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The fragrant Flower

von

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Dahlie


 

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Das gut ein Meter lange Wiesel sprang in einer derart schnellen Bewegung auf Milo zu, dass dem jungen Mann nicht viel mehr übrig blieb, als sich zur Seite fallen zu lassen. Nur knapp verfehlten die gewaltigen Fangzähne seinen Arm und schnappten mit einem lauten Geräusch neben seinem Ohr zu. Noch ehe der Schwarzhaarige den Boden berührte, riss er seinen Arm zur Seite und schlug die Bestie mit seinem Hirtenstab. Der krumme, ebenholzfarbene Stock traf sein Ziel und schleuderte es trotz des geringen Kraftaufwands so weit weg, dass deutlich wurde, dass es sich dabei um ein magisches Werkzeug handelte. Das Wiesel war nicht ernsthaft verletzt, aber der Abstand, den Milo sich dadurch verschaffte genügte, damit er wieder schnell aufstehen konnte ohne Angst um seine Deckung haben zu müssen.

Doch entgegen seiner Erwartung griff die Bestie nicht sofort wieder an. Sie stand wenige Meter entfernt auf ihren Hinterbeinen, musterte ihn und schien nachzudenken. Nicht dass der Mann diesen Wesen eine höhere Intelligenz zuschrieb, doch in diesem kleinen Kopf konnte gerade nichts gutes vor sich gehen. Er nutzte den Moment, um das Ding, das er gerade aus dessen Versteck gescheucht hatte, etwas genauer zu beschauen. Schließlich konnte es nur von Vorteil sein, seinen Gegner unter die Lupe zu nehmen.

Dass es so etwas wie ein Wiesel war hatte er auf den ersten Blick gesehen. Doch nicht nur die überdimensionale Größe machte diese Bestie so gefährlich. Im Gegensatz zu einem normalen Wiesel, das durchaus eine süße Seite haben konnte, war an diesem Ding überhaupt nichts süß, hübsch oder gar ansprechend. Seine langen Fangzähne waren auch mit geschlossenem Maul deutlich zu sehen. Es geiferte stark, während die zerfetzten Ohren heftig zuckten. Das lange Rückenfell stand nach oben und sah mindestens genauso strähnig und zerzaust aus, wie das restliche Fell. Der ursprünglich weiße Bauch war mit Schlamm, Pflanzenresten, aber auch Blut beschmutzt. Der Schwanz war buschig und wirkte nahezu steif. Milos Blick huschte gerade noch rechtzeitig zu den rot schimmernden Augen zurück, um darin die Absicht eines erneuten Angriffs zu erkennen. Anscheinend hatte diese Bestie ihn nun lange genug angestarrt.

Dieses Mal war der Mann auf den Angriff vorbereitet. Er riss den langen Stab in seiner Hand nach oben und ließ das eingedrehte Ende auf das Wiesel niedersausen, als dieses in Reichweite kam. Er verfehlte jedoch sein Ziel, da es mit einem flinken Sprung auswich und nach seiner Seite schnappte. Die Bestie mochte schnell sein, aber er war schneller. Ohne in der Bewegung zu stocken, schwang er den Stab weiter und traf die Bestie erneut und dieses Mal mit deutlich mehr Kraft. Wieder wurde sie davon geschleudert und stand nicht mehr so schnell auf. Milo nutzte diese Schwäche, um zu dem Wiesel zu eilen und ihm seinen Gnadenstoß zu verpassen. Das Blut, das dabei an seinem schlichten Holzstab haften blieb, wischte er mit etwas Moos ab. Während er über seine unscheinbare, aber dennoch starke Waffe strich, konnte er nicht anders als zu lächeln. Nichts gab ihm ein besseres Gefühl, als eine solche Bestie zu erlegen. Ob sie nun ein schwacher oder ein starker Gegner gewesen war, das spielte keine Rolle. Jede Bestie weniger, die in dieser Welt wandelte, war ein Gewinn für alle. Außerdem spielte die Stärke eines Monsters nur selten eine Rolle, wenn es an die Bezahlung ging.

Milo griff das erlegte Wiesel an den Hinterbeinen und zerrte es mit sich. Ja, er war ein Monsterjäger. Er kümmerte sich um allerlei Bestien oder Dämonen, die ihm über den Weg liefen. Bevorzugt natürlich gegen Bezahlung. Dies war weder ein komfortabler, noch ein sicherer Beruf, doch irgendjemand musste ihn machen. Nun mochte der zierliche, nicht sonderlich groß gewachsene junge Mann nicht gerade wie jemand aussehen, der viel Kampferfahrung und vor allem Stärke hatte, doch wer brauchte schon Kraft, wenn er eine magische Waffe, die gegen solche Wesen wahre Wunder bewirkte, bei sich trug? In dieser Welt, in der bereits das alltägliche Leben für die meisten Menschen nicht allzu leicht zu bewältigen war, konnten es sich nur die wenigsten leisten, sich mit solchen Monstern herumzuärgen. Und dennoch waren sie überall und sorgten für Chaos. In den Wäldern wimmelte es nur so von ihnen und Wälder machten nun einmal einen Großteil des Landes aus. Die vielen kleinen Ortschaften, die es gab, trennten meist nur wenige Felder von dem nächsten Wald. Straßen, wenn es sie überhaupt gab und als solche bezeichnet werden konnten, führten durch die düstersten Wälder und gestalteten jegliche Reisen als gefährliches Vorhaben. Trotzdem lebten die Menschen mit diesen Gefahren, was blieb ihnen auch anderes übrig? Es gab einfach zu wenige, die etwas gegen diese Bedrohung unternahmen.

Während Milo zu der Ortschaft zurückkehrte, in der er diesen Auftrag erhalten hatte, legte sich ein zufriedener Ausdruck auf sein Gesicht. Seine klaren, blauen Augen leuchteten geradezu und bildeten dabei einen krassen Kontrast zu seinen schwarzen Haaren. Wie oft war ihm schon gesagt worden, dass seine Augen besonders waren? Dass man bei jemandem wie ihm mit braunen Augen rechnete? Er nahm es stets als Kompliment hin. Sein Erscheinungsbild passte in vielerlei Dingen nicht zusammen, alleine in Anbetracht seiner Berufswahl. Da rundeten diese Augen das Bild nur noch ab.

Als er schließlich die kleine Siedlung erreichte, die sich nicht einmal einen einfachen Holzwall leisten konnte, mussten die Bewohner zweimal hinschauen. Die zweifelnden, ungläubigen Blicke wandelten sich schnell in Freude um, als sie die Bestie entdeckten, die er hinter sich herschleifte. Ein älterer Mann mit langem Bart, den er zusammengebunden hatte, kam auf ihn zugeeilt. Seine Augen funkelten und er schlug die Hände zusammen, als er vor ihm stehen blieb. In seinem Blick war sowohl positives, als auch negatives zu lesen, so dass Milo sich nicht genauer damit befassen wollte. Er mied den Blickkontakt, indem er das Wiesel mit einer schwungvollen Bewegung dem Mann vor die Füße warf.

„Ist es das, was Euch terrorisiert hat?“

„Ja, ja genau! Es tut uns leid, junger Herr, dass wir an Euch gezweifelt haben. Aber, mit Verlaub, Ihr seht nun wirklich nicht wie jemand aus, der -“

„Ist schon gut“, unterbrach Milo ihn mit einem aufgesetzten Lächeln. Es war nicht das erste Mal, dass er so etwas in der Art zu hören bekam. Er konnte dem Mann nicht einmal böse sein. „Fürs Erste solltet Ihr Ruhe haben.“ Es war auch nicht das erste Mal, dass er plötzlich derart höflich angesprochen wurde, obwohl er zuvor eher belächelt worden war. Wenn sich die Chance ergab, jemanden auf die Monster anzusetzen die einen bedrohten, dann legte man seine Hoffnungen selbst in jemanden, an den man eigentlich gar nicht glaubte. Schließlich hätten diese Leute keinen Verlust, wenn er bei so einer Aktion draufging. Milo verwarf den Gedanken mit einem Kopfschütteln und schaute den Mann auffordernd an. „Ich hoffe Ihr habt Euer Versprechen nicht vergessen.“

„Nein! Natürlich nicht!“ Ohne zu Zögern kramte der Mann in seinen Taschen und holte schließlich einen kleinen silbernen Stein hervor, den er ihm in die Hand drückte. Da die meisten Dörfer nicht wirklich Kontakt nach Außen hatten oder Handel betrieben, gab es keine einheitliche Währungen. Milo ließ sich bevorzugt in Materialien bezahlen, die er auch anderswo gegen Lebensmittel eintauschen konnte. „Seid gesegnet, junger Herr.“

Ein schwaches Lächeln legte sich auf seine Lippen, während er das Silber in seiner eigenen Tasche verschwinden ließ. Mittlerweile hatte sich gefühlt die halbe Ortschaft um sie versammelt, um die Bestie von Wiesel voller Ehrfurcht zu bestaunen. Während es für Milo ein leichtes gewesen war, es zu erlegen, war es für einen Menschen mit herkömmlichen Waffen, die bei Bauern meist nur aus stumpfen Mistgabeln oder Hacken bestanden, beinahe unmöglich. Selbst wenn die stärksten Männer zusammen arbeiteten gab es immer Verletzte. Und Verletzungen waren etwas, was man sich nicht erlauben konnte.

„Das muss gefeiert werden!“, rief auf einmal ein anderer Mann aus und erhielt sofort jubelnde Zustimmung von allen Seiten.

Das Wiesel wurde geschnappt und unter freudigen Rufen fortgetragen. Hier und da kamen Leute zu Milo und sprachen ihm seinen Dank aus. Für den Mann war das alles etwas zu viel, weswegen er sich schnellstmöglich zurückziehen wollte. So gerne er auch half, wenn auch in erster Linie für sich selbst, so mochte er es lieber ruhig, anstatt im Mittelpunkt zu stehen. Bevor er aber verschwinden konnte, hatte sich die Schar genauso schnell wieder aufgelöst, wie sie zusammengekommen war. Jeder wuselte mit einem Mal noch hektischer durch die Gegend, als ohnehin schon. Alles wurde für ein großes Fest zusammengetragen. Während Milo noch darüber nachdachte, ob er bleiben und eine kostenlose Mahlzeit ergattern sollte, wurde er auf einmal erneut angesprochen.

„Ich danke Euch vielmals für Euren Mut.“ Die Stimme war zart, beinahe leise und doch fest. Vor ihm stand eine junge Frau, die kaum älter als er selbst sein konnte.

„Das ist mein Broterwerb“, tat Milo ab. Immerhin verdiente er sich so seinen Lebensunterhalt.

„Ihr seid ein Magier, nicht wahr? Ich wusste schon immer, dass es mehr aufs Köpfchen ankommt, als auf Muskeln.“ Es war offensichtlich, dass sie ihm schmeicheln wollte. Milo schenkte ihr ein leichtes Lächeln, ging aber nicht weiter darauf ein, da er kein Interesse an einem Flirt hatte. „Sagt, könnt Ihr mir ein paar Tricks beibringen?“ Ihre Augen funkelten so sehr, dass es Milo beinahe leid tat, sie enttäuschen zu müssen.

In dieser Welt gab es zwar Magier, doch diese erlernten ihre Fähigkeiten, um magische Artefakte und Waffen, wie sein Stab eine war, herzustellen in jungem Alter unter der Leitung eines Großmeisters. Doch selbst wenn es sich jeder dahergelaufene Bauer auch noch später aneignen könnte, könnte Milo ihr diesen Wunsch nicht erfüllen. Er war nur ein Mensch und wusste kaum mehr über diese Magier, als das gemeine Volk. In den sechs Jahren, die er bereits durch das Land reiste, war er noch nie einem begegnet. Er hatte nur immer wieder hier und da Informationen aufgegriffen.

„Dieses Wissen ist lediglich Auserwählten vorbehalten. Tut mir leid.“ Noch immer lächelnd verschwieg er die Tatsache, dass er nur ein gewöhnlicher Mensch war. Er hatte keine Lust auf noch mehr Fragen bezüglich seines Jagderfolges. Die Frau nahm es ihm jedoch nicht übel und lachte kurz.

„Das dachte ich mir schon. Darf ich Euch zum Essen einladen? Dieses Fest können wir schließlich nur Euretwegen abhalten.“

Tatsächlich wäre Milo gerne länger geblieben um etwas zu essen und mal wieder wo anderes als auf dem Waldboden zu schlafen. Doch mit der Aussicht, von dieser Frau eingeladen worden zu sein, verging ihm die Lust darauf. Es war nicht das erste Mal, dass ihm ein solches Angebot gemacht wurde. Früher hatte er sich noch darauf eingelassen, doch schnell gemerkt, dass es nicht das war, worauf er aus war.

In solchen kleinen Ortschaften kamen nur selten Fremde vorbei. Und noch seltener handelte es sich dabei um junge Männer, die noch dazu in der Lage waren Bestien zu erlegen. Da war es nur verständlich, dass die Frauen versuchten, diesen Besucher zu betören, in der Hoffnung, ihn als zukünftigen Mann oder vielleicht auch nur für eine Nacht zu gewinnen. Es war nicht so, dass Milo sie nicht ansprechend fand, er hatte einfach keine Zeit für so etwas. Es gab noch reichlich Bestien und Dämonen, die von ihm getötet werden wollten. Bis dahin würde er sich nicht einfach so zur Ruhe setzen. Mal abgesehen davon war er im Gegensatz zu den Dorfbewohnern vorsichtig, wenn es um den Verzehr von Bestienfleisch ging. Vermutlich würde er hier sowieso nichts anderes bekommen. Milo seufzte innerlich auf.

„Es tut mir leid, aber ich habe es eilig. Ich war gerade auf dem Weg zu einem wichtigen Treffen, als ich hier vorbei kam“, log er. Die Enttäuschung war der Frau sofort anzusehen.

„Wie wichtig kann ein Treffen schon sein, dass es auf eine Nacht mehr oder weniger ankommt?“, versuchte sie ihn zum Bleiben zu überrede, doch Milo schüttelte leicht mit dem Kopf.

„Wollt Ihr etwa, dass ich Euretwegen Ärger bekomme?“

Sie verzog kurz ihre Lippen, sprach dann aber: „Wartet hier.“ Schnellen Schrittes verschwand sie zwischen den Häusern.

Keine Minute später kam sie mit einem kleinen Bündel in den Händen zurück.

„Selbstgemachte Laibe. Denkt an mich, wenn Ihr sie esst.“

„Danke.“ Diese nette Geste überraschte Milo mehr als er zeigte. „Wenn ich mal wieder in der Nähe bin, werde ich Euch einen Besuch abstatten“, versprach er mit dem Wissen, niemals wieder hierher zu kommen.

Nelke


 

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Milo war keine Stunde unterwegs gewesen, als sich der Himmel über ihm zuzog. Der Abend war noch fern und dennoch sah es aus, als würde sich die Nacht über die Erde legen. Das leise Grollen in der Ferne bestätigte die unheilvolle Vermutung des Mannes – ein Gewitter zog auf. Spätestens als der erste Regentropfen durch das dichte Blätterdach seinen Kopf traf bereute er es, nicht doch das Angebot der jungen Frau in der Ortschaft angenommen zu haben. Statt aber in Selbstmitleid zu versinken, zog er sich seine Kapuze über den Kopf und begann damit, nach einem Unterschlupf Ausschau zu halten. Entgegen seiner Behauptung hatte er es nicht eilig und konnte es sich leisten, einen halben Tag zu verlieren.

Er folgte dem schmalen Trampelpfad, der von der Ortschaft weggeführt hatte, noch lange, bis er tatsächlich den Umriss eines Gebäudes inmitten des Waldes ausmachen konnte. Mittlerweile war selbst seine Kapuze aus rauen Material durchnässt, so dass er sich über diese Sichtung freute. Ohne zu zögern verließ er den Pfad und steuerte die kleine Hütte an.

Schnell wurde ihm klar, dass diese Gebäude verlassen war. Die zahlreichen Löcher in dem Strohdach und den Lehmwänden sprachen für sich. Zumindest wäre er so nicht auf die Gastfreundschaft eines Einsiedlers angewiesen. Dennoch verlangsamte sich sein Schritt, je näher er kam, bis etwas im Augenwinkel seine Aufmerksamkeit erregte.

Vollkommen untypisch sowohl für einen Wald, als auch für dieses nasse Wetter flatterte dort ein Schmetterling friedlich zwischen den Bäumen herum. Doch nicht nur sein Erscheinen hier war ungewöhnlich, sondern auch sein Aussehen. Seine Farben schienen in dem düsteren Wald geradezu zu scheinen. Sie reichten von einem dunklen Blau über ein warmes Violett bis hin zu einem frischen Türkis. Augenblicklich schloss sich Milos Hand fester um seinen Stab, den er auf dem weichen Waldboden als Stütze missbrauchte.

Es war nicht das erste Mal, dass er einen solchen Schmetterling sah, weswegen er sich gar nicht erst wunderte, was ein derart schönes Geschöpf inmitten dieses verregneten Waldes zu suchen hatte, wenn es doch eigentlich auf eine bunte Blumenwiese gehörte. Aufmerksam lauschte er nach vorne, während er stehen blieb. All seine Sinne waren jäh zum zerreißen gespannt. Er war sich sicher, dass von dem Insekt keine Gefahr ausging, doch in der Vergangenheit hatte er die Erfahrung gemacht, dass oft ein Ereignis bevorstand, wenn diese Art von Schmetterling auftauchte. Nicht immer, aber oft genug, so dass er lieber zu vorsichtig war, als blind in sein Verderben zu laufen. Nicht nur einmal hatte er sich gefragt, ob es sich dabei um ein mystisches Wesen handelte. Eine Art Schutzgeist, der immer bei ihm war und sich nur dann zeigte, wenn er ihn auf etwas aufmerksam machen wollte.

Nachdem er für einige Sekunden still gestanden aber nichts gehört hatte, setzte er sich langsam, seinen Stab noch immer fest umklammernd, wieder in Bewegung. Er rechnete damit, jeden Augenblick angegriffen zu werden, doch der Wald um ihn und vor allem die Hütte vor ihm blieb still. Der Schmetterling war genauso schnell wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war. Lediglich das mulmige Gefühl, dass er in Milo hervorgerufen hatte, zeugte noch von seiner Anwesenheit.

Ohne einen weiteren Zwischenfall erreichte er die Hütte, deren Tür herausgebrochen war und auf dem Boden lag. Das Holz war größtenteils von Blättern und Ranken verdeckt, doch das, was davon noch zu sehen war, war bereits halb verrottet. Milo beschlich das Gefühl, dass dieser Unterschlupf nicht allzu trocken sein würde. Gerade als er einen tiefen Atemzug nahm und über die Tür hinweg in das dunkle Innere trat, war ein unmenschlicher Aufschrei zu hören, gefolgt von einem lauten Krachen. Der Mann erschrak sich derartig über den plötzlichen Lärm aus der Hütte, dass er nach hinten stolperte, wobei sich sein Fuß in den Ranken am Boden verfing. Er stürzte und schlug hart mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf. Keine Sekunde später kam durch die Tür eine riesige Bestie auf ihn zugestürzt. Milo konnte nichts weiter tun, als verzweifelt seinen Stab zu heben. Doch das gut drei Meter lange Ungetüm sprang über ihn hinweg, schien ihn gar nicht wahrzunehmen, und donnerte hinter ihm in einen Baum. Alles was Milo sah war das rostbraune, drahtige Fell, ehe er sich schnellstmöglich auf seine zitternden Beine kämpfte. Kurz hatte er die Hoffnung, dass er das Biest nur in seinem Schlaf erschreckt und es nun die Flucht ergriffen hatte. Doch als er sich mit vor sich gehobenen Stab umdrehte, schüttelte es gerade seinen Kopf. Dem Baum, der es gestoppt hatte, fehlte ein Teil der Rinde.

Nachdem die Bestie ihre Benommenheit überwunden hatte, starrte sie Milo aus ihren kleinen, grünen Augen an. Ihr Atem ging schwer, mit einem grunzenden Unterton. Das Maul stand offen und legten spitze Zähne frei. Auf jeder Seite wuchsen zwei lange, gebogene Eckzähne heraus, die definitiv tödlich waren. Dazu ragte ein weiteres Horn aus dem Nasenrücken des großen, vernarbten Schweinerüssels. Das rostbraune Fell wurde zum Rücken hin länger und schwarz. Eine derart beeindruckende und bedrohliche Bestie war Milo selten unter die Augen gekommen. Er war sich nicht sicher, ob er ihrer schieren Kraft etwas entgegenzuwirken hatte. Trotzdem zögerte er keine Sekunde, als das geifernde Ungetüm auf ihn zustürzte.

Er schleuderte seinen Stab und traf es an der Schulter, während er selbst zur Seite sprang. Erst bei seiner Landung bemerkte er den stechenden Schmerz in seinem Knöchel. Im Gegensatz zu dem Wiesel wurde dieses Wildschwein nicht von dem Treffer weggeschleudert. Es taumelte kurz und drehte sich dann mit einer derartigen Wendigkeit um, dass Milo nicht viel mehr tun konnte, als seinen Stab vor sich zu reißen und so den Stoß abzublocken. Dieses Mal war er es, der durch die Gegend geschleudert wurde. Mit einem lauten Aufkeuchen schlug er auf dem Boden auf, so dass nun auch noch sein Rücken schmerzte. Noch bevor er durchatmen konnte, zwang er sich auf die Beine, um nicht von der Bestie überrannt zu werden. Kurz bereute er es, nach der Sichtung des Schmetterlings nicht einfach weitergegangen zu sein, doch für solche Gedanken hatte er nun wirklich keine Zeit.

Ohne ihm eine Pause zu gönnen, stürmte der Keiler wieder auf ihn zu. Unter seinen Füßen bebte die Erde und Milo wusste nicht, wie er gegen diese Macht vorgehen sollte. Er wich ihm mit einem Sprung aus, schlug wieder zu und nutzte das Taumeln seines Gegners, um etwas Abstand zwischen sie zu bringen. Dieses Spiel wiederholte sich einige Male, bis der Mann außer Puste war. Sein Fuß schmerzte bei jedem Schritt und ließ ihn immer langsamer werden. Schließlich gelang ihm das Ausweichen nicht mehr. Erneut wurde er durch die Luft geschleudert. Bei dem Aufschlag ließ er seinen Stab los, der in hohem Bogen davon flog. Milos Körper schmerzte so stark, dass er es nicht wieder auf die Füße schaffte. Er kroch von der Bestie weg, bis er mit seinem Rücken gegen einen Baumstamm stieß. Der Keiler kam beinahe gemächlich auf ihn zu, als wüsste er, dass er dieses Spiel gewonnen hatte. Konnte das wirklich das Ende sein? Reiß dich zusammen, Milo! Die Schelte zeigte keine Wirkung, seine Beine verweigerten ihm den Dienst.

Die Bestie baute sich vor ihm auf, ihre grünen Augen bohrten sich überlegen in ihn, als sie ihren riesigen Kopf senkte, um zu fressen. In einer Verzweiflungstat riss Milo seine Hände hoch, um sie wegzustoßen. Er traf den schmierigen Rüssel. Entgegen seiner Erwartungen schrie der Keiler auf einmal auf und ging dann in die Knie. Irritiert starrte er ihn an, als er von einem auf den nächsten Augenblick wie leblos vor ihm lag. Ein schwaches Heben und Senken seines Brustkorbes war zu sehen, bis auch der Atem stoppte. Milos entsetzter Blick richtete sich auf seine Hände, die er ungläubig anstarrte. War das wirklich er gewesen? Wie?

Erst das leise Geräusch von Schritten in dem nassen Laub ließ ihn wieder aufschauen. Hinter dem toten Körper der Bestie stand eine Person, die in in weinrotes Gewandt gehüllt war, was augenblicklich die Alarmglocken bei Milo schrillen ließ. Menschen die sich derartige Kleidung leisten konnten waren meist Nobelleute. Und solche hatten nichts alleine in einem Wald bei einem solchen Wetter zu suchen. Jedoch stach Milo noch etwas anderes ins Auge. Im Rücken des Keilers steckte ein Stab. Bei genauerem hinsehen erkannte er seinen Hirtenstab. Er brauchte kein Genie zu sein, um eins und eins zusammenzuzählen. Dieser Fremde musste seinen Stab, den er zuvor hatte fallen lassen, aufgehoben und die abgelenkte Bestie so mit einem gezielten Stoß erledigt haben. Stark genug war seine Waffe dafür, das wusste er. Jetzt blieb nur noch die Frage, wer dieser Fremde war und warum er ihm geholfen hatte. War er Feind oder Freund?

Milo hatte auf jeden Fall nicht vor, so schutzlos am Boden zu liegen, wenn er es herausfand. Mit seiner neu gewonnen Hoffnung, gelang es ihm sich wieder auf seine zitternden Beine zu kämpfen. Er stolperte einen Schritt nach vorne, um seinen Stab zu ergreifen, wobei er den Fremden nicht aus den Augen ließ. Dieser stand einfach nur da, schien ihn von unter seiner Kapuze aus zu beobachten. Sein Gesicht war im Schatten dieser in dem düsteren Wald nicht zu erkennen. Nur zu deutlich spürte Milo, dass mit diesem Kerl irgendetwas nicht stimmte. Als es ihm nicht gelang, seinen Stab so einfach aus dem Leichnam zu ziehen, dachte er kurz darüber nach, ohne diesen das Weite zu suchen.

Bevor er sich aber länger mit diesem lächerlichen Gedanken beschäftigen konnte, erwachte der Fremde auf einmal aus seiner Starre und kam auf ihn zu. Er ergriff den Stab oberhalb von Milos Hand und zog ihn mit einer schnellen Bewegung heraus. Milo geriet kurz ins Taumeln, doch er hatte seine Waffe wieder. Eben diese richtete er nun auf die Person, die ihm gegenüber auf der anderen Seite des Keilers stand und gerade noch geholfen hatte.

„Wer bist du?“

Veilchen


 

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„Ich will dir nicht schaden.“ Die Stimme des Fremden war überraschend weich, die Worte kamen ihm geradezu melodisch über die Lippen.

„Dann zeig dich!“ Es war nicht so, dass Milo undankbar war. Doch würde er jeder dahergelaufenen Gestalt so ohne weiteres trauen, dann würde er heute vermutlich nicht mehr leben. Es gab genügend finstere Wesen, die sich als Menschen ausgaben. So lange er nicht sein Gesicht gesehen hatte, konnte er nicht ausschließen, dass es sich um einen gehörnten Dämon handelte.

Der Fremde schien kurz zu zögern, griff dann aber nach seiner Kapuze und zog sie zurück. Milo war auf alles gefasst gewesen und atmete auf, als keine Hörner zum Vorschein kamen. Stattdessen stand ein normaler Mensch vor ihm und doch beunruhigte ihn der Anblick. Hätte er nicht eben die Stimme des anderen gehört, so wäre er sich bei diesem Gesicht nun nicht mehr sicher, ob es wirklich ein Mann war. Tatsächlich zweifelte er sogar kurz daran, ob er die Stimme falsch einsortiert hatte. Wer würde hier draußen aber auch mit einer Frau rechnen? Was ihn aber mehr verunsicherte war die ungewöhnlich helle Haarfarbe, die einen leichten Rotstich zu haben schien, genauso wie seine grauen Augen. Das schulterlange Haar war zu einem Zopf gebunden, was Milo wieder an eine Frau denken ließ. Andererseits war der Fremde ein gutes Stück größer als er, was nun kein Meisterwerk war. Dennoch entschied er sich dafür, den anderen erst einmal als Mann zu sehen.

„Wer bist du?“ Er klang nicht mehr ganz so gereizt, war aber dennoch misstrauisch. Irgendetwas bei dem Anblick des anderen löste ein ungutes Gefühl in ihm aus. Dieser deutete auf einmal eine leichte Verbeugung an.

„Mein Name ist Fenin.“ Auch wenn sein Name wenig Aufschluss über sein Geschlecht gab, so tat es seine Stimme dieses Mal sehr wohl. Doch diese Erkenntnis rückte in den Hintergrund, als Milo bewusst wurde, wie unhöflich er sich dem Fremden gegenüber, der ihm gerade das Leben gerettet hatte, gewesen war. Sofort ließ er seinen Stab sinken.

„Ah, danke für Eure Hilfe“, beeilte er sich zu sagen. „Ich heiße Milo.“ Er verbeugte sich. Wenn der andere ihm schaden wollte, dann hätte er dies vermutlich längst getan.

Er spürte, wie Fenins Blick auf ihm ruhte, ohne dass er etwas sagte. Als Milo wieder aufschaute bemerkte er, dass der andere seinen Fuß musterte. Obwohl er im Kampf zweimal zu Boden geworfen worden war, war sein Knöchel am stärksten in Mitleidenschaft gezogen worden, zumindest schmerzte dieser am schlimmsten. Jetzt, da das Adrenalin langsam seinen Körper verließ, fiel es ihm noch schwerer zu stehen, was wohl auch der andere bemerkte.

„Du bist verletzt, du solltest dich hinsetzen.“ Fenin machte Anstalten zu ihm zu kommen und ihn zu stützen, doch Milo wich unmerklich zurück.

„Ich kann selbst laufen.“ Wie zum Beweis rammte er seinen Stab in den aufgeweichten Waldboden. Unter Fenins Augen biss er die Zähne zusammen und versuchte mit Hilfe des Stabs möglichst normal zur Hütte zu gehen. Es regnete noch immer stark und er hatte keine Lust, sich in einem Loch aus Schlamm im Regen auszuruhen. Die Hütte durfte nun ja sicher sein. Fenin folgte ihm langsam.

Milos Augen gewöhnten sich nur langsam an die herrschende Dunkelheit in der Hütte, weswegen er sich an einer der Wände, wo es trocken zu sein schien, zu Boden hatte sinken lassen. Für einen Moment hatte er seine Augen geschlossen und fühlte nach den schmerzenden Stellen in seinem Körper. Selbst wenn dieser Fenin ihm etwas böses wollte, welchen Unterschied würde es in seinem Zustand machen, ob er nun wachsam war oder nicht? Er konnte nicht einmal gerade stehen.

Nachdem sich seine Augen soweit an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, dass er die Umrisse der geringen ehemaligen Einrichtung, die mittlerweile zerstört war, erkennen konnte, schweifte sein Blick zu Fenin. Dieser war vor ihm auf die Knie gegangen und kramte in einem Beutel an seiner Hüfte.

„Was macht Ihr da?“ Auch wenn er Fenin erkannte, so konnte er nicht sagen, was der Mann da gerade aus dem Beutel gezogen hatte.

Als er das trockene Laub hier drinnen zu einem Haufen türmte und den Gegenstand hineinlegte, erübrigte sich Milos Frage. Es war ein kleiner Stein, der plötzlich rot zu scheinen begann. Keine Sekunde später entfachte ein Feuer in dem Laubhaufen. Milo hatte von solchen Steinen gehört, mit denen man immer und überall ohne großen Aufwand Feuer machen konnte. Es wunderte ihn auch nicht, dass jemand mit solch nobler Kleidung einen derartigen Gegenstand bei sich trug. Nachdem er in dem schwachen Schein des kleinen Feuers das verrottende Holz in dem Haus, das einmal die Einrichtung gewesen sein musste, gesammelt und es auf das Laub geschichtet hatte, wandte er sich Milos Fuß zu. Dieser ließ es widerwillig geschehen als Fenin sich daran machte seinen Schuh zu öffnen. Wenn er ehrlich war schmerzte sein Gelenk mehr als nur etwas und der enge Schuh trug nicht gerade zu einem Wohlgefühl bei, so dass es eine Wohltat war, als sich der Druck endlich löste. Ein kurzer Blick seitens Fenin und er begann wieder in seiner Tasche zu kramen. Milo ließ seinen Kopf gegen die Wand hinter sich sinken und fragte sich, warum dieser Kerl ihm half. Aus dem Augenwinkel schaute er dabei zu, wie er etwas, was Kräuter sein konnten, auf seinen Knöchel legte. Ein kühles Gefühl breitete sich sofort in diesem aus und vertrieb den pochenden Schmerz zumindest etwas.

„Seid Ihr ein Magier?“, konnte Milo sich nicht länger zurückhalten und musste unweigerlich an das Mädchen aus dem Dorf denken, das ihm selbst das gleiche unterstellt hatte. Vermutlich machte er sich gerade lächerlich.

„Nein.“

„Woher dann der Stein und die Kräuter?“, bohrte Milo nach. „So etwas trägt nicht einfach jeder mit sich herum.“

„Dann bist du also ein Magier?“ Milo musste ein ziemlich doofes Gesicht gemacht haben, weswegen Fenin sich erklärte. „Dein Stab, das ist doch kein normaler. Er hat diese Bestie mit nur einem Stoß getötet.“ Milo blieb nichts anderes, als sein Gesicht zu verziehen.

„Warum helft Ihr mir?“, wechselte er das Thema, woraufhin sich die beiden für einen Moment anschauten.

„Wäre es dir lieber, wenn ich dich hätte sterben lassen? Oder wenn ich dich jetzt alleine hier liegen lasse?“ Erst jetzt bemerkte Milo, dass Fenin ihn duzte. Er runzelte die Stirn darüber. Konnte es sein, dass der andere von Adel war? Doch was machte er dann hier? Dieser hatte seinen Ausdruck bemerkt und schien nun anzunehmen, dass er auf seine Frage reagierte. „Ist es so unüblich, jemandem zu helfen?“

„Nein.“ Milo schüttelte den Kopf. „Ich frage mich nur, was Ihr davon habt? Ihr seht mir nicht wie jemand aus, der alleine durch Wälder reist und gegen Bestien kämpft.“ Der Hauch eines Lächelns huschte über Fenins Lippen.

„Das stimmt, ich sollte längst in der Stadt sein. Ich habe mich wohl verlaufen.“ Er senkte seinen Blick auf seine Hände, mit denen er an der Kordel seines Beutels spielte. „Du bist erfahren im Kampf gegen Bestien und kennst dich im Wald aus, oder?“ Milo wusste zwar nicht, wie er nach dem, was er eben gesehen hatte, darauf kam, doch er verstand sofort worauf der Mann hinaus wollte. Er brauchte nicht lange darüber nachzudenken, ob er Fenin Geleitschutz bieten sollte. Das war wohl das mindeste, was er tun konnte.

„Welche Stadt?“ Es gab nicht viele große Städte, so dass Milo sie möglicherweise zumindest vom Hören kannte, auch wenn er noch nicht lange in dieser Gegend war.

„Trora.“ Der Name sagte ihm nichts, was vermutlich bedeutete, dass sie nicht allzu groß war. Trotzdem nickte Milo.

„Wenn Ihr wirklich einem Verwundeten folgen wollt, ich werde Euch nicht aufhalten.“

„Vielen Dank.“
 

Der Regen prasselte auch noch in der Nacht auf das marode Dach der Hütte. Milo hatte sich mittlerweile seines nassen und schlammigen Umhangs entledigt und an dem kleinen Feuer, das langsam mangels Brennmaterials erlosch, gewärmt. Er hatte versucht etwas zu schlafen, sich auszuruhen, doch er konnte sich nicht so recht entspannen. Fenin hatte sich an der gegenüberliegenden Wand niedergelassen und schien zu schlafen. Er konnte nicht anders, als immer wieder zu dem Mann hinüber zu schauen. Seit auch er seinen Umhang zum Trocknen ausgezogen hatte konnte sich Milo sicher sein, dass er wirklich ein Mann war, zumindest zeichneten sich unter seiner nicht weniger feinen Kleidung kein Busen ab. Milo schüttelte den Kopf über sich selbst. Warum interessierte ihn das überhaupt? Er hatte ganz andere Probleme.

Auch wenn Fenins Kräuter seine Schmerzen gelindert hatten, so war er dennoch verletzt. Gleichzeitig hatte er ihm versprochen, ihn in die Stadt Trora zu bringen. Er hatte schon kaum Essen für sich selbst, geschweige denn für zwei Leute. Sie konnten es sich nicht erlauben, länger Pause einzulegen und ihn etwas zu schonen. Während er über das Geschehene nachdachte, den Kampf gegen den Keiler zum wiederholten Male in seinem Kopf durchging, bohrte sich sein Blick geradezu in den schlafenden Fenin. Er hatte ihm unbestreitbar das Leben gerettet und dennoch wusste Milo nicht, was er von dem anderen halten sollte. Er strahlte eine gewisse Ruhe aus und wirkte selbst eher unbekümmert, doch Milo kam in seiner Gegenwart einfach nicht zur Ruhe. Ziemlich sicher war es seine Anwesenheit, die ihn nicht schlafen ließ, und nicht die Erinnerungen an den schrecklichen Kampf.

Erst als sein Magen laut knurrte kam ihm ein anderer Gedanke in den Sinn. Er kramte die geschenkten Brotlaibe hervor, die den Regen erstaunlich gut überstanden hatten und begann zu essen. Nachdem er den ganzen Tag bis auf sein Frühstück noch nichts zu sich genommen hatte, schlang er das trockene Brot geradezu herunter. Und obwohl er noch hätte weiteressen können, hörte er nach der Hälfte auf und verpackte das Essen wieder. Kurz dachte er daran, dass vor dieser Hütte ein gewaltiger, toter Keiler lag. Diesen Gedanken verwarf er schnell wieder. So nötig hatte er es dann doch noch nicht. Nachdem sein Magen nun etwas gefüllt war, fiel er überraschend schnell in einen tiefen Schlaf.

Amaryllis


 

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Ein stechender Schmerz explodierte in Milos Fuß und vermischte sich mit einem wirren Traum von monströsen Frischlingen, die ihn bei lebendigem Leib fraßen. Er schreckte aus seinem Schlaf hoch, griff ohne einen klaren Gedanken zu fassen nach seinem Stab neben sich und Schlug ihn auf den Boden vor sich, wo sich die vermeintlichen Bestien befanden. Erst nach einigen Augenblicken klärte sich sein Blick und ihm wurde bewusst, was eigentlich geschehen war. Vor ihm kniete Fenin, der allem Anschein nach an seinem Fuß zugange gewesen war, auf dem Boden und schaute ihn mit aufgerissenen Augen an. Keine Handbreite neben ihm hatte sich der Hirtenstab in den lehmigen Boden gegraben. Milo atmete tief aus, ließ den Stab los und sackte wieder gegen die Wand.

„Habe ich dir weh getan?“ Fenin zog sich zurück und warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. Milo verzog seine Lippen.

„Schon gut. Ich sollte mich entschuldigen, ich wollte Euch nicht angreifen.“ Sein Blick richtete sich wieder auf Fenin, der keineswegs nachtragend aussah. Dann wanderte er zu seinem Fuß. Der Mann hatte die Kräuter gewechselt. „Habt Ihr Ahnung davon?“ Er nickte zu seinem mittlerweile blau geschwollenem Knöchel. Kräuter konnte sich jeder besorgen, der nur etwas Geld oder vergleichbares von Wert hatte. Das bedeutete aber noch lange nicht, dass man auch wusste, wie man eine Wunde behandelte.

„Mit diesen Kräutern kann man nie etwas falsch machen.“ Was in Milos Ohren nach: 'Ich habe keine Ahnung', klang. Er seufzte innerlich, nahm es dem anderen aber nicht übel. Schließlich wolle er ihm nur helfen.

„Ich hoffe Ihr habt etwas Zeit auf Eurer Reise.“ Milo brauchte seinen Knöchel nicht einmal zu belasten um die Schmerzen zu spüren, damit würde er nicht schnell voran kommen. Ganz zu schweigen davon, was geschah, wenn sie von einer Bestie oder schlimmerem angegriffen wurden. So konnte er unmöglich ordentlich kämpfen.

„Ich habe es nicht eilig, du musst dich also nicht meinetwegen hetzen.“ Zwar war es nett von Fenin, dass er ihn nicht unter Druck setzte, trotzdem konnten sie nicht hierbleiben. Alleine schon, weil ihnen die Nahrung ausging

„Nicht Euretwegen, ich möchte aber auch nicht verhungern. Oder wollt Ihr mit dem Keiler dort draußen Vorlieb nehmen?“ Er stellte die Frage nur, um den anderen zu testen. Selbst wenn er das Fleisch essen wollen würde, würde Milo nicht hierbleiben und es zulassen. Fenin verzog jedoch unmerklich sein Gesicht.

„Bestienfleisch? Du als Jäger solltest wissen, dass es sich negativ auf des Gemüt auswirkt.“ Zumindest schien der Mann etwas Ahnung zu haben. Milo zuckte mit den Schultern.

„Deswegen brechen wir gleich auf.“ Voller Entschlossenheit versuchte er aufzustehen, musste sich aber eingestehen, dass es nicht so einfach ging.

„Warte!“ Mit einem Satz war Fenin neben ihm und drückte seine Schultern wieder sacht nach unten. „Lass mich erst deinen Fuß verbinden.“

War Milos Knöchel schon zuvor so geschwollen gewesen, dass er kaum in seinen Stiefel passte, so funktionierte es mit dem ordentlichen Verband noch weniger. Er löste die Schnürsenkel seines linken Schuhs soweit es möglich war und zwängte seinen Fuß hinein. Glücklicherweise schienen die neuen Kräuter eine betäubende Wirkung zu haben, so dass es erträglich war. Nachdem sie ihre Mäntel wieder übergezogen hatten, verließen sie die Hütte und kehrten zu dem Trampelpfad zurück, um ihre Reise fortzusetzen. Der Regen hatte eine Pause eingelegt, doch am Himmel hingen noch bedrohlich dunkle Wolken.
 

Je länger sie unterwegs waren, desto langsamer kam Milo voran. Mit jedem Schritt bei dem er seinen Stab als Stütze nutzte wurde der dumpfe Schmerz in seinem Knöchel etwas stärker. Der schlammige, rutschige Boden machte es ihm dabei nicht gerade leichter. Nicht nur einmal war er ausgerutscht und hatte sich mit einem schmerzhaften Ausfallschritt vor einem Sturz retten müssen. Fenin währenddessen lief die ganze Zeit über hinter ihm, ohne sich auch nur mit einem Wort über das Tempo zu beschweren. Gelegentlich warf Milo sogar einen Blick zurück, um zu überprüfen, ob der Mann überhaupt noch da war.

Am späten Nachmittag konnten sie über den Wipfeln der Bäume vor ihnen Rauch ausmachen, was auf das nächste Dorf hindeutete zu dem dieser Weg führte. Er sah nicht so aus, als wurde er allzu oft genutzt, doch da er vorhanden war musste er auch irgendwo hinführen, was für die Dorfbewohner von Interesse war. Es war nicht unüblich, dass so kleine Ortschaften mit ihren nächsten Nachbarn von Zeit zu Zeit Tauschhandel betrieben. Milo atmete erleichtert auf. Rauch bedeutete, dass es dort Menschen gab. Und wo Menschen lebten, da gab es auch Nahrung und Schlafplätze.

In der Ortschaft angekommen wurden sie empfangen wie überall sonst auch, mit misstrauischen Blicken und getuschelten Worten. Verständlich, gab es neben Bestien und Dämonen auch genügend Menschen die nichts gutes im Sinn hatten. Milo hatte sich längst daran gewöhnt. Hätte er nicht so starke Schmerzen gehabt, hätte er gelächelt und Blickkontakt gesucht. So aber hatte er seinen Blick leicht gesenkt und konzentrierte sich darauf, nicht auszurutschen.

„Edler Herr, edler Herr!“ Die Stimme gehörte einem jungen Mädchen, das auf sie zugeeilt kam. Milo brauchte einen Augenblick um zu begreifen, dass sie Fenin meinte. Natürlich trug er im Vergleich zu dem Mann keine so noble Kleidung, aber er hatte auch nicht gerade Lumpen an. Dass er einfach so übergangen wurde kratzte etwas an seinem Ego. Trotzdem blieb er stehen, als sie bei ihnen angekommen war und musterte sie. Sie hatte langes, blondes Haar, das unordentlich in einen Zopf geflochten war, ein schmutziges Gesicht und war noch nicht in einem Alter, in dem man Männer umwarb. In ihren Händen hielt sie einen Korb mit frischem Obst, welches ihr eigentliches Anliegen deutlich machte. „Bei mir bekommt Ihr leckere und frische Früchte.“ Geradezu aufdringlich streckte sie ihm den Korb entgegen.

Milo entging nicht der herablassende Blick, mit dem Fenin das Mädchen betrachtete. Mit einem Mal schien er ein anderer Mann zu sein, als der, den er kennen gelernt hatte.

„Was möchtest du dafür haben?“ Eigentlich war Milo kein Freund davon, etwas von Kindern zu kaufen, doch er wollte die Situation etwas lösen und sah dies außerdem als Möglichkeit mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Erst jetzt wandte sich ihm das Mädchen zu.

„Ihr müsst mir helfen, meinen Vater zu finden.“ Silber hätte Milo ihr anbieten können, doch was sollte ein Mädchen an einem Ort wie diesen damit schon anfangen? Normalerweise hätte er auch eine solche Suche nicht abgelehnt, doch mit seiner Verletzung würde das nichts bringen, das war ihm klar.

„Deinen Vater?“, fragte er dennoch nach.

„Er ist vor einer Woche in den Wald gegangen um Kräuter für meine Mutter zu sammeln, aber er ist seitdem nicht zurückgekommen. Meine Mutter ist krank und wir brauchen ihn.“ Ihr Ton war flehend.

„Was ist mit den anderen hier, haben sie nicht nach ihm gesucht?“

Sie schüttelte dem Kopf und sprach dann weiter: „Sie haben den ersten Morgen nach seinem Verschwinden nach ihm gesucht. Aber als sie ihn nicht finden konnten, meinten sie er wäre selbst Schuld, wenn er wegen so etwas in den Wald gehen würden. Es ist Herbst, jeder hier ist mit seinen eigenen Sachen beschäftigt. Bitte, Ihr müsst ihn suchen.“ Milo nickte nur, während er ihr aufmerksam zuhörte. Es war nicht das erste Mal, dass er mitbekam, dass Kräuter beim einfachen Volk als Heilmittel verpönt waren.

Zu gerne würde er ihr helfen, weswegen er einen hilfesuchenden Blick zu Fenin warf, der schweigend neben ihm stand und ihn bereits anschaute. Sein knappes Nicken ermutigte Milo weiterzusprechen, auch wenn er den anderen noch nicht lange genug kannte, um sicher zu sein, dass dieser sein Anliegen auch wirklich verstanden hatte.

„Auch wenn ich es gerne würde, so kann ich dir nicht helfen.“ Er deutete auf seinen Fuß, den er leicht gehoben hatte, um ihn nicht zu belasten. „Ich bin verletzt und nicht gut zu Fuß.“ Kurz schaute sie auf seinen Fuß, verzog die Lippen und deutete dann auf Fenin.

