als deins!“ Ich blies die Backen auf und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
 

„Hör jetzt einfach auf damit, okay?“, murrte Caleb und nahm das letzte Stück Pizza in die Hand.
 

„Immer muss alles nach deinem Kopf gehen!“, fuhr ich ihn an.
 

„Muss es, weil ich die Verantwortung für dich habe. Du lässt dich genauso leicht beeinflussen wie Nick. Euch kann man keine fünf Minuten alleine lassen, ohne dass ihr irgendeinen Mist ausheckt.“
 

„Darum musst du dir wohl keine Sorgen machen, er klebt ja eh an dir. Für ihn bin ich Luft!“
 

„Das stimmt gar nicht und das weißt du.“
 

„Ach, weißt du was? Zuerst warst du gegen Nicky, dann haben wir Freundschaft geschlossen, was dir auch nicht gepasst hat und jetzt nimmst du meinen besten Freund für dich in Beschlag! Toll, danke.“

Ich warf meine Pizzaecke auf den Teller zurück und stürmte nach draußen. Mir ging das alles so gehörig auf den Geist, vor allem weil Caleb nichts von meinen Gefühlen für Nicky wusste, zumindest nicht offiziell. So wie sie sich verhielten, hatte mein „bester Freund“ mich sowieso verraten. Das wollte ich aber nicht glauben, denn ich mochte Nicky und vertraute ihm. Mögen war untertrieben, aber das stand gerade nicht zur Debatte.
 

Ich wartete in meinem Zimmer bis ich Caleb nebenan hörte, bevor ich mich nach unten schlich und Klein Nicky mit einer Schale frischen Wassers und etwas zu essen versorgte. Lächelnd strich ich dem Kater mit dem Kugelbauch über das Köpfchen. Der schnurrte wie ein kleiner Traktor. Ich überlegte kurz, ob ich ihn in mein Zimmer mitnehmen sollte, entschied mich dann aber dagegen. Lieber stand ich einmal in der Nacht auf und kontrollierte, ob alles in Ordnung mit ihm war, als alle seine Sachen nach oben zu räumen um sie morgen wieder nach unten zu bringen.
 

„Gute Nacht, kleiner Mann.“ Damit machte ich das Licht aus und ging wieder nach oben.
 

Ich sprang noch kurz unter die Dusche, schlüpfte in bequeme Shorts und ein ausgeleiertes, rotes T-Shirt, bevor ich mich ins Bett legte und die Augen schloss. Mir geisterte Nicky durch den Kopf und es tat mir fast schon wieder leid, dass ich mit Caleb gestritten hatte. Das war unfair gewesen. Er konnte ja auch nichts für seine Gefühle, oder? Murrend drehte ich mich auf den Bauch und versuchte ein wenig zu schlafen. Ich musste morgen früh raus; die Pferde mussten versorgt werden (wobei mir Caleb half, so fair musste ich sein – er war sehr pflichtbewusst, trotz neuen Freundes), Leo und Klein Nicky brauchten ihr Frühstück und dann stand Schule auf dem Plan. Klang nach einem herrlichen Tag, bis auf die Schule.

Die nächsten Tage verliefen einigermaßen ruhig. Caleb war nicht schweigsamer als sonst und er und Nicky hatten zumindest den Anstand nicht offen vor mir herumzuknutschen. Das änderte zwar an meinem Gefühlsleben nichts, denn das war gelinde gesagt noch immer beschissen und ich auch verwirrt, wenn ich ehrlich sein sollte, aber gut. Das war ein Kampf den ich wohl verloren hatte. Ich grübelte zwar stundenlang, wie ich Nicky doch noch auf meine Seite ziehen konnte, aber mir fiel ehrlich gesagt nichts ein. Nicht, dass ich aufgeben wollte, das hatte ich auch nicht im Sinn, doch alles wirkte so aussichtslos. Meine Freizeitaktivitäten beschränkten sich auf ausreiten, spielen mit Leo und Klein Nicky sowie Hausaufgaben. Schule war sowieso so ein Thema: Ich hatte mir früher nie Gedanken gemacht und mischte im Mittelfeld mit, aber jetzt, abgelenkt wie ich war, litten auch meine Noten darunter. Das wiederum gefiel Caleb nicht. Er enthielt sich aber jeglichen Kommentars – wahrscheinlich fühlte er sich schuldig. Dann fühlte ich mich wieder schuldig und der Teufelskreis begann von neuem. Dazu bekam ich nichts von ihm bezüglich Magnus heraus. Ich bohrte auch nicht nach, denn das hätte ihn wütend gemacht und zu unnötigem zusätzlichen Zoff geführt. Er hielt sich einfach verschlossen. Das war Calebs Art, wenn Probleme entstanden: Er musste sie totschweigen und dann selbst lösen. Anstrengend.
 

Es war drei Uhr und ich saß über meinen Hausaufgaben als Leo meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er war besser und verlässlicher als jede Türklingel. Laut bellend konnte ich ihn aus dem Stall hetzen sehen, direkt auf einen gelben Porsche zu. Connor stieg aus und begrüßte seinen tierischen Fan mit einer Streicheleinheit. Dieses Mal war er so intelligent gewesen dunkle Sachen, bestehend aus einem schwarzen Langarmshirt, schwarzen Jogginghosen und schwarz-graue Sneakers, zu tragen. Leos Pfotenabdrücke waren zwar noch immer zu erkennen aber nicht mal halb so schlimm wie beim letzten Mal. Ich wartete irgendwie darauf, dass noch jemand aussteigen würde, aber Fehlanzeige. Er war alleine. Das konnte nun gut oder schlecht sein. Ich hoffte noch immer, dass Caleb und Magnus zusammenkamen und Nicky dann freiwerden würde. Es war gar nicht nötig aufzustehen, denn Connor kam in Begleitung von Leo zur Tür herein und klopfte anständigerweise gegen den Rahmen.

„Hi, Danny. Ich hoffe ich bin nicht zu dreist gewesen direkt reinzukommen, aber irgendwie habe ich die Türklingel nicht gefunden, vor allem mit Leo im Anhang.“ Er lächelte entschuldigend und rieb sich den Nacken.
 

„Hey! Schon okay, bei uns klingelt sowieso niemand, höchstens der Postbote, und der weiß mittlerweile auch, dass er die Päckchen einfach abstellen soll.“
 

Ich lächelte breit und bedeutete ihm, dass er sich zu mir an den Küchentisch setzen sollte. Wenn er so dastand und Wurzeln schlug, machte es das auch nicht besser, zumal Leo ihn wirklich in Beschlag genommen hatte und wild um ihn herumtänzelte.
 

„Leo, aus! Mach Sitz!“ Der dachte aber gar nicht daran zu folgen. Hechelnd schlabberte er Connor über die Hand, dann mir. „Aus“, sagte ich erneut, diesmal mit strengerer Stimme. Das zeigte die gewünschte Wirkung. Ja, ich konnte auch anders! Zumindest legte er sich neben mich hin und rieb seine Schnauze an meinem Bein.
 

„Ich will nicht stören, aber ist dein Bruder da?“ Connor schnappte sich den angebotenen Stuhl, drehte ihn herum und packte seine Arme auf die Lehne.
 

„Ähm, nein, der ist irgendwas erledigen. Keine Ahnung wann er zurückkommt. Was brauchst du denn von ihm?“
 

Das interessierte mich brennend. Caleb mochte ihn nicht, das wusste ich jetzt schon. Er hatte ihm beim letzten Mal kurz widersprochen – ein böser Fehler.
 

„Ach, ich warte einfach. Was machst du da? Hausaufgaben?“ Neugierig rückte er mit dem Stuhl näher heran.
 

„Ja, irgendein Mist in Englisch. Keine Ahnung. Wir müssen was ausfüllen und ich kapiere das nicht“, gab ich frustriert zu. Sprachen waren nicht meine Stärke, vor allem keine Fremdsprachen.
 

„Ach, das sind ja Lückentexte. Ist ganz einfach, schau. Das, das und das ist falsch. Streich dir doch die Lösungen, die du eingesetzt hast, durch. Erleichtert die Arbeit ungemein. Habe ich in deinem Alter zwar auch nicht gemacht, aber später, in den höheren Schulstufen, war das eine große Hilfe. Die drei gehören der Reihe nach eingesetzt.“
 

Ich blinzelte kurz und folgte Connors Zeigefinger. Mein eigentlicher Lernpartner, Nicky, ging mir schließlich aus dem Weg und war jetzt auch nicht gerade die große Hilfe. Von Fleiß und Schuleifer fehlte jedes Spur – mein bester Freund teilte mein Los: Er war stinkfaul.
 

„Und das stimmt wirklich?“, fragte ich zweifelnd.
 

„Wofür hältst du mich? Klar stimmt das“, grinste er breit. „Ich war in Englisch immer gut. Genauso wie in allen anderen Sprachen. Hat man mir zumindest mal gesagt.“
 

„Echt? Das ist ja toll!“ Auf seinen fragenden Gesichtsausdruck hin senkte ich den Blick. „Also, freut mich für dich.“ Eigentlich hätte ich ihn ja auch fragen können, ob er mir noch hilft, ich musste nämlich etwas übersetzen, aber…
 

„Ich für mich auch. Ist das alles was du machen musst?“, hakte er nach.
 

„Ähm…“ Ich druckste ein wenig herum.
 

„Gib schon her“, lächelte er mich an und ich jubelte. „Freu dich aber nicht zu früh. Du musst es trotzdem alleine machen.“ Das Jubeln erstarb sogleich auch wieder.
 

Connor ließ mich das alles tatsächlich alleine übersetzen, der Schuft! Also so ganz alleine wäre auch gelogen, denn er half mir und ich musste auch viele Sachen (sehr zu meinem Leidwesen) komplett neu hinschreiben, aber in meinen Ohren klang das jetzt alles plausibel. Würde wohl mal eine gute Note werden. Nach getaner Arbeit räumte ich die Hefte weg und schaute auf die Uhr über der Tür. Es war vier Uhr und Caleb hatte sich noch immer nicht blicken lassen.
 

„Magst du irgendwas? Eine Cola oder so? Kekse?“
 

„Hm, zu einem Glas Cola würde ich nicht nein sagen, aber nur, wenn es dir keine Umstände macht.“
 

„Doch, brutal. Darum habe ich dich auch gefragt“, kicherte ich und huschte in den Keller. Leo, der Verräter, hatte inzwischen Platz gewechselt und rieb sich an Connors Jogginghose, die bereits voller Haare war.
 

„Leo, lass das. Du haarst ja alles voll!“, maulte ich und schnappte mir zwei Gläser aus dem Küchenregal.
 

„Schon okay. Gibt echt schlimmere Sachen.“ Connor kraulte Leo wieder hinter dem Ohr.
 

„Tut mir trotzdem leid.“
 

„Ach was. Die paar Haare werden mich schon nicht umbringen.“
 

Ich stellte die Cola auf den Tisch und schenkte ein. „Danke für die Hilfe.“ Damit schob ich ihm sein Glas hin.
 

„Dafür nicht. Hast du denn in Englisch Schwierigkeiten?“
 

Ich nippte an meinem Glas und überlegte kurz. Eine Drei konnte man wohl kaum als Schwierigkeit bezeichnen, oder? „Mittelfeld, würde ich behaupten.“
 

„Ah, na dann.“
 

„Warum?“
 

„Weil ich mal Nachhilfe angeboten habe, mit 17 oder so?“ Nachdenklich kratzte er sich am Hals. „Keine Ahnung, um den Dreh herum jedenfalls. Wenn dein Bruder zustimmt, hätte ich dir mal ab und an ein wenig über die Schulter schauen können.“
 

„Wobei soll Caleb zustimmen?“, wollte ich neugierig wissen.
 

„Na, ist ja egal. Kann ich auch mit dir besprechen, vorläufig zumindest. Meine kleine Schwester hat ein Pferd, einen Hengst, und irgendwie ist dessen Unterstellplatz beim letzten Regen abgesoffen. Jedenfalls sucht sie jetzt händeringend nach einem neuen Platz für ihn und ich wollte fragen, ob ihr noch eine Box frei hättet. Wir würden natürlich bezahlen und so weiter.“ Er griff nach seinem Glas und nippte daran.
 

„Wir haben schon einen Platz frei, aber das kann ich alleine nicht entscheiden. Ich glaube aber nicht, dass Caleb etwas dagegen hat!“
 

Okay, das war eine Lüge. Er würde sicher was dagegen haben. Ein zusätzliches Pferd bedeutete zusätzliche Arbeit und auch zusätzliche Kosten. Letzteres schien in Anbetracht des Wagens draußen wohl kein Problem, aber trotzdem – der Stolz meines Bruders war ziemlich groß und er war angefressen.
 

„Ich habe von so Sachen keine Ahnung. Wenn, dann müsste Olivia eh mal selbst herkommen und sich alles ansehen. Geht nur drum, zu fragen, ob ihr überhaupt vermieten würdet.“
 

„Und warum hast du nicht einfach angerufen?“
 

„Woher sollte ich denn bitte eure Nummer haben?“
 

„Von Magnus?“
 

Connor winkte mit der rechten Hand ab. „Der ist gerade ein wenig eingeschnappt. Außerdem mag ich die Ruhe hier. Wirkt so idyllisch.“ Leo bellte dazu passend. „Und Leo scheint mich auch vermisst zu haben“, fügte er grinsend an.
 

Ich überlegte kurz wegen Magnus nachzubohren, entschied mich dann aber dagegen. Wenn Caleb davon Wind bekam würde wieder eisiges Schweigen herrschen. Das wollte ich tunlichst vermeiden.
 

„Hm, also ich denke, das geht echt in Ordnung. Braucht deine Schwester denn noch Reitstunden?“
 

Auch das war wieder gelogen. Es würde nicht in Ordnung gehen. Warum machte ich Connor eigentlich falsche Hoffnungen?
 

„Olivia? Denke nicht? Oder schon? Keine Ahnung. Über sowas reden wir nicht.“
 

„Nicht?“ Das war mir völlig unverständlich. Wie konnte man bitte nicht über Tiere reden?
 

„Nein. Olivia hat andere Sachen im Kopf. Freundinnen, Partys – was halt so 16-jährige Mädchen interessiert. Meist beschränkt sich unser Kontakt darauf, dass ich sie und ihre Freundinnen irgendwo aufgabeln darf.“
 

Klang ja reizend, diese Olivia. Also das war nicht negativ gemeint! Ich meine, ich bin ja schließlich auch schon fast 16 und kannte mich dementsprechend mit den aufgezählten Interessen aus. Mehr oder weniger. Sie mochte Pferde, hatte sogar selbst eins. Das war gut.
 

„Du hast doch in deinem Auto nur zwei Sitze? Was machst du dann mit Olivias Freundinnen?“, wollte ich wissen.
 

„Die müssen dann halt laufen“, gluckste Connor und nippte wieder an seinem Glas.
 

„Ist ja voll unpraktisch so ein Auto.“
 

Ich biss mir auf die Lippen. Da war mein Mundwerk schneller gewesen als mein Hirn. Zu Caleb so etwas zu sagen bedeutete einen grausamen Starrtod zu sterben. Wenn Connor ähnlich an seinem Auto hing hatte ich mir gerade einen Feind gemacht.
 

„Ist es, aber ich fahre ja auch nicht mit dem die ganze Zeit. Hast du korrekt erkannt. Meine Eltern haben was Geräumigeres. Da passen mehr Leute rein.“
 

„Auch so einen teuren Sportwagen?“
 

„Nein. Die sind mehr funktional angehaucht. Spießig, würde ich sagen.“ Dabei grinste er wieder breit. „Und sie fahren auch nicht sonderlich gerne. Außerdem bedeutet es weniger Anschiss, wenn ich Olivia abhole und sie ins Bett schleichen kann, um ihren Suff auszuschlafen, als wenn es meine Eltern mitbekommen. Tun sie sowieso, aber es stimmt sie halt milder, sie nicht komplett hackedicht zu sehen.“
 

„Mh, Caleb mag es auch nicht gerne, wenn ich betrunken bin.“
 

„Ist auch nichts worauf man stolz sein muss.“
 

„Das heißt du trinkst nichts?“, fragte ich vorsichtig nach. Das mit dem Auto hätte schon ins Auge gehen können, ihn jetzt zu verärgern wollte ich auch nicht riskieren.
 

„Doch, aber halt in Maßen. Ich schieße mich nicht komplett ab. Bringt eh nichts – der ganze nächste Tag ist gelaufen und du kotzt dir die Seele aus dem Leib. Da grinse ich lieber, mit einem Glas Limo in der Hand, auf dem Badewannenrand sitzend und sehe Olivia dabei zu, wie sie die Toilette missbraucht.“
 

„Das ist aber nicht nett!“, entrüstete ich mich.
 

„Um drei Uhr morgens geweckt zu werden auch nicht“, stellte Connor nüchtern fest.
 

„Okay, das stimmt.“
 

„Ist aber nicht mein Bier. Leidet ja sie und nicht ich.“ Die eisblauen Augen musterten mich kurz eingehend. „Wieso bist du eigentlich mit 15 schon betrunken gewesen?“
 

Ich wurde rot im Gesicht und biss mir auf die Unterlippe. Was sollte ich jetzt sagen? Die Entscheidung wurde mir durch Caleb abgenommen, der gerade in die Küche kam. Sein Blick fiel zuerst auf mich, dann auf Connor. Letzteren begrüßte er mit einem äußerst kalten „Hallo“ gefolgt von einem „Gibt es einen bestimmten Grund warum du bei uns in der Küche hockst?“. Dazu noch ein stoisch-zorniger Blick und sein abweisendes Verhalten war perfekt beschrieben. Jetzt würde es krachen, ganz sicher.
 

„Mh, meine Schwester bräuchte einen Unterstellplatz für ihr Pferd. Ich wollte fragen ob ihr noch eine Box frei habt.“ Die schroffe Art meines Bruders überging Connor einfach.
 

„Haben ja, vermieten…“, begann Caleb und ich fiel ihm einfach ins Wort.
 

„Klar vermieten wir.“
 

Unter seinem zornigen Blick wurde ich ein wenig kleiner. Das würde ich später bitter bereuen. Er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf unseren Gast und seufzte leise. „Das kommt drauf an.“
 

„Es geht nur um die grundsätzliche Frage des ob. Den Rest soll sie mit euch klären. Wegen der Bezahlung – ich habe keine Ahnung was das kostet. Der letzte Stellplatz war aber schon nicht billig, was ich von meinen Eltern mitbekommen habe. Ich glaube daher nicht, dass das ein Problem ist.“

Caleb wollte schon etwas erwidern als Connor die Hand hob.

„Moment, ich bin noch nicht fertig. Sei so nett und lass mich ausreden, ja?“

Ein wütendes Schnauben war die stumme Antwort.

„Ich würde außerdem Danny unentgeltlich ein bisschen Nachhilfe geben. Dir auch, falls notwendig.“ Der abwertende Blick seitens Connor war nicht zu übersehen.
 

„Und welche Qualifikationen hast du?“

Caleb starrte genauso zurück.
 

„Hm, ein exzellenter Notenschnitt, Erfahrungswerte als Nachhilfelehrer sowie die Tatsache, dass ich studiere. Hat dir Magnus doch sicher erzählt, oder?“
 

Es fehlte nicht mehr viel und mein Bruder würde Connor eine langen, davon war ich überzeugt. Das, oder ihn ordentlich anfahren. Ich sah die Chancen auf einen netten Nachhilfelehrer, den ich auch noch mochte, wie auch Leo, der sich unter dem Tisch breitgemacht hatte, dahinsterben. Auf eine Prügelei hatte ich keinen Bock, zumal Connor nicht viel kleiner als Caleb war.
 

„Bitte, Caleb“, sagte ich und setzte dazu meinen besten Hundeblick auf.
 

Man konnte meinem Bruder ansehen, dass er sich sträubte. Normalerweise reichte es aber aus, wenn ich ganz lieb fragte. Meistens. In diesem Fall fürchtete ich aber, war das zu wenig.
 

„Von mir aus“, murrte Caleb zu meinem großen Erstaunen und gab sich geschlagen.
 

„Hurra!“, rief ich und fiel meinem Bruder um den Hals. Auch wenn das zwangsläufig lernen bedeutete, so bekam ich auch etwas Gesellschaft. Nette Gesellschaft. Caleb indes tätschelte mir den Rücken und löste sich dann wieder gleich aus der unfreiwilligen Umarmung.
 

„Sehr schön. Ich werde Olivia dann Bescheid geben. Kann ich eure Nummer haben? Damit sie anrufen kann?“
 

Ich griff eilig nach meinem Rucksack, zog meinen Block heraus, riss davon eine Ecke ab und kritzelte unsere Nummer drauf. Freudestrahlend hielt ich sie Connor entgegen, der sie in seine Hosentasche steckte.
 

„War nett. Danke für die Cola. Ich muss jetzt los. Man sieht sich!“ Er hob die Hand zum Abschied und ging dann nach draußen. Der Motor dröhnte auf und einen Augenblick später war der gelbe Sportwagen verschwunden.
 

„Ich mag ihn nicht“, stellte Caleb das Offensichtliche fest.
 

„Warum eigentlich?“
 

„Weil er hochnäsig ist und glaubt was Besseres zu sein. Außerdem hat er keinen Anstand.“
 

„Das stimmt gar nicht! Er ist total lieb gewesen.“
 

„Das sagst du“, murrte mein großer Bruder.
 

„Lässt du seine Schwester ihr Pferd unterstellen?“, versuchte ich das Gespräch in eine andere Bahn zu lenken.
 

„Mal sehen. Wenn sie auch so drauf ist wie er, dann nein.“
 

Ich seufzte innerlich. Na das konnte ja heiter werden.

Ich saß gerade wieder über meinen Hausaufgaben (von denen wir erstaunlich viele bekamen in letzter Zeit) als Caleb in die Küche kam und mir einen schwer zu deutenden Blick schenkte. Auf mein fragendes Gesicht schnaubte er nur abfällig.
 

„Was ist denn?“ Wenn er schon nicht mit der Sprache rausrückte dann musste eben ich nachbohren.
 

„Dein Freund kommt wohl gleich mit seiner Schwester vorbei“, wobei er „Freund“ äußerst abwertend betonte.
 

„Wirklich?“ Meine Stimme überschlug sich fast. Das würde eventuell Nachhilfe bedeuten und mich von dieser Qual in meinem Heft erlösen.
 

„Du freust dich ein wenig zu sehr für meinen Geschmack, Danny.“
 

Ich streckte Caleb die Zunge raus und musste dem Drang widerstehen meine Nase gegen die Fensterscheibe zu pressen und am besten noch die Hände mit dazu.
 

„Wenn sie nicht gut zahlen dann…“
 

„Was dann, Caleb? Sei nicht immer so, so“ – ich suchte das richtige Wort dafür – „so negativ!“
 

„Das hat mit Negativität nichts zu tun. Er riecht nach Ärger und Problemen, wahrscheinlich auch seine Schwester.“
 

„Du kennst Olivia doch noch nicht einmal und Connor nur ganz flüchtig!“, verteidigte ich meinen neuen Nachhilfelehrer energisch.
 

„Das was ich gesehen habe hat mir gereicht.“ Der Unterton in Calebs Stimme signalisierte mir, dass dieses Gespräch beendet war. Ich gab mich geschlagen. Wenn er so auf stur schaltete konnte niemand etwas an seiner Meinung ändern. Ich glaube nicht einmal Nicky war dazu imstande.
 

Der gelbe Porsche bog gut eine halbe Stunde später auf den Hof ein und wurde von Leo bereits freudig bellend erwartet. Gleiches galt für mich. Ich hatte bei den ersten Anzeichen unserer Gäste bereits meine Schuhe an und stürzte nach draußen. Connor kraulte Leo das Fell ordentlich durch, während sich ein Mädchen zu ihm gesellte. Das musste Olivia sein: Sie hatte schulterlanges, zu einem Zopf geflochtenes, schwarzes Haar, braune Augen und blasse Haut. Ein schwarz-weiß gestreiftes T-Shirt unter einer Jeansjacke und eine schwarze Hose samt passenden Sneakers rundeten das Bild eines Mädchens in meinem Alter ab, das wahrscheinlich zu den beliebteren Exemplaren ihrer Klasse gehörte. Connor trug heute ein grau-schwarzes Knopfshirt, locker sitzende Jogginghosen und die Sneakers vom letzten Mal.
 

„Hallo Leo“, spielte er mit dem Zottelbock, der ihm bereits das Oberteil vollgesabbert hatte.
 

„Hi, Connor!“, machte ich auf mich aufmerksam und grinste breit.
 

„Hey, Danny!“, grüßte er zurück.
 

„Du bist also Danny“, unterbrach das Mädchen unsere Begrüßung. Sie kam lächelnd auf mich zu und bot mir ihre Hand an. „Mein Bruder hat mir schon viel von dir erzählt. Ich bin Olivia. Freut mich dich kennenzulernen.“
 

Ich schüttelte die angebotene Hand und lächelte zurück: „Hey, freut mich. Hat er das?“
 

Sie nickte bekräftigend. „Hat er, ja.“
 

„Nur Positives“, meldete sich Connor aus dem Hintergrund zu Wort, gab sich dann aber gleich wieder Leo hin.
 

„Na hoffentlich“, grinste ich. „Du suchst also einen Unterstellplatz für dein Pferd?“
 

„Ja, mehr oder weniger. Also mir wäre der alte Platz schon lieber, aber das Unwetter vor einem Monat hat das Stalldach abgedeckt und die Reparaturen dauern noch eine kleine Ewigkeit. Bis dahin bräuchte ich zumindest eine Übergangslösung. Ich möchte Achilles nicht irgendwo versauern lassen und Connor meinte, sein Freund hätte gesagt, dass ihr euch gut um die Pferde kümmern würdet.“
 

Meine Augen verengten sich ein wenig. Das hatte Magnus gesagt? Wohl kaum. Entweder eine Lüge oder er wollte schleimen oder Connor wollte schleimen. Letzteres schloss ich aber aus: Dafür wirkte er zu nett.
 

„Achilles?“, fragte ich ein wenig verwirrt nach.
 

„Die Idee meines Bruders.“ Olivia rollte mit den Augen.
 

„Zier dich nicht so, Olivia. Achilles war einer der bedeutendsten Helden Griechenlands. Sein Pferd nach so einer Berühmtheit zu benennen muss Glück bringen! Außerdem war er nur an seiner Ferse verwundbar. Wenn das auch mal auf deinen Schatz zutrifft, dann…“ Ihr Bruder ließ den Satz mit einem feixenden Gesichtsausdruck offen.
 

„Kann nicht jeder so ein Freak sein wie du und sich für diesen Schwachsinn interessieren.“
 

Ich musste unweigerlich grinsen. Das erinnerte mich stark an Caleb und mich, wenn er denn mal gute Laune hatte. Gut ich war nicht so frech wie Olivia und Caleb grinste nicht so wie Connor, aber es war übliches Geschwistergezanke. Apropos, wo wir gerade von Geschwistern sprechen; meines kam gerade durch die Tür und musterte sowohl Olivia, als auch deren Bruder, mit einem äußerst uncharmanten Blick.
 

„Und du musst dann Caleb sein“, stellte die Schwarzhaarige fest und hielt Caleb die Hand hin. Dieser zögerte einen Moment bevor er sie ergriff und schüttelte.
 

„Freut mich dich kennenzulernen. Danke, dass ich überhaupt einmal schauen darf. Ich nehme an, ich mache mir das alles mit dir aus?“
 

„Richtig“, stellte Caleb fest und warf mir einen „Wage es ja nicht dich einzumischen“-Blick zu.
 

„Kannst du mir dann einmal alles zeigen? Connor kann sich ja inzwischen zur Abwechslung mal nützlich machen und deinem Bruder Nachhilfe geben.“ Olivia grinste breit und sogar Caleb hob kurz die Mundwinkel an. Höflich bedeutete er ihr in Richtung Stall vorauszugehen.
 

„Dein Bruder liebt mich heiß und innig, was?“

Connor kam in Begleitung von Leo zu mir und versuchte sich dabei den Hundesabber vom Shirt zu wischen.
 

„Ach das ist bei Caleb normal. Denk dir nichts!“
 

„Herzallerliebst. Gut, dass ich bei Magnus´ Geburtstagsfeier nicht dabei war. Wenn er da auch so fröhlich dreingeschaut hat, na dann Gute Nacht.“
 

Ich stutzte einen Moment und lachte dann lauthals. Im Nachhinein betrachtet hatte er sich tatsächlich so verhalten. Zumindest ansatzweise griesgrämig. Gut, die Party war auch absolut langweilig gewesen und Nicky hatte es geschafft scheiße zu bauen, aber da waren sie ja auch noch nicht zusammen und mein Bruder einfach nur genervt gewesen. Also Nicky mit Caleb, nicht Caleb und Magnus. Die waren ja zusammen. So irgendwie.
 

„Die gute Laune der Familie hast wohl du geerbt, hm?“
 

„Ein bisschen vielleicht. Caleb ist eigentlich total nett und lieb, wenn er jemanden mag.“
 

Nun das war ein wenig geflunkert. Meinen Bruder als umgänglich zu beschreiben wäre sehr übertrieben gewesen. Ich kannte ihn aber nicht anders und mir gegenüber verhielt er sich normalerweise nicht so. Für mich war Caleb beinahe der tollste große Bruder, den man haben konnte. Beinahe.
 

„Ich glaube du bist viel zu nett, Danny. Macht dich sympathisch.“ Connor zerstrubbelte mir, unter einem heftig kichernden Protest meinerseits, die Haare.
 

„Lass das“, maulte ich gespielt beleidigt. „Sonst mache ich das bei dir auch!“
 

„Schon gut, schon gut. Nicht, dass du mich am Ende mal böse anguckst. Einer reicht mir.“ Seine Mundwinkel zuckten und ich musste ich zusammenreißen nicht erneut loszulachen. Das alles sollte Caleb besser nicht hören.
 

„Hast du Hausaufgaben?“
 

„Ja, leider.“
 

„Na dann schauen wir mal.“
 

Connor tat mir zwar nicht den Gefallen, mir einfach anzusagen was ich machen musste (wieder mal Englisch, hurra), aber er half mir mit den Formulierungen. Das war zäh und anstrengend, schien aber ganz gut zu funktionieren. Ich kapierte sogar ein wenig von dem Mist, den ich da ins Heft kritzelte.
 

„Studierst du eigentlich Englisch?“, fragte ich ihn beiläufig.
 

„Nein. Sport und Philosophie“, war seine Antwort während er mit dem Finger auf einen kriminell klingenden Satz zeigte.
 

„Klingt langweilig.“
 

„Was davon?“
 

„Beides?“, sagte ich frech.
 

„Dachte ich in deinem Alter auch. Sport war mehr so, hm, keine Ahnung, hat sich halt angeboten. Philosophie aber nicht. Das war ein Wunsch.“ Connor hob die Mundwinkel an. „Es ist sogar ganz cool, glaub mir.“
 

„Es ist absolut öde, oder?“, vermutete ich.
 

„Kommt drauf an. Zieht bei den Mädels ganz gut.“ Das klang ein wenig zu nebensächlich, so als hätte er über das Wetter gesprochen.
 

„Aha und wie?“ Mir war da nämlich eine Idee gekommen.
 

„Was meinst du und wie?“ Er sah von meinem Heft auf und legte ein wenig den Kopf schief.
 

„Wie machst du das denn? Ich meine, was machst du, damit es den Mädchen gefällt?“
 

Connor überlegte kurz und rückte dann mit dem Stuhl näher zu mir heran. Die Finger seiner rechten Hand legte er unter mein Kinn und zwang mich ihn mit sanfter Gewalt anzusehen. Seine Augenlider wanderten ein wenig nach unten und er setzte einen verträumten Gesichtsausdruck auf.
 

„Ich habe noch nie so etwas Schönes und Faszinierendes wie deine braunen Augen gesehen. Sie besitzen den Ausdruck eines scheuen Rehs, dem man die Süße von Schokolade und einen Hauch Bitterkeit beigemengt hat. Eine perfekte Komposition, einmalig, unbegreiflich, bezaubernd. Ich könnte mich stundenlang darin verlieren und würde am Ende nicht eine Sekunde davon bedauern, denn es war ein Blick in deine Seele. Hätte ich noch einen allerletzten Wunsch frei, so würde ich mich ein letztes Mal darin sehen wollen, bevor ich diese Welt verlasse. “
 

Ich brauchte einen Moment, um begreifen was er meinte, dann glühten meine Wangen seltsam auf. Ich kapierte zwar nicht alle seine Worte, aber sie klangen, in Kombination mit dieser weichen sanften Stimmlage, die er angeschlagen hatte, wunderschön.
 

„Ähm, danke“, murmelte ich verlegen und räusperte mich, damit meine Stimme wieder einen normalen Ton annahm.
 

„So ungefähr funktioniert das. Wenn sie dann noch ein wenig betrunken sind, und nicht gerade komplett ungebildete Analphabeten, muss man die Nummer mit „Ich würde für dich sogar einen Drachen erlegen“ oder „dein ebenholzschwarzes Haar hätte sogar Schneewittchen vor Neid erblassen lassen“ nicht auspacken. Das ist außerdem zu seicht, billig, abgekupfert.“
 

Connor ließ mich los und wandte sich wieder dem Heft zu. Ich blinzelte perplex und mein Herz pochte noch immer ein wenig schneller. Hatte er das mit den Komplimenten ernst gemeint? Schien nicht so, denn er schenkte mir keine weitere Beachtung. Ein Knoten machte sich in meiner Brust breit. Das war wohl nur ein Beispiel gewesen. Niederschmetternd.
 

„Sehen wir zu, dass wir fertig werden. Olivia lange warten zu lassen gleicht Selbstmord.“
 

Er tat wirklich so als wäre nichts gewesen. Meine Lippen zitterten ein wenig und ich begann wieder in mein Heft zu schreiben.
 

„Und das funktioniert?“, fragte ich nach einer Weile des Schweigens, das nur ab und an von meinem Nachhilfelehrer und dessen Instruktionen unterbrochen wurde.
 

„Hm? Was funktioniert?“ Er schaute mich verwirrt an.
 

„Na dieses Augendings von vorhin?“
 

„Ach so. Ja, schon. Wie gesagt, dafür sind nicht alle empfänglich, aber meist zieht es. Warum? Willst du deine Freundin damit beeindrucken? Oder deinen Schwarm?“ Connors Mundwinkel zuckten verräterisch.
 

„Ähm, so in der Art vielleicht?“
 

„Hach, ist das süß. In deinem Alter ist das ein wenig schwierig, aber solche Komplimente zeugen eigentlich davon, dass du dir Gedanken machst und nicht irgendeinen 0815-Scheiß aus dem Netz ziehst und vorliest.“ Er legte einen Arm um meine Schulter und schenkte mir ein strahlendes Lächeln. „Soll ich dir helfen? Ich meine, so ganz unverbindlich.“
 

„Ich weiß nicht…“, murmelte ich verlegen. Im Nachhinein klang das nach keiner so guten Idee.
 

„Überlegs dir einfach. Natürlich musst du es dir selbst überlegen, sonst wäre es ja nicht von dir, aber so ein Hauch von Romantik kann oft das Zünglein an der Waage sein.“
 

„Das Zünglein an der Waage“ echote es in meinem Kopf. Was Connor jetzt noch plapperte blendete ich vollends aus. Das war etwas, das Caleb sicher nicht konnte. Nicky war zwar kein Mädchen und wahrscheinlich würde er es blöd finden, aber es würde ihn sicher auch zum Nachdenken anregen. Vielleicht war das ja meine Chance? Konnte ich damit das Ruder herumreißen?

Ein Handyklingeln riss mich aus meinen Gedanken und unterbrach Connors Redeschwall. Er rollte mit den Augen und seufzte leise.
 

„Kleine Schwestern sind sowas Nerviges. Sogar zu faul ihren Hintern herzubewegen.“
 

Connor stand auf und klopfte mir auf die Schulter: „Wir sind ja soweit fertig. Ich will sie nicht länger als nötig warten lassen, sonst reißt sie mir den Kopf ab.“ Er zwinkerte mir zu. „Nur Mut. Mach dir mal ein paar Gedanken und ich helfe dir dann, okay?“
 

„Okay“, ging ich halbherzig auf das Angebot ein.
 

„Wenn sie weiß was gut ist, wird sie dir spätestens nach einem Hauch von Poesie verfallen sein. Versuch sie einfach in deine Augen sehen zu lassen. Sie haben wirklich etwas Anziehendes.“
 

Schon, nur war meine Sie keine sie, sondern ein Er. Das würde das Ganze wohl etwas verkomplizieren. Moment mal: Was hatte er da eben gesagt?
 

„Meinst du das ernst?“
 

„Natürlich, sonst hätte ich es nicht gesagt, oder?“, zwinkerte Connor und winkte zum Abschied. „Man sieht sich.“
 

Ich blieb in meinem Stuhl sitzen und dachte nach. Meine Wangen glühten wieder und irgendwie freute ich mich, denn indirekt hatte Connor mir gesagt, ich sei wohl doch eine gute Partie. Kein kleines Kind, wie mich Caleb und Nicky öfter hinstellten. Ich hatte wunderschöne Augen. Augen, in denen man sich verlieren konnte! Hätte nur Nicky das gesagt. Meine Freude verflog und machte Trübsal Platz.
 

„Du siehst ja aus als hättest du einen Geist gesehen.“
 

Das zweite Mal heute, dass ich so sehr in Gedanken versunken war. Das war normalerweise gar nicht meine Angewohnheit. Caleb starrte mich fragend an und deutete auf meine quer über dem Küchentisch verstreuten Sachen: „Bist du fertig? Wenn ja, dann räum auf. Wird bald Zeit fürs Abendessen.“
 

„Lässt du Olivia ihr Pferd unterstellen?“, fragte ich und sortierte alles in meinen Rucksack hinein.
 

„Mh“, brummte er und stellte eine Pfanne auf den Herd.
 

„Wirklich?“, fragte ich freudestrahlend. Das bedeutete mehr Gesellschaft für mich! Olivia wirkte nämlich auch ganz nett, sofern man das innerhalb von fünf Minuten beurteilen konnte. Ich konnte das!
 

„Sie scheint ganz vernünftig zu sein, im Gegensatz zu ihrem hochnäsigen Bruder, und sie zahlen gut. Ihr Pferd soll auch problemlos sein.“ Er zuckte mit den Schultern und schlug ein paar Eier in die bereits vor sich hin brutzelnde Pfanne.
 

„Ist er gar nicht!“
 

„Ist er sehr wohl. Er glaubt, nur weil er ein teures Auto fährt und studiert, dass er jemand ist, zu dem man aufschauen muss.“
 

„Das stimmt gar nicht! Zu mir war er immer lieb und nett!“ Fast hätte ich ihm noch gesagt, dass ich laut Connor wunderschöne Augen hatte, aber das wäre komisch rübergekommen.
 

„Du bist 15, Danny. Das kannst du einfach noch nicht so beurteilen wie ich.“
 

„Ich bin fast 16!“, konterte ich.
 

„Ja, das ändert aber auch nichts. Und jetzt iss, sonst wird es zu spät für die Stallarbeit.“
 

Damit stellte er mir einen Teller mit Rührei hin. Wenn der wüsste! Ich hatte jetzt so etwas wie einen Plan.

Es war ungefähr gegen Abend als das Telefon klingelte. Caleb war schneller als ich. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen war er wenig begeistert. Mehr als ein „Mh“ und ein „In Ordnung“ war nicht zu hören, was das Gespräch recht einseitig gestaltete. Das mussten ja tolle Neuigkeiten sein. Hatte Nicky was angestellt? Oder ich? Meine Wenigkeit war sich keiner Schuld bewusst. Blieb also nur mehr der Freund meines Bruders übrig.
 

„Wer war das?“, wollte ich wissen, nachdem er aufgelegt hatte.
 

„Dein Freund – sie bringen wohl das Pferd vorbei.“
 

„Ich dachte, du hättest dich noch nicht entschieden?“
 

„Habe ich mich aber. Sie zahlen gut und der Gaul ist pflegeleicht. Demnach dürften wir wenig Probleme haben. Sie braucht außerdem keine Reitstunden, das wäre sowieso an dir hängen geblieben.“
 

„Und wann wolltest du mir davon erzählen?“, schnaubte ich wütend. Er hatte mich einfach übergangen. Was sollte der Mist denn schon wieder?
 

„Jetzt“, grinste er amüsiert und ließ mich alleine im Wohnzimmer auf dem Sofa zurück.
 

Fein, wirklich sehr fein. Das tat sein Übriges, um mir die Laune zu vermiesen. Mein Plan, Nicky mit einem Gedicht zu erobern, oder zumindest es zu versuchen, war bisher nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Jedes Mal, wenn ich zu schreiben begann, verwarf ich das Ganze wieder. So etwas wie Connor mit meinen Augen angestellt hatte, das brachte ich nicht zustande. Ehrlich gesagt wusste ich nicht einmal welche Farben Nickys Augen hatten. Meist verlor ich mich in den blonden, langen Haaren und seiner Art. Caleb meinte zwar einmal, er sei ein schlechter Einfluss, aber das hatte sich auch etwas gewandelt. War ja klar: Zumindest mir gegenüber konnte er schwerlich zugeben, dass sein Freund noch immer nicht handzahm und brav war. Das würde er wohl auch nie sein und genau das faszinierte mich so an ihm: Nicky war weder brav noch wollte er sich irgendwie unterordnen. Okay, das klang sogar in meinen Ohren ein wenig bescheuert, denn solche Leute gab es wie Sand am Meer, aber trotzdem: Nicky war etwas Einzigartiges.
 

„Kommst du, oder willst du deinen Freund nicht beschäftigen?“, steckte Caleb den Kopf durch die Tür.
 

„Und was machst du inzwischen? Seine Schwester beschäftigen?“
 

Der Konter hatte gesessen, das erkannte ich, als sich Calebs Augenbrauen nach unten schoben. Ein schlechtes Omen, aber das war mir gerade völlig egal. In mir rumorte es bereits seit Wochen. Caleb und Nicky taten so als wäre gar nichts passiert. Ich fühlte mich ausgeschlossen, ausgegrenzt und ich war angepisst. Dann noch diese Rücksichtnahme – als ob ich nicht wüsste, dass sie nun eben bei Nicky im Zimmer oben… taten was auch immer man gemeinsam tut als Pärchen.
 

„Sei nicht so frech, Danny.“
 

Mir lag ein „Leck mich“ auf der Zunge, aber ich entschloss mich dazu den Mund zu halten. Er würde höchstwahrscheinlich wieder den Griesgram mimen, wenn Olivia und Connor auftauchten. Da gab es dann genug Streitpotential.
 

Zu meiner Überraschung bog nicht der gelbe Porsche, sondern ein geräumiger, schwarzer Geländewagen auf den Hof ein. Im Schlepptau hatte er einen großen Pferdeanhänger. Dessen Insasse wieherte bereits lautstark.
 

„Hey, Danny – Mr. Griesgram“, grinste Connor als er ausstieg und die Schlüssel in die Tasche seiner schwarzen Trainingsshorts schob. Caleb schnaubte nur abfällig und ich winkte freudestrahlend. Olivia tat es ihrem Bruder gleich, nur dass sie Caleb gegenüber weit höflicher war.
 

„Hallo Caleb, hey Danny. Danke noch einmal, dass ich Achilles unterbringen darf. Ist echt höchste Eisenbahn.“
 

„Klar“, nickte ich und kam Caleb zuvor, dem schon wieder ein bissiger Kommentar auf den Lippen hing. „Bin schon ganz gespannt auf Achilles!“
 

„Es ist ein Pferd“, rollte Connor mit den Augen. „Zwar mit einem schönen Namen, aber immer noch ein Pferd.“
 

„Er ist kein Pferd, er ist etwas Besonderes!“ Olivia boxte ihrem Bruder gegen den Arm, der sich über die Schulter rieb und mir dabei zuzwinkerte. Mit den Lippen formte er stumm das Wort „Geschwister“ und ich musste ein Prusten unterdrücken. Sein Blick war dabei gleich zu Caleb gewandert, der die Brauen in die Höhe zog aber nichts dazu sagte.
 

„Dann laden wir ihn einmal ab“, meinte er nur und machte sich gemeinsam mit Connor daran den Anhänger zu öffnen.
 

„Wir können dann ja einmal ausreiten?“, schlug ich Olivia vor.
 

„Klar. Caleb meinte dir gehört die rotgescheckte Stute, Kalypso, oder?“
 

„Ja!“, nickte ich begeistert.
 

„Was für ein edler Name. Kalypso – Tochter des Atlas und Geliebte des Odysseus. Der Sage nach soll sie wunderschön gewesen sein und dazu verdammt, sich in einen Heros zu verlieben, der sie von sich wegstoßen wird.“
 

Alle drei Augenpaare hatten sich auf Connor gerichtet, der fragend zurückstarrte. „Was? Habe ich was im Gesicht?“
 

„Du bist so ein Spinner. Hättest du mal was Sinnvolles zu studieren begonnen. Elektrotechnik oder Medizin. Nein, mein werter Bruder sucht sich Sport und vor allem Philosophie aus. Die Nummer zieht nicht, sieh es ein“, giftete Olivia grinsend. Caleb verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln.
 

„Mal sehen was meine werte Schwester so studiert. Wahrscheinlich ‚Ich werde mit 17 Mutter‘ oder Psychologie, mit dem Schwerpunkt ‚Warum meine Beziehungen nie halten.‘
 

„Was soll das heißen?“, fuhr ihn die Schwarzhaarige an.
 

„Dass du vielleicht etwas weniger wählerisch sein solltest, das ist alles.“
 

„Ähm“ – ich deutete auf Caleb, der kopfschüttelnd weitergemacht hatte und mit seiner Seite fertig war.
 

„Ah ja stimmt, hatte ich fast vergessen“, murmelte Connor und machte sich wieder an die Arbeit.
 

Achilles stellte sich als pechschwarzer Hengst heraus, der es gut und gerne mit Abyss aufnehmen konnte. Also er war nicht so bockig und machte einen eher freundlichen Eindruck, aber in den Augen des Tiers war eine Spur Schalk, wie auch Intelligenz zu erkennen. Er ließ sich brav von Olivia in den Stall führen, unter dem wachsamen Blick meines Bruders, aber ich hatte den Eindruck, das Pferd würde mir höhnisch zugrinsen. Sicher nur Einbildung! Olivia meinte ja, er sei unkompliziert.
 

„Bezaubernd meine Schwester, was?“, meinte Connor, der keinen Anstalten machte sich vom Auto wegzubewegen. Lässig starrte er unseren Geschwistern nach, die Beine überkreuzt, gegen den Kühlergrill des Autos gelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt.
 

„Ich finde sie nett. Caleb scheint sie zu mögen“, stellte ich fest.
 

„Sie ist auch nett, nur gerade in einem schwierigen Alter.“
 

„Hey!“ Ich trat ihm bewusst sanft gegen das Schienbein, was mit einem amüsierten Grinsen belohnt wurde.
 

„Du bist kein Mädchen, Danny. Die sind viel schlimmer.“
 

„Warum?“ Ich zögerte kurz und lehnte mich dann neben Connor gegen den Wagen.
 

„Sie ist eine absolute Kratzbürste gerade. Sie streitet mit meinen Eltern, mit mir und wechselt ihre Freunde in einem ungesunden Tempo. Sie bräuchte jemand Anständigen, jemanden der sie auf Kurs behält und der vielleicht etwas anderes als Party im Kopf hat.“
 

„So wirkt sie aber gar nicht?“
 

„Warte mal ein wenig ab. Vielleicht hast du eh bald Gelegenheit dazu“, meinte er.
 

„Was?“
 

Bevor Connor zu einer Antwort ansetzen konnte kamen schon Olivia und Caleb zurück, der äußerst zufrieden wirkte.
 

„So, Achilles ist in der Box. Er war auch ganz brav. Ich habe mit deinem Bruder schon alles abgeklärt“, strahlte sie. „Ich bin echt begeistert. Hier hat er einen guten Platz.“
 

„Natürlich hat er das“, stellte mein Bruder fest.
 

„Klar! Wir passen gut auf ihn auf!“, fügte ich fröhlich an. Ich freute mich wirklich. Ich konnte mir nichts anderes vorstellen als ein Leben auf dem Reiterhof. Wenn ich größer war wollte ich gemeinsam mit Caleb das Ganze wiederaufbauen um davon leben zu können.
 

„Da wäre aber noch was.“ Olivia zögerte kurz und sah zwischen Caleb und mir hin und her. „Also ich feiere nächstes Wochenende meinen 17ten Geburtstag und ich würde euch beide, natürlich mit Begleitung, einladen. Als kleines Dankeschön dafür, dass das hier so schnell und unkompliziert über die Bühne gegangen ist.“
 

„Klar kommen wir!“ Das war meine Chance und die musste ich auch nutzen. Calebs missgünstigen Blick überging ich einfach einmal.
 

„Cool“, lächelte sie. „Freue mich.“
 

„Wir uns auch!“
 

Wir war übertrieben. Mein Bruder schaute drein wie drei Wochen Regenwetter.
 

„Soll Connor euch abholen?“
 

„Nein“, antwortete Caleb so schnell, dass ich nichts einwerfen konnte. „Ich fahre selbst.“
 

„Sehr schön! Wenn ich euch die Adresse gebe, findet ihr selbst hin?“
 

„Natürlich, wir sind schließlich keine Hinterwäldler.“
 

„Gut, dann…“
 

Ich warf Connor einen fragenden Blick zu, der nur immer wieder den Kopf schüttelte, während Olivia sich mit Caleb unterhielt. Da schaltete ich automatisch auf Durchzug. Die Fahrt musste sowieso er organisieren.
 

„Was hast du?“, fragte ich leise, noch immer neben ihm.
 

„Ach nichts. Das wird wieder so eine grauenhafte Party, bei der ich am Ende meinen Eltern erklären darf, warum die Bude aussieht wie ein Schweinestall.“ Er gluckste bei der Aussage, was das Ganze nicht wirklich ernst wirken ließ.
 

„Hm, und was heißt das dann? Eine kleine Explosion im Haus?“
 

„Stell dir mal vor, es hätte ein Krieg geherrscht, dazu der Abwurf einer kleine Atombombe und zwischendrin war noch eine Horde wildgewordener Groupies unterwegs. Wie in so einer Kommune.“

Auf Olivias wütenden Seitenblick hin schaute Connor nur unschuldig drein.
 

„Wirklich?“
 

„Nein. Sie ist eigentlich wirklich ganz brav. Ihre Freundinnen auch. Bei deren Freunden wiederum bin ich mir nicht ganz so sicher, aber hey, man wird ja nur einmal 17. Wer bin ich, dass ich ihr das verbiete?“
 

Ja, wer war er? Caleb hätte mir den Kragen umgedreht, würden wir bei einer meiner Geburtstagsfeiern das Haus verunstalten. Entweder übertrieb Connor wirklich maßlos oder er war äußerst geduldig und nicht nachtragend. Das klang nämlich fast so, als würde er am Ende für jegliche Probleme gradestehen, die sich aus der Pary ergeben könnten.
 

„Warum hast du deine Stute eigentlich Kalypso genannt, Danny?“
 

Wow, was für ein Themenwechsel.
 

„Ähm, mir hat der Name gefallen?“
 

„Gute Wahl, ähnlich wie Achilles. Okay, war auch mein Vorschlag, wobei noch andere Namen im Rennen waren.“
 

„Hm?“
 

Ich verstand nur Bahnhof.
 

„Naja, seinem Haustier oder in dem Fall Reittier, einen besonderen Namen zu geben, schafft Verbundenheit und zeugt davon, dass man sich Gedanken gemacht hat. Ich hätte meinen Hund etwa nach Kaiser Augustus benannt, oder Octavian, oder Trajan…“
 

„Das sind doch keine Hundenamen!“, rief ich entrüstet. Wenn ich da an Leo dachte… Octavian, also wirklich. Hörte sich an wie ein Auto.
 

„Nein, römische Kaiser. Schon klar, Danny. Es verleiht ihnen aber etwas Besonders.“
 

„Hast du denn überhaupt einen Hund?“
 

„Nein, und auch kein Pferd. Wenn, dann hätte ich es aber Roter Hase oder Chi Tu genannt.“
 

„Was? Hase? Das andere klang Chinesisch?“
 

Irgendwie war mir das Ganze nicht so geheuer. Komische Namen, dazu Connors seltsam verträumter Blick.
 

„Ja, Chi Tu war ein legendäres Pferd. Sein Fell so wirklich rot gewesen sein und der Schweif, wie auch die Mähne, im Licht der Sonne geglüht haben. Es konnte ohne Unterlass reiten und sogar über Flüsse und Berge springen. Das Edelste der Pferde, für die edelsten Reiter. Nahezu unzähmbar und es hat sich, nachdem sein zweiter Reiter im Kampf gefallen war, zu Tode gehungert.“
 

„Das klingt aber nicht gerade nach einem Happy End, geschweige denn nach einem tollen Pferd“, stellte ich fest.
 

„Doch, das war es. Seine Hufe sollen den Boden kaum berührt haben und nur die feinsten Reiter, die mächtigsten Kämpfer Chinas, durften es aufzäumen. Wenn ich mir vorstelle selbst einmal auf Chi Tu reiten zu dürfen…“
 

Ich zog meine rechte Braue in die Höhe. Okay, das klang sogar für mich ein wenig weltfremd und ich liebte Tiere, allen voran Pferde

.

