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Die mit den Tierwesen tanzt

von

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Prolog

Ich seufzte. Es war weit nach 16 Uhr, ich hatte mal wieder Überstunden machen müssen, Mittagspause erst sehr spät, da Kollegen die Termine wie so oft auf die Mittagszeit gelegt hatten. Und weil mein Chef die Termine immer maßlos überzog.

Ich zuckte mit den Schultern. Für heute sollte es mir egal sein. Ich war hundemüde und wollte nur noch nach Hause, wo bereits ein Berg Wäsche darauf wartete, von mir gebügelt zu werden. Ich checkte noch einmal meine E-Mails und fuhr den Laptop dann herunter. Inzwischen brauchte das Gerät zum Glück nicht mehr zehn Minuten, sondern war binnen weniger Augenblicke aus. Ich drückte gerade auf die Stromtaste der Steckerleiste, als mein Chef den Kopf ins Zimmer steckte und meinte, ich solle noch einmal zu ihm ins Büro kommen.

Ich verdrehte innerlich die Augen, aber es half alles nichts. Ich hoffte nur, dass ich meinen Laptop nicht noch einmal würde hochfahren müssen.

„Was gibt es?“, fragte ich, als ich in das Zimmer meines Chefs kam.

„Machen Sie mal die Tür zu.“

Ich tat, wie geheißen.

„Sie haben mir heute einen Bärendienst erwiesen“, fing mein Chef an, sobald die Tür geschlossen haben. „Seit einem halben Jahr habe ich darauf hingewirkt, dass sich die Mitarbeiter der Macrostaxx bei uns bewerben können, das war jetzt alles umsonst.“

Ich stockte. Dass die Stellenanzeigen so dringend auf der Homepage hätten aktualisiert werden müssen, hatte mir der Personalverantwortliche nicht mitgeteilt. Zudem hatte ich mit ihm vor Monaten schon abgesprochen, dass ich für die Homepage nicht mehr zuständig sein wollte, was er auch so bestätigt hatte. Trotzdem war er tags zuvor mit neuen Stellenbeschreibungen auf mich zugekommen und hatte gemeint, dass die auf die Homepage müssten.

„Ich verstehe Ihren Ärger in dieser Sache. Allerdings ist es nicht so, dass ich es absichtlich nicht gemacht hätte.“

Was auch der Wahrheit entsprach. So selten, wie ich etwas auf der Homepage anzupassen hatte, musste ich mich jedes Mal neu in die Handhabung des Content Management Systems einarbeiten. Dass ich beim Arbeiten mit dem CMS immer wieder Anzeigeprobleme hatte, die nur mit einem Neustart des Laptops zu beheben waren, hatte ich zwischenzeitlich wieder vergessen.

„Davon will ich nichts hören“, polterte mein Chef weiter. „Das war das letzte Mal!“

Ich starrte ihn mit offenem Mund an. War es also mal wieder so weit, dass ich für die Unzulänglichkeiten unseres Personalverantwortlichen den Kopf hinhalten durfte? 

„Dass das so dringend auf die Homepage muss, wurde mir nicht mitgeteilt ...“, fing ich erneut an.

„Das ist mir egal! Ich habe mich entschlossen, Ihnen fristlos zu kündigen!“

Mein Chef schob mir mit wutentbranntem Kopf eine A4-Seite hin, auf der fett das Wort Kündigung gedruckt war. Mir stieg nun ebenfalls die Zornesröte ins Gesicht.

‚Wenn die Sache schon so superwichtig ist und seit einem halben Jahr bekannt, warum bekomme ich es dann erst einen Tag vorher zum Bearbeiten?‘, dachte ich wütend.

Statt es meinem Chef auch so an den Kopf zu knallen, starrte ich ihn nur an. Mir stiegen leichte Tränen in die Augen und ich schluckte sie herunter. Wortlos nahm ich den Zettel, verließ sein Büro und ging in mein eigenes. Mein Kollege am Tisch gegenüber ignorierte mich dankenswerterweise. Ich machte den Arbeitsschlüssel von meinem Schlüsselbund, legte ihn auf den Tisch und griff dann nach meiner Jacke und meiner Tasche, um das Büro eiligst und ohne Abschied bei meinen Kollegen zu verlassen.

Inzwischen war ich kurz vor einem Heulkrampf und wollte so schnell wie möglich in mein Auto. Unten kamen mir einige Eltern entgegen, die ihre lieben Kleinen aus der Kindertagesstätte im Erdgeschoss abholten. Ein Vater grüßte mich, aber ich starrte nur stur auf den Boden. Schnell hatte ich das Gebäude verlassen und stapfte zu meinem Wagen.