„Er kann laufen. Warum kann er nicht suchen?“ Nachdem Fenin kein Wort mit ihr gewechselt und sie auch nicht sonderlich freundlich angeschaut hatte, war nun anscheinend Milo ihr Ansprechpartner. Gerade als dieser zu einer Antwort ansetzen wollte, begann Fenin doch mit ruhiger Stimme zu sprechen.

„Ich werde gehen.“ Während sich das Gesicht des Mädchens mit einem Schlag aufhellte, schaute Milo ihn überrascht und besorgt an.

„Seid Ihr euch sicher? Es ist gefährlich in den Wäldern.“ Besonders wenn bereits jemand vermisst wurde. Er kannte Fenin erst seit gestern, trotzdem wollte er nicht, dass ihm etwas zustieß. Generell wollte er nicht, dass irgendjemand durch diese Monster Schaden nahm.

„Dann gib mir deinen Stab mit.“ Fenins Aufforderung klang nur halbherzig, dennoch brachte sie Milo ins Stocken. Dieser Stab war ein Familienerbstück, das er nicht so einfach herausgeben konnte. Trotzdem, oder gerade deswegen fühlte er sich schuldig so egoistisch zu sein. Noch bevor er über die passenden Worte nachdenken konnte, wandte sich Fenin ab und ging. Scheinbar waren seine Worte nur so dahergesagt gewesen. Das Mädchen folgte ihm freudestrahlend.

„Da hinten ist er in den Wald gegangen. In diese Richtung.“ Während sie die Männer zum Waldrand führte, entbrannte in Milos Kopf ein Zwiespalt.

Fenin hatte ihm das Leben gerettet, wie konnte er da jetzt so engstirnig sein? Aber wenn dem anderen dennoch etwas zustieß oder er noch schlimmer das Weite suchte, wie groß standen dann schon die Chancen, dass er seinen Stab jemals wiedersah? Warum nur war er verletzt worden? Es hätte alles so viel einfacher sein können.

Als sie am Waldrand zu stehen kamen, wollte Milo sich erklären: „Fenin, ich -“

„Du brauchst ihn“, unterbrach der Mann ihn ohne eine Miene zu verziehen. „Ich war lange genug alleine unterwegs und lebe noch, mach dir keine Gedanken.“ Er holte etwas aus seinem Beutel und drückte es ihm in die Hand. „Bis Sonnenuntergang bin ich zurück.“

Milo wollte widersprechen, ihn von diesem Wahnsinn abhalten, doch der Mann hatte sich bereits umgedreht und war zwischen den Bäumen verschwunden. Am liebsten wäre er ihm hinterhergerannt, doch die Schmerzen in seinem Fuß hielten ihn davon ab. Stattdessen ärgerte er sich über sich selbst, während er die aufkommenden Sorgen zu unterdrücken versuchte. Zur Ablenkung fiel sein Blick auf das Objekt, das Fenin ihm gegeben hatte. Ein kleines Bündel aus Stoff. Er musste es nicht öffnen, um zu wissen was sich darin befand. Er wandte sich dem Mädchen zu, in dessen strahlendes Gesicht sich nun auch etwas Sorge gemischt hatte.

„Kannst du mich zu deiner Mutter bringen?“ Er wusste nicht, was die Frau hatte. Doch wenn sie Kräuter brauchte, dann konnte er ihr hiermit hoffentlich helfen.

Tränendes Herz


 

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Es war ein einfaches Haus, kaum größer als die Hütte, in der Milo übernachtet hatte. Die Luft war etwas abgestanden, dafür war es aber trocken. Das Mädchen hatte ihn direkt zu dem Bett geführt, das in einer Ecke des einzigen Raumes stand. Davor ging sie auf die Knie und griff nach der blassen Hand der darin liegenden Frau.

„Mutter, ich habe jemanden gefunden, der dir helfen kann. Vater wird auch bald zurück sein. Bitte wach auf.“

Milo kniete sich neben sie und griff nach dem Handgelenk der Frau um nach dem Puls zu fühlen. Sie sah nicht sonderlich gesund aus. Doch er war vorhanden, wenn auch nur schwach.

„Wie heißt du?“, fragte er das Mädchen, während er das Stoffpäckchen behutsam öffnete.

„Lysil.“

„Ich heiße Milo.“

„Werdet Ihr meiner Mutter helfen können?“ Ihr Blick hatte sich auf ihn gerichtet und er konnte nur allzu deutlich die verzweifelte Hoffnung in ihren Augen erkennen.

„Das hoffe ich doch.“ Nachdem er noch einmal zu der schlafenden Frau geschaut hatte, senkte er seinen Blick auf die Kräuter. Er wusste nicht, was es für welche waren, doch es waren nicht die, die Fenin auf seinen Knöchel gegeben hatte. Dafür rochen sie eindeutig zu unangenehm. Warum trug der Mann so viele verschiedene Kräuter bei sich? Leider kannte sich Milo mit heilenden Kräutern nicht wirklich aus. Noch weniger mit der Behandlung kranker Menschen. Er wusste ja nicht einmal, was diese Frau hatte. Bevor er eine Entscheidung darüber treffen konnte, was er nun damit anfangen sollte, beugte sich Lysil in sein Blickfeld.

„Das ist Furuskraut, stimmst?“

„Du kennst es?“ Milo konnte nicht sagen, ob sie mit ihrer Bestimmung richtig lag, schließlich kannte er es nicht.

„Mein Vater hat oft davon geredet, leider ist es sehr selten und schwer zu bekommen.“

„Wie kannst du dir dann so sicher sein?“ Er versuchte es so klingen zu lassen, als wüsste er, dass es stimmte und wollte sie nur überprüfen.

„Einmal gerochen vergisst man es sein Leben lang nicht mehr.“ Sie grinste schief und sprang dann auf. „Ich setze Wasser auf.“ Selbst mit dieser Aussage war sich der Mann noch unsicher, ob es nun zur Inhalation, zum Baden oder gar zum Trinken verwendet wurde. Er verließ sich auf das Mädchen, er selbst würde es kaum besser machen können. Mit einem letzten Blick auf das bleiche Gesicht der Frau ließ er sich auf dem Boden nieder und lockerte seinen Schuh.

Die betäubende Wirkung der Kräuter an seinem Knöchel war längst verflogen. Bei jeder noch so kleinen Bewegung zuckte ein stechender Schmerz durch seinen Fuß. Als er den Schuh möglichst vorsichtig abstreifte, rechnete er damit, dass er noch weiter angeschwollen war. Umso erstaunter und irritierter war Milo als er sah, dass die Schwellung unter dem Verband zurückgegangen zu sein schien. Wie kann das sein? Er war den halben Tag unterwegs gewesen. Selbst wenn er stillgelegen hätte würde es in so kurzer Zeit nicht wieder abheilen. Konnte es wirklich an den Kräutern liegen?

„Fangt!“

Hätte Milo keine guten Reflexe, wäre ihm im nächsten Augenblick eine Birne gegen den Kopf geflogen. So fing er das Obst mit seiner rechten Hand und starrte es etwas verdutzt an.

„Denkt Ihr ich hätte die Bezahlung vergessen? Auch wenn mein Vater noch nicht gefunden ist, so will ich Euch doch danken.“ Milo war hungrig und hätte sich über die Birne freuen sollen, doch sein schlechtes Gewissen holte ihn ein.

„Wenn das einer verdient, dann Fenin.“ Zumindest für einige Minuten hatte er die Gedanken unterdrücken können, doch nun trafen sie ihn wieder mit voller Wucht. Fenin hatte nichts, um sich zu verteidigen und selbst wenn, konnte er vermutlich nicht einmal kämpfen. Er hatte sich im Wald verlaufen und Milo um Hilfe gebeten. Und nun irrte er seinetwegen da draußen herum, um nach jemandem zu suchen, der möglicherweise einem Monster zum Opfer gefallen war. Wie hatte er das nur zulassen können? Am liebsten wäre er jetzt noch aufgesprungen, um ihn suchen zu gehen. Doch mit seinem Fuß würde ihm das niemals gelingen. Er gab die Schuld aber nicht nur sich. Was hatte sich dieser Kerl nur dabei gedacht?

„Ihr klingt nicht glücklich dabei?“ Sie kam mit einem Kessel heißen Wassers und einer Schale zurück. Ohne ein Wort überließ Milo ihr die Kräuter.

„Ich bin der Monsterjäger, nicht Fenin. Ich habe ihn nur aufgelesen, um ihn in die nächste Stadt zu eskortieren“, machte er seinem Kummer Luft. Eigentlich würde er mit Fremden nicht über so etwas sprechen, doch Lysil war noch ein Kind, was seine Hemmschwelle sinken ließ.

„Und ich habe mich schon gewundert, wie Ihr mit jemandem wie ihm reisen könnt. Er ist wohl alt genug, um solche Entscheidungen für sich treffen zu können.“ Sie hatte einen Teil der Kräuter in die Schale gegeben und schüttete nun behutsam das heiße Wasser darüber.

„Mit jemandem wie ihm?“, wiederholte er ihre Worte. Dafür dass sie Milo anfangs nicht einmal beachtet hatte, redete sie nun ziemlich abwertend über Fenin. Sie schien ihre Worte sofort zu bereuen.

„Tut mir leid, es war nicht so gemeint. Es ist nur, er ist irgendwie... unheimlich.“ Bei ihren Worten legte Milo die Stirn in Falten. Auf ihn hatte der Mann diesen Eindruck definitiv nicht gemacht. Möglicherweise hatte es an dem arroganten Blick gelegen, den Fenin ihr vorhin hatte zukommen lassen. Milo konnte nicht sagen, was es damit auf sich hatte, doch ihm gegenüber war er bisher überaus freundlich und hilfsbereit gewesen. Er entschied sich, dass es das Beste wäre, nicht weiter darüber zu sprechen.

„Willst du sie das trinken lassen?“ Er deutete auf die Schale, von der sich ein unerträglicher Geruch ausbreitete.

„Natürlich, was dachtet Ihr denn?“ Milo schüttelte leicht den Kopf.

„Wie soll sie es trinken, wenn sie schläft?“ Natürlich war die Antwort offensichtlich, sie musste geweckt werden. Fraglich war jedoch, ob das in ihrem Zustand noch möglich war. Er wurde das Gefühl nicht los, dass sie zu spät gekommen waren.

Lysil verdrehte die Augen, drückte ihm die heiße Schale in die Hand und trat dann wieder ans Bett ihrer Mutter. Nicht gerade zögerlich begann sie an deren Schulter zu rütteln, bis ein raues, kaum mehr hörbares Keuchen zu vernehmen war.

„Mutter, Mutter! Wir haben Kräuter. Bitte, du musst sie nehmen. Dann wird es dir besser gehen.“ Während Lysil immer weiter auf ihre Mutter, die nur langsam zu sich kam einredete, trat Milo mit der Schale an sie heran. Er hatte sich Mühe gegeben das stinkende Wasser abzukühlen, ehe er es der Frau reichte, die es tatsächlich geschafft hatte, sich mehr oder weniger aufzusetzen. Ihre trüben Augen machten aber deutlich, dass sie nicht mehr allzu viel von ihrer Umgebung wahrnahm. Nach und nach sorgte das Mädchen dafür, dass der Tee getrunken wurde, wobei Milo schweigend zuschaute.

Seine Gedanken schweiften wieder ab, seine Sorgen wurden immer schlimmer. Schließlich ließ er sich wieder zu Boden sinken, um seinen Fuß zu schonen. Wenn Fenin bis Sonnenuntergang nicht zurück war, würde er ihn suchen gehen. Ob es nun sinnvoll war oder nicht, das konnte er einfach nicht mit seinem Gewissen vereinbaren.

„Nun esst doch was.“ Lysil hatte die leere Schale auf dem Boden abgestellt und sich zu ihrer wieder liegenden Mutter aufs Bett gesellt. Anscheinend war sie erneut eingeschlafen. „Eurem Freund ist nicht damit geholfen, wenn Ihr hier hungert.“

Am liebsten hätte Milo etwas erwidert, er verbiss sich aber den Kommentar und hob die Birne wieder auf. Nervös ließ er sie durch seine Hände wandern, ohne auch nur daran zu denken, hineinzubeißen.

„Wisst Ihr, das ist die Bezahlung dafür, dass Ihr mir diese wertvollen Kräuter überlassen habt. Ich fühle mich wirklich schlecht, wenn Ihr sie nun nicht annehmt.“

„Sie wird nicht so schnell verderben.“ Auf seine Entgegnung verzog Lysil die Lippen, nahm sich dann selbst etwas aus dem Korb und biss hinein.
 

Der Abend brach mit einer geradezu quälend langsamen Geschwindigkeit herein. Bis zuletzt hoffte Milo, dass Fenin zurückkommen würde, während er sich gleichzeitig darauf vorbereitete, in den Wald zu humpeln. Er hatte sich längst wieder in seinen Schuh gequält und sich zum Waldrand, in den Fenin verschwunden war, begeben. Dort saß er als Lysil sich zu ihm gesellte.

„Mutter ist aufgewacht, sie hat mich wieder erkannt.“ Die Freude war ihr deutlich anzusehen, was auch Milo kurz lächeln ließ. Dass diese Kräuter derartig schnell anschlagen würden hatte er nicht erwartet. „Euer Freund wird zurückkommen“, versuchte sie ihn aufzumuntern, vergeblich. Sein Blick huschte zum Himmel, wo die Sonne gerade dabei war, hinter den Wipfeln der Bäume zu verschwinden. Während er sich einerseits darüber ärgerte, überhaupt so lange gewartet zu haben, hoffte er andererseits, dass dieser Kerl einfach hier auftauchen würde. Er war kaum in der Lage zu gehen, geschweige denn zu kämpfen. Es war nicht seine Art unter solchen Gegebenheiten für andere sein Leben aufs Spiel zu setzen. Lysil hatte Recht, Fenin war alt genug so etwa für sich selbst zu entscheiden. Und trotzdem machte er sich Vorwürfe. „Wollt Ihr wirklich bei Nacht in den Wald gehen?“

„Ich kann nicht ei-“ Er unterbrach sich selbst, als er etwas im Augenwinkel bemerkte. Augenblicklich lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. Gestern noch hatte er dieses Zeichen nur halbherzig beachtet und dafür beinahe mit seinem Leben bezahlt. Noch einmal würde er diesen Fehler nicht machen. Etwas zu schnell sprang Milo auf seine Beine, ignorierte den stechenden Schmerz und starrte in den Wald vor sich, den bunten Schmetterling missachtend. Noch nie hatte er das Insekt in so kurzem Zeitabstand gesehen, was ihn nervös werden ließ. Was sollte er tun? Wegrennen und die Bewohner der Ortschaft ihrem Schicksal überlassen? Versuchen zu kämpfen und zu hoffen, dass es kein weiterer Keiler oder Vergleichbares war?

„Lysil, lauf zu deiner Mutter“, forderte er das Mädchen auf, ohne zu ihr zu schauen.

„Was ist los? Habt Ihr was gehört?“ Natürlich blieb sie stehen und schaute ebenfalls in den Wald.

Milo seufzte genervt, schnappte sich das Mädchen und lief mit ihm zurück zu den Häusern, wobei er ihr Gestrampel ignorierend versuchte, seinen Knöchel nicht noch mehr zu belasten. Wenn es wirklich zu einem Kampf kam, dann konnte er kein Kind gebrauchen, das im Weg herumstand.

„Milo! Lasst mich runter! Ich... ich will nicht! Warum lauft Ihr weg! MI- Vater!“ Der plötzliche Ausruf klang in keinster Weise mehr verärgert und ließ den Mann augenblicklich innehalten. Irritiert drehte er sich um und erblickte eine Gestalt am Waldrand. Lysil nutzte die Gelegenheit, strampelte sich frei und rannte das kurze Stück wieder zurück. Milo fluchte leise und folgte ihr, auch wenn er nicht ansatzweise so schnell war wie sie.

Erst als er näher kam beruhigte sich sein unruhiger Herzschlag etwas und er wurde langsamer um seinen Fuß zu schonen. Es war Fenin der dort aufgetaucht war. Zusammen mit einem Körper, den er über der Schulter getragen hatte und nun vor Lysil auf dem Boden ablegte. Er konnte es nicht fassen, dass Fenin tatsächlich zurückgekommen war. Als er nah genug war, ließ er seinen Blick aufmerksam über den Mann schweifen. Er schien unversehrt. Er konnte es einfach nicht fassen. Fenin seinerseits musterte ihn genauso, wobei sein Blick an seinem verletzten Fuß hängen blieb. Nach der Aktion gerade wisch er bewusst einem direkten Blickkontakt aus. Der andere musste ihn für bescheuert halten, dass er in seinem Zustand so durch die Gegend rannte. Milo umklammerte seinen Stab noch immer, während er erneuten den Waldrand kontrollierte.

„Was ist passiert?“, fragte er schließlich, als er bei ihnen ankam.

Auf dem Boden lag ein Mann, der Lysil wie aus dem Gesicht geschnitten war. Mal abgesehen von dem Bart. Und den weißen, toten Augen.

Strelitzie


 

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Weiße Augen. Ein eindeutiger Indiz dafür, dass ihm die Seele genommen worden war. Ein kurzer, prüfender Blick bestätigte Milos Verdacht. Der Körper schien unversehrt. Hier und da hatten Insekten und kleine Säuger begonnen, den Leichnam zu verwerten, doch dafür dass er vermutlich schon seit über eine Woche im Wald lag, sah er noch gut erhalten aus. Milo räusperte sich gedanklich und schaute zu Lysil, die über ihren Vater gekniet bitterlich weinte. Am liebsten hätte er ihr einige tröstende Worte gespendet, doch gerade war anderes wichtiger.

„Ein Dämon?“, flüsterte er Fenin zu, wobei es eher eine Feststellung war. Er wusste nicht, wie viel der andere Mann davon verstand, aber vielleicht hatte er etwas im Wald bemerkt. Das würde auch den Schmetterling von gerade eben erklären. Dämonen waren meist stärker als Bestien. Aber nicht nur das machte sie gefährlicher, sondern auch die Tatsache, dass sie sich neben Fleisch und Blut auch von der Seele eines Menschen nähren konnten. Die wenige Male, die Milo einem Dämon gegenübergestanden hatte, waren jedes Mal nervenaufreibend gewesen.

„Ich habe niemanden gesehen“, versicherte Fenin ihm. Wenn doch wäre er wohl kaum wieder heile zurückgekommen.

„Wenn er noch in der Nähe ist, dann muss ich mich darum kümmern.“ Und da war er sich sicher. Fenin hatte keinen halben Tag für den Hin- und Rückweg benötigt, da konnte einem Dämon diese Ortschaft nicht entgangen sein. „Sonst wird noch weitaus schlimmeres passieren.“ Fenin warf ihm nur einen Blick zu, doch er verstand diesen. 'In deinem Zustand?' Milo schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht vor, nach ihm zu suchen. Früher oder später wird er hierher kommen. Ich muss sowieso meinen Fuß schonen.“

„Wie... wie konnte das passieren?“ Lysil wischte sich mit einer Hand die Tränen aus den Augen und schaute niedergeschlagen zu ihm auf. Mit der anderen Hand hielt sie den Arm ihres Vaters.

„Es gibt viele Monster da draußen. Es tut mir leid“, sprach er sein Mitgefühl aus. Gleichzeitig blieb er aufmerksam, da er damit rechnete, dass jeden Augenblick dieser Dämon aus dem Wald gesprungen kam. Erneut schossen dem Mädchen Tränen in die Augen.

„Ihr müsst... Ihr müsst meinen Vater rächen. Bitte.“ Diese harten Worte aus ihrem Mund zu hören, überraschte Milo etwas, ließ ihn aber schließlich nicken.

„Wenn es hierherkommt, dann werde ich es vernichten.“ Es mochte für ein Kind in ihrem Alter, das einen derartigen Verlust zu erleiden hatte, seltsam sein an etwas wie Rache zu denken. Doch Milo konnte sie nur zu gut verstehen.
 

Noch an diesem Abend wurde eine kurze Einäscherung gehalten. Milo nutzte die Gelegenheit, um sich in der Ortschaft umzuhören. Lysils Familie schien tatsächlich nicht sonderlich beliebt bei den Leuten zu sein und auch ihn musterten sie mit misstrauischen Blicken. Selbst die jungen Damen hielten sich dieses Mal von ihm fern. Da niemand direkt mit ihm sprechen wollte, gab Milo es schließlich auf und kehrte zu Lysils Haus zurück. Das Mädchen war schon bald nach dem entfachen des großen Feuers gegangen. Ihre Mutter lag sterbenskrank zu Hause, während ihr Vater gerade verbrannt wurde. Bei dem Gedanken schnürte es Milo die Kehle zu.

Als die Hütte in Sicht kam fand er Fenin wieder, der direkt nachdem er aus dem Wald gekommen war, verschwunden war. Er lehnte gegen die steinerne Wand und hatte die Augen geschlossen. Nachdem Milo nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war, drehte er seinen Kopf und schaute ihn an, was den Mann zum Stehen brachte. Es wirkte beinahe so, als hätte der andere auf ihn gewartet. Hatte er etwas vergessen?

„Ist was passiert?“, fragte er vorsichtig.

„Du solltest nicht herumlaufen.“ Die Worte brachten Milo kurz zum Lachen.

„Es ist nett, dass Ihr euch Sorgen macht. Aber ich bin schon groß.“ Noch während er sprach bemerkte er, dass die gleiche Aussage auch auf Fenin passte, der vorhin so lebensmüde in den Wald gestürzt war. Nur deswegen verkniff er sich nun einen Kommentar dazu. Fenins Blick verfinsterte sich kurz.

„Zieh deinen Schuh aus.“

„Bitte?“ Etwas überrumpelt stand Milo vor ihm und wusste nicht, ob der andere scherzte. Als Fenin sich von der Wand abstieß, hatte er Gewissheit. „Er ist schon abgeschwollen, wirklich. Macht Euch nicht so eine Mühe.“

„Willst du nicht gegen diesen Dämon kämpfen können, wenn er hier auftaucht? Ich möchte nur die Kräuter wechseln.“

„Das kann ich auch selbst“, merkte Milo leise an, gab aber nach. Nach diesem Tag waren die Schmerzen noch immer stark, auch wenn die Schwellung vielleicht ein wenig abgeklungen war. Gegen die betäubende Wirkung der Kräuter hatte er da nichts einzuwenden.

Milo ließ sich auf der kleinen Stufe vor der Hütte nieder, um sich nicht auf den nassen Boden setzen zu müssen. Natürlich hätten sie auch ins Innere gehen können, doch er wollte nicht mit so etwas stören. Vielleicht war es ihm auch ein klein wenig unangenehm. Nachdem er seinen Schuh ausgezogen hatte, drückte Fenin ihm den kleinen Beutel in die Hand, was ihn verdutzt aufschauen ließ. Ohne ein weiteres Wort machte er sich selbst daran, den Verband zu lösen. Dabei entgingen ihm nicht Fenins Blicke. Beim Entfernen der alten Kräuter erschrak Milo etwas. Sein Knöchel hatte sich grün verfärbt, was ihn zuerst denken ließ, dass er zu faulen begonnen hatte. Nach dem ersten Schreck wurde ihm aber klar, dass es von den Kräutern kam, die die eigentliche Farbe des Knöchels verbargen. Vielleicht war es auch ganz gut so.

Die Schwellung war noch immer vorhanden, genauso wie die Schmerzen, was den Mann innerlich seufzen ließ. So schnell würde er dann wohl doch nicht genesen. Noch bevor er die frischen Kräuter auflegen konnte, beugte sich Fenin etwas nach vorne.

„Es sieht tatsächlich schon besser aus. Die Kräuter scheinen zu wirken.“

„Das tun sie wirklich“, bestätigte Milo und warf ihm dann ein schiefes Lächeln zu. „Dafür dass Ihr so viele Kräuter mit euch tragt, scheint Ihr euch nicht wirklich damit auszukennen.“ Fenin senkte seinen Blick und Milo fragte sich kurz, ob er mit seinen Worten zu weit gegangen war.

„Sie gehörten ursprünglich nicht mir. Sie waren eine Art Geschenk, das ich schon lange bei mir trage.“ Milo nickte.

„Ich verstehe. Dann tut es mir leid, dass Ihr meinetwegen dieses Geschenk verbraucht.“ Das tat es ihm wirklich. Doch Fenin schüttelte schnell mit dem Kopf.

„Es ist gut so.“

Als Milo damit begann, die Kräuter auf seinen Knöchel aufzubringen zuckte er immer wieder zusammen und ließ einmal beinahe die Hälfte hinunterfallen. Irgendwann konnte sich Fenin das Schauspiel wohl nicht mehr länger mit anschauen.

„Darf ich?“ Wieder einmal ging er vor ihm in die Hocke. Ehe sich Milo versah, wurden ihm die Kräuter vorsichtig aus der Hand genommen und mindestens genauso vorsichtig auf seinem Knöchel verteilt. Erst wollte er protestieren, schließlich schloss er einfach seine Augen und ließ seinen Kopf nach hinten gegen die Tür sinken. Vermutlich war es am besten so. Spätestens bei dem Verband hätte er aufgeben müssen. Doch auch diesen legte Fenin ihm beinahe schmerzfrei an, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Nachdem er fertig war, musterte Milo den frischen Verband.

„Ich glaube Euch nicht, dass ihr davon keine Ahnung habt.“

„Das habe ich nie behauptet“, entgegnete Fenin, während er wieder aufstand. Milo warf ihm einen zweifelnden Blick zu, beließ es aber dabei. „Wie soll es weitergehen?“ Die Frage war durchaus angebracht, schließlich reiste Fenin mit ihm und war gewissermaßen auf ihn angewiesen, während er sein eigenes Ziel hatte. Milo kratzte sich am Kopf, als er sich wieder aufrecht hinsetzte.

„Ich hatte vor, erst einmal hier zu bleiben.“

„Um deinen Fuß auszukurieren.“ Milo nickte, dann verfinsterte sich sein Blick.

„Und um dieses Biest zu erledigen, wenn es hierher kommt.“ Für einige Augenblicke musterte Fenin ihn, als würde er auf eine bestimmte Reaktion von ihm warten. Da aber nichts von ihm kam, sprach Milo weiter. „Fenin, habt Ihr es eilig nach Trora zu kommen?“ Der Mann schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich hätte dich sowieso in Ruhe erholen lassen. Aber ein Dämon ist nichts, mit dem man sich so einfach anlegen sollte.“ Milo konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

„Ihr macht Euch Sorgen um mich?“ Er wollte sich nicht lustig über den anderen machen, er hatte einfach nicht damit gerechnet. „Natürlich, sonst würdet Ihr hier wieder festsitzen“, scherzte er. Um ehrlich zu sein konnte er nicht so recht damit umgehen, dass jemand so mit ihm sprach. Meist war Milo alleine unterwegs und niemand scherte sich darum, was er tat. Er wurde höchstens noch von seinen Auftraggebern angefeuert, sich in die Gefahr zu stürzen, obwohl sie nicht an ihn glaubten. Milo wischte diese Gedanken beiseite und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Fenin, der ihn schon wieder so seltsam musterte. „Was ist?“

„Ist es nicht normal, dass man sich Sorgen macht?“ Diese Frage brachte Milo noch mehr durcheinander, was ihn schließlich zum Lachen brachte. Dass er Fenin damit möglicherweise verletzte, wurde ihm im nächsten Augenblick klar, weswegen er wieder verstummte.

„Doch, natürlich. Aber wir kennen uns doch gar nicht.“ Auf Fenins verständnislosen Blick winkte der Mann ab. „Es ist nett, dass Ihr euch Sorgen um mich macht, aber -“

„Du“, unterbrach Fenin ihn tonlos. Irritiert schaute Milo ihn an, darauf wartend, dass er weitersprach.

„Ich?“, fragte er schließlich, nachdem es still blieb.

„Du kannst du sagen“, antwortete Fenin, wobei er seinem Blick auswich.

„Äh“, brachte Milo geistreich hervor. Natürlich hatte Fenin ihn schon die ganze Zeit über geduzt, doch er war auch eindeutig von einem höheren Stand, als er selbst. „Seid Ihr euch sicher?“, fragte er unnötigerweise nach. Er wollte einerseits nicht unhöflich sein, vor allem fühlte er sich mit der Distanz, die diese Höflichkeit mit sich brachte, auch einfach wohler in der Gegenwart anderer.

„Was spricht dagegen?“ Mit seiner ernsthaften Frage verhinderte er weitere Diskussionen mit Milo, der sich nun geschlagen gab.

„Fein. Dann also du.“ Obwohl er normalerweise keine Probleme damit hatte, andere so anzusprechen, fühlte es sich Fenin gegenüber seltsam an. Er räusperte sich kurz. „Auf jeden Fall wäre es nicht das erste Mal, dass ich einen Dämonen zur Strecke bring. Deswegen braucht Ihr... brauchst du dir keinen Sorgen zu machen.“ Es war beinahe so, als würde eine unsichtbare Schutzbarriere einreißen, die ihn bisher vor dem anderen geschützt hatte. Eigentlich hatte er sich in Fenins Gegenwart bis jetzt relativ wohl gefühlt, mit einem mal zweifelte er jedoch daran, ob er dem Mann wirklich trauen konnte. Dieser schaute ihn gerade wieder mit diesem forschenden Blick an. Innerlich schüttelte Milo seinen Kopf, während er über seine eigenen Gedanken lachte.

Gladiole


 

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Lysil hatte ihnen netterweise angeboten, in ihrem Haus zu wohnen. Milo vermutete zwar, dass sie dies neben ihrer Dankbarkeit in erster Linie deswegen tat, damit Fenin sich weiterhin um ihre Mutter kümmern konnte, die das Ärgste tatsächlich hinter sich zu haben schien. Doch Milo konnte das nur Recht sein. In dem kleinen Haus mochte es zwar keine richtigen Schlaflager für sie geben, doch zumindest war es trocken, was bei dem Regen der letzten Tage ein wahrer Segen war. Während Milo sich langsam erholte, war Fenin die meiste Zeit des Tages draußen. Er wusste nicht, was der Mann machte. Da er es ihm auf seine Nachfrage auch nicht verraten hatte, konnte Milo nur spekulieren, dass er nach neuen Kräutern suchte, um sie weiter zu behandeln. Der Gedanke, dass Fenin sich regelmäßig in den Wald begab, ließ Milo unruhig werden, doch er konnte den Mann nicht davon abhalten.

Das Mädchen hingegen verbrachte die Tage damit, Lebensmittel zu besorgen, wobei er ihr nur zu gerne geholfen hätte. Fenin hatte ihm jedoch jegliche Bewegung untersagt und Lysil erlaubte es ihm seitdem nicht, mit ihr zu gehen. So kam es, dass er den Großteil des Tages alleine in dem dunklen Haus verbrachte, so dass ihm nur die Wahl zwischen raus in den Regen schauen, die schlafende Frau beobachten, oder selbst schlafen blieb. Manchmal wachte die Frau auch auf, fragte dann aber nur nach Wasser oder ihrer Tochter. Wirklich unterhalten konnte Milo sich nicht mit ihr.

Nach drei Tagen hielt er es nicht mehr aus. Die Schmerzen in seinem Fuß waren abgeklungen, die Schwellung kaum mehr vorhanden. Nur noch ein blau-violetter Schimmer, der durch die grüne Färbung der Kräuter zu sehen war, zeugte von der Verletzung. Am Morgen hatte er Fenin davon überzeugen wollen, dass es ihm wieder besser ging, dass er nicht mehr den ganzen Tag in der Hütte bleiben musste, doch das hatte ihn nicht wirklich interessiert. Natürlich machte Milo sich nicht viel aus Fenins Entscheidungen, schließlich war er weder seine Mutter, noch war er selbst ein kleines Kind, auf das man aufpassen musste. Er wartete, bis sich die morgendlichen Nebel verzogen hatten, schnappte sich dann seinen Stab und verließ das beengende Gebäude. Er wollte einfach nur etwas laufen und sich in der Ortschaft umschauen.

Tatsächlich verwunderte es Milo, dass es bis jetzt keinen Vorfall gegeben hatte. Wenn es sich bei dem Angriff auf Lysils Vater tatsächlich um einen Dämon gehandelt hatte, dann hatte er sich nicht nur in der Nähe des Dorfes befunden, sondern hätte sich auch längst schon an dessen Bewohnern bedienen müssen. Stattdessen sah es hier genauso friedlich aus, wie an dem Tag, an dem sie hier angekommen waren. Für einen Moment fragte er sich, ob es noch andere Wesen gab, die ebenfalls Seelen verschlangen. Milo ließ den Gedanken fallen, als er Lysil erblickte. Sie stand bei einer Gruppe von Frauen, als sie plötzlich von einer geschubst wurde und auf den schlammigen Boden fiel. Sofort eilte er zu ihr.

„Genauso verhurt wie ihre Mutter.“

„Wie kommst du dreckiges Gör dazu, uns nah zu kommen?“ Die Frau spuckte verächtlich und die anderen stimmten ihr zu, als Milo neben Lysil trat. Sein Blick war finster, während er seinen Stab vor sich hob.

„Was fällt euch ein, so auf einem wehrlosen Kind herumzuhacken?“ Nicht gerade seine Art an ein derartiges Problem heranzugehen, doch das Bild, das sich ihm bot, ging ihm einfach zu sehr an die Substanz, so dass er sich nicht mehr halten konnte.

„Ihr lebt noch? Die Hexe hat Euch also doch noch nicht gefressen.“

„Sie muss ja wirklich gut sein, dass er sich so lange bei ihnen aufhält.“ Die Frauen lachten abfällig. Milo hatte gewusst, dass Lysil und ihre Eltern nicht gut in der Ortschaft dastanden. Fenin und er hatten mit ihrer Anwesenheit möglicherweise alles nur noch schlimmer gemacht. Der griff um seinen Stab verfestigte sich, ließ das Holz leise ächzen, als er auf einmal etwas an seinem Arm spürte. Lysil hatte nach ihm gegriffen.

„Vergesst es. Lasst uns gehen.“ Er hörte ihre Worte, trotzdem wollte er diese Frauen nicht einfach so damit davonkommen lassen. Gerade als er sich ihnen wieder zuwenden wollte, sah er etwas, was er in letzter Zeit eindeutig zu oft gesehen hatte und was diese Auseinandersetzung zu einer Nebensächlichkeit werden ließ. Er starrte den Schmetterling an, der in dem Regen gar nicht fliegen dürfte und begann dann mit unruhigen Blicken den Waldrand abzusuchen.

„Lysil, geh schnell ins Haus“, forderte er das Mädchen auf, ohne es anzuschauen.

„Was habt Ihr vor?“ Natürlich hörte sie nicht auf ihn, doch darum konnte sich Milo nun nicht kümmern. Im Vergleich zum letzten Mal war es dieses Mal nicht Fenin, der im nächsten Augenblick zwischen den Bäumen hervorgestürzt kam.

Die Frauen vor ihnen, die Milo keineswegs ernst zu nehmen schienen, schrien bei der gekrümmten Gestalt auf, womit sie deren Aufmerksamkeit auf sich zogen. Während sie herangestürmt kam, konnte Milo die Gestalt eines Ziegenbockes mit menschlichem Gang ausmachen. Es war ein Dämon.

„Lysil, lauf!“ Er konnte nur hoffen, dass sie dieses Mal hörte, während er selbst seinen Stab hochriss.

Er wusste nicht, warum er sich gerade jetzt zeigte und zu einem Angriff entschieden hatte, aber Milo entging keineswegs das leichte Humpeln des Dämons. Nichts desto trotz hatte er die kleine Gruppe nach nur wenigen Sekunden erreicht. Die Frauen stoben auseinander, trotzdem wurde eine zu Boden gerissen. Bevor der Dämon schlimmeres tun konnte, war Milo bei ihm und zielte mit seinem Stab auf die haarigen Beine. Ihm war klar, dass er hier keine einfache Bestie vor sich hatte. Selbst wenn sein Gegner wirklich verletzt sein sollte, hatte er es trotz allem mit einem Dämon zu tun. Ein Wesen, das durchaus in der Lage war sein Hirn einzusetzen. Er musste jede Chance nutzen, die sich ihm bot. Ein Schrei, der Milo einen Schauer über den Rücken jagte, ertönte und das Monster geriet kurz ins Straucheln, wobei es tatsächlich von der Frau abließ. Er stürzte sich sofort auf sein neues Opfer.

Mit einer schnellen Drehung wich Milo den harten Klauen, die eine Hand formten, aus. War er sich eben noch sicher gewesen, dass sein Fuß wieder voll einsatzfähig war, ächzte dieser unter der plötzlichen Belastung auf. Milo biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich darauf, weiterhin auszuweichen. Er beobachtete die Bewegungen des Dämons genau, versuchte eine Schwachstelle zu finden. Vermutlich war es sein Glück, dass er tatsächlich eine Verletzung an seinem Bein zu haben schien. Was immer diese verursacht hatte, sie sorgte dafür, dass das Ziegenwesen in seinen Bewegungen eingeschränkt war.

„Milo! Macht ihn fertig!“ Die Zurufe, die aus etwas Entfernung von Lysil kamen, drangen kaum in Milos Bewusstsein. Er konnte sich keine Ablenkung erlauben.

Nachdem er genug mit seinem Gegner gespielt hatte, sprang er zurück und stieß seinen Stab nach vorne. Wie erwartet folgte der mittlerweile rasende Dämon ihm, stürzte sich geradezu auf ihn, als wolle er den Mann mit seinem gesamten Gewicht zu Fall bringen. Milo riss seinen Stab zur Seite, wobei er die Beine des Dämons traf. Er spürte die Energie, die in diesem Augenblick durch das Holz strömte mindestens genauso stark wie sein Gegner, der durch eben diese den Boden unter den Füßen verlor. Mit einem dumpfen Laut landete er auf dem matschigen Grund.

Milos eigentlicher Plan war es gewesen, seinem Gegner sofort nachzusetzen, ihm seinen Stab in den Leib zu rammen. Etwas hielt ihn davon ab und rettete ihm damit vermutlich das Leben. Der Dämon war nicht ansatzweise so außer Gefecht, wie er es angenommen hatte. Er drehte schnell seinen Kopf und damit auch die spitzen Hörner, die Milo mit Leichtigkeit Verletzungen zugefügt hätten. Die glühenden Augen fixierten ihn sofort, während die schmutzigen Arme nach dem Mann griffen. Sicherheitshalber wich Milo noch einen Schritt zurück. Einerseits war er froh, dass er diesen Fehler nicht begonnen hatte, andererseits bedeutete es aber auch, dass der Kampf weitergehen würde. Er hatte den anderen unterschätzt und konnte nicht einschätzen, wie ausdauernd dieser trotz seiner Wunde war, während ihm selbst langsam die Puste ausging.

Ein anderer Plan musste her, doch dafür müsste er den Dämon, der sich gerade wieder aufrichtete, noch länger auf Abstand halten. Nicht gerade die beste Idee, wäre er dann schließlich auf seine Ausdauer angewiesen. Auch seinem Knöchel zu liebe würde er diese Angelegenheit lieber schnell hinter sich bringen. Also war kämpfen angesagt. Am besten würde er sich weiterhin auf das verletzte Bein des Monsters konzentrieren. War nur zu hoffen, dass es tatsächlich eine Verletzung und nicht einfach nur ein ungesunder Gang, verursacht durch die krummen Beine war. Und genau das tat er dann auch.

Natürlich konnte er bei einem solchen Gegner nicht einfach so mit seiner Strategie fortfahren. Schnell hatte der Dämon begriffen, was er vorhatte und ging dazu über, mit seinen langen Hörnern nach Milo zu schlagen. Dadurch bot sich dem Mann keine Gelegenheit mehr, die Beine seines Feindes zu erreichen, ohne sich selbst in den Angriffsradius des anderen zu begeben. Das hielt Milo jedoch nicht auf, stattdessen zielte er einfach auf den Kopf. Er wusste, dass sein Stab der Wucht dieser Hörner standhalten würde. Im richtigen Augenblick konterte er einen Schlag, drehte dann das gewundene Ende seiner Waffe, so dass es sich um den Nacken des Dämons legte. Mit einem kurzen Ruck stürzte das Monster mit dem Gesicht voran erneut zu Boden. Dieses Mal zögerte Milo nicht. Er zerrte seinen Gegner ein Stück zu sich, drehte dann den Stab und rammte das spitze Ende in den Rücken des Dämons. Genau da, wo sich dessen Herz befand. Die magische Kraft seiner Waffe tat ihr Übriges.

Milo konnte sich nicht einmal von dem Kampf erholen, als laute Rufe zu hören waren.

„Ihr habt es geschafft! Milo, Ihr habt ihn besiegt!“ Nur wenige Sekunden später war das Mädchen, das aus sicherer Entfernung alles beobachtet an seiner Seite und versuchte ihn zu stützen, als er zu taumeln begann. „Ihr habt die Bestie besiegt, die meinen Vater getötet hat! Ich bin Euch zu großem Dank verpflichtet.“ Mit einem Mal war ihre Stimme leiser geworden, während sie ihn mit feuchten Augen anschaute. „Ich weiß nicht, wie ich das wieder gutmachen kann.“

„Du hast mich doch schon bezahlt“, erinnerte er das Mädchen. So oder so würde er nichts von ihr verlangen. Lysil hingegen schaute ihn zweifelnd an.

„Das war einen solchen Kampf nicht wert. Außerdem war es dafür, dass Ihr meinen Vater sucht...“ Milo schüttelte den Kopf.

„Ich musste doch auch seine Seele zurückholen.“ Nicht dass der Tod dieses Dämons irgendetwas daran ändern würde, doch das konnte das Mädchen ja nicht wissen. „Außerdem will ich nichts von jemanden verlangen, der durch so etwas jemand wichtigen verloren hat.“ Das war nicht die ganze Wahrheit. In Wirklichkeit wollte er von keinem Kind einen Preis verlangen, das durch ein Monster seine Eltern verloren hatte.

„Na gut. Dann lasst mich Euch zumindest ein leckeres Abendmahl zubereiten.“ Dagegen konnte Milo nichts einwenden.

Die Bewohner des Dorfes hatten schnell den Leichnam des Dämons verbrannt, aus Angst, dass er doch wieder auferstehen würde. Auch wenn Milo bemerkte, dass sie sich mit einem Mal anders verhielten, so kam doch keiner von ihnen herüber, um in irgendeiner Weiße ihren Dank auszusprechen. Zumindest aber schien eine Art Waffenruhe eingekehrt zu sein. Nicht dass es den Mann wirklich interessierte, viel eher dachte er dabei an Lysil, die schließlich auch noch weiterhin hier leben musste. Hoffentlich würde es ihr in Zukunft leichter fallen, war sie schließlich diejenige gewesen, die dem Fremden der den Dämon getötet hatte Unterkunft geboten hatte.

Als sich der Tag dem Ende neigte, tauchte auch endlich Fenin wieder am Waldrand auf. Je später es geworden war, desto größere Sorgen hatte sich Milo gemacht, dass dem Mann dieses Mal etwas zugestoßen war. Doch er sah aus aus wie immer.

Als Milo ihm freudestrahlend zuwinkte, verlangsamte der Mann seinen Schritt und blieb schließlich vor ihm stehen. Sein Blick blieb kurz an Milos Fuß hängen und wanderte dann zu dessen Gesicht.

„Was ist los?“

„Wir können morgen weiterreisen, der Dämon ist besiegt.“ Fenin musterte ihn kurz, als würde er überprüfen wollen, ob Milo die Wahrheit sprach. Doch das große Feuer, das noch immer glühte, sprach für sich.

„Du bist wirklich ein guter Kämpfer.“ Milo war sich nicht sicher, ob seine Worte ernst gemeint waren, doch in seinem Blick war nicht die geringste Spur von Spott zu sehen.

„Danke“, entgegnete Milo gutgelaunt.

Sonnenblume


 

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Tatsächlich brachen sie am nächsten Tag auf und ließen die kleine Ortschaft hinter sich. Lysil hatte zwar gebeten, dass sie noch länger blieben, doch letztendlich hatte sie sie nicht halten können. Dafür hatte sie ihnen ein Bündel voller Lebensmittel für die Reise mitgegeben, während Fenin ihr viele verschiedene Kräuter, die er im Wald gefunden hatte, überlassen hatte. Lysil kannte sich damit aus, so dass es ihrer Mutter sicher schon bald besser gehen würde.

Sie hatten sich im dichten Nebel auf den Weg gemacht und schwiegen sich die erste Zeit an. Milo hing seinen Gedanken nach, während Fenin ihm mit ein paar Schritten Abstand folgte. Erst als sich der Nebel zwischen den Bäumen lichtete und die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg durch das dichte Blätterdach zu suchen begannen, schloss Fenin auf einmal zu ihm auf.

„Wie geht es deinem Knöchel?“ Diese Frage kam nicht nur unerwartet, sondern auch etwas spät, wie Milo fand. Schließlich hatte er gestern auch nicht nachgefragt. Vermutlich machte sich der Mann einfach Sorgen, nachdem sie nun schon eine Weile unterwegs waren. Milo lächelte ihn leicht an.

„Bestens. Ich habe doch schon gesagt, dass wieder alles gut ist.“ Die Schwellung war so gut wie verschwunden und der Schmerz beim Auftreten so gering, dass er ihn längst nicht mehr wahrnahm. Er hatte den Kampf gestern überstanden, da konnte ihm so ein gemütlicher Spaziergang auch nichts mehr anhaben. „Deine Fürsorge ist wirklich löblich, aber ich kann schon auf mich selbst aufpassen.“ Damit wollte er Fenin nicht vor den Kopf stoßen, es war ihm einfach unbehaglich, dass ihn jemand so behandelte. Zumal es jemand wie Fenin war, den er, obwohl er ihn nun schon ein paar Tage kannte, noch immer nicht so recht einschätzen konnte. Milo war klar, dass der Mann ihm nichts böses wollte, trotzdem war da dieses Unbehagen, das er nun, als sie wieder alleine unterwegs waren, umso deutlicher spürte.

„Ist es nicht verständlich, dass ich um dein Wohlergehen besorgt bin?“ Auf Fenins Frage starrte Milo den Mann für einige Augenblicke verständnislos an. Erst als der andere fragend die Stirn runzelte, verstand Milo. Er fühlte sich wie ein Vollidiot, dass er es nicht sofort verstanden hatte.