„Hast du sowas auch im Studium gelernt?“
 

„Ja, ein wenig. Die Bindung zu Pferd und Reiter hat in der Philosophie oft eine gewichtige Rolle. Das ist doch bei dir und Leo auch so, oder? Ich meine, du wärst traurig, wenn er sterben würde und er auch.“
 

„Klar, aber ich reite ja nicht auf Leo.“
 

„Das ist nicht der springende Punkt. Leo ist eine treue Seele, denke ich zumindest, genauso wie du. Solche Wesen ziehen ähnliche Wesen an, sei es Mensch oder Tier.“ Er hob die Mundwinkel an, als er mein komplett verwirrtes Gesicht bemerkte. „Gute Menschen ziehen gute Wesen an. Das meinte ich damit.“
 

„Okay und was hat das jetzt mit deinem Pferd zu tun?“
 

„Ach nichts“, schmunzelte Connor. „Sagen wir einfach, es ist ein gutes Zeichen, wenn jemand wie du das Herrchen von Leo ist.“
 

„Leo mag Caleb aber auch“, murmelte ich leise, damit uns Olivia, die Caleb nun doch eine genaue Wegbeschreibung gab, und er, nicht hören konnten.
 

„Ich halte deinen Bruder auch für einen guten Menschen. Ein wenig schwierig zwar und verschlossen, aber im Kern hat er sicher das Herz am rechten Fleck. Das, oder meine Menschenkenntnis lässt mich komplett im Stich.“
 

„Tut sie nicht. Caleb ist toll! Er ist ja auch mein großer Bruder!“
 

„Wenn ich das mal von meiner kleinen Schwester hören würde. Olivia hat ganz andere Bezeichnungen für mich.“
 

„Das liegt auch daran, dass du manchmal ein absolut weltfremder Holzkopf bist, Connor“, grinste sie ihn frech an.
 

„Sehr wohl, Prinzessin. Ich werde mich Eurem Urteil fügen.“ Damit stieß er sich von der Motorhaube ab und verbeugte sich tief vor uns. „Ich nehme an, der Kutscher darf die Pferde wecken und die werte Dame nach Hause bringen?“
 

„Manchmal weiß ich nicht, ob du wirklich so drauf bist, oder nur ein guter Schauspieler, und das sage ich, als deine Schwester“, schüttelte Olivia den Kopf und rollte genervt mit den Augen. „Ich rufe dich dann noch einmal an, wegen der genauen Uhrzeit, Caleb.“
 

„Ist gut“, war die knappe Antwort meines Bruders.
 

„Dann bis nächstes Wochenende.“
 

„Macht es gut!“ Ich winkte zum Abschied.
 

„Bestelle Leo schöne Grüße von mir. Ich wasche mir meine Sachen bald nicht mehr. Seine Pfotenabdrücke haben was.“ Lachend ging Connor nach hinten, verschloss den Anhänger wieder und stieg ein. „Bis nächstes Wochenende.“ Er zwinkerte mir zu und strahlte Caleb, sehr zu dessen Verdruss, an, bevor er das Auto startete und den Geländewagen in Bewegung setzte. Kaum zwei Augenaufschläge später waren sie auch schon verschwunden.
 

„Warum machst du das immer?“ Caleb hatte mich an der Schulter gepackt und herumgedreht.
 

„Was denn?“, fragte ich unschuldig und schaute mit einer Unschuldsmiene nach oben.
 

„Ach Danny. Manchmal da bist du einfach noch schlimmer als Nick!“
 

„Ich weiß“, bestätigte ich ihn frech. „Das ist sein schlechter Einfluss!“
 

„Als würde man einen Sack Flöhe hüten.“ Seufzend wandte er sich ab und ging nach drinnen.
 

Ich für meine Teil freute mich schon. Die Party nächste Woche klang ganz lustig, würde die Möglichkeit bieten neue Leute kennenzulernen und versprach obendrein Zeit mit Nicky, da ich mal stark annahm, dass Caleb ihn mitnehmen würde. Sollte ich Connor bei der Feier sagen, für wen mein Gedicht, oder was auch immer es werden sollte, war? Damit er sich ein Bild machen konnte? War das überhaupt wichtig? Peinlich? Schon irgendwie. Das Beste würde es sein, den Mund zu halten und herauszufinden was passiert, wenn Nicky wieder einmal zu viel getrunken hatte. Darauf freute ich mich irgendwie auch, ganz diebisch sogar, denn das bedeutete, dass er mich wieder an sich heranlassen würde. So war es zumindest die letzten Male gewesen.

Caleb hatte mich tatsächlich in Ruhe gelassen. Mehr noch: Nicky kam mit! Ich grinste wie ein Honigkuchenpferd als wir im Escort saßen. Mein Bruder glänzte wieder einmal mit stoischer Ruhe und hatte die Augen auf die Straße gerichtet. Also blieb mir nur Nicky als Gesprächspartner.
 

„Du wirst sehen, Connor und Olivia sind total nett!“
 

„Was Caleb so erzählt hat zumindest dieser Connor nicht, aber wir wissen ja beide, wie gut gelaunt dein Bruder auf meine Freunde reagiert hat, nicht wahr?“ Grinsend stupste Nicky den Fahrer mit dem Ellenbogen an, der verächtlich schnaubte.
 

„Es wird nichts getrunken, wir fahren um Punkt Mitternacht wieder nach Hause und ihr benehmt euch.“
 

„Klar“, versprachen Nicky und ich gleichzeitig, wobei wir ein Lachen unterdrücken mussten.
 

„Ich warne euch.“ Caleb hatte drohend den Zeigefinger erhoben.
 

„Schon gut, Spaßbremse“, seufzte Nick, drehte sich aber zu mir um und schenkte mir ein fieses Grinsen.
 

Für einen kurzen Augenblick fühlte es sich wieder so wie früher an, als ich Nicky kennengelernt hatte. So ganz ohne Hintergedanken oder dem Wunsch ihm nahe zu sein, aber eben leider nur kurz. Danach machte sich wieder diese drückende Leere in meiner Brust breit, die ich zu verdrängen versuchte.
 

Wir hielten vor einem großen Einfamilienhaus mit Flachdach. Die Fassade war blütenweiß. Durch die mannshohen Fenster konnte man erkennen, dass drinnen bereits ein großer Andrang herrschte. Ich glaubte außerdem das bläuliche Schimmern von Wasser erkennen zu können. Ein Pool? Badesachen hatten wir aber keine mitgenommen. Ich trug ein schwarzes T-Shirt mit den vier apokalyptischen Reitern drauf und eine dunkle Cargohose. Nick hatte sich ähnlich gehalten, nur Caleb tanzte völlig aus der Reihe: Weißes Shirt und Jeans. Total langweilig. Wir waren von ihm angehalten worden Jacken mitzunehmen, falls es gegen Abend zu kalt werden würde. Mein Bruder war so fürsorglich und lieb und dann konnte er wieder ein Arsch sein. Das war auch anstrengend auf die Dauer. Gerade verhielt er sich aber erstaunlich handzahm.
 

Ich hüpfte voraus die weiß bekieste Einfahrt hinauf. Es parkten genügend Autos die Straße zu, aber von Connors Porsche fehlte jede Spur. War er am Ende nicht da? Gerade als ich schon anfangen wollte mein Gesicht enttäuscht zu verziehen, öffnete jemand die dunkelschwarze Eingangstür mit einem Milchglas in der Mitte.
 

„Da seid ihr ja endlich!“ Olivia sah heute anders aus. Sie trug ihr Haar, das von ähnlicher Länge war wie das von Nick, offen. Dazu ein bauchfreies weißes Top und perfekt passende ausgefranste Jeansshorts. „Wir warten schon alle auf euch! Hey Caleb! Und wer ist das?!“ Sie schenkte Nicky ein breites Lächeln.
 

„Das ist Nick“, stellte Caleb ihn vor.
 

„Das hätte ich auch selbst gekonnt, danke.“ Dabei huschte ein Schatten über Nickys Gesicht. Er war wohl sauer, dass Caleb ihn nicht als seinen Freund vorgestellt hatte.
 

„Ich sehe schon, du bist auch nicht auf den Mund gefallen. Das ist gut. Kommt rein, ich stelle euch mal den anderen vor.“
 

Ehe wir uns versahen, waren wir schon inmitten der Party. Das Haus selbst war stilvoll eingerichtet – schwarz folgte auf weiß und umgekehrt. Die große Ledercouch im Wohnzimmer war bereits in Beschlag genommen worden. Gleiches galt für die die blütenweißen Küchenzeilen. Der riesige Fernseher lief ohne Ton und von irgendwoher dröhnte laute Bassmusik. Das Geklirre von Gläsern, kombiniert mit Gelächter, Gekreische und auch ein wenig Geheule, ließ nur einen Schluss zu: Die Feier war bereits in vollem Gange.
 

Ich kannte inzwischen Olivias beste Freundin, Mia, giftblond und ähnlich gekleidet wie sie, dazu noch eine Elisa, eine Lia und eine Emily. Alle hatten Freunde, die sich irgendwo im Wohnzimmer herumtrieben.
 

„Und wo ist dein Bruder?“, schrie ich Olivia ins Ohr, weil die Musik mittlerweile eine ungesunde Lautstärke erreicht hat.
 

„Keine Ahnung? Vielleicht noch einmal Bier holen? Er wird schon hier irgendwo sein. Warum? Suchst du ihn?“, schrie sie zurück.
 

„Ein bisschen, ja!“
 

Wir sahen uns beide um, konnten ihn aber nirgendwo entdecken.
 

„Ich gehe ihn dann mal suchen, ja?“
 

„Klar, und hier, wie das aussieht!“

Damit drückte sie mir ein Glas mit schwarz-brauner Flüssigkeit in die Hand. Ich schnupperte daran und mir schlug ein alkoholischer Geruch entgegen. Nach einem Nippen stellte ich fest: Cola-Rum. Ähnlich gut wie die, die ich einmal bei Nicky getrunken hatte.
 

„Viel Spaß und nimm dich in Acht. Hier sind genügend Mädchen ohne Freund“, zwinkerte sie mir zu und ließ mich wieder alleine, um sich in die Menschenmasse zu mischen.
 

Es war gar nicht so leicht sich vorbeizudrängen ohne die Cola zu verschütten. Immer wieder wurde ich angerempelt und das obwohl ich recht groß für mein Alter war. Die ersten glasigen Augenpaare hatte ich auch schon bemerkt, dabei durfte es kaum 21:00 sein. Ich hielt nach Connor Ausschau, genauso wie nach Nicky und Caleb. Die beiden standen gemeinsam bei einer Gruppe Jungs, Nicky ein Bier in der Hand, das von meinem Bruder äußerst missmutig beobachtet wurde. Grinsend nippte ich an meiner Cola – das geschah ihm ganz recht. Was hatte er geglaubt? Dass Nicky brav sein würde?

Nach einer erfolglosen Suche drinnen beschloss ich auf die geflieste Terrasse zu gehen. Ich hatte mich nicht getäuscht: Ein beleuchteter Pool tauchte die Rückseite des Hauses in ein angenehm schimmerndes Blau. Hier war es ruhiger. Vereinzelt rauchten ein paar Leute und man hörte die Musik von drinnen immer noch, aber deutlich gedämpfter. Zu meiner großen Freude konnte ich tatsächlich einen Blondschopf ausmachen.
 

„Connor!“, rief ich und ging auf ihn zu. Er stand bei einer Gruppe älterer Jungs und Mädchen, die allesamt Gläser in den Händen hatten und sich zuprosteten. Mein lautstarker Auftritt lenkte ihre gesamte Aufmerksamkeit auf mich. Toll gemacht. Jetzt starrten mich ein paar 20-jährige an, als hätte ich den Verstand verloren.
 

„Willst du da Wurzeln schlagen? Komm her“, grinste Connor und winkte mich zu sich. „Darf ich euch vorstellen? Das ist Danny – mein Nachhilfeschüler und Mitbesitzer des stolzen Reiterguts, auf dem meine kleine Schwester ihr edles Ross abstellen durfte.“ Dabei legte er einen Arm um mich.

Nach und nach stellten sich die anderen vor, wobei ich schon ein wenig Schwierigkeiten hatte mir die Namen alle zu merken: Meine Cola-Rum war leer und für die Nächste wurde bereits gesorgt.
 

„Du bist also Danny? Connor hat uns viel von dir erzählt.“ Die Rotblonde, die mit mir sprach, schenkte mir ein schiefes Lächeln und zog an ihrer Zigarette.
 

„Ähm, hat er das?“, fragte ich und rümpfte ein wenig die Nase. Dieses Gequalme hatte ich schon bei Sophia nicht gemocht und auch bei Nickys bestem Freund Alex nicht.
 

„Ja, hat er“, nickte sie bestätigend und ignorierte meine Reaktion einfach. „Er hat nicht zu viel versprochen: Du bist echt niedlich.“
 

„Eh… danke?“
 

„Jetzt lass ihn mal in Ruhe, er weiß ja gar nicht wo er hinschauen soll“, lachte Connor und zog mich ein wenig fester an sich. „Er ist hier sowieso ein wenig deplatziert. Viel zu brav.“
 

„Bin ich gar nicht!“
 

„Doch.“ Connor schmunzelte und klopfte mir auf die Schulter. „Die wievielte Cola-Rum war das? Mal abgesehen davon, dass ich offiziell nichts davon weiß, dass es keine normale Cola ist, ja?“
 

„Die Zweite?“ Tatsächlich; ich hatte die auch schon wieder geleert.
 

„Siehst du? Ich habe bei Mia mindestens die Vierte gezählt. Dazu noch eine Barcadi-Cola und ein Wodkabull. Vernünftig.“
 

„Du sagst aber Caleb nichts, oder?“
 

„Woher denn? Was geht mich das an? Ich würde dir nur raten nicht mehr zu viel zu trinken. Ich glaube kaum, dass er es mag, wenn du ihm ins Auto kotzt. Dagegen bin ich auch allergisch.“
 

„Ich habe noch nie in sein Auto gekotzt! Oder überhaupt von Alkohol kotzen müssen.“
 

„Goldig, sage ich ja“, grinste er breit.
 

Die restlichen Gespräche, unter einer dritten Cola-Rum meinerseits, drehten sich um Studiengänge, Vorlesungen, wer das hübscheste Mädchen und der hübscheste Junge auf der Party seien (ich bekam sogar eine Stimme, Caleb drei und Nicky ganze sechs) und wann die Gesellschaftsspiele losgehen würden.
 

„Keine Ahnung, es ist kurz nach halb elf. Olivia wird wohl bald mit irgendwas komplett Bescheuertem aufkreuzen. Letztes Jahr war es Trivial Pursuit, nur halt in versaut. Bin gespannt was dieses Jahr für ein dämlicher Kram drankommt.“ Connor rollte mit den Augen.
 

„Warum spielst du denn mit, wenn du nicht magst?“, fragte ich nach.
 

„Weil sie mir sonst ewig in den Ohren liegt: ‚Spielverderber‘ oder ‚Spaßbremse‘ sind dabei noch die nettesten Worte.“
 

Wie aufs Kommando riss Olivia die Glasschiebetür auf und rief: „Gesellschaftsspielerunde! Wer mitmachen will, der soll reinkommen!“
 

Neben mir seufzte Connor gespielt und schob mich vor sich her. „Mit dir wird das wenigstens lustig.“
 

„Denkst du?“, fragte ich frech und streckte ihm dabei die Zunge raus.
 

„Ganz sicher.“
 

Wie sich herausstellte wurde nur der „harte Kern“, zu dem aus unerfindlichem Grund auch Nicky, Caleb und ich gehörten, mit dieser speziellen Form der Freizeitgestaltung beglückt. Neben uns waren das noch sämtliche der engeren Freundinnen von Olivia, Connor und ein paar von dessen Studienkollegen. Am Ende zählten wir vierzehn Mann und Frauen. Caleb stöhnte bereits bei dem Wort „Flaschendrehen“ entnervt auf, was ihm einige verwirrte Blick einbrachte.
 

„Hab dich nicht so. Das wird sicher lustig.“ Nicky trat ihm unauffällig gegen das Schienbein, nur um ihn dann neben sich auf den Boden des Wohnzimmers zu ziehen.
 

„Stelle ich mir äußerst prickelnd vor. Wie über glühende Kohlen zu laufen.“
 

„Meine Güte“, rollte Nick mit den Augen. „So wie du dich zierst, könnte man fast meinen, du seist eine Prinzessin.“
 

„Ist er ja auch!“ Ich grinste schief als mir Caleb einen vernichtenden Blick zuwarf, sich dann aber doch neben Nicky niederließ. Meine Sitznachbarn waren Connor und Olivia.
 

„Mach mal wer die gottverdammte Musik leiser!“, rief unsere Gastgeberin äußerst freundlich und irgendwer schien dieser höflichen Aufforderung Folge zu leisten. Niemand wagte es außerdem sich unserem Sitzkreis zu nähern. Es wurde noch einmal reihum Alk ausgeschenkt, wobei ich mich für einen Wodka Sunrise, wie Olivia mir erklärte, entschied, der extrem gut schmeckte. Caleb bedachte mich mit einem weiteren missfallenden Blick. Unter dem deutlichen Alkoholeinfluss störte mich das aber fast gar nicht mehr. Es stimmte wohl doch, dass man betrunken weit weniger Hemmungen hatte.
 

„Also, dann fangen wir an!“
 

Die leere Rumflasche wurde in der Mitte platziert und vom Geburtstagskind gedreht. Sie zeigte auf Nick, der seufzte.
 

„Ouh, Nick! Wahrheit oder Pflicht?“
 

„Wahrheit.“
 

„Gut – wer macht dir die Haare?“
 

Ich hatte ehrlich gesagt mit etwas Versautem gerechnet, wie auch der Befragte, der kurz perplex blinzelte.
 

„Meine beste Freundin.“
 

„Und ist die Friseurin?“
 

„Hey, nur eine Frage!“
 

Mit der Zeit wurden die Fragen immer übergriffiger, was wohl auch daran lag, dass fast alle, mit Ausnahme von Caleb und Connor, beschwipst bis dicht waren. Meinen Bruder erwischte die Flasche fast nie, aber das hob seine Laune nicht wirklich. Nicky lehnte schon mit einem dezent glasigen Blick an seiner Schulter. Irgendetwas in mir setzte kurz aus. War es Eifersucht oder Neid? Ich konnte es nicht beschreiben. In meiner Brust manifestierte sich ein Knoten, den ich nicht lösen konnte. Wie Nicky da an Caleb gelehnt war, und irgendetwas murmelte, das machte mich fast rasend. Ich wollte an der Stelle meines großen Bruder sein. Nicky den Arm um die Schulter legen und ihm einen Kuss auf die Wange verpassen. Ein wenig mit seinen Haaren spielen. Sowas eben. Nicht wie ein Eisklotz danebensitzen und so tun als ginge mich das alles nichts an.
 

„Danny! Dich hat es erwischt!“ Olivia hatte sichtlich Mühe beim Sprechen. „Wahrheit oder Pflicht?“
 

Um mich herum verschwamm alles bereits ein wenig und ich musste mich selbst stark konzentrieren. Das schien aber nicht sonderlich gut zu funktionieren, denn dann hätte ich nicht dummerweise Pflicht gewählt.
 

„Okay, dann küss die Person, auf die die Flasche zeigt! Aber richtig, nicht nur so ein flüchtiges Küsschen.“
 

Ich hielt die Luft an, genauso wie Nicky, und Caleb knirschte hörbar mit den Zähnen, was aber im Gelächter der Gruppe unterging. Wir hatten diese Situation bereits beim Campen gehabt und sie war in einem absoluten Fiasko geendet. Es bestand die Chance, dass die Flasche auf Nicky zeigte, und ich damit ein wenig körperliche Nähe haben konnte. Darauf hoffte ich sogar. Nervös folgte ich dem Flaschenhals der sich endlos langsam und dabei rasend schnell zu drehen schien. Je langsamer sie wurde, desto mehr spannten sich meine Muskeln an. Es fehlte nur noch, dass ich an meinen Nägeln gekaut hätte. Natürlich hätte die Möglichkeit bestanden einfach abzulehnen, aber ich wollte kein Spielverderber sein. Zumindest jetzt noch nicht. Die Flasche wurde langsamer und langsamer. Ich ballte die Hände zu Fäusten, während sie ihren letzten Halbkreis beschrieb und stehen blieb.
 

„Bruderherz!“ Olivia rempelte Connor mit der Schulter an, der nun einen ähnlichen Gesichtsausdruck wie Caleb aufgesetzt hatte.
 

„Das ist albern, Olivia. Lass den Blödsinn. Danny kann doch sicher auch Wahrheit wählen, oder?“
 

„Nein, das geht nicht. Jetzt sei nicht so. Außerdem ist Danny kein Feigling, oder?“
 

Natürlich war ich kein Feigling. Ich war zwar ein wenig enttäuscht, aber ich würde sicher nicht kneifen. Ein Teil von mir verspürte so etwas wie Genugtuung, denn meinen ersten Kuss hatte ich mit Nicky gehabt und er meinte, ich würde mittlerweile sehr gut küssen können. Dazu konnte ich Caleb eines auswischen, denn der mochte Connor ja nicht.
 

„Vielleicht will er gar nicht?“
 

„Will ich aber!“
 

Bevor irgendjemand einen Einwand erheben konnte (ich rechnete vor allem mit meinem großen Bruder), hatte ich Connors Wangen schon gepackt und seinen Kopf zu mir herumgedreht. Rasch beugte ich mich vor und drückte meine Lippen auf seine. Sie waren erstaunlich sanft und weich. Kurz spielte ich mit dem Gedanken es sein zu lassen, aber der Alkohol vernebelte bereits meine Sinne und irgendwie gefiel mir die Idee, dass Nicky und Caleb dabei zusehen mussten, wie ich mit einem fremden Kerl rummachte, auch wenn es nur ein Spiel war. Ich lehnte mich also gegen Connor und legte ihm eine Hand auf den Hinterkopf. Er versteifte sich ein wenig, als ich mit meiner Zungenspitze gegen seinen noch geschlossenen Mund stupste. Ein komischer Schimmer lag in den eisblauen Augen, die fast schon ein wenig traurig wirkten. Seine Lider klappten nach unten, so als würde er sich schämen, nur um dann den Mund zu öffnen und mir die Möglichkeit zu einem ausgedehnten Zungenkuss zu geben. Jetzt kam ein wenig Leben in die Sache und Connor erwiderte den Kuss. Es fühlte sich sanft und zärtlich an was er da tat. Er schmeckte dabei nach einer Mischung aus Hochprozentigem und Blaubeeren. Die Gruppe grölte lautstark und pfiff, während ich den Kuss in die Länge zog. Ich bekam aus den Augenwinkeln heraus mit, wie sich Calebs Augenbrauen nach unten schoben und er die Hände zu Fäusten ballte. Nicky fühlte sich mit einem Mal auch gar nicht mehr wohl in seiner Haut. Sehr gut! Sollten sie ruhig einmal mitbekommen wie es ist, wenn man mich dauernd außen vor ließ.
 

„Das reicht jetzt, denke ich“, zischte mein Bruder aufgebracht.
 

Ich dachte gar nicht daran aufzuhören. Meine Hände verhakten sich in Connors Nacken und ich intensiverte den Kuss noch ein wenig. Ein klein wenig noch und Caleb würde vor Wut platzen. Die Heimfahrt konnte nur eine Katastrophe sein, aber das war es echt wert. Ich drückte meine Stirn gegen die von Connor und legte im Kuss meinen Kopf ein wenig schief. Plötzlich schlug dieser die Augen auf und legte seine Hände auf meiner Brust ab. Mit sanfter Gewalt schob er mich von ihm weg.
 

„Ich denke Caleb hat recht, Danny. Das reicht jetzt“, murmelte er leise.
 

„Tut es, tatsächlich. Wir fahren nach Hause“, bestimmte Caleb und funkelte Connor zornig an.
 

„War ich gut?“, wollte ich wissen und ignorierte meinen Bruder einfach.
 

„Das…“ Connor biss sich auf die Unterlippe.
 

„So wie Connor ausgesehen hat war es gut!“, johlte Mia.
 

„Wir fahren jetzt, auf der Stelle.“ Calebs Stimme bebte, während er Nick in die Höhe zog. „Danny hat sowieso schon zu viel getrunken. Mal abgesehen davon, dass er noch nicht 16 ist.“
 

„Ich will aber noch bleiben!“, zeterte ich trotzig.
 

„Du kommst mit“, fuhr er mich an und zog mich grob am Arm auf die Beine.
 

„Au, Caleb. Du tust mir weh!“ Ich entwand mich seinem Griff. „Sei nicht immer so eine Spaßbremse!“
 

„Bin ich aber, weil ich die Verantwortung für dich habe, und jetzt komm.“
 

Ich wurde erneut gepackt und warf Olivia, wie auch Connor und dem Rest, einen entschuldigenden Blick zu als ich aus dem Haus geschleift wurde. Unsanft bugsierte Caleb mich ins Auto und tat dasselbe mit Nick, der sich lautstark beschwerte, womit er diese Behandlung verdient habe.
 

„Was ist eigentlich in dich gefahren, Danny? Von Nick bin ich so etwas ja gewohnt, aber von dir?“

Caleb startete inzwischen den Escort und warf mir durch den Rückspiegel immer wieder enttäuscht-aufgebrachte Blicke zu.
 

„Was soll das denn heißen?“, fuhr ihn dessen Freund nun an.
 

„Sei mal ruhig, Nick, ja?“
 

„Bin ich nicht. Das war vorhin übrigens scheiße, dass du mich nicht als deinen Freund vorgestellt hast.“
 

„Du bist betrunken, obwohl du mir versprochen hast nichts anzurühren. Mit dir muss ich mich genauso schämen wie mit Danny.“
 

„Das stimmt ja gar nicht!“, schnaubten wir aufgebracht im Chor.
 

„Oh doch. Ihr zwei seid einfach Quälgeister, und jetzt seid ruhig, ich muss mich konzentrieren.“
 

Die Heimfahrt gestaltete sich als ein unangenehmes Schweigen, das nur hin und wieder dadurch unterbrochen wurde, wenn Caleb uns über unsere Unzuverlässigkeit und Schlechtigkeit belehrte. Wir seien wie zwei kleine Kinder, die dauernd einen Aufpasser brauchten.

Ich sehnte den Moment herbei, in dem ich diesem wandelnden Käfig namens Escort und der nörglerischen Laune meines Bruders entkommen konnte. Mir ging sein Gejammer ehrlich gesagt auf den Geist. Er hackte die ganze Zeit auf mir herum und hatte selbst genügend Fehler gemacht. Trotz seines tollen Aufpassens waren Nicky und ich komplett dicht. Dazu kam noch, dass er mich voll blamiert hatte.
 

„So, wir sind da. Ihr beide schlaft euren Rausch aus und wir sprechen uns dann morgen. Das ist ja eine Katastrophe mit euch! Ich bin echt enttäuscht, vor allem von dir, Danny. Etwas mehr Anstand habe ich mir erwartet. Denkst du, ich hätte nicht geschnallt, warum du diesen Connor so geküsst hast?“
 

Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die gefährliche Mischung aus Alkohol, Liebeskummer und unterdrückter Wut entlud sich explosionsartig.
 

„Denkst du es wäre angenehm zu hören, wenn du mit Nicky im Nebenzimmer schläfst? Glaubst du, mir macht das nichts aus? Dieses Gestöhne und das Röcheln? Als hätte ich keine Bilder im Kopf? Weißt du wie es mir dabei geht? Weißt du was Caleb? Ich hasse dich!“
 

Ich riss die Tür auf und sprang nach draußen. Tränen brannten in meinen Augen und obwohl ich ziemliche Schwierigkeiten hatte, stürmte ich in Richtung unseres Hauses. Wütend suchte ich nach dem Schlüssel unter der Fußmatte, rammte ihn ins Schloss und sperrte auf. Caleb war so gemein, und Nicky irgendwie auch. Er hatte sich die ganze Fahrt über nicht ein einziges Mal für mich eingesetzt. Das tat noch mehr weh. Ich stieß die Tür auf und rannte auf mein Zimmer, wo ich mich einschloss und mit dem Rücken an der Wand hinabrutschte. Schluchzend vergrub ich mein Gesicht in den Händen und kämpfte gegen den Tränenstrom an, der nicht aufhören wollte. Diese Erinnerungen, die Laute, die Nicky machte, wenn sie miteinander schliefen, wie ich sie das erste Mal gehört hatte. Ich hämmerte mit dem Hinterkopf gegen die Zimmerwand und versuchte den Gedanken abzuschütteln, aber ich konnte nicht. Ich hatte so getan als würde es mir nichts ausmachen, das war aber eine Lüge. Dazu kam da noch Connors Reaktion, der Caleb Recht gegeben hatte. Das schmerzte zusätzlich. Ich dachte er wäre cool und auf meiner Seite.
 

Keine Ahnung wie spät es war, aber nach einer kleinen Ewigkeit hatte ich mich beruhigt und schälte mich aus meinen Sachen. Ich lauschte, ob jemand draußen im Flur herumgeisterte, aber es war nichts zu hören. Wahrscheinlich hatte Caleb sich mit Nicky abgesetzt. Toll. Ich sprang unter die Dusche, putzte mir die Zähne und krabbelte dann, in einem ausgeleierten Shirt und frischen Boxershorts, ins Bett. Jetzt, nach diesem Heulkrampf, ging es mir ein wenig besser und der Alkohol tat sein Übriges mich schläfrig zu machen. Ich dachte noch einmal an Nicky und Connors Gesichtsausdruck, als ich ihn zu küssen begonnen hatte, und schlief dann traurig ein. Der morgige Tag konnte mir gestohlen bleiben!

Der morgige Tag, wie auch die folgenden, und auch die dazugehörigen Nächte, waren von Schlaflosigkeit und Weinen geprägt. Caleb hatte sich nicht entschuldigt, genauso wenig wie Nicky und ich wollte mir nicht die Blöße geben, einzugestehen überreagiert zu haben. Das hatte ich in meinen Augen auch gar nicht. Calebs Verhalten war scheiße, genauso wie das meines besten Freundes. Sie suchten ja nicht einmal nach einer Lösung für das Problem, sondern schwiegen es tot! Ich fühlte mich nutzlos und im Weg. Einzig Leo und Klein Nicky waren meine treuen Begleiter zuhause, die sich um mich scharten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Ich habe mal wo gelesen, dass Tiere spüren können, wenn es einem schlecht geht, und das stimmte wohl, so wie die Beiden sich um mich kümmerten. Caleb war auch nett zu mir, er kochte meist die Sachen die ich mochte und bemühte sich nicht mit mir zu schimpfen, aber das war auch ein schwaches Trostpflaster. Nicky mied mich mehr noch als zuvor und das nagte zusätzlich an mir. Connor und seine Schwester hatten sich auch nicht gemeldet. Von daher war mein Leben wieder eintönig und düster. Meine Augenringe waren gut zu erkennen und zu irgendetwas außer der Stallarbeit und meinen Hausaufgaben konnte ich mich gar nicht aufraffen. Achilles war übrigens weit weniger brav als Olivia behauptet hatte. Nicht, dass man ihn als unzähmbar beschreiben hätte müssen, wie Abyss, aber er verlangte mehr Geduld und Pflege als eigentlich eingeplant. Zu meiner großen Verwunderung maulte Caleb über die zusätzliche Arbeit nicht – das bedeutete, der Unterstellplatz wurde sehr gut bezahlt. So weit so gut, oder schlecht. Es war ein wolkenloser Mittwochnachmittag, als Leo laut bellend anschlug und ich ein Auto hören konnte. Ich schob meine übrigen Pfannkuchen von Mittag beiseite (mein Hunger hielt sich derzeit auch in Grenzen) und stand auf. Leo tänzelte um den gelben Porsche herum und wedelte freudig mit dem Schwanz als sich die Fahrertür öffnete und Connor ausstieg, der ihn sogleich mit einer kleinen Streicheleinheit belohnte. Unweigerlich musste ich lächeln. Leo schien ihn wirklich zu mögen, und er auch, denn auf seinen Trainingsshorts (die er nahezu immer trug, wie mir gerade auffiel) zeichneten sich bereits die ersten Pfotenabdrücke ab, was ihn aber nicht im Geringsten zu stören schien. Im Gegenteil: Schmunzelnd kraulte er Leo mit beiden Händen, der sich auf den Rücken drehte und ausgiebig hechelte. Jetzt fühlte ich mich fast schuldig auf ihn wütend gewesen zu sein. Keine Ahnung warum. Er wirkte genauso wie vor der Party, vor dem Kuss. Sein Blick fiel auf das Fenster, an dem ich stand und hinausstarte und ich wich zurück. Er konnte mich nicht gesehen haben, das war unmöglich und doch wurde ich das Gefühl nicht los, dass er mich erkannt hatte. Zum Abschluss klopfte Connor Leo auf den Bauch, beugte sich ins Auto hinein und zog einen schwer aussehenden Camping-Rucksack hervor. Den schulterte er und kam aufs Haus zu. Ich schickte mich an zur Eingangstür zu gehen, wurde aber bereits kurz davor von einem äußerst schuldbewusst dreinschauenden Connor abgepasst.
 

„Hey, Danny“, murmelte er leise und senkte den Blick ein wenig.
 

„Was willst du?“ Ich wusste gar nicht warum ich so unfreundlich war, aber irgendwie tat mir seine Reaktion noch immer weh. Dieses Bedauern in seinen Augen ließ mich nicht mehr los. Es hatte so falsch ausgesehen und der Kuss sich dafür so richtig angefühlt.
 

„Ich wollte vorschlagen, ob wir nicht irgendetwas machen? Olivia meinte, Caleb hätte ihr bei der Feier etwas von einem See in der Nähe erzählt. Ihr würdet da öfter hinreiten oder gehen. Oder möchtest du ins Kino? Ich lade dich auch ein.“
 

Meine Augen verengten sich. Wollte er mich bestechen? Fühlte er sich schuldig? Ja wofür eigentlich? Warum fragte ich mich das überhaupt? Wieso war ich sauer? Es war ja nur ein doofes Spiel gewesen. Ach, ich kam nicht mehr mit mir selbst klar.
 

„Der See hört sich ganz cool an. Ich packe noch ein paar Sachen zusammen und dann…“
 

„Nicht nötig, ich habe alles dabei.“ Er klopfte auf den Campingrucksack.
 

„Ähm, okay? Und reiten? Ich meine, kannst du das überhaupt?“
 

„Natürlich? Was denkst du denn?“
 

„Es ist Olivias Pferd?“
 

„Lass dich überraschen. Zieh dich an, los!“
 

Nachdem wir Kalypso und Achilles, der erstaunlich zahm auf Connor reagierte, gesattelt hatten, rechnete ich fast damit, dass er es nicht auf das Pferd schaffen würde. Zu meiner großen Überraschung saß er bereits vor mir im Sattel und hatte die Zügel in der Hand.
 

„Was? Hast du echt geglaubt ich würde nicht reiten können?“ Das breite Grinsen in seinem Gesicht war ansteckend.
 

„Schon ein wenig, ja. Du wirkst nicht wie der Typ dafür.“
 

„Ach ja?“
 

„Ja.“ Ich musste ein wenig lachen als ich mich in den Sattel schwang und Kalypso in Richtung See lenkte. Connor folgte mir mit Achilles brav. Wir schwiegen die meiste Zeit. Mein Begleiter wirkte zusehends nervös, was aber nicht daran zu liegen schien, dass er auf einem Pferderücken saß. Er hatte irgendetwas, aber nachzubohren interessierte mich auch nicht. Viel neugieriger war ich, was er denn vorhatte.
 

Der See lag heute ganz ruhig da, beschienen vom Licht der Sonne, die sich auf der Wasseroberfläche spiegelte. Die Baumwipfel rundherum wiegten sich im Wind und ihre Nadeln raschelten leise. Eine sanfte Brise zerzauste mir das Haar und gestaltete die leicht aufkommende Hitze als ganz angenehm.
 

„Da wären wir.“ Ich rutschte aus dem Sattel und befreite Kalypso vom Halfter. Gleich darauf trottete sie bis zu den Knöcheln ins Wasser und senkte den Kopf um zu trinken. Connor tat es mir gleich und sah zu wie meine Stute Gesellschaft bekam.
 

„Ein malerisches Bild, wirklich.“
 

„Was?“, fragte ich.
 

„Na, der See und die Pferde. Ein schönes Plätzchen. So ganz frei von Hektik.“
 

„Ach, das. Ja, wir sind hier öfter, wie Caleb schon gesagt hat. Campen geht auch ganz gut, wenn es das Wetter erlaubt.“
 

„Das dachte ich mir fast“, nickte er. „Schließt du mal bitte deine Augen?“
 

„Was?“, blinzelte ich verwirrt.
 

„Machs einfach, okay? Tu mir den Gefallen, bitte.“
 

Ich seufzte leise und rollte mit den Augen, tat dann aber wie gewünscht.
 

„Nicht schummeln!“
 

„Mach ich schon nicht.“
 

Das Geräusch von Reisverschlüssen war zu hören, wie auch das Rascheln von Plastik.
 

„Was machst du da?“, wollte ich neugierig wissen.
 

„Sei nicht so ungeduldig. Du darfst ja gleich.“
 

Gleich stellte sich als mindestens fünf Minuten dastehen heraus.
 

„Wenn du nicht gleich fertig bist gehe ich nach Hause“, moserte ich.
 

„So, fertig. Mach die Augen auf!“
 

Connor stand hinter einer rot-schwarz karierten Picknickdecke. Eine große Flasche Cola, dazu eine Thermoskanne mit Pappbechern, eine Packung Schokoladenkekse, Muffins, mehrere Gemüsespieße auf einem Pappteller, aufgeschnittene Brotscheiben, Croissants und etwas das verdächtig nach Nutella sowie Erdbeermarmelade in zwei kleinen Tupperdöschen aussah, waren auf der Decke platziert worden.
 

„Hast du das ganze Zeug mitgeschleppt?“, fragte ich und riss die Augen auf.
 

„Natürlich. Setz dich. Was magst du? In der Thermoskanne ist kalter Kakao. Ich habe einen Schuss Karamellsirup hineingetan, aber nicht zu viel, falls du Süßes nicht so gern magst. Auf Butter habe ich verzichtet, weil die mir sonst im Rucksack zerlaufen wäre.“
 

„Und wofür ist das?“
 

„Eine kleine Wiedergutmachung. Komm, ich wollte schon sagen, sonst wird es kalt, aber…“ Connor lachte nervös und klopfte auf den Platz neben sich.
 

Ich war ehrlich gesagt ein wenig überfordert. Damit hatte ich nicht gerechnet. Schulterzuckend ließ ich mich neben Connor auf den freien Zipfel der Decke in den Schneidersitz sinken und schnappte mir einen der Muffins, der köstlich nach Blaubeeren und Schokolade schmeckte.
 

„Und? Wie ist er?“
 

„Hervorragend. Fast so gut wie die von Caleb“, lächelte ich und angelte mir die Thermoskanne.
 

„Na dann ist ja gut. Habe mir mindestens dreimal die Finger verbrannt.“
 

„Die Finger verbrannt?“
 

„Sehe ich aus als ob ich backen könnte?“
 

„Du siehst auch nicht aus als ob du reiten könntest“, gab ich frech zurück.
 

„Punkt für dich.“
 

Ich goss mir etwas Kakao in einen Becher und nippte daran. Auch der war gut, wenn auch mit etwas zu wenig Karamellsirup für meinen Geschmack. Dafür konnte ich Zimt herausschmecken.
 

„Danny, ich…“, fing Connor an, der noch nichts angerührt hatte.
 

„Hm?“ Ich stopfte mir den letzten Rest Muffin in den Mund und kaute angestrengt.
 

„Mir tut leid was auf der Feier passiert ist. Das war dumm von mir.“
 

„Dir hat der Kuss nicht gefallen, stimmts?“ Meine Laune wanderte von erträglich gleich wieder gen Null.
 

„Doch! Natürlich. Du…“ Er nagte auf seiner Unterlippe herum und stützte sich mit den Händen auf der Decke ab. „Es ist nur. Wie soll ich dir das erklären?“ Ich konnte ihm ansehen wie er mit sich selbst rang.
 

„Spucks doch einfach aus?“, schlug ich vor und schnappte mir den nächsten Muffin.
 

„Ich will aber nicht, dass du das falsch verstehst.“
 

„Das kann ich doch gar nicht, wenn du es mir nicht erklärst?“
 

Connor ließ sich seufzend auf den Rücken plumpsen und starrte in die Sonne. Dabei zupfte er ein wenig an seinem schwarzen Shirt herum.
 

„Dann frage ich eben einfach. Warum hast du so komisch traurig gewirkt?“ Der druckste ja herum, das war ja schlimm!
 

„Weil ich dich nicht hätte küssen dürfen.“ Er klang dabei bedauernd.
 

„Du hast mich doch gar nicht geküsst, sondern ich dich?“
 

„Ja natürlich, aber… argh.“ Connor raufte sich die Haare.
 

„Hast du dich geschämt, weil ich 15 bin? Oder war der Kuss so schlecht?“ Ich nippte an meinem Becher um meine aufkeimende Enttäuschung zu verbergen.
 

„Das ist es nicht, Danny. Also schon, aber nicht so wie du denkst.“
 

„Wie denn dann?“
 

„Es war ein schöner Kuss. Du küsst erstaunlich gut, dafür dass du erst 15 bist. Es – weißt du, Danny“, begann er und rollte sich auf den Bauch, stützte sich auf die Ellenbogen und legte sein Kinn in die Hände um zu mir hinaufzuschauen, „es ist als würde ich einen Blick nach Kun Lun werfen dürfen, das Land der Götter, wenn ich dich so ansehe. Dort wo der Himmlische Kaiser regiert, wo der Baum der ewigen Jugend steht. Du bist wie dieser eine Pfirsich, der so unscheinbar an seiner Krone hängt, nicht zu unterscheiden von den anderen und doch einzigartig. Pflückt man dich verwelkt der Baum, doch man hat den ultimativen Preis in den Händen.“ Sein Blick veränderte sich ein wenig, wurde traurig: „Ich weiß, du kannst damit nicht viel anfangen, aber es ist ein Kompliment. Ein sehr großes sogar.“
 

Ich brauchte einen Moment um zu verarbeiten, was er mir gerade gesagt hatte. Olivia hatte Recht: Connor war ein Träumer, und zwar ein verdammt großer, aber ich entnahm seiner Tonlage und den Worten, die ich nur ansatzweise verstand, aber immerhin, dass er mir wirklich ein Kompliment gemacht hatte.
 

„Und warum sagst du mir das?“
 

„Es liegt nicht an dir, Danny. Ich war traurig, weil ich nur einen Blick nach Kun Lun werfen darf, das ist alles. Ich stehe vor dem Tor, auf Chi Tu sitzend, in voller Rüstung. Sobald ich aber meine Hand nach dem Paradies ausstrecke, verändere ich es damit, lasse es verwelken und verdorren. Das kann ich nicht machen.“
 

„Connor, ich verstehe nur Bahnhof“, seufzte ich leicht genervt. „Hat dir der Kuss also gefallen?“
 

Stumm nickte der Blondschopf und ließ sich wieder zurück auf den Rücken sinken. Er starrte gedankenverloren in die Sonne und ich glaubte fast eine Träne in seinen Augenwinkeln glänzen zu sehen. Etwas an diesem Anblick erregte mein Mitleid. Er wirkte so traurig. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Getan?
 

„Möchtest du, dass ich dich noch einmal küsse?“, fragte ich leise.
 

„Was?“ Connor schreckte hoch.
 

„Du hast mich schon verstanden.“
 

„Aber du bist verliebt, Danny. Das hast du mir selbst gesagt. Ich sollte dir helfen deine Liebe zu erobern, nicht dich zum Fremdgehen verleiten!“
 

„Das…“ Ich biss mir auf die Lippen. „Das ist sowieso kompliziert. Ich brauche außerdem Übung. Du könntest mir ja beibringen ganz gut zu küssen!“
 

Der skeptische Blick von Connor hielt nur einen kurzen Moment an. Er wirkte wie auf der Feier, traurig und irgendwie auch ablehnend. Dann brach sein Widerstand und er nickte.
 

„Darf ich?“, fragte er zögerlich und rückte auf mein Nicken hin näher heran.
 

„Versuche dich einfach fallen zu lassen und deine Gefühle für dich arbeiten zu lassen, okay? Schließ die Augen und vertrau mir.“
 

Das war das zweite Mal heute, dass ich meine Augen zudrückte. Dieses Mal schlug mir aber das Herz bis zum Hals. Ich war nervös und angespannt und in meinem Kopf geisterte der Gedanke herum, dass ich nicht Nicky küssen würde, oder mich von ihm küssen lassen, sondern von einem anderen Mann, aber meine Einwände wurden just in dem Moment beiseitegefegt, als ich Connors Lippen auf meinen spüren konnte. Seine Hand wanderte in meinen Nacken und kraulte diesen zärtlich während er mich mit der anderen nach vorne kippte. Ich öffnete entgegen seines Wunsches die Augen und konnte sehen, wie er mich langsam auf seinen Schoß zog. Meine Knie lagen links und rechts von seinen Beinen im Gras während er mich mit der freien Hand stützte. Dieser Kuss war vollkommen anders als die mit Sophia und Nicky. Er fühlte sich ganz unschuldig an. Connor hatte bisher nicht mehr gemacht als unsere Lippen aufeinanderzudrücken. Er war geduldig und sanft und schmeckte auch heute wieder nach Blaubeeren, nur dieses Mal mit Schokolade und ohne Alkohol. Wahrscheinlich hatte er auf dem Herweg doch einen Muffin genascht.
 

Ich mochte diesen Geschmack jedenfalls. Seine Lippen lösten sich ganz langsam von meinen, nur wenige Millimeter und ich konnte seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren, als er sprach: „Gefällt es dir?“
 

Ich nickte stumm.
 

„Gut, denn ich glaube, ich weiß wie der göttliche Pfirsich schmeckt – nach dir.“
 

Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, überbrückte er die Distanz zwischen uns und küsste mich erneut. Seine Hände strichen mir sanft über Rücken und Nacken und ich platzierte meine eigenen auf seinem Hinterkopf. Nach einer kleinen Ewigkeit stupste er sanft mit seiner Zunge gegen meine Lippenspitzen und strich daran entlang. Es war himmlisch. Ich öffnete meinen Mund und wir trafen uns in der Mitte. Ganz behutsam vermischten sich unsere Zungen miteinander und ein wohliges Brennen ging von meinen Lippen und meinem Mund aus, das in den gesamten Körper ausstrahlte. Meine Wangen glühten und ich kostete jeden Moment aus, in dem wir beieinander klebten. Als er den Kuss beendete vermisste ich das Gefühl seiner Lippen bereits. Connor strich mir eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht, was mich zu einem Kichern verleitete.
 

„Sag deiner Liebsten, dich zu küssen ist wie vom göttlichen Pfirsich selbst zu kosten, von der verbotenen Frucht. Dem Baum seinen wertvollsten Schatz zu entreißen ist die größte Sünde und doch, wie sehr man sich auch wehrt, man kann nicht anders. Ich glaube, sogar ein Gott würde dir erliegen. Sie kann sich glücklich schätzen, dass du sie liebst. Es ist nur mehr eine Frage der Zeit, bis du sie in Händen halten kannst.“ Seine Stimme war nicht mehr als ein Hauchen und doch gut hörbar.
 

„Halt einfach die Klappe, und küss mich, ja?“, kicherte ich erneut und meiner Bitte wurde Folge geleistet. Langsam sank ich mit Connor auf die Decke zurück.
 

Als die Sonne unterging und wir hatten die meiste Zeit mit Küssen verbracht, stellte mir Connor, der noch immer seltsam traurig, aber glücklich wirkte, ein äußerst positives Zeugnis aus.

„Du küsst wirklich gut, Danny. Man könnte fast dahinschmelzen.“
 

„Dann liegt es nicht daran, dass e…sie sich so ziert, weil ich unerfahren bin?“ Fast hätte ich mich verraten.
 

„Nein, definitiv nicht.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich glaube, sie hat einfach Angst, das ist alles.“
 

„Das macht Hoffnung, danke.“
 

Connor packte zusammen und ich holte Kalypso und Achilles vom Seeufer ab, wo sie genüsslich ein wenig Gras gerupft hatten. Wir sattelten die Pferde und ritten schweigend auf den Hof zurück. Mir war irgendwie warm ums Herz und die Trübsal der letzten Tage war wie weggeblasen.
 

„Meinst du das eigentlich ernst mit diesem Kun Lun Dings?“, fragte ich in die Stille hinein.
 

„Was machst du, wenn ich ja sage?“
 

„Mich freuen, denn es ist ein schönes Kompliment, denke ich. Das hat noch nie jemand zu mir gesagt.“
 

„Wird aber bald jemand, ganz sicher.“
 

Er war wirklich ein Träumer, aber dabei wirkte er so nett, so freundlich, so unbeschreiblich. Wäre ich nicht in Nicky verliebt gewesen, und daran war nicht zu rütteln, ich hätte mich glatt in ihn vergucken können.
 

Zurück auf dem Hof half mir Connor dabei Kalypso und Achilles abzusatteln, in die Boxen zu bringen und sie zu füttern. Die restlichen Tiere waren bereits versorgt – Calebs Werk. Leo umsprang uns dabei hechelnd und schmiegte seinen Kopf abwechselnd an Connors und meine Hand.
 

„Leo mag dich echt“, meinte ich fröhlich.
 

„Ich ihn auch.“
 

Mir kam der Gedanke Connor nach getaner Arbeit noch nach drinnen einzuladen. Es war ein so schöner Nachmittag gewesen und ich war ihm ehrlich gesagt dankbar, dass er mich zum Lächeln gebracht hatte.
 

„Ich muss los, Danny. Ich habe noch was zu erledigen und bin spät dran. Ähm…“ Er fummelte in seiner rechten Hosentasche herum und hielt mir ein gefaltetes Zettelchen entgegen. „Falls du mal was brauchen solltest. Eine Extra-Nachhilfestunde oder ein Taxi oder so.“ Verlegen kratzte er sich im Nacken. „Olivia kommt übermorgen, denke ich. Vielleicht sehen wir uns dann wieder?“
 

„Klar! Würde mich freuen!“, strahlte ich. „Und Leo auch!“
 

„Dann, ähm… man sieht sich!“
 

Er hob die Hand zum Abschied, stieg ein und ließ den Motor aufheulen. Im Licht der Scheinwerfer konnte ich erkennen, dass er mir noch einmal zulächelte, bevor er sich auf den Weg machte und ich ihm verträumt nachstarrte. Ich hatte mich getäuscht: Connor war wirklich cool und ein verdammt guter Küsser. Mein grummelnder Magen riss mich aus meiner Starre: Hoffentlich hatte Caleb die Pfannkuchen nicht weggeräumt! Heute würde ich gut schlafen! Mir fiel erst jetzt ein, dass Connor nichts wegen meiner Augenringe gesagt hatte. Die würden jetzt wohl hoffentlich verschwinden.

Ich wartete am Freitag am Fenster darauf, dass Connor mit Olivia auftauchen würde. Meine gute Laune war nicht verflogen, im Gegenteil: Ich erledigte meine Aufgaben mit Euphorie und Tatendrang! Das war sogar Caleb aufgefallen, der aber nichts deswegen sagte. Er war noch immer nett zu mir, aber Nicky mied mich. Das tat mir zwar schon weh, aber ich hoffte, dass Connor das abfedern würde. Außerdem konnte er mir ja noch mehr beibringen als nur gut zu küssen! Das würde im Kampf um Nicky ein entscheidender Vorteil sein.
 

„Du starrst aus dem Fenster wie damals als Kind, als du den Nikolaus erwartet hast.“ Caleb schüttelte den Kopf.
 

„Du übertreibst maßlos. Ich warte nur, das ist alles.“
 

„Worauf?“
 

„Auf Connor und Olivia? Wen denn sonst?“
 

Das erwartete Murren blieb aus. Mein Bruder schwieg einfach nur und ging wieder ins Wohnzimmer zurück. Ich glaube er war froh, dass ich nicht dauernd Trübsal blies. Meinen kleinen Ausbruch nach der Party hatte er auch nie angeschnitten. So war Caleb eben. Mittlerweile hatte ich ihn auch wieder einigermaßen lieb. Auch Nicky war ich nicht mehr sonderlich böse. Meine Hoffnungen waren wiederaufgekeimt, als Connor gemeint hatte, ich würde gut küssen und meine Liebste wäre mir bald verfallen. So irgendwie hatte er es jedenfalls formuliert.
 

Leo war mittlerweile meine sichere Quelle, wenn es um den gelben Porsche ging. Olivia wurde kurz begrüßt, dann aber gleich zu Connor übergegangen, der ihn an den Vorderpfoten hielt, während Leo Männchen machte, und ihm gegen die Nase stupste. Das war niedlich, sogar für meinen Geschmack. Dazu dieses Lächeln. Ich war mir sicher, auch Klein-Nicky, der in seinem Körbchen döste, würde ihn mögen.
 

„Caleb! Sie sind da!“, rief ich freudig und sprang barfuß nach draußen. Leo bellte fröhlich und wechselte zwischen uns dreien hin und her.
 

„Hey, Danny.“ Olivia kam auf mich zu und zögerte kurz. Sie spielte an ihren Fingern herum und seufzte dann: „Tut mir leid wegen der Party. Das war dumm von mir. Ich hätte das nicht machen sollen. Kann ich es wiedergutmachen?“
 

Ich brauchte einen Moment um zu begreifen was sie meinte. Gab sie sich die Schuld dafür, dass Caleb so ausgerastet war? Das lag wohl eher daran, dass sein kleiner Bruder jemanden geküsst hatte. Wahrscheinlich noch immer besser als seinen Freund, aber trotzdem. Ich überlegte kurz, wobei mein Blick auf Connor fiel, der mit Leo „Folge meinem Finger“ spielte.
 