‚Wenn er eine Kündigungsschutzklage haben will, kann er sie bekommen‘, dachte ich inzwischen angriffslustig.

Ich war eigentlich gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte und erinnerte mich noch gut an die Passagen aus dem Arbeitsrecht. Fristlos kündigen konnte man einem Mitarbeiter nur bei schwerwiegenden Vergehen, zum Beispiel Diebstahl. Mir konnten sie höchstenfalls wegen Arbeitsverweigerung an den Kragen, wobei sie mich davor auch mindestens zweimal schriftlich hätten abmahnen müssen. Doch eine schriftliche Abmahnung hatte ich nie erhalten, weshalb ich mir ziemlich sicher war, dass die fristlose Kündigung auch unwirksam war.

Nicht, dass ich in der Firma noch hätte arbeiten wollen, davon konnte keine Rede sein. Die einzigen, die mir leidtaten, waren meine Kollegen, die noch immer da schuften mussten, aber ich musste jetzt ausschließlich an mich selbst denken. Ich stieg in meinen Wagen, warf meine Sachen auf den Beifahrersitz und atmete einmal tief durch, um meine Nerven zu beruhigen. Den Heulkrampf hatte ich erfolgreich abwehren können, trotzdem tupfte ich mir meine feuchten Augen ab und schnäuzte einmal kräftig, um die Nase frei zu bekommen.

Danach startete ich den Motor und ließ den Wagen vorsichtig rückwärts aus der Parklücke rollen. Zur Freude des Tages musste es mir nicht auch noch passieren, in meiner Wut eines der Kita-Kinder beim Ausparken zu überfahren. Aber die Eltern waren in der Regel sehr umsichtig.

Ich ließ eine Mutter mit Tochter auf dem Arm passieren und schob mich dann langsam an Kita und meinem Ex-Arbeitgeber vorbei. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich ein seltsames Flackern in den Räumen gegenüber der Kita. Das Büro stand schon seit Wochen leer, da die Druckerfirma, die zuvor darin ihre Räume hatte, umgezogen war. Vorsichtig navigierte ich meinen Wagen zum Ende der Spielstraße und fuhr auf die Seitenstraße hinaus, nachdem ich mir sicher war, dass weder Fußgänger noch andere Verkehrsteilnehmer meinen Weg kreuzten. Zehn Meter weiter musste ich an der Kreuzung zur Hauptstraße an der roten Ampel warten. Es war ziemlich viel los und ich ließ den Blick schweifen. Von hier aus konnte ich mein ehemaliges Büro nicht sehen, aber ich hatte guten Blick auf die verlassenen Räumlichkeiten darunter.

„Was zum ...“

Ich versuchte, mehr zu erkennen, zuckte dann aber zusammen. Der Fahrer im Auto hinter mir hatte mich angehupt. Ich hatte die grüne Ampel übersehen und beeilte mich nun, in die Kreuzung einzufahren und den Gegenverkehr passieren zu lassen, um dann links abzubiegen. Endlich kam ich an die Reihe und stöpselte wie alle anderen durch den Ort. Am Ortsausgang war ich unruhig geworden, meine Gedanken waren zu dem Anblick im Erdgeschoss des Bürogebäudes zurückgewandert. Eigentlich sollte es leer sein, aber auf dem Gelände trieben sich immer mal wieder Unbefugte herum. Meistens Jugendliche auf dem Parkplatz, die sich Kunststückchen mit ihren Fahrrädern vorführten. Nichts Weltbewegendes. 

Ich brummte und bog an der großen Kreuzung nach rechts auf die Bundesstraße ab, um gleich wieder rechts am Straßenrand in der kleinen Einbuchtung zu halten. Ich kramte mein Handy hervor und begann zu wählen.

„Hallo? Ist hier der Notruf?“, fragte ich, als am anderen Ende der Leitung jemand abnahm.

„Ja, ich möchte einen Brand melden.“

Schnell hatte ich mit der Einsatzleitstelle die Fragen nach dem Wer, Was, Wann und vor allem dem Wo abgeklärt und hatte auch meine Handynummer durchgegeben, damit die Leute mich bei Rückfragen erreichen konnten. Nachdem mich der diensthabende Mitarbeiter am Telefon entlassen hatte, legte ich auf und fädelte mich wieder in den Verkehr ein.