„Ich werde dich schon nicht hängen lassen.“ Fenin war gewissermaßen auf ihn angewiesen. Auch wenn er nach den letzten Tagen nicht mehr hundertprozentig sagen konnte, ob der Mann wirklich die Hilfe eines anderen brauchte, um sein Ziel zu erreichen. „Ich bin schon so lange alleine unterwegs und habe bis jetzt überlebt. Ich habe nicht vor, dass sich so schnell etwas daran ändert.“

Während ihres Gespräches war er langsamer geworden, so dass sie nun beinahe nebeneinander den schmalen Pfad entlanggingen. Milo hatte seinen Blick nach vorne gerichtet, doch er konnte den Blick des anderen nur zu gut auf sich spüren.

„Wie lange reist du schon alleine?“ Natürlich musste Fenin diese Frage stellen. Erneut ärgerte sich Milo über sich selbst. Er hätte nichts in diese Richtung sagen dürfen. Innerlich seufzte er, antwortete dann aber doch auf die Frage.

„Seit etwa sechs Jahren. Und du?“ Mit seiner Frage versuchte er das Thema abzulenken, auch wenn es ihn nicht wirklich interessierte. Nicht dass ihm Fenins Hintergrund egal war, er glaubte einfach nicht, dass dieser Mann standardmäßig alleine unterwegs war. Oder generell viel reiste.

„Ich bin mal hier, mal da. Man kann es nicht wirklich reisen nennen. Aber ich bin auch schon etwas älter. Du hingegen siehst noch recht jung aus.“ Milo konnte nicht einschätzen, wie alt er auf andere wirkte, oder ob Fenin im Vergleich zu ihm älter aussah. Unter normalen Umständen hätte er sich vielleicht gefragt, wie alt der andere sein konnte, in dessen Gesicht er nicht wirklich lesen konnte. Anfangs hatte er gedacht, dass sie in einem ähnlichen Alter sein mussten, doch in den vergangenen Tagen hatte er ihn immer mal wieder gemustert und kam jedes Mal auf ein anderes Ergebnis. Seine Gesichtszüge waren fein und jugendlich, während seine Augen eine gewisse Erfahrung und Weisheit widerspiegelten. Vermutlich könnte er zwischen achtzehn und Mitte dreißig sein und keine dieser Zahlen würde Milo sonderlich überraschen. Doch es waren keine normalen Umstände, denn Fenin hatte gerade unbewusst und vermutlich auch ungewollt einen wunden Punkt getroffen.

„Wenn man zum einfachen Volk gehört, dann beginnt der Ernst des Lebens bereits im jungen Alter“, entgegnete er etwas zu herb, während er seinen Blick starr nach vorne gerichtet hatte. Wenn Fenin wirklich einer reicheren Gesellschaftsschicht angehörte, dann war ihm dieser Fakt möglicherweise nicht bewusst.

„Dieser Stab scheint nicht so, als würde er jemandem vom einfachen Volk gehören. Wie kommst du an eine solche Waffe?“

„Geht dich nichts an“, platzte Milo der Kragen. Er blieb stehen, ballte die Fäuste und versuchte seine Gedanken etwas zu sortieren. Ihm war klar, dass dieser kleine Ausbruch nach außen hin vollkommen irrational wirken musste. Vermutlich war er das auch. „Tut mir leid“, entschuldigte er sich nach einigen Sekunden der Stille, in denen Fenin einfach nur neben ihm gestanden hatte. „Ich will nicht darüber sprechen.“ Als er aufschaute bemerkte er erst, dass der andere ihn mit einem seltsamen Blick beobachtete. Er glaubte einen Hauch von Mitleid darin zu erkennen, weswegen er sich wieder in Bewegung setzte, scheinbar vor diesem Gespräch floh.
 

In den nächsten Tagen und Wochen reisten sie ohne weitere Zwischenfälle durch die Wälder. Fenin hatte ihn kein einziges Mal auf seinen Ausraster angesprochen, wofür Milo ihm sehr dankbar war. Sie kamen immer wieder durch kleine Ortschaften. Hier und da gab es sogar Aufträge, die Milo wie immer gerne annahm. Fenin sagte nie etwas gegen diese Unterbrechungen, stattdessen fragte er irgendwann sogar, ob er nicht einmal mitkommen und ihm helfen könnte. Zwar hatte Milo es meist nur mit schwachen Bestien zu tun, trotzdem konnte er den anderen unmöglich einer solchen Gefahr aussetzen. Stattdessen hatte Fenin begonnen, ihn auf eine andere Art und Weise zu unterstützen. Er sammelte unterwegs oft Kräuter und Pflanzen, mit denen er später Milos Wunden, die bei den Kämpfen immer mal wieder entstanden, jedoch nicht gefährlich waren, behandelte oder ihm einfach als zusätzliche Stärkung zum Essen zubereitete. Dafür dass der Mann anfangs behauptet hatte, dass er sich damit nicht wirklich auskannte, schien aber genau das der Fall zu sein. Allerdings machte sich Milo nicht die Mühe, noch einmal nachzufragen. Er war sich sicher, dass er keine andere Antwort bekommen würde, als beim letzten Mal. Er nahm es so hin, schließlich wollte er genauso wenig über seinen Hirtenstab sprechen.

In den Ortschaften fragten sie immer wieder nach der Stadt Trora. Milo war sich nicht sicher, ob sie wirklich in die richtige Richtung gingen, auch wenn Fenin dies nicht nur einmal versichert hatte. Außerdem interessierte es ihn, wie lange sie bis dahin noch unterwegs sein würden. Die Tatsache, dass bisher niemand wirklich von dieser Stadt gehört hatte sorgte jedoch für Gewissheit, dass es noch ein weiter Weg war. Dörfer, die im Radius einer großen Stadt lebten, betrieben üblicherweise Handel mit dieser und kannten sie dementsprechend auch. Allerdings schien er der einzige zu sein, der sich darüber den Kopf zerbrach. Fenin wirkte überaus entspannt. Während ihrer Reise hatte er sich ihm gegenüber stetig weiter geöffnet und Milo erwischte sich immer wieder dabei, wie er über den anderen als ein Freund dachte. Er konnte es nicht abstreiten, dass er den Mann mochte. Seine gelassene Art, seine ruhige Ausstrahlung. Jedoch war ihm klar, dass sich ihre Wege wieder trennen würde, weswegen er sich nicht zu sehr auf den anderen einlassen wollte. Er war die vergangenen Jahre immer alleine gewesen, doch er war zurecht gekommen.

Genervt kickte Milo einen kleinen Stein weg, der seinen Weg kreuzte. Mit einem leisen Platschen versank er in dem See, an dem sie gerade vorbeigingen. Die Nachmittagssonne ließ die ruhige Wasseroberfläche glitzern. Milo blieb stehen und genoss die spätherbstlichen Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Die letzten Tage hatten sie wirklich Glück mit dem Wetter gehabt. Sie mussten keine steilen Hänge besteigen und Monster waren ihnen auch schon lange keine mehr über den Weg gelaufen. Trotzdem konnte Milo einfach nicht die Tage genießen. Ihm war klar, dass seine unnötigen Gedanken bezüglich Fenin nicht sonderlich viel damit zu tun hatten. Etwas ganz anderes machte ihn unruhig. Alle paar Tage sah er einen Schmetterling. Genau diese Art von Schmetterling, die ihn bisher fast immer vor drohender Gefahr gewarnt hatte. Die sich in der Vergangenheit extrem rar gemacht hatte. Über die letzten Wochen hatte er mindestens so viele davon gesehen, wie davor in seinem gesamten Leben. Und diese Tatsache genügte, um ihn unruhig werden zu lassen. Insbesondere, da seit Lysils Dorf nichts mehr bei ihrem Erscheinen geschehen war. Das einzige Lebewesen, dass ihn jedes Mal umgab war Fenin. Wenn es aber wirklich an dem Mann läge, dann müsste ihm ständig dieses Insekt folgen. Mittlerweile begann Milo zu glauben, dass dieser Schmetterling einfach üblich in dieser Gegend war und es in der Vergangenheit stets Zufall gewesen war, wenn ihm anschließend etwas schlimmes passiert war.

Mit einer Mischung aus Verzweiflung und Wut schaute er den violett-türkisen Schmetterling über dem See an.

„Was ist los?“ Fenin war neben ihm stehen geblieben und ließ seinen Blick ebenfalls über die Wasseroberfläche schweifen.

„Hast du so einen Schmetterling schon einmal gesehen?“ Vielleicht war es wirklich nur ein normales Insekt und Milo hatte sich all diese Jahre nur etwas eingebildet.

Fenins Blick suchte einen Augenblick die Luft ab, ehe er das farbenfrohe Insekt entdeckte. Er schien nicht lange überlegen zu müssen, ehe er nickte.

„Sie sind schön. Sie fallen einem sofort ins Auge, nicht wahr?“

„Ja“, stimmte Milo ihm knapp zu und fühlte sich mit einem Schlag wie ein Trottel. Vermutlich hatte er sich wirklich etwas eingebildet aufgrund der zahlreichen Zufälle. „Es ist nicht gerade die Zeit für Schmetterlinge, oder?“ Er verlor ihn aus den Augen und richtete seinen Blick stattdessen auf Fenin, der ihn bereits anschaute.

„Wer legt das fest? Ich habe schon welche zu allen Jahreszeiten gesehen.“ Milo bezweifelte diese Aussage, auch wenn der andere sehr überzeugt klang. „Sie sorgen immer für ein schönes Gefühl.“

Ein schönes Gefühl? wiederholte er die Worte in Gedanken. Ein schönes Gefühl war das Letzte, was Milo beim Anblick dieser Tiere empfand. Üblicherweise wurde er nervös, aufmerksam, unruhig. Auch wenn dies mittlerweile abgenommen hatte, war die letzten Male schließlich nichts mehr geschehen.

„Du wirkst heute sehr nachdenklich“, merkte Fenin nach einem Moment der Stille an und holte den Mann damit endlich in die Gegenwart zurück. „Sorgt dich etwas?“

„Wie haben Trora noch immer nicht gefunden.“ Das mochte nur ein kleiner Teil der Ursache seiner Nachdenklichkeit sein, doch alles andere wollte er Fenin nicht anvertrauen.

„Ich habe es nicht eilig“, versicherte ihm der Mann zum wiederholten Mal. Milo warf ihm nur einen zweifelnden Blick zu, was ihn scheinbar etwas zurückrudern ließ. „Ich... bin dir doch keine Last? Ich kann verstehen, dass ich dich aufhalte. Wenn es das ist was dich stört, dann können wir in der nächsten Ortschaft getrennter Wege gehen.“

„Nein, nein! So hab ich das nicht gemeint.“ Milos überraschte Antwort kam für seinen Geschmack etwas zu schnell aus seinem Mund. Doch er fühlte sich sofort schuldig, dass der andere so von ihm dachte. Gleichzeitig wurde ihm durch seine eigenen Worte aber auch bewusst, dass er sich mittlerweile leider wirklich zu sehr an die Gesellschaft gewöhnt hatte und diese nicht all zu schnell wieder missen wollte. Ein leichtes, seltenes Lächeln legte sich auf Fenins Lippen.

„Ich reise gerne mit dir. Mich stört es nicht, wenn wir Trora nicht allzu schnell erreichen.“

Margerite


 

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Der frühe Winter kündigte sich an. Die ersten kalten Winde zogen über das Land. Sie hatten die dichten, unendlich wirkenden Wälder hinter sich gelassen und eine felsige Berglandschaft betreten. Nicht unbedingt der beste Ort, an dem man sich im Winter aufhalten konnte. Doch auch in dem Gebirge gab es Ortschaften, auch wenn diese weiter gestreut waren. Sie hatten sich beide für diesen Weg entschieden. Nachdem Fenin ihm damals am See versichert hatte, dass er gerne mit ihm unterwegs war, hatte sich Milo tatsächlich etwas auf ihn einlassen können. Mittlerweile war der Mann mehr als nur ein Reisender, den er an sein Ziel eskortieren wollte. Sie hatten sich angefreundet. Milo hatte sich viel zu schnell an die angenehme Gesellschaft gewöhnt. Umso ungewohnter fühlte es sich nun an, dass er alleine unterwegs war. Gestern Abend hatten sie ein Farmhaus erreicht, dessen Bewohner hier oben Schafe hüteten. Sie hatten ihnen Unterschlupf gewährt, wenn sich Milo im Gegenzug dafür um ihr Problem kümmerte. Eine Bestie in Form eines Bären, die die Gegend unsicher machen sollte. Fenin hatte ihn seit langem mal wieder gebeten, mitkommen zu dürfen und Milo hatte sich nur mit Mühe dagegen entschieden. Sie wussten beide, dass es so am besten war. Er konnte zwar verstehen, dass Fenin sich sorgte, doch ihm würde es nicht anders gehen, wenn der Mann wirklich mitkäme. Er hatte nicht einmal eine Waffe, um sich im Fall der Fälle verteidigen zu können.

Nachdem Milo einige Stunden durch die karge Landschaft gestolpert war, machte er sich wieder auf den Rückweg. Hier gab es so viele Gesteinsbrocken, Felsspalten und Unebenheiten, dass es schwierig war, nach etwas zu suchen. Die Bestie könnte in entgegengesetzter Richtung ihr Unwesen treiben, oder jeden Augenblick hinter einem Felsen hervorspringen. Milo gab sich alle Mühe, aufmerksam seine Umgebung abzusuchen, trotzdem hätte es ihn gewundert, wenn er den Bären sogleich gefunden hätte. Diese Landschaft war nicht nur unübersichtlich, auch hinterließ man kaum Spuren, was es dem Mann umso schwieriger machte, eine Fährte aufzunehmen. Zur späten Nachmittagsstunde kam er auf die Farm zurück. Der Weg war anstrengend gewesen. Gleichzeitig fühlte er sich schlecht, dass er die Bestie nicht erledigt hatte. Am einfachsten wäre es natürlich, wenn er warten würde, bis sie hierher kam. Doch er wollte weder die Menschen hier, noch das Vieh in Gefahr bringen.

Noch bevor er das steinerne Haus erreichte, trat ihm eine schlanke Gestalt in den Weg. Fenin hatte sein edles, rotes Gewand geschlossen, um sich vor den kühlen Temperaturen zu schützen. Sein langes, zum Zopf gebundenes Haar wehte im Wind und fing für einen kurzen Moment Milos Blick ein, ehe er sich auf die hellen Augen des Mannes richtete.

„Was machst du hier draußen?“, begrüßte er den anderen. Es verwunderte ihn nicht einmal, dass Fenin alleine hier draußen war. Es war ihm in den Ortschaften, durch die sie gereist waren, nicht entgangen, dass der Mann sich schwer mit anderen Menschen tat. Er war nicht nur nicht sonderlich gesprächig, sondern wirkte von außen betrachtet auch noch ziemlich herablassend. Das komplette Gegenteil zu dem, wie er sich Milo gegenüber gab.

„Soll ich lieber im Stall sitzen? Ich habe auf dich gewartet.“ Milo lächelte ihn ob dieser Worte schief an.

„Ist hier was passiert? Ich konnte ihn leider nicht finden.“ Auf seine Frage schüttelte Fenin den Kopf, was Milo etwas beruhigte. Die Hirten konnten gegen diese Bestie genauso wenig ausrichten, wie Fenin. „Ich werde morgen noch einmal losgehen.“

„Bist du dir sicher? Ein normaler Bär ist schon unglaublich stark. Eine Bestie in Gestalt eines Bären dürfte um ein Vielfaches gefährlicher sein, als ein Keiler.“ Milo verstand die Anspielung sofort und hätte sich beinahe gekränkt gefühlt, da Fenin sein Können anzweifelte. Stattdessen schüttelte er den Kopf.

„Damals wurde ich überrascht und war verletzt, das ist kein Vergleich.“ Dass er in dieser felsigen Region genauso gut überrascht werden konnte, ignorierte Milo.

„Warum willst du es darauf ankommen lassen und dein Leben riskieren?“

„Was soll ich machen? Die Leute hier ihrem Schicksal überlassen?“ Es war das erste Mal, dass Fenin sein Handeln hinterfragte. Doch das war es nicht einmal, was Milo störte. Vielmehr war es sein abwertender Tonfall. Genauso wie der Blick, den er ihm nun schenkte. Auch wenn seine Lippen geschlossen blieben, machte er doch deutlich, dass ihn das Leben dieser Menschen nichts anging. Milo dachte einen Moment darüber nach, ihn darauf anzusprechen, doch er hatte keine Lust auf eine unnötige Diskussion.

„Tut mir leid, aber das ist nun mal der Weg, den ich für mich gewählt habe.“

„Was hast du davon, dein Leben wegen so etwas aufs Spiel zu setzen?“ Fenin klang ruhig, auch wenn seine Augen etwas anderes sagten.

„Ich habe gute Gründe dafür.“ Und damit war das Thema für Milo erledigt. Das war nichts, worüber er sich mit dem anderen unterhalten wollte. Schon gar nicht unter solchen Umständen. Während sich Milo darüber ärgerte, dass andere Menschenleben Fenin scheinbar nicht allzu viel bedeuteten, ging er an diesem vorbei. Er wollte sich etwas ausruhen und essen, nachdem er fast den ganzen Tag durch das Gebirge geirrt war.

Fenin war ihm auf den Schritt gefolgt, auch wenn er nichts mehr gesagt hatte. Diese Seite hatte er an dem anderen stets geschätzt und selbst jetzt war er ihm dankbar dafür, dass er nicht weiter nachbohrte. Es war das erste Mal, dass sie sich auf diese Art und Weise stritten, dennoch störte er sich nicht an der Anwesenheit des anderen. Ganz im Gegenteil begann er nach wenigen Minuten, in denen er sich in dem Teil des Stalls, in dem sie nächtigen durften, ins Stroh gelegt hatte, ein Gespräch.

„Hier draußen gibt es weit und breit nichts. Selbst die Tiere sind rar. Es dürfte schwierig sein, weiter zu reisen, wenn wir lange Zeit kein Gehöft finden.“ Dort wo Menschen lebten hatte er bisher immer Nahrungsmittel bekommen, unabhängig davon, unter welchen Umständen die Menschen lebten. „Bist du dir sicher, dass wir noch in Richtung Trora unterwegs sind? Weißt du, wie die Region aussieht?“ Es war nicht das erste Mal, dass Milo diese Fragen stellte, weswegen sie eher beiläufig klangen, um die Stille zu unterbrechen.

„Wir sind schon mal in einem Gebirge, es kann nicht mehr weit sein.“ Milo runzelte bei dieser Antwort leicht die Stirn. Es war natürlich schön zu wissen, dass sie auf dem Weg zu dieser Stadt ein Gebirge überqueren mussten, gleichzeitig fragte er sich aber, wie viele Gebirge es in diesem Land wohl gab.

„Wieso nimmst du so eine lange Reise eigentlich auf dich? Was gibt es dort?“ Fenin musterte ihn kurz, ehe er auf seine Frage antwortete.

„Verwandte von mir leben dort.“ Die Antwort war knapp, doch Milo konnte sich denken, dass noch mehr als nur das dahinter steckte. Da er sich aber nicht in die Familienangelegenheiten des Mannes einmischen wollte, gab er sich mit dieser Antwort zufrieden. Auch wenn es ihn etwas überraschte, dass Familien derart weit übers Land verstreut leben konnten.
 

Die Abenddämmerung kam schnell und hüllte den ohnehin schon düsteren Stall in Dunkelheit. Milo hatte es sich erneut im frischen Stroh gemütlich gemacht, während Fenin etwas abseits saß. Einige Augenblicke musterte er die Silhouette, ehe er sich etwas aufrichtete.

„Sitzt du bequem da? Komm doch her, der Boden ist schmutzig.“ Zumal sein gewählter Platz, an dem kaum Stroh lag, nicht sonderlich gemütlich aussah. Es war bereits kalt und nachts würden die Temperaturen noch weiter sinken. Er wollte nicht, dass Fenin sich seinetwegen eine Erkältung holte, während er selbst im wärmenden Stroh saß.

„Das stört mich nicht.“ Milo legte die Stirn in Falten, auch wenn der andere es bei den Lichtverhältnissen kaum sehen konnte.

„Hast du etwa Angst vor mir?“, scherzte er. Etwas, was er nicht gerade oft tat, doch gerade war er in einer gelassenen Stimmung. Für einen Moment herrschte Stille. Dann richtetet sich Fenin auf und kam tatsächlich näher. Ehe er sich aber neben ihm niederließ, zögerte der Mann kurz.

„Ich will dir keine Unbequemlichkeiten bereiten.“ Fenin war tatsächlich immer darauf bedacht, einen gewissen Abstand zwischen ihnen zu halten, so dass jeder in seiner Komfortzone bleiben konnte. Ob er sich selbst an Nähe störte, oder es rein aus Höflichkeit tat konnte Milo nicht sagen, doch er war vermutlich der Letzte, der ein Problem damit hatte. Zumindest wenn es sich bei der anderen Person um Fenin handelte.

„Was redest du? Ich bin für jede Wärme dankbar“, entgegnete Milo, während er ein Stück zur Seite rutschte, so dass Fenin gemütlich neben ihn passen würde. Zu seiner Zufriedenstellung setzte sich der andere, ohne weiter etwas zu sagen.

Für eine gefühlte Ewigkeit blieb es still. Milo nutzte die Ruhe um den Augenblick zu genießen. Aus einem ihm unerklärlichen Grund fühlte er sich überaus wohl in Fenins Gegenwart. Das war für ihn nicht neues, doch gerade in diesem Augenblick überkam ihn dieses Gefühl so heftig, dass er kurz an sich selbst zweifelte. Er war so lange alleine unterwegs gewesen. Vermutlich, so redete er es sich schließlich ein, war er einfach nur froh endlich wieder Gesellschaft zu haben.

„Fenin“, durchbrach er die Stille, um sich von dem Durcheinander in seinem Kopf abzulenken. Außerdem hatte er das Gefühl, dass er dieses Thema nicht offen stehen lassen konnte, auch wenn er dem anderen keine Rechenschaft schuldig war. „Ich werde diese Bestie so schnell wie möglich erledigen und dann reisen wir weiter. Ich weiß, dass es gefährlich ist, aber wie ich schon sagte, habe ich gute Gründe dafür. Auch wenn ich die Leute hier nicht kenne und mir ihr Schicksal egal sein kann, so kann ich nicht tatenlos zusehen, wie jemand derart terrorisiert wird. Ich setzte mein Leben nicht aus Nächstenliebe aufs Spiel, sondern weil ich diese Monster in meiner Nähe nicht tolerieren kann.“ Nach seiner langen Ansprache wurde es wieder totenstill in dem Stall. Für einen Augenblick fragte sich der Mann, ob Fenin möglicherweise bereits eingeschlafen war. Doch dann regte sich der andere.

„Willst du darüber sprechen?“ Milo entging nicht der beklommene Ton in Fenins Stimme. Ob der Mann bereits ahnte, was ihm widerfahren war?

„Nein.“

„Ich werde dich nicht aufhalten.“ Seine Worte klangen beinahe Sanft.

„Danke.“ Dies galt nicht nur für Fenins Einsicht, sondern auch dafür, dass der andere mal wieder nicht weiter nachhakte, wenn Milo deutlich machte, dass er über etwas nicht reden wollte.

Danach wurde es wieder still. Milo lauschte dem gleichmäßigen Atem des anderen, was ihm langsam aber sicher die Augen zufallen ließ. Mit einem wohligen Gefühl der Geborgenheit sank er schließlich ins Reich der Träume.
 

Die Nacht war ruhig geblieben, weswegen sich Milo wie angekündigt am nächsten Tag wieder auf die Suche nach der Bärenbestie begab. Zu seiner Erleichterung machte Fenin dieses Mal keinerlei Anstalten, ihn aufzuhalten, womit er nach ihrem Gespräch am vergangenen Tag beinahe gerechnet hatte. Stattdessen geleitete er ihn ein Stück, bis das Farmhaus drohte hinter einem Felsen zu verschwinden. Milo entging nicht, wie sich der andere aufmerksam umschaute.

„Fenin, mach dir keine Gedanken. Ich kann nicht nur auf mich aufpassen, ich werde diese Bestie auch zur Strecke bringen. Und danach reisen wir weiter nach Trora. Versprochen.“ Er suchte den direkten Blickkontakt mit dem Mann, in der Hoffnung ihn so etwas beruhigen zu können. Zu seiner Überraschung wirkte Fenin jedoch bereits sehr entspannt.

„Ich weiß. Pass einfach auf.“ Mit diesen Worten, die Milo etwas irritieren, trennten sich ihre Wege schließlich.

Narzisse


 

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Dieses Mal hatte sich Milo in die entgegengesetzte Richtung von gestern aufgemacht. Schon nach kurzer Zeit hatte er einen schmalen Trampelpfad eingeschlagen, den er schnell verfluchte. Er war von losen Steinen gespickt, die unter seinen Füßen wegrollten und ihn nicht nur einmal zum Stolpern brachten. Generell sah der Weg nicht so aus, als wäre er von Menschen, sondern viel mehr von Tieren gemacht worden. Das schlimmste aber war, dass er ihn höher ins Gebirge führte. Hier oben wurde es stetig kälter. Die Felsen um ihn herum wurden immer höher, enger und unübersichtlicher. Nicht nur ein Raubtier oder Bestie, sondern auch andere Menschen hätten hier leichtes Spiel ihm aufzulauern. Während der Mann auf jedes Geräusch, auf jede Bewegung achtete, ging er mit vorsichtigen Schritten weiter. Immer öfter kamen ihm Fenins Bedenken in den Sinn, was letztendlich dazu führte, dass er immer mehr an seinem Vorhaben zweifelte. Mehr als einmal hielt er an und schaute unentschlossen zurück. Von dem Farmhaus war nichts mehr zu sehen.

„Warum lass ich mich von sowas verunsichern?“, knurrte er genervt vor sich hin. In all den vergangenen Jahren hatte er nicht einmal so sehr an sich gezweifelt. Und er hatte sich bereits in deutlich gefährlicheren Situationen befunden. Wie kam es, dass ihn ein anderer Mensch so beeinflussen konnte? Sollte es ihm nun tatsächlich zum Nachteil sein, dass er sich mit jemandem angefreundet hatte? Oder lag es möglicherweise einfach daran, dass da auf einmal jemand war, der sich um ihn sorgte und gewissermaßen auf ihn angewiesen war? Bei diesen Gedanken bildete sich ein Kloß in Milos Hals. Das waren Empfindungen, die er so noch nicht kannte und von denen er nicht so recht wusste, was er davon halten sollte. Wieder einmal fragte er sich, was er von dem anderen wollte und wie weit er diesen an sich heranlassen sollte. Doch bei der Erinnerung an den vergangenen Abend, dem angenehmen Gefühl, das er in Fenins Nähe empfunden hatte, konnte er unmöglich etwas anderes wollen, als eine Freundschaft anzustreben. So unvernünftig und kurzsichtig dies auch sein mochte.

Durch seine Überlegungen kam Milo nicht nur nicht voran, auch vergaß er seine Umgebung vollkommen, so dass er das verdächtige Geräusch von rollenden Steinchen fast zu spät hörte. Eher aus einer Intuition heraus machte er einen schnellen Schritt nach hinten, wobei er um ein Haar auf einem Stein ausrutschte. Vor ihm fiel ein kleiner Felsbrocken auf genau den Punkt, an dem er keine Sekunde zuvor noch gestanden hatte. Doch er hatte gar keine Zeit, diesen genauer zu betrachten. Von den Felsen über sich hörte er ein tiefes Brummen, das schnell zu einem bedrohlichen Knurren anschwoll. Milo brauchte nicht aufzuschauen, um zu begreifen dass er sich in Gefahr befand. Ohne sich zu vergewissern, ob es sich nur um ein Raubtier oder doch um die gesuchte Bestie handelte, drehte er sich in einer schnellen Bewegung um und rannte los. Es war nicht so, dass er es sich plötzlich anders überlegt hatte und nicht kämpfen wollte. Zwischen den Felsen war es einfach zu eng, als dass er vernünftig ausweichen oder mit seinem langen Stab kämpfen könnte. Ein Bär hingegen, der lediglich einen kräftigen Prankenhieb benötigte, um ihn zu erledigen, hätte dort nur Vorteile. Er musste ihn auf eine offenere Fläche locken. Den schweren Schritten und zornigen Brüllern nach zu urteilen, die ihm ohne zu zögern folgten, gelang ihm zumindest dieses Vorhaben. Doch wann hatte er das letzte Mal was anderes als diese bedrückende Enge gesehen?

Als Milo außer Atem um eine Felskante hastete und sich vor ihm der Weg etwas weitete, dachte er keine Sekunde über seine Entscheidung nach. In einer fließenden Bewegung drehte er sich zur Seite und wartete auf das Tier, als er etwas buntes im Augenwinkel bemerkte. Ihm war klar, dass es einer dieser verdammten Schmetterlinge sein musste, doch dieses Mal kam die Warnung, die mittlerweile viel zu unzuverlässig geworden war, zu spät. Er konnte ihm keine Aufmerksamkeit schenken, da in diesem Moment das Tier ebenfalls um die Ecke gestürmt kam. Milo holte mit seinem Stab aus und steckte all seine Kraft in den folgenden Schlag. Möglicherweise war das der einzig wirkliche Vorteil, den er in diesem Kampf haben würde. Wie erhofft kam der Angriff überraschend und brachte seinen Gegner ins Taumeln, ließ ihn gegen die gegenüberliegende Wand stoßen. Ein kurzer Blick genügte Milo, um sich sicher zu sein, dass es sich hierbei um die gesuchte Bestie handelte. Zu seinem Erstaunen war sie kaum größer als ein normaler Bär, sah aber deutlich bedrohlicher aus. Die kräftigen Muskeln waren selbst unter dem langen, drahtigen Fell noch deutlich zu sehen. Die Zähne waren scharf und lang, genauso wie die Krallen an den schwarzen Pranken. Die Bestie hatte sich schnell von dem unerwarteten Schlag erholt und starrte den Mann nun mit wütenden gelben Augen an.

Milo schluckte unbehaglich, während ihm die Beine weich wurden. Doch so schnell gab er nicht auf. Er nahm all seinen Mut zusammen und startete den nächsten Angriff, ehe dieses Monster wieder zu wüten begann. Entschlossen sprang er auf das Bärenwesen zu, dass seine Pranken schneller hob, als er selbst reagieren konnte. Auch wenn er mit einer solchen Reaktion gerechnet hatte, so überraschte Milo die Geschwindigkeit. Er konnte nicht mehr ausweichen. Alles was ihm blieb, war seinen Stab nach oben zu reißen und so den Schlag abzuwehren. Als die kräftige Pranke das Holz traf glaubte Milo ein leises Knacken zu hören. Im nächsten Augenblick wurde er zurückgeschleudert und stieß mit dem Rücken gegen die raue Felswand, was die Luft aus seinen Lungen presste. Noch ehe sich sein Blick klären konnte, riss er eher instinktiv seinen Stab nach oben. Er rechnete damit, dass die Bestie ihm nachsetzte. Ihm war nur zu bewusst, dass auch sein Stab ihn nicht vor einigen Knochenbrüchen bewahren würde, wenn diese übermächtige Pranke ihn nun traf. Die Kraft um auszuweichen konnte er nicht aufbringen.

Mit verschwommener Sicht sah Milo, wie sich ein Schatten vor ihm aufbaute. Allem Anschein nach hatte es sein Gegner nicht allzu eilig, ihn umzubringen. Warum auch? Er konnte ihm sowieso nicht entkommen. So schnell gab Milo jedoch nicht auf. Er nutzte seine Chance und stieß sich von der Wand ab, direkt auf den Bären zu. Natürlich hätte er auch fliehen können, doch wie weit wäre er schon gekommen? Das untere Ende seines Stabs traf die Brust der Bestie und grub sich mühevoll in das Fleisch. Auch wenn sein Gegner so mächtig war, er war noch immer im Besitz eines magischen Werkzeugs, das genau für solche Kämpfe gemacht worden war. Mit einem ohrenbetäubendem Lärm schrie die Bestie auf und begann sich herumzuschleudern, wodurch Milo den Griff um seinen Stab verlor. Er konnte nur mit Schrecken zusehen, wie der Bär mit dem Stab in seiner Brust zurücktaumelte, während er nun wirklich schutzlos vor ihm stand.

Weder war der Stab sonderlich tief eingedrungen, noch hatte er eine günstige Stelle getroffen. Zwar konnte die Bestie die Waffe dank deren magischen Kraft nicht entfernen, doch die dadurch entstehenden Schmerzen ließen sie geradezu rasend werden. Während Milo einem wütenden Angriff auswich dachte er darüber nach, wie er aus diesem unüberlegten Handeln einen Vorteil ziehen konnte. Er würde nicht an seine Waffe gelangen, ohne im Gegenzug von mindestens einer Pranke erwischt zu werden. Im Augenblick blieb ihm nicht viel mehr übrig, als auszuweichen und zu schauen, welche Chancen sich ihm ergaben. Es war ein gefährliches Spiel, das er hier spielte. Auch wenn die Bestie sich gerade wutentbrannt auf ihn stürzte, ohne Rücksicht auf irgendetwas zu nehmen. Durch ihre schiere Stärke zerbrachen die Felsen, die sie erwischte, ohne sich selbst ernsten Schaden zuzufügen. Er bräuchte von dieser Wucht nur gestreift zu werden, um sich schwere wenn nicht sogar tödliche Verletzungen zuzuziehen.

Mit einer immer langsamer werdenden Bewegung duckte Milo sich weg. Über ihm schlug eine Pranke in die Steinwand und brach ein Stück heraus, während er für seinen Geschmack etwas zu nah an der Bestie vorbeistolperte. Er hatte die Hoffnung, dass sich sein Gegner den Stab in seiner Raserei selbst noch tiefer eintreiben würde, doch wie lange sollte er dafür dieses Spiel spielen? Milos Ausdauer ließ langsam aber sicher nach. In seinem kläglichen Ausweichmanöver kam der Mann nicht schnell genug von der Bestie weg, die sich mit einer nach wie vor enormen Ausdauer und Geschwindigkeit auf der Stelle umdrehte und ihm nachging. Milo sah die Pranke bereits seinen Brustkorb zerschmettern. Er hatte keine Möglichkeit, diesem Schlag auszuweichen. Mit Schrecken wurde ihm bewusst, dass es das gewesen war. Vielleicht würden nur seine Rippen brechen, vielleicht würde auch sein Herz versagen. So oder so würde er letztendlich seinen Tod finden. Mit aufgerissenen Augen starrte er seinem unausweichlichen Verderben, das in Form einer riesigen, schwarzen Pranke auf ihn zuraste, entgegen. So hatte er sich sein Ende nicht vorgestellt.

Noch bevor er die Augen schließen oder sonst irgendwie reagieren konnte, schien die steinige Erde unter ihnen plötzlich zu explodieren. Ein grüner Strunk schoss aus der Erde, umschlang die Pranke und hielt den Schlag auf. Wie gelähmt stolperte Milo einen Schritt zurück und fiel auf den Boden. Selbst wenn er hätte aufstehen wollen, seine Knie zitterten im Anblick seines Todes zu stark, als dass er sich irgendwie regen könnte. Zu seinem Glück schien die Bestie genauso eingeschränkt in ihren Bewegungen zu sein. Zwar schrie und wütete sie, doch die braun-grünliche Wurzel, die immer kräftiger wurde und mittlerweile den gesamten Arm des Monsters umschlungen hielt, war scheinbar stark genug, um nicht zerrissen zu werden.

Milo brauchte einen Moment, um seinen Schock zu verarbeiten. Nicht nur war er gerade allem Anschein nach dem Tod von der Schippe gesprungen, auch hatte er so etwas noch nie gesehen. Er starrte das eindeutig pflanzliche Ding an, dass ihm gerade das Leben gerettet hatte und war sich verdammt sicher, dass es keinerlei Pflanzen gab, die sich derart verhielten und erst recht nicht so schnell waren. Sein Blick brauchte nicht weit zu wandern, um die Ursache für dieses Phänomen zu entdecken. Er wusste sofort, dass es von der Gestalt, die keine fünf Schritte von ihm entfernt stand, ausgelöst wurde. Gleichzeitig lief es Milo so eisig den Rücken hinunter, dass er beinahe mühelos auf seine Beine fand. Dieses Wesen war weitaus gefährlicher als der Bär. Alleine, dass es ihn mit solcher Leichtigkeit aufhalten konnte. Es musste ein Dämon sein. Nicht so ein schwacher, wie der, der Lysils Vater getötet hatte. Ein richtiger, echter und vor allem hochgefährlicher Dämon. Auch wenn Milo es nicht glauben konnte. Immerhin kannte er die Person.

Vergissmeinnicht


 

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Die Gesichtszüge des Mannes vor ihm gehörten unverwechselbar zu Fenin, auch wenn sich sein Aussehen verändert hatte. An seinem Kopf befand sich ein Paar gewundener Widderhörner, seine Augen waren eindeutig rot und seine erhobene Hand war mit langen, spitzen Krallen gespickt. Milo war sich sicher, dass er diese Wurzel, die die Bärenbestie immer weiter umschlangen, steuerte. Und trotzdem schaute der Mann, nein, der Dämon sein Opfer nicht einmal an. Stattdessen lag sein ruhiger Blick auf Milo, als wäre nichts. Es wirkte beinahe arrogant, auch wenn Milo glaubte stattdessen etwas Erwartendes in seinem Blick zu erkennen. Für einige Sekunden, die dem Mann wie eine gefühlte Ewigkeit vorkamen, schauten sie sich einfach nur in die Augen. Langsam aber sicher begann der Zorn in Milo aufzusteigen. Er fühlte sich nicht nur hintergangen, sondern auch noch vorgeführt. Sie waren so lange zusammen unterwegs gewesen und er hatte nicht einmal geahnt, was der andere in Wirklichkeit war. Dieser hingegen wusste nur zu gut von seiner Abneigung gegenüber sämtlicher Monster und hatte sich vermutlich hinter seinem Rücken ins Fäustchen gelacht. Nach all diesen Jahren hatte er jemanden kennengelernt, mit dem er sich angefreundet hatte und mit dem er länger zusammen bleiben wollte. Nicht nur das, er hatte ihm tatsächlich vertraut. Milo spürte, wie sich seine Brust zusammenzog, während die Bestie ein letztes Knurren von sich gab.

Nur im Augenwinkel sah Milo, wie an den Wurzeln kleine Knospen sprießten und sich kurz darauf zu weinroten Blüten öffneten. Er war sich nicht sicher, was das sollte, aber es interessierte ihn auch nicht. Er hatte seinen Entschluss gefasst, noch ehe er selbst davon wusste. In einer schnellen Bewegung drehte er sich zur Seite, riss seinen Stab aus der toten Bestie und richtete ihn auf Fenin, der nicht einmal mit der Wimper zuckte. Vermutlich wussten sie beide nur zu gut, dass Milo gegen jemanden wie ihn keine Chance hatte.

„Milo.“ Fenins Stimme war sanft und ruhig wie immer, doch Milo glaubte ihm kein Wort mehr.

„Hat es dir Spaß gemacht, mich zu verarschen?“ Er war das komplette Gegenteil zu dem anderen. In seiner Stimme waren sowohl sein Zorn, als auch seine Enttäuschung zu hören. Etwas, was er diesen Dämon eigentlich nicht wissen lassen wollte.

„Das war nicht meine Absicht. Ich habe -“

„Und was dann? Was war deine Absicht?“ Warum sollte sich ein Dämon wie er, mit einem Menschen abgeben? Irgendetwas hatte er geplant. Und das war gewiss nichts Gutes.

„Habe ich dir jemals geschadet?“ Das stimmte natürlich. Gerade hatte er ihn wieder gerettet, wie damals schon vor dem Keiler. Doch das hatte nichts zu bedeuten.

„Noch nicht. Aber ich werde es auch nicht so weit kommen lassen.“ Milo dachte ernsthaft darüber nach, gegen Fenin zu kämpfen, auch wenn es sein sicherer Tod wäre. Zumindest müsste er dann nicht mehr mit dieser Scham leben, die sich gerade durch sein Herz fraß. Er schüttelte diesen lächerlichen Gedanken ab. „Ich bin ein Mann von Ehre und halte mein Wort. Du hast mich gerettet, weswegen ich dein Leben verschonen werde.“ Ihm war klar, wie hoch seine Worte gegriffen waren, doch nur so würde er seine folgende Flucht zumindest vor sich selbst rechtfertigen können.

„Wenn du es so willst.“ Fenin ging nicht nur nicht auf seine Worte ein, er wirkte auch überaus ruhig. Milo war außer sich. Er konnte es nicht fassen, dass es dem anderen so gleichgültig schien. Er hatte nie einem Dämon seines Niveaus kennen gelernt und konnte nicht sagen, ob ein solches Verhalten üblich war. Jedoch war er sich sicher, dass Fenin hinter dieser Fassade genauso düster und bösartig war, wie all die anderen Monster.

„Wenn wir uns noch einmal über den Weg laufen, dann werd ich dich töten.“ Mit diesen Worten drehte sich Milo um und ging, bevor ihn seine Gefühle doch noch übermannten. Er wollte sich vor dem anderen nicht noch mehr lächerlich machen. Während er davon eilte, bemerkte er nicht einmal die verwelkten Blütenblätter, die auf den steinigen Boden fielen.

Je weiter er lief, desto zittriger wurden seine Beine. Langsam aber sicher sickerte das Geschehene in Milos Verstand durch. Um ein Haar wäre er von einer Bestie getötet worden. Er war von Fenin gerettet worden, der in Wirklichkeit ein Dämon war. Fenin. Der Mann mit dem er die letzten Wochen verbracht hatte. In dessen Gegenwart er sich so wohl gefühlt hatte. Alleine bei dem Gedanken lief ihm ein Schauer über den Rücken. Wie hatte er sich nur derart täuschen können? Nein, er hatte sich nicht getäuscht, er war getäuscht worden! Verärgert trat er einen Stein weg, als endlich das Hirtenhaus in Sicht kam. Er machte eine kurze Pause, in der er sich zu beruhigen versuchte und ging dann weiter. Es war schon später, aber nicht so spät, dass er mit damit rechnete, die Bewohner anzutreffen, die sich tagsüber um das Vieh kümmerten. Er wusste selbst nicht so recht, warum er hierher zurückgekommen war. Er hätte einfach weiterziehen sollen. Andererseits wollte er die Nacht, die nicht mehr lange auf sich warten lassen würde, nicht schutzlos in dem kalten Gebirge verbringen. Nachdem die Bärenbestie nun beseitigt war, würden diese Leute ihm gewiss noch eine Nacht in ihrem Stall gewähren.

Zu seiner Überraschung lief ihm aber die Frau des Hirten geradezu in die Arme. Sie trug einen großen Topf, in dem sich ganz offensichtlich frisch gekochtes Essen befand.

„Ach Ihr seid es.“ Ihr Blick huschte kurz über ihn, als sich ihre Augen weiteten. „Was ist passiert?“ Etwas irritiert schaute Milo sie an, während die Frau den Topf abstellte und ein schmutziges Tuch aus ihrer Schürze kramte. Bevor Milo widersprechen konnte, war sie an seine Seite getreten und presste es ihm auf den Hinterkopf, was überraschend schmerzhaft war. Nur mit Mühe konnte er ein Stöhnen unterdrücken.

Allem Anschein nach hatte er sich bei dem Kampf doch schlimmer verletzt als angenommen. Dass er es bei dem ganzen Adrenalin in seinem Körper nicht gespürt hatte, verwunderte den Mann nicht sonderlich. Allerdings erklärte es die immer stärker werdende Schwäche, die ihn den Berg herab begleitet hatte. In seinen Augen eine deutlich erträglichere Erklärung, als die, dass er einem richtigen Dämon begegnet war.

„Das ist nichts“, versuchte er es herunter zu spielen. „Ein Kampf gegen eine solche Bestie ist nicht so einfach.“ Erneut weiteten sich die Augen der Frau. Sie zog das Tuch zurück, dass bereits mit einer Unmenge an Blut getränkt war.

„Ihr habt sie besiegt?“ Sie klang nicht nur ungläubig, sondern auch hoffnungsvoll. Milo nickte kurz.

„Es tut mir leid, ich habe nicht den Kopf mitgebracht.“ Üblicherweise nahm er die gesamte Bestie oder zumindest einen Teil mit zurück zu seinen Auftraggebern, um auch beweisen zu können, dass er wirklich erfolgreich gewesen war. Dass er dieses Mal keinen Kopf dafür gehabt hatte, war verständlich.

„Das macht nichts, ich glaube Euch. Ich werde sofort meinen Mann holen, damit wir euch reich belohnen können.“ Ihre Dankbarkeit war nicht nur eindeutig in ihrer Stimme zu hören, sondern auch in ihrer gesamten Körpersprache zu lesen. Sie waren lange von dieser Bestie terrorisiert worden. Nachdem Milo ihr nun gegenübergestanden hatte, konnte er die Furcht umso besser verstehen.

„Das ist nicht nötig“, winkte er schnell ab. Er wollte nicht den Lohn für etwas ernten, was er selbst nicht getan hatte. Er hatte versagt, während Fenin die Bestie besiegt hatte. Ein Dämon, den er eigentlich genauso jagen sollte. Heute war ein erniedrigender Tag gewesen. „Ich würde lediglich gerne noch eine Nacht hierbleiben, damit ich morgen früh erholt weiterreisen kann.“ Die Frau musterte ihn kurz skeptisch, anscheinend überlegte sie nun doch kurz, ob sie seine Worte anzweifeln sollte.

„Erst einmal muss nun Eure Wunde versorgt werden.“ Milo wurde das Gefühl nicht los, dass dieses Gespräch noch nicht beendet war.
 

Am späten Abend lag er wieder in dem Stroh im Stall. Nicht nur war er geradezu genötigt worden, mit der Familie zu Abend zu essen, was zugegebenermaßen wirklich lecker und sättigend gewesen war, und sich eine Erklärung aus dem Ärmel zu schütteln, wohin sein Begleiter verschwunden war, auch hatte er eine ganze Weile gebraucht, das Ehepaar davon zu überzeugen, keinen Lohn zu wollen. Letztendlich wäre es vermutlich einfacher gewesen, es einfach anzunehmen. Doch sein Stolz hatte bereits genug Schaden genommen. Genervt rollte sich der Mann auf die andere Seite, in der Hoffnung diese ganzen Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Je eher er morgen früh aufstand, desto länger konnte er den Tag für seine Reise nutzen. Wohin Fenin nun gehen würde? Milo war sich ziemlich sicher, dass die Sache mit Trora nur eine Lüge gewesen war. Und selbst wenn nicht, dann könnte er bestens alleine dorthin finden. Eigentlich müsste Milo ihn hassen, nicht nur, weil er ihn belogen hatte, sondern vor allem, weil er ein Dämon war. Das war Grund genug. Aber immer wieder wenn seine Gedanken zu ihm schweiften, fühlte er sich in erster Linie niedergeschlagen. Er schob es auf seine Kopfverletzung und den Blutverlust. Sobald sich Milo davon erholt hatte, würde er sich sicher wieder normal fühlen. Mit diesem zuversichtlichen Gedanken drehte er sich wieder um und versuchte abermals sein Glück, einen erholsamen Schlaf zu finden.