„Wenn Connor mit mir heute Abend ins Kino geht und du bezahlst, extra großes Popcorn und Cola inklusive, dann verzeihe ich dir!“ Dabei prustete ich vor Lachen.
 

„Was?“ Olivia legte den Kopf ein wenig schief.
 

„Das war nur ein Witz. Schon okay. Ich habe Achilles für dich gesattelt. Caleb meinte, er würde dich begleiten, dir einmal das Umland zeigen und so. Die besten Routen.“
 

Das hatte er tatsächlich, was mich sehr verwunderte. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich vermutet, er stünde auf Olivia. Wie aufs Stichwort kam mein Bruder, gekleidet für einen Ausritt, aus dem Haus und begrüßte Connors Schwester freundlich. Mein neuer bester Freund (Nicky zählte ja schließlich nicht mehr, denn ich war in ihn verliebt!) bekam ein knappes Nicken, das ebenso erwidert wurde.
 

„Aber, Danny? Also wegen mir könnt ihr schon ins Kino. Es dürfte halt nicht zu spät werden, weil Connor mich abholen muss. Es sei denn…“ Sie schaute fragend zu Caleb. Der bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick.
 

„Ich denke, ich kann dich auch heimfahren, Olivia. Danny ist aber pünktlich um Mitternacht zu Hause.“
 

Ich sprang auf und fiel Caleb jubelnd um den Hals.
 

„Danke!“
 

Ein leichtes Rückenklopfen signalisierte mir, dass es genug der Liebesbekundung war und ich löste mich von ihm.
 

„Aber kein Alk, ist das klar?“
 

„Geht klar!“
 

Ich drehte mich zu Connor um, der nur lächelnd nickte und sich von Leo löste.
 

„Beeil dich aber, ja? Ich habe Hunger und wir könnten vorher noch was essen gehen.“
 

Zwei Stufen auf einmal nehmend sprintete ich mein Zimmer und durchwühlte den Kleiderschrank. Es würde spät werden und damit kalt, also entschied ich mich für Jeans, ein frisch gewaschenes, rotes T-Shirt und Turnschuhe. Ich schnappte mir noch meinen Schlüssel vom Schlüsselbund und meine Brieftasche, schob alles ein, griff nach einer x-beliebigen Jacke und stürmte nach draußen.
 

„So! Bin fertig!“
 

„Na, dann“, grinste Connor und warf Olivia, wie auch Caleb, einen dankbaren Blick zu. „Steig ein!“
 

Der Porsche hatte tatsächlich nur zwei Sitze, die stark an die eines Rennautos erinnerten. Das Cockpit, oder wie man das nannte, sah total edel aus, ganz anders, als in Calebs altem Escort. Ich schnallte mich an und sah mich mit großen Augen um. Das Auto hatte sogar eine digitale Anzeige für die Geschwindigkeit, die zum Leben erwachte, als Connor den Schlüssel reinsteckte. Ein leises Piepen ertönte.
 

„Du hast dich angeschnallt, oder?“, erkundigte sich der Fahrer.
 

„Natürlich“, nickte ich bekräftigend.
 

„Gut, dann – wo möchtest du denn Essen gehen?“
 

Wir setzten zurück und Connor fuhr vom Hof auf die Landstraße. Ich winkte Caleb und Olivia noch zum Abschied, bevor ich mich ganz der Fahrt widmete. Im Innenraum war es erstaunlich leise und man hörte den Motor fast gar nicht, was mich wunderte und auch etwas enttäuschte. Connor fuhr auch nicht schneller als Caleb, eher langsamer. Was ich so sehen konnte hielt er die Geschwindigkeitsbegrenzung penibel ein.
 

„Keine Ahnung? Wo möchtest du denn hin?“
 

„Ich hätte Bock auf Knusperente und Reis. Hast du auch Lust auf Chinesisch?“
 

„Au ja!“
 

„Na dann. Ist was? Du schaust so enttäuscht.“ Connor warf mir einen besorgten Blick zu. „Wir können auch woanders hingehen, falls du magst?“
 

„Du fährst total lahm. Ich habe gedacht dein Auto wäre voll schnell?“
 

„Ist es auch. Nur weil es schnell ist muss ich aber nicht schnell fahren.“
 

„Warum? Das macht doch so keinen Spaß.“
 

„Autofahren ist eine ernste Sache, Danny. Wenn ich alleine bin, dann fahre ich schon ein wenig…sportlicher, aber nicht mit Beifahrer. Außerdem sind die Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht zum Spaß da. Meine Fahrlehrerin meinte einmal, die meisten Unfälle würden wegen zu hoher Risikobereitschaft und Abenteuerlust entstehen. Das will ich vermeiden.“
 

Ich zog eine Schnute und Connor grinste schief.
 

„Sie hat aber auch gesagt, dass man ein Auto ruhig einmal ausfahren darf und auch soll, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Schau nicht so, das mag ich überhaupt nicht. Wenn wir auf der Autobahn sind, dann fahre ich schneller, okay?“
 

„Okay!“
 

Wir fuhren tatsächlich schneller als auf der Landstraße und deutlich schneller als Caleb, aber immer noch nicht merklich über dem Tempolimit. So viel zu cool: Was das anging war Connor ein totaler Spießer. Wir bogen auf den Parkplatz eines Restaurants ein über dem irgendwelche chinesischen Schriftzeichen in Neonbuchstaben, die gerade nicht leuchteten, hingen. Drunter war „Wangs Chinaküche“ zu lesen. Connor stieg aus und sperrte den Wagen ab sobald ich neben ihm stand. „Du hast schon mal Chinesisch gegessen, oder?“, fragte er mich beim Reingehen.
 

„Klar. Was denkst du denn?“
 

„Dann muss ich kein normales Besteck für dich bestellen?“
 

„Nein!“
 

Wir setzten uns drinnen an einen kleinen Zweiertisch und ich sah mich um. Das Lokal war zwar gut besucht, aber es gab noch immer genügend freie Tische. Überall hingen rote Lampen aus Papier von der Decke herab und von irgendwoher summte kitschig asiatische Musik im Einklang mit dem Plätschern von Wasser. Die Bedienung, eine junge Frau, Mitte 20, und eindeutig keine Chinesin, brachte uns lächelnd die Speisekarten und fragte uns auch gleich nach unseren Getränkewünschen. Connor bestellte sich ein Mineralwasser und ich eine Cola. Beim Durchblättern der Karte lief mir das Wasser im Mund zusammen. Wir gingen ganz selten essen, weil Caleb meist kochte, und das tat er sehr gut, und sonst gab es eben Tiefkühlessen wie Pizza. Das nächste Restaurant war irgendwo im Nirgendwo und daher war es etwas Besonderes, was beim Chinesen zu essen.
 

„Du darfst dir aussuchen was du willst und auch so viel wie die möchtest, ja?“ Connor lugte lächelnd über den Rand seiner Karte.
 

„Was nimmst du?“, wollte ich wissen.
 

„Wahrscheinlich eine Pekingente mit Reis. Warum?“
 

„Schau mal, hier gibt es etwas für zwei Personen – Glücklicher Phönix.“
 

Connor blätterte in der Karte herum.
 

„Hm, da wäre Ente dabei und Hähnchen. Na von mir aus.“
 

Nachdem wir der Kellnerin unsere Bestellung gegeben hatten, die uns dabei ein äußerst breites, fast schon wissendes Lächeln schenkte, nippte ich an meiner Cola und schaute Connor dabei zu, wie er sich mit gespreizten Fingern durch seine Haare fuhr.
 

„Das Haargel kaufe ich mir auch nicht mehr.“
 

„Warum?“
 

„Hält nicht so wie es soll und fühlt sich klebrig an.“
 

„Ich habe gar kein Haargel und lebe auch noch.“
 

„Ja du. Du bist auch eine natürliche Schönheit“, grinste er breit. „Dir würde Haargel gar nicht stehen.“
 

„Findest du?“
 

„Ja. Deine Haare sind unordentlich geschnitten und das steht dir, verleiht dir einen ganz besonderen Charme. Ich wundere mich sowieso, dass du noch keine Freundin hast. Was sagt eigentlich deine Angebetete?“
 

„Die, hm. Die, wie hast du gesagt? Die ziert sich oder so?“
 

„Ah ja. Entschuldige bitte, dass ich davon angefangen habe.“
 

„Kein Ding. Es ist einfach schwierig.“
 

„Magst du darüber reden?“
 

„Ich weiß nicht.“ Dabei rieb ich mir den Unterarm.
 

„Du musst nicht. Reden kann aber vieles erleichtern.“
 

„Können wir zuerst essen? Dann vielleicht“, wich ich aus.
 

„Klar.“
 

Der glückliche Phönix stellte sich als ein riesiger Teller mit Ente und Huhn, dazu Reis und Bambussprossen, Glasnudeln, Suppenschalen, Soßen, gekochten Eiern und einem Haufen anderen Zeugs heraus. Wir wurden noch nach einer Nachspeise gefragt, bei der wir uns beide für gebackene Bananen entschieden, bevor wir uns über das Essen hermachten. Es schmeckte gut und ich musste kichern, als Connor leise fluchte, weil ihm ein Stück in Soße getunkter Ente auf seine blauen Shorts fiel.
 

„Soviel dazu, du müsstest mir normales Besteck bestellen“, stichelte ich frech.
 

„Da hatte ich den Mund wohl ein wenig zu voll, was?“, schmunzelte er und tupfte sich das Hosenbein mit einer Serviette ab.
 

„Warum läufst du eigentlich immer in Sportsachen herum?“
 

„Hm? Weil das ganz bequem ist. Im Sommer schwitzt man nicht so leicht und wenn, dann kleben die Sachen nicht an der Haut.“
 

„Du hast gar keine anderen Sachen, stimmts?“
 

„Klar habe ich, aber die trage ich nur ganz selten. Auf der Uni etwa, und da auch nur, wenn es notwendig ist. In den Vorlesungen sitze ich meist genauso wie jetzt: Ein kurzes T-Shirt, Trainingsshorts und Sneakers.“
 

„Ich habe einen ganzen Kleiderschrank voll mit unterschiedlichen Sachen. Wenn du nicht so groß wärst und so breit, würde ich dir fast was geben wollen“, stichelte ich erneut.
 

„Hey, was soll das heißen? Meine Sachen sind total geschmackvoll!“
 

„Nicht so wie die von Nicky oder mir!“
 

„Wer kann schon mit Nicky oder dir mithalten, hm?“ Connor schenkte mir ein breites Lächeln und machte sich über den Rest Essen her, was ich auch tat.
 

Nach den Bananen war ich zum Platzen voll. So gut hatte ich schon lange nicht mehr gegessen. Connor hatte mich noch dreimal gefragt, ob ich nicht noch Hunger hätte, was ich aber kopfschüttelnd verneinte. Nachdem er bezahlt hatte schleppte ich mich zum Auto.
 

„Welchen Film willst du denn sehen?“
 

„Eigentlich gar keinen. Ich bin zu vollgefressen“, gab ich zu.
 

„Hm. Soll ich dich dann nach Hause bringen?“
 

„Nein. Können wir nicht noch ein wenig in der Gegend herumfahren und quatschen?“
 

„Was du willst, Danny. Aber penn mir ja nicht ein. Sonst bringe ich dich sofort nach Hause!“
 

„Ich schlafe nicht ein, versprochen.“
 

Der Porsche erwachte zum Leben und wir fuhren ein wenig durch die Stadt. Connor zeigte mir die Uni wo er hinging, genauso wie ein Sportfachgeschäft, in dem er sich seine Sachen besorgte und einen kleinen Italiener, bei dem er sich wohl öfter etwas mitnahm. Belangloses Zeug eben. Mir brannte da aber etwas auf der Zunge und ich knetete nervös meine Finger.
 

„Du, Connor?“
 

„Hm?“
 

„Du bist ab sofort mein bester Freund, nur dass du es weißt.“
 

„Bin ich das?“, fragte er und grinste dabei, was ich so im Halbdunkel erkenne konnte, denn die Sonne war mittlerweile untergegangen.
 

„Ja, bist du! Das heißt, dass du ab sofort meine Geheimnisse kennen darfst, sie aber keinem verraten. Schwörst du mir das?“
 

„Ich schwöre, bei allem was mir heilig ist!“ Er nahm die linke Hand vom Lenkrad und hielt sie sich an die Brust.
 

„Egal was ich jetzt sage, du lachst nicht oder so.“
 

„Natürlich nicht, versprochen.“
 

„Also, weil du immer davon redest, dass ich auf ein Mädchen stehe.“
 

„Ja?“
 

„Das… das stimmt so nicht ganz“, gestand ich kleinlaut.
 

„Wie meinst du das?“
 

„Ich, also ich bin schon verliebt, aber in einen Jungen.“
 

Connor schwieg und starrte konzentriert auf die Straße. Ich hatte schon Angst, ihn verärgert zu haben, als er seinen Mund öffnete: „Okay? Und weiter?“
 

„Du kennst ihn sogar.“
 

„Tue ich das?“
 

„Ja, also…“ Ich druckste herum. „Es ist Nicky.“
 

Ein Schatten huschte über Connors Gesicht. Das, oder das Licht der Straßenlaternen, die durch die Fenster hereinschienen, spielten mir einen Streich. Zusätzlich dazu meinte ich zu sehen, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten, weil er das Lenkrad so fest umklammerte. Nach einem Blinzeln war aber alles wieder normal. Wohl nur Einbildung.
 

„Das habe ich mir schon fast gedacht“, meinte er ruhig.
 

„Was? Wieso?“
 

„Du hast ihn und deinen Bruder auf der Party die ganze Zeit so komisch angestarrt. So als ob du eifersüchtig wärst.“
 

„Wirklich?“ Das war mir gar nicht aufgefallen und ehrlich gesagt auch peinlich.
 

„Mh. Bei unserem Kuss hat nicht nur Caleb kurz die Fassung verloren, sondern dieser Nicky auch.“
 

Auch das hatte ich nicht bemerkt.
 

„Bist du mir böse, dass ich dich angeflunkert habe?“
 

„Warum sollte ich? Du hast mich ja gar nicht belogen.“
 

„Doch?“
 

„Nein. Ich hätte auch fragen können um wen es sich handelt. Das erklärt aber auch, warum du immer so von ihm schwärmst und dass du manchmal ganz traurig wirkst, wenn du Caleb anschaust.“
 

Jetzt war ich es der schwieg. Das was Connor mir da erzählte war mir gar nicht aufgefallen. War ich wirklich so leicht zu lesen? Starrte ich echt so offenkundig? Verletzte ich Nicky und Caleb damit?
 

„Das verkompliziert natürlich alles ein wenig.“
 

„Du glaubst also nicht, dass Nicky jetzt dann bald mein fester Freund werden wird, so wie du mir vorgestern erzählt hast?“
 

„Ich… Nein, ja, schon. Ach, das ist alles nicht so einfach, aber wem erzähle ich das? Lass einfach dein Herz sprechen, dann klappt das schon.“
 

„Dann ist aber Caleb traurig“, sagte ich leise.
 

„Ich weiß, aber dann ist das einfach so. Wo die Liebe hinfällt.“
 

„Das will ich aber auch nicht!“
 

„Das glaube ich dir, Danny. Du bist einfach viel zu lieb. Du erinnerst mich an ein wenig an Odysseus, der für seine Heimkehr nach Ithaka, zu seiner Penelope, so viele Gefahren auf sich genommen und gelitten hat. Sogar das Angebot von Unsterblichkeit und viele hübsche Frauen hat er ausgeschlagen um wieder mit ihr vereint zu sein. Sehr nobel von dir dabei auch an Caleb zu denken.“
 

„Naja, nicht immer. Oft bin ich wütend auf ihn“, gestand ich.
 

„Klar bist du das. Du bist verliebt, Danny. Mach dir mal keinen Kopf, das wird alles.“
 

„Glaubst du?“
 

„Ja, ganz sicher. Und ich bin immer für dich da, ja? Das machen beste Freunde schließlich.“
 

Meine Laune, die inzwischen im Keller war, besserte sich nach diesen Worten ein wenig.
 

„Connor?“
 

„Hm?“
 

„Kannst du mal rechts ranfahren?“
 

„Warum? Ist dir schlecht?“
 

„Nein, kannst du einfach mal?“
 

„Klar.“
 

Connor setzte den Blinker und hielt am menschenleeren Straßenrand an. Wieder dieser besorgte Blick, in den sich noch etwas anders gemischt hatte, etwas Undefinierbares.
 

„Küsst du mich?“
 

„Was?“
 

„Ob du mich noch einmal küssen könntest?“
 

„Warum?“
 

„Weil, weil… du küsst gut, ähnlich gut wie Nicky und wenn ich ihn mal wieder küssen sollte, dann will ich zeigen, dass ich schon viel weiter bin!“
 

Connor biss sich auf die Unterlippen.
 

„Danny, das ist keine gute Idee.“
 

„Wir sind doch beste Freunde, oder?“
 

„Natürlich.“
 

„Dann ist doch nichts dabei?“
 

„Doch, weil…“
 

Ich probierte es mit meinem besten Hundeblick und erzielte die gewünschte Wirkung. Keinen Moment später beugte er sich zu mir herüber und legte seine Lippen auf die meinen. Ich konnte nicht erkennen, wie er dabei dreinschaute, aber er küsste wie am See, zärtlich und sanft. Ob das Nicky wohl auch so gefallen würde? Wie lange wir so dasaßen wusste ich nicht. Erst als ich etwas Feuchtes auf meiner Nasenspitze spüren konnte, löste ich mich.
 

„Sorry, ich glaube ich bin gegen das Haargel auch ein wenig allergisch oder so.“ Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen.
 

„Kein Ding! Sag mal, kann ich etwas beim Küssen besser machen? Damit es Nicky gefällt?“
 

„Ich denke nicht, nein. Wenn du ihn so küsst, dann wird er sich sicher freuen.“
 

„Glaubst du wirklich?“, fragte ich aufgeregt.
 

„Ganz sicher“, murmelte Connor und ließ den Motor wieder an.

„Übst du auch weiterhin mit mir?“
 

Connor öffnete den Mund und schloss ihn gleich darauf wieder. Er überlegte und sah mich immer wieder aus den Augenwinkeln heraus an.
 

„Wenn du das möchtest.“
 

„Ja, will ich!“
 

Mir kam vor, dass er sich erneut ins Lenkrad krallte, aber er sagte nichts, also tat ich es als Hirngespinst ab, wie auch bei der komischen Reaktion zuvor.
 

„Hilfst du mir auch dabei ihm so ein nettes Kompliment zu machen, wie du mir?“
 

„Natürlich.“ Connor schluckte hörbar, was ich aber gar nicht mitbekam. Ich schaute aus dem Fenster und meine Gedanken kreisten um Nicky, wie wir uns küssten und er sich freute, mich lobte, weil ich auch so gut war wie er.
 

Die restliche Fahrt verlief schweigend. Ich hatte den halben Weg verschlafen und Connor weckte mich durch ein sanftes Rütteln an der Schulter.
 

„Hey, wir sind da“, sagte er mit sanfter Stimmte.
 

„Lass mich schlafen“, maulte ich und drehte mich im Sitz herum, die Augen noch immer geschlossen.
 

„Würde ich ja, aber dann dreht mir Caleb den Hals um.“
 

„Soll er doch.“
 

„Danny“, seufzte Connor leise. „Wo ist denn dein Zimmer?“
 

„Na oben, wo denn sonst?“
 

„Welche Tür?“
 

„Die Zweite. Steht sogar mein Name drauf“, murmelte ich schlaftrunken und schmatzte leise.
 

Das Geräusch einer sich öffnenden Autotür hätte mich eigentlich wach machen müssen, tat es aber nicht. Ich pennte weiter, tief und fest, entgegen meines Versprechens. So bemerkte ich auch nicht, wie mich jemand abschnallte und mich zwei starke Arme packten. Sie betteten mich ganz behutsam, wühlten in meiner Hosentasche nach dem Schlüssel, sperrten auf und trugen mich auf mein Zimmer. Dort halfen sie mir aus den Turnschuhen, hingen meine Jacke über einen Stuhl und strichen mir eine Strähne aus dem Gesicht.
 

„Schlaf gut, Danny“, hauchte dieser Jemand und küsste mich sanft auf die Stirn.
 

„Du auch, Nicky“, säuselte ich und drehte mich auf die Seite, wo ich weiterschlief.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Es war noch dunkel draußen als ich wach wurde. Jemand hatte seine Arme um meinen Bauch gelegt und mich an sich gedrückt. Kurz machte meinen Herz einen Sprung: War ich neben Nicky eingeschlafen? Ein vorsichtiger Blick nach hinten verriet mir, dass es nur Connor war. Mir drängten sich die Bilder des gestrigen Abends in den Kopf. Jetzt, wo er so schlief, wirkte er ganz ruhig, nicht so traurig und enttäuscht, kurz bevor ich ihm einen hatte blasen dürfen. Irgendwie war Connor schon ganz süß gewesen. Es hatte ihm auch gut gefallen. Mir übrigens auch, sehr sogar! Er konnte das viel besser als Sophia. Ich wollte mich gerade ein wenig an ihn schmiegen als ich den verzerrten Gesichtsausdruck bemerkte, der vor einer Sekunde noch nicht da gewesen war. Seine Augen waren zusammengekniffen und seine Umarmung wurde kräftiger. Er drückte mich an sich als hätte er Angst ich würde verschwinden, sollte er nur ein wenig lockerlassen.
 

„Connor?“, fragte ich leise. Keine Reaktion.
 

„Connor?“, wiederholte ich mich, dieses Mal lauter.
 

„Nein. Fass ihn nicht an“, murmelte er. „Lass ihn!“
 

Er schlief noch und er sprach dabei. Ich überlegte schon ihn zu wecken, da fuhr er fort, fast schon panisch klingend.
 

„Geh weg von ihm! Mach das nicht! Komm zu mir!“
 

Hatte er einen Alptraum?
 

„Nicht! Tai-Kui!“, schrie er und riss die Augen auf. Sein Brustkorb hob und senkte sich rasend schnell und Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn.
 

„Hey“, lächelte ich aufmunternd und versuchte Connor zu beruhigen. „Du hast schlecht geträumt, glaube ich.“
 

Mein bester Freund brauchte einen Moment um zu realisieren, dass er sich in meinem Zimmer befand. Sobald er das kapierte, beruhigte er sich auch wieder allmählich. Seine rechte Hand lag sofort an meiner Wange und strich mit dem Daumen sachte darüber, was ich zu einem Kichern bewog.
 

„Lass das“, grinste ich.
 

„Guten Morgen“, lächelte er schief, was ich so im Halbdunkel erkennen konnte.
 

„Guten Morgen!“ Ich verpasste ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. „Was war denn los?“
 

„Hm?“, fragte Connor und wich meinem Blick aus.
 

„Du hast schlecht geträumt. Wovon denn?“
 

„Nichts Wichtigem. Habe ich dich geweckt?“
 

„Ja. Du hast im Schlaf gemurmelt.“
 

„Habe ich das?“
 

„Hast du“, nickte ich bekräftigend. „Immer wieder was von ‚Geh weg von ihm‘ und ‚Lass ihn‘ und am Ende hast du ‚Nicht‘ und ‚Tai-Kui‘ gebrüllt und bist aufgewacht. Was ist denn ein Tai-Kui?“ Ich schloss die Augen und seufzte wohlig als Connor mir den Nacken kraulte.
 

„Muss ich das beantworten?“
 

„Ja, musst du!“
 

„Will ich aber nicht.“
 

„Nicht mal, wenn ich dich küsse?“
 

Ich schlug die Augen auf und holte mir, bevor Connor sich wehren konnte, was ich wollte. Nach einem ausgedehnten Kuss löste ich mich von ihm und schaute ihn nun wieder fragend an.
 

„Was?“
 

„Also – was ist dieser Tai-Kui, oder wer?“
 

„Willst du das wirklich wissen?“
 

Auf mein eifriges Nicken hin seufzte Connor und strich mir durchs Haar. „Tai-Kui ist der Sage nach der Herr der Furcht. Er haust in einem Pavillon, der zwar große Macht und Wissen birgt, aber niemand traut sich dorthin. Sein Flüstern reicht aus um selbst die mutigsten Menschen abzuschrecken. Wer sich einmal in den Pavillon begibt, der ist auf ewig verloren. Man stirbt vor Angst, denn Tai-Kui verwandelt sich in das, was man meisten fürchtet.“
 

Das war wieder dieser komische Kram den ich nicht verstand. Mein bester Freund klang dabei ziemlich unglücklich.
 

„Und was hat dir dieser Tai-Kui gezeigt?“
 

Connor beugte sich nach vorne und küsste mich.
 

„Er hat mir jemanden gezeigt. Jemanden den ich sehr, sehr gerne habe. Tai-Kui hat sich in sein Spiegelbild verwandelt. Dann ist dieser jemand weggegangen, mit jemandem den ich nicht mag.“
 

Ich war zugegebenermaßen verwirrt. Das klang nicht nach meiner größten Angst. Das klang überhaupt nicht sonderlich schlimm. Nur weil jemand weggeht, auch wenn man die andere Person nicht mag, kann dieser jemand doch wiederkommen, oder?
 

„Und wer ist weggegangen? Mit wem?“
 

„Das verrate ich dir nicht.“
 

„Egal was ich mache?“
 

„Egal was du machst“, nickte er.
 

„Das ist aber unfair!“, schmollte ich.
 

„Weißt du, Danny“, dabei streichelte er mir wieder über die Wange und hatte einen ganz seltsamen Blick aufgesetzt, so als würde er träumen und dabei glücklich aber auch unendlich traurig sein.

„Manchmal da wünsche ich mir, dass diese Märchen und Legenden für eine Stunde wahr sein könnten. Dann würde ich es verstehen.“
 

„Was verstehen?“
 

„Warum alles so passiert ist. Warum ich so ein Feigling bin, so ein Dummkopf.“
 

„Aber das bist du doch gar nicht! Du bist voll schlau! Und auch voll mutig! Glaube ich zumindest.“
 

„Das hat nichts damit zu tun“, meinte er traurig. „Ich wäre nur manchmal gern jemand anderes.“
 

„So? Wer denn? Kenne ich ihn?“
 

„Ja, das könnte man so sagen.“
 

„Hm…“ Ich überlegte kurz. „Ich glaube ich hab’s!“
 

„Hast du?“, fragte er amüsiert.
 

„Ja! Du wärst gerne Caleb, oder? Weil dann hättest du einen tollen kleinen Bruder und einen ganz tollen Freund!
 

Das schwache Lächeln in Connors Gesicht bröckelte und er schüttelte den Kopf.
 

„Nicht? Ich wäre manchmal gerne Caleb!“
 

Er wirkte schon wieder so niedergeschlagen. Hatte ich was Falsches gesagt? Ich meine, ich verstand sowieso nicht, wie man nicht mit Caleb nicht tauschen wolle, aber gut. Jedenfalls mochte ich es überhaupt nicht, wenn Connor so komisch drauf war und da küsste ich ihn einfach wieder.
 

Wir waren noch eine halbe Stunde im Bett geblieben, dann war ich aufgestanden, hatte mich frisch gemacht und war nach draußen zu den Pferden gegangen. Das Unwetter hatte aufgehört und ich konnte zum ersten Mal begutachten, was Connor da mit seinem Auto angerichtet hatte. Der machte inzwischen drinnen Frühstück. Jedenfalls steckte sein Sportwagen mit den Hinterrädern tief im Matsch fest und hatte sich eingegraben. Da würde Caleb aber ganz schön sauer sein! Schulterzuckend machte ich mich auf den Weg zu den Tieren und erledigte die Stallarbeit. Nachdem ich fertig war und draußen im Hof stand runzelte ich die Stirn: Caleb hatte sich noch immer nicht blicken lassen. Das war ungewöhnlich. Ob er wohl bei Magnus war? Oder bei Nicky? Letzteres schloss ich aus, da dann nämlich der Escort irgendwo geparkt hätte. Naja, irgendwann würde er wohl auftauchen und bis dahin hatte ich ja wen mit dem ich mich beschäftigen konnte.

Drinnen war Connor bereits fertig: Honig-, Nutella- und Marmeladebrote waren fein säuberlich auf drei Tellern aufgeschichtet worden. Zwei Tassen mit dampfendem Kakao warteten darauf getrunken zu werden. Sogar mit Sahnehäubchen!
 

„Wie hast du das alles gefunden?“, fragte ich und ließ mich auf einem der Stühle nieder. Connor kraulte Leo hinter dem Ohr und wurde mit einem lauten „Wuff“ belohnt.
 

„So groß ist eure Küche nun auch wieder nicht. Magst du irgendwas anderes?“
 

„Nein.“ Ich griff gleich nach dem ersten Nutellabrot und biss ein Stück ab. Dazu noch ein Schluck Kakao, der wieder nach einem Hauch von Zimt schmeckte, und der Vormittag war gerettet. Connor klopfte Leo auf den Rücken, wischte sich die Hand an seinen Trainingshosen ab, und schnappte sich dann ebenfalls Brot und Kakao.
 

„Achilles ist übrigens ein tolles Pferd. Zwar ein wenig störrisch, aber ich mag ihn“, plapperte ich und schnappte mir das nächste Brot. Ich hatte nämlich einen Bärenhunger.
 

„Ja, für sowas hat Olivia ein Händchen.“ Er kaute eine Weile an seinem Brot und nippte am Kakao um dann tief Luft zu holen. „Danny? Ich weiß, ich bin ja dein bester Freund und auch dein Übungspartner, oder wie man das nennen mag.“
 

Ich nickte bekräftigend.
 

„Es ist aber wichtig, dass du niemandem davon erzählst, okay? Gar niemandem. Nicht einmal Nicky. Versprichst du mir das?“
 

„Klar!“
 

„Gut.“
 

Das restliche Frühstück drehte sich um mehr belanglose Sachen. Connor schien irgendwie wieder fröhlicher zu sein. Er lächelte ehrlich und boxte mir gegen die Schulter, als ich meinte, ich hätte mehr Ahnung von Tieren als er. Wir räumten gemeinsam das Geschirr ab und verkrümelten uns ins Wohnzimmer. Auf meinen Versuch hin, mit ihm zu kuscheln, schob er mich kopfschüttelnd zurück.
 

„Warum darf ich nicht?“
 

„Wenn Caleb kommt vermittelt das ein völlig falsches Bild.“
 

„Wieso?“
 

„Naja, Danny. Ich habe heute hier übernachtet und du klebst so an mir.“
 

„Und?“
 

Was Connors Antwort darauf gewesen wäre erfuhr ich nicht, denn die Tür wurde aufgerissen und Caleb stand in der Tür. Er wirkte äußerst verstimmt, vorsichtig ausgedrückt.
 

„Sag mal spinnst du komplett?“, fuhr er Connor gleich an. „Hast du eine Ahnung was du da draußen mit deiner Karre angerichtet hast?“
 

„Ist mir durchaus bewusst“, gab mein bester Freund zurück und hob die rechte Augenbraue an.
 

„Und?“ Caleb funkelte zornig in unsere Richtung.
 

„Was und?“
 

„Wie willst du jetzt wieder mit dem Auto rauskommen?“
 

„Mit deiner Hilfe?“
 

Das freudlose Lachen meines Bruders ließ den Schluss nahe liegen, dass er nicht daran dachte, Connor zu helfen.
 

„Gut, dann hole ich mir eben einen Abschleppdienst. Mir egal. Hast du eben noch mehr Flurschaden auf dem Hof.“ Connor zuckte mit den Schultern.
 

„Den du ausbessern wirst.“
 

„Soll ich es zuschaufeln, oder was willst du von mir?“
 

„Vielleicht?“ Caleb verschränkte die Arme vor der Brust.
 

„Was habe ich dir eigentlich getan?“ Connor war aufgestanden und ein grimmiges Starrduell begann.
 

„Ich mag dich nicht“, stellte mein Bruder das Offensichtliche fest.
 

„Das ist schwer zu übersehen. Warum?“
 

„Weil du genau das bist, für das ich dich halte.“
 

„Und das ist?“
 

„Ein überheblicher, verzogener Bengel, der von Mama und Papa ausgehalten wird.“
 

„Hast du dir diese Meinung selbst gebildet, oder kommt die von deinem Freund? Die Frage ist nur bei welchem.“
 

Caleb knirschte mit den Zähnen und schaute noch finsterer drein.
 

„Oh, wunder Punkt?“ Connor hob die Mundwinkel an. „Sicher nett, wenn man zweigleisig fährt. Will der eine nicht, dann geht man zum anderen und umgekehrt.“
 

„Halt den Mund und verschwinde.“ Calebs Stimme bebte.
 

„Schon gut.“ Connor schob die Hände in die Hosentasche. „Schick mir einfach eine Rechnung. Ich lasse den Wagen abholen. Kannst auch Stellplatzkosten veranschlagen, scheinst es ja nötig zu haben.“ Er überlegte kurz, öffnete den Mund, nur um ihn dann wieder zu schließen. Was ihm auf der Zunge lag schluckte er wohl hinunter.
 

„Hey! Jetzt hört auf zu streiten und vertragt euch. Bitte.“
 

Die Aufmerksamkeit der Streithähne zu genießen war vielleicht nicht das Angenehmste, aber ich musste eingreifen. Wenn das so weiterging, dann würde das in einem kleinen Fiasko enden und Caleb mir am Ende verbieten mich mit Connor zu treffen und umgekehrt.
 

„Caleb? Hilfst du Connor dabei das Auto aus dem Matsch zu ziehen? Und Connor könnte ja weniger kratzbürstig sein?“
 

Mir fiel ehrlich gesagt nichts anderes ein, als diese Bitte, die ich äußerst wehleidig betonte, mit meinem gewohnten Hundeblick zu kombinieren. Beide starrten mich einen Moment lang an, dann seufzten sie nahezu zeitgleich.
 

„Na dann komm, Muttersöhnchen. Mal sehen, wie gut du dich anstellst“, sagte Caleb und bedeutete Connor ihm zu folgen.
 

„Wie reizend. Ich werde mich bemühen deinen Erwartungen gerecht zu werden“, rollte dieser mit den Augen und folgte. Ich bildete, begleitet von Leo, der ein wenig mit Klein Nicky gespielt hatte, das Schlusslicht.
 

Draußen dauerte es zwar eine Weile, aber Caleb zog mit dem Escort den Porsche aus dem Matsch. Beide wirkten nicht sonderlich begeistert, gaben aber Ruhe. Wahrscheinlich mir zuliebe. Als der Porsche endlich wieder auf einigermaßen festen Untergrund stand, stieg Connor aus und griff in seine Hosentasche. Er zog ein paar Scheine Bargeld hervor und hielt sie Caleb hin.
 

„Was soll ich damit?“
 

„Bezahlung für die Hilfe und Anzahlung für den Flurschaden.“
 

„Das kannst du sowieso nicht bezahlen. Zieh Leine, bevor ich es mir anders überlege.“
 

„Danke?“ Connor kratzte sich am Hals und steckte das Geld wieder weg.
 

„Bedank dich bei Danny und jetzt Abmarsch, ich muss deine Sauerei beseitigen.“
 

Mein bester Freund hob die Schultern und kam auf mich zu.
 

„Machs gut, Danny. Bis die Tage mal. Wenn was ist, ruf an, okay?“
 

„Mache ich!“, lächelte ich und umarmte ihn zum Abschied. „Bis die Tage!“ Dann gab ich ihn wieder frei und er ging wieder zurück zu seinem Auto. Zur Abwechslung war der Porsche mal ganz schnell verschwunden. Warum musste das alles bei mir immer so kompliziert sein? Hätten sich Caleb und Connor nicht einfach vertragen und Caleb mit Magnus zusammen sein können, damit Nicky frei für mich wäre?
 

„Danny?“
 

Caleb stand vor mir und rüttelte mich an der Schulter.
 

„Ja? Was ist denn?“ Ich war leicht ungehalten.
 

„Der Typ hat bei uns geschlafen?“
 

„Der Typ ist mein bester Freund, hat einen Namen und ja, er hat hier übernachtet“, schnaubte ich aufgebracht. Irgendwie ging mir Calebs Art echt auf den Zeiger.
 

„Hat er dich angefasst?“, wollte mein Bruder misstrauisch wissen.
 

„Sag mal spinnst du?“ Ich entwand mich Calebs Griff und schüttelte enttäuscht den Kopf.
 

„Ob er dich angefasst hat will ich wissen!“
 

„Hat er nicht. Connor würde nie was machen das ich nicht will. Hör auf so gemein zu sein!“ Okay, er hatte mich angefasst, aber auch erst nachdem ich ihn dazu aufgefordert hatte. Er wäre aber nie weiter gegangen, das wusste ich.
 

„Ganz sicher?“ Caleb wirkte noch immer nicht zufrieden.
 

„Ja. Ich bin kein Baby“, fauchte ich und starrte wütend zurück. „Du bist manchmal so schlimm, das ist echt schrecklich. Anstatt sich zu freuen, dass ich einen neuen besten Freund habe, machst du mir das auch noch kaputt.“
 

„Das stimmt gar nicht und das weißt du auch.“
 

„Ich weiß nur, dass du die ganze Nacht nicht da warst. Wo bist du überhaupt gewesen?“
 

„Ich hatte was zu erledigen. Jetzt mach deine Hausaufgaben.“
 

„Schon erledigt.“
 

„Dann kümmere dich um die Tiere.“
 

„Auch schon gemacht.“
 

„Dann, dann…“ Caleb wirkte ein wenig hilflos.
 

„Ich gehe in mein Zimmer, bis du dir deine miesepetrige Art abgewöhnt hast. Das ist ja kaum zum Aushalten!“ Ich warf die Hände in die Höhe und ging nach drinnen. Eine einzige Katastrophe. Caleb war ja noch schlimmer als vorher. Entweder etwas ist passiert, oder er hatte einfach ganz miese Laune. Seufzend ließ ich mich in mein Bett fallen, das noch immer nach Connor roch. Er fehlte mir jetzt schon. In seiner Nähe fühlte ich mich geborgen und er war so nett. Außerdem ließ er mich in Ruhe und machte mir keine Vorschriften. Obwohl ich Caleb sehr lieb hatte, wünschte ich mir noch einen zweiten großen Bruder, so einen wie Connor, am besten wirklich ihn. Er würde mich verstehen und mich unterstützen. Ich rollte mich auf den Bauch und drückte das Gesicht ins Kissen. Wenn einfach alles ein wenig anders wäre, ein paar Personen ausgetauscht, ich wäre so glücklich.

Caleb schwieg mich wieder vermehrt an, was mir zwar weh tat, aber nicht mehr so aus der Bahn warf. Ich telefonierte jetzt öfter mit Connor, der sich mehrmals entschuldigte, so wenig Zeit zu haben, aber die Uni wäre gerade ein wenig anstrengend. Er war wirklich ein toller bester Freund, fast so wie Nicky früher. Der hatte sich übrigens zu meiner Freude auch gemeldet. Was mich noch mehr freute war, dass er, beziehungsweise Marielle, mich eingeladen hatten, mit ihnen was zu unternehmen. Ich durfte Caleb zwar nichts sagen, also wohin wir wollten, aber der war eh mit sich selbst beschäftigt und dem Schaden, den Connors Auto verursacht hatte. Er schimpfte jedoch nicht über ihn. Irgendwie waren gerade alle ein wenig komisch.
 

Pünktlich um halb acht stand ich geschniegelt und gestriegelt, in Jeans, Turnschuhen und einem dunkelblauen Hoodie vor dem Haus und wurde bereits erwartet. Nicky schenkte mir ein breites Lächeln.
 

„Hey, Danny!“
 

„Hi, Nicky! Alles klar?“
 

„Natürlich. Bei dir auch?“
 

„Jetzt wo du da bist natürlich!“
 

Auf meine euphorische Antwort hin wurde Nickys Lächeln ein wenig schmaler aber er schien sich echt zu freuen.
 

„Wo gehen wir denn heute nun hin?“
 

„In einen Club. Marielle hat wahrscheinlich eine Aussicht auf eine Lehrstelle als Friseurin. Das muss gefeiert werden.“
 

„Wieder in so einen für Ältere?“, wollte ich wissen.
 

„Mal sehen.“
 

Jap, es war ein Club für Ältere geworden. Marielles Schwester hatte uns hingefahren und Nicky reingebracht. Ein wenig mit den Augen klimpern reichte und der Typ am Eingang vergaß uns nach dem Alter zu fragen. Okay, das und weil er sich angeregt mit Marielle (die immer noch grüne Haare hatte) darüber unterhalten hatte, wie man so eine gleichmäßige Färbung hinbekommt. Drinnen war es laut. Von überall her dröhnte die Musik, die Bar war rappelvoll und es wurde getanzt. Nicky und Marielle hielten gleich mal auf einen der vier Barkeeper zu und ich folgte ihnen, vor allem, weil ich sie nicht verlieren wollte. Hier drinnen waren mir doch zu viele Leute.
 

„Dreimal Bacardi-Cola“, bestellte Marielle und hielt uns gleich darauf auch die Gläser hin. „Prost! Auf meine neue Lehrstelle!“
 

„Ich dachte das sei noch nicht sicher?“, fragte Nicky und nippte an seinem Glas. Ich tat es ihnen nach und verzog das Gesicht. Viel zu bitter. Das wollte ich aber auf keinen Fall zugeben.
 

„Naja, schon. Mehr oder weniger. Der Typ im Einkaufszentrum meinte, sie bräuchten noch jemanden und ich durfte mal ein paar Sachen probieren. Er war sofort begeistert.“
 

„Na dann“, grinste Nicky und wandte sich dann mir zu. „Und du? Ich habe gehört, dein neuer Freund hat Caleb zur Weißglut getrieben?“
 

„Ähm, ja schon irgendwie. Also sein Auto hat eine kleine Spur der Verwüstung hinterlassen.“
 

„Ja. Hat mir gut gefallen deinen Bruder so aufgebracht zu sehen. Er hat getobt“, lachte mein ehemaliger bester Freund.
 

„Jungs? Ich lasse euch mal alleine. Da hinten steht ein extrem süßer Typ!“ Damit verschwand Marielle auch schon im Menschengedränge.
 

„Ich weiß nicht. Caleb mag Connor nicht. Das ist manchmal voll anstrengend. Verstehe ich auch nicht. Er ist cool und nett und hilft mir immer!“ Ich nippte wieder an dem ekligen Zeug. Wie Nicky und Marielle das nur ohne mit der Wimper zu zucken hinunterwürgen konnten war mir ein Rätsel.
 

„Ach, das wird schon. Mich mochte er ja am Anfang auch nicht.“ Hastig fügte er auf mein betretenes Gesicht hin an: „Mach dir einfach nicht zu viele Gedanken.“ Das hatte weh getan. Ich wusste ja, dass sie mir wegen ihrer Beziehung aus dem Weg gingen, sofern es eben möglich war, und war noch immer unsicher, ob es nicht besser wäre, wenn sie vor mir offen rummachen würden, aber irgendwie… ich war eifersüchtig. Das und traurig.
 

„Danny, es tut mir echt leid.“ Nicky legte mir die Hand auf die Schulter. „Ich mag dich, echt, aber eben nur als bester Freund.“
 

„Schon okay“, murmelte ich und machte mir nicht einmal die Mühe es zu wiederholen. Bei der lauten Musik mussten wir schon schreien um uns überhaupt zu verständigen, da hatte er meine Worte gar nicht hören können. Ich sah auf und versuchte krampfhaft zu lächeln, was mir aber missglückte.
 

„Schau nicht so. Das ist ja schlimm“, seufzte Nicky und ließ den Kopf hängen.
 

„Mach dir mal du keinen Kopf, ja? Ich komme schon klar.“ Das war eine glatte Lüge gewesen. Ich kam überhaupt nicht damit klar. Nicht mal ansatzweise.
 

„Okay. Du kannst aber immer mit mir reden, das weißt du?“
 

„Weiß ich“, nickte ich und kippte mir wieder etwas von der Brühe hinunter.
 

„Ich gehe mal kurz nachsehen was Marielle so treibt. Kommst du mit?“ Nicky zögerte bei meinem Kopfschütteln.
 

„Ich bin kein Baby, Nicky. Du kannst ruhig gehen.“
 

„Sicher? Ich meine, hier sind so viele Leute und…“
 

„Jetzt hau schon ab“, fuhr ich ihn an.
 

„Danny“, fing er an, was ich aber gleich abwürgte. „Nicky, es ist alles in Ordnung. Mir geht nur diese Fragerei ein wenig auf die Nerven. Jetzt such Marielle. Ich warte hier.“
 

Das tat ich natürlich nicht. Kaum, dass Nicky verschwunden war, sah ich mich ein wenig um und stellte mich etwas ins Abseits. Es gab einige Tische und die waren erstaunlicherweise verwaist. Fast zumindest. An einem saßen zwei Männer. Ich kniff die Augen zusammen und schüttelte dann den Kopf. Da musste ich mich verschaut haben, das konnte nicht sein, oder? Ich ging ein wenig näher ran und blinzelte mehrmals. In dieser stickigen Luft, gepaart mit dem ständigen Alk- und Rauchgeruch, fiel einem das Denken sowieso schon schwer genug, dazu noch dieses Bacardizeugs, das ich bereits ein bisschen spürte. Sinnestäuschung, eindeutig. Oder doch nicht? In sicherer Entfernung blieb ich stehen, an einen der Trägerpfeiler gelehnt und schaute noch einmal genauer hin. Die blonden Haare, dazu noch breite Schultern und das verlegene Kratzen im Nacken: War das Connor? Ich überlegte kurz und tauschte seine Kleidung, er trug eine schwarze Jeans und einen roten Hoodie mit Reißverschluss und weißen Bändern, mit Trainingssachen aus und – ja das konnte hinkommen. Den anderen Typen kannte ich aber nicht. Sollte ich was sagen? Auf mich aufmerksam machen? So wie Connor gestikulierte eher nicht. Beide hatten ein Glas vor sich stehen, dazwischen einen Aschenbecher. Ich schlich mich ein wenig näher in Hörweite. Dabei vergaß ich mein eigenes Getränk, das ich auf einem der anderen Tische zurückließ.
 

„Und wann willst du es ihm sagen?“, fragte Connors Sitznachbar und fischte eine Schachtel Kippen aus seiner Hosentasche.
 

„Gar nicht. Das wäre das Beste“, seufzte mein bester Freund (der ganz und gar unglücklich wirkte) und fuhr sich durch die Haare.
 

„Das schaffst du nicht“, grinste sein Gegenüber und zündete sich eine Zigarette an. „Dafür kenne ich dich mittlerweile zu gut.“
 

„Du hast leicht reden, David.“
 

„Habe ich?“
 

„Natürlich. Ich meine, mit deiner Wahl wäre ich auch nicht sonderlich zufrieden, aber sie ist immer noch besser als meine.“ Connor klang dabei frustriert.
 

„Du weißt doch – man kann es sich nicht aussuchen.“ Dieser David schenkte Connor einen mitfühlenden Blick. „Wovor hast du denn Angst? Im schlimmsten Fall sagt er halt Nein und dann?“
 

„Das müsstest du doch besser wissen als ich. Wie war es denn, als sich deine Freundin von dir getrennt hat, hm?“
 

David machte daraufhin ein betretenes Gesicht.
 

„Ich habe einfach keine Ahnung was ich tun soll.“
 

„Er hat nichts gecheckt? Gar nichts?“ Connors Gesprächspartner nippte an seinem Glas und zog danach wieder an der Zigarette.
 

„Nein, null. Ich habe außerdem Schiss, dass er dann nichts mehr mit mir machen will.“
 

Meine Augenbrauen wanderten nach unten und ich überlegte. So wie sich das anhörte hatte Connor eine kleine große Krise. Warum hatte er mir nicht davon erzählt? Ich war doch sein bester Freund!
 

„Weil du ihm sagst, dass du dich verknallt hast? Ernsthaft? Er muss zwar eine ziemlich lange Leitung besitzen, vor allem nach den Nettigkeiten, die übrigens sogar für dich herausragend gewesen sind, von denen du mir erzählt hast, aber er klingt ganz niedlich. Jetzt gib dir einen Ruck.“ Dabei stieß David Connor mit dem Ellenbogen an. „Er scheint dir echt gut zu tun. Ich habe dich schon lange nicht mehr so lächeln sehen, wenn du von ihm erzählt hast.“
 

Also war Connor auch unglücklich verliebt, so wie ich in Nicky. War er deshalb immer so komisch drauf gewesen? Weil er mein Schicksal teilte? Verstand er mich deswegen so gut?
 

„David, ich kann das nicht. Weißt du wie schwierig es ist, bei der Arbeit den Kunden was vorzugaukeln?“
 

„Das hat dich doch bisher nie gestört. Und jetzt tu nicht so, als wäre es das erste Mal, dass du verliebt bist. Als du mit Annabelle was am Laufen hattest, war das doch auch kein Problem für dich.“ David drückte seine Kippe im Aschenbecher aus und schob sich gleich die nächste in den Mund.
 

„Schon, aber das hier ist anders. Annabelle habe ich ein paar Kleinigkeiten ins Ohr geflüstert und sie hat gekichert. Das war nicht gelogen gewesen, aber ich hatte dabei nicht dieses Gefühl von Schmetterlingen im Bauch.“
 

„Soso? Du weißt wie romantisch das klingt? Wenn du darüber ein Gedicht verfasst, oder es bei deinem nächsten Vortrag einbindest, bekommst du sicher eine gute Note. So ein gutes Motiv und du wirfst es weg. Eine verbotene Liebe. Shakespeare hätte sicher was draus machen können“ David klang verträumt, ähnlich wie Connor, wenn er sein Zeugs erzählte.
 

„Ah halt die Klappe“, schnaubte mein bester Freund und griff frustriert nach seinem Glas. Dabei sah er auf und ich hielt den Atem an. Er hatte mich gesehen! Eindeutig! Mich beim Lauschen erwischt. Hastig drehte ich mich um, schnappte mir im Gehen mein Glas und mischte mich in die Menschenmenge. Zur Beruhigung exte ich den Mist und schüttelte mich. Widerlich. Immer wieder schaute ich nach hinten, aber Connor war nirgendwo zu sehen. Auch seine Begleitung nicht. Erleichtert atmete ich aus. War wohl doch nur Einbildung gewesen. Ich brauchte trotzdem eine Weile um zu verarbeiten, was ich gerade erfahren hatte und die grölenden Menschen um mich herum, genauso wie die Rempeleien und die ohrenbetäubende Musik. Connor war also auch unglücklich verliebt und es klang noch weit komplizierter als bei mir. Dazu hatte er irgendwas von seinem Job gefaselt. Mir versetzte es einen Stich das ganze Gespräch noch einmal Revue passieren zu lassen, denn dieser Annabelle, oder wie sie hieß, hatte er ja, laut David, auch sowas Nettes gesagt wie mir. Dabei hatte ich mich so gefreut, als er mir etwas über meine Augen erzählt hatte oder dieses komische Paradiesdings. Sogar an das mit dem Pfirsich konnte ich mich erinnern! Ein Kloß machte sich in meinem Hals breit und ich blinzelte ein paar Tränen weg. Wahrscheinlich hatte er deswegen keine Zeit mehr für mich, nur am Telefon, weil er seinem neuen Freund nachgeiern musste, oder es zumindest versuchen. Ich wollte jetzt heim, auf der Stelle. Das, oder mich trösten lassen. Daher suchte ich Nicky, aber erfolglos. Hier waren einfach zu viele Leute und mir war seltsam schwummrig. Alles drehte sich um mich und ich musste angestrengt blinzeln um überhaupt ein einigermaßen klares Bild vor Augen zu haben. Ich hatte doch nicht so viel getrunken? Mehrmals schüttelte ich angestrengt den Kopf, aber das komische Gefühl wollte nicht weggehen. Dazu kam ein pelziger Geschmack im Mund. Ich hielt auf die Toiletten zu und brauchte auch dafür schon ordentlich lange, weil ich mittlerweile alles doppelt sah.
 

Die Klos waren sehr spartanisch gehalten: Ein paar Pissoirs und Kabinen aus Metall. In eine davon quetschte ich mich und ließ mich auf den Klodeckel sinken. Mein Kopf schmerzte höllisch, so als würde jemand mit einem Hammer draufhauen und mir war schwindlig. Dazu rumorte mein Magen. Was war denn los? Ich hatte doch echt fast nichts getrunken. Alles um mich herum drehte sich wie wild. Was sollte ich jetzt machen? Nicky und Marielle in dem Zustand zu finden war unmöglich. Gerade als ich versuchen wollte aufzustehen, drückte jemand die Kabinentür auf. Ein Kerl, Ende dreißig, Glatze, eher schmächtig, mit Lederjacke und Jeans, versperrte mir meinen Ausweg.
 

„Hier ist besetzt“, murmelte ich konzentriert.
 

„Jetzt schon, ja.“ Er grinste komisch und entblößte dabei eine Reihe gelber Zähne. Dazu fielen mir noch einige Ohrringe auf, die ein wenig klimperten, als er die Kabinentür schloss und absperrte. Hatte der einen Vogel? Hier drinnen war es doch sowieso schon viel zu eng.
 

„Was wird das, wenn es fertig ist?“, wollte ich wissen und hatte Mühe, dass mir meine Augen nicht zufielen.
 