Die Fahrt nach Hause verging wie im Flug. Zu viele Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Was ich gesehen hatte, hatte für mich wie ein Brand gewirkt. Was mich wunderte, da das Büro im Erdgeschoss unter meinem Ex-Arbeitgeber eigentlich komplett leer sein sollte. Was genau da brennen sollte, war mir ein Rätsel. Aber ich wollte kein Risiko eingehen. So wütend ich auf meinen Chef auch war, so wenig konnten meine Kollegen etwas für die Situation. Und die Kita samt Erzieherinnen, Kindern und Eltern konnte am allerwenigstens etwas dafür. Es würde daher sicher nicht schaden, wenn sich die Feuerwehr die Situation vor Ort anschaute. Selbst wenn sie am Ende unverrichteter Dinge wieder von dannen zog.

Ich fuhr in meinen Heimatort vorbei am Metzger und bog dann die erste Straße links ab. Das Haus, in dem ich in einer Mietwohnung im zweiten Stock lebte, gehörte meinem Onkel. Von den Nachbarn war nichts zu sehen. Ich hoffte, dass mir niemand im Treppenhaus begegnen würde. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, waren meine neugierigen Nachbarn, die irgendwie immer gute Laune zu haben schienen.

Ich stellte mein Auto in der Garage ab und schlurfte zum Hauseingang. Ein Blick in meinen Briefkasten verriet mir, dass ich noch mal würde runter gehen müssen.

‚Oder ich hol es morgen ...‘, dachte ich betrübt.

Der Typ, der die Wohnung direkt unter mir gemietet hatte, hatte dem Lärmpegel nach mal wieder Besuch. Ich stellte mich auf einen anstrengenden Abend ein und ging in meine Bude hoch. Frustriert trat ich mir die Schuhe von den Füßen und entledigte mich meiner Jacke und Handtasche. Danach ging ich ins Wohnzimmer und ließ mich auf die Couch plumpsen.

Was sollte ich jetzt tun? Ich war erst vor einigen Monaten in die Wohnung gezogen, was mich wegen diverser Neuanschaffungen recht viel Geld gekostet hatte. Trotzdem hatte ich noch ein paar Euros auf dem Konto, aber ohne festes Einkommen würden diese schnell zur Neige gehen. Ich musste also am nächsten Tag auf jeden Fall zum Arbeitsamt und am besten auch noch zu einem Fotografen, der Bewerbungsbilder von mir machte. Und dann ging es wieder los, zig Bewerbungen schreiben und vielleicht auf die Hälfte eine Rückmeldung erhalten.

Am wenigsten freute ich mich auf die Bewerbungsgespräche. Wenn man arbeitslos zu einem ging, hatte das immer den Beigeschmack, als würde man als Bittsteller beim möglichen neuen Arbeitgeber aufschlagen. Das Jobamt verlangte, dass man den erstbesten Job annahm, unerheblich, ob dieser den Qualifikationen entsprach. Weshalb ich mich am Anfang meines Berufslebens meist unter Wert verkauft habe. Doch dieses Mal sollte mir das nicht passieren.

Ich ging in die Küche und schaltete den Laptop an, der auf dem Tisch stand. Als Erstes musste der Lebenslauf auf Vordermann gebracht werden. Ich holte die Post, während das Gerät hochfuhr, und legte sie ebenfalls auf den Tisch. Ich ignorierte die Briefe vorerst. Die Hälfte war bestimmt Werbung.

Nachdem ich mich eingeloggt hatte, öffnete ich das Verzeichnis und suchte meinen alten Lebenslauf heraus. Vor sieben Jahren das letzte Mal angepasst, kaum zu glauben, dass ich so lange da gearbeitet hatte. Optisch war das Dokument wohl nicht mehr das, was heutzutage einen Personaler ansprach. Ich öffnete zusätzlich ein Browser-Fenster und suchte nach dem Begriff „Lebenslauf“. Sofort wurden mir bei den Bildergebnissen hunderte von Beispielen angezeigt. Ich seufzte überfordert.

Mein Blick glitt zu dem Stapel Post und blieb daran haften. Ich hatte unerwartet viel bekommen. Die Ecke eines Briefs stach mir besonders ins Auge. Sie war nicht weiß wie die der anderen, sondern bräunlich und unebenmäßig. Interessiert griff ich nach dem Stapel und ging die einzelnen Briefe durch. Post von der Bank, Werbung, noch mal Werbung. Dann riss ich interessiert die Augen auf, als ich bei dem ominösen Brief angekommen war. Meine Adresse war handschriftlich darauf geschrieben mit etwas, was für mich nicht wie Kugelschreiberfarbe aussah. Ich wendete den Umschlag und hätte ihn dann beinahe fallen gelassen vor Schreck. „Ministerium der Zauberei“ stand dort mit einer Adresse in Berlin. Hier erlaubte sich wohl jemand einen miesen Scherz mit mir!