Nach einigen Augenblicken stieg ihm ein vertrauter Geruch in die Nase. Irritiert blinzelte Milo in die Dunkelheit. Es dauerte einen weiteren Moment, ehe er begriff, dass es das Stroh war und wonach es roch. Letzte Nacht noch hatten Fenin und er hier zusammen geruht. Derart dicht beieinander, dass es dem Mann nun kalt den Rücken runterlief. Gleichzeitig fragte er sich, ob alle Dämonen einen derart intensiven, süßlichen Geruch hatten. Irgendwann vergrub Milo sein Gesicht in dem rauen Stroh und hoffte einfach nur noch, dass die Nacht schnell vorbeiging.
 

Am nächsten Morgen fühlte sich Milo wie gerädert, dennoch stand er früh auf. Er wollte nicht unnötig lange hier bleiben, alleine schon, weil ihn dieser Ort mit den Geschehnissen und dem Geruch wahnsinnig machte. Auch wenn er nicht wirklich gut geschlafen hatte, war Milo eigentlich davon ausgegangen, dass er sich nach etwas Schlaf gesammelt haben würde und eine angemessene Reaktion auf das Geschehene zeigen könnte. Stattdessen fühlte er sich aber immer noch wie benommen. Anstelle des erhofften Hasses, war er noch immer einfach nur niedergeschlagen und fühlte sich Verraten. Dass er sich diese Sache derart zu Herz nahm zeigte nur, wie sehr ihm der Kampf gestern zugesetzt hatte.

Bevor Milo seine Reise fortsetzen konnte, wurde er von einem der älteren Kinder der Familie aufgehalten, das ihm einen kleinen Beutel mit Dörrfleisch in die Hände drückte. Dieses Angebot schlug der Mann jedoch nicht aus, schließlich war Essen etwas, was er unterwegs gut gebrauchen konnte. Danach ließ er sich die Richtung zur nächsten Ortschaft deuten und machte sich auf den Weg.

Erika


 

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Milo hatte einige harte Wochen hinter sich. Nicht nur hatte sich der Herbst dem Ende zugeneigt, was es allgemein schwieriger machte, zu überleben. Auch hatte er sich allem Anschein nach in einem recht unbewohnten Teil des Landes befunden. Es hatte ihn ganze zwei Tage gebraucht, das Gebirge wieder zu verlassen und noch einmal das doppelte an Zeit, um eine Ortschaft zu finden. Vermutlich hatte er dabei mehr Glück als Verstand gehabt. Normalerweise stürzte er sich nicht so unüberlegt in die Wildnis, schließlich gab es noch immer weite Teile des Landes, die unbewohnt waren. Im Sommer, wenn es warm war und es Nahrung im Überfluss gab konnte man das machen, nicht aber zu dieser Jahreszeit. Er war auf die Bauern mit denen er Handel betreiben konnte angewiesen. Ihm war bewusst, dass Fenin es gewesen war, der sie in diese abgelegene Gegend geführt hatte. Wer wusste, was er dort mit ihm vorgehabt hatte.

Mittlerweile hatte sich Milo mit dem, was geschehen war, abgefunden. Nach wie vor konnte er den Dämon nicht hassen, doch immerhin hatte er sich wieder gefangen. Zumindest redete er sich das ein. Zur Zeit war er aber auch mit anderen Dingen beschäftigt, als sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Vor drei Tagen hatte Milo endlich eine größere Ortschaft, die mit ihrem Schutzwall schon als Kleinstadt durchging, erreicht. Hier gab es für einen Monsterjäger wie ihn keine wirklichen Aufgaben, zumindest hatte er bisher niemanden getroffen, der von einer Bestie geplagt wurde. Aus diesem Grund hatte sich Milo eine andere Tätigkeit gesucht, mit der er sich über die Wintermonate über Wasser halten wollte. Das hier waren keine reichen Leute, die in Wohlstand lebten, doch sie hatten Häuser, Feuer und Nahrung, ganz zu schweigen von dem Schutzwall, der nicht selbstverständlich war.

Seine momentane Aufgabe bestand darin, im Wald Bäume zu fällen und so Feuerholz zu beschaffen. Ein wertvolles Gut, da nicht jeder lebend von dieser Aufgabe zurückkehrte. Auch wenn niemand hier über bestimmte Bestien geklagt hatte, so war es doch keine beliebte Aufgabe. Milo hingegen störte sich nicht an der Gefahr, schließlich war das seine eigentliche Berufung. Mit der hart körperlichen Arbeit eines Holzfällers hingegen hatte er zu kämpfen. Heute war der zweite Tag, an dem er mit einer handvoll Männer in den Wald aufbrach. Die Waldgrenze lag ein gutes Stück von der Kleinstadt entfernt, vermutlich hatten auf der weitläufigen Fläche, die nun Feldern diente, einst Bäume gestanden, die bereits als Rohstoff ihren Weg in die Stadt gefunden hatten. Nachdem sie die Bäume erreichten, teilten sich die Männer auf. Jeder wusste um seine Aufgaben.

Milo trug eine Axt bei sich, mit der er bevorzugt große Bäume fällen sollte. Doch genügte das nicht bereits an körperliche Arbeit, so musste er ihn anschließend irgendwie zurück bringen. In der Stadt gab es zwar Ochsen, doch diese wurden gerade für die letzten Erntearbeiten auf den Feldern benötigt. Am gestrigen Tag hatte er gerade mal einen Baum gefällt bekommen und anschließend noch Hilfe dabei benötigt, ihn in die Stadt zu befördern. Er war nun einmal nicht für solche Arbeiten gemacht.

Derart in Gedanken begab sich der Mann tiefer in den Wald, als es notwendig gewesen wäre. Als ihm sein planloses herumlaufen bewusst wurde, blieb Milo stehen und schaute sich kurz um. Der Wald war ungewohnt ruhig, was vermutlich den bereits eisigen Temperaturen zuzuschreiben war. Es wäre nicht klug, hier mit seiner Arbeit zu beginnen. Jeder weitere Meter, den er von der Stadt entfernt war, bedeutete zusätzliche Anstrengungen. Bevor er wieder umkehrte, warf der Mann noch einen Blick in die Tiefe des Waldes. Es war ihm nicht entgangen, dass er in den vergangenen Wochen, seit er wieder alleine unterwegs war, keinen Schmetterling mehr gesehen hatte. An sich war das nichts, was Milo verwundern würde, hatte er sie früher immerhin noch seltener gesehen. Doch nachdem sich in dieser kurzen Zeitspanne die Sichtungen derart gehäuft hatten, war es doch auffällig. Milo hatte mittlerweile eins und eins zusammengezählt. Zurückblickend war ihm nicht entgangen, dass diese Schmetterlinge immer dann aufgetaucht waren, bevor Fenin auf der Bildfläche erschien, oder wenn er bereits da war. Es war offensichtlich, dass er sie sah, wenn ein Monster seinen Weg kreuzte. Ein Monster, wie Fenin eines war. Das würde erklären, warum diese Insekten an den noch so unwirklichsten Orten auftauchten, auch wenn Milo nicht verstand, warum es gerade diese Tiere waren und was genau es mit ihnen auf sich hatte.

Seitdem Milo aber dahinter gekommen war, schaute er sich immer mal wieder bewusst nach ihnen um. Keinen zu sehen gab ihm immer wieder das Gefühl, in Sicherheit zu sein. Nachdem ihm in dem aufgrund des fehlenden Blätterdachs lichten Wald nichts ungewöhnliches ins Auge gefallen war, atmete Milo einmal durch und drehte sich dann um, um endlich mit seiner Arbeit zu beginnen. Er kam keine zwei Schritte weit, als er gegen etwas hartes trat, was er unter dem hohen Laub am Boden nicht gesehen hatte. Das knackende Geräusch dabei stammte eindeutig von Holz. Erst dachte Milo, er hätte einen einfachen Ast durchgebrochen, von denen hier reichlich lagen. Als aber plötzlich ein kalter Wind an ihm vorbei wehte, der ihm trotz seiner dicken Kleidung einen Schauer über den Rücken jagte, war sich Milo nicht mehr so sicher mit dieser Annahme. Obwohl er nicht zuordnen konnte was das gewesen war, so konnte er doch mit Sicherheit sagen, dass dies kein normaler Wind gewesen war. Er ließ die Axt fallen, um seinen Hirtenstab mit beiden Händen umgreifen zu können. Nur weil er ausnahmsweise mal keinen Schmetterling gesehen hatte, bedeutete das nicht, dass er nicht trotzdem in Gefahr sein konnte. In dieser Welt gab es noch mehr Bedrohungen, als Dämonen und Bestien.

Mit dem Fuß, mit dem er den vermeintlichen Ast getreten hatte, schob er das Laub zur Seite. Zum Vorschein kam ein Bund an Zweigen. Der obere, dünnere Teil lag abgebrochen neben dem noch im Boden steckenden dickeren Ende. Der Faden, der die Zweige zusammenhielt, war noch deutlich zu erkennen. Hier war jemand gestorben. Diese Holzstrukturen wurden zur Ehrung und Erinnerung bestimmter Toter aufgestellt. Milo fühlte sich augenblicklich schlecht, dass er es zerstört hatte. In der Hoffnung, noch etwas retten zu können, ging er davor in die Hocke. Doch als er das abgebrochene Stück aufheben wollte, fielen die Zweige, die nun von keiner Schnur mehr gehalten wurden, auseinander. Weder war er ein Priester, noch hatte er Ahnung von Bestattungen. Einen Augenblick lang saß der Mann einfach unschlüssig vor dem Haufen Zweige. Bevor er aber zu einem Schluss kam, nahm ihm ein erneuter, eisiger Wind die Entscheidung ab.

Ehe sich Milo versah war dichter Nebel aufgezogen, der von zwischen den Bäumen her auf ihn zukam. Der weiße Dunst sah nicht nur unnatürlich aus, auch ließ er den Mann derart unruhig werden, dass dieser ohne an die Axt zu denken aufsprang und das Weite suchte. Es war nicht so, dass Milo Angst hätte, sich einem Gegner zu stellen. Doch weder hatte er derartiges schon einmal erlebt oder auch nur davon gehört, noch hätte er unter solchen Bedingungen gute Chancen in einem Kampf. Er hatte es nicht gewagt, diesen Nebel zu berühren, aber er hatte das Gefühl gehabt, er bräuchte nur seine Hand auszustrecken, um ihn wirklich spüren zu können. In keinster Weise hatte es wie üblicher Nebel ausgesehen und das ließ ihm noch Schauer durch den Körper jagen, als Milo längst den Waldrand erreicht hatte und von diesem Vorfall nichts mehr zu sehen war. Das ungute Gefühl, dass das alles etwas mit seiner unbeabsichtigten Grabschändung zu tun hatte, ließ nicht mehr von ihm ab.

An diesem Tag schaffte Milo es nicht nur nicht, das Holz zurück in die Stadt zurück zu bringen. Er hatte es nicht einmal geschafft, einen Baum zu fällen. Wie auch ohne Axt? Nachdem er eine Weile am Waldrand gewartet und nach Nebel Ausschau gehalten hatte, war er zurückgegangen, um nach dem Werkzeug zu suchen. Aber natürlich hatte er die Stelle nicht mehr finden können.

Unter diesen Umständen hatte er sich dazu entschlossen, dass es das Beste wäre, wenn er sich eine andere Tätigkeit suchen würde. Doch das war leichter gesagt als getan. So groß diese Ortschaft auch sein mochte, die Kunde von dem Fremden, der beim Holzhacken die Axt im Wald verlor, weil er Angst vor etwas Nebel hatte, machte schnell die Runde und erschwerte es Milo noch mehr. Die Tatsache, dass er längst als ein Monsterjäger bekannt war, machte es auch nicht besser. Letztendlich gab Milo es auf. Irgendwie würde er noch einen Weg finden, Hauptsache er hatte erst einmal diese geschützte Stadt aufgespürt, in der ein Winter deutlich einfacher zu überstehen war, als in der Wildnis.
 

Es waren keine vier Tage seit dem Zwischenfall in dem Wald vergangen, als Milo es das erste Mal hörte. Es war Nacht und er lag in dem heruntergekommenen Schuppen, den er seit seiner Ankunft hier bewohnte. Es waren dumpfe Schritte, die von draußen zu hören waren. Als er jedoch einen Blick durch den Spalt in der Tür warf, war weit und breit niemand zu sehen. Genauso wenig waren Geräusche zu hören die darauf hindeuteten, dass noch jemand wach war. Dafür nahm Milo aber etwas anderes war. Ein eisiger Wind, der an ihm vorbeizog. Auch ohne die Tatsache, dass es hier drinnen keinen Wind geben konnte, stellten sich seine Nackenhaare augenblicklich auf. Egal was es war, es war ihm anscheinend aus dem Wald hierher gefolgt. Dieses Gefühl würde er nicht so schnell vergessen.

Während er seinen Stab umklammerte, dachte Milo krampfhaft darüber nach, um was es sich hierbei handeln konnte. Er konnte mit Gewissheit sagen, dass es weder Bestie noch Dämon war. Als er daran dachte, dass er an diesem Ort die Ruhe eines Toten gestört hatte, kam ihm ein unwirklicher Gedanke. Hier und da hatte er von Leuten gehört, die von Geistern heimgesucht wurden, doch Milo hatte nie selbst die Bekanntschaft mit einem solchen Wesen gemacht. Er war sich nicht einmal sicher, ob sie wirklich existierten. Und genau aus diesem Grund konnte er nun nicht sagen, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Er hatte zwar eine magische Waffe, doch könnte er damit ein solches Wesen bekämpfen? Und was könnte dieses überhaupt bei ihm ausrichten?

Während er über all dies nachdachte, hatte Milo seinen Blick nicht von der schmalen, dunklen Straße vor ihm abgewandt. Er konnte durch den Spalt zwar nicht allzu viel sehen, zumindest sah es aber nicht so aus, als würde ein dichter Nebel aufziehen, was den Mann schon mal etwas beruhigte. Auch das monotone Geräusch schien an Ort und Stelle zu bleiben. Möglicherweise bildete er sich das alles aber auch nur ein und in Wirklichkeit stieß dort in der Dunkelheit etwas durch den Wind immer und immer wieder gegen eine Wand.

Spätestens in der nächsten Nacht wurde Milo auch diese Hoffnung genommen. Er wurde durch ein lautes Pochen gegen die hölzerne Tür aus seinem Schlaf gerissen. Ungeachtet der Tatsache, ob er mit diesem Verhalten dem Wesen möglicherweise Einlass gewährte, riss Milo die Tür auf, um sich dem Störenfried zu stellen. Er hatte sowieso nicht vor, länger hierzubleiben, um in der nächsten Nacht dann durch einen unwillkommenen Gast persönlich geweckt zu werden. Doch vor der Tür stand niemand. Die Gasse lag dunkel und ruhig vor ihm. Weit und breit war kein Mensch oder ein sonstiges Lebewesen zu sehen. Lediglich die eisige Luft wirkte unüblich.

Chrysantheme


 

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Milo hatte in dieser Nacht keinen Schlaf mehr bekommen. Er war durch die Straßen der Stadt gelaufen, doch weder hatte er noch einmal etwas untypisches gehört, noch etwas beunruhigendes gesehen. Auch das eisige Gefühl, das ihm alleine bei dem Gedanken daran eine Gänsehaut beschaffte, war verschwunden gewesen. So kam es, dass Milo nun mitten am Tag ein Nickerchen hielt. Wenn das alles wirklich etwas mit der Sache im Wald zu tun hatte und ihm hier nicht nur ein übler Streich – ob nun von anderen oder doch nur von seinem eignen Kopf – gespielt wurde, dann würde die Tageszeit dieses Wesen kaum aufhalten. Schließlich war es im Wald auch hell gewesen. Trotzdem fühlte sich der Mann unter dem Licht der Sonne und mit dem regen Treiben der Leute um sich herum deutlich wohler. Und sollte etwas außergewöhnliches passieren, würden diese Menschen es mit Sicherheit auch sehen, oder?

Schließlich wachte Milo frierend auf. Auch wenn die Sonne schien, stand der Winter vor der Tür. Ein Nickerchen im Freien zu halten war da nicht die beste Idee. Es dauerte einen Moment, ehe er bemerkte, dass die Sonne gar nicht mehr schien. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass dies nur zum Teil die Ursache für die Kälte war. Es war nicht einfach nur dunkel geworden, er war von dichtem Nebel umhüllt. Von einer zur nächsten Sekunde schoss das Adrenalin durch seinen Körper. Er sprang auf und wollte nach seinem Stab greifen, aber er konnte ihn nirgendwo finden. Doch noch schlimmer als das, waren keine Geräusche neben seinem eigenen Atem zu hören. Der Nebel verschluckte alles. Milo hatte beinahe das Gefühl, dass er sich gar nicht mehr in der Stadt befand. Wie um sich zu versichern machte er ein paar Schritte zur Seite, wo sich ein Gebäude befinden sollte. Der Ort war leer. Irgendetwas stimmte hier nicht und Milo war sich sicher, dass es mit dem gespenstigen Nebel zusammenhing. Wie aber sollte er hier wegkommen? Und wie sollte er sich verteidigen ohne seine Waffe? Wie war er überhaupt in diese Situation gekommen und wo genau befand er sich? Einen kurzen Moment überlegte er, ob es sinnvoll war, nach einem Ausweg zu suchen, oder ob er lieber an Ort und Stelle bleiben sollte. Seine Sicht war gleich Null, so dass er sich schnell verletzen könnte.

Milo wurde die Entscheidung abgenommen, als er auf einmal ein dumpfes Geräusch hörte. Die Tatsache, dass es durch den beinahe greifbaren Nebel drang, musste bedeuteten, dass es bereits sehr nah war. Es klang wie ein Heulen, das dem Mann einen neuerlichen Schauer über den Rücken jagte. Ohne weiter darüber nachzudenken, setzte er sich in Bewegung. Was auch immer es war, er war sich sicher, dass es das war, was ihm aus dem Wald gefolgt war. Konnte es sich dabei möglicherweise doch um einen Geist handeln?

Erst hatte sich Milo langsam voran getastet. Doch schnell war ihm klar geworden, dass es hier wirklich keine Hindernisse gab. Schließlich hatte er zu rennen begonnen. So weit er aber auch lief, das Geräusch schien nur immer näher zu kommen. Es war beinahe so, als würde er auf der Stelle laufen. Vollkommen außer Atem blieb er letztendlich stehen und drehte sich in die Richtung, aus der er glaubte den Lärm zu hören. Er hatte eingesehen, dass er ihm nicht entkommen würde. Er würde diesen Ort nicht verlassen können. Er würde sich verdammt noch mal nicht einmal wehren können.

Bis aufs äußerste gespannt starrte er in den dichten Nebel vor sich, versuchte irgendetwas zu erkennen, während das Heulen immer lauter wurde und plötzlich aus allen Richtungen zu kommen schien. Der endlose grauweiße Dunst wurde plötzlich von einem bläulichen Licht durchbrochen, das Milos Befürchtungen nur bestätigte. Er kannte sich nicht mit Geistern aus, doch als er dieses formlose Licht sah, war es genau dieses Wort, das ihm durch den Kopf schoss. Ohne darüber nachzudenken, traf er eine Entscheidung und sprach das Wesen an.

„Es tut mir leid, ich wollte deine Ruhe nicht stören.“ Unerwarteterweise stoppte der unerträgliche Lärm endlich. Das Licht, welches sich nun deutlich von dem Nebel abhob, schwebte vor dem Mann, kam aber nicht weiter näher. Milo war sich nicht sicher gewesen, ob es in der Lage war, ihm zu antworten, weswegen er gar nicht erst die üblichen Fragen gestellt hatte. Nachdem es nun aber auf seine Stimme reagiert hatte, versuchte er doch sein Glück. „Was bist du? Wo sind wir hier?“ Er versuchte die Angst so gut es ging aus seiner Stimme zu verbannen. Wenn ihm in der jetzigen Situation etwas nichts brachte, dann war es Angst. Als ein wütendes Heulen zu hören war, konnte er jedoch nicht länger an sich halten. Wieder kam dieses Wesen auf ihn zu. Er schlug danach, doch seine Hand glitt widerstandslos durch das Licht. Augenblicklich breitete sich eisige Kälte in ihr aus, die keine Zweifel daran ließ, dass dieses Wesen nicht gutgesinnt war. Erneut begann Milo zu rennen. Er konnte nichts gegen diese Körperlose Gestalt ausrichten. Dem tauben Gefühl in seinem Arm nach zu urteilen beruhte dies aber nicht auf Gegenseitigkeit. Was blieb ihm anderes übrig als die Flucht? Möglicherweise hatte er es eben nicht lange genug probiert und er könnte doch von diesem Ort hier entkommen.

Mit dieser unrealistischen Hoffnung rannte der Mann so lange, bis er vollkommen außer Atem war. Die ganze Zeit über brauchte er sich nicht umzudrehen, um nach seinem Verfolger zu schauen. Das laute Heulen hatte keinen Augenblick lang an Intensität verloren und so verwunderte es ihn nun nicht, als er das Licht bei einem Blick nach hinten sah. Er konnte nur so weit vor ihm wegrennen, dass es ihn nicht erreichen konnte. Doch auf lange Sicht würde er dieses Spiel verlieren. Milo haderte mit sich selbst, einfach stehen zu bleiben. Wenn ihm weder Kampf noch Flucht gelangen, was blieb ihm da schon übrig? Falls es einen Weg gab gegen Geister vorzugehen, dann kannten ihn höchstens Magier oder andere unmenschliche Wesen.

Abrupt blieb Milo stehen und drehte sich um. In nur wenigen Sekunden war das Licht so nah gekommen, dass die eisige Kälte den Mann vollkommen einhüllte. Es fühlte sich so an, als würde er seine Energie verlieren und vermutlich war es auch genau das, was gerade geschah. Von den Gliedmaßen beginnend breitete sich die Kälte langsam zu seiner Körpermitte hin aus. Wie unsichtbare Geisterhände, die nach ihm griffen, um ihm seiner Lebensenergie zu berauben. Er spürte, wie er langsam benommen wurde.

Als der Lichtschein kurz davor war, Milo einzuhüllen, kam diesem ein gehauchtes Wort über die Lippen, welches auf einmal wie ein Geistesblitz, der sein Problem lösen würde, durch den Kopf schoss. „Fenin.“ Er konnte nicht einmal darüber nachdenken, wie lächerlich es war, dafür fehlte ihm bereits die Energie.

Das nächste, was er sah, war eine Flut aus Blüten, die ihn mit einem Mal einhüllte und so von dem Lichtwesen trennte. Das kalte Gefühl der Hoffnungslosigkeit wurde von einer warmen, duftenden Brise vertrieben. Das Letzte was er sah, bevor ihm schwarz vor Augen wurde, waren die gewundener Hörner, die er bereits einmal gesehen hatte.
 

Als Milo wieder zu sich kam, stürzte eine Vielzahl von Eindrücken auf ihn ein. Das Erste was er spürte, waren seine plötzlich schmerzenden Gelenke. Das Erste was er hörte, war das Fegen des Windes durch kahle Baumkronen. Es kostete ihn etwas Mühe seine Augen zu öffnen. Das Erste was er sah, war das Tageslicht, was eine nie dagewesene Erleichterung in ihm auslöste. Für einen Augenblick glaubte er, einfach nur aus einem Albtraum erwacht zu sein. Das Nächste was er jedoch sah, war ein Mann mit feinen Gesichtszügen in einem dunkelroten Gewandt, der ihm gegenüber an einen Baum gelehnt saß. Die hellen Augen waren ungerührt auf ihn gerichtet, was Milo sogleich dazu brachte, sich aufzusetzen. Die Schmerzen in seinem Körper nahmen zu, was er zu ignorieren versuchte. Ein kurzer Blick verriet ihm, dass er sich nicht mehr in der Stadt befand. Er konnte nur vermuten, dass Fenin es gewesen war, der ihn hierher in den Wald geschleppt hatte. Möglicherweise war er aber auch selbst hierhin gelaufen, als er sich in dem dichten Nebel befunden hatte. Obwohl Milo spürte, dass dieser Zwischenfall zeitlich schon etwas zurücklag, löste allein der Gedanke daran eine Gänsehaut bei ihm aus. Gleichzeitig erinnerte er sich daran, wie ihm die Flucht gelungen war. Geradezu missmutig legte sich sein Blick wieder auf den Dämon, wobei er einen direkten Blickkontakt gekonnt vermied.

Hatte Fenin ihn wirklich gerettet? Oder war das alles nur eine List des anderen? Alles was Milo wusste war, dass er ihn nicht verurteilen konnte. Immerhin war er es gewesen, der ihn in seiner Verzweiflung gerufen hatte, dabei hatte er nicht einmal wissen können, ob ein Dämon wirklich in der Lage war, gegen einen Geist anzugehen. Ganz davon abgesehen, dass er nicht gedacht hätte, dass Fenin wirklich noch in der Nähe war. Als ihm dies bewusst wurde, senkte er seinen Blick zu Boden. Er hatte tatsächlich einen Dämon um Hilfe gerufen.

Weder Milo noch Fenin taten den ersten Schritt, so dass sie eine ganze Weile einfach nur schweigend dasaßen. Erst war Milo unwohl unter den Blicken des anderen gewesen, doch schnell war das vertraute Gefühl aus der Zeit zurück, die sie gemeinsam verbracht hatten. Etwas zu schnell für seinen Geschmack. Der andere war noch immer ein Dämon, wie konnte er sich nur derart in dessen Gegenwart entspannen? Andererseits könnte er ihn nun auch nicht einfach so angreifen und somit seine Worte von damals wahrmachen. Er hatte gesagt sie würden kämpfen, wenn sie sich wieder über den Weg liefen. Jedoch war er es, der Fenin gerufen hatte. Und allem Anschein nach verdankte er ihm nun schon zum dritten Mal sein Leben. Doch warum half Fenin ihm? Warum war er überhaupt noch in der Nähe gewesen?

„Dein Stab.“ Mit diesen Worten war es letztendlich Fenin, der das Schweigen durchbrach und Milo dazu brachte, aufzuschauen. Tatsächlich hielt er den Hirtenstab in seinen Händen und reichte ihn Milo. Dieser musterte das Holz kurz misstrauisch. Es war tatsächlich sein Stab, den er zögernd annahm. Wollte Fenin ihm wirklich nichts antun?

Milo ging die ganze Sache mehr als nur gegen den Strich. Er hatte seine Prinzipien, die ihn bisher weit gebracht hatten. Doch durch Fenins Verhalten und seine eigene Unfähigkeit konsequent zu bleiben, wurden eben diese auf eine harte Probe gestellt. Konnte er es sich wirklich erlauben weich zu werden und Ausnahmen zu machen?

„Darf ich mit dir kommen?“ Diese Frage riss ihn nicht nur aus seinen Gedanken, sondern ließ den Mann sogar zu dem anderen aufschauen. Sie war unerwartet gekommen und brachte sein Inneres noch stärker ins Wanken. Als sich ihre Blicke trafen und er Fenins weichen Ausdruck bemerkte, spürte Milo ein unruhiges Gefühl in seinem Inneren.

Ein violett-türkiser Schmetterling zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Nur zu gerne wandte Milo seinen Blick ab. Mit der Gewissheit, dass diese Insekten definitiv auf den anderen zurückzuführen waren, presste Milo seine Lippen aufeinander. Schweigen war alles, was der Dämon als Antwort auf seine Frage erhielt.

Lavendel


 

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„Milo, wo bleibst du denn?“ Der Junge mit dem dunkelblondem Haar stand bereits mitten auf der Wiese zwischen den Schafen. Heute sollten sein Bruder und er ihrem Vater beim Hüten helfen. Eigentlich eine Aufgabe, der Milo gerne nachkam. Eigentlich. Er tat es seinem Vater immer gleich und trug einen Stock mit sich, um die Tiere zu treiben. Am liebsten würde er den gewundenen Stab seines Vaters verwenden, doch diesen durfte er nicht einmal anfassen. Der Junge hatte diese Regel nie verstanden, umso mehr Mühe hatte er sich mit dem Finden eines passenden Stockes gegeben. Genau dieser Stock hatte diesen Morgen aber nicht mehr neben der Tür gestanden. Milo konnte sich denken, dass sein jüngerer Bruder ihn mit in die Stadt genommen hatte. Er war etwas verärgert, aber vor allem traurig darüber. So kam es, dass er nun am Boden nach einem schnellen Ersatz suchte, während sein Vater bereits damit begonnen hatte, das Vieh in Richtung der weiten Ebenen in der Nähe zum Grasen zu treiben.

„Ich brauch einen neuen Stab!“, rief Milo zurück.

„Den kannst du noch unterwegs suchen. Komm jetzt!“ Nur ungern gab er seinem älteren Bruder nach.

Trotz des schlechten Starts in den Tag, hatte Milo bald einen neuen Ast gefunden, der ihm beinahe noch besser gefiel, was in erster Linie daran liegen mochte, dass er von seinem Vater gelobt worden war. Als sie am Abend zurückkamen, hatte seine Mutter bereits gekocht. Sie wurden von dem jüngsten der drei Söhne begrüßt. Als dieser Milo seinen Hirtenstock zurückgeben wollte, lehnte er ab und schenkte ihn ihm stattdessen. Schließlich hatte er nun einen neuen.

Milo genoss das Abendessen mit seiner Familie nach einem Tag wie diesem. Als es draußen bereits dämmerte, war plötzlich ein unruhiges Blöcken ihrer Schafe im Stall zu hören. Ohne zu zögern sprang der Vater auf, schnappte sich seinen Stab und rannte nach draußen. Milo wollte ihm folgen, doch seine Mutter hielt ihn wie immer zurück. In dieser Gegend kam es öfter vor, dass Vieh gerissen wurde. Doch mit seinem Stab konnte der Mann nicht nur Schafe hüten, sondern auch gegen Monster aus den Wäldern kämpfen. Milo war wirklich enttäuscht darüber, dass er nie dabei zuschauen durfte.

Für gewöhnlich dauerte es nicht lange, bis wieder Ruhe einkehrte und ihr Vater zurückkam. Dieses Mal war es jedoch anders. Ein lauter Schrei war zu hören, gefolgt von einem krachenden Geräusch, das wie brechendes Holz klang. Sie alle sprangen von dem Tisch auf und wollten zur Tür rennen, um nachzuschauen. Ihre Mutter konnte gar nicht so schnell reagieren, um sie alle aufzuhalten. Das war jedoch auch nicht nötig, da im nächsten Augenblick die Tür, die sie gerade noch angesteuert hatten, aufflog. Sie wurde aus den Angeln gerissen und schlug auf den Boden, gefolgt von einer grellen, heißen Stichflamme. Milo konnte seinen älteren Bruder, der der Tür am nächsten gewesen war, schreien hören. Noch bevor er sich ihm zudrehen konnte, wurde er an der Hand gegriffen und weggezerrt. Seine Mutter hatte ihn und den Jüngeren gerade noch rechtzeitig zur Hintertür gebracht. Hinter ihnen brach ein Inferno los. Das gesamte Haus stand bereits lichterloh in Flammen, als sie nach draußen traten. Genauso wie der Stall.

In der hereinbrechenden Dunkelheit sah das ganze Schauspiel beinahe atemberaubend aus. Wäre es nur nicht ihre ganze Existenz gewesen. Trotz des puren Grauens, das sich ihnen bot, entging Milo ein kleiner Funke am Rande seines Blickfeldes nicht. Ein Schmetterling, mit einer ungewöhnlich violetten Färbung. Doch der Junge hatte keine Zeit, ihm Beachtung zu schenken. Seine Mutter wurde gerade vor seinen Augen von einem Fremden, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war, vier lange Hörner am Kopf trug und feuerrotes Haar hatte, an der Kehle in die Luft gehoben. Milo schrie sich die Lunge aus dem Leib, doch alles was er damit bewirkte war, dass die Aufmerksamkeit dieses Ungeheuers ihm galt, nachdem der leblose Körper der Frau zu Boden gefallen war. Das Weinen seines Bruders erreichte nur als dumpfer Laut sein Bewusstsein. Er wusste, dass er gegen dieses Wesen keine Chance hatte. Die gelb glühenden Augen bohrten sich in die Milos. Sie brannten sich geradezu in seinem Gedächtnis ein.

Ohne darüber nachzudenken rannte Milo zurück in das brennende Gebäude. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihm dorthin jemand folgen würde, auch wenn es vielleicht seinen Tod bedeutete. Tatsächlich kam der fremde Mann ihm nicht hinterher, genauso wenig wie sein kleiner Bruder. Durch den dichten Qualm, der das gesamte Haus erfüllte, wurde dem Jungen schnell schwindelig. Er wagte sich trotz allem nicht nach draußen, wodurch ihm schließlich schwarz vor Augen wurde.
 

Schweißgebadet schlug Milo seine Augen auf. Sein Herz raste, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen. Es war nicht das erste Mal, dass er sich in Form eines Traums an die Ereignisse von damals erinnerte. Es war aber das erste Mal, dass er den Traum anschließend so klar vor Augen hatte. Dabei entging ihm der eine Punkt nicht, an den er sich bisher nicht hatte erinnern können. Vermutlich, weil es damals keine Bedeutung für ihn gehabt hatte. Nun aber wusste der Mann, dass ein farbenfroher Schmetterling mit Monstern in Verbindung gebracht werden konnte. Es musste das erste Mal gewesen sein, dass dieses Phänomen aufgetreten war. Langsam klärte sich Milos Blick, so dass er Fenins Anwesenheit bewusst wurde. Dieser saß keine Armlänge von ihm entfernt und schaute ihn aufmerksam an. Sein Gesicht wurde von dem kleinen Feuer, das sie zum Wärmen gemacht hatten, angeleuchtet. Bei dem Anblick lief Milos Rücken ein Schauer hinunter. Er fand es noch immer befremdlich, dass sich ein Dämon in seiner Nähe aufhielt. Besonders nachdem er einen solchen Traum gehabt hatte machte es ihm zu schaffen. Immerhin war es nicht nur ein Traum, sondern seine Vergangenheit. Der Grund aus dem er seine Eltern, seine Geschwister und alles Vertraute verloren hatte. Eine unbändige Wut stieg in ihm auf. Über die Jahre hatte Milo irgendwie gelernt, mit seinem Verlust umzugehen. Trotzdem hätte er sich gerade am liebsten an irgendetwas oder irgendjemandem abreagiert.

Sie hatten sich seit dem Vorfall gestern nicht weit von der Stadt wegbewegt. Milo hatte sich auch heute noch erschöpft gefühlt. Da er nicht widersprochen hatte, war Fenin ihm tatsächlich gefolgt. Er wusste wirklich nicht, was er davon halten sollte, doch der Dämon hatte sich nicht nur ruhig sondern auch distanzierter als damals verhalten. Zu gerne würde er wissen, was der andere damit erreichen wollte. Das Naheliegendste war wohl, dass er hinter seine Seele her war, doch warum würde er sich dann all diese Mühen machen und sie nicht einfach nehmen? Es war das erste Mal seit gestern, dass er etwas sagte.

„Weißt du, warum ich Monster jage?“

„Du kannst sie nicht leiden“, war die nüchterne Antwort Fenins. Das war nicht schwer zu erraten, trotzdem verstand er nicht, wie der Dämon so ruhig bleiben und ihn auch noch in die Augen schauen konnte, schließlich war er ebenfalls davon betroffen.

„Und wieso bist du dann zurückgekommen? Hast du einen Todeswunsch?“ Milo bereute seine verärgerten Worte augenblicklich wieder. Er war es gewesen, der nach Fenin gerufen hatte. Auch wenn das vielleicht nicht der Grund gewesen war, aus dem der andere aufgetaucht war, so hatte er ihn trotzdem gerufen. Ihm dann die Schuld für seine Anwesenheit zu geben fand selbst er arrogant. Doch Fenin ging gar nicht erst darauf ein.

„Ich fand unsere Reise sehr angenehm und hatte das Gefühl, dass es dir nicht anders erging.“ Das schlimme war, dass er Recht hatte. Bevor er um sein Wesen gewusst hatte, hatte er Fenin wirklich gemocht. Diese Tatsache regte ihn nur noch mehr auf, so dass das Folgende geradezu aus ihm herausplatzte.

„Weil ich getäuscht wurde. Einer wie du hat meine gesamte Familie getötet, mir alles genommen, was ich hatte. Das ist der Grund, warum ich weder einen Dämonen noch eine Bestie am Leben lassen kann. So lange sie existieren wird es immer wieder Leid geben. Und genau deswegen kann ich dich nicht um mich akzeptieren.“ Nach dem letzten Satz biss er sich leicht auf die Unterlippe. Er hatte seine Leidensgeschichte noch nie laut ausgesprochen und war mehr als froh darüber, dass ihm nicht die Tränen kamen. Gleichzeitig beobachtete er die Miene des andere, die trotz des Erfahrenen erstaunlich ungerührt blieb.

„Wieso hast du mich dann noch nicht angegriffen? Dass ich dein Leben gerettet habe, dürfte in diesem Fall doch keine Rolle für dich spielen.“ Milo knurrte leise bei seinen Worten. Doch bevor er antworten konnte, sprach Fenin weiter. Seine Stimme, wie auch seine Gesichtszüge wurden auf einmal sanft. „Nur weil ein Mensch dir Schaden zufügt, tut es der nächste nicht auch.“ Irritiert schaute Milo ihn an. Seine Gedanken waren gerade zu durcheinander, als dass er daraus einen Sinn ableiten konnte.

„Und was hat das damit zu tun?“ Eigentlich hatte er gereizter klingen wollen, doch irgendwie war ein Großteil seiner Wut mit einem Mal verflogen.

„Ein anderer Dämon hat dir Schaden zugefügt. Was habe ich damit zu tun?“ Tatsächlich ließ ihn diese Frage verstummen und darüber nachdenken.

Natürlich war etwas an Fenins Worten dran. Er hatte ihn immerhin auch in der Vergangenheit einige Male vor Schaden bewahrt und somit das genaue Gegenteil bewiesen. Jedoch war es nicht einfach für Milo, auf einmal eine ganz andere Einstellung einzunehmen. Das war alles, wofür er sein halbes Leben lang gelebt und was er bis ins Mark verinnerlicht hatte. Wenn er nun etwas daran änderte, wo sollte er dann in Zukunft die Trennlinie ziehen?

„Milo, wusstest du, dass es unterschiedliche Dämonen gibt?“ Fragend schaute der Mann auf. Ihm war klar, dass es einen Unterschied zwischen dem Dämon aus Lysils Dorf und jenem gab, der seine Familie ausgelöscht hatte. Doch für ihn hatte dieser Unterschied immer nur in der Stärke gelegen. „Teil sie meinetwegen in zwei Gruppen ein. Diejenigen, die lediglich ihre niederen Gelüste ausleben und jene, die wie Menschen auch ihr eigenes Verhalten steuern können.“

„Und du gehörst zu den Guten?“, mutmaßte Milo. Er wollte das noch immer nicht so recht akzeptieren. Zu seiner Überraschung schüttelte Fenin mit dem Kopf.

„Nur weil man es kann, heißt es nicht, dass man auch einen moralisch vertretbaren Weg wählt. Gut und Böse wird von jedem anders empfunden. Ich sehe lediglich keinen Sinn darin, meine Stärke auszuleben, nur weil ich es kann.“ Im Gegensatz zu dem Dämon, dem Milo als Kind begegnet war, dachte sich dieser.

Er musterte Fenin einen Augenblick. Er sah wieder wie ein normaler Mensch aus, auch wenn seine feinen Gesichtszüge mit einem Mal zu edel, seine hellen Augen mit einem Mal zu rotstichig wirkten. Die Hörner und Klauen waren verschwunden. Milo konnte nur mutmaßen, dass dies eine Fähigkeit jener Dämonen war, die angeblich so selbstbestimmt waren. Wenn der Mann ehrlich war, dann wusste er nicht viel über Dämonen. Die meiste Zeit hatte er auch nur mit Bestien zu tun. Anscheinend hatte er etwas zu lange den anderen angestarrt, da dieser auf einmal wieder zu sprechen begann.

„Du fragst dich, warum ich jetzt so anders aussehe?“, hatte er seine Blicke richtig gedeutet. „In dieser Form besitze ich keine nennenswerte Kräfte, dafür kann ich mich unbemerkt zwischen den Menschen bewegen. Jeder zieht seine eigenen Vorteile daraus.“

„Ich schätze gegen einen solchen Dämon hätte ich keine Chance?“ Auf seine nur halb ernst gemeinte Frage lächelte Fenin ihn lediglich leicht an.

Freesie


 

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Am nächsten Tag brachen die beiden Männer zusammen auf. Milo wusste nach wie vor nicht, was er davon halten sollte, doch er brachte es auch nicht über sich, Fenin wegzuschicken. Nicht nur hatte er ihm schon wieder geholfen, auch erklärte er ihm mit seiner ruhigen Art fast alles, was Milo ihn fragte. So erfuhr er, dass er es tatsächlich mit einem Geist zu tun gehabt hatte. Fenin hatte ihn ein Irrlicht genannt. Ein Wesen, das üblicherweise in dunklen, nebligen Gebieten seine Opfer durch sein Leuchten zu sich lockte. Warum er dieses untypische Verhalten gezeigt hatte und ihm gefolgt war, hatte er ihm nicht sagen können, aber es war sein Glück gewesen, dass der Dämon in der Nähe gewesen war. Wie er bereits vermutet hatte, war ein Mensch nicht in der Lage sich gegen ein derartiges Wesen zu wehren, wenn es ihn erst einmal in sein Reich gezogen hatte. Es hatte bereits damit begonnen gehabt, sich an Milos Lebensenergie zu nähren.

Auch wurde ihm klar, warum sich Fenin anderen Menschen gegenüber immer so abweisend und für Milo vollkommen ungewohnt verhalten hatte. Dämonen gaben sich üblicherweise nicht mit Menschen ab, das hatte er ihm selbst bestätigt. Umso mehr fragte sich der Mann, warum er ihm dann so hartnäckig folgte. Da er langsam aber sicher jegliche Hemmungen dem anderen gegenüber verlor, scheute er sich nicht, genau dies zu fragen.

„Hatte ich nicht bereits gesagt, dass mir die gemeinsame Zeit sehr gefallen hat?“ Milo runzelte seine Stirn über diese Antwort.

„Aber ich bin doch nur ein Mensch.“ Eigentlich hatte er weiterreden wollen. Stattdessen biss er sich nun auf die Unterlippe, da ihm seine eigenen Worte gegen den Strich gingen. Was meinte er mit nur ein Mensch? Was sonst sollte er sein? Alles andere wäre falsch.

„Für mich macht so etwas keinen Unterschied, wenn ich jemanden mag.“ Augenblicklich schaute Milo zur Seite. Wieso sagte er ihm so etwas? Nicht nur machte er es ihm so noch schwerer, ihn nicht zu mögen. Auch spürte er, wie sein Inneres bei diesen Worten warm wurde. Wie konnte er selbst sich so verraten? Danach hatte sich dieses Gespräch für den Mann erledigt. Er wollte sich nicht noch mehr von diesem Blödsinn anhören.
 

Tatsächlich blieb Fenin auch die nächsten Tage bei ihm. Milo verstand selbst nicht so recht, wie er das zulassen konnte. Gleichzeitig genoss er aber das Gefühl der gewohnt angenehmen Gesellschaft, das er ins Geheime über die letzten Wochen wohl doch vermisst hatte. Mit jedem Tag wurde sein innerer Zwiespalt geringer, manchmal vergaß er sogar kurz, dass Fenin ein Dämon war. Er war wirklich nicht ansatzweise so wie die Monster, die er so hasste.

Als sie an diesem Abend an einem Felsvorsprung in der Nähe eines Baches vorbeikamen, entschieden sie sich dazu, dort zu rasten. Milo war heute besonders gut gelaunt. Er hatte mittlerweile nicht nur eingesehen, dass er Fenins Gegenwart genoss, sondern auch, dass er die letzten Wochen furchtbar alleine gewesen war. Er konnte selbst nicht begreifen, wie er das hatte verdrängen können. Während Fenin ein Feuer machte, suchte sich Milo eine windgeschützte Stelle unter dem Fels und zog seinen Mantel vor der Kälte schützend näher und versuchte sich von diesen Gedanken abzulenken. Nachdenklich beobachtete er den anderen dabei, wie er mit seinem magischen Stein ein kleines Feuer erzeugte.

„Kannst du nicht viel einfacher Feuer machen?“ Er wollte ihn nicht direkt auf seine dämonische Fähigkeiten ansprechen, bis jetzt war das für Milo noch ein Tabuthema gewesen. Außerdem erinnerte es ihn in diesem Fall zu stark an seine Kindheit. An den Dämon, der mit einem Inferno sein Haus und seine Familie ausgelöscht hatte. Ein eisiger Mantel legte sich um sein Herz, als er sich daran zurück erinnerte. Er hatte längst gesehen, dass auch Fenin durchaus mächtig war, doch mit Feuer hatte er bisher nichts zu tun gehabt. Dieser schaute ihn kurz fragend an, ehe er zu verstehen schien.

„Jeder hat andere Fähigkeiten. Feuer ist nichts, was ich kontrollieren oder gar aus dem Nichts erzeugen kann.“ Milo nickte nur und richtete dann seinen Blick auf die kleine Flamme, die langsam an den Zweigen entlangzüngelte und größer wurde. Um diese Jahreszeit war es schwierig trockenes Holz zu finden, so dass selbst dieses kleine Feuer viel Qualm erzeugte. „Ich habe Kräuter gesammelt.“ Fenin holte ein paar grüne Pflanzen hervor und ließ Milo so wieder aufschauen. Dem Mann war längst klar, dass der andere deutlich mehr Ahnung hatte, als dieser damals vorgegeben hatte. Vermutlich hatte er ihn nicht nur einmal angelogen.

„Willst du eigentlich noch nach Trora?“, fragte er möglichst beiläufig, als er die Pflanzen entgegennahm. Auch wenn sie nach nicht viel aussahen, so schaffte Fenin es immer wieder, welche mit sättigender Wirkung zu finden, so dass er stets dankbar dafür war.