„Das siehst du gleich.“ Der Typ legte seine Finger (die rau und kratzig waren, nicht so fein wie die von Nicky oder Connor) unter mein Kinn und drückte meinen Kopf in die Höhe. Prüfend schaute er mir in die Pupillen und schob meine Hände beiseite, die ich kraftlos nach oben ziehen wollte um ihn zu verscheuchen. Plötzlich hielt er mir den Mund zu und drückte mich mit dem Knie gegen den Spülkasten. Panik stieg in mir auf. Meine Augen weiteten sich, als sich seine freie Hand unter meinen Pulli und mein Shirt schob. Ich war wie gelähmt. Mein Atem beschleunigte sich, bevor ich zusammensackte. Ich wollte mich wehren, konnte aber nicht. Arme und Beine waren zu schwer und ich konnte mich kaum rühren. Einzig ein leises Wimmern brachte ich zustande und nicht einmal das war gut zu hören. Ein Schleier legte sich über meine Augen und ich spürte, wie der Typ am Hosenknopf meiner Jeans herumfummelte. Den Rest hörte ich nur noch.
 

Jemand klopfte gegen die Kabinentür und ich hörte meinen Namen, mehrmals. War das Nicky? Ich versuchte auf mich aufmerksam zu machen, aber der Typ drückte seine Hand noch fester auf meinen Mund. Die Klinke wurde mehrmals nach unten gedrückt, erfolglos. Wieder mein Name. Was ich noch konnte war weinen und das tat ich mittlerweile. Heiße Tränen benetzten meine Wangen, während der Typ weiter an mir herumfummelte. Das war so eklig und ich wollte nicht, dass er mich anfasste. Ich hörte, wie die Tür aufflog und dann, urplötzlich, ließ der Fremde mich los. Er schrie irgendwas und dann gab es einen dumpfen Laut, gefolgt von einem hässlichen Knacken. Ich sah fast nichts mehr, konnte nur Hell und Dunkel unterscheiden. Wieder fasste mich jemand an, dieses Mal aber weitaus sanfter und behutsamer.
 

„Danny?“ Diese Stimme kannte ich.
 

„Connor?“, fragte ich krächzend.
 

„Kannst du laufen?“
 

„I-Ich weiß nicht“, stammelte ich.
 

„Wie kommst du…“ Er brach mitten im Satz ab. „Mit wem bist du hier? Ist Caleb da?“
 

„Nein, nur Nicky und Marielle.“
 

Kurz betretenes Schweigen, das nur ab und an von einem lauten, schmerzverzerrten Stöhnen durchbrochen wurde.
 

„Komm, ich bring dich heim.“ Connor fasste mich am Arm und zog mich in die Höhe.
 

„Nein, sonst wird Caleb böse. Der weiß nicht, dass wir hier sind“, wehrte ich ab und versuchte mich aus seinem Griff zu entwinden. Ich wäre auch hingefallen, hätte Connor mich nicht am Pullikragen gepackt. Mittlerweile sah ich gar nichts mehr. Alles um mich herum war schwarz.
 

„Ich sehe nichts mehr“, versuchte ich panisch zu schreien, bekam aber nicht mehr hin als ein entsetzlich schwach klingendes Keuchen.
 

„Dann müssen wir ins Krankenhaus.“
 

„Nein, dann wird Caleb erst recht böse.“
 

„Schaffst du es, mit mir zum Auto zu gehen?“ Connor klang äußerst besorgt.
 

„Ich glaube nicht.“
 

„Halt dich an mir fest, okay?“
 

„Und Nicky und Marielle?“
 

„Lass das meine Sorge sein.“
 

Connor stützte mich und führte mich, was anderes konnte er auch nicht tun, denn ich war wirklich mehr oder weniger blind, nach draußen. Das Bassdröhnen machte mich fast wahnsinnig und ich glaubte mein Kopf würde zerspringen. Folgsam setzte ich einen Fuß vor den anderen und krallte mich dabei in Connors Hoodie. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis wir in der frischen Luft waren. Wir hielten an und ich schloss die Augen, die sowieso nutzlos waren gerade.
 

„Hörst du mich? Danny? Hörst du mich?“ Connor klopfte gegen meine Wange.
 

„Ja, ja! Ich höre dich! Hör auf zu schreien!“, murrte ich.
 

„Es ist nicht mehr weit bis zum Auto.“
 

„Ich glaube das packe ich nicht mehr.“ Meine Knie wurden weich und ich wäre wieder hingefallen, hätte Connor mich nicht festgehalten. Ich spürte wie sich sein Arm unter meine Kniekehlen schob und er mich in die Höhe zog. Meine Hände fanden Halt in seinem Pulli und ich legte meinen Kopf an seine Schulter, gegen die immer stärker werdende Übelkeit ankämpfend. Wir bewegten uns wieder.
 

„Nicht einschlafen, Danny. Bleib wach“, wiederholte er immer wieder.
 

„Aber ich bin so müde“, murmelte ich und dämmerte fast weg.
 

„Ich weiß, aber bleib wach, wir sind gleich da.“
 

Es war verdammt schwierig gegen die übermannende Müdigkeit anzukämpfen aber ich gab mir größte Mühe. Mittlerweile waren sämtliche meiner Gliedmaßen taub und ich hätte ohne Hilfe nicht mal im Traum stehen können. Ich hörte den Laut der Zentralverriegelung eines Autos und dann das Geräusch einer Autotür. Vorsichtig wurde ich abgesetzt und angeschnallt, sofern ich das richtig mitbekam.
 

„Mama? Ja ich weiß, es ist verdammt spät. Ja, Mama, ich weiß du hast morgen Frühschicht. Hör mir doch bitte mal zu, verdammt noch mal!“ Ich hörte Connor mit schimpfen, das, oder er führte Selbstgespräche. „Mama, bitte, ich habe echt keine Zeit. Einem Freund von mir ist was ins Glas gemischt worden. Ich weiß nicht ob es K.O.-Tropfen waren oder was anderes.“ Telefonierte er? Wahrscheinlich schon, oder? „Nein Mama, wir können nicht ins Krankenhaus, das möchte er nicht.“
 

Ich hörte nur mehr halb zu und versuchte mich zu konzentrieren. Mir war hundeelend zumute. Zumindest kapierte ich jetzt was passiert sein musste: Der eine Kerl hatte mir was in mein Glas gemischt als ich Connor und David beobachtet hatte. Weitergedacht, nein, ich wollte gar nicht weiterdenken. Wieder das Schlagen von Autotüren und dann hörte ich den Motor aufheulen.
 

„W-Was machst du?“, wollte ich wissen und lehnte mich stöhnend gegen die Lehne des Sitzes.
 

„Dich ins Krankenhaus bringen.“
 

„NEIN!“ Das klang erstaunlich bestimmt. „Bitte nicht“, wimmerte ich.
 

„Danny, meine Mutter meint…“
 

„C-Caleb wird böse, ganz böse. Außerdem wird Nicky dann Ärger bekommen.“
 

„Caleb wird nicht böse, versprochen. Nicky wird auch keinen Ärger bekommen. Ich habe David schon gesagt, er soll ihm sagen, dass du bei mir bist.“
 

„W-Wenn ich ins Krankenhaus komme dann fliegt aber auf, dass wir im Club waren. Da dürften wir nämlich noch gar nicht…“ Mir fiel das Sprechen immer schwerer.
 

„Sch, okay. Kein Krankenhaus. Ich bringe dich zu mir. Versuch nur wach zu bleiben, okay?“
 

Ich bekam ehrlich gesagt nichts mehr mit. Nicht, wie Connor wie ein Henker fuhr. Auch nicht, wie er mir immer wieder besorgte, fast schon panische Blicke zuwarf. Einzig das Rütteln an meinem Arm, das mich immer wieder davor bewahrte völlig wegzuschlafen, realisierte ich. Ich merkte kaum, wie er mich abschnallte und aus dem Auto trug. Wie er die Tür aufstieß und mich ins Badezimmer brachte, die Toilettenbrille hochklappte und mich stützte. Was ich dann wieder mitbekam war, dass ich ein komisches Gefühl im Mund hatte und gleich darauf würgen und auch wie ein Reiher kotzen musste. Die ganze Zeit hielt mich Connor fest, in einer leicht nach vorne gebeugten Haltung. Ich stöhnte und wimmerte, aber nach dem Entleeren meines Mageninhaltes ging es mir ein wenig besser. Mittlerweile konnte ich sogar wieder etwas erkennen, wenn auch nur verschwommen.
 

„Bist du fertig?“, fragte er sanft.
 

Ich nickte stumm. Das Brennen in meinem Rachen und der widerwärtige Geschmack hielten mich vom Sprechen ab. Wieder wurde ich getragen und dann auf eine weiche Unterlage gebettet. Connor zog mir den Pulli über den Kopf und auch das Shirt. Als er mich am Bauch berührte, zuckte ich zusammen. Das war genau die Stelle, wo der Typ mich angefasst hatte.
 

„Sch, Danny. Das bin nur ich.“
 

„Lass einfach gut sein“, forderte ich ihn mit noch immer schwacher Stimme auf.
 

„Danny, du hast dich angekotzt. Ich muss dich ausziehen. Ich mache auch schnell, versprochen.“
 

Ich gab meinen Widerstand auf und Connor zog mich aus, bis auf die Boxershorts. Dann wurde ich in ein viel zu großes Shirt gesteckt und mir etwas an den Mund gehalten, während ich in eine sitzende Position geschoben wurde. Ich nippte daran und verschluckte mich sogleich am Wasser. Das Husten tat verdammt weh. Er wischte mir die aufgesprungenen Lippen mit irgendetwas ab.
 

„Wie fühlst du dich?“ Connors Stimme klang noch besorgter als im Club.
 

„Ein wenig besser“, lispelte ich.
 

„Gut. Wir sind bei mir. Ich hoffe du hast das Zeug ausgekotzt. Nach einer Runde Schlaf sollte es dir besser gehen. Was macht das Sehen?“
 

Ich blinzelte und konnte meinen Retter allmählich wieder einigermaßen erkennen. Erst jetzt fiel mir auf, dass seine Nachttischlampe brannte, über die er ein dunkles Shirt geworfen hatte.
 

„Ich kann dich wieder sehen.“
 

„Gut, Danny. Dann schlaf. Ich bin draußen im Wohnzimmer. Mama meinte, du sollst viel trinken.“
 

Als er aufstand griff ich nach seiner Hand und hielt ihn fest. Ich wollte nicht, dass er ging. Nicht nur, weil ich es wahrscheinlich nicht geschafft hätte nach dem Wasserglas zu greifen, sondern, weil ich nicht alleine sein wollte.
 

„Bitte bleib.“
 

„Das halte ich für keine gute Idee. Ich bin doch nicht weit weg“, wiegelte Connor ab, machte aber keine Anstalten zu gehen.
 

„Bleib einfach. Ich…“ In meinen Augen brannte es und ich weinte stumm. Die Bilder von vorhin kamen jetzt mit aller Macht hoch. Um Haaresbreite hätte der Typ sich an mir vergangen und ich hätte nichts machen können. Ich fühlte mich so hilflos und schmutzig und schwach. Connor zögerte einen Moment, ehe er nickte und sich dann auszog. Von irgendwoher fischte er eine Trainingshose und ein weißes, ausgeleiertes Shirt, bevor er sich zu mir legte.
 

„Darf ich dich anfassen?“, fragte er vorsichtig und ich nickte noch immer weinend.
 

Seine Arme schlossen sich sanft um meinen Oberkörper und er zog mich behutsam an sich. Ich konnte seinen warmen Atem in meinem Nacken spüren und auch das Streicheln über meine Brust.
 

„Sch, alles okay, Danny. Ich bin ja da.“
 

Nach einer Weile hatte ich mich wieder so weit gefangen, dass ich einigermaßen sprechen konnte.
 

„Was hast du mit dem Typen gemacht?“, wollte ich wissen.
 

„Die Nase gebrochen, denke ich.“
 

„Bekommst du dann keinen Ärger?“
 

„Denke nicht. War ja Notwehr oder Nothilfe.“
 

„Danke“, murmelte ich und schmiegte mich an meinen Retter.
 

„Das musst du nicht. Es tut mir leid, Danny“, hauchte er mir ins Ohr.
 

„Was denn?“, fragte ich verwirrt.
 

„Dass ich nicht früher da war. Dass dein Ritter von deiner Seite gewichen ist. Ich hätte dich beschützen müssen.“
 

„Ich hab dich lieb, Connor.“
 

„Ich dich auch, Danny. So sehr.“
 

„Ich glaube auch, dass du deinen Liebsten bald in Händen halten wirst, so wie du bei mir und Nicky glaubst. Der hat dann einen ganz tollen Freund.“
 

„Ach, Danny“, seufzte Connor und ich konnte dabei hören wie er lächelte. Dann spürte ich seine Lippen und seine Nase auf und in meinen Haaren. „Wenn du es nur verstehen könntest.“

Ich schloss die Augen und dämmerte weg, was Connor tat oder sagte, hörte ich nicht mehr.
 

„Fast wäre ich zu langsam gewesen. Fast hätte ich dich verloren. Du wolltest doch wissen, was mir der Geist von Tai-Kui zeigt.“ Er beugte sich über mich und schaute mich traurig an. „Dass du gehst. Dass du dich von mir abwendest. Verschwindest, mit einem anderen. Meine größte Furcht ist, dass ich dich unglücklich mache. Das ist es, was mich zerreißen würde. Darum darf ich nicht, dir nicht sagen, was ich wirklich empfinde, fühle.“ Damit drückte er mir einen Kuss auf die Stirn und ich seufzte wohlig im Schlaf auf. „Ich liebe dich, mehr als Odysseus seine Heimat. Was gäbe ich dafür, wenn auch du so empfinden würdest?“ Connor strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und ließ sich ins Kissen zurücksinken. Jetzt war er es der weinte und dass weitaus bitterer als ich.

Es war eine lange Nacht geworden. Immer wieder wurde ich wach. Es gab gefühlt nicht einen Moment in dem Connor nicht bei mir gewesen ist. Wenn mir schlecht war, trug er mich ins Badezimmer, hielt mich fest, während ich kotzte, wischte mir den Mund ab und betupfte sogar meine aufgesprungen, spröden Lippen mit einem nassen Tuch, weil ich nicht mal Wasser bei mir behalten konnte, aber immer wieder jammerte, so durstig zu sein. Weinte ich, weil wieder diese ekligen Bilder hochkamen und das Gefühl der Scham, nahm er mich in den Arm und tröstete mich. Ich weiß gar nicht mehr, was er mir alles ins Ohr gehaucht hatte. Es waren ähnliche Sätze wie damals am See. Dass ich wunderschön sei, wie die Sonne, die nach tagelangem Regen das Wolkenzelt aufbrach, oder dass ich mich für nichts schämen müsse, dass er da war und auf mich aufpasste, mich behütete, beschützte. Solche Dinge eben. Schreckte ich hoch, strich er mir die klitschnassen Haarsträhnen aus dem Gesicht und streichelte über meine Schulter. Er war wirklich der beste Freund den man sich wünschen konnte, fast wie ein großer Bruder. Caleb hätte mich auch umsorgt, aber nicht so.
 

„Danny?“, fragte er sanft und strich mir über die Brust.
 

„Hm?“, murrte ich todmüde.
 

„Es ist nach neun. Meine Mutter meint du sollst versuchen was zu essen. Wenn du es unten behältst bist du wahrscheinlich über den Berg. Hast du Hunger?“
 

Beim Gedanken an Essen rebellierte mein Magen bereits.
 

„Nicht wirklich.“
 

„Sicher nicht? Hast du einen Wunsch?“ Ich schaute in ein Paar blauer Augen die mich besorgt musterten. Diesen Blick hatte ich schon einmal wo gesehen. Einmal. Aber wo?
 

„Mh, kannst du French Toast machen? So wie Caleb? Mit viel Zimt drauf und Zitrone?“
 

„Ich kann es versuchen. Dafür muss ich aber einkaufen gehen. Bleibst du die nächste halbe Stunde im Bett?“
 

„Okay“, nickte ich und wurde mit einem Kuss auf die Stirn belohnt.
 

Kaum dass Connor verschwunden war, machte sich eine Leere in mir breit. Ich hörte wie die Tür ins Schloss fiel und starrte an die Decke. Mir ging Connors Blick nicht mehr aus dem Kopf. Er erinnerte mich an jemanden. Nicht blau, sondern braun, wie meine. Ja, genau diese Augen hatte ich vor mir. Aber wem gehörten sie nur? Seufzend kapitulierte ich: Mein Hirn war der anstrengenden Aufgabe des Denkens derzeit einfach nicht gewachsen. Ich verlagerte mein Handeln stattdessen darauf mich umzusehen. Das war also Connors Schlafzimmer. Grauer Teppichboden, ein großes, bequemes Doppelbett, das sehr nach ihm roch, dazu ein Schreibtisch mit großem Bildschirm, ein gigantischer Kleiderschrank, ein Wandregal gefüllt mit dicken Büchern, die teilweise verdammt alt wirkten und ein paar Poster von Superhelden und irgendwelchen Zeichentrickfiguren, die wahllos angeordnet schienen. Ich hatte Connor zwar versprochen liegen zu bleiben, aber erstens war ich neugierig und zweitens musste ich mal.
 

Vorsichtig schwang ich mich aus dem Bett. Connors Shirt klebte komplett durchgeschwitzt an mir. Gleiches galt für meine Boxershorts. Ein Blick auf meine Seite der Matratze zeigte genau wo ich gelegen hatte. Ich drückte mich hoch und wankte mit zitternden Knien hinaus zur Küche, wobei ich die Wand als Stütze missbrauchte. Egal was ich gestern in mein Getränk gemischt bekommen hatte, es war nichts, das ich noch einmal gebraucht hätte. Im Türrahmen angekommen pausierte ich flach atmend und ließ meinen Blick schweifen.
 

Die Küche war sehr hell und wirkte gehoben. Nicht so wie unsere, die mehr rustikal und einfach gehalten war. Gleiches galt für das Wohnzimmer, das nahtlos anschloss und mir fiel gleich der riesige Fernseher auf, der an der Wand, gegenüber einer großen Ledercouch, montiert worden war. Esstisch, Stühle, ein paar Pflanzen, es war irgendwie furchtbar steril aber auch heimelig. Wo das Bad war wusste ich sogar, einigermaßen zumindest. Ich arbeitete mich, unter Zuhilfenahme von Küchenzeile, Stuhllehnen und sonstigen Hilfsmitteln, zur Badezimmertür vor und schob mich hinein. Mit einem erleichterten Seufzen ließ ich mich auf die Toilette fallen. Länger hätte ich es wahrscheinlich nicht mehr ausgehalten. Das Badezimmer war weiß gefliest und vergleichsweise zu unserem riesig. Selbst eine große Eckbadewanne und eine Duschkabine hatten hier Platz, ohne dass man sich auf die Füße stieg. Es wirkte alles ordentlich und sauber, sogar die angebrauchten Duschgelflaschen schienen nach einem bestimmten Muster angeordnet zu sein. Gleiches galt für das Zeug auf dem Waschbecken wie Zahnbürste und Rasierer, samt Pasta, Schaum und Klingen, alles griffbereit. Ich schaute mich im großen Spiegel an und erschrak: Mein Aussehen war am besten mit grauenhaft zu beschreiben, so als hätte ich mehrere Nächte durchgemacht. Die dunklen Ringe harmonierten perfekt mit meinen eingefallenen Augen und ich wirkte so bleich wie ein Geist. Das hob mein schwarzes Haar besonders gut hervor. Ich stützte meine Ellenbogen auf den Knien ab und legte mein Gesicht in meine Hände. Keine Ahnung was ich gemacht hätte wäre Connor nicht aufgetaucht. Der Typ hatte schon seine Finger an meinen Hosenknöpfen gehabt. Ich fing wieder an zu weinen. Immer wieder kamen diese Bilder in mir hoch. Ein bisschen länger und er hätte etwas ganz anderes mit mir gemacht.

Wie lange ich so dasaß konnte ich gar nicht sagen. Ich weinte einfach und schluchzte dabei laut. Zumindest bis ich einen Schlüssel hörte, der im Schloss herumgedreht wurde und eine Tür aufgestoßen wurde. Rasch versuchte ich mich zusammenzureißen und fuhr mir mit dem Handrücken über die laufende Nase.
 

„Danny?“, rief Connor. „Ich bin wieder da.“
 

„Hier“, schniefte ich und stand auf. Es wäre ein wenig entwürdigend gewesen, wenn er mir auch noch die Boxershorts hochziehen hätte müssen, also versuchte ich zumindest das zu erledigen. Dass ich heulte war mir schon peinlich genug.
 

„Hey, ich sagte doch du solltest liegen bleiben“, meinte er sanft und hatte schon einen Arm um mich gelegt.
 

„Ich musste mal“, antwortete ich kleinlaut.
 

„Schon okay. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Die Kassiererin hat eine gefühlte Ewigkeit gebraucht. Ist dir noch schlecht?“
 

„Ein bisschen.“
 

„Gut, also nicht gut, aber das ist schon besser als gestern. Willst du in die Wanne während ich dir deinen Toast mache? Du bist ja komplett durchgeschwitzt.“ Connor redete besorgt auf mich ein was ich ausblendete. So überfürsorglich war ich schon lange nicht mehr behandelt worden. Caleb machte das nicht einmal wenn er sich schuldig fühlte, und er war schließlich mein großer Bruder. Connor setzte mich wieder auf dem Toilettensitz ab und ließ mir Badewasser ein. Das beständige Rauschen des Wassers beruhigte mich ein wenig.
 

„Danny?“ Connor kniete sich vor mir hin und nahm meine Hände in die seinen. Mit den Daumen strich er über meine Handrücken. „Das was da gestern passiert ist, ich weiß, dass du wahrscheinlich nicht darüber sprechen möchtest. Du hast aber nichts falsch gemacht. Das war der Typ und ich habe ihm die Nase dafür gebrochen, dass er dich angefasst hat. Niemand wird das je wieder bei dir machen, versprochen. Ich habe meinen Papa bereits angerufen, der ist Psychiater. So traumatische Erlebnisse belasten einen. Wenn du möchtest und du mit jemandem drüber reden willst, der von sowas Ahnung hat…“ Er zögerte kurz „Er kann dir auch Tabletten verschreiben, damit du ruhiger schläfst. Mein Papa sagt auch nichts, zu niemandem, das darf er gar nicht. Ich kann dich hinbringen und wieder abholen. Wenn du in der Praxis nicht möchtest, dann kannst du auch zu meinen Eltern ins Haus kommen oder ich frage ihn, dass er herkommt. Nicht jetzt, nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann.“
 

In mir zog sich alles zusammen. Ich war ja nicht bescheuert oder so. Psychiater kannte ich aus dem Fernsehen und die waren ganz komisch, stellten unangenehme Fragen und bescheinigten einem am Ende irgendeinen Schaden. Connor glaubte also ich wäre jetzt nicht mehr ganz richtig im Kopf, was mich zu einem erneuten Heulanfall bewegte.
 

„Sch, alles gut. Wir müssen nicht. Du hast wirklich nichts gemacht, wofür du dich schämen musst. Nicht weinen.“ Connor nahm mein Gesicht in seine Hände und legte seine Stirn gegen meine. „Beruhige dich. Ich mag es nicht, wenn du weinst, Danny. Das ist so, als würden die Sterne vom Himmel regnen und dabei einen leeren, schwarzen Himmel hinterlassen.“
 

„Es tut so weh. Ich schäme mich so“, schluchzte ich.
 

„Ich kann es mir vorstellen. Wenn du baden gewesen bist ist es sicher besser. Ich mache dir inzwischen deinen French Toast und nachher gucken wir eine Film oder wir spielen eine Runde Playstation oder so. Nur hör auf zu weinen. Ich mache alles was du willst, aber bitte, Danny, hör auf damit.“
 

Connor und ich verharrten so eine Weile bis er sich schlussendlich von mir löste, sich aufrichtete und das Wasser abdrehte. Ich schaute auf und zögerte. Der Einstieg war hoch und ich noch immer wackelig auf den Beinen. Sollte ich etwas sagen? Gerade eben hatte ich es noch als entwürdigend empfunden, dass Connor mich so zu sehen bekam und jetzt wollte ich, dass er mir half. Mir wurde die Entscheidung aber abgenommen, als er sich wieder hinkniete und mir sein Shirt über den Kopf zog. Von meiner Unterwäsche befreite er mich ebenso um mich dann zur Wanne zu tragen. Ich protestierte nicht, im Gegenteil: Ich war ihm dankbar.
 

„Halt mal deine Hand rein – ist es dir zu warm?“
 

Ich tauchte meine Fingerspitzen in das warme Wasser und schüttelte den Kopf. Behutsam ließ mich Connor ins Wasser gleiten. Ein wohliges Gefühl breitete sich in mir aus und ich musste ein wenig lächeln, als er mir sogar die Duschgelflaschen in Griffweite stellte.
 

„So, ich lasse dich alleine, ja? Deine Sachen schmeiße ich in die Waschmaschine und heute am Abend kannst du wieder in deinem Zeug rumlaufen. Bleib aber in der Wanne, ja? Wenn du fertig bist, ruf nach mir, ich will nämlich nicht, dass du hinfällst. Dann bringe ich dir auch gleich noch frische Sachen von mir. Ach ja, ich habe noch mit David telefoniert. Nicky und seine Freundin haben Caleb Bescheid gesagt, dass du bei mir bist, mehr nicht. Wenn er sauer ist, schiebs auf mich, okay?“
 

Damit war ich auch schon alleine und ließ mich bis zum Hals in die Wanne gleiten. Daran konnte ich mich glatt gewöhnen. Wäre jetzt noch Nicky hier und die Sache gestern nicht gewesen, mein Tag wäre als perfekt einzustufen. Ich schnappte mir eines der Duschgels und schnupperte daran – Kokosnuss mit einem Hauch von Blaubeeren. Das musste das von Connor sein. Genau das wählte ich auch aus. Der Geruch von French Toast stieg mir beim Baden in die Nase und ich wäre fast eingeschlafen. Jetzt fühlte ich mich ein wenig besser. Ich tauchte einmal komplett unter, wusch mir die Haare und rief dann nach Connor, der Sekunden später schon da war und mich aus der Wanne hob.
 

„Du wirst ja ganz nass!“, protestierte ich.
 

„Dann ziehe ich mich eben um.“
 

Ich schlang meine Arme um seinen Nacken und wurde, in ein orange-rotes Handtuch eingewickelt, ins Schlafzimmer getragen, wo ich mich abtrocknete und in Sachen von Connor, bestehend aus einem weiten schwarzen T-Shirt, blauen, etwas zu weiten Boxershorts und viel zu großen, schwarzen Jogginghosen, schlüpfte. Der zog sich auch rasch um und huschte in die Küche.
 

„Willst du im Zimmer essen?“, rief er von draußen.
 

„Darf ich denn?“
 

„Möchtest du?“
 

Ich überlegte. Eigentlich wollte ich fernsehen.
 

„Kann ich draußen auf deinem Sofa was haben?“
 

„Natürlich.“
 

Ich musste nicht einen einzigen Schritt machen. Connor war da, trug mich anstandslos zur Couch, die er vorher noch mit Decken ausgelegt hatte, drückte mir die Fernbedienung in die Hand und stellte mir mein Essen mitsamt einem Glas Mineralwasser vor die Nase.
 

„Kauen darf ich aber noch selbst, oder?“, grinste ich schief.
 

„Darfst du“, lächelte er und setzte sich neben mich.
 

Ich biss vom Toast ab und er schmeckte köstlich, fast so gut wie der von Caleb. Connor hatte ihn mit genügend Zucker und Zimt bestreut und man konnte die Zitrone herausschmecken. Im Fernseher lief nur Schrott, aber ich ließ ihn trotzdem nebenher laufen. Mir wurde ein zweiter und ein dritter French Toast von der gleichen Qualität gebracht, die ich verputzte. Den letzten Bissen spülte ich mit Mineralwasser hinunter und ließ mich dann mit dem Kopf in den Schoß meines Retters sinken, der die ganze Zeit nicht von meiner Seite gewichen war.
 

„Connor?“, fragte ich ihn nach einer Weile, in der er angefangen hatte mit meinen Haarspitzen zu spielen.
 

„Hm?“
 

„Du hast mich vorhin so komisch angesehen. Ich kenne diesen Blick irgendwoher, weiß aber nicht genau woher.“
 

„Habe ich das?“ Traurig lächelnd strich er mir mit der Fingerspitze über die Nase, was mich kichern ließ.
 

„Hast du.“
 

„Weißt du wie schön es klingt, wenn du kicherst oder lachst? So unbeschwert, so frei. Ich hatte schon Angst, ich würde das nach gestern nie mehr hören dürfen.“
 

Ich streckte meine Hände nach ihm aus und er beugte sich nach unten. Mit dem Kopf kam ich ihm ein wenig entgegen, legte ihm meine Arme um den Nacken und küsste ihn. Connor versteifte sich kurz, schloss dann aber die Augen und erwiderte den Kuss.
 

„Danke nochmal“, sagte ich leise, nachdem wir uns voneinander gelöst hatten. „Du bist der beste Freund den man sich wünschen kann. Fast so wie ein großer Bruder.“
 

Connor biss sich auf die Unterlippe.
 

„Du hast mir meine Frage von vorhin nicht beantwortet.“
 

Er schlug die Augen nieder und sah zur Seite. Dabei legte er seine linke Hand auf meinen Bauch und ich zuckte nicht mehr zusammen wie gestern noch. Das war Connor und Connor mochte ich. Er durfte mich anfassen.
 

„Ich möchte nicht. Oder nicht direkt.“
 

„Wie kann man denn eine Frage indirekt beantworten?“
 

„Ich kann es versuchen.“
 

„Ist gut!“
 

„Also“, begann er und atmete tief durch, um mir dann wieder in die Augen zu sehen. „Laut einer Sage trieb vor mehr als tausend Jahren ein Dämon in China sein Unwesen. Er hatte die Fähigkeit sein Aussehen zu verändern, in jede Person und auch jedes Tier, auf dass er traf. Sein Name war Lang Tsai Ho, der Dämon mit den 1000 Gesichtern. Er konnte nur niemals in einen Spiegel schauen, denn dieser zeigte seine eigene, hässliche Gestalt und brach den Zauber.“
 

„Und warum schaust du dann so traurig?“, bohrte ich nach, die Arme noch immer um Connors Nacken geschlungen.
 

„Weil ich so gerne mit Lang Tsai Ho tauschen würde. Mutige Menschen haben ihn gefangen und in einen Kristallsarkophag gesperrt. Dort ruht er nun schon seit einer kleinen Ewigkeit.“
 

„Und warum willst du mit ihm tauschen? Das klingt ja voll öde eingesperrt zu sein.“
 

„Weil…“ Connor schluckte hart und kraulte mir dann den Bauch. „Weil es bedeuten würde, dass ich so aussehen könnte wie jemand anderer. Nur für eine Stunde. Für eine Stunde tauschen würde ich alles aufgeben.“
 

„Du kannst dich doch verkleiden?“
 

Connor schüttelte schmunzelnd den Kopf: „Nein, Danny. Lang Tsai Ho konnte seine Opfer perfekt imitieren. Die Person, in die ich mich verliebt habe, die ist leider selbst schon verliebt. Würde ich die Gestalt ihres Liebsten annehmen können, hätte ich zumindest für eine Stunde, einen flüchtigen Moment, das Gefühl, dass sie mich lieben würde, wirklich. So wie ich es mir wünsche. Ich hasse mein eigenes Spiegelbild.“
 

Das klang hart. Hart und verzweifelt. Ich dachte nach. Connor war also in der gleichen Situation wie ich. Daran konnte ich leider auch nichts ändern. Was ich aber tun konnte war ihn aufmuntern!
 

„Weiß die Person denn, dass du sie so lieb hast?“
 

„Ich denke nicht, nein.“
 

„Warum sagst du es ihr nicht?“
 

„Weil ich sie sonst traurig mache.“
 

„Das glaube ich nicht! Nicky war zwar niedergeschlagen, aber nicht traurig. Caleb auch! Komm schon! Ich habe mich auch getraut!“
 

„So einfach ist das nicht.“
 

„Probiers doch mal! Üben wir! Komm!“ Ich drehte mich ein wenig, sodass ich Connor tief in die Augen schauen konnte. „Sag zu mir, was du sagen würdest, und ich sage dir, ob es gut ist oder nicht!“
 

„Danny…“, zögerte er.
 

„Bitte! Ich will dir helfen!“
 

Connor strich mir wieder durch die Haare und setzte diesen verträumten Blick auf. „Wenn ich dich ansehe, dann ist es, als würde ich ins Elysium blicken dürfen. Dort, wo die Helden und guten Menschen leben. Wo kein Hunger herrscht, das Getreide von selbst wächst und es keine Sorgen und keinen Kummer gibt. Du bist wie das Licht der Statue von Helios, des Sonnengottes. Du weist mir den Weg, selbst in der dunkelsten Stunde. Ohne dich fühle ich mich leer und einsam. Jeden meiner Atemzüge möchte ich dir widmen. Ich würde wie Achilles für dich in den Styx steigen, mich unverwundbar machen, bis auf eine Stelle.“ Er hielt inne, schnappte sich eine meiner Hände und legte sie auf seine linke Brust. „Mein Herz, denn das bist du. Ich würde genauso wie Odysseus Unsterblichkeit und Wohlstand ausschlagen, selbst die schönsten Frauen wie Kalypso und Circe verschmähen und die schlimmsten Prüfungen auf mich nehmen, nur um am Ende meiner Reise einmal in dein Gesicht schauen zu dürfen. Jeder Kummer, jeder Schmerz, jegliche Entbehrung – alles wird durch ein Lächeln von dir aufgewogen. Wenn ich könnte, ich würde Zeus anflehen dich zu einem Sternenbild zu erheben, nein zu einem Gott, denn dann würde ich wenigstens begreifen, warum du so unerreichbar bist. Ich liebe dich, mit jeder Faser meines Körpers, mit meinem Ganzen sein, mit Körper und Geist und meine Seele, sie soll immer dein sein.“
 

Auch wenn ich nicht alles verstand, so begriff ich doch eins: Es klang wunderschön. Connor hatte eine so weiche und sanfte Stimme benutzt, die dazwischen immer wieder brüchig geworden war. Manchmal hatte er weggeschaut, dann wieder in mein Gesicht und Tränen glitzerten in seinen Augen.
 

„Wenn du das zu dem Jungen oder dem Mädchen sagst, dann muss sie dich einfach lieben. Das war so schön, klang so, so…“
 

Connor ließ mich meine Worte nicht mehr zu Ende sprechen, denn er küsste mich wieder. Ich konnte spüren wie er weinte und wusste mir nicht zu helfen. Das war ja schlimm! Was ich aber konnte, war den Kuss zu erwidern, nicht so wie Nicky es mir gezeigt hatte, oder wie Sophia, sondern wie er. Dabei kraulte er mir wieder den Bauch und hatte seine andere Hand in meinem Nacken gebettet. So hatte mich Connor noch nie geküsst! Wenn er das auch noch machte, dann hatte er sicher ihr oder sein Herz erobert. Genauso wie ich bei Nicky. Ganz sicher. Je länger unser Kuss dauerte, desto mehr weinte Connor, aber als ich mich lösen wollte, hielt er mich fest. Ich schmeckte seine salzigen Tränen, die unsere Lippen benetzten, aber er hörte einfach nicht auf. Es schien so, als wollte er mich gar nicht mehr gehen lassen.
 

„Connor“, nuschelte ich kichernd und drückte mich ein wenig von ihm weg. „Ich bekomme ja fast keine Luft mehr!“
 

„Ich… entschuldige bitte.“ Er richtete sich wieder auf und angelte mit dem Fuß nach einem Controller, der auf dem Couchtisch vor uns stand. Zielsicher schnippte er ihn in die Höhe und fing ihn knapp über meinem Gesicht auf.
 

„Lust zu spielen?“, fragte er und wedelte mit dem Teil vor meiner Nase herum. „Ich glaube, grade habe ich irgendein sinnloses Ballerspiel drinnen, für das du eigentlich noch viel zu jung bist. Wenn du mich bei Caleb nicht verpfeifst, darfst du wen über den Haufen knallen. Was hältst du davon?“ Er wischte sich mit dem Faustrücken über die Nase und ich nickte begeistert.
 

„Au ja! Wobei… Ich muss doch bald heim, oder?“ Meine Euphorie bekam einen Dämpfer, als ich an Caleb dachte.
 

„Musst du nicht. Caleb weiß wo du bist und er hat meine Nummer. Er kann mich ja anrufen. Du kannst das ganze restliche Wochenende bleiben. Du müsstest mir nur sagen, was du essen willst, damit ich mich vorbereiten kann“, grinste er schief.
 

„Juhu! Wirklich alles?“
 

„Alles was du willst.“
 

„Sogar Chinesisch?“
 

„Sogar Chinesisch“, nickte er und ich fiel ihm wieder um den Hals. Das konnte doch noch ein tolles Wochenende werden!

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ich wurde wach und streckte mich genüsslich. Ein flüchtiger Blick auf den Digitalwecker neben dem Bett verriet mir, dass es bereits acht Uhr war. Normalerweise stand ich um sechs auf. Connor ließ mich zu einer Schlafmütze mutieren! Ich machte die Augen wieder zu und sank wohlig seufzend ins Kissen zurück. Meine Gedanken kreisten um den gestrigen Tag, vor allem den Abend. Mein erstes Mal mit einem Mann war zwar nicht mit Nicky gewesen aber doch wunderschön. Connor hatte ab einem gewissen Punkt so glücklich gewirkt. Ich hörte ihn immer wieder meinen Namen stöhnen und das jagte mir einen Schauer über den Rücken. Sophia hatte sich ganz anders verhalten. Das war auch schön gewesen, zwar ein wenig unbeholfen, aber schön, nur nicht zu vergleichen mit dem von gestern. Wie Connor wohl reagiert hätte, wenn nicht ich, sondern diese eine Person, in die er verliebt war, mit ihm geschlafen hätte? Apropos Connor: Wo war der eigentlich abgeblieben? Ich tastete auf der anderen Bettseite nach ihm – Fehlanzeige. Verschlafen rieb ich mir die Augen und setzte mich auf. Ich war alleine. Was war jetzt los? War es gestern Abend doch nicht so gut gewesen? Hatte mich Connor angelogen um mich nicht zu verletzen? Schämte er sich? Die Antwort kam als die Schlafzimmertür aufgedrückt wurde. Mein bester Freund stand auf der Schwelle zwischen Schlafzimmer und Küche, ein Tablett auf den Händen. Er strahlte förmlich.
 

„Guten Morgen, Danny“
 

„Guten Morgen!“, strahlte ich zurück.
 

„Habe ich dich geweckt?“
 

Connor setzte sich zu mir. Auf seinen Knien balancierte er das vollbeladene Tablett: Pfannkuchen türmten sich auf einem großen Teller auf, dazu konnte ich mir als Belag wohl Zucker und Zimt, sowie Nutella und Ahornsirup aussuchen. In einer großen Tasse schwappte eindeutig Kakao mit einem Sahnehäubchen. Messer und Gabel lagen ebenfalls griffbereit, sogar mit Serviette!
 

„Nein, hast du nicht“, schüttelte ich den Kopf.
 

„Fein. Ich habe versucht extra leise aufzustehen. Du magst doch Pfannkuchen, oder? Ich weiß nämlich so wenig über deine Frühstücksgewohnheiten, wie mir heute aufgefallen ist. Marmelade habe ich leider nicht da.“
 

„Natürlich!“
 

Ich schnappte mir das Tablett und streckte die Beine aus. Frühstück ans Bett, das war so richtig kitschig, aber auch total lieb. Was das anging war er wirklich ein Engel. Ich war mir sicher, wenn ich Marmelade gewollt hätte, hätte er mir welche besorgt. Caleb brachte mir nie Frühstück ans Bett. Gut, warum sollte er auch? Ich bestreute den ersten Pfannkuchen mit dem Zucker-Zimt Gemisch, rollte ihn zusammen und biss davon ab. Hätte ich das Besteck verwenden sollen? Connors neugierigem Blick nach zu urteilen eher nicht.
 

„Was ist?“, fragte ich kauend als er mich beobachtete.
 

„Schmecken sie?“
 

Ich tat so als würde ich angestrengt überlegen müssen, um dann grinsend zu nicken. Ja, sie waren gut: fluffig, weich, die Ränder nicht zu hart, genauso wie Caleb sie machte. Ich fragte mich an der Stelle ob sich Connor und mein Bruder vielleicht gut ergänzen würden. Natürlich war da die grundlegende Abneigung Calebs gegenüber meines besten Freundes, aber ansonsten. Connor war brav, fürsorglich, liebevoll und bemüht es einem recht zu machen, zumindest mir gegenüber. Das wäre die Lösung! Caleb und Connor!
 

„Worüber denkst du nach?“, erkundigte er sich und rollte den nächsten Pfannkuchen auf.
 

„Ob du und Caleb wohl gut zusammenpassen würdet.“
 

„Wohl kaum“, gluckste Connor.
 

„Weil du ihn nicht magst?“
 

„Ich habe nichts gegen deinen Bruder. Caleb wirkt zwar verschlossen, aber er hat wohl seine Gründe. Er wäre jetzt niemand mit dem ich um die Häuser ziehen wollen würde. Dafür wirkt er zu vernünftig. Ich kann mir deinen Bruder kaum betrunken vorstellen.“ Connor hielt inne, zerriss den Pfannkuchen und hielt mir dann ein Stück vor den offenen Mund, in den er es hineinfallen ließ. „Es ist ehrlich gesagt schade, dass er so grob rüberkommt. Am meisten stört mich, dass ich mit meiner Anwesenheit für Probleme sorge bei euch.“
 

„Das tust du doch gar nicht!“, protestierte ich und wurde gleich wieder mit etwas Pfannkuchen zum Verstummen gebracht.
 

„Doch, das tue ich. Er und Olivia verstehen sich recht gut, zumal ich Augen im Kopf habe, Danny. Es ist zwar lieb, dass du lügst, aber nicht nötig.“
 

Connor fütterte mich mit dem letzten Rest von Pfannkuchen Nummer zwei, um Nummer drei vorzubereiten und auch Nummer vier, den er aber selbst aß. Schweigend kauend beobachtete ich ihn dabei. Mich erinnerte das alles ein wenig an Nicky. Caleb hatte ihn zu Beginn auch nicht gemocht und jetzt waren sie zusammen. Oder hatte er ihn schon von Anfang an gemocht und nur was vorgespielt? Keine Ahnung. Ich jedenfalls mampfte Pfannkuchen Nummer drei und nippte dann am Kakao.
 

„Dabei sind wir gar nicht so verschieden“, fuhr Connor fort und wischte sich die Finger an der Serviette ab.
 

„Wie meinst du das?“
 

„Was ich so mitbekommen habe ist er vernünftig und besitzt einen guten Kern. Hinter dieser stoischen Art verbirgt sich wahrscheinlich ein ganz verletzlicher Mensch. Ich kann mich zwar täuschen, aber Caleb belastet irgendetwas. Bei dieser Dreiecksbeziehung zwischen deinem Bruder, Magnus und Nicky blicke ich auch nicht so ganz durch.“
 

„Nicht nur du nicht“, murmelte ich bedrückt und schnappte mir den nächsten Pfannkuchen.
 

„Es geht mich auch nichts an. Ich kann mir nur vorstellen, dass es für dich anstrengend ist.“
 

Das war es auch. In mir keimte noch immer die Hoffnung, dass sich Nicky von Caleb lösen würde und dann zu mir käme. Das würde die Situation zwar noch weiter verkomplizieren, aber ich machte mir darüber mal keine Gedanken.
 

„Danny? Könntest du dir eigentlich vorstellen dich in jemand anderen zu verlieben? So wie in Nicky, oder wird das nie passieren?“ Connor klang dabei sehr nebensächlich.
 

„Ich weiß nicht? Ich meine, ich habe Nicky so gern, dass es fast schon weh tut. Bei Sophia war das nicht so.“
 

„War Sophia deine erste Freundin?“
 

Ich beantwortete die Frage mit einem Nicken.
 

„Das heißt also, dir gefallen Mädchen auch?“
 

Ich überlegte und verputzte den nächsten Pfannkuchen, um ihn mit einem Schluck Kakao hinunterzuspülen. Das war eine gute Frage. Seitdem ich auf Nicky stand, hatte ich mir darüber ehrlich gesagt keine Gedanken gemacht.
 

„Keine Ahnung?“, zuckte ich mit den Schultern. „Warum willst du das überhaupt wissen?“
 

„Reine Neugierde. Ich empfinde es als recht früh, mit 15 Jahren schon seine ersten sexuellen Erfahrungen zu sammeln, zumindest mit anderen Personen.“
 

„Wieso? Nicky hat einmal erzählt, er hatte sein erstes Mal mit 13.“
 

„Ich wäre mit 13 noch nicht so reif gewesen zu begreifen, was das bedeutet.“
 

„Hm?“
 

Ich verstand nur Bahnhof. Das war doch nur Sex? Gut, also die Nummer mit dem Türsteher im Club war vielleicht nichts gewesen, das ich hätte wiederholen wollen, aber mit Nicky und mit Connor schon. Mit Sophia vielleicht auch. Ich hatte aber auch zugegebenermaßen wenig Vergleichswerte.
 

„Ich weiß, das mag sich jetzt ein wenig komisch anhören, aber mir hat es gestern weh getan, als du gesagt hast, du seist keine Jungfrau mehr.“
 

„Warum?“ Ich schrägte den Kopf ein wenig und beobachtete Connor, wie er sich einen Pfannkuchen mit Nutella beschmierte.
 

„Das ist schwer zu erklären. Ich denke, ich war eifersüchtig auf Sophia, vorausgesetzt, sie war die, mit der du dein erstes Mal hattest.“
 

Was sollte das jetzt wieder bedeuten? Manchmal drückte sich Connor so kompliziert aus, dass ich am liebsten frustriert aufgebrummt hätte.
 

„Kindisch, ich weiß. Ich war ja schließlich gestern auch keine Jungfrau mehr, aber, wenn ich gewusst hätte, dass es dich gibt, ich hätte gewartet. Das erste Mal ist etwas Besonderes, etwas Einzigartiges, das man nur einmal in seinem Leben hat. Man kann seine Jungfräulichkeit nur einmal verschenken.“
 

„Soll das heißen, du hättest dein erstes Mal gerne mit mir gehabt?“ Ich nippte wieder an meinem Kakao. Das klang komisch.
 

„Ja, hätte ich. Ich wäre wirklich gerne dein Erster gewesen Danny, wie auch du meiner.“
 

„Das warst du ja auch, irgendwie.“
 

„Nicht ganz. Du hast außerdem erzählt, dass dich der eine Typ, der Türsteher, angefasst hat, als du ihm einen geblasen hast. Das heißt, ich war auch da nicht dein Erster. „
 

Stimmt, das mit Arvid war nicht unbedingt eine Erinnerung, die ich zurückholen wollte. Ich hatte sie tief irgendwo vergraben.
 

„Wann hattest du denn dein erstes Mal, Connor?“
 

„Mit 17 und ich bereue es.“ Connor senkte seinen Blick ein wenig und biss von seinem Pfannkuchen ab. „Ganz unromantisch. Wir waren beide betrunken und es war recht schnell vorbei.“
 

„War das mit einem Mädchen?“, hakte ich weiter nach.
 

„Ja. Mit einem Jungen dann zu meinem 18ten Geburtstag. Er war gutaussehend, aber ein Arsch. Im Nachhinein würde ich ihn nicht mehr ranlassen.“
 

„Und wie viele Freundinnen und Freunde hattest du bereits?“
 

„Nicht so viele. Außerdem war es mit Niemandem so schön wie mit dir.“
 

„Wie meinst du das?“ Ich blinzelte verwirrt.
 

„Du bist ganz anders.“ Connor sah auf und lächelte verlegen. „Mit dir zu schlafen war als würde etwas in meinem Kopf aussetzen. Dich zu berühren, dich zu küssen, das war schon hart an der Grenze gewesen, aber dich zu spüren, so, das hat mich beinahe wahnsinnig gemacht. Ich wollte nicht, dass es aufhört, dass du aufhörst.“
 

Nun war ich es, der verlegen dreinschaute. Connor klang so verträumt, dass ich nicht wusste wo ich hinschauen sollte. Sophia war nicht so nett gewesen. Ich meine, sie hatte auch nichts gesagt, aber wahrscheinlich war meine Unerfahrenheit einer der Gründe, warum sie sich von mir getrennt hatte.
 

„Connor?“, fragte ich nuschelnd.
 

„Hm?“
 

„Kannst du das nochmal sagen, aber so, dass ich es nicht verstehe? So komisch wie sonst?“
 

„Komisch?“ Mein bester Freund hob amüsiert die Brauen. „Du meinst romantisch?“
 

„Ja.“
 

Connor legte seinen Zeigefinger unter mein Kinn und schaute mir tief in die Augen. „Mit dir zu schlafen war, als würde ich das Elysium nicht nur ansehen, sondern betreten dürfen. Es war die süßeste Versuchung, der ich jemals erlegen bin. Es ist als hätte ich im Styx gebadet, der sämtliche Erinnerungen weggewaschen hat, nur um sie mit einem Bild von dir zu ersetzen. Ein Hauchen von dir hat die gleiche Wirkung auf mich wie das stärkste Aphrodisiakum. Die Wunde, die du geschlagen hast, hast du geheilt und gleichzeitig wiederaufgerissen. Wäre ich ein Gott, ich würde auf meine Unsterblichkeit verzichten, bedeute es, diesen einen Moment erleben zu dürfen. So wie Orpheus´ Stimme Steine erweichen ließ, so hat dein Keuchen mein Herz erweicht. Wärst du Aphrodite, so wäre ich dein Ares, eifersüchtig auf meine Nebenbuhler, obwohl ich selbst nur einer bin. Ich würde vom Himmel steigen und auf den Feldern Trojas für dich kämpfen, nur um deinen Wunsch zu erfüllen. Meine Hingabe ist grenzenlos und ich würde mich eher in mein eigenes Schwert stürzen, als dich verletzen zu wollen.“
 

Ich lächelte glücklich. Die Hälfte davon kapierte ich zwar wieder nicht, doch es klang so schön, wenn Connor mir so etwas sagte.
 

„War das romantisch genug?“, wollte er schmunzelnd wissen.
 

„War es“, bestätigte ich.
 

„Gut, dann lass ich dich einmal weiter frühstücken. Lass das Geschirr einfach stehen, ich räume nachher auf. Zum Mittagessen besorge ich uns was vom Italiener, sofern du magst. Ich habe dir sämtliche Spiele rausgelegt, die ich habe. Deine Sachen hängen über dem Heizkörper.“
 

Damit stand er auf und ließ mich alleine. Hier war ja wirklich das Paradies. Ich hatte keine Verpflichtungen und wurde von vorne bis hinten bedient. Wohlig seufzend ließ ich mich wieder ins Kissen zurücksinken.
 

Ich hatte den restlichen Tag bei Connor verbracht. Wir schauten ein paar Filme, ich durfte wieder Leute abknallen und aß eine der besten Pizzen die mir untergekommen war (Salami, genauso wie Connor, der auch keine andere Sorte mochte). Fast schon wehmütig stieg ich am Abend gemeinsam mit ihm ins Auto ein, damit er mich nach Hause brachte. Connors Wohnung befand sich in einem unscheinbaren Mietkomplex, der von außen total spießig wirkte: Grau-weiß gestrichene Fassade, sorgsam aneinandergereihte, akkurat abgemessen wirkende Fenster und die Grünfläche wurde wohl mit der Nagelschere bearbeitet, so sauber ausgemäht wie sie wirkte.
 

„Was soll ich denn Caleb sagen?“, fragte ich nachdem wir übereingekommen waren, dass Menschen, die Kakao ohne Karamellsirup süß genug fanden, Monster waren.
 

„Hm? Wegen deinem Wochenende?“ Connor trippelte unruhig auf dem Lenkrad herum und ich konnte sein Gesicht im Licht der vorbeiziehenden Straßenlaternen kaum erkennen.
 

„Ja.“
 

„Ich bin ehrlich gesagt überfragt. Keine Ahnung was Nicky und seine Freundin ihm für eine Lüge aufgetischt haben.“
 

„Das wird Ärger geben“, meinte ich bedrückt.
 

„Sag ihm doch die Wahrheit?“, schlug Connor vor.
 

„Dann ist er erst recht sauer.“
 

„Danny, du hast etwas sehr Schlimmes erlebt. Mir wäre es zwar lieber gewesen, wenn du dich heute schon mit meinem Vater unterhalten hättest, aber ich will dich zu nichts drängen. Er wird dir sowieso auf die Schliche kommen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er mit dir schimpft, oder auch mit Nicky und seiner Freundin, wenn er erfährt, was passiert ist.“
 

„Ich schäme mich aber“, gestand ich kleinlaut.
 

„Du hast nichts falsch gemacht, Danny. Gut, in den Club zu gehen war wirklich nicht das Schlauste, einfach weil du zu jung bist, aber ansonsten – verbuche es einfach als jugendlichen Leichtsinn.“
 

„Kann… kann ich dich anrufen, wenn ich es zuhause nicht mehr aushalte?“, fragte ich zögernd.
 

„Natürlich, immer. Tag und Nacht. Schiebe es aber nicht zu lange vor dir her, ja? Je länger dieses Erlebnis in dir schlummert, desto schwerer wird es zu verarbeiten. Papa meint, ich soll dich wirklich nicht drängen, aber es wäre wichtig.“ Connor pausierte für eine Weile, bevor er fortfuhr: „Schließ dich einfach mit Nicky kurz. Sonst kitzle aus Caleb heraus, was ihm Nicky für einen Bären aufgebunden hat, das kannst du gut. Mach dir keinen Kopf.“
 

„Du hast leicht reden.“
 

„Habe ich, ja. Ich bin aber für dich da, das weißt du.“
 

Ich umarmte Connor zum Abschied, stieg dann aus (meine Sachen rochen übrigens jetzt ein wenig nach ihm, oder besser gesagt nach seinem Waschmittel) und schlich mich in mein Zimmer. Es war schon spät und Caleb schlief. Nicht einmal Leo rührte sich, was mir heute sehr gelegen kam. Was sollte ich meinem Bruder morgen also erzählen? Bei der Wahrheit würde er ausrasten, aber ein guter Lügner war ich auch nicht. Seufzend schälte ich mich aus meinen Klamotten und fiel ins Bett. Das konnte ja ein heiterer Wochenstart werden.