Trotzdem öffnete ich den Brief und las, was da stand. Und hätte beinahe laut aufgelacht. Der Witzbold wollte, dass ich zum Lohweg kam, um sich dort mit mir zu treffen. Schien wohl jemand von der freiwilligen Feuerwehr oder so zu sein. Ich nahm den Umschlag noch mal zur Hand und drehte ihn um. Mir war nicht aufgefallen, dass der Brief scheinbar komplett ohne Briefmarke bei mir angekommen war. Ich brummte missmutig.

Nach dem eh schon beschissenen Tag hatte ich keine Lust darauf, jetzt noch den Kopf zur Belustigung irgendwelcher Idioten hinzuhalten. Andererseits, der Ton in dem Brief wirkte ziemlich bestimmt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Mitglied einer freiwilligen Feuerwehr auf einem Dorf in der Lage dazu wäre, einen solch prägnanten Brief zu verfassen. Andererseits konnte man nie wissen.

Ich seufzte und überlegte noch fünf Minuten lang das für und wider, ehe ich mich dazu entschloss, vorsichtig von der anderen Straßenseite her zu schauen. Ich konnte ja immerhin so tun, als würde ich eigentlich zum Metzger wollen und zufällig am Lohweg vorbei kommen.

Ich zog meine Straßenschuhe wieder an und griff nach meiner Jacke. Verwirrt, wie ich war, verließ ich das Haus komplett ohne Einkaufskorb oder Handtasche und machte mich auf den Weg. Nicht mal drei Minuten war ich unterwegs und versuchte schon an dem ehemaligen Schulgelände, über den Zaun hinüber zum Feuerwehrgebäude zu linsen. Außer der üblichen Straßenbeleuchtung war alles zappenduster. Ich bog um die Ecke, ging Richtung Metzger weiter, und blickte immer wieder wie beiläufig über die Straße. 

Am Ortsende angekommen, fasste ich mir ein Herz und überquerte die Hauptstraße an der Insel. Schnell war ich vor der Garage der Feuerwehr angekommen und blickte zu dem kleinen Parkplatz hinab, der sich hinter dem Gebäude in Richtung Wald befand. Auch dort versteckte sich niemand vor mir. Abschätzig schaute ich noch die eher schlecht geteerte Straße entlang, die im Wald verschwand, konnte aber wegen fehlender Straßenlaternen in der Dunkelheit nichts erkennen. Sollte ich noch auf dem Kirchengelände auf der anderen Seite des Lohwegs schauen?

Ich zuckte mit den Schultern und wandte mich dann um. Und hätte beinahe einen Herzinfarkt bekommen. Hinter mir stand eine Frau mittleren Alters und sah mich streng an.

„Sie kommen spät“, raunte sie.

„Äh, und wer sind Sie?“, fragte ich dümmlich.

„Waltraud von Bülow, vom Ministerium für Zauberei, Abteilung Magische Landwirtschaft“, stellte sich die Dame vor.

„‚Magische Landwirtschaft‘?“, echote ich. „Ich hab mich wohl verhört.“

„Nein, Sie haben völlig richtig gehört.“

Ich musterte die Frau noch einmal von oben bis unten. Viel konnte ich jedoch nicht erkennen, außer, dass die Kleidung der Dame tadellos wirkte. Ihre hellen Haare hatte sie hinten zusammengebunden. Sie war eine völlig Fremde für mich.

„Und was macht das Amt für Magische Landwirtschaft? Thaumaturgische Radieschen ziehen?“, witzelte ich.

Sie sah mich weiterhin streng an und bedeutete mir dann, ihr in den Wald zu folgen.

„Sie spinnen wohl! Ich geh doch nicht mit einer wildfremden Person nachts in einen Wald!“, fuhr ich auf und wollte an ihr vorbei stürmen.

Doch weit kam ich nicht, denn die Dame hielt mir schnurstracks etwas Spitzes an den Hals.

„Schreien Sie gefälligst nicht so rum“, mahnte sie. „Und jetzt ab in den Wald, ich hab nicht ewig Zeit, wissen Sie? Zuhause im Ministerium wartet ein Berg Arbeit auf mich!“

„Hah!“

Frau von Bülow funkelte mir in die Augen. Ohne einen weiteren Mucks von mir zu geben, wandte ich mich dem Wald zu. Im Umdrehen versuchte ich zu erkennen, was sie mir an den Hals gehalten hatte, konnte meine Augen aber nicht soweit verdrehen, dass es unauffällig wirkte.