„Nein“, war die knappe Antwort. Milo genügte dies, schließlich war er bereits davon ausgegangen, dass dies nur ein Vorwand gewesen war. Offensichtlich hatte er so die Möglichkeit gehabt, länger mit ihm zu reisen. Ob es diese Stadt überhaupt gab? Er fragte nicht nach, um sich die Scham zu ersparen, eine mögliche Lüge geglaubt zu haben.

Für eine Weile saßen sie einfach nur da, aßen und lauschten dem Klang des Waldes und des knisternden Feuers. Milo genoss die Wärme, die von den Flammen ausging. Der Winter konnte nun jederzeit mit dem ersten Schnee hereinbrechen. Es war kalt und er hatte keine Vorräte mehr bei sich. Normalerweise würde er sich um diese Jahreszeit nicht mitten in der Wildnis aufhalten. Es war Fenin verschuldet, dass er sich nicht ganz so verloren fühlte, obwohl der Dämon allem Anschein nach andere Bedürfnisse als er selbst hatte und demnach vermutlich nicht so schnell verhungern oder erfrieren würde. Außerdem war es kein sonderlich beruhigender Gedanke, von einem Dämon abhängig zu sein. Wie schon die letzten Tage verdrängte Milo diese Gedanken auch jetzt wieder.

Ein leises Raschel ließ ihn aufschauen. Fenin war aufgestanden und hatte sich näher zu ihm gesetzt. Es war das erste mal seit sie wieder zusammen waren, dass sie sich so nah kamen, auch wenn es nicht mit der Nacht in dem Bergstall zu vergleichen war. Dennoch ließ es den Mann unruhig werden, was sich scheinbar auch deutlich in seinem Blick widerspiegelte, da Fenin mit einem Mal inne hielt.

„Dir ist kalt.“ Milo war sich nicht sicher, ob dies eine Begründung für sein Verhalten oder einfach nur eine Feststellung zum Themenwechsel sein sollte. Was konnte Fenin schon dagegen unternehmen? Ihn warmhalten? Bei dem Gedanken wurde Milo nur noch unruhiger, weswegen er leicht den Kopf schüttelte.

„Schon in Ordnung, das Feuer ist sehr angenehm.“ Das war es wirklich. Leider war es auch sehr klein. Sein Rücken befand sich trotz allem im Schatten und lud die Kälte geradezu ein.

Milo war sich nicht sicher, womit er gerechnet hatte. Als Fenin aber auf einmal seinen roten Umhang auszog, weiteten sich seine Augen.

„Bist du verrückt?“ Er wollte nicht ausfallend werden. Allerdings würde es Milo auch nichts bringen, wenn der andere erfror oder krank wurde. Dieser lächelte ihn nur leicht an.

„Ich bin ein Dämon. Diese Temperaturen können mir noch nichts anhaben. Wenn du schläfst wirst du aber erst recht frieren.“ Fenin streckte ihm den dicken Stoff entgegen und stellte Milo damit vor einen inneren Konflikt. Einerseits hatte Fenin mit seiner Aussage Recht und er würde sich wirklich gerne noch wärmer einpacken. Andererseits bereitete ihm alleine der Gedanke daran ein komisches Gefühl. Von Fenin etwas anzunehmen war eine Sache. Wenn es sich dabei aber um seinen Umhang handelte, den er rund um die Uhr trug und der höchstwahrscheinlich nach ihm roch, um sich damit dann zuzudecken... Bei der Vorstellung schüttelte er unbewusst erneut mit dem Kopf. Er wollte weder sich noch Fenin das Gefühl geben, dass dieser rund um die Uhr auf ihn aufpassen und sich um ihn kümmern musste. Bisher war er auch bestens alleine zurecht gekommen.

Milo glaubte ein leises Seufzen zu hören, ehe Fenin seinen ausgestreckten Arm mitsamt dem Kleidungsstück sinken ließ. Möglicherweise ließ ihn der rötliche, flackernde Schein des Feuers Dinge sehen, die nicht da waren, doch für eine Moment glaubte er einen verletzten Ausdruck auf dem Gesicht des anderen zu sehen. Mit einem Mal hatte Milo das Bedürfnis, ein Gespräch zu starten.

„Du hattest vorhin von Fähigkeiten gesprochen.“ Warum er nun gerade jetzt auf dieses bisher so vehement gemiedene Thema kam, wusste der Mann selbst nicht. Doch er war bereits so durcheinander, dass er es anscheinend für eine gute Idee hielt.

Gerade heute hatte er gedacht, dass er sich endlich einigermaßen mit der Tatsache, dass Fenin ein Dämon war, abgefunden hatte, aber anscheinend befand sich noch immer diese Barriere zwischen ihnen. Möglicherweise würde er auch nie wieder unbefangen mit dem anderen umgehen können.

„Du hast sie schon mal gesehen, als ich die Bärenbestie aufgehalten habe“, begann Fenin ruhig zu erzählen. Seinen Umhang legte er vor sich auf den Boden.

„Was ist es?“, fragte Milo nach, nachdem sie einen Augenblick geschwiegen hatten. Wenn er schon dabei war, dann konnte er auch das fragen. Er kannte sich nicht mit diesen Dämonen aus und war dementsprechend neugierig, auch wenn er es dabei vermied den anderen anzuschauen.

„Man könnte mich als einen Blumendämon bezeichnen.“ Milo glaubte so etwas wie ein Schmunzeln in seiner Stimme zu hören. „Ich bin in erster Linie in der Lage Pflanzen und Blüten jeglicher Art wachsen zu lassen.“ Wie um es zu beweisen hob er seine rechte Hand über den belaubten Boden, wo nach nur wenigen Sekunden ein grüner Stiel wuchs, der letztendlich in einer blauen Blüte endete. Wie gebannt schaute Milo die kleine Pflanze an. „In meiner menschlichen Form bin ich natürlich nicht so machtvoll.“

„Heißt das, du hast die ganzen Kräuter selbst wachsen lassen?“, stellte Milo mit einem Mal überrascht fest. Als Antwort bekam er nur ein schiefes Lächeln. Aus irgendeinem Grund überraschte ihn das mehr, als es sollte. Er hatte wirklich gedacht, dass Fenin die Pflanzen stets selbst fand. Das würde jedoch erklären, warum er bei seiner Suche immer so erfolgreich war. „Mit Blumen kann man nicht richtig kämpfen, oder?“ Seine Frage war eigentlich unsinnig, immerhin hatte er selbst gesehen, was Fenin mit der Bestie angestellt hatte. Dennoch fand er diese Kraft nicht vergleichbar mit dem Feuerinferno, dem er damals gegenübergestanden hatte.

„Jede Fähigkeit hat ihre eignen Vorteile. Und in einem Nahkampf benötige ich sie nicht um einen Feind zu besiegen. Für Zerstörung und Chaos ist sie nicht geeignet. Eine derart destruktive Kraft würde ich aber auch nicht besitzen wollen.“ Nun gelang es Fenin doch, Blickkontakt mit Milo herzustellen, welcher über dessen Worte nachdachte. So recht begreifen konnte er jedoch nicht, warum der Dämon so dachte.

„Wofür ist sie dann gut?“ Mit einem Mal hatten Neugierde und Interesse die Oberhand gewonnen. Das Thema war nicht ansatzweise so schlimm, wie er es sich vorgestellt hatte. Fenin lehnte sich kaum merklich ein Stück zurück.

„Nun, ich finde heilende Pflanzen als unaufhörliche Quelle schon sehr praktisch. Ich kann auch größere Pflanzen so wachsen lassen, wie ich es will und so unter anderem einen dauerhaften Unterschlupf schaffen.“ So wie er das sagte, schien das etwas zu sein, was Fenin tatsächlich öfter tat. Milo versuchte sich vorzustellen, wie der andere in einem Baumhaus lebte, scheiterte aber daran. „Außerdem stoße ich einen ganz eigenen Körpergeruch aus, der auf andere Lebewesen unterschiedliche Wirkungen zu haben scheint. Mir wurde mal gesagt, ich rieche selbst wie eine Blume.“ Milo entging es nicht, dass er bei dem letzten Satz leicht seine Lippen verzog. Gleichzeitig fiel ihm auf, dass Fenin noch nie so offen gesprochen hatte.

Auf die Aussage nickte der Mann kurz. Auch ihm war der Geruch nicht entgangen. Mit einem Mal verstand er, was es damals mit diesem seltsamen Geruch auf sich gehabt hatte, den er nicht nur einmal vernommen hatte. Es war also wirklich Fenins Geruch gewesen, der aufgrund seines Wesens so außergewöhnlich war.

„Was für Wirkungen sind das?“, fragte Milo nach, einfach um das Gespräch am Laufen zu halten.

„Das kannst du gerne selbst herausfinden“, bot Fenin an, beugte sich wieder nach vorne und streckte ihm sein Handgelenk etwas entgegen. Milo musterte es einen Augenblick lang zögerlich. Einzig aus dem Grund, dass er wusste, dass Fenin ihm nichts tat und der Tatsache, dass er nicht wirklich eine Wirkung erwartete, beugte er sich ihm leicht entgegen, um ganz bewusst den süßlichen Geruch einzuatmen.

Nicht nur war Milo dem anderen bei Bewusstsein noch nie derart nah gewesen, auch hatte er dessen Geruch noch nie so intensiv wahrgenommen. Dieser war nicht nur überaus süß und erinnerte tatsächlich etwas an den Nektarduft einer Blume, er schien ihm gleichzeitig auch Freiheit und Geborgenheit zu versprechen. Milo wusste nicht so recht, was er mit diesen Gefühlen, die sich plötzlich in seinem Inneren ausbreiteten, anfangen sollte. Seine Brust zog sich sich unangenehm zusammen. Benommen griff er nach Fenins Hand.

„Was ist?“ Die Frage klang überrascht und ließ Milo zu dem anderen aufschauen. Als er Fenins Gesicht sah, wurde sein Kopf wie leergefegt. Nicht nur dachte Milo an nichts mehr, auch schien sein Körper einen eigenen Willen entwickelt zu haben.

Ehe er sich versah oder einer von ihnen reagieren konnte, hatte sich der Mann noch weiter nach vorne gebeugt und seine Lippen auf die des anderen gelegt.

Hortensie


 

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Es dauerte einige Sekunden, bis Milo wieder zu sich kam. Fenin legte die Hand auf seine Schulte, was ihn letztendlich die Augen aufreißen und zurückschrecken ließ. Ungläubig starrte er den anderen an, seine Finger an seinen Lippen, während er zu verstehen versuchte, was da gerade geschehen war.

„Was hast du?“ Fenin klang nicht nur wie die Ruhe selbst, auch schien ihn dieser Zwischenfall keineswegs aus der Bahn zu schmeißen. Vielleicht war ihm aber generell nicht anzusehen. Milo konnte sich nicht vorstellen, dass so etwas an irgendjemandem spurlos vorbeiging.

Er wusste nicht, was gerade mit ihm los gewesen war, doch er konnte es nicht leugnen, dass sie sich geküsst hatten. Alleine bei dem Gedanken daran spürte der Mann, wie sein Kopf heiß wurde. War es nicht bereits schlimm genug, dass es sich bei dem anderen um einen Dämonen handelte, war dieser auch noch ein Mann. Milo war sich ziemlich sicher, dass es nicht an ihm lag. Der Dämon musste irgendeinen faulen Trick angewandt haben, um ihn zu so etwas zu bringen. Sofort stieg die Wut in ihm auf, der er sofort Luft machte.

„Was hast du gemacht? Denkst du, ich merke es nicht, wenn du mich verzauberst?“ Am liebsten wäre er aufgesprungen, was an seiner Stelle unter dem Felsen nicht möglich war, weswegen sich der Mann damit begnügte, möglichst viel Abstand zwischen sie zu bringen, während er nach seinem Hirtenstab griff. Zeigte Fenin nun doch sein wahres Gesicht?

„Ich habe gar nichts gemacht. Du hast mich geküsst.“ Dass diese Schandtat laut ausgesprochen wurde, machte es für Milo nur noch schlimmer.

„Habe ich nicht!“, widersprach er entschieden. „Du hast etwas gemacht, damit das passiert. Dein Geruch ist schuld, dafür nutzt du ihn.“ Milo war sich sicher, dass Fenin ihn in eine Falle gelockt hatte. Schließlich hatte er eben selbst noch von einer Wirkung gesprochen. Er musste gewusst haben, dass so etwas passieren würde. Er hatte es geplant.

Während Milo sich immer weiter in seine Gedanken und seinen Ärger steigerte, blieb Fenin seelenruhig sitzen, musterte den anderen und sprach dann in einem ruhigen Tonfall weiter, welcher kaum eine Auswirkung auf den Menschen hatte.

„Und was hätte ich davon, von dir geküsst zu werden? Wenn ich deine Seele wollte, könnte ich sie mir jederzeit nehmen, dafür muss ich niemanden betören.“ Fenin machte eine kurze Pause, als würde er auf eine bestimmte Reaktion des anderen warten. „Mein Geruch wirkt sich auf jeden anders aus. Ich kann es nicht beeinflussen. Ich konnte nicht wissen, dass so etwas passiert.“

„Es scheint dich aber auch nicht sonderlich zu stören“, platze es aus Milo heraus. Augenblicklich bereute er seine Worte, rückgängig konnte er sie aber nicht machen.

„Das war mit Sicherheit nicht der erste Kuss in meinem Leben.“ Kurz war ein Funkeln in seinen Augen zu sehen, dass auch Milo nicht entging. Der Mann wurde das dumme Gefühl nicht los, dass Fenin eine ganz bestimmte Anmerkung zurückhielt. Da sich sein Kopf aber noch immer drehte, dachte er nicht weiter darüber nach. Stattdessen starrte er den anderen einen kurzen Moment lang sprachlos an, ehe dieser seufzte. „Hör zu, Milo, ich will dir nicht schaden.“ Sein Blick heftete sich an den Hirtenstab, den Milo noch immer fest umklammerte. Nur zögerlich löste dieser schließlich seinen Griff. So schnell die Wut in ihm aufgestiegen war, war sie nun auch wieder verschwunden. Zurück blieb eine derartige Verwirrung, wie er sie noch nie in seinem Leben gespürt hatte. Um ehrlich zu sein wäre er nun am liebsten alleine gewesen. Trotzdem hörte er Fenin an. „Du hast mich nicht nur einmal gefragt, warum ich dir Folge. Es ist nicht so, dass ich es dir nicht sagen will, es ist einfach nur schwierig zu erklären.“

„Und dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt?“, ging Milo ihn beinahe resigniert klingend an. Wenn es wirklich schwierig zu erklären war, wie kam der andere dann darauf, dass er es in seinem jetzigen Zustand verstehen würde?

„Ich kann mir nun zumindest sicher sein, dass du mich nicht vollkommen verabscheust.“ Milo öffnete seinen Mund, wollte etwas entgegnen auf diese Unterstellung. Er hatte Fenin nicht geküsst, weil er es gewollt hatte, er war nicht bei sich gewesen. Trotzdem stimmte es, was der Dämon sagte. Er verabscheute ihn nicht, das war dem Mann längst bewusst geworden. Fenin wartete einen Augenblick und gab ihm so die Möglichkeit etwas zu sagen, ehe er weitersprach. „Wir Dämonen haben selten Interesse an Gesellschaft. Weder an der anderer Dämonen und erst recht nicht der von Menschen. Als ich dich das erste Mal gesehen habe, hatte ich dieses unerklärliche Gefühl, das mich daran gehindert hatte, einfach weiterzuziehen. Ich konnte nicht anders, als dir zu folgen und dich zu beschützen.“

„Mich zu beschützen?“, wiederholte Milo die letzten Worte, wobei er seine Stirn in Falten legte. Er wusste nicht so recht, was er von dem allen halten, beziehungsweise wie er es verstehen sollte. Er war sich nur sicher, dass es üblicherweise nichts Gutes war, wenn ein Dämon Interesse an einem Menschen hatte.

„Nun ja, hier und da eine starke Bestie abwehren, einen niederen Dämon schwächen... Solche Sachen eben.“ Fenin hatte seinen Blick auf das kleine Feuer gerichtet, so dass Milo ihn ausgiebig mustern konnte. Er konnte es nicht so recht glauben, was er da hörte. Ob Fenin das wirklich getan hatte?

„Wie lange folgst du mir schon?“ Eigentlich war Milo davon ausgegangen, dass Fenin ihn das erste Mal bei seinem Kampf gegen den Keiler gesehen hatte. Auf einmal war er sich da aber nicht mehr sicher. Und tatsächlich entstand kurz eine unangenehme Stille. Auch wenn Milo nichts in Fenins Mine lesen konnte, so glaubte er doch zu wissen, dass es hinter seiner Stirn arbeitete.

Als der Dämon schließlich aufschaute, zog sich Milos Brust zusammen. Der Blick des anderen genügte ihm, um seinen Verdacht bestätigt zu wissen.

„Länger als du vermutlich annimmst. Ich bin damals an dem Ort vorbei gereist, der dein Zuhause war. Mir war noch nie zuvor jemand derartig aufgefallen, weswegen ich eine Weile in der Nähe geblieben bin. Als dieser andere Dämon kam, konnte ich nicht einfach zuschauen und habe dich aus dem Feuer gerettet.“ Milo starrte ihn ungläubig an. Er hatte mit dieser Antwort gerechnet und doch entsetzte es ihn, dass Fenin damals alles mit angesehen hatte. Nicht nur das. Er hatte ihn gerettet aber seine Familie sterben lassen.

„Warum... warum hast du diesen Dämon dann nicht aufgehalten?“ Er klang beinahe vorwurfsvoll, doch zum ersten Mal seit Jahren war der Mann den Tränen wieder nah. Nicht nur wurden seine Erinnerungen nun schon zum zweiten Mal in kurzer Zeit aufgewühlt, auch war da diese Stimme, die ihm plötzlich einredete, dass alles hätte anders kommen können. Fenin hätte nur anders handeln müssen.

„Er war zu stark. Es war ein Wunder, dass ich ihm entkommen bin. Wie du schon sagtest, meine Fähigkeiten sind nicht zum Kämpfen geeignet. Gegen einen solchen Dämonen mit dieser Fähigkeit reichen meine normalen Kräfte leider nicht.“ Fenin klang nicht nur aufrichtig, sondern auch bedauernd, was Milos Ärger linderte und ihn traurig auf die beinahe erloschene Flamme blicken ließ. „Es tut mir leid, wenn ich dir damit Leid zugefügt habe. Ich weiß, wie schwer die Zeit danach für dich war.“ Milo warf ihm nur einen bösen Blick zu, da er davon nichts hören wollte.

„Warum hast du dich mir nie gezeigt?“

„Auch wenn du vorher keine negativen Erfahrungen gemacht hättest. Dämonen und Menschen leben in unterschiedlichen Welten, die Schnittpunkte sollten so gering wie möglich gehalten werden. Ich wollte dein Leben nicht noch komplizierter machen.“ Auf diese Worte schaute Milo ihn zweifelnd an. Er verkniff sich den Kommentar, dass ihm dieses Vorhaben nicht gerade gelungen war. Fenin schien ihn aber auch so bestens zu verstehen. „Trotz allem fällt es mir schwer weiterzuziehen und nicht zu wissen wo du bist und wie es dir ergeht. Nachdem du aber nicht nur von mir wusstest, sondern wir auch noch eine angenehme Zeit zusammen hatten, konnte ich nicht einfach wieder in den Hintergrund rücken.“

„Was sind das für Gefühle? Stehst du etwa auf mich?“, fragte Milo schließlich direkt, was ihm augenblicklich das Blut in den Kopf schießen ließ. Diese Vorstellung war noch immer absolut absurd und unwirklich. Trotzdem musste er einfach die Gewissheit von dem anderen bekommen, dass es nicht so war. Dieser musterte ihn kurz, ehe er den Kopf schüttelte.

„Sag du es mir. Ich bin mir ziemlich sicher, dass nicht nur ich diese Anziehung spüre.“

„Also benutzt du doch deine Fähigkeiten, um andere zu manipulieren?“, ging Milo ihn sogleich wieder an, da er dachte, dass Fenin sich schon wieder auf den Kuss bezog.

„Wer weiß“, war alles, was der Dämon dazu zu sagen hatte. Er warf den Mann damit komplett es der Bahn und brachte ihn zum Schweigen.

Auch Fenin blieb für eine Weile ruhig. Während Milo versuchte seine Gedanken zu sortieren und herauszufinden, was genau er nun fühlen sollte, hatte er seinen Blick auf die Flammen gerichtet, die Fenin mit neuen Zweigen wieder zum Auflodern brachte. Nichts desto trotz wurde dem Mann immer kälter. Es war längst vollkommen dunkel geworden. Je weiter die Nacht voranschritt, desto eisiger wurde es. Schließlich ließ sich der Dämon wieder neben ihm nieder.

„Willst du unbedingt krank werden?“ Mit diesen Worten legte er Milo ungefragt seinen Umhang über die Schultern. Dieser konnte gar nicht schnell genug reagieren. Alles was er tun konnte, war den anderen entsetzt anzuschauen. „Er wird dich nicht fressen“, entgegnete dieser tonlos und lehnte sich gegen den kalten Fels hinter ihnen.

Die Wärme die von dem Kleidungsstück ausging, durchströmte Milos Körper auf der Stelle. Am liebsten hätte er ihn wieder abgestreift, doch er wusste, dass Fenin Recht hatte. Letztendlich zog er den Umhang sogar etwas enger und tatsächlich hörte er schon bald auf zu zittern.

Fenin neben sich zu riechen war eine Sache. In dessen Umhang, den er tagtäglich trug, gewickelt zu sein, war etwas ganz anderes. Gerade jetzt, nachdem er nicht nur wusste, wie besonders der andere roch, sondern auch, wie dieser Duft ihn manipulieren konnte, machte ihn der intensive Geruch schier wahnsinnig. Er versuchte ihn nach Möglichkeit nicht einzuatmen, was ein unmögliches Vorhaben war. Milo wollte vermeiden, dass wieder seltsame Dinge mit ihm geschahen, dass er etwas tat, was er nicht steuern konnte. Gleichzeitig konnte er nicht anders, als den Geruch im Geheimen zu genießen. Er hasste sich selbst dafür und fragte sich, was wirklich mit ihm los war. Fenin behauptete zwar, dass er ihn damit nicht manipulieren konnte, aber was, wenn er es selbst nicht wusste? Oder konnte es tatsächlich möglich sein, dass es zum Teil doch an ihm lag? Denn um ehrlich zu sein, auch wenn er diesen Kuss mit Sicherheit nicht gewollt hatte, so empfand er ihn im Nachhinein alles andere als Abstoßend. Obwohl doch genau das der Fall sein sollte. Nicht nur, weil der andere ein Dämon war, sondern vor allem, weil er ein Mann war. Fürs Erste schob Milo dieses Durcheinander auf den Umhang, der ihn nach wie vor in Fenins süßlichen Duft hüllte. Eine ruhige Nacht stand ihm trotzdem nicht bevor.

Lilie


 

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Anfangs war Milos größtes Problem gewesen, dass Fenin ein Dämon war. Mittlerweile hatte sich dies zu einer Nichtigkeit umgewandelt. Im Vergleich zu dem neuen Problem war es in den Hintergrund gerückt. Irgendetwas war zwischen ihnen, das war selbst dem Mann inzwischen bewusst. Auch nachdem er den Umhang des anderen abgelegt und stets darauf geachtet hatte, genügend Abstand zu halten, war er dennoch ungewohnt unruhig in dessen Gegenwart. Er wusste nur zu gut, dass es nichts mit dessen Wesen zu tun hatte. Zu seinem eigenen Erstaunen akzeptierte er Fenin in seiner Gegenwart. Nicht nur das, er durfte ihm sogar bei seiner Jagd nach Monstern helfen und tat dies auch. Fenin zeigte ihm immer wieder, dass er vertrauenswürdig war. Was Milo so verunsicherte war dieser verdammte Zwischenfall, dessen war er sich sicher. Während Fenin nach wie vor wie die Ruhe selbst wirkte, fragte sich der Mann jeden Tag aufs Neue, was genau damals in ihn gefahren war. Er hatte Angst dem anderen zu nah zu kommen, hatte Angst dass sein Geruch zu intensiv wurde und er fürchtete sich davor, erneut die Kontrolle zu verlieren. Gleichzeitig versuchte er zu verstehen, was es bedeuten würde, wenn Fenins Fähigkeit doch nichts damit zu tun hatte. Welche Konsequenzen daraus folgen würden.

Trotzdem stellte er sich nicht auch nur einmal dem Szenario 'Was wäre wenn?'. Er wollte gar nicht erst daran denken, dass er tatsächlich auf eine Art und Weise an dem anderen interessiert war, die alles andere als normal war.

„Sollen wir weiter?“ Fenins Frage riss ihn aus seinen Gedanken. Sie hatten an einem kleinen, beinahe komplett gefrorenen Bach Rast gemacht, um etwas zu trinken und sich kurz auszuruhen. Während der andere Milo aufmerksam anschaute spürte der Mann, wie die Kälte bereits in seine Glieder geschlichen war. Er nahm einen letzten Schluck, rieb dann seine Hände aneinander und stand endlich aus der Hocke auf.

„Ich wäre wirklich um eine warme Mahlzeit dankbar“, merkte Milo an, während er sich wieder in Bewegung setzte. Der erste Schnee war diese Nacht plötzlich und unerwartet gekommen. Der Herbst war nun endgültig vorbei. Während Milo es nicht wagte an die kommende Nacht zu denken, in der es noch schwieriger werden würde ein Feuer zu entfachen, vermaß er es sich zumindest an ein warmes Essen zu denken. Die letzten Tage hatten sie, oder besser Milo hauptsächlich von Nüssen, Pilzen und altem Obst gelebt. An diesem Punkt, an dem sich sein Magen wie ein schwarzes Loch anfühlte, beneidete er Fenin wirklich dafür, dass er mit deutlich weniger auskam.

„Soll ich etwas jagen?“, fragte Fenin, nachdem sie bereits einige hundert Meter gegangen waren. Milo blieb stehen und warf ihm einen irritieren Blick zu. „Ob Tier oder Bestie macht für mich keinen Unterschied“, erklärte der Dämon.

„Und das sagst du mir jetzt?“ Auf seinen vorwurfsvollen Ton zuckte der andere nur mit den Schultern. Wieso hatte er sich bis jetzt Zeit gelassen, mit diesem Fakt rauszurücken, wenn Milo bereits seit Tagen hungerte?

„Ich dachte es wäre dir lieber, wenn ich mich möglichst normal verhalte. In dieser Form werde ich keinen Erfolg haben“, rückte er nach einigen auffordernden Blicken Milos schließlich mit der Sprache heraus.

„Ist das dein Ernst? Denkst du das interessiert mich? Wenn wir Bestien jagen stört es dich doch auch nicht.“ Milo war gereizter, als er vermutlich sein sollte. Doch zu seinem Hunger gesellte sich zudem noch die Kälte und die Unruhe, die zur Zeit sein ständiger Begleiter war. Fenin wandte seinen Blick ab, was ihm einerseits leid tat. Andererseits fragte sich Milo nicht zum ersten Mal, ob er wirklich ein Dämon sein konnte mit dieser demütigen Art. „Kannst du noch mehr nützliche Dinge, die du bis jetzt für dich behalten hast?“ Er hatte sich wieder beruhigt, fragte sicherheitshalber aber doch nach.

„Die Frage ist, ob wir die selben Sachen als nützlich empfinden. Lass uns heute Abend darüber sprechen.“ Milo hob eine Augenbraue. Das klang beinahe so, als wäre da tatsächlich noch mehr. Fürs Erste beließ er es dabei, war er sich schließlich sicher, dass Fenin daran denken würde. Schweigend setzte er sich wieder in Bewegung und stapfte durch den frischen Schnee. Das Knirschen hinter ihm versicherte dem Mann, dass Fenin ihm folgte, während sich seine Gedanken um den Abend zu drehen begannen. Würde er tatsächlich eine ordentliche Mahlzeit bekommen?

Fenin kam nicht mehr dazu, etwas zu jagen. Am späten Nachmittag entdeckten sie Rauch am Himmel zwischen den kahlen Baumkronen. Eindeutig ein Zeichen von Menschen, möglicherweise von einer Siedlung. Während sich Milo darüber freute, nach langer Zeit mal wieder andere Menschen zu sehen, hatte sich Fenin nicht dazu geäußert. Milo konnte verstehen, warum der Dämon von solcher Gesellschaft nicht viel hielt, doch gerade Momentan glaubte der Mann, dass er diesen Kontakt brauchte, um seinen Geisteszustand zu wahren.

Es dauerte nicht lange, ehe sie tatsächlich eine kleine Siedlung erreichten. Wie selbstverständlich blieben sie kurz vor dem kleinen Holzwall zwischen den schützenden Bäumen stehen. Milo wandte sich zu seinem Begleiter um.

„Mit etwas Glück bekommen wir hier etwas zu essen und einen warmen Unterschlupf für die Nacht.“ Etwas unsicher schaute er Fenin an, da er nicht wusste, ob dieser mitkommen wollte. Doch er nickte nur und schien bereit zu sein, ihm zu folgen. Milo musterte ihn einen Augenblick und versuchte zu verstehen, was in dem Kopf des anderen vor sich ging. Ob er wirklich vorhatte, ihm für den Rest seines Lebens zu folgen? Dieser Gedanke ließ ihn nicht nur unruhig werden, sondern auch einen farbenfrohen Schmetterling durch die eisige Luft flattern. „Was hat es damit auf sich?“, konnte er seine Frage nicht mehr zurückhalten, während er zu dem Insekt nickte. Er rechnete damit, dass es jeden Augenblick gefroren zu Boden fiel. Doch kaum blinzelte er, war es verschwunden. Schon vor einer Weile war Milo die Vermutung gekommen, dass diese Schmetterlinge nichts mit Monstern im Allgemeinen, sondern mit Fenin im Speziellen zu tun hatten. Als er damals den ersten Schmetterling gesehen hatte, war Fenin in der Nähe gewesen. Dabei war sich der Mann sicher, dass sein Vater davor öfter gegen Bestien gekämpft hatte, ohne dass ihm je etwas ungewöhnliches aufgefallen war. Außerdem müsste er dann doch ständig diese Insekten sehen, wenn er sich in Fenins Nähe befand.

„Es ist nicht ungewöhnlich, dass ich von Schmetterlingen umgeben bin. Ich ziehe sie wohl magisch an.“ Milo verzog über diese Antwort sein Gesicht. Selbst wenn es so war, sollte es zu dieser Jahreszeit keine Schmetterlinge geben. „Sollen wir gehen?“, lenkte Fenin seine Aufmerksamkeit schließlich wieder auf die Ortschaft vor ihnen.

Die wenigen Häuser lagen still mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt vor ihnen. Lediglich der aufsteigende Rauch aus den Kaminen und die Spuren im Schnee zeugten davon, dass dieser Ort belebt war. Als sie den niedrigen Wall passierten, schaute Milo sich aufmerksam auf der Suche nach einem Menschen um. Doch anscheinend waren diese Leute bequem und bevorzugten es bei diesem Wetter in ihren warmen Hütten zu sitzen. Ein lautes Bellen zerriss plötzlich die herrschende Stille. Zwei wolfsgroße Hunde, die sich lediglich durch ihr Kläffen verrieten, kamen auf sie zugestürmt.

Milo riss seinen Stab hoch, dazu bereit, sich zu verteidigen. Einen Moment war er sich unschlüssig, ob es wirklich nur Hunde waren, oder nicht doch Bestien, die diese Bewohner hier terrorisierten. Als sie aber ihn vollkommen ignorierten und stattdessen bellend und knurrend vor Fenin stehen blieben, war er sich sicher. Diese Hunde mussten nicht nur hier leben, sondern auch die Präsenz eines Dämons spüren können, gegen welchen sie nun ihr Territorium verteidigten. Möglichst unauffällig schaute sich der Mann um. Er war sich sicher, dass sie beobachtet wurden. Die Frage war nur, ob die Menschen hier das Verhalten dieser Tiere verstanden.

Als sein Blick wieder zu Fenin wanderte, musste er feststellen, dass dieser nicht sonderlich beeindruckt aussah. Tatsächlich schaute er die aggressiven Tiere vor sich nur beiläufig an. Natürlich war er um ein Vielfaches stärker als sie, was diese ebenfalls zu wissen schienen, da sie nicht angriffen. Doch Milos Herz schlug ihm bis zum Hals, obwohl er nicht einmal beachtet wurde.

Noch ehe Milo auf den lauten Knall reagieren konnte, riss Fenin seine Hand hoch und wehrte so in letzter Sekunde etwas ab, was ansonsten seinen Kopf getroffen hätte. Zu Boden fiel ein spitzer Bolzen. Der Mann drehte sich schnell in die Richtung, aus der das Geschoss gekommen war. Seinen Stab hielt er noch immer fest umklammert, bereit für den Kampf, auch wenn dieser Angriff ebenfalls nicht gegen ihn gerichtet gewesen war. Mit einigen Metern Abstand stand ein Mann mit kurzem braunem Haar vor ihnen. In der einen Hand hielt er eine Armbrust, auf der bereits der nächste Bolzen spannte, in der anderen ein Stück Papier. Kaum hatte Milo sich umgedreht, wandte sich der Fremde an ihn, ohne Fenin aus den Augen zu lassen.

„Geht weg von ihm! Er ist nicht das, wofür er sich ausgibt!“ Milo stand einfach nur da. Er wusste weder, wie er darauf reagieren, noch was er davon halten sollte. Er verstand sofort, dass dieser Mensch ihn vor Fenin warnte, was bedeutete, dass er dessen Wesen erkannt hatte. Möglicherweise gehörten diese Hund zu ihm. Allem Anschein nach stand er einem anderen Monsterjäger gegenüber. Er kam zu keinem Entschluss, was er tun sollte, als er erneut nun mit eindringlicherer Stimme angeschrien wurde. „Beeilt Euch! Ich werd Euch nichts tun, aber wir haben jetzt keine Zeit für Erklärungen. Los!“

„Geh schon“, raunte Fenin ihm im selben Moment von hinten zu. Milo wusste nicht, was er vor hatte, aber er entschied sich dazu, ihm zu vertrauen. Er war sich sicher, dass dieser Fremde den Dämon weder ernsthaft verletzen noch töten konnte.

Kaum hatte er ein paar Schritte auf den Mann zugemacht, hörte er das erneute Knallen der Armbrust noch ehe er den Schuss sah. Die Hunde begannen noch aufgebrachter zu bellen und schienen sich dann zu entfernen. Natürlich drehte sich Milo sofort um, nur um zu sehen, dass Fenin verschwunden war. Wie von selbst suchten seine Augen den weißen Schnee nach Blut ab und wurden zu seiner Erleichterung nicht fündig.

„Verdammt!“, fluchte der Mann, von dem er nun nur noch wenige Schritte entfernt stand. „Risha! Vayu! Zurück!“ Das verstummende Bellen bestätigte Milos Vermutung, dass diese Hunde zu ihm gehörten.

„Ihr seid -“ Milo biss sich auf die Zunge, um seine Frage zu unterbrechen. Um ein Haar hätte er die Frage, ob der andere ein Monsterjäger wäre, laut ausgesprochen und somit preisgegeben, dass er um Fenins wahres Wesen wusste. Fürs erste wäre es klüger den Unwissenden zu geben und die Situation einzuschätzen. Er wusste, dass Fenin weder weglaufen, noch da draußen verhungern oder erfrieren würde. Und er war sich ziemlich sicher, dass er es ihm nicht übel nehmen würde, wenn er sich hier etwas ausruhte. Außerdem war es selten, dass er solchen Menschen begegnete. Vielleicht könnte ein solches Treffen für ihn auch von Vorteil sein.

Nachdem der Fremde seinen zurückgekehrten Hunden kurz über den Kopf gestrichen hatte, wandte er sich wieder Milo zu. Kurz musterte er ihn und ließ dann seine Armbrust sinken.

„Tut mir leid für diesen Auftritt. Ich heiße Falamir und bin hier gerade auf durchreise. Ein Glück für Euch, dass Ihr heute hier vorbeigekommen seid. Morgen wäre ich schon nicht mehr hier gewesen.“

„Glück?“, fragte Milo als dieser Falamir eine Pause machte und zog eine Braue nach oben.

„Euer... Begleiter von eben. Kennt ihr euch schon lange?“ Falamir musterte ihn genau, das wusste Milo. Er konnte nur hoffen, dass er ihm nichts anmerkte, als er mit den Schultern zuckte.

„Es geht. Wir haben uns vor einer Weile getroffen. Er will in eine bestimmte Stadt und weil ich sowieso auf Reisen bin, hat er sich mir angeschlossen.“

„Er ist gefährlich“, platzte es aus dem anderen beinahe heraus. Im nächsten Augenblick räusperte er sich und sprach dann mit ruhiger Stimme weiter. „Es ist vielleicht schwer zu glauben, aber er ist kein Mensch, sondern ein Dämon. Ein überaus gefährlicher noch dazu.“

„Ein Dämon?“, fragte Milo sofort mit möglichst zweifelnder Stimme nach.

„Diese beiden irren sich nie.“ Er deutete auf seine riesigen Hunde. „Wenn sie anschlagen, dann ist es zweifellos ein Dämon.“

„Und Ihr kennt Euch damit aus?“, fragte er nach kurzem Zögern nach. Da das alles kein Geheimnis für ihn war, fiel es Milo schwer, den ahnungslosen zu mimen.

„Genau. Ich bin ein Magier. Vielleicht habt Ihr schon mal von ihnen gehört. Euer Stab verrät mir, dass Ihr zumindest schon einmal Kontakt mit Magie hattet.“ Dass Falamir ihn nun auf seine Waffe ansprach, jagte einen kleinen Schock durch Milo. Hatte er ihn möglicherweise doch schon durchschaut?

„Ein Erbstück meines Vaters“, erklärte er knapp. Das folgende Interesse war nicht einmal gespielt. „Ein Magier also?“

Iris


 

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„Ihr habt also schon von meinesgleichen gehört?“ Falamir hatte ihn in eine kleine Hütte gebeten, wo Milo etwas unschlüssig in der Raummitte stehen blieb. Der andere war nur auf Durchreise und dieses Haus eindeutig bewohnt. Hatte man es ihm für seine Zeit hier überlassen? Er selbst hatte schon so einiges an Gastfreundschaft erlebt, aber das hier sprengte den Rahmen. Besonders zu dieser Jahreszeit. Es gab wohl Dinge, die man nur als Magier bekam. Vielleicht hatten aber auch seine wolfsartigen Hunde, die nun wieder vor der Tür wachten, einen Teil dazu beigetragen. „Die meisten Leute halten Magier für Märchen.“

„Ich bin schon viel rumgekommen, mich wundert nicht mehr viel“, merkte Milo an und wandte sich dem Mann zu, nachdem er sich kurz umgeschaut hatte. „Wenn es Bestien, Dämonen und Geister gibt, dann sind ein paar Magier doch das mindeste, was man der Menschheit gutes tun kann.“ Generell gab es viel zu wenige Menschen oder Mittel, die etwas gegen diese Wesen ausrichten konnten.

„Geister?“ Falamir schaute ihn mit einer derart offenen Neugierde an, dass Milo das Gefühl hatte, einen anderen Menschen als eben noch vor sich zu haben. Trotzdem hütete sich der Mann zu viel zu erzählen.

„Wie gesagt, ich bin schon viel herumgekommen.“

„Wohl wahr. Kämpft Ihr oft gegen Bestien?“ Dabei huschte sein Blick kurz zu dem Hirtenstab, den er locker an seiner Seite hielt. Kurz rang Milo mit sich selbst, ehe er antwortete.

„Hin und wieder“, sprach er nur halb die Wahrheit. „Wenn sich die Gelegenheit für ein schnelles Einkommen ergibt bin ich nicht abgeneigt.“ Er zuckte mit den Schultern, wie um deutlich zu machen, dass nichts weiter dabei wahr, was den anderen kurz zum Lachen brachte.

„Und es wundert Euch so gar nicht, dass Euer Begleiter ein Dämon ist?“

„Ich hätte es mir denken können. Er sieht aus wie ein Edelmann, kann sich aber bestens alleine durch die Wildnis schlagen.“ Erneut zuckte er mit den Schultern. Es gefiel ihm überhaupt nicht, dass er derart ausgefragt wurde. „Ich bin noch nie einem solchen Dämon begegnet. Und wenn sich Eure Hunde geirrt haben?“

„Meine Hunde irren sich nicht“, versicherte Falamir ihm sogleich. „Auch könnte kein Mensch derart schnell fliehen. Ihr hattet Glück, dass er Euch nichts getan hat. Die Beweggründe dieser hochklassigen Dämonen sind manchmal nicht zu ergründen.“

„Das stimmt wohl. Nicht nur hat er mir nichts getan, er hat mich sogar mehrmals gerettet.“ Diese Worte waren Milo herausgerutscht, ehe er darüber nachdenken konnte. Er verstand selbst nicht so recht, warum er Fenin nun in Schutz nehmen musste. Falamir musterte ihn kurz und Milo fragte sich, ob er damit zu viel gesagt hatte.

„Sie ernähren sich von Seelen. Vielleicht bevorzugt dieser einen ganz besonderen... Geschmack.“ Das letzte Wort hatte er mit derart belegter Stimme hervorgebracht, dass es bei Milo eine Gänsehaut verursachte.

„Geschmack?“ Weder kannte er sich mit Seelen aus, noch mit den Praktiken der Dämonen, um an diese zu kommen.

„Ich bin zwar niemand, der dies beurteilen kann, aber mein Meister hat mir einmal erklärt, dass je nach Zustand eines Menschen sich der Geschmack seiner Seele ändert. Die Seele eines Trauernden schmeckt anders als die eines Fröhlichen oder eines Verliebten.“ Ohne zu wissen warum, störte ihn das letzte Wort.

„Und das sind Sachen, die Ihr einfach so jedem Dahergelaufenen erzählen dürft?“, entgegnete er in gereiztem Tonfall.

„Oh nein, natürlich nicht. Aber als ein Magier ist es meine Aufgabe die Menschen vor diesen Mächten zu schützen. Und verzeiht mir, wenn ich anmaßend bin, aber ich habe den Eindruck, dass Ihr sehr wohl über Euren Begleiter Bescheid wusstet.“ Milo fühlte sich ertappt und gab sein Bestes, dies zu verbergen. Falamir hingegen schien ihm umso genauer zu beobachten, wohl um seine Vermutung zu bestätigen.

„Wie ich bereits sagte“, setzte der Mann an, doch Falamir winkte nur ab. Milo war klar, dass er ihn nicht überzeugt hatte, doch er sah auch nicht die Notwendigkeit darin, dies tun zu müssen. Was würde es ändern? Spätestens morgen würden sich ihre Wege wieder trennen. Andererseits könnte der Magier Wissen besitzen, das ihm nützlich sein könnte.

„Ob es nun stimmt oder nicht, mir scheint, dass ein Zauber auf Euch gewirkt wurde. Diese Wesen sind nicht zu unterschätzen und ich möchte Euch mit Gewissheit nicht schaden, wenn ich diese Sachen sage.“ Augenblicklich musste Milo an den süßlichen Geruch denken, der ihn so hatte neben sich stehen lassen. Sein Misstrauen, das in der letzten Zeit beinahe verschwunden war, war mit einem Mal wieder zurück. Was, wenn Falamir die Wahrheit sprach? Selbst er hatte das Gefühl gehabt, dass Fenin ihn irgendwie in einen Bann gezogen hatte. War ihm damals kein Grund dafür eingefallen, hatte der Magier ihm diesen nun geliefert. Vielleicht hatte es wirklich etwas mit seiner Seele zu tun. Milo führte den Gedanken nicht weiter, er wusste nicht, was er davon halten sollte. Einige Augenblicke haderte er mit sich selbst, ehe er antwortete. Doch der Mann gab ihm diese Zeit.

„Und wenn es nun so wäre?“ Ihm war klar, dass er Falamir damit die erwartete Reaktion gab, doch das war ihm gerade herzlich egal. Als es auch nach einigen Momenten noch still blieb, schaute Milo ihn auffordernd an. „Was soll ich tun? Ihn freundlich beten zu gehen?“ Kurz erschien Fenin vor seinem inneren Auge, wie er dieser Bitte nachkam. Es würde ihm ähnlich sehen, auch wenn Milo wusste, dass er ihm weiterhin folgen würde. Trotzdem zweifelte er kurz daran, dass der Dämon wirklich derartige Absichten hatte. Unbewusst knirschte Milo mit den Zähnen. Wie konnte er nur so naiv darüber denken? Er musste wirklich unter einer Art Bann stehen.

„Nein, natürlich nicht. Ich denke nicht, dass das funktionieren würde.“ Dafür dass Falamir eben noch solch großen Töne gespuckt hatte, wirkte er mit einem Mal ziemlich kleinlaut, was Milos Inneres erneut brodeln ließ. „Ich befürchte, dass es nur eine Lösung gibt. Die wenigsten Dämonen lassen von ihrer Beute ab, wenn sie einmal die Jagd aufgenommen haben. Lediglich ein Umstand kann sie aufhalten. Ihr Tod.“ Milo überraschte diese Aussage nicht sonderlich. Beruhigen tat sie ihn aber auch nicht.

„Und das erzählt Ihr mir, weil Ihr derjenige sein wollt, der diese Tat vollbringt?“ Er konnte seinen Ton selbst nicht so recht deuten. Doch Milo war sich ziemlich sicher, dass dieser Magier dazu nicht in der Lage sein würde. Er wusste zwar nicht, was dieser Schlag Menschen wirklich konnte, doch er hatte Fenins Kräfte gesehen.

„Ihr zweifelt, das kann ich verstehen. Aber eigentlich ist es ganz einfach. Jeder hat einen Schwachpunkt. Dämonen sehen es nicht gerne, wenn sie um ihre Beute betrogen werden, oder es zumindest glauben. Selbst hochklassige Dämonen können in einem unachtsamen Moment getroffen werden. Und die magischen Waffen wirken gegen sie genauso stark, wie gegen alle anderen Monster.“ Falamir war nun wieder in seinem Element, während Milo erneut zu zweifeln begann.

„Nein danke, ich bin kein Köder.“ Nur weil er sich das alles angehört hatte, bedeutete es nicht, dass er Fenin auch wirklich loswerden wollte. Er wusste nicht einmal, was er wollte. Am besten würde er eine Nacht darüber schlafen. Hier im Ort mit den beiden Wachhunden würde er etwas Distanz zu dem Dämon haben. Ein möglicher Bann würde so vielleicht an Stärke verlieren, so dass er morgen eine andere Sicht auf die Dinge haben würde. Warum nur fiel es ihm so schwer zu glauben, dass Fenin ihm Schlechtes wollte?
 