Ich warf die Autoschlüssel achtlos in die Schale neben der Eingangstür. Jetzt war Danny erst eine Stunde weg und er fehlte mir bereits. Ich hätte mich niemals auf dieses wahnwitzige Projekt „Nachhilfe“ einlassen dürfen. In mir zerbrach jedes Mal etwas, wenn Danny von Nicky erzählte. So als würde mir das Herz langsam aus der Brust gerissen. Lange hielt ich das nicht mehr aus. Ich schmiss mich seufzend aufs Sofa und rieb mir die Schläfen. Wie war ich eigentlich in diese Situation geschlittert? Für einen Romantiker wie mich, der sogar an so etwas wie Liebe auf den ersten Blick glaubte, war Danny natürlich der Hauptgewinn: jung, neugierig, gutaussehend, naiv. Vor allem in diese kindliche Art hatte ich mich verliebt. So unberührt, so unbefleckt, so rein. Keine Ahnung warum, aber er war nahezu perfekt. Ich schloss die Augen und rief mir Danny ins Gedächtnis.
 

Das schwarze, unordentlich geschnittene Haar, dessen Strähnen ich ihm so gerne aus dem Gesicht strich. Die rehbraunen Augen, in denen ich mich hätte verlieren können. Ich liebte alles an ihm, sogar die rauen, aufgearbeiteten Hände. Mir jagte jedes Mal ein Schauer über den Rücken, wenn er mich damit berührte. Seine sanften, weichen Lippen, von denen ich mich nicht mehr lösen wollte. Ich konnte keinen Makel an meinem Prinzen finden. Selbst wenn da einer gewesen wäre, ich hätte ihn verdrängt. Danny war mit Abstand der schönste Junge, den ich kannte. Ich hatte beim Job vorwiegend mit alten Säcken zu tun, dazu Frauen, die jemanden zum Vorzeigen brauchte. Früher hatte ich ihnen irgendetwas vorgelogen. Auf meine „komische“ Art, wie Danny sagte. Dieser Gedanke zauberte mir ein Grinsen ins Gesicht. Jetzt war es aber ungleich schwieriger. Professionalität vorzugaukeln, wenn das Herz für jemand anderen schlägt, war eine Aufgabe, der ich nicht gewachsen zu sein schien.
 

Ich hatte versucht mich abzulenken. Mehr Arbeit, dann in irgendwelchen Clubs abfeiern, mich sogar zu betrinken und mit jemandem rumzumachen: Es funktionierte nicht. Jedes Mal, wenn mich ein Kerl anfasste, fühlte ich mich, als würde ich Danny hintergehen. Gleiches bei der Arbeit. Ich hatte es sogar mit Mädchen versucht, mit dem gleichen Ergebnis. Es fiel mir schon das Küssen schwer. Unweigerlich verglich ich sie alle mit Danny und kam zum Schluss, dass sie nicht er waren. Logisch, oder? Nein, eher bescheuert. Ich war fast 22 Jahre, sah gut aus, war bei den Kunden beliebt, dementsprechend auch ohne das Geld meiner Eltern wohlhabend und hätte mehr Gelegenheiten gehabt mir eine feste Freundin oder einen festen Freund zuzulegen, als manche Bekannte hatten. Alles für die Katz, denn es gab nur mehr Danny.
 

Ich verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Was hätte ich dafür gegeben, nur eine Stunde dieser Nicky sein zu dürfen? Ich hatte diesen Glanz in Dannys Augen bemerkt, wenn er von Nick sprach. Es war wunderschön. Seine Stimme wurde dabei ein bisschen höher und er wirkte so glücklich, aber zeitgleich traurig. Diese Bitterkeit, dieser Schmerz – er glich einem kleinen Engel, wenn er so dreinschaute. Wie sehr musste Danny diesen Nick lieben, dass er mit einem Fremden schlief, nur um an ihn heranzukommen? Wie krank war das eigentlich? Ich konnte nicht mal mehr an andere Männer und Frauen denken und der, in den ich mich so unsterblich verliebt hatte, vögelte mit mir, weil er einen anderen Kerl beeindrucken wollte. Resignierend fuhr ich mir durch die Haare. Was hatte ich eigentlich verbrochen? Wäre Danny nur ein wenig älter, ein kleines bisschen weniger naiv, dann… Ja was dann? Ich würde ihn nicht mehr lieben, zumindest nicht mehr so.

Wenn das Handy klingelte fühlte ich mich wieder wie ein Teenager. Mein Herz schlug mir fast bis zum Hals und die Knie wurden mir weich, sobald sein Name auf dem Display aufleuchtete. Er hatte sogar einen eigenen Klingelton bei mir.
 

Das war einfach nicht normal. Ich hatte alles: Gutes Aussehen, Geld, Unabhängigkeit und band mich dann an einen Jungen, der nicht begriff, was er mir antat. Bei dem Gedanken an seinen Verflossenen zog sich in mir alles zusammen. Ich musste unweigerlich an die Geschichte um Adonis denken, den Ares in rasender Wut als riesiger Eber zuerst zu Tode gehetzt und dann zertrampelt hatte. Das beschrieb ganz gut meine Position: Ich war mit Abstand der beste Nebenbuhler meiner persönlichen Aphrodite und war eifersüchtig auf jemanden, der mir, zumindest in meinen Augen, nicht das Wasser reichen konnte. Sobald dieser Gedanke zu Ende gesponnen war, schämte ich mich bereits wieder dafür. Ich kannte Nick ja nicht einmal richtig. Wahrscheinlich war er ein netter Junge. Er klang zwar ein wenig schwierig, aber wer war das in diesem Alter nicht? Olivia hatte auch nur Scheiße im Kopf, die ich in der Regel ausbaden durfte. Sie hatte auch schon etwas bemerkt. Ehrlich gesagt war ich froh, dass sie nicht ein Auge auf ihn geworfen hatte. Mit meiner kleinen Schwester um einen fünfzehnjährigen Jungen zu streiten wäre das Tüpfelchen auf dem I gewesen.
 

Mein Problem war, dass ich zu feige war, wie Ares, zuzuschlagen. Tobende Eifersucht bestimmte mein Leben und dabei konnte ich am Ende, sollte ich in der Lage sein, Nick aus dem Weg zu räumen, nicht den finalen Schritt machen, denn es würde bedeuten Danny zu verletzen. Das brachte ich nicht übers Herz. Ich würde ihm unsägliche seelische Schmerzen bereiten, selbst wenn ich dann die Nummer eins wäre. Das konnte ich einfach nicht. Ich wollte mit ihm schlafen, zweifelsohne. Das erste Mal mit Danny war schöner gewesen als sämtliche meiner Bettgeschichten zusammen. Nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Es war komisch gewesen, ihm zu zeigen, was er machen musste, eigentlich sogar beschämend: Ich nutzte die Naivität eines halben Kindes aus. Ich hätte mich schlecht fühlen müssen, tat es sogar bis zu einem gewissen Grad, doch dieser eine Moment, diese Verbindung, das war es wert gewesen. Mit Danny zu schlafen war als würde jemand in meinem Hirn den Stecker ziehen. Alles um mich herum wurde bedeutungslos: Die Uni, der Job, meine Freunde, es gab nur ihn und mich. Ein wenig Übung noch und ich würde beim Vögeln wahrscheinlich komplett den Verstand verlieren. Als er mich angefasst hatte, war das Brennen und Ziehen zwischen meinen Beinen schon unerträglich gewesen. Ich hatte mir geschworen nicht schwach zu werden und doch wäre ich schon beim Erklären fast eingeknickt. Wenn er noch ein wenig gebettelt hätte unten zu liegen… Ich schüttelte den Kopf. Nein, das durfte ich nicht. Es könnte ihm weh tun. Er würde mich unweigerlich mit Schmerz verbinden. In sein Gesicht zu schauen und dabei zu sehen, dass es ihn verletzte, dass ich ihn verletzte, das würde mir den Rest geben. Wenn ich eine Art Flashback erzeugte, das ihn an vorgestern erinnerte… Ich könnte mir das nicht verzeihen.
 

Seufzend angelte ich mir den Laptop vom Beistelltisch und fuhr ihn hoch. Nicht einmal in der Uni wurde ich von Danny verschont. Meine Hausarbeit zum Thema „Tragik und Drama“ handelte schlicht und ergreifend von mir. Ich beschrieb meine Gefühle, meine Situation (natürlich nicht so, dass man direkt auf mich Rückschlüsse ziehen konnte) und wurde auch mit einer guten Note belohnt: einer Eins. Mein Professor hatte über beide Ohren gegrinst und mich vor dem gesamten Kurs gelobt. Meine Geschichte sei „einfühlsam“, die Motive „passend gewählt“ und sowohl Tragik als auch Drama würden perfekt harmonieren. Natürlich musste das Werk auch analysiert werden, denn alles andere hätte bedeutet mir meinen Frieden zu gewähren. Der Heros, geschützt von einer undurchdringlichen Rüstung, bewaffnet mit einem magischen Schwert, auf dem edelsten der Pferde reitend, schaffte es nicht, sich die Liebe eines einzelnen Mannes (das kam übrigens auch sehr gut an, denn es hatte einen verbotenen Charakter) zu erstreiten. Wo ich denn meine Vorlagen herhätte? Ein Ares, der Menschlichkeit besaß und seiner Aphrodite sogar diesen einen Wunsch, jemand anderen zu lieben, ermöglichte, war meine Antwort gewesen. Ich hoffe, die wirkliche Aphrodite wird meine Worte nie hören, aber neben Danny war sogar sie hässlich. Für ihren Gürtel hätte ich getötet. Ihn anzulegen und mir meinen Prinzen zu schnappen klang so verlockend.

In meiner Welt hätte der trojanische Krieg sich wahrscheinlich um Danny gedreht. „Der Raub des Danny“, ging es mir durch den Kopf und ich schüttelte traurig lachend den Kopf. Ich hätte ihn mir gekrallt, ganz sicher. Damals, als wir in der Vorlesung das Motiv der Helena besprochen hatten, war ich nicht in der Lage gewesen, zu begreifen, wie man für eine einzige Person alles wegschmeißen konnte. Ich weiß noch, wie ich mit David diskutiert hatte, darüber, dass ich das Angebot der Athene, Unbesiegbarkeit im Kampf, gewählt hätte. Ja, damals, das war vor Danny gewesen. Heute würde ich auch Aphrodite den Apfel in die Hand drücken, mit den Worten: „Göttin der Liebe, für einen aufrichtigen Kuss von ihm bin ich bereit, das größte Königreich, das die Welt je gesehen hat, genauso wie ein Dasein als unvergleichlicher Krieger, auszuschlagen.“

Hatte ich so etwas nicht Danny auch gesagt? Ich würde Zeus bitten ihn zu einem Sternbild zu machen? Wäre ich Zeus selbst, ich hätte ihn zu meinem Streiter gemacht, meine Hand über ihn gehalten, ihm mein göttliches Erbe versprochen. Für ihn hätte ich mich mit den anderen Göttern gemessen, denn er war das Wichtigste in meinem Leben geworden, und das in so kurzer Zeit. Ich klappte den Laptop wieder zu, legte ihn beiseite und fuhr mir mit den Händen übers Gesicht.
 

Was sollte ich jetzt machen? Danny zu sagen, dass ich ihn abgöttisch liebte, würde ihn nur verwirren und am Ende von mir entfernen. Ihm bei diesem wahnwitzigen Unterfangen Nick zu erobern zu helfen, würde mich an den Rand der Verzweiflung bringen. Am besten wäre es gewesen einfach den Kontakt abzubrechen, aber das konnte ich nicht. Ich fühlte mich für ihn verantwortlich. Er schien niemanden außer mir zu haben. Dazu kam diese Beinahevergewaltigung. Wenn ich ihn an mich heranließ, würde ihm das helfen, ihn vielleicht heilen. Und mich dabei zerbrechen. War es das wert? Mich aufzuopfern, zugrunde zurichten für ein halbes Kind?

Natürlich, denn ich liebte es. Für Danny würde ich sogar den Himmel auf meinen Schultern tragen und dabei lächeln. Ich werde ihm beistehen, und wenn es mich wahnsinnig machen würde. Sein bezauberndes Lachen, das mir durch Mark und Bein ging, das durfte er einfach nicht verlieren. Er brauchte mich und ich würde da sein. Es war Zeit nicht nur von den alten Legenden und Helden zu lesen, nein, ich musste sie auch leben. Ich werde sein Ares sein, sein Schild und auch sein Schwert und selbst in der dunkelsten Stunde werde ich bei ihm sein, ihn stützen, ihn beschützen. Bestärkt durch diesen Gedanken stand ich auf und machte mich bettfertig. An Danny denkend ließ ich mich ins Kissen sinken und stellte fest, dass mein Bett nach ihm roch. Wenigstens etwas blieb mir: Meine Erinnerungen an ihn und die würde mir auch niemand nehmen. Egal wie die Geschichte ausging, ein Teil von mir ruhte in Danny, davon war ich überzeugt, genauso wie er einen Platz in meinem Herzen hatte.

Die nächsten Tage waren nicht sonderlich lustig gewesen. Caleb hatte mich nicht angefahren, Nicky war nämlich ein exzellenter Lügner, aber ich schlief äußerst schlecht. Immer wieder hatte ich diesen einen Alptraum, wo mich der Typ aus dem Club antatschte. Ich wachte schweißgebadet auf und es ekelte mich vor mir selbst. Es war so, als hätten seine Berührungen ein Mal auf mir hinterlassen. Etwas, für das ich mich schämte. Connor bearbeitete mich so lange, bis ich schlussendlich zustimmte zu seinem Vater zu gehen. Ich stellte mir das katastrophal vor: Da saß ein Typ, der mir sagen würde, ich sei nicht dicht und über mich urteilte, obwohl er mich kaum kannte. Bravo. Dementsprechend schlecht gelaunt war ich auch als ich neben Connor im Auto saß.
 

„Mein Papa ist ganz nett“, versuchte er mir den Besuch schmackhaft zu machen.
 

„Mir egal“, murrte ich und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
 

„Was hast du denn?“
 

Connors einfühlsame Art ging mir gerade auch auf den Geist. Er bemühte sich so um mich, dass es mir fast schon zu viel wurde. Ich war nicht auf ihn sauer, sondern eher auf die Situation. Was sollte es denn bringen sich mit einem Fremden zu unterhalten? Am Ende musste ich sogar in die Klapse, und dann?
 

„Nichts“, blockte ich ab.
 

„Danny…“, begann Connor, wurde aber gleich harsch von mir unterbrochen.
 

„Nichts Danny, Connor. Dein Papa wird mir wahrscheinlich sagen, dass ich eine Klatsche habe und mich am Ende einweisen lassen. Dafür danke ich dir recht herzlich!“
 

„Wird er nicht.“
 

„Doch. Er weiß ja sogar schon, was mit mir los ist. Warum hast du es ihm überhaupt erzählt?“, fuhr ich ihn an.
 

„Weil du Hilfe brauchst. Mein Vater eignet sich dafür als Psychiater. Zumal du so nicht warten musst.“
 

„Toll, jetzt bekomme ich wohl extra noch eine Sonderbehandlung, weil wir befreundet sind?“
 

„Ja und Nein. Mein Vater wird dich genauso behandeln wie alle anderen seiner Patienten. Du hast nur den Vorteil, dass du dich nicht an die üblichen Terminvereinbarungen halten musst.“
 

Auf meinen genervten Blick hin seufzte Connor und ließ die Schultern hängen. Irgendwie tat es mir ja leid ihn so zu behandeln, aber an irgendwem musste ich meine Wut über die derzeitige Situation auslassen und da blieb nur er übrig.
 

„Du hast drei Wünsche frei, wenn du heute mit meinem Vater geredet hast, einverstanden?“
 

Da wurde ich hellhörig. Drei Wünsche. Ich sah zu Connor, der geradeausstarrte und zur Abwechslung einmal etwas schneller fuhr als erlaubt war. Er war nervös.
 

„Drei Wünsche?“, wiederholte ich.
 

„Ja, drei Wünsche. Fast alles, was du willst, Danny.“
 

„Fast?“, bohrte ich nach.
 

„Ich schlafe nicht mit dir. Zumindest nicht so, wie du möchtest.“
 

Das klang erstaunlich bestimmt. Normalerweise reichte ein Bitte bei Connor (das hatte ich jetzt schon begriffen) und er tat was ich wollte.
 

„Hm, wenn ich ins Kino wollen würde und danach was essen und mit dir schlafen, so wie beim letzten Mal, würdest du es tun?“ Ich lauerte geradezu auf ein Nein.
 

„Wenn du das möchtest.“
 

Connor starrte noch immer nach vorne, aber seine Haltung hatte sich verändert. Er saß steif wie ein Brett in seinem Sitz, die Hände um das Lenkrad gekrallt. Ich konnte beobachten, wie die Tachonadel in einem ungesunden Tempo nach oben kletterte. Er war eindeutig nervös. So hatte sich mein bester Freund noch nie benommen. Jetzt tat er mir wieder leid und ich fühlte mich schuldig.
 

„Warum sträubst du dich so mit mir zu schlafen, Connor?“
 

„Danny, wenn ich dir das erklären würde, oder besser gesagt, könnte… In meiner Lage müsste ich eigentlich dafür töten, dass du mit mir schläfst.“
 

„Aber? Es hat dir also doch nicht gefallen?“, fragte ich enttäuscht nach.
 

„Nein“, schüttelte Connor den Kopf. „Es war wunderschön. Jede einzelne Faser meines Körpers sehnt sich danach es zu wiederholen. Wieder so intim mit dir zu werden. Es hat mir fast den Verstand geraubt. Für einen Augenblick dachte ich es wäre real.“
 

„Was?“ Nun war ich verwirrt. „Real?“
 

„Das kann ich dir nicht erklären. Wenn du das von alleine begreifst sind alle deine Probleme gelöst und meine auch. Schnall dich ab, wir sind da.“
 

Tatsächlich hatten wir angehalten. Wir parkten vor einem grauen, nicht sonderlich einladend wirkenden Betonblock. Connor hatte mir erklärt, dass mehrere Ärzte in dem Gebäude ihre Praxen hatten. Wir würden aber nicht warten müssen und uns auch mit niemandem unterhalten. Ich könne schnurstracks zu seinem Vater gehen. Kurz überlegte ich, dann griff ich nach Connors Hand und schnappte sie mir.
 

„Hey, was ist denn los?“ Er wirkte besorgt.
 

„Nichts. Lass mich einfach nur nicht alleine, okay?“, murmelte ich. Meine Hand wurde sanft gedrückt und wir gingen gemeinsam nach drinnen.
 

Connor hatte mich geradewegs in die Praxis geführt, wobei Praxis das falsche Wort war. Es handelte sich einfach um einen Raum, der mehr wie ein gemütliches Büro eingerichtet war. Schwarzer Teppichboden, eine braune Ledercouch und dazu bequeme Stühle vor einem großen Schreibtisch, mit Computer, hinter dem ein Mann, Anfang der 50er saß. Er war untersetzt, hatte kurzgeschnittene, schwarze Haare und eine goldgerahmte Hornbrille, hinter der dunkelbraune Augen hervorlugten. Das musste Connors Vater sein. Ich weiß nicht was ich erwartet hatte: Einen drahtigen Typen, der in Trainingssachen (er trug ein weißes Hemd und schwarze Hosen, sowie dazu passende Schuhe) darauf lauerte mich zerfleischen zu dürfen. Irgendwie sah er außerdem gar nicht nach Connor aus; weder Statur, noch Haar-, noch Augenfarbe. Waren wir wo falsch abgebogen? Der Mann schenkte mir jedenfalls ein freundliches Lächeln und sein Blick fiel auf unsere Hände, die sich noch immer gegenseitig umklammerten. Hastig löste ich mich von Connor und schlug die Augen nieder. Peinlich!
 

„Hallo, Danny. Ich bin Anton. Freut mich dich kennenzulernen. Ich hoffe, es ist für dich in Ordnung, wenn wir per Du sind. Bitte setz dich.“ Damit wies er auf einen der zwei Stühle vor dem Tisch. Ich zögerte und warf Connor einen flüchtigen Blick zu. Der bedeutete mir mit einem Kopfnicken Platz zu nehmen und ließ sich sogleich in den anderen Sessel fallen. Ich seufzte innerlich und tat es ihm dann gleich. Connors Vater tippte noch etwas in den PC hinein, bevor er sich ganz mir zuwandte. Er wirkte freundlich aber nicht aufgesetzt, mehr so… neutral? Keine Ahnung wie ich es beschreiben sollte.
 

„So. Ich weiß ja von Connor bereits, was passiert ist, würde dich aber bitten, mir genau zu erzählen, was wirklich vorgefallen ist. Lass dir Zeit und nimm dir, wenn nötig, Pausen.“
 

Dieser Anton faltete die Hände auf dem Tisch und schaute mich abwartend an. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er mich drängen würde, dafür aber Connor, der mich die ganze Zeit anstarrte und das äußerst besorgt. Der Kerl vor mir war trotzdem ein Fremder und mir war es echt peinlich, das noch einmal zu erzählen, vor allem ihm. Warum hatte Connor ihm nicht einfach alles erzählt? Oder hatte er das bereits? Ich verschränkte jedenfalls die Arme wieder vor der Brust, wie im Auto, und schüttelte stumm den Kopf. Das war doch alles Schwachsinn. Ich hatte schon mit Connor ein wenig darüber gesprochen und es belastete mich ja nicht so wirklich. Das redete ich mir zumindest ein.
 

„Schon okay. Ich komme damit klar. Es ist ja nichts passiert.“
 

Ich weiß nicht womit ich gerechnet habe, dass mich Connors Vater anfahren, es aus mir herauspressen würde oder ähnliches, aber nichts davon war der Fall: Er schaute mich einfach nur neutral an und zwar so lange, bis ich mir wie ein kleines, trotziges Kind vorkam.
 

„Danny, du musst nicht darüber sprechen. Niemand zwingt dich dazu. Man sieht dir aber an, dass es dich belastet. Reden wir zuerst einmal darüber. Über alles woran du dich erinnern kannst.“
 

Ich zögerte erneut. Hilfesuchend schaute ich zu Connor, der mir wieder zunickte. Da brach mein Widerstand auf und ich begann zu erzählen. Darüber, wie mir schwindlig wurde, und das Zeug, dass mir der Kerl ins Getränk gemischt hatte, zu wirken begann. Wie ich mich auf die Toilette schleppte, mich hinsetzte und wartete. Wie die Tür aufging und der komische Typ hereinkam. Ich brauchte zwischendrin immer wieder Pausen. Es war als klebe meine Zunge an meinem Gaumen. Connors Vater wartete geduldig und schob mir, an dem Punkt, an dem ich heulen musste, nämlich, als der Typ mich anfasste, ein Glas Wasser zu sowie ein Taschentuch. Ich weinte und das bitterlich. Vor meinem geistigen Auge durchlebte ich die Momente erneut, in denen mich dieser schmierige Kerl antatschte, mich festhielt, an mir herumfummelte. Nachdem ich mich einigermaßen beruhigt (und mehrere Taschentücher verbraucht hatte), nickte mir der Mann hinter dem Schreibtisch zu. Connor hatte sich inzwischen meine Hand geschnappt und strich beruhigend mit seinem Daumen über meinen Handrücken.
 

„Also war dieser Moment besonders belastend für dich. Was ging dir dabei durch den Kopf?“, wollte Connors Vater wissen. Er klang dabei mitfühlend, aber nicht geheuchelt. Schwer zu beschreiben einfach. Seine Art jedenfalls löste meine Zunge ein wenig.
 

„Es war so eklig, wie er an mir herumgemacht hat. Ich wollte das nicht, aber der Typ hat einfach weitergemacht. Ich konnte mich nicht einmal wehren. Es war so beschämend, zu wissen, dass er mich betatscht und ich nichts dagegen tun konnte. Ich wollte das wirklich nicht!“
 

In mir brodelten Scham und Panik auf. Ich wollte nicht, dass Connor oder sein Vater glaubten, mir hätte das gefallen. Das war mir nämlich auch schon in den Sinn gekommen: Dass sie mir nicht glauben könnten und ich maßlos übertreiben würde.
 

„Natürlich hast du es nicht gewollt, Danny. Das würde dir auch niemand unterstellen. Du musst dich dafür auch nicht schämen. Es hat aber einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Wie geht es dir seit diesem Erlebnis? Hast du Alpträume? Erinnerst du dich in zufälligen Momenten daran und bekommst Angst?“
 

Connors Vater klang nicht als würde er mich für irgendeinen kranken Spinner halten. Bisher hatte er auch nicht den Eindruck erweckt, als würde er mich einweisen lassen. Mir versagte trotzdem die Stimme. Ich nickte stumm und presste die Lippen fest aufeinander.
 

„Ja zu allem?“, fragte er sanft nach.
 

Ich brauchte wieder einige Zeit, bis ich mich so weit gesammelt hatte, als dass ich weitersprechen konnte.
 

„Ich wache in der Nacht manchmal schweißgebadet auf. Mein Puls rast und ich kann danach für eine Weile nicht mehr einschlafen. Seitdem mich der Typ da angefasst hat, ist es mir außerdem unangenehm, dort berührt zu werden. Ich mag es nicht mehr. Nur bei ganz wenigen Personen und selbst da muss ich mich teilweise auch zusammenreißen.“
 

Connor strich mir wieder mit dem Daumen über den Handrücken. Ich bemerkte, wie sich unsere Schuhspitzen unter der Tischplatte berührten. Obwohl mir das half, traute ich mich nicht, ihn anzusehen. Mir war es peinlich und ich schämte mich so sehr.
 

„Ist das unangenehme Gefühl, dass du bei den Berührungen verspürst, eher Ekel oder Angst?“
 

„Eine Mischung aus beidem. Vorwiegend Ekel und auch Scham“, gestand ich leise.
 

„Also Ekel, Scham und Angst.“ Connors Vater pausierte kurz und fuhr dann fort: „Kann es sein, dass du dich manchmal dreckig fühlst? Unrein? So, als ob dich der Fremde beschmutzt hätte?“
 

Ich nickte heftig und spürte, wie die nächsten Tränen in meinen Augen brannten. Warum wühlte mich das so auf? Es war ja nichts passiert, oder?
 

„Ja. Es ist, als wäre ich an den berührten Stellen schmutzig und dreckig. Fast jeder, der mich da anfasst, verstärkt dieses Gefühl und das macht mich fast wahnsinnig. Es geht auch nicht weg, egal was ich mache“, presste ich hervor.
 

„Daran müssen wir also arbeiten. Nur um das kurz zu erwähnen und auch aufzuklären: Dir ist bewusst, dass es nicht deine Schuld ist, oder? Du hast nichts falsch gemacht.“
 

Das sagte sich so leicht. Natürlich wusste ich es. Ich war ein Opfer, kein Täter. Trotzdem war da immer dieses Gefühl, als hätte ich eben etwas falsch gemacht, dass ich selbst schuld war.
 

„Ich weiß. Das hat mir Connor gleich nachher schon gesagt, aber trotzdem. Es fühlt sich so an als wäre ich schuld. Ich hätte besser aufpassen müssen, besser nachdenken, keine Ahnung was…“, lispelte ich verzweifelt.
 

Connors Vater wartete wieder bis ich mich beruhigt hatte. Da war kein Bedauern, kein falsches Mitleid – er beobachtete mich einfach, tippte ab und an etwas in den Computer hinein und bot mir neuerlich Taschentücher an.
 

„Ich schlage dir jetzt vor was wir machen. Fürs Erste versuchen wir es ohne Medikamente – das wäre die letzte Lösung, die wir nur in Betracht ziehen, wenn alles andere schief geht. Wichtig ist jetzt dein Selbstvertrauen wiederaufzubauen. Beschäftige dich in nächster Zeit mit Sachen in denen du gut bist und die du gut kannst. Und suche dir einen Beistand, jemand der in Bereitschaft ist und zu dir kommt, wenn du dich fürchtest. Denkst du, du bekommst das hin?“
 

Bekam ich das hin? Wollte ich das hinbekommen? Wer sollte mein Beistand sein? Automatisch schaute ich zu Connor, der die Mundwinkel ein wenig anhob. Er hatte verstanden.
 

„Denke ich“, nickte ich wieder und zog geräuschvoll den Rotz in meiner Nase hoch.
 

„Gut, dann…“ Connors Vater stand auf und drückte mir eine Visitenkarte in die Hand. „Du kannst dich jederzeit bei mir melden, solltest du weiteren Redebedarf haben.“
 

„Sie erzählen es aber Niemandem, oder?“, fragte ich, leicht ängstlich, und wischte mir mit dem Handrücken über die Nase.
 

„Natürlich nicht. Alles was wir hier besprochen haben und eventuell auch noch besprechen werden, bleibt zwischen uns drei Personen.“
 

Connors Vater hielt mir zum Abschied die Hand hin, die ich vorsichtig ergriff und schüttelte.
 

„Wir haben außerdem ausgemacht, dass wir uns duzen, ja? Kein Sie in Zukunft. Es hat mich gefreut dich kennenzulernen, Danny. Das hast du heute sehr gut gemacht.“
 

„Danke“, murmelte ich und lief dann nach draußen, zum Auto, weil ich es nicht mehr aushielt. Dieses Gespräch hatte viel in mir aufgewirbelt. Ich lehnte mich an Connors Wagen und rieb mir mit den Handballen die Augen. Es war nicht so schlimm gewesen wie angenommen, aber doch unangenehm. Ich schreckte hoch, als ich in den Arm genommen wurde. Connor hielt mich fest und strich mir über den Rücken.
 

„Ich bin stolz auf dich. Das war sehr mutig.“
 

Ich schmiegte mich an Connor und begann wieder zu weinen, nur, dass ich mich jetzt nicht mehr schämte. Bei ihm durfte ich das, denn er war mein bester Freund. Er verstand mich und urteilte nicht über mich. Connor durfte mich auch anfassen.
 

„Sch… alles wird gut. Ich bin ja da und werde immer da sein, Tag und Nacht, bei Wind und Wetter. Lass es raus.“
 

Ich weiß nicht wie lange wir so auf dem Parkplatz standen, ob es Minuten oder Stunden waren, jedenfalls regte ich mich nach einer Weile vorsichtig.
 

„Connor?“
 

„Hm?“
 

„Ich habe Hunger“, gestand ich.
 

„Was möchtest du denn?“
 

„Pizza“, nuschelte ich verlegen.
 

„Alles was du willst. Möchtest du nachher noch ins Kino gehen? Ich schmuggle dich auch in einen Film ab 18 rein.“
 

„Mal sehen.“
 

„Möchtest du heute bei mir schlafen?“
 

„Ich… dann wird Caleb böse.“
 

„Lass das meine Sorge sein. Möchtest du?“
 

Connor lehnte sich ein wenig von mir weg und schaute mich abwartend an.
 

„Ja“, war die ehrliche Antwort, die ich ihm auch gab.
 

„Gut, dann setz dich schon mal ins Auto. Ich telefoniere eben.“
 

Ich stieg ein und konnte Connor dabei beobachten wie er sein Handy zückte. Er war wirklich der beste Freund den man sich wünschen konnte, davon war ich jetzt überzeugt.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Verschlafen wälzte ich mich herum und griff auf die andere Bettseite, in der Hoffnung etwas von Connors Wärme ergattern zu können. Meine Hand glitt ins Leere und ich schlug widerwillig die Augen auf. Wo war er denn schon wieder? Ein Blick auf den digitalen Wecker neben mir zeigte, dass es kurz nach 7:30 war. Seufzend ließ ich mich ins Kissen zurücksinken und starrte an die Decke. Mir fiel erst jetzt auf, dass ich wieder Sachen von Connor trug: Eine zu große Trainingshose und ein rotes T-Shirt. Hatte er mich angezogen auch noch? Ich fuhr mir durch die Haare und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Connor war gestern ganz anders gewesen. Er hatte so glücklich gewirkt. Ich wagte zu bezweifeln, dass es alleine an meinen Fähigkeiten lag, denn, nach zweimal vögeln Weltmeister zu sein, dass – Nicky hatte mehr Erfahrung, und ich wäre zwar gerne ein Naturtalent gewesen, aber das schien außerhalb des Möglichen zu sein. Es musste also einen anderen Grund geben. Gedanklich ließ ich den gestrigen Abend Revue passieren. Er war es gewesen, der Sex wollte, nicht ich, also er hatte den Vorstoß gewagt. Das war ungewöhnlich, denn Connor sperrte sich normalerweise grundsätzlich, wenn es darum ging, mit mir zu schlafen. Ich bekam ihn zwar immer herum, aber es war ein kleiner Kampf. Mir geisterte auch die Frage im Kopf herum, warum Connor nicht schon längst wieder einen Freund oder eine Freundin hatte.
 

Ich kratzte mich an der Nase und schloss die Augen. Träumer hin oder her, er war gutaussehend und sehr liebenswert. War er vielleicht längst mit jemandem zusammen und belog mich, weil er mir nicht weh tun wollte? Vielleicht mit diesem David aus dem Club? Auch wenn er mir versichert hatte, sie seien nur gute Freunde. Oder war seine heimliche Liebe jemand, den ich kannte, den ich eventuell sogar mochte? Mir rutschte das Herz in die Hose, als ich daran dachte, dass er eventuell auch auf Nicky stehen könnte. Das klang aber auch absurd: Warum sollte er mir dann helfen wollen, dass ich mit Nicky zusammenkomme? Da musste etwas anders dahinterstecken. Er wich meinen wenigen Fragen, die sich um seine unglückliche Liebe drehten, gekonnt aus. Warum?
 

Die Tür wurde aufgemacht und ich schreckte hoch. Connor stand im Türrahmen, mit einem Tablett bewaffnet, wie beim letzten Mal. Heute gab es, soweit ich das erkennen konnte, getoasteten Toast mit Salami belegt, sowie Kakao, eine dampfende grüne Flüssigkeit (ich vermutete Tee) und Butterkekse in einer Glasschüssel.
 

„Habe ich dich geweckt?“, fragte mein Gegenüber und zupfte schuldbewusst an seinem blauen Shirt.
 

„Nein, hast du nicht“, schüttelte ich den Kopf und setzte mich vollends auf. Ich musterte Connor, wie er so dastand: Ob er wohl seinem Freund auch Frühstück bringen würde?
 

„Hast du was?“ Das Tablett wurde in meinem Schoß abgeladen und Connor setzte sich neben mich.
 

„Wie kommst du darauf?“
 

„Du schaust mich so komisch an. Möchtest du lieber was anderes zum Frühstück?“
 

„Nein“, schüttelte ich den Kopf und schnappte mir den ersten Toast, ohne meinen besten Freund dabei aus den Augen zu lassen. Der zupfte erneut an seinem Shirt herum und griff nach der Tasse mit dem vermeintlichen Tee, um hineinzupusten. Wie konnte so jemand wie Connor Single sein, oder ihn jemand nicht wollen?
 

„Du hast etwas.“ Das war dieses Mal keine Frage, sondern eine Feststellung.
 

„Habe ich nicht, ich frage mich nur etwas“, gab ich zu und schnappte mir meinen Kakao, in dem zwei kleine Marshmallows umhertrieben.
 

„Was denn?“ Connor nippte an seinem Tee und schaute mich neugierig an.
 

„Ich verstehe nicht, warum du noch keinen Freund hast, oder eine Freundin.“
 

„Das habe ich dir doch schon erklärt, oder? Der, den ich will, der will mich nicht.“
 

„Und warum?“, wollte ich wissen.
 

Connor stellte seine Tasse auf dem Nachttisch ab und seufzte gequält. „Danny, das ist so kompliziert zu erklären.“
 

„Dann versuch es doch mal?“
 

„Ich habe aber Angst, dass ich dann ein Problem bekomme.“
 

„Warum?“
 

Connor nestelte an seinen Fingerspitzen herum und wich meinem Blick aus. Dieses Mal würde ich nicht lockerlassen! Ich wollte es jetzt wissen.
 

„Danny…“, begann er und machte den Mund daraufhin gleich wieder zu.
 

„Connor, komm schon. Wir sind beste Freunde. Du kannst mir alles erzählen!“ Ich biss inzwischen wieder von meinem Toast ab und grabbelte dann nach seinen Händen. Das zauberte ihm ein Lächeln aufs Gesicht, auch wenn es ziemlich traurig wirkte.
 

„Danny, es ist wirklich kompliziert. Ich bin eben unglücklich verliebt, wie du. Unsere Situationen sind sehr ähnlich.“
 

„Ist denn deiner auch in wen anderen verliebt?“
 

„Ja“, nickte Connor und öffnete seine rechte Handfläche, um meine daraufzulegen und mit dem Zeigefinger der anderen Hand über meinen Handrücken zu streichen. „Er ist sehr verliebt, ähnlich stark wie ich. Er redet pausenlos nur von dem anderen, was mich beinahe in den Wahnsinn treibt. Es… es tut so weh, weil ich nichts dagegen machen kann, dabei versuche ich alles.“

Der letzte Satz kam mir schrecklich bekannt vor. So etwas Ähnliches hatte ich zu Nicky auch einmal gesagt.
 

„Was versuchst du denn alles?“
 

Connor drehte meine Hand ein wenig und verschränkte unsere Finger miteinander, was mich zwar beim Essen behinderte, da ich nur mehr mit der linken frühstücken konnte, aber das war in dem Moment egal. Ich war nahe dran das Mysterium aufzulösen, davon war ich überzeugt.
 

„Ich versuche es mit Worten, mit Taten, versuche mich sogar körperlich anzunähern, aber es ändert nichts: Mein Dasein scheint darauf beschränkt zu sein, die zweite Wahl zu sein, das fünfte Rad am Wagen.“ Connors Stimme bekam einen verzweifelten Unterton und er schlug die Augen nieder.
 

„Mit so schönen Komplimenten wie du sie mir gemacht hast?“
 

„Ja, genau mit solchen. Ich öffne mein Herz, aber es passiert nichts. Alles was ich tue scheint sinnlos zu sein. Ich versuche wirklich perfekt zu sein, da zu sein, wenn er mich braucht, ihm unter die Arme zu greifen; es ist sinnlos.“
 

Er biss sich auf die Unterlippe und ließ den Kopf hängen. So geknickt hatte ich ihn noch nie gesehen. „Weißt du, Danny, ich versuche wirklich so zu sein wie die Helden in den Legenden. So zu sein wie etwa Guan Yu, der für Mut und Treue stand, aber ich schaffe es nicht, ich packe es nicht. Die Situation macht mich fertig. Diesen Edelmut, dieses ‚Halte dich zurück, sei gnädig, sei aufrichtig, gönne ihm sein Glück‘, das raubt mir fast den Verstand.“
 

„Was soll das heißen?“ Ich legte den Kopf ein wenig schief. Das Gerede von Connors Traumwelt blendete ich einfach mal aus, das kapierte ich sowieso nicht.
 

„Ich bin eifersüchtig, rasend eifersüchtig.“
 

„Auf den Jungen, den dein Kerl liebt?“
 

„Eifersüchtig ist kein Ausdruck. Wenn ich den Namen nur höre, dann keimt Hass in mir auf. Er hat ihn nicht verdient, das kann er auch gar nicht.“
 

„Das weißt du doch gar nicht, Connor“, entgegnete ich sanft, wobei er meine Hand fest drückte und aufschaute. Sein Gesichtsausdruck war undefinierbar, eine Mischung aus Kälte und Jähzorn. Ich hielt die Luft an, weil ich glaubte, er würde mich gleich anfahren, aber ich wurde enttäuscht.
 

„Doch, das weiß ich, Danny. Ich weiß es, weil er sich einen Dreck um ihn schert. Er macht nichts, lässt ihn im Stich, vernachlässigt ihn und zieht ihn, soweit ich das mitbekommen habe, pausenlos in neuerliche Scheiße. Egal wie sehr ich meine Hand über meinen Liebsten halte, wie ich darauf warte, dass ich ihm helfen kann, am Ende höre ich immer wieder nur diesen einen verdammten Namen. Dazu das Leuchten in den Augen, wenn er von ihm erzählt. Begreifst du eigentlich, wie schwierig das ist? Wie weh es mir tut? Dass es mich innerlich fast zerreißt?“
 

„Ich…“ Connors Augen waren bereits glasig geworden und ich wollte mich aus seinem Griff lösen, aber er hielt mich fest.
 

„Verdammt nochmal, Danny. Ich halte sogar meinen Kopf hin und es ändert nichts. Ich schaffe es nicht in sein Herz zu kommen.“
 

Was sollte ich jetzt machen? Ich fühlte mich schuldig, weil ich zu sehr nachgebohrt hatte und obendrein mochte ich es nicht, wenn Connor weinte. Er ließ mich los und vergrub sein Gesicht in den Händen. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter, nur um mich vorsichtig nach vorne zu beugen (ich wollte ja das Tablett nicht umschmeißen) und ihn zu umarmen.
 

„Ich bin aber doch da, oder? Dann versuche ich dich einfach abzulenken, so wie du es bei mir und Nicky machst.“
 

Connor versteifte sich kurz, nur um sich dann gegen mich zu lehnen und sein Gesicht an meinen Hals zu legen. „Ich lebe jeden Tag mit einer Lüge und bin zu feige es ihm zu sagen, weil ich Angst habe ihn dann völlig zu verlieren.“
 

Ich mochte den Typen jetzt schon nicht, der so mit Connor umging; das war ja noch viel grausamer als mit Nicky und mir. Außerdem war ich total überfordert. Er schien sich gar nicht mehr beruhigen zu wollen. Das beklemmende Gefühl in meiner Brust, nämlich die Schuld, wurde immer stärker.
 

„Beruhige dich doch. Alles okay. Ich erwähne es auch nicht mehr, versprochen“, nuschelte ich und strich ihm über den Rücken.
 

Nach einer gefühlten kleinen Ewigkeit hatte sich Connor soweit beruhigt, dass er sich seinem Tee widmete und ich zu Ende frühstücken konnte. Er rieb sich mit den Handballen über die Augen und zwang sich zu einem schiefen Lächeln, das ich auch erwiderte. Mir lagen zwar noch so einige Fragen auf der Zunge, aber ich wollte jetzt nicht riskieren, dass er erneut durchdrehte.
 

„Tut mir leid, dass ich so überreagiert habe, ist nur alles ein wenig schwer gerade.“
 

„Schon okay, dafür sind Freunde doch da.“
 

„Danny? Versprichst du mir etwas?“
 

„Was denn?“
 

Er stellte seine leere Teetasse auf das Tablett und schob es auf den Nachttisch, nur um mich dann in eine Umarmung zu ziehen und unser beider Stirn aneinanderzulegen. Seine Lippen waren den meinen so nahe, dass sein warmer Atem ein Prickeln darauf hinterließ.
 

„Geh nie wieder weg. Bleibe immer bei mir, mein bester Freund. Ich verspreche dir auch dein Guan Yu zu sein, im Schatten zu warten, über dich zu wachen, das schwöre ich dir. Wenn du mich brauchst, musst du mich nur rufen. Ich kann alles sein was du willst, ich versuche es, nur bitte, bleib bei mir.“
 

Bevor ich antworten konnte presste er seine Lippen auf meine und drückte mich dabei sanft ins Kissen zurück. Hilflos erwiderte ich den Kuss und verschränkte meine Arme in Connors Nacken. Dass jemand so an mir hing, das war absolut neu. Er hielt mich fest, klammerte sich fast schon an mich, als würde er Angst habe, dass ich mich auflösen könnte, wenn er es nicht täte und war dabei doch so behutsam, dass ich am liebsten geschmolzen wäre.
 

„Ich weiß gar nicht, womit ich diese Momente verdient habe“, hauchte Connor mir entgegen, nachdem er den Kuss beendet hatte. Er löste eine Hand von meinem Rücken und strich mir mit dem Zeigefinger die Wange entlang.
 

„Wir sind beste Freunde? Natürlich hast du sie verdient? Ich habe dich ja auch lieb, Connor.“
 

„Ich dich auch, so sehr, dass ich mich manchmal frage, wie das möglich sein kann.“
 

Um 10:00, nach einigen äußerst niedlichen Nettigkeiten, ließ mich Connor endlich aufstehen und ich ging ins Bad, wo ich mich in die Wanne sinken ließ. Das Schuldgefühl war geblieben und es schien auch nicht mehr weg zu gehen. Ich fühlte mich verantwortlich an seiner Situation, warum auch immer. Wäre Nicky nur halb so drauf mir gegenüber wie Connor, ich hätte wahrscheinlich schon längst einen Freund. Bei meinem besten Freund musste ich nichts machen, nur da sein. Er hatte mir sogar frische Handtücher ins Bad gebracht, mich nach meinen Shampoo-Wünschen fürs nächste Mal gefragt und war losgezogen, um uns etwas vom Chinesen zu holen. Warum checkte der Typ, auf den er stand, eigentlich nicht, was er da verpasste? Ich konnte mir zwar kaum vorstellen, dass er sich noch mehr aufopfern konnte, als für mich, denn das hätte bedeutet, er würde nur für den Kerl existieren, aber wenn er sich ähnlich bemühte, dann… Ja was dann eigentlich? Es würde bedeuten, dass er weniger Zeit für mich hatte. Das versetzte mir einen kleinen Stich.
 

Kaum war ich aus der Wanne gestiegen und angezogen, schlug mir auch schon der Duft von Essen entgegen. Im Wohnzimmer erwarteten mich mehrere Suppen, dazu Teller mit Reis, Ente, Rindfleisch und anderem Krams.
 

„Setz dich inzwischen, ich hole noch eben was zu trinken. Was magst du denn?
 

„Hast du Cola da?“
 

„Natürlich.“
 

Ich ließ mich auf einen der Stühle fallen und häufte mir verschiedenste Sachen auf meinen Teller auf während Connor mir ein großes Glas mit Cola zuschob. Er setzte sich neben mich und schnappte sich ein wenig Ente mit Reis. Nachdem wir uns guten Appetit gewünscht hatten, haute ich rein und es schmeckte köstlich. An das Essen konnte ich mich glatt gewöhnen.
 

„Darf ich dir noch eine Frage stellen, Connor?“
 

„Hm?“ Er hob die rechte Braue in die Höhe und nippte an seinem eigenen Glas.
 

„Kenne ich ihn? Also den Typen, auf den du stehst?“
 

„Ich denke ja“, nickte er und stocherte in seinem Essen herum.
 

„Ist es dieser David?“
 

„Nein. David und ich sind nur gute Freunde. Er ist nett und alles, nur in manchen Dingen noch melodramatischer als ich und das will etwas heißen.“ Dabei stahl sich ein Grinsen auf Connors Lippen.
 

„Und…“ Mir klopfte das Herz bis zum Hals, bei der Frage. „Nicky ist es auch nicht?“
 

„Der am allerwenigsten.“ Das Grinsen wurde dünner.
 

„Okay, und… Caleb?“
 

„Nahe dran, Danny.“ Connor spießte etwas Ente auf seiner Gabel auf und versteckte sein Gesicht gleich darauf hinter seinem Cola-Glas.
 

„Magnus?“
 

Mein Gegenüber verschluckte sich und klopfte sich auf die Brust. Volltreffer, oder? Der Hustenanfall trieb Connor die Tränen in die Augen und er brauchte geschlagene zwei Minuten um sich zu beruhigen, nur um dann heiser lachend den Kopf zu schütteln.
 

„Also nicht?“
 

„Gott bewahre, vorher erschieße ich mich.“
 

„Ich dachte ihr seid Freunde?“
 

„Das wäre übertrieben. Magnus und ich kennen uns einfach über David.“
 

„Und warum willst du ihn nicht? Er wird ja sowieso frei, wenn das mit Nicky und Caleb wirklich auffliegt?“
 

„Weil er absolut konträr zu dem steht, was ich möchte. Mein Freund soll süß sein, niedlich, ein wenig naiv vielleicht, noch unschuldig und nicht… jedenfalls nicht so wie Magnus.“
 

„Das heißt?“, bohrte ich nach.
 

„Vertrau mir einfach, wenn ich sage, er passt nicht zu mir.“
 

Damit war dieses Thema auch abgeschlossen, so wie Connor diesen letzten Satz betont hatte. Ich seufzte innerlich und widmete mich wieder dem Essen. Aus diesem sturen Esel etwas herauszubekommen war ja wirklich schwieriger als gedacht. Vielleicht heute Abend nochmal.
 

„Ich räume mal eben auf, du kannst ja inzwischen Playstation spielen. Später könnten wir dann noch einmal ins Kino gehen, oder ein Eis essen oder keine Ahnung. Außer du möchtest schon nach Hause.“
 

„Wie lange hat Caleb denn gesagt, darf ich bleiben?“
 

„Das restliche Wochenende.“
 

„Und Schule und die Tiere?“
 

„Er kümmert sich darum und wegen der Schule, wir können später noch Sachen abholen, sofern du deine Hausaufgaben noch nicht gemacht hast. Ich helfe dir auch dabei.“
 

„Hurra!“ Ich sprang auf und fiel Connor um den Hals, der mich kurz drückte und dann auf die Couch bugsierte. Noch ein tolles Wochenende!

Neben Connor aufzuwachen war ganz anders als bei Nicky. Ich hatte manchmal das Gefühl er würde wachliegen und nur darauf warten, dass ich die Augen aufmachte. Dieses sanfte Lächeln, dazu die zärtlichen Gesten und dieser Blick, als wäre ich das siebte Weltwunder. Connor ließ mich auch nahezu nichts machen, wie auch das letzte Mal: Mir wurde Frühstück ans Bett gebracht, meine Essenswünsche berücksichtigt, ich durfte das Fernsehprogramm aussuchen, auf der Playstation spielen was ich wollte, alles – das war schon fast zu perfekt. Etwas in mir regte sich. Es war ein seltsames Gefühl, schwer zu beschreiben; jedenfalls hing ich mittlerweile auch an Connor. Wir saßen gemeinsam am Küchentisch (heute hatte Connor was vom Inder geholt) als er sich räusperte.
 

„Danny?“
 

„Ja?“ Ich sah vom Essen auf und konnte meinen besten Freund dabei beobachten wie er unruhig an seinen Fingern herumzog.
 

„Schmeckt es dir?“
 

„Klar? Deswegen fragst du aber sicher nicht nach. Was ist los? Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.“
 

„Ich, ich…“ Seufzend stand er auf und stellte sich neben mich. „Danny, darf ich etwas machen?“
 

„Was denn?“ Meine Augenbrauen wanderten nach oben. Er verhielt sich schon wieder so komisch.
 

„Kannst du mal aufstehen?“
 

„Ehm, ja?“ Was hatte er denn vor? Ich stand also auf und Connor schob den Stuhl zurück, nur um sich darauf fallen zu lassen. Er legte beide Arme um meine Hüften und zog mich auf seinen Schoß um dann wieder an den Tisch heranzurücken.
 

„Kannst du so essen?“
 

Es war zugegebenermaßen ein wenig eng und unbequem, aber ich erreichte mein Mittagessen problemlos. Um seine Frage zu beantworten häufte ich mir etwas Curryreis auf die Gabel und aß weiter. Keine zwei Sekunden später kraulten mich Finger am Bauch und ich konnte sein Kinn auf meiner rechten Schulter spüren. Das war ja fast schon besitzergreifend was er da machte.
 

„Du weißt, dass es so anstrengend ist zu essen?“, fragte ich halbernst.
 

„Ja, ich weiß. Wenn es stört, höre ich auf.“ Connor schob mir die Hand unters Shirt und streichelte meine nackte Haut, knapp über dem Bauchnabel, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. So zu Essen war unmöglich. Ich ließ die Gabel auf den Teller sinken und seufzte leise.
 

„Wenn du doch mit mir schlafen willst…“, begann ich und schob mich demonstrativ ein wenig mehr auf Connors Schoß.
 

„Nein, ich will dich einfach nur in meiner Nähe haben.“
 

„Und das geht nicht von Gegenüber aus?“
 

„Nein“, stellte er fest.
 

„Und warum?“
 

„Weil…“ Connor zog seine Hand unter meinem Shirt hervor und griff in die Tasche seiner Jogginghose. „Mach die Hand auf“, flüsterte er mir ins Ohr.
 

„Wozu?“
 

„Mach einfach, bitte.“
 

Ich verdrehte die Augen und öffnete meine linke Hand. Connor drückte mir etwas Schweres in die Hand, das klimperte und noch etwas, das sich komisch nach Plastik anfühlte. Sobald er seine Finger wegzog, konnte ich auch erkennen, was ich da hielt: Ein Schlüssel mitsamt Anhänger, in den mein Name eingraviert war und dazu eine folierte Karte.
 

„Was ist das?“ Ich drehte mich umständlich mit dem Kopf zu Connor herum, der breit lächelte und mir einen Kuss auf die Wange verpasste.
 

„Dein eigener Wohnungsschlüssel und eine Jahreskarte für den Bus.“
 

Ich brauchte einen Moment um zu kapieren was er gerade gesagt hatte. Was? Genau das fragte ich ihn auch.
 