Am nächsten Morgen hatte Milo noch immer keine Lösung für seinen inneren Konflikt, den Falamir verursacht hatte, gefunden. Ganz im Gegenteil hatte er sich viel mehr verschlimmert. Der Mann hatte nicht wirklich gut geschlafen. Er hatte nicht nur einmal raus gehen und einen Spaziergang machen wollen. Auch wenn er sich in der kleinen Hütte mit dem Fremden in diesem unbekannten Ort eingeengt fühlte, so war dies nicht der wahre Grund für dieses Verlangen gewesen, das wusste er. Gleichzeitig fragte er sich, ob ein Bann wirklich derartig stark sein konnte. Milo fühlte sich nicht so, als würde er neben sich stehen, als würde er von einer fremden Macht beeinflusst werden. Es war einfach nur so, dass er Fenin sehen und in seiner Nähe wissen wollen. Er knirschte mit den Zähnen, während er sein Gesicht wusch, um langsam etwas wacher zu werden. Alleine dieses Eingeständnis brachte Milo noch mehr durcheinander. Was sollte er davon halten?

„Habt Ihr gut geschlafen?“, wurde er auf einmal begrüßt. Milo war derartig müde, dass er gar nicht mitbekommen hatte, wie Falamir in das Haus gekommen war.

„Ja“, log er. Zu gerne hätte er es anders gehabt. Nun befand er sich endlich mal wieder in einem warmen, geschützten Haus mit einer bequemen Schlafmöglichkeit und dann hielt ihn solcher Schwachsinn wach. „Danke.“ Falamir nickte knapp.

„Ich werde gleich weiterreisen. Ihr könnt gerne mit mir kommen, wenn Ihr weiteren Schutz wollt. Ich bin mir sicher, dass sich dieses Problem lösen lässt.“ Tatsächlich dachte Milo kurz über diese absurden Worte nach, ehe er mit dem Kopf schüttelte.

„Dieses Problem werde ich selbst lösen. Ich vermute Ihr habt da etwas falsch verstanden.“ Er wusste selbst nicht so recht, was er da von sich gab, doch Milo war sich sicher, dass er diesen Magier nicht auf Fenin hetzen würde. Auch wenn er vermutlich keine Gefahr für den Dämon darstellte, so konnte er diesem doch nicht einfach so in den Rücken fallen. Er fühlte sich bereits beinahe wie ein Verräter, nur weil er mal wieder einen Bann in Betracht gezogen hatte. Falamir musterte ihn kurz abschätzend, bevor er etwas aus seinem Umhang zog.

„Dies hier ist ein Talisman.“ Er hielt ihm ein Stück Papier mit eigenartigen Zeichen darauf entgegen. Milo machte keine Anstalten danach zu greifen, ehe ihm der Zweck dahinter erklärt wurde. „Er kann keinen wirklichen Schutz bieten, doch er legt bösartige Absichten offen. Wenn er sich entflammt, dann solltet Ihr auf der Hut vor all jenen in eurer Umgebung sein.“ Etwas zögerlich wechselte der Talisman schließlich den Besitzer. Der Mann konnte es nicht glauben, dass so etwas wirklich funktionierte. Da es Fenin aber nicht schaden konnte, war er gewillt, ihn wirklich bei sich zu behalten. Sicher war sicher. Man konnte nie wissen, wann so etwas mal nützlich werden würde.

Tatsächlich hatte Milo nicht damit gerechnet, dass Falamir einfach so abziehen würde. Er war davon ausgegangen, dass Magier alles daran setzen würden, die Welt von sämtlichen Monstern zu reinigen. Er an seiner Stelle hätte vermutlich nicht so einfach aufgegeben, weswegen er beinahe schon damit rechnete, dass der andere ihm heimlich folgen würde. Andererseits war er ganz froh darüber und entschied sich, kurz nach Falamir ebenfalls die Ortschaft zu verlassen. Ihm war klar, dass die Menschen hier nach dem Vorfall gestern vermutlich nicht mit ihm sprechen wollten, auch wenn er bei dem Magier gehaust hatte.

Darauf achtend, dass er nicht doch verfolgt wurde, kehrte Milo in den Wald zurück. Zu spät wurde ihm bewusst, dass er nicht einfach seinen Weg fortsetzte, sondern an den Ort zurückkehrte, von dem aus sie gestern die Ortschaft beobachtet hatten. Zu dumm, dass Fenin genau dort bereits auf ihn wartete, was das peinliche Gefühl in ihm nur noch stärker werden ließ.

Maiglöckchen


 

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„Ein Magier“, erklärte Milo, da er das Gefühl hatte ein Gespräch starten zu müssen, um die unangenehme Stille zu beenden.

„Das dachte ich mir schon.“ Fenin wirkte so gelassen wie immer, was schließlich auch den Mann etwas beruhigte. „Hätte nicht gedacht, dass ich hier einem über den Weg laufe.“

„Bist du schon einmal einem begegnet?“ Auf seine Frage nickte Fenin knapp.

„Gerade in der Nähe großer Städte trifft man sie vermehrt an. Sie reden immer davon, die einfachen Bürger vor Monstern zu schützen, verbringen dann aber den Großteil ihres Lebens mit dem Aneignen von Wissen in den Städten oder lassen sich von Adligen kaufen. Ein Grund mehr, sich von so großen Ortschaften fernzuhalten. Zumindest, wenn man nicht als Versuchskaninchen enden will.“ Milo zog ob der plötzlichen Gesprächigkeit des anderen eine Braue hoch.

„Er hat jetzt nicht den Eindruck gemacht, als würde er dich verfolgen wollen.“

„Er befindet sich auch hier in einer ländlichen Siedlung“, entgegnete Fenin und machte Milo damit deutlich, dass es sich um eine Ausnahme handeln musste.

„Und ist das Wissen, das sie besitzen... korrekt?“ Nicht nur äußerte er seine Frage zögerlich, auch wandte der Mann seinen Blick ab.

„Was hat er dir erzählt?“, erkannte Fenin sofort die Absicht hinter seiner Frage.

„Ist das wichtig?“ Kurz wurde es still, bis Milo wieder aufschaute und in die hellen Augen des anderen blickte, der ihn eindringlich musterte.

„Wenn du mir nicht traust, warum bist du dann hierher gekommen?“ Sofort ärgerte er sich wieder über sein unbedachtes Handeln, aber auch über Fenin, dass dieser ihm nun die Schuld geben wollte. „Ich kann dir nicht sagen ob das Wissen, über das ein Magier den ich nicht kenne verfügt, wahrheitsgemäß ist“, antwortete Fenin ihm letztendlich doch auf seine Frage.

„Was willst du von mir?“ Die Frage platzte geradezu aus Milo heraus. Es war nicht das erste Mal, dass er sie stellte und erwartete daher nicht wirklich, dass er eine andere Antwort bekam. Dennoch beschäftigte ihn die Sache mit dem Seelenfressen genug, so dass er es ansprechen wollte. Oder es so zumindest versuchte. Fenin schaute ihn nur skeptisch an, ehe er antwortete.

„Milo, ich folge dir, seit du ein Kind bist. Es gibt vermutlich niemanden der mehr an der Antwort auf die Frage, warum ich dieses Verlangen verspüre, interessiert ist als ich selbst.“ Nicht nur war das die erwartete Antwort, auch erinnerte sie Milo daran, wie lange er schon von dem anderen begleitet wurde. Mit einem Schlag wurde sein schlechtes Gewissen darüber, dass er Fenin zutraute, dieser sei nur an seiner Seele interessiert, noch stärker. Dennoch drängten sich Falamirs Worte in sein Bewusstsein und er rückte schließlich mit der Sprache heraus, auch wenn er dabei erneut seinen Blick abwandte.

„Falamir, dieser Magier, meinte, dass ein Dämon immer nur an der Seele eines Menschen interessiert ist. Und wenn er sie sich nicht gleich nimmt, dann will er erst... für den richtigen Geschmack sorgen.“ Nicht nur fühlte er sich dumm bei seinen eigenen Worten, auch schoss ihm dieses eine Wort in den Sinn, das der Magier verwendet hatte. Verliebt. Er wusste nicht, warum genau das hängen geblieben war, doch es sorgte dafür, dass er noch nervöser wurde. Zu allem Übel bemerkte Fenin sein Verhalten, auch wenn er es direkt mit seinen Worten zu verbinden schien.

„Du hast Angst, dass ich dich fresse?“ Milo brachte diese unerwartete Frage so durcheinander, dass er den anderen nur kurz anschaute. „Warum bist du dann trotzdem wieder hergekommen?“ Mal abgesehen davon, dass dies überraschenderweise nicht seine Angst war, hatte er selbst keine Antwort auf diese Frage.

„Was ist dann deine Absicht? Warum sollte sich ein Dämon mit einem Mensch abgeben?“

„Und warum gibst du dich mit mir ab?“ Fenin ignorierte seine Frage genauso, wie er dessen ignoriert hatte. Auch auf diese Frage hatte Milo keine Antwort. Bis jetzt hatte er es immer vermieden, darüber nachzudenken, da seine Gedanken stets in eine unangenehme Richtung abgedriftet waren. „Ich will dich nicht fressen. Letztendlich ist es aber deine Entscheidung, wie viel du auf das Wort eines Dämons gibst. Du musst wissen, ob du mir vertrauen willst oder nicht.“ Milo warf Fenin eher unbeabsichtigt einen gequälten Blick zu. Hatte er sich nicht längst entschieden? Er war wie selbstverständlich zurückgekommen, trotz dessen, was er in dem Ort erfahren hatte. Trotz seiner Vergangenheit. Und obwohl sein Verstand auch jetzt noch oft diese Nähe ablehnte, so hatte er sich die letzten Wochen doch sehr wohl gefühlt. Es war nicht nur die Gesellschaft, die eine gewisse Leere in Milo gefüllt hatte. Es war vor allem Fenins ruhige Art, die ihm wie eine Stütze diente. Alleine dass er im Winter hier in der Wildnis herumirrte machte deutlich, wie sehr er dem anderen vertraute. Milo seufzte und wandte seinen Blick ab.

„Lass uns weitergehen.“ Vermutlich wäre das die Gelegenheit gewesen, sich wirklich einmal auszusprechen. Ihm war klar, dass nicht nur er selbst nicht genau wusste, was er wollte, Fenin konnte vermutlich genauso wenig erraten, was in ihm vorging und wie genau er ihm nun gegenüber stand. Doch er fühlte sich noch nicht bereit etwas ins Rollen zu bringen, was er möglicherweise nicht mehr aufhalten konnte. Obwohl er schon vielen gefährlichen Gegnern gegenübergestanden und dem Tod nicht nur einmal ins Auge geblickt hatte, hatte Milo noch nie zuvor diese Art der Angst empfunden. Glücklicherweise akzeptierte Fenin auch dieses Mal seinen Wunsch und folgte ihm schweigend durch den gefrorenen Schnee.
 

Im Laufe des Tages begann es stark zu schneien, was ihr Vorankommen nicht nur behinderte, sondern letztendlich auch beendete. Bereits am Nachmittag entschieden sie sich dazu, ein Lager zu errichten, als sie an einem kleinen, gefrorenen Bach vorbeikamen. Sie hatten kein Ziel und es somit auch nicht eilig. Das war das erste Mal seit heute Morgen, dass Fenin wieder etwas sprach.

„Vielleicht einen Tag zu spät, aber ich habe meine Worte nicht vergessen.“

Milo schaute ihn irritiert an, bis Fenin seine Augen schloss. An seinem Kopf wuchs ein Paar gewundener Hörner, seine zierlichen Finger verformten sich zu unnatürlich langen und scharfen Krallen und als er seine Augen wieder öffnete waren sie rot. Obwohl er Fenin nun schon einige Male in dieser Form gesehen hatte, machte ihn dieser Anblick immer wieder nervös. Unbewusst verstärkte sich der Griff um seinen Stab. Gleichzeitig erinnerte er sich an die Worte, die der andere soeben erwähnt hatte. Seine Fähigkeiten, die ihnen nützlich sein würden. Ungewollt fragte er sich, ob er auch etwas warmes zu Essen bekommen würde, verwarf den Gedanken aber sofort wieder.

Fenin wandte sich von ihm ab und ließ nur wenige Sekunden später den dichten Schnee und die Erde vor ihnen aufbrechen. Hervor kamen braune Wurzeln, wie Milo sie bereits damals im Gebirge gesehen hatte. Je höher sie wuchsen, desto grüner wurden sie. Schließlich begannen sie sich ineinander zu verknoten und einen großen Ball zu bilden. Fasziniert schaute Milo dabei zu, wie diese Pflanzen immer weiter wuchsen, bis sich vor ihm etwas befand, was an den Kokon eines besonders großen Insekts erinnerte. Nachdem Fenin sein Werk vollendet zu haben schien, trat Milo einen Schritt näher, um es genauer zu mustern.

„Willst du es anzünden?“, fragte er zögerlich. Aus den anfänglichen Wurzeln war dickes Gehölz geworden. Er wusste nicht, wie trocken und dementsprechend brennbar es war. Die grüne Farbe dazwischen deutete jedoch auf Wasser hin. Allerdings wusste der Mann nicht, wofür ein so großer Klumpen an Pflanzen sonst gut sein sollte.

Fenin drehte sich wieder zu ihm und öffnete seine rechte Hand. Das Pflanzenknäuel vor ihnen begann sich erneut zu bewegen. Jedoch wuchs es nicht mehr weiter, stattdessen tat sich in der Mitte eine Öffnung auf. Ein Eingang. Milo traute seinen Augen nicht. Es war ein Unterschlupf, der mit großer Wahrscheinlichkeit vor jeglichen Wettereinflüssen schützen würde. Dort hinein zu klettern konnte er sich aber nicht vorstellen. Fenin schien seine Zweifel sofort zu bemerken.

„Du hast nach weiteren nützlichen Fähigkeiten gefragt. Ich finde einen solchen Unterschlupf durchaus nützlich und nutze ihn gerne selbst. Mehr als anbieten kann ich ihn nicht, du musst wissen, was dir lieber ist.“ Milo hatte nicht nur gesehen, wie sich diese Pflanzen gerade noch munter bewegt hatten, so dass die Vorstellung in deren Inneren Schutz zu suchen bereits beunruhigend genug war. Fenin stand in seiner Dämonenform vor ihm und machte ihn nur noch nervöser.

„Es tut mir leid, aber ist es sicher?“ Er wollte keineswegs unhöflich sein, doch genauso wenig wollte er sich leichtsinnig in Gefahr begeben.

„Sicherer als im Schnee zu schlafen. Zumindest für deine Gesundheit.“ Fenin musterte ihn knapp und fügte dann hinzu. „Es sind nur Pflanzen. Sie werden dir genauso wenig tun, wie die umherstehenden Bäume. Es gibt nur eine Person, die sie plötzlich wachsen lassen kann, wenn es das ist, was dich beunruhigt.“ Natürlich traf Fenin damit genau ins Schwarze und nahm Milo so jeglichen Widerspruch. Wenn Fenin ihm schaden wollte, dann könnte er dies jederzeit tun und müsste nicht erst warten, bis Milo in dieses Knäuel aus Pflanzen kletterte. „Ich werde jagen gehen, ruh du dich solange etwas aus.“

Noch bevor Milo etwas entgegnen konnte, hatte Fenin bereits seinen Umhang ausgezogen, ihm in die Hand gedrückt und war in dem dichten Schneefall verschwunden. Perplex schaute Milo ihm hinterher. Schließlich senkte sich sein Blick auf den schweren Stoff in seinen Armen, von dem der gewohnt süßliche Geruch aufstieg. Für einen kurzen Augenblick glaubte er etwas bläuliches durch die weißen Schneeflocken schimmern zu sehen. Er entschied sich dazu, in dem errichteten Unterschlupf Schutz zu suchen, ehe er vollkommen eingeschneit war.

Im Inneren der Wurzeln und Äste war es unerwartet geräumig und auch einige Grad wärmer als draußen. Und obwohl dieser Raum aus der Erde entstanden war, war es trocken hier drinnen. Lediglich einige Schneeflocken fanden ihren Weg durch den kleinen Eingang, welchen Milo kurzerhand mit Fenins Umhang zuhängte. Er wusste nicht, warum der andere ihm diesen gegeben hatte. Er konnte nur hoffen, dass er deswegen in dieser Kälte nicht krank wurde.

Obwohl sie an diesem Tag nicht lange unterwegs gewesen waren, wurde Milo in dem dunklen Raum schnell schläfrig. Nicht nur war es hier drinnen im Vergleich zu draußen überaus gemütlich, auch fühlte sich der Mann überraschend wohl. Fenins vertrauter Geruch war längst übermächtig und löste in Milos müdem Kopf wirre Gedanken aus.

Er begann an das angekündigte Abendessen zu denken. Daran, ob Fenins Jagd erfolgreich verlaufen würde. Mittlerweile zweifelte Milo gar nicht mehr daran, dass der andere auch noch für ein Feuer sorgen würde, um die Beute zu braten. Bei dem Gedanken lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Wie lange musste es schon her sein, dass er etwas warmes gegessen hatte, das keine Suppe gewesen war? Er musste nicht lange überlegen, um den Zeitpunkt auszumachen. Seit er wieder mit Fenin unterwegs war, hatte er nur spärlich gegessen, was vor allem auch daran liegen mochte, dass sie Ortschaften nicht nur gemieden hatten, sondern es in dieser Gegend auch kaum welche gab. Zum wiederholten Mal machte Milo sich klar, dass er alleine um diese Jahreszeit niemals hier unterwegs wäre. Er war voll und ganz auf Fenin angewiesen. Ein Gedanke, der ihn vor einigen Wochen noch deutlich nervöser gemacht hätte. Doch nun fragte er sich lediglich, wie es weitergehen würde. Würden sich ihre Wege irgendwann wieder trennen? Nach diesem Winter vielleicht? Oder hatte Fenin wirklich vor, ihm weiterhin zu folgen? Und was wollte er selbst überhaupt?

Im nächsten Augenblick fragte er sich, ob Fenin ebenfalls in dieser Unterkunft schlafen würde. Milo musste an den Bergstall denken. In dieser einen Nacht hatten sie bereits einmal dicht nebeneinander geschlafen. Erst danach hatte er erfahren, dass Fenin ein Dämon war. Davor und auch danach hatte Fenin stets unnötige Nähe vermieden. Doch hier drinnen würden sie sich kaum aus dem Weg gehen können. Während sein Kopf immer müder wurde, begann sein Herz unregelmäßig zu schlagen. Er wusste, was ihn beunruhigte. Bevor er aber über ihren Kuss damals nachdenken konnte, driftete sein Bewusstsein endgültig in die Traumwelt ab.

Ranunkel


 

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Milo wurde durch einen intensiven Geruch geweckt. Obwohl er in der herrschenden Dunkelheit im ersten Augenblick nichts sehen konnte, wusste er sofort, was vor sich ging. Sein Kopf fühlte sich klarer an. Neben Fenins Geruch, der stärker geworden war, was bedeuten musste, dass der Dämon zurück war, roch er Feuer, versengtes Fell und gebratenes Fleisch. In einer schnellen Bewegung setzte er sich auf und stieß sich prompt den Kopf an etwas weichem.

„Vorsicht.“ Auch wenn Milo sofort klar gewesen war, was hier vor sich ging, überraschte ihn die plötzliche Stimme vor ihm. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Fenin bereits so nah war, so dass er nun zusammenzuckte. Erst jetzt bemerkte er die kalte Luft, die durch den Eingang hereinzog. Nachdem er sich aufgesetzt hatte, konnte der Mann auch den Eingang sehen, durch den der rötliche Schein eines Feuers fiel. Es musste längst Nacht sein. Wie lange hatte er geschlafen? Und warum hatte Fenin ihn nicht geweckt?

„Du bist zurück?“, war alles, was er mit verschlafener Stimme hervorbrachte. Dabei fühlte er sich keineswegs mehr müde oder gar benommen. Fenins Silhouette, die nun eindeutig keine Hörner mehr besaß, ging neben ihm in die Hocke und reichte ihm etwas.

„Alles in Ordnung. Hast du Hunger? Nimm das hier.“ Fenins ruhige Stimme wirkte sich sofort auf Milo aus. Er wurde nicht nur ruhiger, er machte es sich auch wieder bequem und nahm das vermeintliche Essen, dass der andere ihm hinhielt, entgegen. Er spürte sofort das noch warme Fleisch und vernahm den verlockenden Geruch.

„Wie hast du das gemacht?“ Noch bevor er eine Antwort bekam roch er ganz bewusst an dem Fleisch, was ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Er war hungriger, als ihm eben noch bewusst gewesen war. Ohne sich länger zu quälen nahm er den ersten Bissen.

„Ich habe etwas gejagt, Feuer gemacht und es gegrillt“, erklärte Fenin sachlich, was Milo die Augen verdrehen ließ. Zu seinem Glück war er gerade mit kauen beschäftigt, so dass er sich seine Bemerkung sparen musste.

„Es ist schon so spät“, merkte Milo an, nachdem er bereits einige Bissen genommen und den ärgsten Hunger gestillt hatte.

„Du hattest geschlafen, ich wollte dich nicht wecken. Geht es dir jetzt besser?“

„Ja.“ Was sonst sollte Milo dazu sagen? Es ging ihm tatsächlich besser, vor allem nachdem er nun endlich etwas gegessen hatte. Ob Fenin seine vorherige Erschöpfung aufgefallen war, wo er sie nicht einmal selbst bemerkt hatte? Dabei war es nicht wirklich verwunderlich, schließlich hatte er in der Nacht bei Falamir kaum ein Auge zugetan.

Sie saßen noch eine ganze Weile schweigend zusammen, bis Milo seine Mahlzeit beendet hatte. Letztendlich hielt er die Stille nicht mehr aus. Nicht nur konnte er den anderen nicht wirklich sehen. Die Tatsache, dass dieser Sinn wegfiel, ließ seine anderen Sinne nur noch besser werden. Der Duft süßer Blüten erfüllte das ganze Versteck. An sich wäre das nichts schlimmes, schließlich war es ein angenehmer Geruch. Doch Milo hatte Angst, dass genau dieser ihn sich vergessen ließ. Die Beklemmung in seiner Brust sprach eindeutig dafür.

„Weißt du, ich kann auch jagen gehen.“ So leise er auch sprach, seine Worte zerrissen dennoch die Stille. Sie mochten komisch klingen, schließlich hatte Fenin es angeboten, weil er selbst nicht der beste Jäger war. Doch es war dem Mann unangenehm, dass Fenin nicht nur Beute gemacht, sondern diese auch noch alleine zubereitete hatte. Warum hatte er ihn denn nicht geweckt? Er war es nicht nur nicht gewohnt derart umsorgt zu werden, er wollte es schlichtweg nicht. Vor allem nicht, wenn die Person Fenin war. „Oder Feuer machen. Warum hast du mich nicht geweckt?“

„Es stört mich nicht, wenn ich das mache. Es ist eisig draußen, doch mir macht die Kälte nichts aus.“ Auch wenn Fenin seine Worte sorgsam gewählt hatte, so beschwichtigten sie Milo keineswegs. Die Beklommenheit in seinem Inneren mit einem Streit auszugleichen war vielleicht nicht die beste Idee, doch zumindest brachte dieses Gespräch den Mann auf andere Gedanken.

„Mich stört es aber, wenn ich so nutzlos bin“, teilte er offen mit. Dieses Mal war er dankbar für die Dunkelheit, in der er Fenins Gesicht nicht sehen konnte.

„Nutzlos? Nur weil du weder gejagt noch ein Feuer gemacht hast? Dafür tust du ganz andere Dinge.“ Milo zog eine Braue hoch, unwissend, ob Fenin dies sehen konnte. Er wusste nicht, wie gut die Augen des Dämons bei Nacht waren. Da der andere aber sogleich zu einer Erklärung ansetzte, vermutete er, dass er wirklich besser sehen konnte. „Während für dich solche Dinge wichtig sind, ist für mich Gesellschaft, deine Anwesenheit wichtig. Wenn du nutzlos wärst, dann würde ich mich kaum so wohl fühlen.“ Milo unterdrückte ein Rümpfen der Nase, um den anderen nicht noch mehr zu kränken. Doch seine Ablehnung war deutlich in seiner Stimme zu hören.

„Du machst aktiv etwas, während ich einfach nur ich bin. Wie ist das vergleichbar?“ Den Fakt, dass Fenins Taten für sie beide wichtig waren, während seine eigene Anwesenheit höchstens für dessen Wohlbefinden sorgte, ließ er außen vor. Er wusste bereits, dass Fenin andere Prioritäten setzte und aus irgendeinem Grund enorm an ihm hing.

„Da hast du natürlich Recht“, stimmte Fenin ihm unerwarteterweise zu und riss Milo damit aus seinem Unmut. „Du kannst gerne aktiv werden, wenn du das für dein Seelenheil brauchst.“ Die Worte waren ruhig wie immer und doch wühlten sie Milo augenblicklich auf. Er brauchte einen Moment um überhaupt zu verstehen, was der andere damit meinte, und war sich dann nicht einmal sicher, ob er es richtig verstanden hatte. Er wollte nicht einmal darüber nachdenken, ob Fenin wirklich derartig anzüglich sein konnte und konnte sich auch nicht die Blöße geben, nachzufragen. Vielleicht hatte er aber auch einfach Angst vor der Antwort.

„Darum geht es doch gar nicht. Ich will einfach auch etwas für mein eigenes Wohlbefinden tun und nicht derart bedient werden.“ Gerne wäre er etwas aufbrausender gewesen, doch er befürchtete, dass dann das Zittern in seiner Stimme deutlich zu hören wäre.

„Milo, ich weiß bestens, was für ein Überlebenskünstler du bist. Glaub mir, es wird dich nicht umbringen, wenn du dich mal einen Tag so ausruhst wie heute.“ Milo glaubte ein Lächeln in der Stimme des anderen zu hören, was ihn etwas verunsicherte. „Es tut mir leid, wenn ich dir ein schlechtes Gefühl gegeben habe, ich meinte es wirklich nur gut.“ Und damit verpuffte sämtlicher Ärger in dem Mann endgültig. „Oder geht es dir noch um etwas anderes?“

„Ich bin wohl einfach nur angespannt, weil ich so viel geschlafen habe.“ Milo hatte auf diese bescheuerte Aussage mit so ziemlich allem gerechnet, nicht aber mit einem Schmunzeln, das darauf von Fenin folgte.

„Sollte Schlaf nicht die gegenteilige Wirkung haben?“ Erst jetzt bemerkte Milo, dass der andere ungewohnt entspannt und fröhlich schien. Er fragte sich, wie lange ihm dies aufgrund seines inneren Chaos schon entgangen war. Konnte es sein, dass er wieder einmal neben sich stand?

„Zu viel Schlaf ist auch ermüdend“, entgegnete Milo und versuchte weniger auf sich und mehr auf Fenin zu achten. Er war so mit seinem aufgeputschten Ärger und diesen ungesunden Gedanken beschäftigt gewesen, dass er seine Umgebung vollkommen ausgeblendet hatte. Erst nachdem er einige Sekunden nach Außen fühlte bemerkte er, wie still es eigentlich war. Es war Nacht, es schneite und sie saßen zu zweit in diesem kleinen, dunklen Unterschlupf. Der tosende Lärm in Milos Kopf verstummte und machte gleichzeitig etwas anderem Platz. Selten hatte Fenin derartig nah bei ihm gesessen. Am liebsten hätte Milo gefragt, ob der andere vorhatte ebenfalls hier zu schlafen, doch er wollte nicht dreist sein. Schließlich war es Fenins Versteck, wenn müsste er selbst gehen. Andererseits glaubte er nicht, dass er nach den letzten Stunden nochmal ein Auge zubekommen würde.

„Ruh dich ruhig weiter aus. Es sieht nicht so aus, als würde es bald aufhören zu schneien. Hast du noch hunger?“ Milo konnte ein genervtes Seufzen nicht unterdrücken.

„Bitte sei nicht so fürsorglich“, brachte er Zähneknirschend hervor. „Ich kümmer mich schon, wenn ich was brauch.“

„Warum stört es dich so?“, fragte Fenin keineswegs gekränkt nach. Vielmehr klang er verwundert. Wenn Milo darauf nur eine Antwort hätte, dann könnte er selbst vielleicht besser damit umgehen.

„Es ist eben so.“

„Wenn du mir keinen Grund nennen kannst, dann habe ich auch keinen es zu lassen.“ Milo hatte sich gerade einigermaßen beruhigt, so dass ihn diese Aussage nur noch mehr nervte. Es war absolut untypisch für Fenin sich derart zu verhalten.

„Ich werde mir mal etwas die Beine vertreten.“ Er hatte den Satz nicht einmal beendet, da stand Milo bereits. Etwas Frischluft würde ihm sicherlich gut tun, um seinen Kopf frei zu bekommen. Und die eisige Kälte draußen würde ihn vielleicht endlich wach werden lassen.

Doch kaum hatte er den ersten Schritt getan, spürte er, wie er festgehalten wurde. Eine warme Hand hatte sich um sein Handgelenk gelegt. So sachte sich der Griff auch anfühlte, er wusste, dass er sich nicht so einfach aus ihm lösen können würde. Trotzdem versuchte er es. Nicht nur hatte Fenin ihn noch nie so bestimmt angefasst, er hatte ihn auch noch nie festgehalten. Augenblicklich begann sein Herz zu rasen. Und dieses Mal konnte selbst Milo sagen, dass es Angst war.

„Es ist kein Wetter dafür, draußen herumzulaufen.“ Wie erwartet hatte sich Fenins Griff verstärkt, so dass er Milo nach wie vor festhielt. Dieser verlor nun endgültig die Nerven.

„Willst du mich hier gefangen halten oder was? Ich bin alt genug, auf mich selbst aufzupassen. Hör endlich auf, dich so um mich zu kümmern!“ Seine Worte schienen dieses Mal Wirkung zu zeigen. Nicht nur zog Fenin seine Hand zurück, er wandte auch seinen Blick ab.

„Ich wollte dich nicht verärgern, es tut mir leid. Aber wenn hier jemand geht, dann bin ich das.“ Bevor Milo etwas einwenden konnte, stand Fenin bereits und machte Anstalten an ihm vorbei zu gehen. Dieses Mal war der Mann der Unverschämte. Entschieden packte er den anderen am Ärmel und hielt ihn zurück.

„Warum ignorierst du meine Wünsche? Wenn ich sage, dass du mich nicht umsorgen sollst, dann meine ich das so. Und wenn ich sage, dass ich mir die Beine vertreten will, dann will ich das auch tun. Es wird sich nichts daran ändern, nur weil du abhaust.“ Aus irgendeinem Grund war es ihm gerade enorm wichtig, diese Sache zu klären. „Ich bin kein Kind, das du nach Lust und Laune herumschubsen kannst.“

„Milo, hör auf.“ Er nahm den flehenden Ton in Fenins Stimme wahr, ignorierte ihn aber.

„Warum? Weil es dir nicht passt, dass ich meine Meinung sage?“ War Milo gerade noch so direkt gewesen, verstummte er im nächsten Augenblick, als der Dämon sich plötzlich wieder zu ihm drehte. Die Bewegung war schnell und entschieden gewesen.

„Nein. Weil ich dir nicht weh tun will.“ Dies verschlug Milo endgültig die Sprache. „Ich behandel dich nicht wie ein Kind. Ich sorge mich einfach nur um dein Wohlergehen, genauso wie du es bei mir tun würdest. Zumindest glaube ich das. Ich war der Annahme, dass ich, da ich mit dir reisen durfte, mehr als nur ein störendes Anhängsel bin. Dass Weggefährten sich unterstützen. Vielleicht habe ich aber auch nur deine Freundlichkeit ausgenutzt?“

Milo, der sich in seiner Starre befand, bemerkte, dass er Fenin noch immer festhielt. Dieser hatte nicht einmal versucht sich zu befreien. Langsam löste er seine Finger von dem feinen Stoff.

„Weggefährten verletzen einander nicht.“

„Habe ich das getan?“

„Du hast es eben angedeutet.“ Ein entnervtes Stöhnen war zu hören.

„Du hast mich missverstanden. Ich meinte, dass ich nichts tun will, das gegen deinen Willen ist. Lass mich bitte gehen.“ Milo entging nicht eine gewisse Dringlichkeit in der Stimme des anderen. Trotzdem sträubte sich plötzlich etwas in ihm dagegen, Fenin einfach so raus zu lassen.

„Es... es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe. Die letzten Tage geht mir einfach viel durch den Kopf. Bitte, du musst nicht gehen. Leiste mir nur ein wenig Gesellschaft und ich werde auch keinen Streit mehr anfangen, versprochen.“ Und genau das war es, was Milo eigentlich wollte. Einfach nur etwas Gesellschaft. Genau das war es, was ihm die letzten Wochen so gut getan hatte.

„Du verstehst mich wirklich nicht. Weder hast du mich verletzt, noch bin ich dir böse. Aber wenn ich bleibe, dann musst du damit rechnen.“ Während sich Milo noch über die seltsame Betonung des Wortes 'damit' wunderte, wurde er bereits erneut von Fenin gegriffen. Dieser hielt ihn dieses Mal eindeutig zärtlich im Nacken, während er seine Lippen bestimmt auf die des Mannes presste.

Hibiskus


 

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Mehr als überfordert fand sich Milo in der unerwarteten Situation wieder. Eigentlich wäre seine erste Reaktion bei einem derartigen Übergriff gewesen, zurückzuweichen. Erst dachte er, dass die Hand in seinem Nacken ihn daran hinderte. Doch als er die zärtliche Berührung im nächsten Augenblick erwiderte, musste er sich eingestehen, dass dies nicht der Grund war. Erneut begann sein Herz zu rasen, als er seine Augen schloss und sich dem überwältigenden Gefühl hingab. Gerade als seine Hände Anstalten machten nach Fenin zu greifen, zog sich dieser zurück. Verwundert öffnete Milo seine Augen wieder und sah zwei leuchtend rote Iriden vor sich, die ihm einen Schauer über den Rücken jagten.

„Wäre es nicht besser, wenn ich doch gehe?“ Fenins raue Stimme sorgte dafür, dass etwas in Milos Kopf brach. Wie ein Damm, der all seine unterdrückten Gedanken und Empfindungen zurückgehalten hatte.

Seine Hände die noch immer in der Luft verweilten, setzten sich wieder in Bewegung und überbrückten die letzten Zentimeter. Sie legten sich auf Fenins Schultern, während Milo versuchte sein Herz zu beruhigen und seine Gedanken zu ordnen.

„Was hat das zu bedeuten?“ Seine Stimme zitterte. Erneut versuchte Milo sich einzureden, dass der andere einen Bann auf ihn gelegt hatte, um an seine Seele zu kommen. Doch gleichzeitig musste er sich eingestehen, dass es bereits zu spät war, wenn es wirklich um den Geschmack ging. Für einen kurzen Moment fragte er sich, ob er es nicht einfach geschehen lassen sollte.

„Es tut mir leid, Milo.“ Fenin griff nach seinen Händen, um sie von seiner Schulter zu lösen. „Von Anfang an hat deine Gegenwart etwas in mir ausgelöst. Damals warst du nur ein Kind, doch über die Jahre ist die Anziehung immer stärker geworden. Ich... Manchmal fällt mir diese Nähe schwer, besonders da meine Fähigkeit dich wirklich zu manipulieren scheint. Es ist besser, wenn ich vorerst gehe und für die Nac-“ Mit einem erneuten Kuss verhinderte Milo jedes weitere Wort aus dem Mund des anderen.

Jemand der sich derartig entschuldigte konnte kaum böse Absichten wie das Verschlingen einer Seele haben. Ganz davon abgesehen hatte Fenin ihm gerade ein Liebesgeständnis gemacht, oder? Diese Tatsache ließ Milo seinen inneren Konflikt vorläufig vergessen. Gerade wollte er nur eines, ob es nun an Fenins Fähigkeit lag oder nicht. Er wollte sich nicht weiter dagegen wehren.

Fenin, der gerade noch hatte gehen wollen, hatte sich innerhalb weniger Sekunden von dem Gegenteil überzeugen lassen. Dieser Kuss war nicht nur länger als der vorherige, sondern auch inniger. Milo hatte sich längst gegen Fenin gelehnt, als dieser auch diesen Kuss beendete. Seinem schweren Atem nach zu urteilen ließ auch ihn dieser nicht ungerührt. Alleine dass er den Dämon zu solch einer Regung gebracht hatte, ließ Milo noch aufgeregter werden.

„Milo... Wenn du so weiter machst, dann... dann kann ich mich nicht länger...“

„Länger was? Willst du immer noch gehen?“ Eigentlich hatte Milo nur nicht alleine sein wollen. Nun wollte er Fenin aber erst recht bei sich haben. Mit einem Mal schien sich eine ganz neue Tür geöffnet zu haben. Und auch wenn er wusste, dass ihm dies alles noch viel Kopfzerbrechen bereiten würde, gerade wollte er nicht darüber nachdenken. Das Ausbleiben einer Antwort machte ihm deutlich, dass Fenin dies tatsächlich im Sinn hatte. „Ich habe... Ich habe dich von mir aus... geküsst. Denkst du das bedeutet, dass du gehen sollst?“ Ein wenig verärgert war er schon, doch durch seine zittrige Stimme war davon nichts zu hören.

„Ich möchte nicht, dass du mich nur aufgrund meiner Fähigkeit magst.“

„Also was willst du machen? Weiterhin auf Distanz bleiben, nachdem du so etwas gemacht und gesagt hast?“ Erneut schwieg der andere. „Es ist nicht deine Fähigkeit“, versicherte Milo ihm schließlich, auch wenn er sich selbst dessen nicht gewiss war. Doch ihm war klar, dass sie es niemals herausfinden würden, außer wenn sich ihre Wege trennen würden. Er zumindest wollte sich wegen dieser Ungewissheit nun nicht unnötig quälen. Seine Worte ließen Fenin tatsächlich aufschauen. Der rote Schimmer leuchtete noch immer schwach in der Dunkelheit und ließ den Mann erneut erschaudern.

„Du vertraust mir?“ Die Frage traf Milo wie ein Schlag. Es war offensichtlich, dass Fenin seine Zweifel gespürt hatte. Er wollte nicht wissen, was er damit in dem anderen ausgelöst hatte, doch es tat ihm leid.

„Wäre ich sonst hier mit dir?“, stellte er eine Gegenfrage. Offensichtlicher ging es wohl nicht.

„Vertraust du mir?“, wiederholte Fenin seine Frage und brachte Milo damit kurz zum Nachdenken. Natürlich vertraute er Fenin. Die Frage war nur, wie weit er ihm vertraute. Trotz allem war er ein Dämon.

Milo bemerkte sofort, wie dumm dieser Gedanke war. Es hatte längst nichts mehr mit dem Wesen des anderen zu tun. Er konnte sich einfach nicht eingestehen, dass Fenin eine Ausnahme war.

„Ja.“ Mit diesem einen Wort schien Milo eine Barriere einzureißen, die sich über die letzten Wochen zwischen ihnen befunden hatte. Er vertraute Fenin mehr als jedem Menschen, den er je gekannt hatte und mehr als er bei einem Dämon je erwartet hätte. Verdammt, sie hatten sich gerade zweimal geküsst und er wollte immer noch mehr. Vermutlich war er wirklich einfach ein verliebter Trottel.

Seine Antwort brachte Fenin endlich dazu, sich wieder niederzulassen und nicht mehr gehen zu wollen, was Milo zeitgleich entspannte und nervös werden ließ. Er setzte sich neben den anderen und eine unangenehme Stille entstand. Er wusste selbst nicht, was er sagen oder machen sollte.

„Nie hätte ich gedacht, dass es soweit kommt“, durchbrach Fenin endlich die Stille. „Früher hätte ich es nicht einmal gewagt, mich dir zu zeigen, weder als Mensch noch als Dämon. Dein Hass war so offensichtlich und deine Entschlossenheit sämtliche Monster auszurotten hat selbst mich beeindruckt. Ich danke dir Milo, dass ich jetzt trotzdem bei dir sein darf. Dass du meine Anwesenheit nicht nur duldest, sondern mich bei dir akzeptierst ist weit mehr, als ich mir je erträumt hätte.“ Fenins plötzliche Gesprächigkeit erstaunte Milo. Er hörte dem anderen aufmerksam zu und freute sich einen Einblick in dessen Gedanken zu bekommen. Gleichzeitig fiel ihm auf, dass er seine eigenen Gedanken stets für sich behielt und beschloss, dies nun zu ändern.

„Ich akzeptiere dich nicht nur. Ich möchte, dass du bei mir bleibst. Denk bloß nicht noch einmal daran zu gehen.“ Ein Liebesgeständnis brachte er trotz allem nicht hervor. Im Grunde brauchte Milo nicht noch einmal über seine Gefühle nachzudenken. Wenn er ehrlich mit sich war, hatte er es schon die ganze Zeit über gewusst oder zumindest geahnt. Trotzdem konnte er es unmöglich aussprechen.

„Nicht einmal für einen kurzen Spaziergang?“, fragte Fenin schmunzelnd, was Milo mit einem entschlossenen „Nein“, ablehnte. Dann lehnte sich der Mann erneut gegen Fenin und küsste die zarte Haut seiner Wange. Zum einen wollte er den anderen wirklich küssen, zum anderen wollte er einfach herausfinden, was er wirklich dabei empfand. Doch alleine der süßliche Geruch, der ihm bei dieser Nähe ungehindert in die Nase stieg und seinen gesamten Verstand vernebelte, erfüllte ihn mit höchster Glückseligkeit.

Fenin ließ ihn gewähren und hielt still, während Milo sich langsam zu seinem Hals hinab küsste. Dort angekommen drückte er seine Nase gegen die weiche Haut und atmete den süßlichen Duft des anderen tief ein. Er konnte es nicht leugnen, dass dieser Geruch ihn um den Verstand brachte. Ohne weiter gegen seine inneren Konflikte anzukämpfen und sich sinnlose Gedanken über unnötige Dinge zu machen, gab sich Milo seinem wirklichen Verlangen hin. Er leckte genüsslich über die warme Haut. Mit Verwunderung musste er feststellen, dass sie tatsächlich süßlich zu schmecken schien.

„Milo“, hörte er im nächsten Augenblick Fenins raue Stimme an seinem Ohr, was sanfte Schauer durch seinen Körper sandte. „Wenn du so weiter machst kann ich für nichts mehr garantieren.“

„Das ist schlecht“, hauchte er zitternd gegen Fenins Hals. Es interessierte ihn nicht, was der andere sagte, schließlich konnte er selbst genauso wenig für irgendetwas garantieren. Er wollte sich einfach nur dieser geheimnisvollen Anziehung hingeben.

Kurz löste er sich von dem anderen, um ihm ins Gesicht zu schauen. Der letzte Feuerschein von draußen war erloschen, so dass nichts als schwärze und das rote Glühen von Fenins Augen zu sehen war. Ein weiteres Mal vereinten sich ihre Lippen, dieses Mal deutlich stürmischer.

Gerbera


 

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Milo erwachte mit einem benommenen Gefühl. Sein Kopf drehte sich, während sein Körper so warm und gemütlich lag, dass er sich einen Augenblick einfach diesem Befinden hingab. Als er schließlich doch seine Augen öffnete brauchte er einen Moment um zu verstehen. Doch als die Erinnerungen ihn überrollten, wollten sie gar nicht mehr stoppen. Mit schnell schlagendem Herz setzte sich der Mann auf und schaute sich in dem aus Wurzeln errichteten Unterschlupf um. Von Fenin war keine Spur zu sehen, dafür schien helles Licht durch den kleinen Eingang. Er selbst war nicht nur mit seinem eigenen Umhang, sondern auch mit dem Fenins bedeckt gewesen, so dass ihm trotz der eisigen Luft, die von draußen herein kam, warm gewesen war. Nun aber begann er zu frieren. Er trug nichts weiter als seine dünne Unterkleidung, was er sogleich änderte. Nachdem Milo sich seine dickere Kleidung übergestreift hatte, saß er für einige Zeit reglos da und versuchte sich genau daran zu erinnern, was geschehen war. Auch wenn ihm manche Details gerne erspart geblieben wären, so begann sein Herz wieder unruhig zu schlagen, als er sich vor Augen rief, wie sie sich letzte Nacht immer und immer wieder geküsst hatten. Ein Schauer lief über seinen ganzen Körper, als er sich an jede noch so kleine Berührung erneut erinnerte. Und obwohl Milo sich sicher war, dass sie nicht weiter als eben jene Berührungen gegangen waren, so war er sich genauso sicher, dass er die treibende Kraft gewesen war, während sich Fenin ihm beinahe unterwürfig hingegeben hatte. Bei dieser Feststellung schoss ihm das Blut in den Kopf.

Was hatte er sich nur dabei gedacht? Milo brauchte nicht über eine Antwort nachzudenken, er wusste bereits, dass er an gar nichts gedacht hatte. Und auch wenn er nicht wusste, wie genau es letztendlich dazu gekommen war, so war ihm doch klar, dass Fenins Geruch die Hauptursache gewesen war. Das Schlimme war, er bereute es nicht einmal. Selbst jetzt kribbelte seine Haut noch vor Erregung. Während er sein Gesicht in den Händen vergrub, versuchte Milo sich etwas zu beruhigen.

Dass Fenin ein Dämon war störte ihn tatsächlich kaum noch. Trotzdem konnte es nicht richtig sein, dass er als Mensch diese Grenze überschritt. Viel mehr beschäftigte es Milo aber, dass der andere ebenfalls männlich war. Bisher hatte er sich nie für Liebschaften interessiert, obwohl sich ihm viele Gelegenheiten geboten hatten. Lag es möglicherweise daran, dass er schwul war? Konnte das sein?

Nachdem sich Milo noch einige Minuten den Kopf darüber zerbrochen hatte und sich danach überlegt hatte, wie er Fenin nun unter die Augen treten sollte, stand er schließlich auf, ohne zu einem Entschluss gekommen zu sein. Letztendlich würde sich nichts an seiner Situation ändern, außer dass es immer später werden würde. Als er ins Freie trat wurde er von dem grellen Licht des reflektierenden Schnees geblendet, so dass er einige Augenblicke wie blind in dem tiefen Frischschnee stand. Zumindest hatte es aufgehört zu schneien.

Ein leises Knirschen ließ ihn seinen Kopf in die Richtung des Geräusches drehen. Vermutlich das erste Mal in Jahren war er nicht achtsam genug, um in Verteidigungshaltung zu gehen. Er hatte nicht einmal seinen Stab dabei. Es war tatsächlich so weit gekommen, dass er sich auf den Schutz eines anderen verließ. Wie erwartet war das Geräusch aber von Fenin gekommen, wessen er sich nach ein paar mal Blinzeln versichern konnte. Seine feine Gestalt wurde schnell klarer. Als sich Milos Augen an das helle Licht gewöhnt hatten und er Fenin in seiner viel zu dünnen Kleidung sitzen sah, schoss ihm unmittelbar das Blut in den Kopf. Seine Wangen schienen in der Kälte geradezu zu brennen und er konnte nur hoffen, dass der andere sein Erröten auf die Temperatur zurückführte.

„Guten Morgen“, begrüßte ihn Fenin mit seiner gewohnt ruhigen Stimme, als wäre nichts gewesen. Für einen Augenblick fragte sich Milo wirklich, ob er das alles nicht nur geträumt hatte. Zwar ein überaus realistischer, aber dennoch nur verrückter Traum. Seine kurzen Hoffnungen wurden augenblicklich zerstört, als sein Blick den Hals des Dämons streifte. Noch zu gut konnte er sich an den berauschenden Geruch erinnern, der an dieser Stelle besonders intensiv zu sein schien. Allem Anschein nach hatten seine Lippen Spuren hinterlassen, die seine Taten unleugbar bewiesen. Unbewusst schluckte er und vergaß darüber vollkommen, die Begrüßung zu erwidern. Stattdessen blieb er wie angewurzelt stehen.

„Milo?“, riss ihn die angenehme Stimme aus seinen Gedanken. Fenin hatte sich von der erneut errichteten Feuerstelle, über der bereits etwas Fleisch hing, aufgerichtet und machte Anstalten auf ihn zuzukommen. Ungewollt trat Milo einen Schritt zurück.

„Ah, Entschuldigung. I-Ich wollte nicht...“ In Fenins Gesicht erschien ein trauriges Lächeln, was Milo verstummen ließ.

„Für was entschuldigst du dich?“ Die Distanz wahrend blieb Fenin vor ihm stehen. „Auch wenn gestern vieles von dir ausgegangen ist, so war mir schon klar, dass es dich im Nachhinein stören würde. Ich muss mich entschuldigen, dass ich es habe so weit kommen lassen. Du musst nicht darüber sprechen, wir können es dabei belassen.“ Seine Worte kamen unerwartet und hinterließen ein komisches Gefühl in Milo. Jedoch nahmen sie auch eine gewisse Last von dem Mann.

„Danke, aber... aber ich befürchte das ist keine Lösung.“ Er hatte seine Gedanken und Gefühle und all dieses Durcheinander lange genug vor sich hergeschoben und nicht beachtet. Dieses Mal würde er nicht den gleichen Fehler begehen. Fenin schaute ihn aufmerksam an, ließ ihm aber alle Zeit der Welt, um seine Worte zu sammeln. „Es ist nicht so, dass mich das Geschehene... stört. Es ist etwas anders, das mich beschäftigt und verunsichert.“ So offen Milo gerade auch sprach, er schaffte es nicht, dem anderen dabei in die Augen zu schauen.

„Dass ich ein Dämon bin“, stellte Fenin ruhig fest. Nun hob Milo doch seinen Kopf, um ihm einen vielsagenden Blick zuzuwerfen. Er konnte diese Aussage nicht vollkommen ablehnen, doch sein Hauptproblem war es nicht.

„Dass du ein Mann bist“, entgegnete er und bekam als Antwort einen irritierten Blick. Einen Ausdruck, den er bei Fenin niemals erwartet hätte und der ihn auf eine gewisse Weiße amüsierte. Wäre diese Situation nicht so ernst gewesen, hätte er vielleicht gelacht. So aber wartete Milo nur unruhig auf seine Reaktion.

„Nun“, begann Fenin langsam, nachdem er sich wieder gefangen hatte. „Das kann ich genauso wenig ändern. Stört es dich?“

„Dich etwa nicht?“, entgegnete Milo etwas zu schnell.

„Nein. Dein Geschlecht würde nichts an deinem Charakter ändern.“

„Es kommt doch nicht nur darauf an“, unterbrach er Fenin. „Zwei Männer in einer Beziehung sind nicht natürlich. Sie können keine Kinder bekommen!“

„Willst du Kinder mit mir haben?“ Die Frage ließ Milo augenblicklich das Blut in den Kopf schießen. Nicht nur war die Frage an sich absurd, sondern auch die Art und Weiße, wie Fenin sie stellte. Am liebsten wäre der Mann im Erdboden versunken.

„Natürlich nicht! Ich wollte nur verdeutlichen, warum es nicht vorgesehen ist.“ Er hatte seinen Blick gesenkt, trotzdem war er sich sicher, dass Fenin ihn eine Weile beobachtete, ehe er weitersprach.

„Ihr Menschen macht euch immer zu viele Gedanken um alles. Wenn du keine Kinder willst, dann brauchst du auch keine Frau.“ Milo starrte ihn an, als hätte er ihm gerade erzählt, dass er in Wirklichkeit von einem anderen Planeten kam.

„Und bei euch Dämonen ist das anders, oder wie?“ Wieder einmal reagiere Milo etwas gereizt, was in erster Linie daran liegen mochte, dass ihm dieses Thema unglaublich peinlich war.

„Falls ein Dämon an dem Punkt steht eine Beziehung, welcher Art auch immer, mit einem anderen einzugehen, dann ist das Geschlecht so ziemlich das Letzte worauf man schaut.“ Milo runzelte seine Stirn.

„Das klingt so, als würde das nicht sonderlich oft geschehen.“

„Die meisten Dämonen sind Einzelgänger und die wenigsten Beziehungen sind wirklich harmonisch. Meistens zieht nur jeder Part einen gewissen Nutzen daraus und löst die Verbindung ansonsten auf.“

Milo unterdrückte noch geradeso die Frage, welchen Nutzen Fenin aus ihm zog. Er hatte die Frage schon einige Male gestellt und mittlerweile mehr oder weniger eine Antwort bekommen. Der andere wusste es nicht, er wollte einfach bei ihm sein. Und so langsam glaubte der Mann zu verstehen, wovon er sprach. Ob er nun verzaubert worden war oder nicht, er konnte sich nicht vorstellen, von Fenin getrennt weiterzureisen. Und nach der letzten Nacht musste er sich wohl oder übel eingestehen, dass ihre Beziehung über eine einfache Freundschaft hinausging. Erneut begannen seine Lippen bei der Erinnerung zu kribbeln. Er vermied es, Fenins Blick zu suchen, aus Angst, dass dann wieder etwas passieren würde.

„Wenn zwei Menschen zusammenkommen, dann gründen sie eine Familie und bleiben für den Rest ihres Lebens zusammen“, murmelte Milo eher an sich selbst gerichtet.

„Das hast du gehört?“ Fenins Frage klang wie eine Mutmaßung, was den Mann aufregte. Jedoch konnte er nichts dagegen einwenden, da es stimmte. Seine Eltern hatten so gelebt und er hatte hier und dort solche Familien gesehen. Im Endeffekt konnte er aber nicht sagen, was dahinter steckte, oder wie viele Menschen wirklich so lebten. Er war immerhin nie mehr als ein Reisender gewesen, der immer nur kurzen Einblick in die Leben anderer erhielt. Das Schlimme war, dass er genau wusste, dass Fenin, der ihm seit damals folgte, dies wusste. „Lass mich dir sagen, dass dies zwar eine sehr schöne, aber dennoch eine Traumvorstellung ist. Auch wenn ich die Menschen meide, so habe ich in meinem Leben doch genug mitbekommen um sagen zu können, dass die wenigsten Menschen ihren wahren Seelengefährten finden. Meist geht es nur darum, eine sichere Grundlage zu haben, wozu anscheinend eine Familie gehört.“

Unbewusst biss sich Milo auf die Lippen. Ihn interessierte das alles eigentlich gar nicht. Er hatte Fenin doch nur klar machen wollen, warum es ihn störte, dass dieser ein Mann war. Und nun konnte er nicht einmal mehr seinen eigenen Worten glauben. Wen interessierte es schon, was er machte? Seitdem er als Junge seine Familie verloren hatte, war er immer auf sich alleine gestellt gewesen. Niemand hatte sich um ihn gekümmert, aber es hatte ihn auch nie jemand verurteilt. Er konnte tun und lassen was er wollte. Dass er jemals sesshaft werden und ein normales Leben führen könnte, hatte Milo längst aufgegeben. Alleine weil er niemals ruhen könnte, solange diese Welt derart von Monstern geplagt war.

„Es tut mir leid. Ich wollte weder dein Weltbild anzweifeln, noch dich zu irgendetwas überreden“, entschuldigte sich Fenin auf einmal und riss den Mann somit aus seinem inneren Konflikt. „Um ehrlich zu sein hätte ich niemals damit gerechnet, dass so etwas überhaupt jemals passieren würde. Darf ich trotzdem weiter bei dir bleiben?“

„Nur wenn du endlich deine Klappe hältst“, entgegnete Milo genervt. Er hatte genug von diesem ganzen unangenehmen Gerede. Nach der letzten Nacht hätte er gerne ein paar Stunden Ruhe gehabt, um einen klaren Gedanken fassen und sich sortieren zu können. Stattdessen brachte Fenin ihn nun nur noch mehr durcheinander. Er vermisste wirklich die sonst so ruhige, zurückhaltende Art des Dämons.

Dieser schaute ihn fragend an, während Milo sich tatsächlich zurückhalten musste, ihm nicht einfach zu zeigen, was er von dessen Frage hielt. Als ob er ihn nun einfach wegschicken würde, wo er gerade Gefühle in seinem Inneren entdeckte, die ihm nicht nur fremd waren, sondern die ihm derart gut taten, wie schon lange nichts mehr.

Orchidee


 

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In den darauffolgenden Tagen reisten sie nur langsam durch die verschneite Landschaft. Es war kalt, so dass sie häufiger Pausen einlegten, um sich an einem Feuer aufzuwärmen. Noch vor den frühen Sonnenuntergängen zogen sie sich in den Unterschlupf zurück, den Fenin stets neu aus der Erde wachsen ließ. Und auch morgens brachen sie erst weit nach Sonnenaufgang auf. Doch keiner von ihnen hatte es eilig. Nicht nur hatten sie kein Ziel, auch hatten sie reichlich zu essen, so dass Milo keine Ortschaft aufsuchen musste. Und trotzdem störte den Mann etwas über diese Tage. Er hatte seine Gedanken längst sortieren und herausfinden können, was er wirklich wollte. Oder zumindest glaubte, zu wollen. Doch seit dieser einen Nacht hatten sie sich kein einziges Mal mehr derart angenähert. Fenin hielt wie früher stets einen respektvollen Abstand und Milo wusste beim besten Willen nicht, wie er einen ersten Schritt machen sollte. Auch wenn er sich nun sicher war, dass er Fenin nicht von sich stoßen wollte, so war es ihm dennoch unangenehm, seine Zuneigung offen zu zeigen indem er sie einforderte. Nicht nur einmal hatte er sich gefragt, warum der andere mit ihm umging, als wäre nichts geschehen. Konnte es möglicherweise daran liegen, dass er ihm gesagt hatte, dass er keine Männer mochte?

„Milo?“ Fragend schaute der Angesprochene auf und blickte direkt in die hellen Augen Fenins, die sich keine Armlänge von ihm entfernt befanden.

„Ja?“ Er war sich sicher, dass Fenin gerade mit ihm gesprochen hatte. Doch so sehr er sich auch anstrengte, er konnte sich an kein Wort erinnern. Der andere musterte ihn kurz eindringlich, ehe er seine Frage noch einmal wiederholte.

„Wo sollen wir lang gehen?“

Sie waren über die letzten Tage einem Bach gefolgt, der sich nun gabelte. Anstatt dass sich Fenin, der heute die Führung übernommen hatte, aber einfach für einen Weg entschied, fragte er Milo nach seiner Meinung. Natürlich war es schön, dass er solche Entscheidungen gemeinsam treffen wollte, gerade beschäftigten den Mann jedoch ganz andere Dinge.

„Macht es einen Unterschied?“, fragte dieser daher nach. Er hatte in beide Richtungen einen kurzen Blick geworfen, doch beide Bäche verschwanden nach einigen Windungen zwischen den kahlen Bäumen.

„In diese Richtung scheint es eine Siedlung zu geben.“ Fenin deutete auf den rechten Bachlauf, welchen Milo darauf noch einmal genauer musterte. Doch auch am Himmel war kein Rauch zu sehen.

„Eine Siedlung?“, fragte er skeptisch nach.

„Sie ist noch weit weg, aber ich kann das Feuer und Vieh bereits riechen.“ Fenins Aussage machte ihn etwas nervös, da diese dämonische Fähigkeiten noch immer etwas gewöhnungsbedürftig für ihn waren, selbst wenn er mittlerweile täglich damit konfrontiert wurde.

„Na schön. Dann gehen wir hier weiter.“ Ohne groß darüber nachdenken zu müssen, deutete Milo auf den linken Bachlauf. Anstatt es aber einfach hinzunehmen, fragte Fenin nach.

„Du willst nicht zu der Siedlung?“ Einerseits konnte Milo diese Frage nur zu gut verstehen. Nicht nur hatte er sich vor ein paar Wochen noch nach jeder Siedlung gesehnt, sein letzter Menschenkontakt war auch schon eine Weile her. Jedoch hatte er zur Zeit kein Bedürfnis danach, sich mit Fremden herumschlagen zu müssen. Ganz davon abgesehen, dass Fenin ihn vermutlich nicht begleiten würde. Er wollte einfach nicht darüber sprechen.

„Dafür müssten wir den Bach überqueren. Das ist viel zu umständlich“, versuchte er seine Entscheidung zu begründen.

„Du weißt, dass das für mich kein Problem ist.“

Auf die Aussage des anderen ging er gar nicht mehr ein und setzte seinen Weg fort. Zwar war es schön, dass Fenin ihm gegenüber offener und auch gesprächiger geworden war. Doch manchmal sehnte er sich den verschwiegenen, ruhigen Fenin zurück.
 

Nachdem sie an diesem Nachmittag einen Ort für ihr Lager auserkoren hatten, hatte sich Milo an den Bach gesetzt, während Fenin sich um den Rest kümmerte. Mittlerweile hatte sich der Mann damit abgefunden, dass er nichts machen konnte, um dem anderen zu helfen. Es war alleine Fenins Fähigkeiten geschuldet, dass sie jede Nacht einen Unterschlupf, ein Feuer und etwas warmes zu Essen hatten. Es ärgerte Milo noch immer, doch zumindest ging der andere nicht mehr wie ein Kind mit ihm um. Spätestens im Frühjahr würde er sich für all das revanchieren. Gerade beobachtete Milo ein paar kleine Fische, die unter der fast vollkommen zugefrorenen Wasseroberfläche schwammen, als er knirschende Schritte hinter sich hörte.

„Was bekümmert dich?“ Diese Frage kam so unerwartet, dass Milo dem Impuls, sich zu Fenin umzudrehen, widerstand. Er wollte ihm nicht sein Gesicht offenbaren, in dem vermutlich nur allzu offen geschrieben stand, dass er genau ins schwarze getroffen hatte.

„Bekümmert? Wie kommst du denn darauf?“

„Du bist schon den ganzen Tag sehr nachdenklich. Und auch nicht erst seit heute.“ So wie Fenin ihn immer anschaute war es kein Wunder, dass es ihm aufgefallen war. Aber was sollte Milo dazu sagen? „Warum hast du dich gegen die Siedlung entschieden?“

„Du bist ziemlich neugierig geworden.“

„Ich mache mir Sorgen.“

„Das brauchst du nicht.“ Milo war klar, dass er ihn damit nicht zufriedenstellen würde. Nachdem er einmal durchgeatmet hatte, drehte er sich zu ihm um. „Warum sollte ich in eine Ortschaft voller Fremder wollen, wenn ich deine Gesellschaft habe?“ Auch ohne dass Fenin die Worte aussprach wusste Milo, dass ihm das 'Weil ich nur ein Dämon bin' geradezu auf der Zunge lag. Vielleicht war Fenin doch nicht ganz so selbstsicher, wie er sich bisher gegeben hatte. „Lass uns einfach nicht mehr darüber reden. Oder wolltest du dahin? Es ist doch schön, dass wir einer Meinung sind.“

Fenins Blick bohrte sich geradezu in ihn. Zu gerne wüsste Milo, was in diesem Moment in dem anderen vor sich ging. Gleichzeitig begann sein Herz unruhig ob dessen Verhalten zu schlagen. Für einen kurzen Augenblick huschte der Gedanke durch den Kopf, ob es diese Nacht wohl so weit sein würde. Er führte ihn nicht weiter aus und dennoch genügte dieser Bruchteil einer Sekunde, um ihn nervös werden zu lassen. Fast im selben Moment flatterte ein bläulich-violetter Schmetterling zwischen ihnen hindurch, als würden ihm die eisigen Temperaturen nichts anhaben können. Ein sanftes Lächeln erschien auf Fenins Lippen. Ein Ausdruck der bei dem Dämon derart selten war, dass er Milos Herz nur noch schwerer schlagen ließ. Es fühlte sich beinahe so an, als würde ihm eine unsichtbare Kraft die Brust zuschnüren.

„Du hattest mich mal gefragt, ob ich es nicht ungewöhnlich fände, einen Schmetterling im Herbst zu sehen.“ Milo brauchte nicht nur einen Moment, um sich auf diesen plötzlichen Themenwechsel einzustellen, sondern auch, um sich an besagtes Gespräch zu erinnern. Nach wenigen Sekunden sah er aber den See im Wald an einem Herbsttag vor sich. „Für einen Blumendämon wie mich ist es nichts ungewöhnliches, häufig Schmetterlinge um mich zu haben. Sie werden wie magisch von meinem Geruch angezogen. Doch im Winter werde ich üblicherweise davon verschont, sind sie da schließlich alle tot. In meinem gesamten Leben habe ich nur eine Art kennen gelernt, die auch diesem Umstand trotzt – diese violetten Schmetterlinge. Weißt du, dass ich sie stets nur in deiner Nähe sehe?“ Bei diesen Worten wurde es Milo nur noch unbehaglicher. Seine Vermutung, dass dieses Phänomen etwas mit Fenin zu tun hatte, sah er damit bestätigt. Aber hatte der Dämon auch eine Antwort dafür?

„Das Gefühl hatte ich auch. Früher habe ich sie oft gesehen, bevor etwas geschehen ist. Du warst immer in der Nähe und hast Übel abgehalten, oder?“ Milos Augen verengten sich etwas, während er Fenin fixierte. Diese Frage hatte er schon zu lange mit sich herumgetragen.

„Ich hatte bereits gesagt, dass ich immer ein wachendes Auge auf dich hatte“, bestätigte er seinen Vermutung nickend.

„Und das ist auch eine deiner Fähigkeiten?“, hakte Milo nach. Er wollte endlich eine Erklärung dafür haben. Doch stattdessen zuckte Fenin einfach nur mit den Schultern.

„So etwas ist mir noch nie zuvor passiert. Ich weiß selbst nicht, was es damit auf sich hat. Vielleicht hat es aber etwas mit dieser Anziehung zu tun, die ich in deiner Nähe verspüre.“ Milo nickte nur abwesend, während er sich fragte, ob es sich bei dieser Anziehung, von der der andere sprach, um das gleiche handelte, was er ihm gegenüber empfand. Vor ein paar Tagen war er noch davon ausgegangen, nun aber war er sich nicht mehr sicher. Ein wenig enttäuschte es ihn schon, dass Fenin selbst nicht mehr wusste. „Ich werde jagen gehen.“

„Nein.“ Milo hatte geantwortet, noch ehe er über seine eigenen Worte nachdenken konnte. Im nächsten Augenblick hätte er sich dafür selbst ohrfeigen können. „Ich meine, es ist noch viel zu früh“, versuchte er sich irgendwie zu retten. Wie sollte er Fenin bitte erklären, dass er nicht alleine gelassen werden wollte? Er konnte es sich ja nicht einmal selbst erklären.

„Für mich macht die Tageszeit keinen unterschied. Aber so kannst du dann essen, wenn es noch hell ist.“

„Ich kann auch im Dunkeln essen“, entgegnete Milo nur halbherzig. „Wir haben doch Feuer.“ Einige Sekunden blieb es still, in denen Fenin ihn mal wieder musterte.

„Na gut, dann werde ich später gehen. Willst du mit ans Feuer kommen?“ Fenin machte bereits Anstalten zu gehen, als Milo ihm seinen Arm entgegenstreckte.

„Wenn du mir hochhilfst.“

Fenin hatte ihm tatsächlich hochgeholfen, doch seinen Arm sofort wieder losgelassen, nachdem Milo stand. Dieser folgte ihm unzufrieden zu dem wärmendem Feuer. Doch was hätte er tun sollen? Er hätte den anderen kaum festhalten können. Was hätte er danach machen sollen? Dafür war er definitiv zu unsicher. Es war zum Haare raufen. Dass er jemals eine derartige Unsicherheit verspüren würde hätte Milo nicht gedacht. Warum musste Fenin auch so distanziert sein? War er schon immer so gewesen? Milo brauchte nicht lange über diese Frage nachzudenken, um sich selbst eine Antwort geben zu können. Selbst als Fenins wahres Wesen noch nicht offenbart gewesen war, hatte dieser immer Wert auf einen gewissen Abstand und möglichst wenig Kontakt gelegt. Andererseits schien er aber doch etwas an Milo zu finden. Oder hatte er sich all dies möglicherweise nur eingebildet? Hatte er sein Handeln und seine Worte vor einigen Tagen falsch interpretiert? War Fenin wirklich auf diese Art und Weise an ihm interessiert? Über all diese Fragen nachdenkend starrte er Fenin geradezu ein Loch in den Rücken. Er merkte es selbst nicht, bis der andere sich schließlich mit einem fragendem Blick zu ihm umdrehte.

Flieder


 

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„Langsam könnte es wirklich mal aufhören zu schneien. Warum ist dieser Winter so verdammt kalt?“ Genervt stapfte Milo durch den Schnee, in dem er teilweise bis zu den Knien versank. Es war mehr ein Kampf, als dass sie tatsächlich voran kamen. Sie waren nicht einmal eine Stunde unterwegs und gerade begann es wieder zu schneien. Genau wie es die letzten Tage der Fall gewesen war. Er war längst wieder durchgefroren und seine Schuhe waren nass. Langsam hatte der Mann keine Lust mehr.

„Du hast bisher nie einen Winter in der Wildnis verbracht“, stellte Fenin fest, der ihm voraus ging. „Wir sind weit abseits jeglicher Zivilisation, hier ist es automatisch kälter als in den Städten.“ Milo stöhnte nur genervt auf seine Worte. So sehr er die Zeit alleine mit dem anderen genoss, im Augenblick würde er nichts lieber tun, als in einem trockenen Haus zu sitzen und sich an einem ordentlichen Feuer zu wärmen.

„Kannst du nicht für einen frühzeitigen Frühling sorgen?“, fragte er genervt und keineswegs ernst gemeint. Dass Fenin darauf jedoch ein amüsiertes Kichern von sich gab, damit hatte Milo nicht gerechnet.

„Wir müssen nicht weiterreisen.“ Abrupt blieb er stehen und drehte sich zu dem Mann um. „Lass uns ein Lager aufschlagen und dort verweilen bis das Ärgste vorbei ist.“ Es war nicht das erste Mal, dass er diesen Vorschlag hervorbrachte. Doch auch dieses Mal reagierte Milo mit Ablehnung. Es war nicht so, dass er sich gerne durch den eisigen Schnee schlug und sich dabei seine Gliedmaßen abfror. Wenn sie aber Pause machten, gab es nie nennenswerte Aufgaben für ihn. Würden sie länger an einem Ort verweilen würde dies bedeuten, dass er nur nutzlos herumsitzen würde, während Fenin sich um alles kümmerte. Nach wie vor wollte er aber möglichst wenig von dem anderen umsorgt werden. Auch wenn er durch seinen falschen Stolz den eindeutig härteren Weg wählte, stapfte Milo entschlossen an ihm vorbei. „Ich kümmer mich nicht um dich, wenn du krank bist.“

Fenins Worte überraschten ihn etwas, aber gerade als Milo sich umdrehen und etwas entgegnen wollte, war auf einmal ein ohrenbetäubendes Knacken zu hören. Er wusste sofort, dass das Geräusch von unter seinen Füßen gekommen war. Der Gedanke einer Eisfläche schoss ihm durch den Kopf, doch noch bevor er angemessen reagieren konnte, wurde er plötzlich an der Hüfte gepackt. Keine Sekunde zu spät wie ihm im nächsten Augenblick bewusst wurde. Die Schneeschicht, auf der Milo eben noch gestanden hatte, war verschwunden. Stattdessen tat sich vor ihnen ein tiefer Abgrund auf. Kein See oder Fluss wie er vermutet hatte lag vor ihnen, sondern ein Tal. Sie befanden sich auf einem Überhang, der unter seinem Gewicht nachgegeben hatte und in die Tiefe gestürzt war. Bei diesem Anblick und dem Gedanken, dass er um ein Haar ebenfalls abgestürzt wäre, begann Milos Herz zu rasen.

„Vielleicht sollten wir wirklich ein Lager aufschlagen“, merkte Fenin nachdenklich an, der ihn nach wie vor mit einem Arm festhielt. „Zumindest so lange, bis der Schnee nachgelassen hat. Selbst für mich ist die Sicht zu schlecht, tut mir leid.“ Die Tatsache, dass er sich entschuldigte, ließ Milo endlich den Blick von dem Loch abwenden und auf ihn richten.

„Warum entschuldigst du dich? Du hast mich gerettet... mal wieder.“ Langsam aber sicher war es wohl an der Zeit, sich mit dem Gedanken abzufinden, dass Fenin so etwas wie sein Schutzengel war, während er ihm vermutlich niemals retten können würde. „Danke.“ Ihre Blicke trafen sich.

„Lass uns erst einmal von hier verschwinden.“ Milo hörte ihm nur halb zu. Der Blickkontakt hatte ihn daran erinnert, wem er da gerade so nah war. Wieder einmal stieg ihm der mittlerweile so vertraute Geruch mit überwältigender Intensität in die Nase, was sein Herz nun aus einem anderen Grund schneller schlagen ließ. Der Gedanke, dass Fenin ihn jeden Augenblick wieder loslassen und Distanz zwischen sie bringen würde, sorgte dafür, dass Milos Kopf sich für einige Sekunden ausschaltete. Diese kurze Zeitspanne genügte jedoch, um unüberlegt zu handeln.

Er griff seinerseits nach Fenins Handgelenk, so dass dieser gar nicht die Möglichkeit hatte, sich zu entfernen. In der selben Bewegung stellte er sich auf die Zehenspitzen und presste seine Lippen auf die des anderen. Seit dieser einen Nacht hatten sie sich nicht mehr geküsst. Milo hatte nichts mehr herbeigesehnt, als dieses Gefühl erneut spüren zu können. Dementsprechend fordernd wurde er nun. Mit geschlossenen Augen drückte er sich stärker gegen Fenin und leckte bittend über dessen Lippen. Fenin leistete keine Gegenwehr. Ganz im Gegenteil erwiderte er den Kuss sofort, öffnete bereitwillig seine Lippen einen Spalt und legte Milo eine Hand in den Nacken, während die andere noch immer um seine Hüfte lag. Milo verschwendete keinen Gedanken mehr daran, wie weit er gehen sollte.

Da sich der Mann nun schon einmal dazu durchgerungen hatte, den ersten Schritt zu machen, wollte er es nicht so schnell wieder enden lassen. Während er seine Zunge gegen die des anderen rieb, presste er sich stärker gegen den Dämonen, bis dieser nachgab und einige Schritte durch den Schnee nach hinten stolperte. Milo wich keinen Zentimeter von ihm ab und gab erst nach, als Fenin mit dem Rücken gegen den nächsten Baumstamm stieß. Dieser stöhnte in den Kuss, was sie beide kurz zum Luftholen brachte. Die Unterbrechung nutzend widmete sich Milo wieder einmal Fenins Hals. Wie letztes Mal schon zog die weiche Haut dort ihn geradezu magisch an. Während er jede Stelle der hellen Haut mit seinen Lippen berührte und hier und da sanft zubiss, sog er den den süßlichen Blumenduft genießerisch ein. Seine mittlerweile wieder freien Hände begannen derweilen über Fenins Oberkörper zu streichen. Zu gerne hätte er sich einen Weg unter dessen Kleidung gebahnt, doch der dicke Umhang machte es ihm nicht nur schwer sondern erinnerte Milo auch daran, wie kalt es eigentlich war, auch wenn er gerade alles andere als fror.

„Milo...“ Fenins Stimme war leise und ungewohnt schwach. Milo glaubte eine gewisse Erregung aus ihr hören zu können, was ihn nur noch mehr aufheizte. Er ließ von Fenins Hals ab und wendete sich stattdessen wieder seinen Lippen zu. Egal was der andere hatte sagen wollen, es musste bis nachher warten. Der Mann wollte nicht, dass es bereits endete. Eine Hand legte er an Fenins Hinterkopf um sicher zu gehen, dass dieser sich ihm nicht entzog. Unnötigerweise wie sich im nächsten Moment zeigte, als der andere den Kuss ebenso hingebungsvoll erwiderte. Seine andere Hand sank zu Fenins Hüfte hinab, um mit etwas Druck den Abstand zwischen ihnen noch weiter zu verringern, während er sein linkes Bein zwischen die des anderen schob. Erneut keuchte Fenin auf, was nun eindeutig lustvoll klang und Milo vollends um den Verstand brachte. Zu seiner Verwunderung biss Fenin ihm im nächsten Augenblick in die Lippe. Und zwar so fest, dass es weit über Erregung hinausging und wirklich weh tat. Milo beendete den Kuss von sich aus.

„Das ist nicht der beste Ort für so etwas“, raunte Fenin ihm entgegen. Für einen kurzen Moment hatte Milo Angst gehabt, dass der andere ihn mit dieser Aktion endlich loswerden wollte, umso verdutzter schaute er den Dämon nun an. Erst jetzt bemerkte er, dass dessen Augen in einem hellen rot geradezu leuchteten.

„Ach ja?“ Es interessierte Milo nicht wirklich, ob dieser Ort geeignet war oder nicht. Er würde nicht wieder tagelang auf eine erneute Gelegenheit warten. Er wollte diesen Moment so lange wie möglich auskosten. Einzig Fenins Blick hielt ihn davon ab, ihn erneut zu unterbrechen.

„Es ist zu kalt. Milo... lass mich eine Unterkunft errichten.“ Es war offensichtlich, dass der andere sich aus der Affäre ziehen wollte. Milo war zwar fordernd gewesen, doch er würde ihn zu nichts zwingen, weswegen er schließlich widerwillig von ihm abließ. Allem Anschein nach stand er mit seinen Gefühlen tatsächlich alleine da, warum sonst sollte der andere in einer solchen Situation an so etwas unnötiges wie die Temperatur denken? Gerade er, der sonst nicht einmal Kälte wahrnahm. Milo fühlte sich wie der größte Idiot überhaupt, sich so Fenin gegenüber gezeigt zu haben. Und trotzdem hatte er Mühe seinen Herzschlag zu beruhigen und seinen Blick von dem Dämon abzuwenden. Letzteres gelang ihm zumindest so lang, bis Fenin ihm eine Hand auf die Schulter legte. „Was ist los?“ Die Frage klang geradezu wie Hohn.

„Nichts ist los“, entgegnete Milo mit einem Mal wieder gereizt. Erneut senkte er den Blick, ehe alles nur noch schlimmer wurde.

„Bist du verärgert?“ Eine weitere Frage, die sich wie Salz in einer Wunde anfühlte. Milo hatte beinahe das Gefühl, dass der andere dies mit Absicht tat.

„Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du aufhören würdest, mit meinen Gefühlen zu spielen“, platzte es schließlich aus ihm heraus.

„Deine Gefühle?“ Fenin klang tatsächlich so, als würde er von nichts wissen. „Du meinst meine Fähigkeit? Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich leider nichts daran ändern kann, wie mein Geruch auf dich wirkt.“ Sein ruhiger Ton beruhigte Milo zumindest soweit, dass er nun nicht zu schreien begann.

„Das hat nichts mit deiner Fähigkeit zu tun. Es wäre einfach nett gewesen mir zu sagen, dass du kein Interesse an mir hast, nachdem du letztes Mal angefangen hattest.“ Trotz seines Ärgers war Milo dieses Thema doch überaus unangenehm, so dass er seinen Blick weiterhin abgewandt hielt. Ihm war klar, dass er sich in diesem Gespräch nur bloßstellen konnte. Als der Kerl, der Monsterjäger, der sich in einen Dämon verliebt hatte. Was tat er hier eigentlich?

„Bitte?“ Fenin klang so, als müsste er sich kurz sammeln. „Ich war der Ansicht, dass es aus unserem Gespräch damals deutlich hervorgegangen war, aber anscheinend habe ich mich da geirrt. Milo.“ Unerwarteterweise griff er nach Milos Hände und hielt sie fest, bis dieser zu ihm aufschaute. „Die Anziehung die ich bei dir verspüre geht weit über jegliches Verlangen hinaus, das Liebe mit sich bringt. Ich bin dir die letzten sechs Jahre gefolgt und ich werde es weiterhin tun, egal was du von mir hältst. Ob nun als Gefährten oder mehr. Selbst wenn du mich davon jagen würdest, könnte ich nicht von dir ablassen. Aber glaub mir, nichts würde mich glücklicher machen, als wenn du mehr als eine einfache Freundschaft wünschst.“ Die Ansprache verschlug Milo die Sprache. Für einige Sekunden schaute er den anderen einfach nur verwirrt an.

„Aber seit damals hast du dich verhalten wie immer. Du hast Abstand gehalten und keinerlei Anstalten gemacht etwas zu machen.“

„Weil du dir noch unsicher warst. Ich wollte dir Zeit geben. Und erst recht wollte ich dir nichts aufzwängen, was du nicht magst.“ Wieder verstummte der Mann. War letztendlich also er daran schuld, dass er sich die letzte Zeit über derart gequält hatte? Hätte er einfach nur früher mit ihm sprechen sollen?

„Du... du hast es gerade beendet, weil dir die Temperatur wichtiger ist.“ Fenin ließ ein leises, aber eindeutig amüsiertes Schmunzeln hören.

„Ich bin schon alt und lass mich nicht so schnell derartig aus dem Konzept bringen, dass ich meine ganze Umwelt vergesse. Auch wenn du es beinahe geschafft hättest, dass ich die Kontrolle verliere.“ Milo legte über diese Aussage die Stirn in Falten. War das nun etwas Gutes oder Schlechtes? Wie auch immer, mit einem Mal fühlte er sich nicht nur erleichtert, sondern auch so, als wäre ihm eine große Last von den Schultern gefallen. „Jetzt lass mich erst einmal für etwas Wärme sorgen. Deine Lippen sind schon ganz blau.“

Calla

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Akelei


 

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An diesem Tag hatten die beiden noch lange beieinander gelegen, sich einfach nur berührt und angeschaut und kaum ein Wort gewechselt. Während Milo noch immer zu verstehen versuchte, was genau geschehen war und welche Auswirkung diese Veränderung auf seine Zukunft haben würde, sah Fenin wie der glücklichste Mensch – oder eben Dämon – auf Erden aus. Seinen zufriedenen Ausdruck zu sehen stimmte den Mann mindestens genauso glücklich. Für diese wenigen Stunden hatte er die Außenwelt vollkommen vergessen. Ihn interessierte weder der tobende Schneesturm noch die eisige Kälte, wovor die Kugel aus dicken Wurzeln sie schützte. Am liebsten wäre er noch länger so bei dem anderen liegen geblieben, doch sein knurrender Magen erinnerte ihn schließlich an seine menschlichen Bedürfnisse. Milo hätte ihn einfach ignoriert, nicht aber Fenin.

„Du hast Hunger. Es ist schon spät geworden, ich werde etwas jagen gehen.“ Fenin war bereits drauf und dran aufzustehen, als Milo ihn am Arm zurückhielt. So sehr er sich die letzten Wochen gescheut hatte den anderen anzufassen, nutzte er nun jede Gelegenheit, um ihn zu berühren. Mit einem Mal waren sämtliche Hemmungen von ihm abgefallen.

„Es ist okay, lass uns später zusammen etwas suchen.“ In Wirklichkeit schmerzte sein Magen bereits vor Hunger. Doch er wollte nicht, dass diese Zweisamkeit endete.

„Es wäre mir neu, dass du von Luft und Liebe leben kannst“, scherzte Fenin in einem zweideutigen Tonfall, der Milo etwas Blut in den Kopf schießen ließ. „Ich habe auch Hunger.“ Etwas widerstrebend ließ er den Dämon schließlich los und schaute unzufrieden dabei zu, wie er sich bekleidete. Milo hingegen machte keine Anstalten neben seiner Unterwäsche noch etwas anzuziehen. Fenin würde ihn sowieso nicht mitkommen lassen und im Freien würde er mit Gewissheit nicht warten. Er hatte für heute genug gefroren und war ganz zufrieden mit der angenehmen Temperatur hier drinnen.

„Was soll ich machen?“, fragte er trotzdem. In erster Linie, um sein Gewissen zu beruhigen. Fenin musterte ihn kurz, ehe er vor ihm in die Hocke ging und zärtlich über die Wange streichelte.

„Keinen Unfug. Ich werde schnell zurück sein.“ Milo wollte die Lippen schürzen, doch Fenin durchkreuzte sein Vorhaben indem er eben diese mit seinen eigenen bedeckte. Es war nur ein kurzer Kuss. Doch er war derart gefühlvoll, dass Milos Herzschlag sich wieder beschleunigte. „Soll ich den Eingang wieder verschließen?“ Ohne zu zögern nickte der Mann. Anfangs hatte er sich nicht einmal in dieses lebende Versteck getraut und nun ließ er sich freiwillig darin einsperren.

Als Fenin ging strömte für einen kurzen Augenblick kalte Luft ins Innere, was den nur halb bekleideten Mann sofort unter seinen Umhang schlüpfen ließ. Doch neben der Kälte kam auch Tageslicht hinein. Milo hatte hier drinnen sein Zeitempfinden verloren, doch anscheinend war es noch nicht so spät, wie er vermutet hatte. Oder aber es war deutlich mehr Zeit vergangen und sie hatten bereits den nächsten Tag. Im Endeffekt interessierte es ihn aber nicht wirklich. Etwas anderes hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der Boden war mit verwelkten Blütenblättern bedeckt. Unweigerlich fragte sich der Mann, wann das geschehen war. Offensichtlich war Fenin dafür verantwortlich.

Noch in der selben Nacht nahm Milo seinen Mut zusammen und wagte einen weiteren Schritt. Den restlichen Abend hatten sie sich wie immer verhalten, als wäre nichts gewesen. Fenin ging zwar entspannter mit ihm um, doch er befürchtete, dass er lange auf weitere Veränderungen warten würde, wenn er es dem anderen überließ. Nachdem sie sich ins Innere der Wurzeln zurückgezogen hatten, setzte sich Milo absichtlich dicht neben den Dämon. Er hatte keine sexuellen Absichten, er wollte Fenin, nachdem dieses letzte Hindernis zwischen ihnen auch verschwunden war, einfach nur nah sein. Er wollte dieses atemberaubende Gefühl noch mehr auskosten. Im Dunkeln konnte er spüren, wie sich Fenin ihm augenblicklich zuwandte, was ihn in seinem Handeln bestärkte.

„Woher dein plötzlicher Sinneswandel?“ Fenins Stimme war so nah an seinem Ohr, dass sich die Haare an seinen Armen aufstellten.

„Kein Sinneswandel. Nur ein Missverständnis.“ Und seine eigenen Gedanken, die ihm so lange im Weg gestanden hatten. Vorsichtig, als könnte er den anderen dabei verletzen, legte Milo seinen Kopf auf dessen Schulter ab.

„Und du meinst es ernst?“ Hätte Fenin sich bei dieser Frage nicht an ihn geschmiegt, wäre Milo mehr als empört über sie gewesen. So aber erkannte er seine Unsicherheit, die ihn in der Hinsicht freute, dass sie den anderen deutlich menschlicher erscheinen ließ. Fenin ließ so selten seine Gefühle durchscheinen, dass der Mann kaum wusste, was wirklich in ihm vorging.

„Dreimal darfst du raten“, entgegnete Milo einfach. Er würde sich sicher nicht aus Spaß mit einem männlichen Dämon einlassen. Bei diesem Gedanken musste er den Kopf über sich selbst schütteln. Es klang so unrealistisch. Und doch hatte er Fenin hier an seiner Seite sitzen und könnte sich damit nicht glücklicher fühlen.

„Es tut mir leid, ich kann es noch nicht so recht glauben. Das kam vorhin doch etwas unerwartet.“ So oft Schmunzeln wie an diesem Tag hatte er den Dämonen noch nie gehört, doch es stimmte Milo definitiv fröhlich.

„Du kannst es ruhig glauben.“ Milo konnte nicht anders, als dem anderen spielerisch in die Schulter zu beißen.

„Darf ich mich noch einmal versichern?“ Wie hätte Milo bei dieser Frage ablehnen können? Ehe er sich versah, küssten sie sich bereits. Die Ruhe, die eben noch seinen Körper ausgefüllt hatte, war vergessen. Stattdessen schlug sein Herz Purzelbäume und sein Verstand schaltete sich ab, als er neben den zärtlichen Berührungen, die schnell wilder wurden, Fenins verführerischen Geruch einsog. Mit einer sanften Bestimmtheit presste er ihn gegen die Wand.

In dieser Nacht fanden sie beide nur wenig Schlaf.
 

Die nächsten Tage reisten sie noch unbestimmter umher. Das Wetter war wieder besser geworden, die starken Schneestürme hatten nachgelassen und dennoch legten sie mehr Pausen ein, als notwendig gewesen wären. Sie wollten keinen bestimmten Ort erreichen, sie genossen einfach die Zeit, die sie miteinander verbrachten. Milo hatte sich schnell mit der neuen Situation angefreundet. Nicht nur waren seine Ängste und Zweifel verflogen, seine neue Beziehung zu Fenin tat ihm merklich gut. Er fühlte sich derart wohl in der Gegenwart des anderen, dass er nicht wusste, wie er diese Gefühle jemals hatte leugnen können. Nie hatte er sich auch nur ansatzweise so in der Gegenwart eines anderen Menschen gefühlt.

Auch war dem Mann schnell aufgefallen, dass Fenin absolut unterwürfig ihm gegenüber in jeglicher Hinsicht war. Anfangs hatte ihn diese Erkenntnis etwas irritiert, da er von Fenin als Dämon etwas anderes erwartet hätte. Probleme hatte er aber keine damit. Bereits bei ihrem ersten Mal hatte es Milo mehr als gefallen, die führende Hand zu haben. Seine Gedanken schweiften zu all den vergangenen Nächten ab, in denen sie sich nah gewesen waren. Manchmal hatte er das Gefühl, dass es fast zu viel war. Doch jede Nacht, wenn sie erneut zusammen in dem engen Unterschlupf waren, konnte keiner von ihnen die Hände bei sich behalten. Ein Lächeln huschte über Milos Lippen und ein Hauch von violett durch sein Blickfeld. Die Schmetterlinge waren alleine in den letzten Tagen deutlich häufiger aufgetaucht, als in all seinen Lebensjahren davor. Er wusste längst, dass es mit Fenin zusammenhing, doch die wahre Ursache würde ihm wohl für immer verborgen bleiben.

Mit einem Blinzeln war das Insekt, dem Milo hinterhergeschaut hatte, wieder verschwunden. Stattdessen blieb sein Blick an Fenin hängen, der ihn sanft, fast unmerklich anlächelte. Milo konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. Die friedliche Stimmung wurde jäh beendet, als eine dritte Person auf die Lichtung trat, die sie gerade überquerten.

„Wie erbärmlich.“ Die Stimme des Fremden war voller Verachtung und zog die Aufmerksamkeit der beiden auf sich. Milo hob reflexartig seinen Stab vor sich, als er ein Brennen unter seinem Umhang bemerkte. Es war der Talisman, den Falamir ihm zur Warnung vor bösen Absichten gegeben hatte. Ein Blick auf den anderen genügte, dass er sich im nächsten Moment vor dem Haus seiner Eltern wiederfand, das lichterloh brannte. Die gelben Augen waren alles, was er sehen musste, um zu wissen, wer ihm hier gegenüberstand. Sie würde er immer wieder erkennen. Verfolgten sie ihn schließlich seit seiner Kindheit. Doch dieses Mal war es kein Traum. Das lange, feuerrote Haar und die vier daraus wachsenden Hörner waren echt.

Dieser Dämon, der Dämon, der ihm seine Familie geraubt und sein Leben zur Hölle gemacht hatte, stand nun wirklich vor ihm. Seit damals hatte er sich vorgestellt, wie es sein würde, ihn endlich zu finden. Rache zu nehmen. Er hatte nie die Hoffnung aufgegeben, bei seiner Bestimmung diese Welt von den Monstern zu befreien, diesem einen über den Weg zu laufen. Dass sie sich nun hier trafen war vermutlich eher Zufall, trotzdem würde Milo seine Chance wahrnehmen. Entschlossen hob er seinen Stab höher. Den Stab, der seinem Vater gehört hatte. Den er stets wie seinen Augapfel gehütet und nicht einmal seine Söhne hatte anfassen lassen. Den Milo damals als einziges Andenken in der Asche seines einstigen Zuhauses gefunden hatte. Zu dem Zeitpunkt war er sich sicher gewesen, dass dieser Stab etwas ganz besonderes war, hatte er immerhin das Feuer überstanden. Und er hatte sich geschworen mit dieser Waffe Rache zu nehmen, alleine um seinen Vater zu ehren.

„Du widerwärtiger Abschaum. Es war ein Fehler, dich hier zu zeigen. Ich werde dich vernichten!“ Ungeachtet der Tatsache, ob er eine reelle Chance gegen diesen Dämon hatte, stürzte er sich auf ihn. Wenn er nun kneifen würde, wäre alles bisherige umsonst gewesen. Jedoch kam Milo nicht weit, da er nach nicht einmal einem halben Schritt zurückgehalten wurde. Fenin hatte einen Arm um ihn gelegt und verhinderte so, dass er sich in sein Verderben warf.