„Ich möchte, dass du einen zweiten Ort hast, wo du dich zurückziehen kannst. Wenn dir das mit Nicky und Caleb zu viel wird, oder du sonst Stress hast. Da du fürs Autofahren noch zu jung bist, und ich dich nicht immer abholen können werde, musst du halt auf den Bus ausweichen. Ich habe schon die Linien rausgesucht – es dauert eine Weile und du musst zweimal umsteigen, aber du kommst bis knapp vor die Wohnung. Es sind dann noch fünf Minuten Fußweg. Das Viertel ist auch sicher und die Straßen gut beleuchtet.“
 

„Aber Connor, dass…“ Ich war völlig perplex. Hatte er mir gerade echt einen Wohnungsschlüssel in die Hand gedrückt? Dazu noch eine Buskarte? Die Dinger waren sauteuer, das wusste ich, weil uns unsere Lehrerin mal einen zehnminütigen Vortrag darüber gehalten hatte, was wir uns ersparen würden, wenn wir so ein bescheuertes Formular ausfüllten, damit wir so eine Buskarte für den Schulweg bekamen.
 

„Sch, Danny. Du bist mittlerweile der wichtigste Mensch in meinem Leben. So einen Freund wie dich hatte ich noch nie. Am liebsten würde ich jede Sekunde mit dir verbringen. Heimzukommen und zu wissen, dass du zuhause bist würde mich glücklich machen. Wenn es nach mir ginge, dann könntest du auch einziehen, mit Leo und Klein-Nicky. Hauptsache du bist um mich herum.“ Er hielt kurz inne um seine Wange gegen meine zu reiben und mich fest in die Arme zu schließen und fuhr dann fort: „Ich weiß nicht womit ich dich verdient habe, aber ich werde dich nicht im Stich lassen, Danny, niemals. Alleine dir schon beim Schlafen zuzusehen raubt mir fast den Verstand. Erinnerst du dich noch daran, als du mich gefragt hast, was mir Tai Kui zeigen würde, meine größte Angst?“
 

Ich nickte völlig überrumpelt.
 

„Meine größte Angst ist, dass du mich verlässt. Weggehst, weil ich einen Fehler mache. Das würde ich nicht aushalten. Für dich stelle ich mich sogar dem Herrn der Furcht. Du bist jede Entbehrung wert, die ich auf mich nehme. Danny, wenn du nachdenkst, vielleicht dauert es noch ein wenig, dann begreifst du, was ich dir gesagt habe. Wenn es soweit ist, entscheide dich und egal wie du dich entscheidest, ich werde bei dir bleiben. O tantum te amo, ut ego moriar pro te.“
 

„Was heißt das letzte?“, fragte ich und schluckte hart.
 

„Das verrate ich dir nicht“, hauchte er und küsste mich flüchtig auf die Lippen.
 

„Wenigstens die Sprache?“, schmollte ich nach dem Kuss.
 

„Ich gebe dir einen Hinweis, okay?“
 

„Nur einen?“
 

„Nur einen“, nickte er. „Es war mal eine weit verbreitete Sprache, die sich über Europa, Asien und Afrika erstreckte.“
 

Ich rollte mit den Augen und seufzte frustriert. Wegen Connor musste ich am Ende noch im Geschichtsunterricht aufpassen.
 

„Nimmst du an?“
 

„Hm? Was?“
 

„Ob du den Schlüssel behältst und die Karte?“
 

„Willst du das denn wirklich?“ Ich drehte beide Gegenstände in meiner Hand und blinzelte mehrmals. Das war kein Scherz.
 

„Natürlich will ich.“ Connor vergrub sein Gesicht in meinem Nacken und drückte mich noch ein wenig fester an sich. „Ich will dich bei mir haben, neben dir wach werden, deinen Atem auf meiner Haut spüren und mich in diesen wunderschönen, rehbraunen Augen verlieren dürfen. Ich dachte einmal, es würde sie nicht geben, Perfektion, körperlich wie auch geistig, und doch habe ich sie gefunden. Dein Ritter sein zu dürfen, dich mit meinem Umhang zu wärmen, mit einem Schild zu beschützen und mit meinem Schwert für dich zu streiten; ein Wort von dir und ich mache es.“
 

Ich schloss die Augen und lehnte mich gegen Connor. Er spielte wieder mit seinen Lippen auf meiner nackten Haut herum und das verschaffte mir eine Gänsehaut.
 

„Warum bist du so kompliziert?“, murrte ich leise und schmiegte mich dabei an den Mund, der mir mittlerweile an der Wange hing.
 

„Weil ich dich sonst verlieren würde. Müsste ich im Styx baden und dabei an einen Ankerpunkt in der Welt denken, dann wärst das du. Odysseus hatte Recht: Es gibt etwas, wofür man sogar Unsterblichkeit und das Paradies verschmähen kann. Kun Lun zu betreten oder über die elysischen Felder zu wandeln ist nicht mehr notwendig, denn ich kenne dich und habe dich. Ohne dich wäre mein Leben sinnlos. Ich brauche dich, so sehr, dass es mir beinahe schon körperliche Schmerzen bereitet.“ Connor strich mit seinen Fingern an meinen Armen entlang, nahm mir den Schlüssel und die Karte ab und warf sie auf den Tisch, nur um unsere Finger dann miteinander zu verschränken.
 

„Du kannst alles von mir haben, die Wohnung, den Porsche… Wenn ich könnte, ich würde dir sogar meine Jungfräulichkeit schenken, aber dafür ist es zu spät. Sag mir was du willst und ich erfülle dir jeden Wunsch.“
 

Ich biss mir auf die Unterlippe und versteifte mich dabei unwillkürlich. Connor klang so verträumt, so verzweifelt, so glücklich und dabei so traurig. Das machte mich fast wahnsinnig. Er war zu perfekt. Wenn er mit seinem besten Freund so umging, was würde er mit einem festen Freund erst anstellen? Da kam mir ein Gedanke.
 

„Connor?“, fragte ich und rückte mit dem Kopf etwas von ihm weg.
 

„Hm?“ Er zuckte zusammen als ich mich von ihm entfernte.
 

„Wenn du mir alles gibst, dann hast du ja nichts für deinen Freund?“
 

„Lass das meine Sorge sein. Was wünschst du dir also? Möchtest du mit dem Porsche eine Runde drehen? Eine Playstation für zuhause? Einen großen Fernseher? Sag es mir und ich verspreche dir, egal welchen Wunsch du hast, ich erfülle ihn dir.“
 

„Jeden Wunsch?“, grinste ich unheilvoll.
 

„Jeden“, bestätigte er nickend.
 

„Sogar wenn ich dich frage, ob du mit mir schläfst? So wie ich will?“
 

Zu meiner großen Überraschung nickte er.
 

„Einfach so?“, wollte ich misstrauisch wissen.
 

„Nein, nicht einfach so.“ Connor rückte mit seiner Wange wieder an meine heran. „Ich habe aufgegeben mich dagegen zu wehren. Ja, Danny, ich will mit dir schlafen.“
 

„Und warum auf einmal?“
 

„Das erkläre ich dir nicht. Reicht es dir, dass ich es mache?“
 

Ich überlegte kurz. Reichte mir das? Connor war so komisch. Ich wollte ja mit ihm schlafen, sehr sogar, denn er war mein Übungspartner und bester Freund, aber es machte mich ein wenig stutzig, dass er sich so sehr drehte.
 

„Jetzt gleich?“, fügte ich an.
 

„Möchtest du?“
 

Ich zögerte. Er tat sogar das für mich und dabei war ich mir sicher, dass er nicht wirklich wollte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, wie auch schon gestern und starrte auf den Schlüssel und die Jahreskarte auf dem Tisch. Mir schlug das Herz bis zum Hals und meine Wangen glühten. Sollte ich?
 

„Ja“, bestätigte ich.
 

„Gut, dann gib mir einen Moment. Du kannst schon einmal ins Zimmer gehen.“ Damit entließ er mich auch aus der Umarmung.
 

„Und was machst du inzwischen?“, fragte ich beim Aufstehen.
 

„Aufräumen. Ich komme gleich nach.“ Sein Lächeln war ein wenig aufgesetzt.
 

„Gut, dann bis gleich!“ Mit zitternden Fingern drückte ich die Tür auf und ließ mich aufs Bett fallen.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ich brachte Danny am nächsten Abend heim. Der Tag war insgesamt ruhig verlaufen. Danny war aufgeweckt wie immer, auch wenn ich ihm anmerkte, dass er enttäuscht war. Er hatte sich von dem missglückten Versuch der passive Teil zu sein viel zu sehr verunsichern lassen. Ich gab mir ehrlich gesagt auch ein wenig die Schuld daran. Hätte ich mich nicht hinreißen lassen… Nein, das war nicht meine Schuld, versuchte ich mir zumindest einzureden. Danny hatte es gewollt, weil er unbedingt auf diesen Nick vorbereitet sein musste. In mir zog sich alles zusammen, wenn ich diesen Namen bloß hörte. Ich krallte meine Hände ins Lenkrad und blendete Dannys Geplapper aus. Auch wenn er nichts dafürkonnte, ich mochte diesen Jungen nicht, dabei kannte ich ihn kaum. Ich war rasend eifersüchtig. Dannys ganzes Leben schien sich nur um diesen Nick zu drehen und er beachtete ihn gar nicht. Wie konnte man nur so bescheuert sein und jemanden wie Danny in einem Club alleine lassen? Vielleicht war ich auch zu überprotektiv (was ich ganz sicher war), aber Danny war so naiv und hilflos, dass konnte doch nicht nur ich sehen, oder? Ich hatte jedenfalls seit gestern Abend einen Entschluss gefasst, den ich auch in die Tat umsetzen wollte.
 

Nachdem ich Danny zuhause abgesetzt hatte (der sich sehr zu meiner Freude mit einem Kuss verabschiedet hatte), drehte ich noch eine kleine Runde mit dem Auto, um dann die gleiche Strecke erneut zu fahren. Nur dass ich dieses Mal nicht auf den Hof abbog, sondern den Wagen in einiger Entfernung stehen ließ und die letzten Meter zu Fuß machte. Ich schaute noch einmal über die Schulter, um sicherzugehen, dass in Dannys Zimmer kein Licht brannte, und auch nicht in der Küche, und drückte dann auf die Klingel. Zu meiner Enttäuschung machte mir nicht Nick die Tür auf, sondern eine ungeschminkte Frau, anfangs ihrer Dreißiger und mit haselnussbraunen Locken. Sie war kleiner als ich und schaute fragend zu mir herauf, wirkte dabei aber nicht unfreundlich. War das Nicks Mutter?
 

„Ähm, Verzeihung, dass ich noch so spät störe. Ich bin Connor und ein Freund von Danny und eine Bekanntschaft von Nick. Ist Nick zuhause?“
 

Das klang sogar in meinen Ohren bescheuert, aber die Frau lächelte warm und bot mir ihre Hand an, die ich ergriff und schüttelte.
 

„Ja, Nick hat von dir erzählt und Caleb auch. Ich bin Lilly, freut mich dich kennenzulernen.“
 

„Gleichfalls“, lächelte ich zurück, wobei mir ein wenig mulmig zumute wurde. Sie hatten von mir erzählt? Nach dem Fiasko auf Olivias Geburtstagsfeier konnte das nichts Gutes gewesen sein. So wie Lilly reagierte, musste sie das entweder geflissentlich übergangen sein oder ich dichtete beiden mehr Schlechtigkeit an, als sie verdient hatten.
 

„Nick ist oben in seinem Zimmer. Ist mit Danny etwas?“ Dieser besorgte Unterton war nicht gespielt. Wenn sie Nicks Mutter war, hatte er wohl ihre fürsorgliche Art nicht von ihr geerbt.
 

„Nein, nichts Schlimmes. Ich müsste mich nur mal mit Ihrem Sohn unterhalten“, bog ich mir die Wahrheit höflich zurecht.
 

„Nick ist nicht mein Sohn, ich bin nur seine Stiefmutter“, stellte sie klar, wirkte dabei aber kein bisschen beleidigt, eher belustigt.
 

„Das hätte mich auch gewundert. Sie sehen dafür viel zu jung aus.“ Dieses Honig ums Maul schmieren konnte ich recht gut und Lilly errötete ein wenig.
 

„Ähm, danke.“
 

„Sie sagten Nick sei in seinem Zimmer? Oben?“, lenkte ich das Gespräch auf das für mich Essentielle.
 

„Ja, ist nicht zu verfehlen. Er hat ein Namensschild an der Tür.“
 

„Vielen Dank“, lächelte ich, schlüpfte aus den Turnschuhen und ging nach oben. Tatsächlich war Nickys Zimmer nicht zu übersehen – das Namensschild war groß genug. Ich blieb vor der Tür stehen und zögerte anzuklopfen. Was sollte ich ihm sagen? Dass er sich gefälligst um Danny kümmern sollte? Seine Gefühle erwidern? Ich ihm sonst die Hölle heiß machen würde? Was ging mich das eigentlich an? Ich liebte Danny ja, und Nicky jetzt den Kopf zu waschen, dass er Gefühle für ihn entwickeln sollte, war auch bescheuert. Die Entscheidung wurde mir abgenommen, denn der Zimmerbesitzer öffnete selbst die Tür und starrte einen Moment lang an mir hoch, ehe er nach hinten stolperte und unsanft auf dem Hintern landete.
 

„Sag mal spinnst du?“, fauchte er mich an. „Was machst du überhaupt hier?“
 

Meine Augenbrauen wanderten nach unten und ich hatte das erste Mal wirklich Zeit Nicky zu mustern. Er war deutlich kleiner als ich, zierlich, mit langen blonden Haaren (was ich bei Typen sowieso hasste) und in mir stieg kurz die Assoziation mit einem Elfen auf. Nicht, dass er hässlich gewesen wäre, nur einfach nicht mein Typ.

Ich betrat ungefragt das Zimmer und hielt ihm meine Hand hin. „Schlechtes Timing, was?“
 

Meine dargebotene Hand wurde misstrauisch beäugt und auch ignoriert. Nicky stand auf bedachte mich mit einem genervten Blick. Da hatte ich wen wohl auf dem falschen Fuß erwischt. Tolle Voraussetzung für das Anstehende.
 

„Wenn ich dich rauswerfe, gehst du dann?“, fragte er mich und bedachte mich mit einem giftigen Blick.
 

„Nein, nicht, bevor wir geredet haben“, antwortete ich und musste dabei ein Lachen unterdrücken. Da hatte er wirklich miese Laune.
 

„Und worüber? Hat Danny etwas ausgefressen? Oder willst du mir sagen, dass er zu anstrengend wird?“
 

Ich schob die Hände in die Taschen meiner Trainingshosen und sah mich um. Das Zimmer war klein und ich konnte auch erkennen, woher Danny sein Faible für miserable Shirts hatte, aber ansonsten wirkte es gemütlich.
 

„Hey, ich rede mit dir? Hast du noch nie ein Jugendzimmer gesehen oder was ist mit dir los?“
 

„Nichts“, murmelte ich und drückte die Tür mit dem Fuß zu. „Du hast aber richtig geraten. Es geht um Danny.“
 

Ich rechnete damit, dass Nick mich noch mehr angiftete, aber zu meiner großen Überraschung ließ er sich aufs Bett fallen und seufzte. „Was hat er denn?“

„Er nicht, aber ich.“
 

Damit hatte ich die Neugierde meines Gesprächspartners geweckt, der sich sogar dazu herabließ vom Bett aufzuschauen.
 

„Und was?“
 

„Ich möchte gerne von dir wissen, wie realistisch du Dannys Chancen bei dir einschätzt.“
 

Für einen Moment sah Nick so aus, als würde er vom Bett aufspringen wollen und ich ging von einer wüsten Schimpftirade aus, aber auch hier wurde ich enttäuscht. Er sah zwar so aus als läge ihm etwas auf der Zunge, dass er sich dann aber wohl schlussendlich verkniff.
 

„Warum bindet er dir das auf die Nase?“
 

„Weil ich sein bester Freund bin.“
 

„Aha? Seit wann?“
 

„Seitdem er sich in dich verliebt hat, schätze ich.“
 

Stille von beiden Seiten. Ich nutze die Zeit um mich weiter im Zimmer umzusehen und mir die nächsten Worte zurechtzulegen. Was ich hier machte war absoluter Wahnsinn. Ich ging zu dem Kerl, auf den mein eigener stand und wollte ihn dazu überreden, dass er ihn von diesem Kurs abbrachte, dass er ihm weh tat.
 

„Ich habe Danny doch gesagt, dass ich nichts von ihm will. Ich mag ihn, aber nur als Freund.“ Nick klang nicht verzweifelt, auch nicht genervt, eher etwas dazwischen. Sein Gesichtsausdruck passte auch dazu.
 

„Das scheint er nicht zu begreifen“, stellte ich nüchtern fest und ballte meine Hände in den Hosentaschen zu Fäusten. Ich tat mir noch immer schwer damit Nick einzuschätzen. Dannys Erläuterungen nach war er ja der perfekte Mensch oder nahezu und begehrenswert. Wenn ich zu viel ausplauderte konnte das nach hinten losgehen. Caleb war nicht gut auf mich zu sprechen und wenn Nick ihm auf die Nase band, dass ich mit seinem Bruder schlief, war eine Anzeige wohl mein kleinstes Problem.
 

„Liegt er dir damit in den Ohren? Wenn du glaubst, dass ich das jetzt abstelle, dann hast du dich aber geschnitten. Das ist dein Problem.“
 

„Es ist auch deins, denn Danny ist absolut verschossen in dich.“ Ich zögerte und nahm innerlich meinen ganzen Mut zusammen. „Er ist bereit alles für dich zu tun. Er schläft sogar mit mir, damit er vor dir gut dastehen kann.“
 

In mir verkrampfte sich alles als der letzte Satz meine Lippen verließ. Ich hielt den Atem an. Damit hatte ich Nicky ein Druckmittel gegeben. Er hätte es aber sicher irgendwann von Danny erfahren, spätestens wenn sie miteinander im Bett landeten. Bei diesem Gedanken wurden die Fäuste in meinen Taschen noch ein wenig fester geballt.
 

„Das ist ein Scherz, oder?“ Nicks Gesichtsausdruck sprach Bände. Er hoffte wohl, dass ich nun ja sagen würde.
 

„Nein“, schüttelte ich den Kopf. „Ich weiß auch von seinem ersten Blowjob bei dem Türsteher und auch, dass er sowas bei dir gemacht hat.“ Ich bemühte mich nicht vorwurfsvoll zu klingen und mir in Erinnerung zu rufen, dass das alles noch Kinder waren. Naive, dumme Kinder, die ihre Handlungen nicht vollständig begreifen konnten.
 

„Er hat es dir erzählt?“ Nickys Gesicht zierte eine sanfte Röte, die sich bald in ein zorniges Rot verwandelte.
 

„Ja, aber das ist unwichtig…“
 

„Ist es nicht!“, fuhr er mir ins Wort. „Das sind private Dinge und dich geht das nichts an.“
 

„Tut es nicht, nein“, gab ich zu.
 

„Und du schläfst mit ihm? Warum? Spinnst du?“
 

„Wahrscheinlich. Ob du es glaubst oder nicht, aber ich bin verliebt in Danny, so wie er in dich.“ Ich winkelte mein rechtes Bein an und tippte mit den Fußspitzen gegen den Boden. „Er war so verzweifelt und ich konnte ihm den Wunsch einfach nicht ausschlagen. Nur ändert es nichts. In seinem Kopf existierst nur du. Egal was ich mache, sein erstes und sein letztes Wort am Tag ist dein Name.“
 

Das saß. Vielleicht hatte er von diesem ganzen Wahnsinn nur wenig mitbekommen? Wer konnte es ihm auch verdenken? Danny war unberechenbar und diese Mitleidsnummer hatte er drauf. Dazu hatte Nick wahrscheinlich eigene Probleme. Ich hätte dafür wohl auch keinen Kopf gehabt. War mir auch gerade herzlich egal – nicht meine Sache. Mir ging es um Danny.
 

„Du weißt schon wie krank sich das anhört?“, fragte Nicky mit einem Hauch von Bissigkeit in der Stimme.
 

„Es ist auch krank. Danny hat mich mehr oder weniger erpresst. Wenn ich nicht herhalte, würde er zu Magnus gehen. Ich weiß nicht inwieweit du mit ihm Bekanntschaft gemacht hast, aber ich will nicht, dass Danny mit ihm in Berührung kommt. Daher habe ich mich notgedrungen geopfert.“
 

Das war natürlich nur die halbe Wahrheit. Mein Körper hatte es gewollt, wie auch mein Geist, wenn auch nicht so.
 

„Er zieht bei dir diese Nummer also auch ab? Das ist manipulativ und zwar in höchstem Maße.“
 

„Ist mir schon klar. Jedenfalls hat mir das gereicht, dass ich mich dazu bereiterklärt habe, sein Übungspartner zu werden. Dumme Idee, ich weiß, aber wir sind an einem Punkt angelangt, wo es kein Zurück mehr gibt. Der Einzige der Danny wachrütteln kann bist du.“
 

Ich appellierte an die Vernunft und das Verantwortungsbewusstsein eines 16-jährigen, der nichts davon zu besitzen schien. Ich hatte ja nicht nur Danny als Quelle, sondern noch jemand anderen, aber der war auch kaum objektiv.
 

„Und was soll ich deiner Meinung nach machen? Ihm sagen, dass ich ihn abstoßend finde? Das kann ich nicht, sonst ist er verletzt.“ Das klang beklemmt. Vielleicht war Nick ja doch ein besserer Mensch als angenommen?
 

„Lass das meine Sorge sein. Wenn er begreift, dass du ihn nicht willst, dann wird er zwar am Boden zerstört sein, aber das bekomme ich schon kompensiert. Danny vertraut mir.“
 

Nick beäugte mich misstrauisch.
 

„Deine Probleme wären gelöst und Danny hätte einen guten Freund, sofern er sich von dir lösen kann.“
 

„Und da soll funktionieren? Das glaubst du doch selbst nicht.“
 

„Ich hoffe einfach, dass es so funktioniert. Die Alternative wäre, dass Danny an der Situation zerbricht und ich auch.“
 

Wieder betretenes Schweigen. Das Gespräch war bis hierhin besser gelaufen als gedacht. Er schien wirklich einen Hauch Vernunft zu besitzen. Das war gut, sehr gut sogar. Ich stand zwar noch immer auf dünnem Eis, aber es fühlte sich fester an als noch vor fünf Minuten. Nick setzte sich in Schneidersitzposition auf und legte die Hände in den Schoß.
 

„Er muss echt verzweifelt und verliebt sein, wenn er dich ranlässt.“
 

„Ich nehme das mal als nüchterne Feststellung auf, ja?“
 

„Dünnhäutig?“ Dabei stahl sich ein Grinsen auf seine Lippen.
 

„Eher besorgt und auf das Ziel fokussiert“, korrigierte ich ihn. „Denkst du, du bekommst es hin, Danny abblitzen zu lassen?“
 

Die Tatsache, dass er nicht sofort Ja sagte, ließ mich böses erahnen. Wahrscheinlich war Danny weit weniger kompliziert als Caleb und leichter zu manipulieren auf jeden Fall. Es musste verführerisch sein den einen Bruder gegen den anderen auszutauschen. Das würde ich aber mit aller Macht verhindern. Wenn Nick Danny auch liebte, konnte ich nichts dagegen machen, aber nur aus Bequemlichkeit heraus würde ich ihn nicht aufgeben. Niemals. Ich hatte ihm versprochen immer bei ihm zu sein und ich hielt meine Versprechen.
 

„Was habt ihr überhaupt gemacht?“, wollte Nick mit einer Spur Neugierde in der Stimme wissen.
 

„Knutschen, blasen, fingern, normaler Sex?“ Caleb würde mich sowieso umbringen, wenn sich Nick als Ratte erwies, also konnte ich auch mit der ganzen Wahrheit herausrücken.
 

„Du hast Danny gevögelt?“
 

„Nein. Wir haben es versucht, aber er ist viel zu nervös und auf dich fixiert. Er hat Schiss sich zu blamieren und glaubt, du willst ihn nicht, weil er keine Erfahrung hat. Weiter ins Detail gehe ich nicht.“
 

An die Schuldgefühle von jemandem zu appellieren war eine gute Taktik. Wenn die Person nicht komplett frei von jeglicher Empathie war bekam man sie herum. In meiner Anfangszeit beim Job hatte ich das öfter gemacht um mir einen Bonus herauszuschinden. Dass ich so skrupellos war erschreckte mich zwar ein wenig, aber es ging um Danny.
 

„Und was soll mich davon abhalten, dass ich es Caleb erzähle? Ich meine du bekämst riesigen Ärger.“
 

„Weil du genauso in diesem Boot sitzt wie ich, Nick. Wir beide mögen Danny, nur liebt er wohl den Falschen.“
 

„Hey, was soll das heißen?“, meckerte er.
 

„Dass ich die bessere Wahl für Danny bin. Nichts gegen dich, aber du bist jung und auf Abenteuer aus, soweit ich das beurteilen kann. Dein Lebensstil geht mich auch nichts an und ich glaube auch nicht alles, was man mir über dich erzählt hat, nur braucht Danny jemanden, der auf ihn aufpasst, ihn behütet und beschützt. Das kann ich besser als du. Ich muss nur an den Club denken, und du auch, und wir haben schon die Antwort.“
 

Das saß erneut. Nick machte ein betretenes Gesicht, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, ehe er es hinter einer Maske versteckte, die schwer zu deuten war. Der Junge hatte etwas an sich – ich verstand Caleb auch ein wenig, dass er ihn mochte. Er war sicher schwierig und hatte nur Scheiße im Schädel, wenn man ihn aber ein wenig auf Kurs hielt, konnte Nick ein brauchbarer Freund sein. Das klang alles so hochtrabend; er wäre für Danny auch ein guter Freund gewesen, aber anders als ich und früher oder später auf die schiefe Bahn geraten.
 

„Ist gut, ich versuchs.“
 

„Versuchen reicht nicht. Du musst Danny weh tun, so schwer es dir auch fällt. So weh tun, dass er nichts mehr von dir will. Ich bügle das schon aus, er wird nachher auch mit dir wieder reden, versprochen, nur so ist das kein Dauerzustand.“
 

„Du stellst dir das auch verdammt einfach vor.“
 

„Tue ich. Du bist vielleicht zu jung um das zu begreifen, aber ich liebe Danny wirklich. Ich will ihn bei mir haben, um mich, ihn vielleicht sogar ein wenig erziehen, aber vor allem sein Freund sein. Er soll zu mir mit seinen Problemen kommen, mit seinen Sorgen und Nöten und auch mit seinen Wünschen. Mein Leben dreht sich um Danny und ich werde alles tun damit es ihm gut geht. Wenn du mir nicht hilfst, dann zerbricht er an der Situation und nicht einmal ich kann ihm helfen. Es war schon ein ganzes Stück Arbeit die Sache aus dem Club aufzuarbeiten. Hilf mir und du hast was gut bei mir.“
 

„Und was soll das sein?“
 

„Ich könnte versuchen Magnus und Caleb auseinanderzubringen.“ Dabei bemühte ich mich beiläufig zu klingen. Ich wusste nicht inwieweit Nick diese ganze Nummer tolerierte. Seiner Reaktion nach zu urteilen eher nicht.
 

„Davon weißt du auch?“
 

„Natürlich weiß ich davon. Ich bin der beste Freund deines besten Freundes und obendrein ein… Bekannter von Magnus. Ja, ich denke das trifft es ganz gut. Außerdem sind David und ich befreundet. Zwangsläufig weiß ich also Bescheid.“
 

Ich kratzte mich am Ohr und wartete auf die Antwort meines Angebots. Das würde eine Heidenarbeit werden und der Erfolg war nicht sonderlich sicher, aber es war einen Versuch wert.
 

„Na von mir aus.“
 

„Dann gehe ich davon aus, dass dieses Gespräch offiziell nie stattgefunden hat?“
 

„Und was soll ich Caleb erzählen, wenn er fragt was du hier gemacht hast? Und Danny?“
 

„Lüg einfach. Das hast du wegen der Nummer im Club auch gut hinbekommen.“
 

Ich drehte mich um und schob die Hand wieder in die Hosentasche. „Bis dann, Nicky. Ich hoffe, das nächste Mal ist anders.“
 

Damit ging ich nach unten, verabschiedete mich freundlich bei Lilly, die aus dem Wohnzimmer herauskam, als sie meine Schritte hörte und machte mich auf den Weg zum Auto. Das konnte in einem absoluten Fiasko enden oder gut gehen – bei meinem Glück wohl Ersteres. Am Ende musste ich mir aber nicht vorwerfen nicht über meinen Schatten gesprungen zu sein.

Caleb schwieg sich weiterhin aus, was mich nicht sonderlich störte. Wir kamen gut miteinander zurecht und erledigten die Arbeiten gemeinsam. Er hatte auch kein einziges Wort über mein Wochenende bei Connor verloren. Das machte mich zwar ein wenig stutzig, aber ich verkniff mir jeglichen Kommentar. So wie es gerade war hielt ich es für erträglich. Was mich wirklich freute war, dass Nicky sich gemeldet hatte. Wir könnten ja wieder einmal einen Filmeabend machen. Ich sehnte den Freitagabend schon herbei. Jeden Tag auf dem Kalender abzuhaken kam mir ein wenig zu kitschig vor, so zählte ich einfach gedanklich, wie oft ich noch schlafen musste, bis es soweit war.
 

Mit kribbelnden Fingern und einer Tüte Microwellenpopcorn bewaffnet, stand ich um 20 Uhr vor Nickys Haus. Ich wischte mir die Turnschuhe an dem Fußabtreter ab und klingelte dann. Es hatte ein wenig zu regnen begonnen. Das war sehr gut! Dann hatte ich eine Ausrede um bei Nicky schlafen zu dürfen. Ich trat von einem Bein auf das andere und wartete ungeduldig bis Lilly die Tür aufmachte und mich freundlich begrüßte. Nicky sei bereits oben und warte auf mich. Ich schenkte ihr ein breites Lächeln, schlüpfte aus den Schuhen und stürmte nach oben. Nicky hatte inzwischen einen kleinen Fernseher in sein Zimmer bekommen, genauso wie den DVD-Player aus dem Wohnzimmer. Wir würden also komplett ungestört sein.
 

Nicky saß auf dem Bett, in einem viel zu weiten, ausgeleierten, schwarzen T-Shirt und bequemen Kuschelhosen. Als er mich sah grinste er schief.
 

„Man kann dich kaum überhören“, meinte er.
 

„Hey, Nicky! Schön, dass du Zeit hast!“, entgegnete ich freudestrahlend und ließ mich ungefragt neben ihn aufs Bett fallen. „Hast du eine Schüssel oder sowas da, oder willst du das Popcorn aus der Tüte essen?“
 

„Mir egal. Was willst du denn gucken? Such dir was aus.“
 

Ich warf Nick, der sich lautstark darüber beschwerte, die Popcorntüte in den Schoß und durchforstete die DVD-Hüllen, die verstreut auf dem Boden lagen. Ein besonders sinnlos brutal wirkender Film, mit einem Zombie, dem gerade eine vermummte Gestalt den Schädel mit einer Kettensäge zerteilte, war meine endgültige Wahl, die ich auch gleich in den DVD-Player schmiss und mich dann wieder neben Nicky setzte. Ich vermied es ihn direkt anzuschauen, es reichte schon neben ihm zu sitzen, damit mein Puls sich beschleunigte und ich dieses Gefühl von Verliebtsein im Bauch hatte. Er riss die Popcorntüte auf, bediente sich freizügig und meinte zu mir, Cola und Gläser stünden auf der Fensterbank, falls ich Durst bekommen würde. Wir griffen beide zeitgleich in die Tüte und ich musste lächeln als sich unsere Hände dabei berührten. Nicky seufzte nur genervt und schob meine Hand aus der Tüte.
 

„Pack deine Griffel ein. Trink lieber etwas von der Cola.“
 

„Mein Popcorn“, grinste ich breit und schob mir demonstrativ eine kleine Hand voll davon in den Mund.
 

„Mein Fernseher, meine DVD, mein Zimmer“, konterte er und ich gab mich geschlagen.
 

Ungefähr bei der Hälfte des Films, dessen Handlung, sofern man sie als solche bezeichnen mochte (es war nicht ganz klar wer der Böse war, die Zombies oder der Typ mit der Kettensäge), wagte ich es mich gegen Nicky zu lehnen. Dieser schubste mich nicht weg, nicht einmal, als ich meinen Kopf auf seine Schulter legte und mich wieder am Popcorn bediente. Das war als Sieg zu verbuchen! Ich schloss die Augen und sog Nickys Duft ein. Er roch… so wie Nick eben, schwer zu beschreiben.
 

„Einpennen gilt nicht.“ Ich spürte einen Ellenbogen in meinen Rippen und kicherte. „Ich mein das ernst, Danny.“
 

Lachend öffnete ich die Augen und rückte mit dem Gesicht näher an das von Nicky heran. „Der Film ist doch bescheuert. Kannst du mich nicht wieder küssen?“
 

„Nein“, war Nicks knochentrockene Antwort.
 

„Ach komm schon, Nicky, bitte. Ich bin auch viel besser geworden! Ich habe sogar geübt.“
 

„Ich weiß.“
 

Hatte ich mich verhört? Ich blinzelte perplex und rückte ein wenig von Nick weg. Was?
 

„Tu nicht so überrascht, Danny. Dein Freund war letzte Woche bei mir.“
 

Moment, was? Ich brauchte einen Augenblick, um zu verarbeiten, was Nicky mir da gerade erzählte.
 

„Wie meinst du das?“
 

„So wie ich es gesagt habe.“ Er griff wieder in die Tüte und fischte die letzten Popcornstücke heraus.

„Connor war bei mir.“
 

„Und was hat er gewollt?“
 

„Dass ich dich abblitzen lasse, wenn du mir wieder auf die Pelle rückst.“
 

In mir zog sich alles zusammen. Das war ein schlechter Scherz, oder? Ich wollte laut auflachen und Nicky gegen die Schulter boxen, ihn auffordern, dass er mich nicht veräppeln solle, aber das klang nicht sonderlich gekünstelt.
 

„Du meinst das ernst, oder?“
 

„Natürlich meine ich das ernst, Danny. Ich weiß alles.“ Nicky stellte die Tüte ab und wandte sich mir zu. „Absolut alles.“
 

„Was? Alles?“ Ich zog nervös an meinem T-Shirt und meine Wangen brannten unangenehm. Mir war klar, dass ich es Nicky irgendwann sagen musste, aber erst, wenn wir miteinander geschlafen hatten und er mir dabei gesagt hatte, dass ich gut gewesen war.
 

„Alles, Danny. Ich weiß, dass ihr miteinander gevögelt habt. Connor hat mir alles erzählt.“
 

Ich schluckte hart und fuhr mir durch die Haare. Was hatte Connor geritten, dass er mit Nicky gesprochen hatte, vor allem darüber?
 

„Jetzt spiel ja nicht den Traurigen, Danny. Wie lange hättest du das denn noch gemacht? Bis ich dich rangelassen hätte?“ Nicky klang dabei ziemlich ruhig und auch neutral, nicht mal vorwurfsvoll, einfach sachlich.
 

„Ehm, ja?“, gab ich zu und fühlte mich in die Ecke gedrängt.
 

„Du spinnst ja“, lachte mein Schwarm und schüttelte den Kopf. „Danny, das hatten wir doch schon mal. Ich mag dich, wirklich, als Freund, als bester Freund sogar, aber nicht so. Ich bin mit Caleb zusammen.“
 

„Ach, das funktioniert doch nicht. Caleb will noch immer was von Magnus“, warf ich die Hände in die Höhe und ballte sie dann zu Fäusten. Connor war so ein Arsch. Warum hatte er Nicky von unseren Übungseinheiten erzählt? Ich hatte ihm hoch und heilig versprechen müssen es niemandem zu sagen und er?
 

„Und selbst wenn, dann will ich noch immer nichts von dir. Kapier das endlich, Danny, ich bin nichts für dich. Du bist wie ein kleiner Bruder, aber nicht mehr. Dafür gibt es aber jemand anderen der dich will.“
 

„Hör auf, Nicky. Ich will nur dich. Du bist mein bester Freund und ich hab dich lieb, so sehr, dass es mir weh tut. Außerdem gibt es niemanden“, murmelte ich und verdrückte mir dabei einige Tränen. Das war hart und es tat verdammt weh. Ich fühlte mich verletzt, sowohl von Nicky, als auch von Connor. Dazu dieses Vertrösten, es gäbe jemanden.
 

„Und mich bekommst du nicht. Niemals.“
 

Ich blinzelte die ersten Tränen weg und wischte mir mit dem Handrücken über die Nase. Mir war danach aus dem Zimmer zu stürmen und hätte es auch getan, wäre mir da nicht ein Heulkrampf dazwischengekommen. All die Mühen und das Training umsonst. Ich blendete alles um mich herum aus. Schluchzend sank ich in mich zusammen und lehnte mich mit dem Rücken gegen Nickys Bettgeländer.
 

„Danny? Ich wollte dir nicht weh tun, wirklich nicht, aber es ist das Beste, glaub mir. Und nochmal, es gibt da jemanden der dich will. Sehr sogar.“
 

„Und wer soll das sein?“, wimmerte ich, wollte die Antwort aber gar nicht wissen. Es tat einfach so verdammt weh und zog mir den Boden unter den Füßen weg. Nicky hatte so ernst geklungen, fast schon ein wenig enttäuscht und niemals hörte sich endgültig an. Vielleicht wenn ich noch ein wenig mehr mit Connor übte, etwas älter wurde…?
 

„Ach komm schon, Danny. So begriffsstutzig kannst doch nicht einmal du sein. Der Typ hat sich sogar von dir vögeln lassen und du bist erst 15.“
 

Ich sah nach oben zu Nicky und blinzelte mehrmals angestrengt, damit ich ihn einigermaßen erkennen konnte. „W-Wie meinst du das?“, krächzte ich.
 

„Danny“, Nicky legte mir eine Hand auf die Schulter „Connor steht nicht nur auf dich, er ist verliebt, wahrscheinlich so wie du in mich.“
 

„Das glaube ich nicht“, schüttelte ich den Kopf.
 

„Jetzt denk mal nach.“
 

„Hm?“
 

„Du hast mindestens zwei Wochenenden bei ihm verbracht. Wie war er da zu dir?“
 

„Nett? Ich meine, es gab nur das zu Essen was ich wollte und ich durfte machen was ich wollte.“
 

„War das alles?“
 

Ich überlegte. War es das? Nein – Connor war nicht nur nett gewesen…
 

„Aber das hätte er mir doch gesagt, oder?“
 

„Mir hat er es jedenfalls gesagt, Danny. Connor ist wirklich verliebt in dich.“
 

„Wenn er wirklich verliebt in mich gewesen wäre, hätte er mich nicht bei dir verpetzt!“, fauchte ich.
 

„Doch.“ Nicky klang jetzt erstaunlich sanft. „Glaub mir einfach, wenn ich dir sage, dass Connor viel besser zu dir passt.“
 

„Ich will aber nur dich“, wiegelte ich ab.
 

„Mich bekommst du aber nicht, Connor schon. Versuchs doch wenigstens einmal. Im schlimmsten Fall sagst du Nein und kannst es als Erlebnis verbuchen. So kann es jedenfalls nicht weitergehen, Danny. Du machst dich ja verrückt, und mich auch, und Caleb genauso.“
 

„Nicky…“, begann ich, wurde aber gleich unterbrochen.
 

„Danny – ich will nichts von dir und selbst wenn du der letzte Junge wärst der herumläuft, nein. Ich mag dich, sehr sogar, aber nicht so. Kapier das endlich. Geht das in deinen Dickschädel rein?“ Dabei tippte er mir mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „Ich habe schon einen Freund mit dem ich zufrieden bin.“
 

„Aber…“
 

„Nichts aber. Das was du gemacht hast ist Erpressung, sowohl bei mir, als auch bei Connor. Im Gegensatz zu ihm bin ich aber nicht versucht das als Spinnerei von dir abzutun. Ich will das nicht, raffs einfach, okay?“
 

Ich war für einen Moment sprachlos, bevor ich aufsprang und wütend aus dem Zimmer stürmte. Nicky rief mir noch etwas nach, was ich aber einfach ignorierte. Ich schlüpfte in meine Schuhe und rannte nach Hause. Leos lautes Bellen überging ich einfach. Ich riss die Tür auf und stapfte an einem verwirrt dreinschauenden Caleb vorbei. Meine Finger bohrten sich förmlich in die Tasten beim Wählen von Connors Nummer. Es klingelte nicht dreimal, dann hob er ab.
 

„Ja?“
 

„Connor? Komm her, sofort.“
 

Damit legte ich auf, rannte auf mein Zimmer und schloss die Tür ab. Ich schnappte mir das erstbeste Kopfkissen und umarmte es fest. Calebs Klopfen und Rufen ignorierte ich einfach. Wenn Connor herkam würde er was erleben können. Ich vergrub mein Gesicht im Kopfkissen und wartete einfach im Dunkeln.

Ich schreckte hoch als ich ein Klopfen an meiner Zimmertür hörte. Rasch wischte ich mir über Nase und Augen und rückte dann vom Bett um aufzumachen. Es hätte auch Caleb sein können, aber das war mir gerade herzlich egal. Ich riss die Tür auf, knipste das Licht an und ließ mich wieder aufs Bett plumpsen, ohne nachzusehen wer es ist.
 

„Danny?“ Das war eindeutig Connor.
 

„Mach die Tür zu“, murmelte ich und wartete einfach, während ich an die Decke starrte. Es tat noch immer so unfassbar weh und ich war wütend, richtig sauer auf Connor, aber da war noch was anderes. Nicky meinte er hätte sich in mich verliebt, so wie ich in Nicky.
 

„Danny, was ist los?“, fragte er besorgt und drückte die Tür zu. „Du weinst ja.“
 

„Sehr scharfsinnig“, fauchte ich und rutschte zum Kopfende, wo ich mir wieder das Kissen schnappte.
 

„Was ist los?“
 

Ich rechnete damit, dass er sich zu mir setzen würde, damit ich ihn gleich anfahren konnte, nur tat er mir den Gefallen nicht. Er stand einfach nur da, in schwarzen Jogginghosen und einer schwarz-gelben Collegejacke. Seine Hände hatte er in die Hosentaschen geschoben.
 

„Das weißt du genau“, giftete ich ihn an. „Du warst bei Nicky.“
 

Connors Gesichtszüge entgleisten für einen Moment. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Da war eine Mischung aus Wut, Hass, Jähzorn und etwas, das ich als Trauer identifizieren konnte. Ich konnte eine Bewegung in seinen Hosentaschen registrieren und er versteifte sich.
 

„Hast du was zu sagen?“ Ich krallte meine Finger ins Kissen und zog die Knie an den Körper.
 

„Möchtest du es denn hören?“, fragte er leise und schlug die Augen nieder.
 

Wollte ich? Eigentlich wollte ich Connor anschreien, ihn beschimpfen, mir meinen Kummer aus der Seele brüllen. Warum ich es nicht tat konnte ich nicht sagen. Nur ein einfaches „Warum“ kam mir über meine Lippen. Leise. Kaum hörbar.
 

„Weil ich dich liebe, Danny.“ Connor lehnte sich gegen die Tür und starrte mich traurig an.
 

„Du hast mir das mit Nicky kaputt gemacht!“
 

„Habe ich.“
 

Ich stutzte, denn ich hatte damit gerechnet, er würde es abstreiten.
 

„Du gibst es also zu?“
 

„Ja Danny, ich gebe es zu. Ich habe dir das mit Nicky kaputt gemacht, aber nicht, weil ich zu ihm gegangen bin, sondern, weil ich mich in dich verliebt habe.“ Connor bog seine Arme ein wenig nach außen und biss sich auf die Unterlippe.
 

„Hättest du nichts gesagt, dann hätte Nicky heute sicher mit mir geschlafen!“
 

„Hätte er nicht.“ Mein Gegenüber schüttelte den Kopf.
 

„Woher willst du das wissen?“
 

„Nicky ist auf Abenteuer aus. Er geht mit deinem Bruder. Ich wollte dich vor so etwas beschützen.“
 

„Ich brauche aber keinen Aufpasser“, schrie ich und warf mein Kissen nach Connor, das ihn meilenweit verfehlte. „Ich bin kein kleines Kind.“
 

„Das habe ich dir auch nicht unterstellt“, entgegnete Connor ruhig. „Ich wollte nur nicht, dass er dir weh tut, oder ich. Wenn wir aber schon dabei sind, muss ich mich nicht mehr verstellen.“
 

Ich blies die Backen auf. Das war doch wohl die Höhe. Connor tat geradeso als wäre ich ein zartes Pflänzchen, das man pflegen musste. Ich war schon fast 16 und erwachsen genug, dass ich meine Probleme selbst lösen konnte.
 

„Ich hätte es dir wirklich gerne gesagt, sehr oft sogar, aber ich war zu feige.“ Connor blinzelte mehrmals und vermied es mich anzusehen. „Danny, das erste Mal als dich gesehen habe war als würde ich in das Antlitz der Sonne selbst blicken. Alles blieb stehen um mich herum. Etwas in mir setzte aus. Du warst so wunderschön, so bezaubernd und so süß. Ich erinnere mich noch als du mir die Hand gegeben hast – wie Stromstöße, die meinen Körper durchzuckten. Mein Herz schlug mir fast bis zum Hals und ich musste meine Gedanken sortieren, überlegen was ich sagen sollte.“ Er stoppte kurz und schluckte hörbar. „Ich habe dich nicht mehr aus meinem Kopf gebracht. Von da an hast du mein Leben beherrscht, meine Gedanken, mein ganzes Sein.“ Connors Lippen zitterten. „Ich habe alles versucht. Du bist der erste Junge mit dem ich wirklich schlafen wollte.“
 

„Und warum hast du dich dann so dagegen gewehrt?“, flüsterte ich.
 

„Weil ich…“ Connor nahm die Hände aus den Hosentaschen und fuhr sich durch die Haare. „Mit dir sollte der Sex besonders sein, einzigartig. Ich hätte dich nicht rangelassen, weil ich gewusst habe, dass so etwas herauskommt, aber ich konnte nicht. Da war nicht nur die Angst, dass du dir jemand anderen suchen würdest, sondern auch, dass ich es selbst wollte. Ich wollte dein Erster sein.“
 

Connors Stimme zitterte mit jedem Wort mehr. „Das alles was ich gesagt habe ist wahr. Ich musste die Wahrheit immer wieder kaschieren und biegen, aber ich habe dich nie belogen, Danny. Ich bin dir Antworten schuldig geblieben und deinen Fragen ausgewichen, aber war ich immer ehrlich zu dir.“
 

Ich atmete tief durch und versuchte mich zu beruhigen; ich war noch immer sauer auf Connor, aber er tat mir auch leid. Er wirkte wie ein Häufchen Elend.
 

„Ich liebe dich so sehr, dass ich sogar bereit war dir beizubringen was du wissen wolltest. Ich habe mit dir geschlafen obwohl es mich innerlich zerfressen hat. Deine ganze Welt dreht sich nur um diesen Nick. Ich konnte machen was ich wollte. Als ich dich ins Bett getragen habe, war dein letztes Wort Nicky, wenn wir geredet haben war es Nicky, nach dem Aufstehen war es Nicky.“
 

„Warum hast du mich dann nicht einfach nicht mehr besucht?“
 

„Denkst du das hätte ich nicht versucht? Wir hatten mal weniger Kontakt, nur übers Handy, und das hat mich schon an den Rand der Verzweiflung getrieben.“
 

Connor stieß sich von der Tür ab und kam zu mir herüber. Er hockte sich vor mich hin und nahm meine Hände in seine. Ich wollte sie schon wegziehen, aber er hielt mich fest.
 

„Danny, ich weiß, ich werde niemals Nicky sein. Das kann ich nicht. Dafür sind wir zu verschieden. Ich hätte aber mit ihm getauscht, wenn es dir geholfen hätte. Das habe ich dir gesagt, damals, als ich dir die Geschichte von Lang Tsai Ho erzählt habe. Ich wäre gerne für eine Stunde Nicky gewesen. Für ein „Ich liebe dich“ hätte ich tausend Jahre Gefängnis auf mich genommen.“
 

Sanft strich er mir mit den Daumen über den Handrücken. „Ich habe alles versucht, aber nichts wollte fruchten. Mir tat es weh dich im Arm zu halten, dich zu küssen, mehr als das mit dir zu machen und doch wollte ich. Ich konnte nicht aufhören. Es war wunderschön.“
 

Er löste eine seiner Hände und legte sie auf meine Wange. „Ich mache mir solche Vorwürfe, dass ich im Club damals nicht früher bei dir gewesen bin. David hat dich gesehen, genauso wie ich, doch ich habe gezögert. Wäre ich nur eine Sekunde schneller gewesen, früher da…“
 

Sein Daumen wanderte über meine Wange und wischte die Tränen weg.
 

„Danny, ich brauche dich. Mein Leben ist ohne dich sinnlos. Ich muss nun nicht mehr herumdrucksen. Ja, ich liebe dich, mehr als alles andere auf dieser Welt. Ich würde alles werden was du willst. Wenn ich könnte, ich würde Nicky zwingen, dass er dich liebt, auch wenn ich daran zerbrechen würde. Ich würde alles wegwerfen was ich bin und sein könnte, sofern es dich glücklich macht. Ich habe mich so vor diesem Moment gefürchtet, Danny, denn ich weiß nicht was ich sagen soll. Meine Entscheidung war falsch und hat dir Kummer und Schmerz gebracht und macht mich beinahe rasend. Bitte verzeih mir. Ich verstehe, wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben willst, aber…“
 

Connor richtete sich ein wenig auf und legte seine Stirn auf meine. Ich konnte seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren, das zärtliche Streicheln meiner Wange, genauso wie mich seine eisblauen Augen schmerzerfüllt anschauten. „Bitte stoß mich nicht von dir. Ich flehe dich an, Danny, geh nicht. Zum ersten Mal in meinem Leben fange ich an zu begreifen, dass diese Geschichten von früher, diese Legenden, einen wahren Kern haben. Ich verstehe wie Guan Yu sich gefühlt haben muss, wenn er an Liu Bei dachte, Achilles, der für Briseis sogar seinen Ruhm geopfert hätte, Odysseus der so sehr nach Ithaka und zu seiner Frau wollte, dass er Unsterblichkeit und Reichtum ausgeschlagen hat. Verstehst du? Das sind keine Märchen, denn ich empfinde genauso. Nichts ist so wichtig wie du. Zeit, Raum, Körper, Geist, alles ist bedeutungslos, wenn ich bei dir sein kann. Bitte, Danny…“
 

Connor beugte sich ein wenig nach vorne und ließ seine Lippen knapp über meinen ruhen. „Ich mache alles. Du darfst alles. Ich schlafe mit dir und verspreche den Mund zu halten. Ich werde auch nicht weinen oder mich beklagen. Ich werde auch nicht mehr eifersüchtig auf Nicky sein. Verlange was du willst, aber bitte…“ Seine Finger krallten sich in mein Shirt und er presste sein Gesicht in meine Halsbeuge. „Geh nicht.“
 

Die letzten zwei Worte waren nicht mehr zittrig oder brüchig hervorgepresst, sie waren ein Flehen. Ich hatte so etwas noch nie gehört. Connor klang so traurig, so schmerzerfüllt, dass mein Ärger verrauchte. Hilflos wie ich war legte ich ihm die Arme um den Nacken und hielt ihn einfach fest. Er weinte hörbar, lauter als ich in der Zeit, in der ich alleine in meinem Zimmer gewesen war. Mein Shirt war im Nu feucht und ich fühlte mich mit einem Mal schuldig. Warum hatte ich es denn nicht früher geschnallt? Begriffen, dass er sich in mich verliebt hatte? Diese ganzen zärtlichen Gesten, wie er sich um mich gekümmert hatte, diese eisblauen Augen, die mich so traurig angestarrt haben. Jetzt wusste ich auch, woher ich diesen Blick kannte: Von mir selbst. Wenn ich an Nicky dachte und dabei in den Spiegel schaute, war da dieser gleiche Gesichtsausdruck, dieser gleiche Schmerz. Connor löste sich von mir und wischte sich mit dem Jackenärmel über die Augen.
 

„Den Tai Kui kann wohl niemand besiegen.“ Seine Mundwinkel zuckten dabei schwach.
 

„Ich…“ Ja, was ich? Was sollte ich jetzt sagen oder tun? Ich war überfordert. „Connor, ich weiß nicht was ich sagen soll. Eigentlich bin ich wütend, aber auch traurig und keine Ahnung was. Ich brauche Zeit, denke ich.“
 

Connor nickte leicht und richtete sich auf.
 

„Ich verstehe schon.“ Er atmete hörbar durch. „Wenn etwas ist, ruf mich an, ja? Du kannst noch immer bei mir schlafen. Ich penne dann auf dem Sofa und sehe zu, dass ich tagsüber außer Haus bin.“
 

„Ist… ist gut“, nuschelte ich.
 

„Dann – dann machs gut, Danny.“
 

„Du auch, Connor.“
 

Mein ehemaliger bester Freund (ich wusste nicht wie ich ihn jetzt hätte bezeichnen sollen) ging nach draußen, geknickt. Er sah schlimm aus. Schlimmer als ich nach meiner unfreiwilligen Kotznacht nach dem Club. Als die Tür ins Schloss fiel seufzte ich traurig und starrte an die Decke. Das musste ich erst einmal sacken lassen.

Ich wusste nicht wie lange ich so dagelegen und nachgedacht hatte. Nicht nur, dass Nicky wohl wirklich nichts von mir wollte (was sehr weh tat), es war vor allem Connor, der mich beschäftigte. Sein Auftritt war filmreif gewesen. Ich mochte ihn ja, wirklich, sehr sogar, aber ich liebte ihn nicht. Der Junge, den ich liebte, der wollte mich nicht und der Junge der mich liebte, den wollte ich nicht. Oder wollte ich doch? Ach, keine Ahnung – ich drehte mich jedenfalls frustriert auf den Bauch und seufzte ratlos. Den Liebeskummer versuchte ich einmal beiseitezuschieben. Connor hatte geweint und zwar wegen mir und dass nicht zum ersten Mal. Was sollte ich jetzt tun? Eigentlich hatte ich ja auch sonst niemanden, meine wenigen Schulfreunde waren verstreut, Nicky konnte ich nicht zu Rate ziehen und Caleb würde wahrscheinlich durchdrehen. Apropos Caleb: Den konnte ich von unten bis in mein Zimmer herauf toben hören. Darauf hatte ich auch keinen Bock. Ich überlegte schon nach draußen zu Leo zu gehen, als das Geschrei noch ein wenig zunahm. Wenn er das mit mir auch machte, konnte ich wahrscheinlich die nächsten Monate auf eine einsame Insel ziehen. Meine einzige Alternative war Connor… War es so schlimm von ihm geliebt zu werden? Er bemühte sich und wenn ich mich auch bemühte, konnte ich mich nicht vielleicht auch in ihn verlieben? Mein Wochenende bei einem tobenden Caleb zu verbringen hörte sich jedenfalls nicht prickelnd an. Ich quälte mich aus dem Bett, schlich in den Flur und spitzte die Ohren. Gut, das mit dem Schleichen war übertrieben, denn Caleb übertönte jeden meiner Schritte.
 

„Du weißt das schon länger?“, fuhr er jemanden an, den ich sogleich als Nicky identifizierte.
 

„Knapp eine Woche? Und jetzt komm mal runter.“
 

„Beruhigen? BERUHIGEN?“
 

Ich biss mir auf die Unterlippe. Das konnte ja heiter werden.
 

„Du tust so als wäre es das erste Mal gewesen, dass er sowas gemacht hat.“
 

„Du kapierst es auch nicht, oder?“
 

„Wenn ich ehrlich sein soll, was ich auch bin: Nein. Sei doch froh, dass er wenigstens an einem Typen rumprobiert hat, der halbwegs vernünftig erscheint, zumindest für deine Maßstäbe.“
 

Caleb gab noch einen wütenden Laut von sich und ich hörte wie die Haustür aufgerissen und lautstark zugeschmissen wurde. Für einen Moment herrschte Stille, dann war das Rutschen eines Stuhls zu hören und erneut die Haustür, dieses Mal aber deutlich sanfter. Ich war alleine. So hatte ich Caleb noch nie erlebt, nicht einmal, als er Nicky eine geknallt hatte. Hoffentlich beruhigte er sich. Connor anzurufen würde das zwar nicht unterstützen, aber… Ich stahl mich jedenfalls ins Wohnzimmer zum Telefon und tippte Connors Nummer ein. Es dauerte ungewöhnlich lange bis er abhob.
 

„Danny?“, fragte er.
 

„Ja, ich bins.“ Ich rieb mir den Nacken und dachte nach. Sollte ich ihn wirklich fragen?
 

„Was ist los?“
 

„Könntest du… könntest du mich abholen? Ich meine, es fährt kein Bus mehr und Caleb ist kurz davor Amok zu laufen.“
 

Stille. Wenn er jetzt Nein sagte oder einfach auflegte, hatte ich wahrscheinlich auch meinen besten Freund verloren. Ich schluckte hart und wartete die bedrückende Ruhe ab.
 

„Ich drehe um. Fünfzehn Minuten“, beendete er die unangenehme Stille.
 

„Ist gut. Beeil dich aber, bitte.“ Ich legte auf und ging nach oben ins Zimmer, wo ich wahllos ein paar Klamotten in meinen Rucksack stopfte, diesen schulterte und dann in der Küche wartete. Von Caleb und Nicky fehlte jede Spur, was mir auch recht war. Gegenüber Leo und Klein-Nicky fühlte ich mich zwar ein wenig schuldig, aber das würde Caleb schon übernehmen, hoffte ich zumindest. Die Uhr über der Küchentür zeigte 23:22 an als der Porsche auf dem Hof vorfuhr. Ich schnappte mir eine dünne Jacke vom Kleiderhaken und schlüpfte in meine Turnschuhe. Ich beeilte mich nach draußen zu kommen und wurde bereits von Connor erwartet, der den Motor hatte laufen lassen. Er lehnte mit verschränkten Armen und überkreuzten Beinen an seinem Auto.
 

„Alles klar bei dir?“, wollte er wissen und stieß sich vom Wagen ab.
 

„Jaja“, log ich und drängte mich an ihm vorbei.
 

Kaum, dass ich auf dem Beifahrersitz saß war Connor auch schon neben mir. Er versicherte sich kurz, dass ich angeschnallt war, bevor er zurücksetzte und dann den Motor aufheulen ließ. Auf der Landstraße kletterte die Tachonadel erschreckend schnell nach oben.
 

„Ich dachte du hältst dich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen?“
 

„Nicht wenn ich innerlich aufgewühlt bin.“
 

„Ist es dann eine gute Idee so schnell zu fahren?“
 

„Vertrau mir einfach, ja?“
 

Ich entschloss mich den Mund zu halten. Caleb würde explodieren sobald er mein Fehlen bemerkte. Nicky hatte wegen mir Ärger bekommen und ich war alleine. Nun, das stimmte nicht so ganz, aber Connor wirkte auch seltsam abwesend. Die Fahrt gestaltete sich als ein einziges Schweigen, in dem ich mich darauf beschränkte nach draußen zu schauen und die viel zu schnell vorbeiziehenden Lichter der Straßenlaternen zu beobachten. In Rekordzeit waren wir bei Connors Wohnung angekommen. Er nahm mir meinen Rucksack ab und ging voraus. Ich kam ihm kaum nach und überlegte was ich sagen sollte. Er war eindeutig sauer.
 

„Connor?“, fragte ich leise.
 

„Hm?“ Mein bester Freund warf seinen Autoschlüssel in eine Glasschale neben der Eingangstür und stellte meinem Rucksack beim Sofa ab.
 

„Bist du böse auf mich?“
 

Der seltsame Gesichtsausdruck auf seinen Zügen verschwand schlagartig. Bedauern machte sich breit.
 

„Wie kommst du denn darauf?“
 

„Weil du so still gewesen bist?“
 

„Ach, Danny“, lächelte er schief und ließ sich aufs Sofa fallen um neben sich zu klopfen. Ich folgte der Aufforderung und nahm neben ihm Platz.
 

„Natürlich bin ich nicht böse auf dich. Es ist nur kompliziert.“ Seine Augenbrauen wanderten nach unten. „Auf deinen Freund bin ich aber mehr als nur angepisst.“
 

„Nicky?“
 

„Ja“, nickte er. „Warum kann der Idiot nicht einfach seine Klappe halten?“
 

„Dann hätte ich aber nie von der ganzen Geschichte erfahren.“
 

„Das hättest du auch nicht sollen.“
 

„Connor… wie lange wolltest du das denn noch verheimlichen?“
 

Er rieb sich den Nacken und hob die Schultern an. „Wahrscheinlich ewig? Keine Ahnung. Ich wollte nicht, dass du es erfährst, dir den Kopf darüber zerbrichst oder mich so siehst.“
 

Das war irgendwo ein bisschen niedlich. Connor war so besorgt um mich und nett und überhaupt. Ich schnappte mir seine Hand und verschränkte sie mit meiner, so wie er es immer getan hatte. Das zauberte ihm tatsächlich ein Lächeln auf die Lippen.
 

„Das hättest du aber nicht tun müssen.“
 

„Es hätte aber nichts geändert. Du liebst Nicky und ich weiß wie das ist.“
 

„Vielleicht hätte es das doch?“
 

Ich rückte noch ein wenig näher an Connor heran und lehnte mich an ihn.
 

„Glaubst du, dass wir noch Freunde sein können?“, wollte ich wissen.
 

„Ich weiß es nicht“, murmelte er leise.
 

„Was hat sich denn für dich geändert?“
 

„Einfach alles, Danny. Du weißt wie ich fühle, empfinde und wie sehr ich von dir abhängig bin. Mehr als wäre ich nur dein bester Freund.“
 

„Und das macht alles anders?“
 

„Für mich schon.“
 

„Für mich… auch, aber nicht so schlimm.“
 

Ich schmiegte mich an Connor und legte dann meinen Kopf in seinen Schoß um ihn von unten her anschauen zu können.
 

„Du machst dir zu viele Gedanken, Connor. Wir werden immer Freunde bleiben.“
 

„Ja, Freunde, aber kein Paar“, entgegnete er traurig, wobei er mir mit den Fingern über die Stirn strich.
 

„Das ist doch nicht gesagt? Vielleicht verliebe ich mich ja noch in dich?“
 

„Wie hoch sind die Chancen, dass das passiert?“
 

„Keine Ahnung? Ich mag dich ja. In Nicky war ich auch nicht sofort verliebt.“
 

„Würdest du denn mit mir zusammen sein wollen?“
 

Ich drehte den Kopf hin und her. Wollte ich?
 

„Ja, schon. Wenn ich etwas für dich empfinde natürlich.“
 

„Das…“ Connor lächelte schwach nur um sich nach unten zu beugen und mich ganz flüchtig zu küssen. „Würde mich glücklicher machen als alles andere auf dieser Welt“, hauchte er mir zu, sein Gesicht nahe bei meinem.
 

„Mich auch, denke ich“, antwortete ich und beugte mich nach oben um ihn wieder zu küssen.

Ich wusste, dass ich träumte. Solche Momente hatte ich öfter. Meist waren es Träume, in denen ich etwas machen konnte. Dafür gab es laut meinem Vater irgendeinen Fachbegriff, der mich aber kaum interessierte. Weit wichtiger war der Inhalt meines Traumes.
 

Ich stützte mich über Danny ab, der angezogen in meinem Bett lag. Er grinste mir entgegen, seine Hände um meinen Nacken geschlungen. Sein Blick glich nun dem, wenn er von Nicky sprach: Das Funkeln in seinen Augen war unverkennbar. Diese süße Dunkelheit, in der man sich verlieren konnte. Es war wie in einen Abgrund zu starren, ohne Angst und Furcht, eine endlose Schwärze in der man auf ewig verweilten wollte.
 

„Sag es noch einmal“, hauchte ich ihm zu. „Bitte, noch einmal, Danny.“
 

„Was denn?“, fragte er unschuldig.
 

„Tu nicht so.“ Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, während ich seinen Lippen immer näher kam. „Sag es.“
 

„Hm“, überlegte er angestrengt, wobei sein Grinsen noch breiter wurde. „Ich…“
 

Meine Finger krallten sich in das Laken und ich hielt knapp vor seinem Mund inne. Es waren drei Worte, zwölf Buchstaben, ein simpler Satz und doch das Schönste, was ich jemals gehört hatte. Mein ganzer Körper, wie auch mein gesamter Geist, sehnten sich danach, dass die magischen Worte seine Lippen verließen. Dieser verträumte Klang in seiner Stimme, das Zittern meines Atems, die Schwäche, die meine Arme meinen Körper nicht mehr tragen ließ, wenn er es sagte.
 

„Ich liebe dich, Connor.“
 

Meine ganze Körperspannung drohte in sich zusammenzufallen. Mein Herz pochte so heftig, dass ich glaubte, es würde aus dem Brustkorb herausspringen wollen. Mir war kalt und warm zugleich. Ich atmete unregelmäßig, fast schon rasselnd, während sich meine Lippen auf die von Danny legten. Es war diese Form von Küssen, die ich so liebte und die er nun perfekt beherrschte: Unschuldig und frei. Er dachte nicht mehr an Nicky, er dachte dabei an mich. Danny klammerte sich an meinen Nacken und zog mich weiter zu sich nach unten und ich gab seinem Wunsch nach.
 

Ich schob meine Arme unter seine Schultern hindurch und verschränkte die Hände dahinter. Mir fehlten die Worte dieses Gefühl zu beschreiben, zu wissen, dass er es nicht nur gesagt hatte, weil er mich nicht verletzen wollte, sondern weil er mich tatsächlich liebte. Danny, nahezu mein gesamter Lebensinhalt, hatte mir meinen größten Wunsch erfüllt.
 

„Danny?“, fragte ich ihn, nachdem ich meine Lippen, was mir unendlich schwer gefallen war, von den seinen gelöst hatte.
 

„Hm?“
 

Er sah aus, als würde er mir gleich wieder um den Hals fallen wollen. Mir ging es genau gleich. Ich sehnte mich so nach seiner Nähe, nach seinem Körper, seinem warmen Atem, seinem Kopf, der auf meiner Brust ruhte und meinem Herzschlag lauschte, während ich ihm durch die Haare strich, dass es mich viel Überwindung kostete, diesem Drang nicht nachzugeben.
 

„Weißt du eigentlich wie schön du bist, gerade jetzt?“
 

„Das hast du mir schon so oft gesagt, Connor“, grinste er nun wieder breit. „Ich weiß!“
 

„Jetzt ist es aber…“ Ich dachte kurz nach. „Danny, es ist gerade so, als hätte sich mein Leben geändert, vollständig. Ich suche verzweifelt nach einem Makel, um die alten Märchen Lügen zu strafen, aber ich finde keinen. Du bist perfekt. Ich liebe dich, so sehr… Ich glaube, Paris´ Entscheidung den Apfel Aphrodite zu geben war richtig. Wenn Helena nur halb so war wie du, dann hat er das Richtige getan.“
 

Danny verdrehte die Augen, löste seine Hände aus meinem Nacken und schob sie unter mein Shirt. Sie wanderten über meine Brust, den Bauch entlang und hielten erst bei den Hüften inne, die er sanft streichelte. Jede Berührung war wie ein einzelner Stromstoß, der durch meinen Körper jagte. Ich zuckte dabei und sehnte mich danach, dass er mehr machen würde.
 

„Ich habe nachgelesen was du da manchmal von dir gibst.“
 

„Und?“, wollte ich wissen.
 

„Wenn nur die Hälfte davon stimmt, dann will ich für immer mit dir zusammen sein.“
 

Dannys Fingerspitzen glitten über meine Hüften über meinen Rücken zu den Schulterblättern und drückten mich dann mit sanfter Gewalt nach unten. Ich folgte seinem Wunsch und stoppte erst, als der Druck verschwand, nämlich kurz bevor ich komplett auf ihm lag.
 

„Soll ich dir auch einmal so etwas Romantisches sagen wie du mir?“ Er biss sich verlegen auf die Unterlippe und fügte an: „Ich weiß aber nicht ob es so gut ist wie deins.“
 

„Willst du denn?“ Meine Stimme war nicht mehr als ein brüchiges Zittern.
 

„Ich versuche es einfach mal.“
 

Danny beugte sich nach oben, sodass er mir ins Ohr flüstern konnte und streichelte mir dabei über den Rücken.
 

„Ja, Connor, ich will deine Aphrodite sein. Bei dir sein. Sei mein Held, mein Streiter, mein Heros, der für mich meine Schlachten schlägt. Ich will auf dich warten, am Rande des Schlachtfelds, bis du zu mir zurückkommst. Jede einzelne Sekunde meines Lebens möchte ich mit dir verbringen und dann, wenn unsere gemeinsame Stunde schlägt, will ich mit dir auf die andere Seite gehen. Ich will bei dir sein, dich umarmen, küssen, lieben und niemals vergessen. Bleibe bei mir und halte mich fest, im Auge des Sturms und sei stark genug für uns beide. Ich liebe dich, Connor, so wie du bist, als mein Prinz auf dem weißen Schimmel, der mich zu sich nimmt, entführt und mir jeden Wunsch von den Augen abliest.“
 

In mir brach jeglicher Widerstand, das Fünkchen eigenen Willens, das ich noch besaß, auf und ging in Dannys Existenz über. Das war mit Abstand das Schönste, das mir jemand gesagt hatte. Ich wollte nicht, dass er aufhörte zu sprechen und doch sehnte ich mich danach, dass er seinen Mund verschloss, damit ich etwas sagen konnte, nur was? Es gab kein Wort, keinen Vergleich, keinen Ausdruck, der beschreiben hätte können, was ich für Danny empfand. Mir schossen dutzend Möglichkeiten durch den Kopf: Ich sei vom Pfeil Eros´ getroffen worden, Aphrodite würde ihre Hand über uns halten, habe uns zusammengeführt, er wäre der Grund warum ich nach Göttlichkeit strebte, damit ich ihn beschützen konnte, aber nichts war ausreichend, um meine Liebe auszudrücken. Es gab nichts.
 

„Dich einmal sprachlos zu sehen, das gibt es?“
 

Danny stupste mit seiner Nase gegen meine.
 

„Scheint wohl so, hm?“, schmunzelte ich und rollte mich auf den Rücken, wobei ich ihn mit mir zog, sodass er schlussendlich auf mir lag. Ich mochte es sein Gewicht auf mir zu spüren, wie er mich als Kopfkissen benutzte und verträumt vor sich hin lächelte. Ja, genauso hatte ich es mir vorgestellt, wenn wir endlich zusammen waren. Danny hatte die Augen geschlossen und sich an mich geschmiegt. Ich strich ihm durchs Haar und legte meinen freien Arm um ihn.
 

„Bedeutet es dir wirklich so viel, wenn ich das sage?“
 

„Tut es Danny, ja. Du sagst es jetzt so wie ich und das heißt, du fühlst genauso wie ich. Mein größter Wunsch ist damit in Erfüllung gegangen und ich bleibe immer bei dir, bis der letzte Funke Leben meinen Körper verlässt, das verspreche ich dir.“
 

„Und wenn ich nicht das Mädchen sein will?“
 

Ich blinzelte mehrmals perplex und sah Danny dabei zu, wie er seinen Kopf drehte, die Augen aufschlug und mich neugierig ansah.
 

„Das Mädchen?“
 

„Na du weißt schon…“ Er rollte mit den Augen.
 

„Du meinst diese altertümliche Vorstellung, dass der, der unten liegt, das Mädchen ist? Er sich unterordnen muss?“
 

Danny nickte und wirkte dabei ein wenig bedrückt.
 

„Wie kommst du darauf?“
 

„Vielleicht lachen sie mich in der Schule aus?“
 

„Ach Danny“, seufzte ich leise und lächelte schief. „Das ist doch alles nur so ein Vorurteil. Ich würde dich niemals als mir unterlegen ansehen oder sonst irgendwie nicht gleichberechtigt. Ich liebe dich.“
 

„Trotzdem.“ Er klang dabei ein wenig trotzig.
 

„Wenn es dich so stört, dann bin ich eben das Mädchen, ja? Ich mache alles für dich. Wenn du größer bist, dann hältst du mich eben im Arm und bezahlst die Rechnungen beim Essen und keine Ahnung was du dir noch alles vorstellst.“
 

Danny atmete erleichtert aus und ließ sich wieder auf meinen Brustkorb sinken. Ich hätte ihm stundenlang dabei zusehen können, wie er einfach dalag und nichts tat außer dahinzudösen oder auf den Schlaf zu warten. Er war wirklich perfekt, meine große Liebe und ich würde alles machen um ihn bei mir zu behalten.
 

Wie lange wir so dalagen, Arm in Arm, konnte ich nicht sagen. Zeit hatte ihre Bedeutung verloren, genauso wie Raum und Geist. Wenn ich die restlichen Jahre meines Lebens so hätte verbringen müssen wäre ich auch glücklich gewesen. Leider war mir das aber nicht vergönnt, denn der Traum drohte mir zu entgleiten. Ich versuchte mich an das Bild zu klammern, es festzuhalten, doch es verschwand und ging in einen traumlosen Schlaf über. Wenn ich gekonnt hätte, ich hätte im Schlaf geweint, denn mein Herz sehnte sich bereits jetzt wieder nach einem „Ich liebe dich“.

Ich wurde wach und spürte gleich, dass mir die Wangen brannten. Ich hatte einen feuchten Traum gehabt und zur Abwechslung mal nicht von Nicky, sondern von Connor. Das wäre mir an und für sich auch nicht peinlich gewesen, aber ich hatte meine Boxershorts vollgesaut und würde das kaum vor Connor verbergen können. Der schlief zum Glück noch, einen Arm um mich gelegt. Ich überlegte, ob ich ihn wecken sollte, aber das wäre kontraproduktiv gewesen. Stattdessen schob ich mich langsam von Connor weg und stahl mich zum Kleiderschrank. Im Halbdunkel tastete ich nach der Unterwäscheschublade, zog die erstbesten Boxershorts von Connor heraus, und schlich nach draußen, in Richtung Badezimmer.
 

Ich schämte mich nicht, überhaupt nicht, nur war es nach Connors Liebesgeständnis befremdlich, von ihm so zu träumen. Wir hatten Sex gehabt, der funktionierte, ohne dass es weh tat. Er war genauso zärtlich gewesen wie sonst auch, aber er hatte so glücklich gewirkt dabei. Und mir musste es auch gefallen haben, wenn ich mir die Sauerei zwischen meinen Beinen so anschaute. Ich seufzte leise und wechselte rasch die Sachen, wobei ich meine Boxershorts in die Waschmaschine stopfte. Was ich Connor erzählen würde wusste ich noch nicht, vielleicht einfach die Wahrheit zugeben oder so. Connors Sachen waren mir natürlich viel zu groß, aber wenn ich mein Shirt unter den Bund stopfte, hielten die Shorts einigermaßen. Ich hatte eine weinrote erwischt, die zu dem übergroßen, schwarzen T-Shirt passte. Im Spiegel sah ich aus, als wäre ich beim Duschen eingelaufen oder so.
 

Von draußen aus dem Wohnzimmer waren Schritte zu hören und ich fuhr herum. Connor stand im Türrahmen und hatte den Kopf schief gelegt. Er starrte mich zuerst fragend, dann schuldbewusst an.
 

„Hey, habe dich mit irgendwas wach gemacht?“
 

„Nein“, schüttelte ich den Kopf.
 

„Warum bist du dann auf? Und warum trägst du eine meiner Boxershorts? Lust auf Markenqualität bekommen oder was?“ Connor grinste verschlafen und rieb sich die Augen mit den Zeigefingern.
 

„Nicht so wichtig. Warum bist du denn auf?“
 

„Toilette“, murmelte er und kam auf mich zu. Vor mir stehend wirkte Connor unschlüssig, was er jetzt machen sollte.
 

„Also ich will dich nicht aufhalten.“
 

„Tust du nicht.“ Er fuhr sich durch die Haare. „Danny, hör mal – ich weiß, dass das gestern sehr viel war. Wenn es dich stört, dass ich bei dir im Bett schlafe, dann wechsle ich auf die Couch. Das ist kein Problem.“
 

„Musst du nicht“, wehrte ich hastig ab. „Es ist ja deine Wohnung.“
 

„Es ist auch deine Wohnung. So irgendwie. Du hast ja schließlich einen Schlüssel.“
 

Ich kaute schweigend auf meiner Unterlippe herum. Irgendetwas war gerade ganz komisch, fast schon peinlich. Seit gestern hatte sich etwas verändert. Es störte mich nicht, dass Connor mich anfasste, aber irgendwie auch doch wieder. Gestern hatte ich ihm noch gesagt, dass sich für mich nichts verändert hatte, aber jetzt… Connor liebte mich ja, so wie ich Nicky liebte, oder geliebt hatte, oder wie auch immer man das bezeichnen mochte.
 

„Du hast etwas“, stellte er das Offensichtliche fest.
 

„Habe ich nicht“, versuchte ich ihn abzuwimmeln, aber erfolglos.
 

„Danny, ich habe Augen im Kopf. Setz dich doch in die Küche oder ins Wohnzimmer und dann reden wir, hm?“
 

Ich rieb mir den Arm und ging nach kurzem Zögern nach draußen. Das würde ein peinliches Gespräch werden und ich würde Connor ganz sicher weh tun, oder er mir. Mit einem flauen Gefühl im Magen ließ ich mich auf die Couch fallen und schlang mir eine der Decken um den Körper. Connor kam bald nach und setzte sich neben mich. Er behielt seine Hände bei sich, legte sie im Schoß zusammen und schaute mich auffordernd an.
 

„Connor, ich…“ Mir fielen nicht die richtigen Worte ein.
 

„Du willst nicht, dass ich dich anfasse, oder?“
 

Ich schüttelte wieder heftig den Kopf.
 

„Nein, das ist es nicht. Es ist einfach nur, dass ich nicht weiß, was ich selbst will. Gestern noch habe ich geglaubt, dass Nicky und ich ein Paar werden und heute sitze ich bei dir. Caleb ist sicher sauer, und Nicky auch.“
 

„Dazu hat Nick wohl kaum einen Grund.“ Connors Gesicht zeigte einen Anflug von Wut, der aber sogleich wieder verflog. „Hör mal, Danny. Ich verstehe das. Das gestern war verdammt viel für dich. Du hast mehr oder weniger einen gewaltigen Korb bekommen und gleichzeitig erfahren, dass dein bester Freund auf dich steht. Dass du verwirrt bist ist logisch. Ich will ja auch nicht, dass du mit mir zusammen bist oder kommst, nur weil ich die beste Alternative bin. Bevor du dich, aus falschem Pflichtgefühl heraus, in eine eventuelle Beziehung mit mir stürzt, ist es besser, wir bleiben gute Freunde, auch wenn das hart werden wird.“
 

Ich wippte unruhig mit den Fußballen vor und zurück. Das wollte ich ja auch nicht. Eigentlich wollte ich mit Connor zusammen sein, dann wieder nicht, dann wollte ich Nicky haben, mich mit Caleb vertragen, irgendwie meine Gefühle in den Griff bekommen, nur schien das alles miteinander zu kollidieren.
 

„Danny, du musst gar nichts. Du bist mir zu nichts verpflichtet. Ich mag dich so wie du bist. Dass ich dich liebe soll mein Problem sein.“
 

„Ist es aber nicht.“
 

„Du hast doch gestern noch gesagt, dass sich für dich kaum etwas dadurch verändert?“
 

„Das war wohl falsch“, gestand ich kleinlaut.
 

Connor schob seine Lippen nach innen und seufzte lautstark. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich zurück.
 

„Das ist genau die Situation, die ich eigentlich hatte vermeiden wollen. Dein Freund ist ein dummer Arsch.“
 

„Hey! Ist Nicky nicht!“, protestierte ich.
 

„Doch, denn er hätte einfach seine Fresse halten können.“
 

„Nicky hat nur das getan, was er für das Beste gehalten hat!“, verteidigte ich meinen Schwarm.
 

„Ah ja?“ Connor drehte sich zu mir herum. „Und wie geht es dir gerade?“
 

„Nicht gut?“
 

„Siehst du. Außerdem habe ich jetzt Schiss, dass dein Bruder mich anzeigt, oder dein Vater.“
 

„Warum sollten sie das tun?“
 

„Weil ich mit einem Minderjährigen Sex gehabt habe, mehrfach.“ Connor zog eine Hand hinter dem Kopf hervor und massierte sich mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger die Stirn. „Ich mache dir keinen Vorwurf, ich hätte auch Nein sagen können, nur verkompliziert das die Sache sehr.“
 

„Das wird Caleb aber nie machen, und Papa sicher auch nicht.“ Ich schluckte hart, denn bei Caleb war ich mir da nicht so sicher.
 

„Danny, ich weiß, dass Caleb mich nicht mag. Olivia hat mir das mehrfach bestätigt. Das ginge mir grundsätzlich auch am Arsch vorbei, aber ich habe mich strafbar gemacht, und das nicht zu knapp. Wenn er jetzt zur Polizei rennt, dann habe ich ein riesiges Problem.“
 

„Dann sage ich einfach, dass wir nichts miteinander hatten“, schlug ich vor.
 

„Du bist öfter bei mir in der Wohnung gewesen, übers Wochenende. Die sind bei der Polizei auch nicht auf den Kopf gefallen. Dazu kommt, dass du bei meinem Vater in psychiatrischer Behandlung bist. Man könnte mir unterstellen, dass ich deine Situation ausgenutzt habe, oder dich bewusst gedrängt habe, dass du mit mir Sex hast.“
 

Jetzt fühlte ich mich hundeelend. Wenn Connor echt Schwierigkeiten wegen mir bekam, würde ich mir das nie verzeihen. Er war immer so lieb gewesen und hatte sich so rührend um mich gekümmert. Das wäre unfair gewesen, vor allem von Caleb. Seit er mit Nicky zusammen war, hatte er kaum noch Zeit für mich.
 

„Und was machen wir jetzt?“, fragte ich leise.
 

„Nichts. Hoffen, dass Caleb netter ist als ich ihn einschätze.“ Connor rückte ein wenig näher zu mir heran, streckte die Hände aus und wartete, ob ich mich an ihn lehnen würde, was ich auch gleich tat. Er zog mich in eine Umarmung und strich mir beruhigend über die Schulter. „Davon ist wirklich nichts deine Schuld, Danny. Mach dir bitte keine Vorwürfe, okay? Ich biege das schon hin, irgendwie. Wichtig ist, dass du dich jetzt einmal von dem Schock erholst und beruhigst.“
 

„Und wenn ich heimkomme, dann dreht Caleb mir den Hals um“, flüsterte ich bedrückt.
 

„Ich nehme jegliche Schuld auf mich. Sag einfach, dass ich dich irgendwie bedrängt habe.“
 

„Das will ich aber nicht. Das wäre gelogen. Ich wollte auch mit dir schlafen!“ Ich klang dabei weitaus heftiger als gewollt.
 

„Ich weiß. Nur wäre es für dich bequemer zu lügen. Lassen wir das jetzt. Möchtest du noch einmal ins Bett?“
 

Ich atmete tief durch und nickte dann. Connor hob mich in seine Arme, beförderte mich so wieder ins Bett und deckte mich zu. Als er Anstalten machte zu gehen hielt ich ihn zurück. „Bleib, bitte.“ Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, bevor er sich zu mir legte und einen Arm um mich schlang. Soviel zu „Ich bin mir nicht sicher, ob ich von ihm angefasst werden wollte oder nicht.“ Es dauerte eine Weile, bis ich wieder wegdämmerte und unruhig schlief.

Ich war mehrmals wach geworden. Das komische Gefühl, wenn mich Connor im Arm hatte beim Schlafen, war nicht verschwunden. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, hielt es aber dann beim Frühstück kaum noch aus. Lustlos stocherte ich mit dem Löffel in meinem Müsli herum und ließ den Kopf hängen.
 

„Möchtest du mir vielleicht nicht doch sagen was los ist?“, fragte Connor vorsichtig und lehnte sich in seinem Stuhl ein wenig zurück. „Danny, ich weiß genau, dass dich etwas belastet. Ehrlich gesagt hasse ich es, wenn du so drauf bist.“
 

Ich ließ den Löffel frustriert in die Müslischale sinken und vergrub das Gesicht in den Händen.
 

„Ich habe doch selbst keine Ahnung, Connor. Mir tut das mit Nicky weh, dann das mit dir und ich weiß nicht wo mir der Kopf steht.“
 

Ich rechnete schon fast damit, dass Connor mich in den Arm nehmen oder berühren würde, doch nichts davon passierte. Zwischen meinen gespreizten Fingern konnte ich erkennen, wie er mir zwar einen äußerst mitfühlenden und besorgten Blick zuwarf, aber sonst keine Anstalten machte, irgendwie zu reagieren.
 

„Für dich ist doch alles anders geworden. Warum heulst du nicht oder siehst aus als würde dich ein Geist besuchen?“, wollte ich wissen und sah auf.
 

„Danny, ich kann es mir gerade einfach nicht leisten, dass ich dir auch noch zumute, dich um mich zu kümmern oder besser gesagt, dass du wegen mir ein schlechtes Gewissen hast. Mir geht es auch dreckig, nur musst du das nicht mitbekommen. Außerdem…“ Connor streckte nun doch seine Hand aus und legte sie auf meine. „Du bist bei mir. Auch wenn das weh tut, so lindert es den Schmerz. Ich weiß nur nicht, was ich wegen dir machen soll.“
 

Ich schüttelte seine Hand ab und bedachte ihn dann mit einem wütenden Blick: „Ich bin kein kleines Kind mehr. Das schaffe ich schon alleine.“
 

„Danny, ich bin fast 22 und schaffe es nicht alleine. Ich habe nur mit Liebeskummer zu kämpfen, deine Situation ist weitaus schwieriger. Lass mich dir doch helfen, wenn ich es denn irgendwie kann.“
 

„Du kannst mir aber nicht helfen“, fuhr ich ihn an. „Eigentlich bist du ja auch das Problem. Nicky wäre sicher irgendwann mit mir zusammengekommen, wenn du dich nicht eingemischt hättest!“
 

Connor schlug die Augen nieder. Das hatte gesessen. Genau bei diesem Anblick verflogen mein Ärger und meine Wut wieder und ich fühlte mich schuldig.
 

„Es… tut mir leid, das war nicht so gemeint.“
 

„Doch, es war so gemeint“, murmelte Connor. „Du hast es dir so gewünscht und ich habe es dir verbaut.“
 

„Hast du nicht, es ist nur…“ Ich seufzte leise. „Keine Ahnung. Ich bin irgendwie wütend, aber nicht so richtig auf dich. Dieses Gefühlschaos macht mich noch irre.“
 

„Ich bin auch sauer, aber auf deinen Freund.“ Connors Miene verfinsterte sich. „Und irgendwie auf deinen Bruder auch.“
 

„Was hat denn Caleb mit der ganzen Sache zu tun?“
 

„Hätte er besser auf dich aufgepasst, wäre ich nicht dazu verleitet gewesen, mit dir herumzumachen.“
 

Das verstand ich jetzt nicht. Wieso hätte Caleb auf mich aufpassen sollen? Das tat er ja auch, bis zu einem gewissen Grad.
 

„Wie meinst du das?“
 

„Naja, schau – ich hatte so riesigen Schiss, dass du doch zu Magnus gehst oder etwas ähnlich Fragwürdiges machst wie in dem Nachtclub damals, da fiel mir nichts anderes ein als nachzugeben.“
 

„Das heißt, du hast nur mit mir geschlafen, weil du Angst um mich hattest?“
 

In meinem Hals bildete sich ein Kloß und ich hatte erneut das Gefühl, dass man mir den Boden unter den Füßen wegzog.
 

„Nein, Danny.“ Connor zögerte und schnappte sich dann wieder meine Hand. „Ich wollte mit dir Sex haben, glaube mir. Es war das Schönste und Beste was mir jemals im Leben passiert ist, wie auch du, nur war es viel zu früh. Wir hätten warten sollen. Das ist alles.“ Er schob seine Finger zwischen meine und drückte meine Hand fest. „Wobei, nein, das ist es nicht. Danny, ich habe von dir geträumt.“
 

Das hatte ich auch. Unwillkürlich schob ich meine Knie zusammen und verkrampfte mich. Wenn jetzt so eine peinliche Geschichte kam, dass er von mir auch einen feuchten Traum hatte, dann würde ich abhauen.
 

„Was hast du?“, fragte er misstrauisch.
 

„Nichts“, log ich und versuchte mich zu entspannen. „Also, was hast du geträumt?“
 

„Du lachst aber nicht, ja?“
 

„Würde ich nie“, grinste ich schwach, was ich mit einem sanften Schulterboxer vergolten bekam. „Jetzt sag schon!“
 

„Also, wir…“ Connor rieb sich verlegen den Nacken. „Nein, Danny, es geht nicht darum was ich geträumt habe, sondern wie. Du hast mir eigentlich nur gesagt, dass du mich liebst, aber wie du es gesagt hast, das ist der springende Punkt. Es war so wunderschön, denn es war ehrlich. Du hast es mit dem gleichen Funkeln in den Augen gesagt wie bei Nicky. Ein flüchtiges Fragment meines größten Wunsches. Wenn ich es doch nur real machen könnte.“
 

Connor seufzte leise und legte mir den Zeigefinger auf den Mund, als ich etwas erwidern wollte.
 

„Nichts was ich sage, wird etwas an deiner Einstellung ändern, dafür ist deine Wunde zu frisch, aber es war das Schönste, was mir passiert ist. Schöner, als mit dir zu schlafen. Ich habe es genossen dich über mir zu sehen, dir anzumerken, dass es dir gefallen hat, wenn wir Sex miteinander hatten, aber das ist nicht vergleichbar. Du hast so glücklich gewirkt, so frei und so unschuldig. Ich glaube, für diesen einen Moment würde ich jemanden umlegen.“ Unweigerlich war er ein wenig näher zu mir herangerückt, hatte sich über die Tischplatte gebeugt und meine Hände in seine gelegt. „Wenn ich es dir erklären könnte, würde ich es tun. Ich kann es aber nicht. Meine Worte würden dich nur verletzen. Alles was ich sage würde dir weh tun. Es reicht, wenn ich dir sage, dass ich mein Versprechen, immer bei dir zu sein, nicht aufgeben werde, egal wie du dich entscheidest.“
 

„Warum hast du es mir eigentlich nicht früher gesagt?“, wollte ich wissen.
 

„Danny, du bist so verschossen in Nick gewesen, so verliebt, das bist du ja heute auch noch. Wie sollte ich dagegen ankommen? Ich kann es ja auch jetzt noch nicht. Du bist in Gedanken noch immer bei Nicky, das merke ich dir an.“ Connor seufzte leise.
 

„Das stimmt nicht so ganz“, gab ich zögernd preis. „Connor, ich…“ Auf seinen fragenden Gesichtsausdruck hin nahm ich meinen ganzen Mut zusammen. „Was ist, wenn ich mich nicht in dich verlieben kann? Dann können wir doch keine besten Freunde mehr sein, oder?“
 

„Es würde schwierig werden, aber nicht unmöglich.“ Er löste unsere Hände aus ihrer Verschränkung schob seine eigenen hinter dem Kopf zusammen. „Ich würde es aber versuchen. Nur wäre es mir lieber, wenn wir doch zusammenfinden könnten.“
 

„Und wie stellst du dir das vor? Dass du mich als deinen Freund vorstellst? Ich bei dir bleibe?“
 

Connor nickte bejahend. „Das wäre wünschenswert, ja. Für dich mag es wenig verändern, aber für mich wäre es… ich würde dich gerne vorstellen als Danny, meinen Freund. Natürlich bedeutet das auch, dass ich auf dich aufpasse, und für dich aufkomme.“
 

„Aufkommen? Connor, ich wohne zuhause, Caleb und mein Papa sorgen für mich.“
 

„Tun sie, aber…“ Connor zog die Hände hinter seinem Kopf hervor und grapschte wieder nach meinen. Das tat er außerordentlich gern. Sie waren weicher und sanfter als meine und er hatte einen ernsten Blick aufgesetzt, als er sprach: „Weißt du, ich möchte dir ja auch was bieten können. Die Sachen, die dir dein Vater oder dein Bruder nicht bieten können. Mal abgesehen von körperlicher Nähe.“
 

Ich atmete tief durch und dachte nach. So wie Connor vor mir saß und sich bemühte, da war ich es ihm doch fast schon schuldig, dass ich es versuchte, oder? Er war bisher immer nett zu mir gewesen und er schien mich ja wirklich zu lieben. Ein Teil von mir liebte ihn ja auch, nur nicht so wie Nicky. Würde sich das ändern? Konnte sich das ändern?
 

„Und wenn es schiefgeht?“, fragte ich leise.
 

„Dann geht es eben schief.“ Connor hob die Mundwinkel an. „Ich bin bereit dieses Risiko einzugehen, wenn es bedeutet, dass ich dich bei mir behalten kann. Umzuziehen wird schwer möglich sein, aber du hast ja meinen Schlüssel und meine Nummer.“
 

„Was ist mit Caleb?“
 

„Ich rede einmal mit ihm, okay? Auch wenn das sehr selbstverliebt klingen mag, ich bin wahrscheinlich die beste Möglichkeit erste Erfahrungen zu sammeln, mehr noch als ohnehin schon. Ich würde dich nie zu etwas drängen, dich nie zu etwas zwingen und versuchen dich mit Liebe und Zuneigung zu überhäufen.“ Seine Finger strichen über meine Handrücken. „Das mit Annabelle war schön, ja, sehr sogar, aber mit dir ist es ganz anders. Es ist als hätte ich das Stück meines Herzens wiedergefunden, das ich verloren geglaubt habe. Du musst nicht eifersüchtig sein, oder dir Gedanken machen was ich mit wem hatte, denn alles ist bedeutungslos neben dir.“
 

Mein Herz machte tatsächlich einen kleinen Sprung als Connor den letzten Satz sagte. Es klang nun ein wenig anders, anders als damals beim Picknick, anders als beim Üben, anders als überhaupt.
 

„Dann… dann versuchen wir es?“, nuschelte ich zögernd.
 

„Möchtest du?“
 

Ich nickte leicht. Ja, ich wollte es versuchen. Nicky zu vergessen und bei jemandem zu sein, der mich tatsächlich liebte, das war den Versuch wert. Zumal ich dann mit Nicky vielleicht doch wieder Freundschaft schließen konnte, sich die Spannungen zwischen Caleb und mir lösen könnten und ich einen coolen Freund hatte.
 

„Darf ich dich küssen, Danny?“
 

Ich biss mir auf die Unterlippe und nickte dann erneut. Es war doch nichts dabei, wenn Connor mich küsste, oder? Er hatte mich bisher immer anfassen dürfen. Kaum, dass ich mit der Geste fertig war, war er schon neben mir, hatte sich hingehockt, sodass wir auf Augenhöhe waren und mir eine Hand in den Nacken gelegt. Unsere Lippen berührten sich, nur ganz flüchtig. Er zögerte, bis ich den Kuss erwiderte. Bilder stiegen in mir hoch: Wie wir im Auto saßen und lachten, wie er mich aus dem Club getragen hatte, wie wir Essen gewesen waren und wie er neben mir schlief, den Arm um mich gelegt. Ja, es war wirklich einen Versuch wert und der Kuss fühlte sich nicht schlecht an. Nur nicht schlecht bedeutete keine Liebe. Was wenn ich mich nie in Connor verlieben würde? Panik machte sich in mir breit. Worauf hatte ich mich nur eingelassen?

Ich hatte Danny zur Therapie gebracht. Jetzt wo wir mehr oder weniger zusammen waren, hatte ich mehr Verantwortung für ihn. Dass Caleb nicht schnallte, dass Danny dringend Hilfe brauchte, das wollte ich nicht begreifen. Verließ er sich auf mich? Eher nicht. Hatte Nick ihn so um den Finger gewickelt, dass er für nichts anderes mehr Zeit aufbringen konnte? Auch nicht. Da musste etwas anderes sein. Vielleicht auch einfach jugendliche Unerfahrenheit? Caleb war nur drei oder vier Jahre jünger als ich und dementsprechend erwachsen genug, um zu begreifen, dass Danny mit fast 16 Jahren kaum reif genug für eine Beziehung war. Mit mir eventuell, aber das würde ein langer Weg werden. Es war nicht zu übersehen, dass Danny sich nur auf mich eingelassen hatte, weil er mich nicht verletzen wollte, sofern man das überhaupt als „Zusammen sein“ ansehen konnte. Das tat zwar weh, aber es erlaubte mir den Schmerz in meinem Herzen für ein paar Stunden zu vergessen. Die Kernfrage, die jedoch blieb, war eine andere: Wie würde ich mit Caleb umgehen? Gesetzt dem Fall, dass ich mit Danny tatsächlich eine langfristige Beziehung auf die Beine stellen konnte (was ich inständig hoffte), würde ich mit dem Bruder meines Freundes auch auskommen lernen müssen.
 

Ich legte leise seufzend den Lappen weg. Die Küchenzeile war blitzblank und ich wischte noch immer wie ein Berserker. Hausarbeit oder Sport lenkten mich hervorragend von meinen Problemen ab, nur heute wollte das nicht so richtig klappen. Was sollte ich wirklich mit Caleb machen? Dannys Erzählungen nach war er der ideale große Bruder, Olivias Erzählungen nach wäre er ein interessanter Kandidat für einen Freund gewesen (ich betete inständig, dass sie nie zusammenfinden mochten) und laut Magnus war er… ich verdrängte den Gedanken kopfschüttelnd. Magnus´ Meinung war dementsprechend gefärbt und auch kaum objektiv. Noch weniger als die von Danny und Olivia. Magnus war, vorsichtig ausgedrückt, ungenießbar. Ich hatte ihn über David kennengelernt und meine Menschenkenntnis mich dabei nicht verlassen: Hinter dieser smarten und gutaussehenden Fassade verbarg sich ein kranker Psycho. Kein Wunder, dass es zwischen Caleb und ihm nicht funktionierte. Dannys Bruder wirkte auch nicht wie jemand, der auf irgendwelche kranken Spielchen beim Vögeln stand. Oder doch? Was wohl er und Nicky… Ich schüttelte erneut den Kopf. Meine Gedanken drifteten ab, und zwar an einen Punkt, den ich mir gar nicht vorstellen mochte. Mein Hauptaugenmerk sollte auf Danny liegen und niemandem sonst. Ich war sein Quasi-Freund und nicht der von Caleb.
 

Ein Klingeln an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Es war Sonntagvormittag. Danny konnte es nicht sein, der saß gerade bei meinem Vater und mit meinen Freunden hatte ich mich auch nicht verabredet. Den Postboten schloss ich kategorisch aus. Mit einer Spur Neugierde ging ich zur Tür, wischte mir die Hände an meiner Jogginghose ab und öffnete sie. Kaum, dass das getan war, wurde ich schon grob an meinem T-Shirt gepackt und in die Wohnung zurückgeschoben.
 

„Wo ist Danny?“, knurrte mich Caleb an. Seine Augen, die eine erstaunliche Ähnlichkeit zu denen von Danny besaßen, waren zu Schlitzen verengt. Von einem wildgewordenen Stier unterschieden ihn nur ein paar hundert Kilo, die Hörner und das Faktum, dass er auf zwei Beinen laufen konnte.
 

„Er ist gerade bei der Therapie“, entgegnete ich bemüht ruhig und versuchte zu ignorieren, dass er mich in meiner eigenen Wohnung in einem schraubstockartigen Griff festhielt.
 

„Therapie? Was?“, fuhr er mich an, ohne den Griff zu lockern. „Danny kommt sofort mit mir nach Hause.“
 

„Er ist aber nicht hier, wie du siehst. Zumal die Therapie wichtig ist. Dein Freund wird dir wohl erzählt haben, was im Club passiert ist, oder?“
 

Man konnte Caleb förmlich ansehen, wie es in seinem Kopf zu arbeiten begann. Rationalität kämpfte mit Wut und Aggression um die Vorherrschaft. Ich ging davon aus, dass Nick mit der Sprache hatte herausrücken müssen, nachdem er Danny abgeschossen hatte. Für den Hauch einer Sekunde hegte ich sogar die Hoffnung, dass die Rationalität siegen mochte, doch bereute ich diese Annahme just in dem Moment, als sich wieder der Zorn auf Calebs Zügen ausbreitete. Er holte mit der Faust aus und bevor ich reagieren konnte, spürte ich einen scharfen, brennenden Schmerz. Meine Zähne knallten aufeinander und mir flog der Kopf in den Nacken. Ich konnte meine Wohnzimmereinrichtung bestaunen, nur um dann nach vorne gerissen und grob durchgeschüttelt zu werden.
 

„Er braucht, wenn schon, eine Therapie wegen dem kranken Mist, den du mit ihm gemacht hast“, schrie er mich an. „Danny ist weder schwul noch wird er es jemals sein, haben wir uns verstanden?“
 

Ich versuchte Calebs Worten zu folgen und dabei auszublenden, dass ich Blut im Mund schmeckte. Meine Zähne schmerzten höllisch, genauso wie mein Kinn. Das war ein schlechter Scherz, oder? Hatte er das tatsächlich gesagt?
 

„Kümmere dich um deinen eigenen Kram und misch dich nicht in die Angelegenheiten anderer ein. Ich bin Dannys großer Bruder und passe auf ihn auf.“
 

„Sehr erfolgreich, wie mir scheint“, presste ich hervor. „Er war im Club alleine, du hast ihn mit seinen Problemen mit Nicky alleine gelassen und auch sonst mit Abwesenheit geglänzt.“
 

Calebs dunkelbraune Augen verfinsterten sich mit jedem meiner Worte. Die Finger, die mich festhielten, zitterten. Sein ganzer Körper bebte. Ein zweiter Faustschlag wäre in Ordnung gewesen, hätte er mir Dinge vorgeworfen wie, dass ich schuld an Dannys Problem war, ich ihn eingewickelt oder verführt hätte, oder einfach, weil er mich nicht leiden konnte, aber mir vorzuwerfen, ich würde seinen Bruder in die Homosexualität treiben, das ging mir eine Spur zu weit. Den ersten hatte ich vielleicht verdient, aber einen zweiten sicher nicht.
 

„Du spinnst doch, Caleb. Danny hat schon vorher an Kerlen herumprobiert. Im Gegensatz zu denen, zwinge oder manipuliere ich ihn nicht dazu. Ich liebe Danny und ich würde dir jetzt raten mich loszulassen, sonst revanchiere ich mich.“ Den letzten Satz sagte ich bewusst nur leise.
 

„Das… das… das geht dich alles nichts an!“, brüllte Caleb und ich konnte sehen, wie er erneut die Hand zur Faust ballte. Noch einmal würde ich mir das nicht gefallen lassen.
 

Ich zog mein linkes Bein an und rammte Caleb das Knie in die Magengrube. Er ließ mich keuchend los und taumelte nach hinten. Die kleine Verschnaufpause nutzte ich, um mein lädiertes Kinn zu betasten. Es brannte wie Feuer und ich war mir auch ohne Spiegel sicher, dass es blau anlaufen würde. Vielen Dank einmal dazu, werter Schwager in spe.
 

„Ich denke, damit sind wir quitt“, stellte ich fest und beobachtete Caleb dabei, wie er sich, noch immer die Bauchgegend haltend, ungefragt auf mein Sofa fallen ließ. Sein Gesicht war zwar noch wutverzerrt, aber er schien begriffen zu haben, dass ich durchaus in der Lage war mich zu wehren.
 

„Wie ich sehe, hast du dich soweit beruhigt, dass wir normal miteinander reden können.“
 

Normal war ein wenig übertrieben, denn mir tat sogar das Sprechen weh, aber ich ignorierte den Schmerz einfach. Das hier war die Chance Caleb auf meine Seite zu ziehen. Wenn mir das gelang, dann hatten Danny und ich eine Zukunft.
 

„Was hast du eigentlich gegen mich?“, wollte ich wissen und lehnte mich gegen meine Küchenzeile. „Ich habe dir überhaupt nichts getan.“
 

„Du bist genau diese Gattung von Mensch, die glaubt, sie sei etwas Besseres, nur weil sie reiche Eltern hat und studieren gehen kann.“
 

„Ein interessantes Vorurteil. Lassen wir es mal so stehen. Die Frage, die mich eher interessiert ist, was du dagegen hast, dass Danny mit einem Kerl zusammenkommen könnte. Du bist ja selbst mit Nicky zusammen?“
 

Calebs Blick verhärtete sich. Er starrte mich an als hätte ich ihm gerade vorgeworfen aussätzig zu sein. Das wollte mir nicht ganz in den Schädel gehen. Ich hatte hier doch keinen homophoben Schwulen vor mir, oder? Mein pochendes Kinn wollte mir da nicht so recht zustimmen.
 

„Es geht dich nichts an, habe ich gesagt“, wich er meiner Frage aus, dieses Mal aber deutlich ruhiger.
 

„Doch, das tut es. Ob es dir gefällt oder nicht, Danny scheint solche Neigungen, wenn man es so ausdrücken mag, zu haben. Die Alternativen wären aber in seinem Fall entweder dein Freund, was dir kaum recht sein kann, oder Magnus und, mit Verlaub, ich würde mich vorher vor einen Zug werfen, als Danny mit Magnus in Berührung kommen zu lassen.“
 

Dieser uralte Trick zog immer: Schuldgefühle. Caleb hatte sich, meines Wissens nach, noch immer nicht gänzlich von Magnus lösen können. Er fuhr zweigleisig und wusste auch ob der etwas fragwürdigen Neigungen, die Magnus im Bett hatte, ganz sicher. David hatte mir einmal gesteckt, dass der Sex zwischen Caleb und Magnus nicht funktionierte. Dass sich mein Freund wiederum von diesem Ekelpaket vögeln ließ, war mir zuwider, aber David alt genug, um einfach Nein sagen zu können.
 

„Dazu wäre es nie gekommen. Ich hätte Danny nie in Magnus´ Nähe gelassen.“
 

„Das kannst du nicht garantieren. Selbst wenn, da ist immer noch Nicky. Danny ist so verliebt in ihn, dass er ihm auch jetzt noch nachtrauert.“ Ich stützte mich mit den Ellenbogen auf der Arbeitsfläche der Küchenzeile ab und verschränkte die Hände vor dem Bauch. „Caleb, Danny war oder ist so verliebt in Nicky, dass er sich von einer Dummheit in die nächste stürzt. Ich tue mein Menschenmöglichstes, um ihn einigermaßen zu beschützen.“
 

„Indem du ihn vögelst?“, spottete Caleb und schien sich allmählich von meinem Magen-Knie-Angriff zu erholen.
 

„Er hat mich gevögelt, wenn du es ganz genau wissen willst, und ja, auch wenn ich nicht sonderlich stolz darauf bin, aber auch das war immer noch besser, als wenn er es mit Magnus versucht hätte oder gar einem Wildfremden. Für mich hat er ein gestörtes Verhältnis zur Sexualität. Er projiziert seinen wahnsinnigen Wunsch, Nicky nahe sein zu können, darauf, dass er gut im Bett sein muss. Danny ist noch nicht mal 16 und hat mehr Erfahrungen gesammelt als so mancher Kerl mit 20. Von der Beinahevergewaltigung einmal abgesehen. Das war übrigens der Verdienst deines Freundes.“
 

Diesen kleinen Seitenhieb hatte ich mir nicht verkneifen können.
 