„Milo! Er ist zu stark für dich“, redete Fenin sogleich mit eindringlicher und doch ruhiger Stimme auf ihn ein.

„Das ist mir egal! Er hat meine Familie getötet. Er hat mein Zuhause abgebrannt. Er hat mir alles genommen, was ich hatte und dafür werde ich mich rächen!“ Der Fremde stand nur wenige Meter von ihnen entfernt, so dass Milo das verächtliche Funkeln in dessen gelben Augen nicht entging. Mit einem provozierenden Grinsen legte der Dämon seine spitzen Zähne frei und brachte Milo so nur noch mehr in Rage.

„Also willst du genauso sinnlos sterben? Ist das die Rache, die du anstrebst? Ist es dir auch egal, wenn ich danach alleine zurückbleibe?“ Fenins letzte Frage brachte den Mann tatsächlich zum Stutzen, trotzdem schüttelte er entschlossen den Kopf.

„Es tut mir leid, Fenin. Aber wenn ich jetzt nicht alles gebe, dann werde ich es mein Leben lang bereuen. Ich habe genug Jahre des Leidens hinter mir, ich habe nichts mehr zu verlieren.“ Ihm entging nicht der verletzte Ausdruck in den Augen des anderen. Milo tat es leid ihn zu kränken, doch von dieser Entscheidung würde Fenin ihn nicht abbringen können.

„Ich werde nicht zulassen, dass du einen sinnlosen Tod stirbst. Nicht solange ich es verhindern kann. Wir können ihn auch zusammen bekämpfen, ohne diese Selbstmordaktion.“ Auch wenn an Fenins Worten etwas wahres dran war, so gefielen sie Milo nicht. Immerhin wollte er derjenige sein, der dieses Monster zur Strecke brachte. Doch Fenins ruhige Stimme besänftigte ihn mindestens genauso sehr, wie die Nähe, die er noch immer zu ihm hatte. Der Griff des Dämons hatte sich nicht im Geringsten gelockert.

„Schau an was aus dir geworden ist, Fenin“, mischte sich der Fremde in ihre Unterhaltung ein. Milo, der ihn keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte, musterte angeekelt seine Gestalt. Während Fenin in seiner Dämonenform beinahe unscheinbar wenn nicht sogar elegant aussah, wirkte dieser Dämon wie der Teufel persönlich. Neben seinen großen Hörnern hatte er lange, rote Klauen und einen Teufelsschwanz. Trotz der eisigen Temperaturen stellte er seine muskulöse Brust zur Schau. Letztendlich blieb sein Blick aber an dem übertrieben pompösen, goldenen Schwert hängen. Es war größer als der Dämon und trotzdem sah es in dessen Händen schmächtig aus. „Ziehst mit einem Mensch umher und willst seinetwegen gegen einen alten Freund kämpfen. Hast du etwa all unsere schönen Zeiten vergessen?“ Diese Worte ließen Milo hellhörig werden. Es klang beinahe so, als würden sich die beiden kennen. Alleine schon, weil der Fremde Fenins Namen kannte. Milo löste seinen Blick von seinem Feind, um kurz zu Fenin zu schauen.

„Was meint er damit?“ Mit einem Mal hatte Milo wieder eine unbestimmte Unsicherheit in sich.

„Lass dich nicht von ihm beeinflussen.“ Während Milo nun Fenin, der ihn nach wie vor festhielt, fixierte, starrte dieser den Fremden an.

„Fenin, hast du ihm etwa nicht von deiner Vergangenheit erzählt? Was für eine Schande. Wolltest du ihn etwa für immer belügen? Lass es mich dir erklären, Milo.“ Während der Dämon die ganze Zeit über arrogant klang, spuckte er Milos Namen voller Verachtung aus. Der Mann wusste beim besten Willen nicht, was er ihm getan hatte, doch er ahnte bereits, dass seine Eltern nicht zufällig zu seinem Opfer geworden waren, sondern ihr Tod etwas mit ihrem eigenen Sohn zu tun hatte. „Du musst wissen, dass Fenin und ich schon lange gemeinsam unterwegs waren. Wir waren wirklich ein tolles Paar, zumindest solange, bis Fenin dich das erste Mal sah. Mit der Zeit entwickelte er geradezu eine Besessenheit. Es war so schlimm, dass er nicht einmal deine Seele wollte. Ich wollte ihn davon befreien, indem ich dich auslösche. Deine Familie hätte natürlich nicht sterben müssen, doch dafür hat es zu viel Spaß gemacht. Zu dumm, dass du mir entkommen bist. Wer hätte aber wissen können, dass es um Fenin so schlimm stand, dass er sich sogar gegen seinen Gefährten wandte, nur um einen nutzlosen Menschen zu retten. Du hast unsere Beziehung zerstört und dafür werde ich dich zerstören. Der Verlust deiner Familie ist nichts im Vergleich zu dem, was ich dir antun werde. Denn mit dir, Fenin, habe ich längst abgeschlossen.“ Der abgrundtiefe Hass in seiner Stimme ließ Milo die Tatsache, dass Fenins Anwesenheit damals genauso wenig Zufall gewesen war, wie der ganze Zwischenfall an sich, erst einmal vergessen. Es war mehr als deutlich, dass ein Kampf unausweichlich war. Doch nicht Milo war das Ziel dieses Dämons, sondern Fenin.

Hyazinthe


 

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„Lass mich das machen, Milo“, flüsterte Fenin geradezu in Milos Ohr, während er ihn endlich losließ und gleichzeitig hinter sich schob. Der Mann wollte sogleich protestieren, doch kam nicht mehr dazu, da im nächsten Augenblick riesige Flammen in den Himmel schlugen. Innerhalb weniger Sekunden war die gesamte Lichtung in einen Feuerwirbel gehüllt, der den Schnee schmelzen und das Wasser verdunsten ließ. Die Hitze war unausstehlich, doch darauf konnte sich keiner von ihnen konzentrieren. Der Feuerdämon hatten den Kampf begonnen.

„Fenin. Wir wissen beide, dass du keine Chance gegen mich hast. Du wirst diesen Menschen nicht beschützen können. Aber keine Sorge, ich werde mich um ihn kümmern. Sobald ich dich getötet habe.“

„Sairal, was bezweckst du damit? Du warst es, der mir in den Rücken gefallen ist, nicht ich.“ Auf Fenins Worte ließ Sairal ein verbittertes Lachen hören.

„Natürlich war ich es. Was ich damit bezwecke? Du warst schon immer schwach. Du hast es nicht einmal verdient Dämon genannt zu werden. Dass du dich mit Menschen abgibst macht es nur noch deutlicher. Du wolltest mich nicht, also sollst du sonst auch niemanden haben.“

„Warum willst du ihn überhaupt, wenn er doch ach so schwach ist?“, mischte sich Milo unbedacht ein. Er konnte es nicht ertragen, dass mit Fenin derart umgegangen wurde.

„Sich einen ebenbürtigen oder stärkeren Gefährten zu suchen wäre dumm. Man kann nie wissen, wann man hintergangen wird. Nach all den Jahren hat das wohl auch unser Fenin verstanden. Dass seine einzige Option aber ein schwacher Mensch ist, ist mehr als traurig.“

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, änderte sich Fenins Aussehen. Aus der verbrannten Erde schoss eine schwarze Wurzel, die Sairal nur aufgrund dessen blitzschnellen Reaktion verfehlte. Doch das pfeilspitze Ende der Wurzel verfolgte den Dämon weiterhin. Zumindest solange, bis dieser sie in Flammen aufgehen ließ. Für einen Moment versuchte Fenin noch, den anderen zu erwischen, doch schließlich zerfiel die Pflanze zu Asche. Es war mehr als deutlich, dass dieser Kampf aussichtslos war. Sairal hatte mit seinem Feuer eindeutig die Oberhand über einen Blumendämon. Der Ärger in Milo wurde nur noch größer. Er war bereit sich jeden Augenblick mit seinem Stab auf den Dämon zu stürzen und wartete nur noch den richtigen Moment ab. In diesem Kampf ging es nicht mehr nur noch um seine Rache. Er wollte auch Fenin beschützen, der sich zum ersten Mal seit sie sich kannten in ernsthafter Gefahr zu befinden schien.

Fenin gab nicht so schnell auf. Er ließ immer wieder und immer mehr Pflanzen aus der Erde wachsen, mit denen er Sairal angriff oder sie vor dessen Feuer schützte. Die meisten brannten bereits, als sie die Erde verließen und wurden schnell nutzlos. So wurde Sairal zwar daran gehindert, ihnen Schaden zuzufügen, doch Fenin wurde immer erschöpfter, während der Feuerdämon so aussah, als würde er es nicht einmal ernsthaft versuchen. Milo stand nur nutzlos daneben und krallte seine Finger in das Holz seines Stabs. Er würde keinen Schritt an ihren Gegner herankommen, ohne dass ihn die hohen Flammen verbrennen würden.

„Ich habe dich noch nie so entschlossen gesehen, Fenin. Zu schade, dass dies dein Ende ist. Deine Tricks sind nutzlos gegen mich, ich kenne sie alle.“ Mit einem finsteren Lachen, dass beinahe triumphierend klang, schleuderte Sairal einen weiteren Feuerschwall in ihre Richtung, der die bisherige Hitze um ein weites überstieg. Milo konnte nicht anders, als sich abzuwenden, während Fenin vor ihm den Angriff abfing. Seine Barriere aus Wurzeln wurde augenblicklich von dem Feuer durchbrochen, so dass Fenin ihm schutzlos ausgeliefert war. Seine Haut verbrannte genauso wie seine Kleidung. „Was ist los? War das schon alles? Dabei haben wir nicht einmal richtig angefangen. Du bist schwächer, als ich gedacht hatte.“ Mit erhobenem Schwert, dessen Klinge ebenfalls von züngelnden Flammen umgeben war, stürmte der Dämon plötzlich auf sie zu.

Wie von selbst drehte sich Milo in die richtige Position, um diesen Angriff mit seinem Stab zu kontern. Er kam nicht dazu, da Fenin ihn mit einer rauen Bewegung zur Seite stieß und sich dadurch einen tiefen Schnitt mit einer ordentlichen Verbrennung am Oberarm zuzog. Milo schaute dem Szenario geschockt zu. So wie sein Vater sich damals für seine Familie geopfert hatte, war Fenin nun drauf und dran, sich für ihn zu opfern. Dies musste er verhindern. Wenn er nur wüsste wie.

„Wie selbstlos von dir. Opferst dich für jemanden wie ihn. Ist dir dein Leben wirklich so wenig wert?“, begann Sairal ihn wieder zu sticheln.

„Wie oft willst du dich noch wiederholen?“, entgegnete Fenin durch zusammengebissene Zähne. Erneut versuchte er den anderen mit seinen Wurzeln anzugreifen, aber auch aus der Nähe gelang ihm dies nicht. Stattdessen wurde er ein zweites Mal durch die lodernde Klinge verletzt.

Milo konnte es nicht länger ertragen. Durch seinen letzten Attacke war Sairal noch nahe genug, so dass er selbst einen Angriff wagte. Er sprang auf den Dämon zu, wollte ihn mit seinem Stab treffen. Sein Schlag ging ins Leere. Mit einer flüssigen Bewegung war Sairal zurückgewichen. Noch bevor er stehen blieb, schleuderte er einen Feuerball auf den Mann, welchen dieser nicht einmal mit seiner Waffe blocken konnte. Sein Ausweichradius war nicht groß genug, so dass ihn die bereits so unerträglich heiße Kugel aus Flammen unvermeidlich treffen würde. Mit seinem Stab vor sich schloss Milo die Augen, doch der erwartete Schmerz blieb aus. Die Hitze ließ nach. Als er die Augen wieder öffnete, konnte er sehen, dass Fenin ihn gerettet hatte. Vor ihm zerfielen die letzten Wurzeln zu Asche, aber auch das Feuer war verschwunden. Gerade noch rechtzeitig schaute er zu Fenin um zu sehen, wie dieser von Sairals brennendem Schwert durchbohrt wurde. Fenin hatte seinem Gegner den rücken zugewandt, um Milo beschützen zu können. Dieser schaute ihn nun geschockt an. Als das Schwert wieder aus Fenins Brust gerissen wurde, ging dieser augenblicklich zu Boden.

„Fenin!“ Trotz der Panik, die mit einem Mal in Milo aufkam, blieb er wie angewurzelt stehen.

„So ein dummer Dämon. Ich habe es ihm von Anfang an gesagt, aber er wollte ja nicht hören. Er hat sich geopfert, nur um dein Leben zu retten. Wie fühlt es sich an, für den Tod seines Geliebten verantwortlich zu sein? Ich schätze, jetzt sind wir quitt.“ Sairal ließ ein boshaftes Lachen hören, während er näher an den am Boden liegenden Fenin herantrat. „Aber wenn ich es mir recht überlege, am liebsten sind mir Seelen voller Groll und Trauer. Vielleicht verschlinge ich dich auch einfach. Fürs Erste werde ich mich aber damit begnügen, diesen Schwächling endgültig zu erledigen.“ Damit hob er sein Schwert über Fenin, um zuzustoßen.

Milo war so voller Verzweiflung, dass er zu schreien begann. Er war sich nicht einmal sicher, ob Fenin nach dem Angriff eben überhaupt überleben konnte, doch er konnte es nicht so enden lassen. Er wusste nicht wie, doch er musste es verhindern. Vor wenigen Minuten noch waren sie so glücklich gewesen und nun war alles dabei ein Ende zu finden, wenn es dies nicht längst getan hatte.

„Lass deine dreckigen Finger von Fenin! Du hast genug Schaden angerichtet. Ich werde dich hier und heute zur Strecke bringen!“ Für seinen Vater, seine Brüder, seine Mutter. Und für Fenin. Tatsächlich hatte Sairal in seinem Tun inne gehalten und schaute Milo ausdruckslos an. Über seinen Wutausbruch war sogar das widerwärtige Grinsen aus dem Gesicht des Dämons verschwunden.

Milos Entschlossenheit etwas zu unternehmen, den anderen aufzuhalten war so groß, dass er sich nicht einmal über die plötzliche Bewegung an seinen Schultern wunderte. Mit einem aufkommendem Windhauch wehte feines Puder auf Sairal zu, welcher augenblicklich zurückwich. Milo schaute nun mindestens so irritiert wie der Dämon.

„Das kann nicht sein.“ Ohne so recht zu wissen, was er tat, nutzte Milo diesen Überraschungsmoment. Die violett-türkisen Schmetterlingsflügel an seinem Rücken begannen stärker zu schlagen und mehr des feinen Puders auf Sairal zu verteilen. Dieser lachte plötzlich. „Was für eine Wendung. Wer hätte gedacht, dass du in Wirklichkeit ein Dämon bist? Bleibt nur die Frage, wer der Schwächere ist. Die Blume oder doch der Schmetterling.“ Erneut ließ er ein Lachen hören und setzte sein Schwert wieder zum Schlag an, Milo in keinster Weise ernst nehmend.

„Hast du Schiss oder warum willst du nicht gegen mich kämpfen?“, provozierte Milo den anderen, in der Hoffnung, dass er von Fenin abließ, nachdem er merkte, dass dieses Puder keinerlei Wirkung hatte. Er wusste nicht, was er gegen Sairal unternehmen konnte, doch Fenin hatte ihm damals gesagt, dass jeder Dämon eine besondere Fähigkeit hatte. Sollte er selbst tatsächlich einer sein, dann musste es einen Weg geben.

„Du nervst.“ Sairal warf ihm einen kalten Blick zu.

„Und du wirst jetzt sterben.“

„Du hast keine Ahnung von irgendwas.“ Endlich ließ Sairal sein Schwert sinken und wandte sich Milo zu. „Lass mich dir zeigen, was ein richtiger Dämon kann. Keine Sorge, du wirst deinen Geliebten im Jenseits wiedertreffen.“ Mit einem triumphierenden Grinsen erschuf Sairal aus dem Nichts einen enormen Feuerball. Doch im gleichen Augenblick kam es zu einer riesigen Stichflamme, die Sairal selbst in loderndes Feuer hüllte. Das feine Puder, das seinen gesamten Körper und die wenige Kleidung die er trug bedeckt hatte war allem Anschein nach hochentzündlich. Zu Milos Glück schien Sairal zwar Feuer erschaffen und kontrollieren zu können, selbst aber nicht immun zu sein, wenn er erst einmal brannte. Zumindest bekam er die Flammen an seinem Körper nicht unter Kontrolle, bis er sich nach wenigen Sekunden brüllend in den Wald floh. Ein Geräusch, das Milo nicht so schnell vergessen würde, da es nicht wie aus dieser Welt klang. Am liebsten wäre er dem Dämon gefolgt, um sicherzugehen, dass er sein Ende fand, doch etwas anderes war wichtiger.

Ohne sich zu fragen, was gerade geschehen war, was mit ihm selbst los war, eilte Milo zu Fenin. Dieser lag noch immer am verbrannten Boden in einer mittlerweile großen Blutlache. Sein Atem ging schwach. Milo ließ sich neben ihm auf die Knie fallen und griff ihm vorsichtig an die Schultern. Zwischen ihnen war der große Einschnitt des Schwertes deutlich zu sehen. Auch aus den tiefen Wunden an seinem Arm quoll die rote Lebensessenz.

„Fenin. Fenin! Fenin?“ Nur mit Mühe widerstand er dem Drang den anderen zu schütteln. Stattdessen beugte er sich weiter nach vorne, als er ein leises Husten hörte. Sein Herz fühlte sich an, als würde es brechen wollen, während seine Augen feucht wurden. Diese Situation war zu unwirklich, als dass sie wahr sein konnte.

„Sairal?“ Fenins Stimme klang trocken und zitterte. Doch zumindest konnte er noch sprechen, was Milo immerhin etwas Hoffnung gab.

„Er ist weg.“

„Wie?“

„Ich habe ihn verjagt, aber das ist jetzt nicht wichtig. Wie kann ich dir helfen?“ Auch wenn der Kampf erst einmal vorbei war, so fühlte sich Milo nun nur noch hilfloser. Fenin lag möglicherweise im Sterben und er selbst wusste nicht, was er machen sollte. Mit jeder Sekunde wurde der Schmerz in seiner Brust stärker. Hatte ihm dieser verfluchte Teufel schon wieder alles genommen, was ihm wichtig wahr?

„Bleib... bei mir.“ Tränen schossen Milo in die Augen, als sein Inneres von Verzweiflung, Angst und Wut geflutet wurde.

„Kannst du dich umdrehen?“ Er wollte Fenin keine Schmerzen zufügen, aber er wollte auch nicht, dass er weiterhin auf dem Bauch liegen blieb. Er wollte sein Gesicht sehen. Fenin gab ein Stöhnen von sich, als er sich zu bewegen begann. Milo half ihm vorsichtig, bis er in dessen Armen lag und ihn aus seinen roten Augen anschaute. In ihnen war Schmerz, aber auch ein liebevoller Ausdruck zu sehen. Sein halbes Gesicht war verbrannt.

„Deine Augen.“ Milo dachte, dass er die Tränen ansprach, weswegen er sie mit einer Handbewegung wegwischte.

„Ich hatte Angst um dich. Ich habe es immer noch“, rechtfertigte er sich.

„Das... brauchst du nicht.“ Fenin lächelte leicht, was den Schmerz aber nicht aus seinem Gesicht verschwinden ließ. „Sie sind so... blau...“ Geradezu fasziniert schaute er ihn an. Sofort fragte sich Milo, ob Fenin aufgrund des Blutverlustes zu halluzinieren begann, oder ob sich möglicherweise tatsächlich seine Augenfarbe geändert hatte. Er hatte riesige Schmetterlingsflügel am Rücken, das war mit Sicherheit alles andere als normal. Sairal hatte gesagt, dass er ein Dämon sei. Fenin wechselte ständig seine Augenfarbe, vielleicht war es bei ihm nicht anders. „Was... ist passiert?“ Fenins Frage holte ihn aus seinen Gedanken. Er bemerkte, dass sich der Blick des anderen auf seine Flügel gerichtet hatte.

„Ich weiß nicht so recht. Aber das ist jetzt auch nicht wichtig.“ Gerade hatte er wirklich keinen Nerv, sich damit auseinander zu setzen. Nicht nur, dass das alles viel zu plötzlich und absolut unerwartet gekommen war. Fenin hatte im Moment absolute Priorität. Auch wenn dieser gesagt hatte, dass er sich keine Sorgen machen zu brauchte, wie könnte er jetzt an etwas anderes denken?

„Du bist ein... Dämon“, stellte Fenin ruhig fest.

Kamille


 

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Nachdem Sairal verschwunden war, war es schnell wieder kalt geworden. Für eine Weile hatte Milo vergessen, dass gerade tiefster Winter herrschte, doch nun fror er erneut. Er fragte sich mehr denn je, wie Fenin bei solchen Temperaturen kaum bekleidet herumlaufen konnte. Obwohl er sich gerade in seiner angeblichen Dämonenform befand, war Milo nach wie vor kalt.

„Ich habe Durst.“ Fenin befand sich noch immer in seinem Arm, doch mittlerweile hatten sie sich von der Lichtung entfernt. Milo hatte ihn zwischen die schützenden Bäume getragen, wo er ihn wieder auf den Boden gegen einen Baum gesetzt hatte. Loslassen wollte er ihn dennoch nicht. Hier lag noch etwas Schnee und Fenin war schwer verletzt. Er verlor stetig Blut und würde möglicherweise nicht seine Körpertemperatur halten können.

„Soll ich dich zum Wasser bringen?“ Fenins rote Augen hefteten sich an ihn, was Milo schlucken ließ.

„Ich werde nicht sterben... Aber ich würde mich jetzt gerne ausruhen.“ Seine Worte beruhigten Milo, auch wenn er nach wie vor nicht glauben konnte, dass Fenin mit einer derartigen Verletzung noch lebte. Das Schwert hatte ihn durchbohrt. Selbst wenn die Klinge sein Herz verfehlt hatte, musste sie seine Lunge getroffen haben. Ganz zu schweigen davon, dass er noch weitere schwere Wunden hatte und reichlich Blut verlor.

„Es ist kalt und du blutest. Wenn ich dich alleine lasse...“

„Milo, diese Verletzung ist nur halb so schlimm, wie sie aussieht. Ein Dämon steckt so etwas besser weg, als ein Mensch. So lange ich in dieser Form bleibe, wird es mir schnell besser gehen.“ Milo war noch immer nicht hundertprozentig überzeugt, aber er glaubte Fenin, dass Dämonen bessere Heilungskräfte als Menschen hatten.

„Wenn ich wiederkomme, bist du noch da.“ Es war sowohl ein Befehl, als auch eine unsichere Frage. Anstatt eine Antwort zu bekommen, griff Fenin in seinen Nacken, zog ihn zu sich und küsste ihn kurz.

„Danke dass du mich gerettet hast.“ Dieser Dank kam nicht nur unerwartet, er ließ Milo auch verlegen werden. Nur langsam wurde ihm bewusst, dass tatsächlich er es gewesen war, der Fenin gerettet hatte.

„Solange ich es kann, werde ich dich immer wieder retten.“ Genauso wie Fenin sonst auf ihn aufpasste, passte er selbst auch auf diesen auf. Er wollte ihn nicht mehr in seinem Leben missen und würde somit alles daran setzten, um ihn zu beschützen. Die Erfahrung ihn um ein Haar für immer verloren zu haben, hatte dieses Bedürfnis nur noch gestärkt.
 

Nachdem Milo von dem nahegelegenen Bach zurückkam, saß Fenin immer noch an den Baum gelehnt, an dem er ihn zurückgelassen hatte. Seine Nervosität legte sich sogleich, während er sich neben dem anderen niederließ. Je länger Milo mit den Flügeln an seinen Schultern herumlief, desto weniger nahm er die Kälte wahr. Dennoch störten sie ihn. Auch wenn er sie nicht wirklich bemerkte, als würden sie wie ein Arm oder ein Bein zu ihm gehören, blieb er ständig irgendwo hängen. Außerdem fühlte er sich in seinem eignen Körper wie ein Fremder. Während er Fenin in Gedanken das Trinkhorn reichte, musterte dieser ihn.

„Du kannst dich zurückverwandeln wenn es dich stört“, sprach Fenin ihn auf einmal an, als hätte er seine Gedanken gelesen. Milo schaute ihn etwas ertappt an, ärgerte sich dann aber über sich selbst, dass er nicht längst darauf gekommen war. Für einige Sekunden schauten sich die beiden einfach nur an, ehe Milo klar wurde, dass er nicht wusste wie.

„Du redest so, als wäre es das einfachste der Welt.“

„Tut mir leid“, entschuldigte er sich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. „Die meisten Dämonen haben Anfangs Probleme damit, in ihre Menschenform zu gelangen. Normalerweise lernt man das aber in einem jungen Alter. Du warst so lange eine Mensch, für dich dürfte es kein Problem sein.“ Fenin streckte seinen zitternden Arm aus und legte ihn auf Milos Brust. „Konzentriere dich auf diesen Punkt. Du wirst eine neue, starke Energie spüren. Diese Kraft musst du vermeiden, während du dich auf dein menschliches Wesen konzentrierst.“

Nicht nur klang es unglaublich kompliziert, auch brauchte Milo einige Anläufe, bis er überhaupt verstand, wovon Fenin genau sprach. Diese fremde Energie hatte er schnell ausfindig gemacht. Doch weder wusste er, wie er sie vermeiden sollte, noch, was sein menschliches Wesen war. Als Fenin ihn letztendlich aber lobte wusste er, dass er es geschafft hatte. Und tatsächlich, als Milo seine Augen wieder öffnete, war er der Mensch, der er immer gewesen war. Nur dass er nun allem Anschein nach kein Mensch mehr war.

„Wie kann das sein?“, fragte er überfordert den anderen, als wäre er verantwortlich dafür.

„Man wird nicht einfach ein Dämon. Du musst schon immer einer gewesen sein.“ Fenin schaute ihn einen Moment schweigend an. Milo war sich nicht sicher, ob er fertig war, oder einfach nur eine Pause brauchte. Das sprechen fiel ihm noch immer merkbar schwer. Die Tatsache, dass er sich mit ihm aber über solche Dinge unterhalten konnte, ließ ihn aber endlich etwas beruhigen. „Wenn es dir niemand gesagt hat und du es nicht zufällig entdeckt hast, konntest du es nicht wissen und dich auch nicht verwandeln. In deinem Kopf warst du immer ein Mensch und konntest deswegen keinen Weg in deine wahre Form finden. Waren deine Eltern wirklich Menschen?“ Milo musste kurz nachdenken, schüttelte dann aber entschieden den Kopf.

„Sie waren definitiv Menschen. Du warst doch damals dabei.“ Er senkte seinen Blick leicht und versuchte sich dass alles zu erklären. „Ich weiß nicht. Sie hatten alle dunkelblondes Haar.“ Früher hatte sich Milo nie darum Gedanken gemacht. Nun aber fragte er sich, ob nicht doch mehr dahinter steckte. Fenin nickte leicht.

„Sie werden dich irgendwann aufgenommen haben. Ich weiß nicht wer deine Mutter war, oder weswegen sie dich in so ein Umfeld gegeben hat. Aber sie hat eine gute Wahl getroffen.“ Milo verzog sein Gesicht auf Fenins Worte, ging aber nicht weiter darauf ein. Für ihn gab es trotz allem nur eine Mutter und diese war damals gestorben.

„Wieso hast du mich dann nicht als einen erkannt?“, wechselte er das Thema wieder. Das kam alles zu plötzlich, als dass er groß darüber nachdenken konnte oder wollte.

„Ein Dämon erkennt einen anderen Dämon auch nur in seiner Dämonenform. Du warst immer nur ein Mensch und hast mir keinerlei Anlass gegeben, etwas anderes zu vermuten.“

„Es war also reiner Zufall, dass ich mich jetzt verwandelt habe?“, fragte Milo verunsichert nach. Vielleicht hoffte ein kleiner Teil in ihm immer noch, dass das alles nur ein Missverständnis war und es sich in Wirklichkeit um etwas anderes handelte. Als Fenin nickte, führte er seine Gedanken weiter aus. „Ich wollte dich beschützen. Wenn es durch Emotionen ausgelöst wurde, warum ist es dann nicht längst geschehen? Zum Beispiel damals, bei meiner Familie?“ Der Gedanke, dass er sie möglicherweise hätte retten können, haftete sich mit einem Mal an seinen Geist und wollte nicht mehr loslassen.

„Ich kann es dir nicht sagen, Milo. Ich kenne mich damit nicht aus, ich habe nicht einmal jemals von so einem Fall gehört. Vielleicht war es einfach zu früh gewesen. Vielleicht waren deine Emotionen nicht stark genug oder einfach nicht die richtigen gewesen.“ Als er etwas warmes an seinen Händen spürte, schaute Milo wieder auf. Fenin hatte sie ergriffen und zog ihn nun leicht zu sich. „Das Einzige, das ich dir mit Sicherheit sagen kann ist, dass du keinerlei Schuld an irgendetwas trägst, was geschehen ist. Und genauso wenig solltest du denken, dass du es hättest verhindern können. Wenn überhaupt sollte ich mich entschuldigen, dass ich mir nicht mehr Mühe gegeben habe.“ Da Fenin mit seinen Worten Milos Gedanken genau auf den Punkt gebracht hatte, äußerte er sich nicht weiter dazu. Auch wenn eine Stimme in ihm wusste, dass der andere Recht hatte, so konnte er es doch nicht ganz akzeptieren.

„Wieso hast du mir verschwiegen, dass er dein Ex war?“ Diese Feststellung hatte Milo hart getroffen. Während des Kampfes hatte er nicht weiter darüber nachdenken können. Nun sickerte neben all den anderen Dingen, aber auch diese Information in sein Bewusstsein. Der Mann, den er über alles liebte, hatte einen Abschnitt seines Lebens mit dem Mann, den er über alles hasste, geteilt. Milo wusste nicht, ob er wütend, enttäuscht oder doch eifersüchtig sein sollte.

„Ich hatte wohl Angst, dass du mich dann noch mehr hasst.“ Die Worte waren ehrlich und Milo befürchtete, dass dies tatsächlich der Fall gewesen wäre, wenn er es damals bereits gewusst hätte. So aber schüttelte er den Kopf.

„Du denkst, du bist Schuld.“ Fenins Blick genügte ihm, um zu wissen, dass er damit ins Schwarze getroffen hatte. Und das Schlimmste war, dass er es nicht mal widerlegen konnte. Fenin hatte ihn damals entdeckt und Sairal mitgebracht. Dieser wurde eifersüchtig und wollten ihn als Störfaktor beseitigen. Fenin hatte ihm oder seiner Familie nie schaden wollen und dennoch hatte er indirekt Unheil über sie gebracht.

Vorsichtig lehnte sich Milo gegen ihn, vergrub sein Gesicht an seiner Schulter und genoss den blumigen Duft. Er konnte Fenin nicht böse sein. Generell konnte er gerade wenig fühlen. Er war einfach nur verwirrt und musste nun über noch so viel mehr nachdenken. In nur wenigen Wochen hatte sich sein Leben um beinahe 180° gewendet. Das einzige was er nun verstand, war seine Anziehung Fenin gegenüber. Wie sollte ein Schmetterling auch einer duftenden Blume widerstehen können?

Tulpe


 

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Über die nächsten Tage war Milo mit zweierlei Dingen beschäftigt. Zum einen gab er sich größte Mühe Fenin, der sich tatsächlich überraschend gut von dem Angriff erholte, gesundzupflegen. Zum anderen übte er sich darin, zwischen seinen beiden Formen hin und herzuwechseln. Auch wenn sich Fenin die ganze Zeit über in seiner Dämonenform befand, so übte Milo meist außerhalb seines Blickfeldes. Obwohl es vermutlich lächerlich war, so fühlte er sich überaus unwohl mit dieser ganzen Sache und war lieber alleine, wenn er zu dem wurde, was er sein ganzen Leben lang abgrundtief gehasst und gejagt hatte. So leicht ihm die Verwandlung mittlerweile, nachdem er einmal wusste worauf er sich konzentrieren musste auch fiel, er konnte noch immer nicht sagen was seine Stärken waren, worin seine Fähigkeiten lagen. Seine Flügel verteilten Puder, das nicht einmal eine besondere Wirkung zu haben schien, außer dass es hoch entflammbar war. Andererseits war sich Milo nicht einmal sicher, ob er diese Kräfte überhaupt anwenden wollen würde.

Erschöpft kehrte er an diesem Abend in ihr Lager zurück. Auch heute hatte er neben seinem Training versucht, etwas essbares aufzutreiben. Nicht nur war er nicht ansatzweise so erfolgreich wie Fenin, er hatte nicht einmal ein anderes Lebewesen finden und jagen können. Vielleicht war er doch kein Dämon, sondern irgendetwas anderes.

Fenin saß vor dem kleinen Feuer auf einem Stein und schaute abwesend in die Flammen. Hätte er die Augen geschlossen gehabt, hätte man annehmen können, er schliefe. Für einige Sekunden schaute Milo ihn einfach an, was ihm warm ums Herz werden ließ. Seit dem Kampf gegen Sairal hatte sich einiges geändert. Bereits davor hatte er seine Gefühle für Fenin akzeptiert gehabt, doch seitdem er den anderen beinahe verloren hätte, schienen sie noch stärker geworden zu sein. Er hinterfragte nichts mehr und wollte stattdessen jeden Augenblick mit ihm genießen. Selbst jetzt, da er in seiner Dämonenform vor ihm saß, spürte er nichts als Zuneigung ihm gegenüber.

„Du warst lange weg.“ Milo hatte gar nicht bemerkt, dass Fenin seinen Blick von dem Feuer auf ihn gerichtet hatte. Er war nicht halb so verlegen darüber, dass sein Starren entdeckt worden war, wie er vermutlich hätte sein sollen. Stattdessen schenkte er Fenin ein sanftes Lächeln, beugte sich zu ihm hinab und küsste ihn auf die Lippen.

„Tut mir leid.“ Er wollte Fenin nicht von seiner misslungenen Jagd erzählen, doch natürlich hatte dieser ihn längst durchschaut.

„Solange du zurückkommst, kannst du gehen wohin und solange du willst. Ich hatte lediglich Sorge, dass du dich verirrt hast. Außerdem dachte ich mir, dass wir wieder einmal etwas essen könnten. Ich wollte nicht einfach losziehen, so lange du weg bist.“ Milo hob nur eine Augenbraue, immerhin wussten sie beide genau, dass es ein leichtes für Fenin war ihn zu finden. Wenn er sich Sorgen machte, könnte er sich sogleich Sicherheit verschaffen und wenn er losziehen wollte, könnte er ihm Bescheid geben. Milo war klar, dass es nur eine höfliche Art war zu sagen, dass er seine misslungene Jagd von heute übernehmen und so endlich für etwas Essen sorgen würde.

„Du bist noch immer verletzt“, lenkte Milo das Thema auf den Grund, aus dem sie die letzten Tage nicht nur hier verweilt, sondern auch gehungert hatten. Mittlerweile hatte sich zwar eine schöne Kruste auf den Wunden gebildet und auch die Verbrennungen waren nur noch als rote Haut erkennbar, trotzdem wollte Milo kein Risiko eingehen, dass diese wieder rissen und Fenin erneut so viel Blut verlor.

„Was denkst du, was ich jage? Weder ein Reh noch ein Kaninchen werden mich ernsthaft verletzen können. Ich bin wieder stark genug, um meine Kräfte einzusetzen.“ Ein ungewohnt fröhliches Lächeln umspielte Fenins Lippen. Generell wirkte der Dämon heute besonders gut gelaunt. „Aber es freut mich, dass du dir solche Sorgen um mich machst. Du kannst gerne mitkommen.“ Es war das erste Mal, dass er dieses Angebot machte, doch Milo schüttelte fast augenblicklich seinen Kopf. Er würde es für Fenin nur unnötig schwer machen.

Milos Blick heftete sich an Fenins rote Augen, während ihm plötzlich durch den Kopf ging, wie lange sie sich nicht mehr nah gewesen waren. Er hatte es nicht mitbekommen, doch über die kurze Zeit, in der sie intim geworden waren, hatte sich Milo so sehr daran gewöhnt, dass er sich nach nur ein paar Tagen wie ausgehungert fühlte. Natürlich hatte er Fenin in dessen Zustand absolute Ruhe gegönnt, trotzdem war es ihm schwer gefallen seine Finger und unmöglich gewesen, seine Blicke von ihm zu lassen. Und so wanderte auch nun sein Blick wieder von Fenins Augen zu dessen Lippen. Diese feinen, schmalen Lippen, die eindeutig geküsst werden wollten. Natürlich konnte sich Milo nicht zurückhalten. Das konnte er nie, wenn es um diese Art der Zuneigung ging. Für einige Sekunden verloren sie sich beide in einem innigen Kuss. Ihre Lippen feste aufeinander gepresst, umspielten sich ihre Zungen, bis Milos Hand schließlich wie von selbst zu Fenins Hüfte fand. Dieser wies sie zwar nicht ab, beendete aber wohl den Kuss.

„Was ist?“, fragte Milo etwas ungnädig nach, während er die Lage seiner Hand bemerkte. Dennoch ließ er sie an Ort und Stelle liegen und begann sogar den anderen leicht durch den Stoff seiner Kleidung zu streicheln.

„Willst du mich so von einer Jagd abhalten?“ Fenin klang unüberhörbar amüsiert.

„Warum bist du heute so gut gelaunt?“

„Ist das etwas schlechtes? Ich freue mich einfach, dass wir zusammen sind. Es mag vielleicht egoistisch klingen und aus deiner Sicht das genaue Gegenteil sein, aber ich bin froh, dass du kein Mensch bist.“ Milos Hand fror in der Bewegung ein, doch ihm war schnell klar, worum es ihm ging. Leicht schüttelte er seinen Kopf.

„Ich weiß noch nicht, wie ich mich deswegen fühlen soll. Aber ich bin auch froh, dass ich nicht irgendwann als alter Mann an deiner Seite wandern muss.“ Während Dämonen gut und gerne hunderte von Jahren alt werden konnten, endete das Leben eines Menschen meist nach einigen Jahrzehnten. So würden sie deutlich länger miteinander verbringen können, in diesem Punkt stimmte er Fenin zu. Doch noch etwas anderes beschäftigte ihn bereits seit dem Angriff. „Hättest du meiner Seele lange widerstehen können?“ Seine Seele. Besaß er nun überhaupt eine? Und wann genau würde er selbst nach diesem Gut gieren? Er wusste eigentlich gar nichts darüber. Es hieß nur immer, dass Dämonen Seelen verschlangen und Sairal hatte immerhin davon gesprochen. Genauso wie Falamir. Doch wie viel Wissen konnte dieser Magier haben, der ihn nicht einmal als Dämon erkannt hatte? Genauso wenig wie seine Hunde.

„Seelen sind nichts notwendiges. Ich habe in Jahrzehnten keine mehr verschlungen und würde es sicherlich nicht für den einmaligen Genuss tun, wenn ich dich ein Menschenleben lang genießen könnte.“ Seine Hand legte sich auf Milos, die noch immer an seiner Hüfte verweilte. Sanft hob er sie an und hauchte einen warmen Kuss auf die kalte Haut. „Lass mich etwas jagen und wir können mit vollen Mägen unsere gemeinsame Zeit noch besser genießen.“ Milos Blick hatte sich wieder auf Fenins Augen gerichtet, in denen er sich geradezu verlor. Wie konnte ihn dieser Kerl nur derartig verrückt machen? Trotzdem riss er sich dieses Mal zusammen.

„Was ist mit Sairal?“ Über ihn hatten sie die letzten Tage bereits das ein oder andere Mal gesprochen. Am Tag nach dem Kampf war Milo der Spur gefolgt, die der brennende Dämon in dem zugeschneiten Wald hinterlassen hatte. Natürlich hatte sie irgendwann geendet, ohne dass eine Leiche oder ähnliches zu finden war, das ihm versicherte, dass es ihn nicht mehr gab. Milo hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass der Dämon durch so etwas gestorben war, trotzdem hatte er es gehofft.

„Mach dir keine Sorge, so schnell wird er sich nicht wieder blicken lassen“, wiederholte Fenin seine Worte von ihren letzten Gesprächen. Zu gerne würde Milo seiner Erfahrung und Einschätzung glauben, doch die Sorge, dass dieser hinterlistige Dämon sein bisheriges Verhalten veränderte und Fenin im Wald auflauerte, war zu groß. Selbst ein Dämon würde sich in sechs Jahren, in denen sich die beiden nicht mehr über den Weg gelaufen waren, ändern können.

„Wie kam es dazu, dass ein Blumendämon und ein Feuerdämon zusammenfinden?“ Er wusste selbst nicht, warum er diese Frage gerade jetzt stellte. Vermutlich versuchte er so den anderen am Gehen zu hindern, da er nicht weiter mit ihm diskutieren konnte. Doch tatsächlich interessierte ihn die Antwort auf diese Frage. Er hatte sich seit dem Aufeinandertreffen nicht nur einmal gefragt, wie es eine Anziehung zwischen den beiden gegeben haben konnte. Bei Milo und Fenin war es eindeutig. Blumen und Schmetterlinge hatten in der Natur eine starke Beziehung zueinander und so mussten auch ihre Fähigkeiten aufeinander wirken. Doch wie sah es bei dem Element Feuer aus, dass eine Blume höchstens zerstören konnte? Fenin schüttelte leicht den Kopf.

„Wir sind uns eines Nachts über den Weg gelaufen. Ich war von seinem starken Auftreten beeindruckt und er scheint irgendeinen Nutzen aus mir gezogen zu haben. Der einzige Grund aus dem die meisten Dämonen, und vor allem einer wie Sairal, eine Bindung eingehen.“ Fenins Haltung machte deutlich, dass er nicht ausführlicher werden wollte, was für Milo vollkommen in Ordnung war. Wenn er noch einmal darüber nachdachte, wollte er gar nichts aus ihrer gemeinsamen Zeit wissen. Die Tatsache, dass Fenin irgendwann einmal mit diesem Monster glücklich gewesen war, machten ihn rasend. Genauso wie die Vorstellung, was die beiden miteinander angestellt haben könnten. „All die Jahre dachte ich, ich sei glücklich. Aber nun weiß ich, was wahres Glück ist“, riss Fenin ihn aus seinen Gedanken, scheinbar genau wissend, wo er mit diesen war. „Ich danke dir, Milo.“
 

Kurz darauf kam Fenin tatsächlich mit einer kleinen Beute zurück, die sie sogleich grillten. Während Milo sich nicht entscheiden konnte, ob er nun das duftende Fleisch oder doch lieber Fenin beobachten sollte, starrte dieser wieder einmal abwesend in die Flammen. Er konnte nur erahnen, was im Kopf des anderen vor sich ging. Vermutlich waren mit diesem Aufeinandertreffen viele Erinnerungen an seine Vergangenheit wieder hochgekommen. Zu gerne hätte er ihm irgendwie geholfen, stattdessen ließ er Fenin aber seine Ruhe. Als der Dämon nach einer Weile schließlich seinen Blick hob, war Milo so vertieft darin, ihn einfach nur zu beobachten, dass es ihm unangenehm war, ertappt worden zu sein.

„Damals wusste ich nicht, was für ein rachsüchtiger Dämon Sairal ist. Natürlich haben die meisten Dämonen ähnliche Charakterzüge, aber bei ihm war ich wohl einfach etwas gutgläubig. Ich schätze irgendwann wird er wieder auftauchen, um seine Rache zu bekommen, mehr denn je. Aber genauso zuversichtlich bin ich, dass wir ihn erneut besiegen werden. Zusammen.“ Diese kleine Ansprache kam unerwartet. Trotzdem nickte Milo.

„Zusammen wird uns niemand aufhalten.“ Er war immer noch nervös, bei dem Gedanken, dass dieser Teufel irgendwo da draußen auf sie lauerte, doch nun waren sie zwei gegen einen. Und je länger sie miteinander unterwegs sein würden, desto besser würden sie auch zusammen arbeiten, da war er sich sicher. „Aber lass uns fürs Erste nicht mehr über ihn sprechen.“ Milo hatte es satt, ständig an Sairal denken zu müssen. Auch wenn er sich nach wie vor an dem Dämon rächen wollte, so wusste er nun, dass es mittlerweile wichtigere Dinge in seinem Leben gab, die er nicht einfach so riskieren konnte. Doch irgendwann würde es soweit sein, schließlich hatten sie nun alle Zeit der Welt.

„Möchtest du essen?“ Noch während Fenin fragte, holte er bereits das leicht verbrannte Fleisch aus dem Feuer. Augenblicklich erschien ein Funkeln in Milos Augen.

„Liebend gerne. Aber können wir die Hauptspeise nicht auf später verschieben und ausnahmsweise mit dem Dessert anfangen?“ Ihre Augen trafen sich und Milo spürte, dass Fenin seine Anspielung sehr wohl verstand. So hungrig er auch war, er wollte nicht noch länger warten müssen. Die Aussicht auf eine gemeinsame Nacht ließ Milo nur noch ungeduldiger werden. Fenin aber blieb eisern.

„Ohne ein ordentliches Essen ist es kein Nachtisch.“ Mit einem neckischen Lächeln auf den Lippen, drückte er ihm einen Zweig mit Fleisch in die Hand und begann selbst zu essen.

Rose

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Ana1993
2020-08-27T07:15:41+00:00 27.08.2020 09:15
Wie, noch kein Kommi!? Das geht ja wohl nicht!
Mir gefällt deine Geschichte bis hier hin schon wirklich gut, mal etwas anderes :)
Und ein schüchterner, nicht kindlich wirkender Dämon... das ist wirklich erfrischend.

Einzig was mich manchmal irritiert (was aber auch einfach an meiner Lesegewohnheit liegen kann) ist, wenn Milo als "der Mann" betitelt wird. Das wirkt so distanziert, fremd, obwohl er ja die einzige Person ist, in deren Inneres wir Einblick haben. Wie gesagt, mag an meinen Gewohnheiten liegen und ist wirklich meckern auf hohem Niveau.
Antwort von:  Ryouxi
28.08.2020 21:17
Hey,
vielen Dank für deinen lieben Kommentar. :)
Es freut mich, dass dir die Geschichte bisher gefällt.

Finde ich interessant, dass du das mit dem "der Mann" ansprichst, denn mir ist bisher gar nicht aufgefallen, dass es seltsam sein könnte. Ich kann nicht einmal sagen, ob ich es mir aus anderen Büchern/Geschichten angeeignet oder einfach selbst so entwickelt habe. Aber in zukünftigen Geschichten werde ich mal darauf achten und schauen, ob ich etwas daran ändern will. :)


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