„Und wie stellst du dir das weiter vor? Dass ich zusehe, wie du meinen Bruder vögelst?“
 

Ich konnte schon wieder diesen latenten Anflug vom Wunsch, mir eine reinzuzimmern, aus seinen Zügen ablesen. Das passte ehrlich gesagt gar nicht zu dem Bild, welches mir Olivia von Caleb vermittelt hatte. Er sei ruhig, gut erzogen, etwas stoisch, aber kaum in der Lage aus sich herauszugehen, Gefühle zu zeigen. Das bedeutete für mich, Danny war ihm sehr wichtig. Natürlich war er das, so wie Olivia mir.
 

„Ich hoffe, Danny stellt seine Versuche, mit mir schlafen zu wollen, fürs Erste ein“, gestand ich leise seufzend. „Caleb, mir würde es auch nicht gefallen, wenn du mit Olivia schlafen würdest, das verstehe ich. Nur es ist nichts Schlimmes daran, wenn er mit Jungs rummacht. Er hätte es deutlich schlechter treffen können. Ich verspreche dir ihn nicht zu überfordern, mich zu bemühen ihm ein guter Freund zu sein und auch, dass seine Leistungen in der Schule nicht absacken. Er kann auch Leo und Klein-Nicky bei mir unterbringen, wenn er mich besucht. Ich lerne mit ihm, passe auf ihn auf, reduziere den Körperkontakt auf ein Minimum und achte darauf, dass er sich von den möglichen Schäden, die dieser Abend im Club hinterlassen hat, erholt.“
 

Caleb kniff die Augen zusammen und musterte mich dann eindringlich. Innerlich machte ich mich bereit erneut mit ihm aneinanderzukrachen und mir wahrscheinlich sogar eine blutige Nase zu holen. Der Vergleich mit einem wildgewordenen Stier war wirklich sehr treffend. Ein kleiner Teil von mir fragte sich, wie es wohl wäre Calebs Freund zu sein. Er war älter, reifer, erwachsener und sah Danny dabei verdammt ähnlich. Was dachte ich da eigentlich?
 

„Ich scheine sowieso nichts unternehmen zu können. Hoffentlich schießt er dich bald ab.“ ‚
 

„Ich hoffe es nicht, kann dich aber verstehen.“
 

Vorsichtig betastete ich erneut mein Kinn und schaute dabei auf die Uhr. Unser kleines Intermezzo hatte mich ziemlich aus meinem Zeitplan gebracht. Eigentlich wollte ich noch duschen und Eierkuchen für Danny backen, aber der Zug war wohl abgefahren.
 

„Und diese Therapie hat einen Sinn?“, fragte mich Caleb plötzlich aus heiterem Himmel.
 

„Hat sie“, bestätigte ich. „Mein Vater meint, Danny hat sehr gute Bezugspersonen.“
 

„Die da wären?“
 

„Dich und mich.“
 

Das laute Schnauben Calebs überging ich geflissentlich.
 

„Er steckt es gut weg, aber es wird noch eine Weile dauern. Wenn du möchtest, kann ich Papa bitten, dass du Danny mal begleiten darfst, sofern du an der Seriosität der Therapie zweifelst. Papa ist ein guter Psychiater und er bemüht sich, weil er weiß, dass Danny und ich Freunde sind.“
 

„Dein Vater weiß, dass du mit Danny rummachst?“
 

„Nein. Er weiß nur, dass Danny mir sehr viel bedeutet und mir am Herzen liegt. Wahrscheinlich vermutet er es, aber bisher hat er sich noch nicht dazu geäußert. Genauso wenig wie meine Mutter oder Olivia.“ Ich zögerte und fügte dann an: „Caleb, wir müssen keine Freunde werden, und es ist nicht einmal sicher, dass Danny und ich ein Paar werden, aber was wir müssen ist ihn aufzufangen. Wenn diese Erlebnisse nicht aufgearbeitet werden, entwickelt er irgendeine Zwangsstörung oder noch etwas Schlimmeres. Er hängt an dir, er hängt an Nicky und er hängt an mir. Wir zwei sind aber vernünftiger als Nick. Bitte, gib mir einfach die Chance dir zu zeigen, dass ich es mit Danny ernst meine. Wenn ich es vergeige, dann darfst du mir gerne sämtliche Zähne rausschlagen, einverstanden?“
 

Anstatt zu antworten warf mir Caleb noch einen wütenden Blick zu, bevor er aufstand und wortlos meine Wohnung verließ. In dem Punkt war er deutlich anders als Danny: Dieser hätte jetzt geheult und sich im Zimmer eingeschlossen, aber er wäre nicht abgehauen. Vielleicht waren sie doch verschiedener als angenommen? Meine Wenigkeit musste jetzt jedenfalls Danny abholen und sich eine Ausrede überlegen, warum mein Kinn zerschrammt war. Ein Blick im Flurspiegel, als ich mir meine blau-weiße Collegejacke überzog bestätigte meine Vermutung: Ein netter Bluterguss. War ja schon mal ein guter Start mit meinem Wunschschwager.

Diese Therapiestunden bei Connors Vater waren die Hölle. Nicht, dass Anton jetzt ein schlechter Mensch gewesen wäre, oder ein Pfuscher (sofern ich das beurteilen konnte), aber er arbeitete Stück für Stück mit mir auf, was damals im Club passiert ist. Das war härter als gedacht. Er gab mir die nötige Zeit, um mich wieder zu beruhigen, und auch Pausen, die ich brauchte, aber ein Zuckerschlecken war es dennoch nicht. Ich fragte mich außerdem, warum er und Connor so verschieden aussahen. Anton war klein, dunkelhaarig, untersetzt und besaß dunkelbraune Augen, die einen fast schon zu röntgen schienen. Die Ähnlichkeit zu Olivia war unbestreitbar, aber zu seinem Sohn… Dieser bog gerade in jenem Moment auf den Parkplatz vor der Praxis ein. Ich öffnete die Beifahrertür und stieß beim Einsteigen einen erschreckten Laut aus.
 

„Was ist mit dir passiert?“, fragte ich entsetzt. Connor sah aus als wäre er in eine handfeste Schlägerei geraten.
 

„Lange Geschichte“, wiegelte er ab. „Wie war es bei Papa?“
 

„Wie immer – anstrengend. Wo hast du das her?“ Ich deutete auf sein blau angelaufenes Kinn.
 

„Willst du gar nicht wissen. Hast du Hunger?“, versuchte Connor abzulenken.
 

„Nein, ich will wissen, woher du diese Verletzung hast. Ich war nicht mal zwei Stunden weg.“
 

„Danny, das willst du wirklich nicht wissen. Belassen wir es einfach dabei, dass ich zum Teil selbst schuld daran bin, okay?“
 

„Das ist kindisch“, entgegnete ich trotzig. „Du bist mein Freund und ich will jetzt wissen woher diese Schramme stammt.“
 

Eben jener Freund seufzte genervt und trippelte unruhig auf dem Lenkrad herum. Das war ein sicheres Zeichen dafür, dass Connor nervös war.
 

„Caleb hat mich besucht.“
 

„Was?“
 

„Ja, er ist wohl nicht ganz glücklich darüber, dass du bei mir bist, oder mit mir zusammen. Wie auch immer…“ Connors Tonfall war ähnlich gleichgültig wie wenn man jemanden nach dem Wetter fragte.
 

„Er hat dir eine gewischt? Wie Nicky?“
 

„Scheint so, hm? Ich darf mir also gar nichts drauf einbilden? Bin wohl nicht der Erste, der mit Calebs Faust Bekanntschaft gemacht hat?“ Das Glucksen verwandelte sich in ein schmerzverzerrtes Zischen als Connor die Mundwinkel anhob.
 

„Nein“, schüttelte ich den Kopf. „Nicky hat er am Anfang auch eine geknallt. Ich habe ihm dafür die Reifen zerstochen.“
 

„Sowas kannst du?“
 

„Natürlich. Ich sehe nur so harmlos aus“, entgegnete ich schwach grinsend. „Tut es sehr weh?“
 

„Es gibt angenehmere Dinge, aber geht schon. Wenn es bis übermorgen nicht besser ist, werde ich Mama einfach fragen, ob sie es sich mal ansehen kann.“
 

„Das klingt einigermaßen vernünftig.“ Ich wusste ehrlich gesagt nicht, was ich darauf antworten sollte. Warum hatte Caleb denn wieder so einen Bock geschossen? Dass er Connor nicht mochte wusste ich, ihm aber eine reinzuhauen… Ich war irgendwie sauer auf meinen großen Bruder.
 

„Du hast meine Frage mit dem Essen noch nicht beantwortet“, riss er mich aus meinen Gedanken.
 

„Keinen Hunger.“
 

„Warum?“
 

„Weil ich sauer auf Caleb bin.“
 

„Lass gut sein, Danny. Er sorgt sich einfach um dich.“
 

„Das weiß ich, aber es ist dennoch nicht in Ordnung, wenn er dich verprügelt.“
 

„Ich habe mich schon revanchiert, keine Sorge. Er ist einfach ein wenig überfordert, denke ich.“
 

„Wenn ich jedem eine reinhauen würde, nur weil ich überfordert bin…“
 

„Bei deinen Ärmchen wäre das wohl kaum schmerzhaft.“
 

Connor machte Bekanntschaft mit meinen Ärmchen, die ihm gegen die Schulter boxten, was ein lautes „Au“ zur Folge hatte. Ich war schlaksig und durch die harte Stallarbeit sicher alles andere als ein Schwächling. Das bekam er jetzt auch zu spüren.
 

„Ist ja gut, ist ja gut. Du hast keine Ärmchen. Du bist ein großer starker Teenager. Besser?“
 

„Ein wenig“, schmunzelte ich zufrieden. „Ich habe aber wirklich keinen Hunger.“
 

„Liegt an der Therapie, hm?“ Connor nahm seinen Blick kurz von der Straße und schaute mich einfühlsam an. „Papa meint aber, dass du dich sehr gut schlägst.“
 

„Ihr redet über mich?“ Ich wurde im Sitz immer kleiner. Mir war das noch immer furchtbar peinlich, auch wenn Anton meinte, mich träfe keine Schuld. Ich hätte mich ja irgendwie wehren können, Widerstand leisten, irgendetwas machen...
 

„Natürlich. Papa weiß, dass du einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben bist.“
 

„Das heißt, er weiß, dass du dich in mich verliebt hast?“
 

Connor schob die Lippen nach innen und verengte die Augen ein wenig. Die Tachonadel kletterte in einem ungesunden Tempo nach oben.
 

„Nein, Papa weiß nichts davon. Genauso wenig wie Mama oder Olivia.“
 

„Du machst also ein Geheimnis aus mir?“ Das tat weh. Zuerst Nicky, dann Connor, der mich wie ein kleines Geheimnis behandelte. Wir waren zwar nicht offiziell zusammen, aber gestern erst hatte er mir noch gesagt, dass er mich gerne als seinen Freund vorstellen würde, dabei tat er das nicht mal vor seinen Eltern.
 

„Nein.“ Connor öffnete den Mund, um noch etwas anzufügen, schloss ihn dann aber.
 

„Nein?“, hakte ich nach, nachdem wir gut fünf Minuten mit Schweigen verbracht hatten.
 

„Ich mache kein Geheimnis aus dir, Danny, ich will nur, dass du dir ganz sicher bist, dass du mit mir zusammen sein willst.“
 

„Und wenn ich mir schon ganz sicher bin?“
 

„Bist du es denn?“
 

Ich hätte lügen müssen, wenn ich ja gesagt hätte. Connor hatte zweifelsohne viele Vorzüge und er liebte mich abgöttisch, das war mir mittlerweile bewusst, nur ich hing immer noch an Nicky. Nicky war mein bester Freund vor Connor gewesen, dann meine große Liebe. Die Bombe war erst vor Kurzem geplatzt. Ich wusste selbst nicht was ich wollte, wie ich es wollte, wen ich wollte und wie die ganze Sache weitergehen sollte.
 

„Ich weiß es nicht“, gestand ich leise.
 

„Genau deswegen hänge ich es noch nicht an die große Glocke. Es würde mich freuen, sehr sogar, nein, ich wäre der glücklichste Mensch, wenn du mich wirklich lieben würdest, Danny, nur kann ich das von dir nicht verlangen.“ Er klang dabei niedergeschlagen, traurig, fast schon enttäuscht. Das wiederum verschaffte mir ein schlechtes Gewissen und ich legte meine Hand auf die von Connor am Lenkrad.
 

„Ich habe einfach wirklich keine Ahnung, Connor. Ich mag dich ja, sehr sogar, das weißt du. Du bist der beste Freund, den man sich wünschen kann.“
 

„Freund, ja. Ich fühle mich ein wenig wie… ach lassen wir das.“
 

„Wie denn?“, wollte ich wissen, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich noch schlechter fühlte.
 

„Weißt du denn, wie der magische Pfirsich vom Baum der ewigen Jugend gepflückt wird?“
 

„Nein?“
 

„Vor langer Zeit, als noch Götter und Magie die Welt beherrschten, da lebte eine Zauberin im alten China. Sie war wunderschön. Ihr Haar so schwarz wie Ebenholz, ihre Augen von einer süßen Schwärze, ähnlich den deinen. Ihr Name ist schon längst vergessen und ich habe ihn auch, trotz intensivster Recherche, nicht herausfinden können, aber egal. Jedenfalls war sie zwar wunderschön und sehr mächtig, nur konnte selbst sie nicht den Zahn der Zeit aufhalten. Sie alterte, zwar langsamer als andere Frauen, aber sie wurde alt. Ihr wunderschönes Haar ergraute, die makellose Haut verblich, wurde faltig. Kein Zauber dieser Welt konnte den Alterungsprozess stoppen, ihn nur verlangsamen. Doch es gab etwas, nämlich den magischen Pfirsich vom Baum der ewigen Jugend. Er stand in einer Parallelwelt voller Gefahren und Prüfungen. Nur wer alle Prüfungen meisterte, durfte sich einen Pfirsich pflücken. Die Zauberin war aber zu schwach oder zu eitel oder einfach zu vorsichtig, um sich selbst den Herausforderungen zu stellen. So verzauberte sie immer wieder Männer, die sie vorausschickte, ihr einen Pfirsich zu bringen. Viele scheiterten, doch einem gelang es. Er war ein junger Shaolin und wirklich verliebt in sie. Keine Prüfung war zu schwer, keine Herausforderung zu groß. Er schaffte es bis vor den Baum, der ihn auslachte, verhöhnte, dass es viele vor ihm versucht hätten. Der Shaolin entgegnete, er habe es bis zum Baum geschafft und er hätte sich den Pfirsich verdient. Der Baum antwortete, dass er in der Tat das Recht besitze, sich den einen Pfirsich zu nehmen. Am Baum aber hingen tausende Früchte, einer appetitlicher als der andere. Der junge Mönch erkannte, dass nur einer der wahre Pfirsich sein konnte. Dies bestätigte ihm auch der Baum.“
 

„Und wie hat er den richtigen Pfirsich gefunden?“
 

„Er hat den Baum den Flammen übergeben. Der letzte Pfirsich, der an der Krone hängt, ist jener, der ewige Jugend verspricht.“
 

„Aber dabei wird der Baum doch zerstört?“
 

„Ja, und er hat richtig entschieden, denn als die Zauberin davon erfuhr, war sie außer sich. Sie verwandelte den Mönch einen Hasen und ließ ihn zurück.“
 

„Warum? Sie war doch damit ewig jung?“
 

Connor lächelte gequält: „Nicht ganz. Der Pfirsich hielt nur eine bestimmte Zeit lang, ich glaube 1.000 Jahre.“
 

„Das begreife ich nicht. Was hat das mit uns zu tun?“
 

„Ich weiß noch nicht, wer ich in der Geschichte bin, der Mönch oder die Zauberin.“
 

„Was?“
 

„Vergiss es einfach.“ Connor beugte sich zu mir herüber und stahl sich einen Kuss, bevor ich etwas tun konnte. „Wir sind da. Wenn du dich ein wenig geduldest, kann ich dir Pfannkuchen machen. Ich habe übrigens noch einen neuen Ego-Shooter besorgt.“
 

Ich nickte abwesend und folgte Connor in die Wohnung. Die Geschichte mit dem Mönch und der Zauberin kapierte ich nicht. Was hatte das wirklich mit uns zu tun? War Connor der Mönch? Der Hase? Die Zauberin? Wer war ich? Warum musste sich mein Freund immer so geschwollen ausdrücken? Ich unterdrückte einen frustrierten Laut und pflanzte mich aufs Sofa.

Die Pfannkuchen schmeckten, gleich wie beim letzten Mal, hervorragend. Connor hatte heute etwas Zitrone und Zimt in den Teig gemischt, was ihm eine herrlich frische Note, auch ohne Marmelade oder Nutella, verlieh. Man konnte sie ohne Belag bedenkenlos essen, was ich, trotz meiner Aussage im Auto vorhin, mit großem Appetit tat. Mein Freund schaute mir dabei gequält lächelnd zu, was mir zusätzlich ein schlechtes Gewissen verschaffte; Caleb hatte ihn schließlich nur wegen mir vermöbelt.
 

„Bist du satt?“, fragte er mich, nachdem ich den achten Pfannkuchen verputzt hatte.
 

„Mehr als das“, stöhnte ich angestrengt und schob den leeren Teller von mir weg. „Du bist ein guter Koch, weißt du das? Deine Pfannkuchen schmecken fast so gut wie die von C…“ Ich biss mir auf die Unterlippe.
 

„Schon okay, Danny. Caleb ist dein Bruder und ich nehme ihm das mit meinem Kinn kaum übel.“
 

„Wirklich nicht?“
 

„Nein“, schüttelte er den Kopf und schnappte sich meinen Teller, um ihn auf seinen zu stellen. „Er liebt dich und möchte dich beschützen. Ich würde bei Olivia ähnlich reagieren. Ihr seid eben unsere kleinen Geschwister.“
 

„Du hättest den Freund von Olivia auch verprügelt?“, hakte ich zweifelnd nach.
 

„Das nicht, aber ihn in die Mangel genommen. Ich bin mit ihrer Männerwahl sowieso kaum zufrieden.“ Connors Mundwinkel zuckten ein wenig. „Das ist bei großen Brüdern so. Von daher war Calebs Reaktion zwar heftig, aber nicht unnormal. Dass er mir direkt eine reinhauen würde, damit hatte ich nicht gerechnet, aber ansonsten…“
 

„Es tut mir leid“, gestand ich leise und senkte den Blick ein wenig. „Ich mache dir so viel Ärger, Connor.“
 

„Tust du nicht, Danny. Wir sind Freunde. Er hätte mir auch ein paar Zähne ausschlagen können und ich wäre nicht böse auf dich gewesen. Es ist ja nicht mal deine Schuld. Schau mich mal an.“
 

Ich biss mir wieder auf die Unterlippe und hob den Kopf ein wenig. Connors Lächeln wirkte noch gequälter als beim Essen, was ich aber auf sein lädiertes Kinn schob. Seine Augen strahlten dafür so viel Wärme und Zärtlichkeit aus, dass ich mir sicher war, dass er seine Worte ernst meinte.
 

„Danny, ich liebe dich, Denkst du wirklich, ich könnte dir jemals böse sein? Oder dir die Schuld für etwas geben?“
 

„Ja? Das wäre nämlich natürlich?“
 

„Ist es auch. Ich gebe zu, es gibt manche Dinge, die mich verletzen, ja, aber deswegen kann ich dir keinen Vorwurf machen, oder gar sauer auf dich sein. Ich bin eifersüchtig auf Nicky, ja, genauso wie ich ihm am liebsten selbst eine reinzimmern würde, aber nein, dich trifft keine Schuld.“
 

„Weißt du, dass ich manchmal das Gefühl habe, dass du zu perfekt bist?“ Ich lächelte schief und streckte meine Hand aus, die sofort von Connor in Beschlag genommen wurde.
 

„Ich versuche zumindest nahe an Perfektion zu gelangen, wenn es um dich geht.“
 

„Das solltest du aber nicht. Nicky war es schließlich auch nicht.“
 

„Nicht?“
 

„Nein“, entgegnete ich, was mir einen verwunderten Blick seitens Connor einbrachte. „Nicky war vieles, aber nicht perfekt.“
 

„Du hast ihn doch aber geliebt? Oder liebst ihn immer noch?“
 

„Natürlich tue ich das, aber nicht, weil er fehlerlos ist. Nicky ist einfach Nicky, so wie du einfach du bist. Connor…“ Ich suchte nach den richtigen Worten. „Niemand hat mir jemals so schöne Sachen gesagt wie du, oder sich so um mich bemüht.“
 

„Das hast du dir aber verdient.“
 

„Habe ich nicht. Überhaupt nicht. Ich war gemein zu dir, verletzend und blind gegenüber deinen Gefühlen. Deswegen fühle ich mich schlecht und das wird auch noch eine Weile so bleiben, aber ich versuche mich damit abzufinden, okay?“
 

Connor streichelte mir mit dem Daumen über den Handrücken und erwiderte zur Abwechslung nichts. Das war seltsamerweise genau die Reaktion, auf die ich gehofft hatte. So wusste ich, dass ich richtig lag und musste mir zumindest deswegen einmal keine Gedanken machen. Was aber, wenn er sich jetzt schuldig fühlte? Ich unterdrückte ein Seufzen und suchte nach einem anderen Gesprächsthema. Mein Blick fiel dabei an Connors blonden Haaren hängen. Da fiel mir etwas ein.
 

„Connor? Darf ich dich einmal etwas fragen?“
 

„Natürlich. Alles was du möchtest.“
 

„Wie kommt es eigentlich, dass dein Vater und Olivia so anders aussehen als du? Ich meine, ist deine Mutter blond?“
 

Meine Fragen ließen Connor nun tatsächlich lächeln. Er wirkte wie ein Kind, das man dabei ertappte, wie es um zehn Uhr abends in die Keksdose griff.
 

„Nein, Mama ist auch nicht blond. Sie hat auch keine blauen Augen und ich bin der Einzige in unserer Familie, der über 1,75 groß ist.“
 

„Das heißt?“
 

„Ich bin adoptiert.“
 

„Was?“
 

Connor zuckte mit den Schultern und das Lächeln erstarb. Schlagartig hatte ich ein noch schlechteres Gewissen. Mit meiner Empathie war es nicht sonderlich weit her. Entweder das, oder ich hatte ein äußerst großes Talent dafür in Fettnäpfchen zu treten.
 

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht…“
 

„Schon okay. Mama und Papa haben mich adoptiert, da war ich ungefähr zwei Jahre alt. Meine richtigen Eltern kenne ich nicht. Meine Mutter war alleinerziehend, als sie bei einem Autounfall ums Leben kam, mein Vater dürfte wohl noch irgendwo herumgeistern, aber mit dem Interesse ist es höchstwahrscheinlich nicht so weit her.“
 

Fettnäpfchen war ja gar kein Ausdruck. Ich verschränkte unsere Finger miteinander und murmelte leise eine Entschuldigung.
 

„Du hättest es sowieso irgendwann rausgefunden, Danny. Außerdem ändert es ja nichts: Mama und Papa sind meine Eltern und Olivia ist meine kleine Schwester. Nur weil wir nicht das gleiche Blut haben, bedeutet das nicht, dass sie nicht meine Familie sind. Ich hätte es auch schlechter treffen können. In einem Pflegeheim versauern oder zu Adoptiveltern kommen, die mich nicht geliebt hätten. Sie haben aber nie einen Unterschied zwischen Olivia und mir gemacht. Unsere Zimmer waren gleich groß, wir haben gleichwertige Sachen bekommen und wurden genauso für unsere schulischen Erfolge gelobt wie auch bestraft, wenn wir Mist gebaut haben.“
 

„Und sie haben dir einen Porsche gekauft“, fügte ich an. „Du hättest es also wirklich schlechter treffen können.“
 

„Ja“, nickte er. „Und ich habe dich.“
 

Erneut wollte ich verlegen den Kopf senken, doch Connor zwang mich mit seinen Fingern, dass ich ihm direkt in die Augen schauen musste.
 

„Hör auf zu spinnen, Connor“, nuschelte ich und versuchte seinem Blick auszuweichen, der noch mehr Wärme und Liebe ausstrahlte als früher.
 

„Ich spinne nicht. Keine einzige Sekunde bereue ich und ich warte noch tausend Jahre, bis du bereit bist, aber ich werde dich nicht aufgeben. Niemals. Caleb kann mir sämtliche Zähne ausschlagen, ich werde nicht von dir ablassen.“
 

„Das solltest du aber vielleicht. Was, wenn ich mich nicht in dich verlieben kann?“ Meine Stimme zitterte und ich betete inständig, dass Connor verstehen möge, aber das tat er nicht, im Gegenteil.
 

„Dann werde ich eben alt und alleine sterben, aber nicht ohne Liebe im Herzen.“
 

„Connor, hör auf, du machst dich nur unglücklich!“
 

„Nein“, entgegnete er mit fester Stimme. „Ich warte auf dich, so lange, bis ich nicht mehr atme. Mein letzter Gedanke soll dir gehören. Versprich mir nur, dass du glücklich wirst, egal wie du dich entscheidest.“
 

„Connor… Du weißt doch gar nicht, was du da sagst.“
 

„Doch, sehr gut sogar.“ Er lächelte wieder und dieses Mal blieb das Verzerren seines Gesichts aus. „Nichts wird mich jemals von dir trennen. Ich habe mich entschieden. Dir soll mein Herz gehören. Ich bin vielleicht kein Gott, auch kein Held, nicht einmal besonders bedeutend im Weltgefüge, aber ich will dein Freund sein. Was ich will ist neben dir aufzuwachen, mit dir einzuschlafen, dir das Frühstück ans Bett bringen, dir bei deinen Hausaufgaben zu helfen, deine ersten Fahrstunden zu begleiten, deine Probleme zu lösen und ich will mit dir Sex haben.“
 

Die letzten Worte ließen mich perplex blinzeln. Das klang so gar nicht nach Connor.
 

„Bist du dir ganz sicher, dass du das alles willst?“
 

„Ja. Alles davon. Vor allem will ich mit dir schlafen. Ich will, dass du mich ein einziges Mal so ansiehst, wie in meinem Traum. Dieser Blick, diese weichen, sanften Augen, die sich nach mir verzehren.“
 

Connor war im Sprechen aufgestanden und zu mir herübergewandert. Er hockte sich vor mich hin und bettete seine Stirn an meine. Das hatte er schön öfter getan, nur war es heute anders; bescherte mir Herzklopfen, ließ meinen Puls rasen und meinen Atem flacher werden. Ein einzelner Funke, ganz klein nur, der sich anfühlte, wie bei Nicky damals, als ich das erste Mal die Vermutung hatte, dass ich mich in ihn verliebt haben könnte. Dieses undefinierbare Gefühl im Bauch.
 

Wie von selbst wanderten meine Hände nach oben, strichen sanft über Connors Wangen und das lädierte Kinn. Er zuckte dabei ein wenig, nur um sich dann an meine Fingerspitzen zu schmiegen und sie mit seinen Lippen zu streifen.
 

„Danny, bitte – erlöse mich.“
 

„Wovon denn?“
 

„Ich halte es nicht mehr aus. Bitte mach etwas.“
 

„Aber ich weiß doch nicht, ob ich dich liebe, Connor.“
 

„Es ist egal, ich liebe dich so sehr, dass es weh tut.“
 

Und ab da war es, als würde die Zeit stillstehen. Connor hatte den gleichen Satz benutzt wich. Es war exakt derselbe Wortlaut und doch schwang darin so viel mehr mit als bei mir.
 

„Tust du das wirklich?“, wisperte ich.
 

„Ja“, hauchte er mir zu. „Bitte, Danny. Dass du mich jetzt schon liebst, das kann ich nicht verlangen, aber bitte, mach irgendwas. Halt mich fest, küss mich oder schlafe mit mir, aber mach etwas. Ich drehe sonst durch.“
 

„Du liebst mich so sehr, dass du sogar mit mir schlafen willst? Obwohl ich dich nicht liebe?“
 

„Ja“, nickte er heftig.
 

„Das habe ich bei Nicky auch gedacht und schau wo ich jetzt bin.“
 

„Ich bin nicht Nicky und ich bin auch nicht du. Mag sein, dass ich Fehler mache und vielleicht sogar daran zugrunde gehe, aber ich werde nicht nachgeben. Danny, ich liebe dich mehr als du dir vorstellen kannst, mehr als sich irgendjemand vorstellen kann. Wenn ich könnte, ich würde jede Sekunde mit dir verbringen, mich von dir halten lassen, mich an dich kuscheln und deinen Geruch einsaugen. Du hast keine Ahnung wie es ist, wenn du mit mir schläfst. Alles in mir setzt aus. Ich vergesse für eine Sekunde, wer ich bin, was ich bin und sämtliche meiner Probleme erscheinen bedeutungslos. Alleine dafür bin ich bereit Schmerz und Kummer auf mich zu nehmen.“
 

„Dann heißt das, es gefällt dir also wirklich, wenn wir miteinander schlafen?“
 

„Ja“, bestätigte er. „Nach diesem kurzen Moment der Befriedigung, der nur einen Bruchteil dessen einfangen kann, was ich für dich empfinde, verzehre ich mich. Ein paar Sekunden lang gehöre ich nicht nur zu dir, sondern ich gehöre dir und nur dir.“
 

„Ich… ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll“, nuschelte ich überfordert.
 

„Nichts. Küss mich einfach. Küss mich und lege dabei das Gefühl, das du gerade empfindest, hinein.“
 

Ich war es Connor schuldig, diesem einem Wunsch nachzukommen und so näherten sich unsere Lippen. Wir hatten uns schon so oft geküsst und doch war es heute anders. Mir war heiß und kalt zugleich, meine Knie zitterten, genauso wie meine Finger. Ich sehnte mich nach seinen Lippen, nach der warmen weichen Haut, die sich auf meine legte und nicht mehr loslassen wollte. Kaum, dass ich den Gedanken geformt hatte, war er auch schon real geworden.
 

Im Kuss hob mich Connor in seine Arme und ich schlang meine eigenen um seinen Nacken. Wir bewegten uns durch die Küche in Richtung Schlafzimmer ohne unsere Lippen voneinander zu lösen. Connor war noch immer behutsam und zärtlich, aber auch voll spürbaren Verlangens. Ich wurde behutsam auf dem Bett abgesetzt und mein Freund entfernte sich nur wenige Millimeter von mir.
 

„Ich liebe dich“, hauchte er mir zu, bevor er über mich herfiel.

Ich lag schwer atmend auf Connor, der seine Arme um mich geschlungen hatte. Der Sex war dieses Mal gänzlich anders gewesen. Mein Freund war fordernder, verlangender und vor allem bestimmter aufgetreten. Wir hatten nicht die Rollen getauscht, doch die Gangart hatte sich geändert. So ungefähr hatte ich mir mein erstes Mal mit Nicky vorgestellt: Hemmungsloser, weniger brav und vor allem mit einem Anflug von Aktivität.
 

„Hat es dir gefallen?“, hauchte er mir zu und knabberte an meinem Ohrläppchen.
 

„Es war ungewohnt“, gab ich zu und schmiegte mich an Connor, meinen Kopf an seine Halsbeuge legend.
 

„Ist ungewohnt gut oder schlecht?“
 

„Ungewohnt einfach. Du warst bisher immer mehr zurückhaltend und zärtlich.“
 

„Habe ich dir weh getan?“, fragte er prompt mit hörbarer Besorgnis in der Stimme.
 

„Nein“, schüttelte ich den Kopf. „Wie denn auch? Ich war es nicht, der oben gelegen ist.“
 

„Vielleicht habe ich dich zu grob angefasst oder so? Wenn du aber nein sagst, glaube ich dir das.“
 

Connor streichelte mir über die Brust und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.
 

„Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Normalerweise bin ich nicht so…“
 

„Leidenschaftlich?“
 

„Triebgesteuert.“
 

Ich drehte mich herum, stützte mich mit den Händen auf Connors Brust ab und richtete mich ein wenig auf. Seine Augen spiegelten Erschöpfung und auch ein wenig Erleichterung wider. Wahrscheinlich auch Befriedigung.
 

„Du hast dich ganz normal verhalten, denke ich? Es hat sich ähnlich angehört wie bei Nicky und Caleb und es hat sich gut angefühlt. Mach dir nicht immer so einen Kopf, Connor. Ich bin kein kleines Kind, ich kann dir durchaus sagen, was ich möchte, und was nicht.“
 

„Ich sollte aber nicht so sein. Ich bin erwachsen und müsste mich kontrollieren. Es fühlt sich irgendwie an, als würde ich dich benutzen.“
 

„Wofür? Um Druck abzubauen?“ Ich lachte lauthals. „Connor, du bist fast 22 Jahre alt. Caleb mit seinen 18 kann seine Finger gar nicht von Nicky lassen. Sophie konnte ihre auch nicht von mir lassen. Warum sollte es bei… uns anders sein?“ Die letzten Worte waren mir ein wenig schwer über die Lippen gekommen. Es war seltsam von „uns“ zu sprechen, wo wir eigentlich kein Paar waren.
 

„Nicht nur.“ Connors Finger glitten durch meine Haare und er küsste mich flüchtig am Kinn. „Nach deinen traumatischen Erlebnissen möchte ich einfach kein Flashback erzeugen. Ist das so schwer zu verstehen?“
 

Ich seufzte genervt und schob Connors Hand beiseite. Er behandelte mich einfach wie ein Kind, das nicht wusste, wie es mit der Situation umgehen sollte. Fürsorge hin oder her, das ging mir gehörig auf den Geist.
 

„Connor, nochmal: Ich bin fast 16 und kann dir durchaus sagen, ob ich etwas mag oder nicht. Es hat mir gut gefallen und es hat sich auch gut angefühlt. Hör auf so verdammt zuvorkommend zu sein. Das macht mich fast wahnsinnig.“
 

Connor bedachte mich mit einem schwer zu deutenden Blick, bevor er mich wieder zu sich nach unten zog und seine Lippen sich meinen langsam annäherten.
 

„Und du machst mich wahnsinnig“, säuselte er. „Du stellst alles auf den Kopf. Jeder einzelne Moment war wie eine Achterbahnfahrt und dabei hast du kaum Erfahrung. Vielleicht macht auch das den Reiz aus? Ich weiß es nicht, aber mit dir zu schlafen ist mit nichts zu vergleichen. Ich frage mich, wie es wohl sein würde, wenn wir wirklich die Rollen tauschen.“
 

Ich zog die Augenbrauen zusammen und drückte mich erneut in die Höhe, weg von Connors Gesicht.
 

„Und warum tauschen wir dann nicht?“, fragte ich trotzig. Innerlich zog sich zwar alles in mir zusammen, wenn ich an letztes Mal dachte, aber irgendwie wollte ich es hinter mich bringen. Nicky hatte es schließlich auch geschafft, genauso wie Connor.
 

„Weil es noch zu früh ist.“ Die Züge meines Freundes wurden wieder weicher, sanfter und auch seine Stimmlage verändert sich. „Danny, ich will einfach noch ein wenig warten, okay? Wenn du… wenn du ein Datum brauchst, was hältst du davon, wenn wir es an deinem 16ten Geburtstag noch einmal versuchen? Ganz in Ruhe und ohne Druck? Sofern ich dich an deinem Geburtstag besuchen darf, beziehungsweise du mich dabeihaben möchtest? Ich meine, das wird natürlich nicht dein Geburtstagsgeschenk sein, aber du scheinst es wirklich so sehr zu wollen…“
 

Das klang schon weitaus besser. Ich ließ mich wieder auf Connor sinken und kuschelte mich an ihn.
 

„Das klingt ganz gut, und natürlich möchte ich dich auf meiner Geburtstagsfeier haben, sofern ich denn eine mache.“
 

„Willst du nicht?“
 

„Keine Ahnung. Die wenigen Freunde, die ich habe, sind sowieso verstreut und da ich nicht weiß, wie ich mit Nicky umgehen soll, wird es schwierig.“
 

Connor biss sich auf die Unterlippe.
 

„Was hast du?“
 

„Du willst Nicky also unbedingt dabeihaben?“
 

„Ja, ich denke schon? Er war schließlich lange Zeit mein bester Freund und ich kann ihm sowieso nicht aus dem Weg gehen.“ Was mir natürlich lieber gewesen wäre. Seine Abfuhr tat noch immer höllisch weh und irgendwie fühlte es sich an, als hätte ich einen Stein im Magen, aber er war mit Caleb zusammen und das bedeutete, dass ich ihm nicht ewig ausweichen konnte.
 

„Wir können sonst auch bei mir feiern?“
 

„Wo? Hier? In deiner Wohnung?“
 

„Ja.“
 

„Und wenn ich hundert Leute einladen will?“, fragte ich diebisch grinsend.
 

„So viele kennst du doch gar nicht.“
 

„Wetten?“
 

„Warum habe ich das Gefühl, dass ich diese Wette verlieren würde?“
 

„Ganz sicher.“
 

„Du bist viel zu frech.“ Connor grinste nun selbst und legte wieder seine Arme um mich. „Aber genau so mag ich dich.“
 

„Und du viel zu nett.“
 

„Ich weiß.“
 

„Tust du?“
 

„Natürlich, aber auch nur zu dir. Ich kann ein ziemlicher Arsch sein, wenn ich will.“
 

„Und was muss man machen, damit du ein Arsch wirst?“
 

„Das finden wir hoffentlich nie heraus.“
 

Damit küsste er mich erneut und erstickte eine freche Erwiderung im Keim. Es war noch immer seltsam, nach Connors Liebesgeständnis, so mit ihm umzugehen, aber wir hatten vor gut zehn Minuten schließlich weit mehr gemacht, als uns bloß zu küssen und das hatte sich nicht schlecht angefühlt. Vielleicht konnte ich mich doch noch an ihn gewöhnen? Ich hoffte es inständig, denn mein Kopf sagte mir, dass er wirklich der beste Freund sein würde, den man sich wünschen konnte.

Ich rutschte unruhig im Sitz herum, während Connor mich heimbrachte. Es war Sonntagabend und ich musste morgen in die Schule. Eine Konfrontation erschien unausweichlich. Das Kinn meines Freundes hatte sich kaum verändert und Connor sah aus, als hätte man ihm einen Blaubeereisbecher ans Kinn gedrückt und es dann mit Mangosaft übergossen. In mir machte sich wieder dieses entsetzliche Gefühl der Schuld breit.
 

Connor sah immer mal wieder zu mir herüber, ohne den Blick dabei wirklich von der Straße zu nehmen. Seine Finger trippelt unruhig auf dem Lenkrad herum und die Tachonadel zeigte deutlich mehr als die erlaubten 80 km/h an; eindeutige Anzeichen dafür, dass auch er nervös war.
 

„Du wirkst, als würden wir zu deiner Hinrichtung fahren. Was ist los?“, durchbrach er die Stille mit sorgenvoller Stimme.
 

„Connor, wir fahren gerade meinem Bruder entgegen, der dir ein nettes Andenken verpasst hat. Wie sollte ich mich fühlen? Ich rechne mit Hausarrest bis in alle Ewigkeit oder eine sonstige Gemeinheit“, entgegnete ich bedrückt. „Was, wenn er dir wieder eine knallt?“
 

„Ich bin hart im Nehmen“, antwortete er amüsiert und verzog gleich darauf schmerzhaft das Gesicht.
 

„So siehst du aus.“
 

„Keine Angst, er hat sich sicher beruhigt.“
 

„Du kennst Caleb doch kaum?“
 

„Ich kenne Leute wie Caleb. Er gibt sich irgendwie die Schuld an deiner Situation und vorhin ist er einfach ausgetickt, weil ich, den er einfach nicht ausstehen kann, warum auch immer, mit dir eventuell zusammen sein könnte. Dass wir Sex hatten, war eben das Tüpfelchen auf dem I. Vertrau mir. Wenn es eskaliert, kann ich mich schon wehren.“
 

Woher Connor diese Zuversicht nahm war mir schleierhaft. Caleb hatte ihm ein ordentliches Andenken verpasst und er schien nicht einmal sonderlich sauer auf ihn zu sein. Ich an seiner Stelle hätte mir irgendetwas zurechtgelegt, vorzugsweise etwas um den Escort zu beschädigen. Auch wenn er noch immer nervös wirkte, so hatten die unruhigen Bewegungen am Lenkrad aufgehört und unsere Geschwindigkeit ein annehmbares Maß angenommen. Ich versuchte mich selbst zu entspannen, lehnte mich gegen den Rennsitz und schloss die Augen. Das würde in einer Katastrophe enden, ganz sicher.
 

Es dämmerte bereits und die ersten Straßenlaternen waren angesprungen, wie auch die Außenleuchte am Hof, als wir ausstiegen. Connor und ich wurden von einem fröhlich bellenden Leo begrüßt, der zuerst mir und dann meinem Freund über die Hand leckte und lautstark hechelte.
 

„Da hat dich wer vermisst“, stellte Connor schmunzelnd fest.
 

„Dich wohl auch, hm?“
 

„Scheint so.“
 

Wir kraulten Leo noch gemeinsam eine kleine Weile, bevor wir uns auf den Weg ins Haus machten. In mir zog sich alles zusammen als ich Licht in der Küche brennen sah. Caleb war also zuhause. Nicht, dass es mir lieber gewesen wäre, mich morgen alleine mit ihm zu streiten, aber das hätte zumindest eine ruhige Nacht bedeutet. Je näher wir unserer Haustür kamen, desto unruhiger wurde ich.
 

„Ganz ruhig, ich gehe vor, okay?“
 

Ich nickte und Connor drückte den Griff unserer Eingangstür nach unten. Ich folgte ihm zögerlich und knipste das Licht an. Aus der Küche war das Rücken eines Stuhls zu hören. Gleich würde es krachen, ganz sicher.
 

Die Küchentür wurde aufgezogen und Caleb stand im Türrahmen, gekleidet in ein dunkles Sweatshirt und kurze Trainingshosen. Warum erinnerte mich dieser Anblick gerade so sehr an Connor, der das dazu passende Äquivalent trug? Caleb wirkte seltsam mitgenommen und ich hätte schwören können, dass er erleichtert ausatmete, als er mich sah. Dieser Eindruck verpuffte aber just in dem Moment, in dem er Connor einen giftigen Blick schenkte.
 

„Was willst du hier?“, fuhr er ihn an.
 

„Ich bringe Danny nach Hause“, war Connors äußerst ruhige Antwort.
 

„Das sehe ich selbst.“
 

„Warum fragst du dann?“ Connor hob seine rechte Braue an und nahm mir den Rucksack ab, genauso wie Leo, der die Ohren an den Körper gelegt hatte und leise winselte.
 

„Das hast du ja geschafft, jetzt verzieh dich“, giftete Caleb weiter und seine Brauen berührten schon fast die Augen. „Ich will dich hier nicht haben.“
 

„Das ist mir durchaus bewusst. Ich möchte mich aber noch vergewissern, dass Danny keinen Ärger bekommt.“
 

Ich sah zwischen Connor und Caleb hin und her, die so unterschiedlich waren und sich dabei doch so glichen. Beide waren in etwa gleich groß, waren sportlich, älter als ich, erwachsener und irgendwie verdammt um mich bemüht. Sie hätten so gut miteinander auskommen können: Connor war ruhig, Caleb genauso, mein Freund um mich besorgt, mein Bruder auch. Was sie gerade wirklich unterschied war ihr Gesichtsausdruck. Connor schenkte Caleb einen ruhigen und fast schon bedauernden Blick, während dieser ihn mit seinem eigenen fast aufzuspießen schien.
 

„Den bekommt er nicht. Du bist doch an allem schuld“, zeterte Caleb. „Du hast ihn irgendwie einer Gehirnwäsche unterzogen oder seine Naivität ausgenutzt.“
 

„Das habe ich vielleicht sogar, ja“, gestand Connor nickend ein, was mir ein unbehagliches Gefühl bereitete. Das stimmte doch gar nicht. Connor log für mich.
 

„Du gibst es also auch noch zu?!“
 

„Nein. Ich habe dir das heute schon einmal erklärt: Ich liebe Danny, sehr sogar. Vielleicht sogar mehr als du. Ich würde ihn nie bewusst verletzen“, korrigierte Connor meinen Bruder und strich dabei Leo durchs Nackenfell, der sich an seine Finger schmiegte.
 

„Das ist einfach krank. Du bist ein Perverser. Ich sollte dich anzeigen.“
 

„Dann mach es doch? Solange Danny nicht weiter behelligt wird, ist das für mich okay. Dir muss aber klar sein, dass du ihm damit eine wichtige Bezugsperson nimmst und ich leider nicht weiß, wie gut deine Chancen stehen, dass du damit durchkommst.“
 

„Natürlich komme ich damit durch. Was willst du denn dagegen machen? Mich als Lügner bezichtigen?“, brauste Caleb auf. „Du hast meinen kleinen minderjährigen Bruder gevögelt. Das ist strafbar. Ich habe mich noch einmal informiert.“
 

„Du lügst nicht, nein. Wir haben wirklich miteinander geschlafen, mehrmals. Das geht aber niemanden etwas an. Dich vielleicht noch und deinen Vater, das war es dann aber auch. Von mir aus kannst du es herumschreien und auch in die Zeitung geben, aber damit tust du Danny keinen Gefallen.“
 

„Danny gehört vor dir beschützt!“
 

„Gehöre ich nicht.“
 

Beide Jungs drehten ihre Köpfe schlagartig zu mir herum. Ich hatte all meinen Mut zusammengenommen und sie unterbrochen. Diese ungewollte Aufmerksamkeit schmeckte mir gar nicht und ich fühlte eine imaginäre zentnerschwere Last auf meinen Schultern, aber so wie Caleb mit Connor umging, das war weder fair noch richtig.
 

„Ich gehöre nicht vor Connor beschützt“, wiederholte ich mich.
 

„Das verstehst du nicht, Danny“, wiegelte Caleb ab. „Dafür bist du noch zu jung und unerfahren.“
 

„Doch, ich weiß sehr genau, was ich will“, entgegnete ich trotzig, griff dabei nach Connors freier Hand und verschränkte unsere Finger miteinander. „Ich bin mit Connor bisher mehr als zufrieden. Er kümmert sich um mich, passt auf mich auf und ist sehr lieb zu mir. Das reicht für den Anfang, oder?“
 

Caleb presste die Lippen so fest zusammen, dass sie weiß hervortraten. Seine Finger verkrampften sich unwillkürlich und er ballte die Fäuste.
 

„Und wohin soll das führen? Was denkst du wird passieren, wenn auffliegt, dass du einen Freund hast, der sogar älter als ich ist? Danny, denk doch einmal nach“, forderte er mich bemüht ruhig auf.
 

„Was soll schon passieren? Nicks Freund war fast doppelt so alt wie er selbst und du hast dich auch kaum drüber ausgelassen. Zumal Connor mir sehr viele schöne Dinge gesagt hat, die er auch ernst meint. Er war da als ich ihn gebraucht habe und er war auch da, als es ihm nicht gut ging.“
 

Mit jedem einzelnen Wort wurde mir etwas leichter ums Herz. Ich schaute schwach lächelnd nach oben zu Connor, dessen Lippen zitterten, der aber nichts sagte, sondern nur meine Hand fest drückte.
 

„Danny, das geht aber so nicht. Seine Eltern wissen ja noch nicht einmal was davon“, versuchte Caleb es erneut mit Ruhe. Ich fragte mich, wann er wohl explodieren würde.
 

„Und? Das weiß Papa auch nicht. Ich bin mir außerdem sicher, dass Papa nichts gegen Connor haben wird. Er wirkt sehr vernünftig. Eigentlich ist so wie du.“
 

Das war wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Calebs rechtes Augenlid zuckte gefährlich und er atmete hörbar ein. Ich stellte mich auf eine Explosion ein. Er würde durchdrehen, ganz sicher.
 

„Caleb, nochmal: Wir müssen keine Freunde werden. Es geht mir primär um Danny und dir auch. Warum versuchen wir nicht einfach einmal miteinander auszukommen ohne uns an die Gurgel zu gehen, hm? Ich verspreche dir, ich werde mit Danny nichts machen, was er nicht möchte und ich gebe gut auf ihn Acht. Er kann selbst entscheiden, was er möchte und was nicht.“
 

Connors ruhige Stimme und dazu die Überzeugung, die er ausstrahlte, verschafften auch mir so etwas wie einen Hauch von Entspannung. Caleb mahlte hörbar mit den Zähnen, bevor er sich straffte und dann tatsächlich einlenkte.
 

„Ich scheine es nicht aufhalten zu können. Versuch aber mir nicht über den Weg zu laufen, reicher Schnösel. Und wenn ich auch nur einen Laut aus Dannys Zimmer höre…“ Er hob drohend den Zeigefinger: „Nein, ich höre gar nichts aus Dannys Zimmer, weil du hier nicht übernachten wirst, verstanden?“
 

„Einverstanden“, nickte Connor. „Darf ich Danny noch eben auf sein Zimmer bringen?“
 

„Von mir aus.“ Caleb machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich gehe jetzt sowieso ins Bett.“ Damit verschwand er wieder in die Küche und warf die Tür hinter sich zu.
 

Ich zog Connor in mein Zimmer, Leo im Schlepptau, warf meinen Rucksack neben mein Bett und setzte mich mit meinem Freund auf die Bettkante, ohne unsere verschränkten Finger zu lösen.
 

„Das ist ja gar nicht mal so schlecht gelaufen“, meinte Connor aufmunternd. „Du warst sehr mutig.“
 

„Mir ist fast das Herz in die Hose gerutscht“, gestand ich leise.
 

„Es war trotzdem mutig.“ Connor strich mir eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht und schaute mich eindringlich an. „Ich bin furchtbar stolz auf dich und liebe dich.“ Damit küsste er mich sanft auf die Stirn.
 

„Denkst du, dass er mich morgen anfahren wird?“, wollte ich bedrückt wissen.
 

„Nein, das denke ich nicht. Caleb hat ansatzweise begriffen, dass ich dir nichts Böses will. Er wird sich vorwiegend auf mich konzentrieren, denke ich.“
 

„Das ist aber auch nicht richtig! Es tut mir leid.“
 

„Muss es nicht“, lächelte Connor und verzog kurz darauf wieder schmerzhaft das Gesicht. „Mir war klar, dass es nicht einfach werden würde, wenn ich mich auf dich einlasse, aber du bist es wert.“
 

„Danke“, nuschelte ich und legte meinen Kopf an Connors Schulter und strich ihm mit dem Daumen über den Handrücken.
 

„Dafür doch nicht“, hauchte er mir zu und strich mit seiner Wange über meine Haare. „Ich bin dein Freund, egal ob in freundschaftlicher Hinsicht oder mehr. Das ist meine Aufgabe.“
 

„Nicky war nie so“, stellte ich leise und mit einem Anflug von Bitterkeit fest. „Er hat sich zwar auch um mich bemüht, aber…“
 

„Nicky ist eben noch zu jung. Ich wäre in seinem Alter wahrscheinlich genauso überfordert gewesen.“
 

„Sag mal, Connor…“, begann ich lächelnd und spielte mit seinen Fingerspitzen ein wenig. „Kann es sein, dass wirklich zu perfekt bist? Du schimpfst ja noch nicht einmal über Nicky gerade?“
 

„Ich bin einfach zu gutmütig oder so“, meinte er trocken. „Ich könnte ihm ebenfalls eine reinhauen, falls du das meinst, aber warum sollte ich ihm böse sein? Im Nachhinein hat er mir das schönste Geschenk überhaupt gemacht.“
 

„So? Was denn?“, fragte ich und schaute neugierig auf.
 

„Dich“, war die gelispelte Antwort, bevor er mich küsste. Ich schloss die Augen und genoss den Moment, der nur durch einen Leo unterbrochen wurde, welcher uns gemeinsam mit seinem Gewicht in die Matratze drückte. Ich wollte schon ärgerlich schimpfen, da fing Connor an zu lachen, was von einem lauten „Au“, begleitet wurde. Es war so befreiend ihn lachen zu hören, dass ich miteinstimmen musste. Wir schauten uns tief in die Augen, nachdem Leo sein Interesse an uns verloren hatte und es dauerte keine fünf Sekunden, bevor wir uns erneut küssten, zärtlich und sanft. Nein, ich würde mir das von Caleb nicht vermiesen lassen und nein, ich würde auch nicht mehr nur an Nicky denken, sondern an den Jungen, der mich gerade mit seinen Lippen in den siebten Himmel beförderte. Ich musste mich einfach an ihn gewöhnen und dann lieben und es würde gut werden, davon war ich jetzt überzeugt. Ganz sicher.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Momokoko
2020-12-11T22:29:00+00:00 11.12.2020 23:29
F steht für Freunde, die was unternehmen...

Stopp, falscher Film.

G steht für Gründigkeit. Oder besser: Tiefgründigkeit. Tolle Story, viel Herz und Gehirn dahinter, was man auch merkt!
R steht für realistisch. Eine Sache, die auf Mexx zur Rarität geworden ist! Da könnte sich so mancher einer Scheibe von dir abschneiden :D
A steht für Abenteuer! Gibt es zwar nicht viel, aber irgendwas muss ja fehlen. :P
I steht für Innovation. Versteht sich ja von selbst.
G steht für Greativität.

Insgesamt also wirklich Super, Graig! ;D
Ich bin gespannt wie es weitergeht und hoffe, dass du noch ganz lange weiter so tolle FFs fabrizierst!
Von:  Pandamie
2020-12-11T22:20:56+00:00 11.12.2020 23:20
:D Eine coole Geschichte! Bei der man auch mal Charaktere mit Tiefe findet und sie auch lebendig rüber kommen :3 Man merkt, dass du dir viele Gedanken gemacht hast :D


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