Vorsichtig ging ich zunächst ein Stück die Straße lang und bog dann links in den Wald hinein. Frau von Bülow folgte mir gemessenen Schrittes. Nach etwa zehn Metern kamen wir am Hintereingang des Friedhofs an und ich wandte mich nach rechts.

„Haben Sie ein Handy?“, fragte ich.

„Ein was?“

„Ein Handy, Sie wissen schon, zum Telefonieren.“

„Was wollen Sie damit?“

„Mir den Weg im Wald leuchten. Bei der Finsternis sieht man doch nichts.“

Frau von Bülow murmelte etwas hinter mir. Im Nu war eine kleine Leuchtkugel erschienen, die jetzt vor mir schwebte und den Trampelpfad beleuchtete. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, erschrak aber trotzdem dezent. Frau von Bülow ließ mich noch tiefer in den Wald hinein stolpern. Kurz vor der einzigen Lichtung im Wald hielt sie mich an.

„War es wirklich nötig, so tief reinzugehen?“, fragte ich sie.

Ihre Antwort bekam ich nicht richtig mit, da mein Blick auf den Gegenstand gerichtet war, den sie in ihrer Rechten hielt. Ein Zauberstab Marke Harry Potter. Die Leuchtkugel löste sich in Nichts auf.

„Man kann nie wissen. Also hören Sie, ich bin hier, um Sie abzuholen“, fing Frau von Bülow an.

„Mich abzuholen?“

„Ja.“

„Ahahaha“, lachte ich unsicher. „Wohin wollen Sie mich bringen?“

„Nach Berlin.“

„Huh?“

Für den Auftritt der Dame war die Antwort ziemlich unspektakulär.

„Ins Ministerium natürlich.“

„Äh, und wozu, wenn ich fragen darf?“

Frau von Bülow räusperte sich.

„Ich darf Ihnen mitteilen, dass Sie ab sofort für das Ministerium für Zauberrei Deutschland arbeiten werden. Sie werden Tierwesen untersuchen.“

Ich starrte sie mit offenem Mund an, was in der Finsternis jedoch unterging. Dann schloss ich die Augen und versuchte, mich zu konzentrieren. Als ich sie wieder öffnete, stand ich immer noch mitten im Wald, Frau von Bülow mir gegenüber. Ich fing an, nach Luft zu schnappen. Sonst wurde ich immer wach, wenn ich mit während des Traums aktiv darauf konzentrierte. Warum klappte das jetzt nicht?

„Hören Sie, ich hatte heute schon genug Scheiße, mit der ich mich herumschlagen muss. Ich bin wirklich nicht in der Stimmung für schlechte Scherze.“

„Das halten Sie für einen schlechten Scherz?“

Frau von Bülow wirbelte mit ihrem Zauberstab. Aus der Spitze sprang ein hellgelber Funken hervor, und wirbelte in der Luft zwischen uns, ehe er sich in einen kleinen Schmetterling verwandelte und an meiner Nase zerplatzte.

„He!“

„Glauben Sie’s jetzt?“

Ich sah Frau von Bülow an und rieb mir schweigend meine Nase.

„Ich müsste noch ein paar Sachen packen ...“, wich ich aus.

„Vergessen Sie’s, dafür bleibt keine Zeit.“

„Keine Zeit? Sie schleppen mich hier in den Wald in der Absicht, mich nach Berlin mitzunehmen und ich soll nicht einmal Zeit haben, mir die wichtigsten Sachen zusammen zu packen? Wie stellen Sie sich das vor? Ich muss schließlich ein Zimmer bezahlen, mich umziehen und dergleichen.“

„Zimmer und Uniform wird für’s erste vom Ministerium gestellt. Sobald Sie eingearbeitet sind, wird man sich um alles weitere kümmern.“

„Sie meinen es ernst“, vergewisserte ich mich nochmals.

„Toternst. Aber bevor wir aufbrechen, habe ich noch was für Sie.“

Ich beobachtete, wie Frau von Bülow anfing, in ihrer Mantelinnenseite zu kramen. Schnell hatte sie einen schmalen, länglichen Gegenstand hervorgeholt. Noch ein Zauberstab. Sie reichte ihn mir.

„Ich glaube, das ist keine so gute Idee ...“

„Warum? Für die Aufgabe ist ein Zauberstab vonnöten, wie wollen Sie die Tierwesen sonst in Schach halten oder wichtige Untersuchungen anstellen?“

„Äh, Frau Bülow ...“

„Frau von Bülow!“, korrigierte sie mich.

„Frau von Bülow, Sie müssen sich da täuschen. Ich hab nie eine entsprechende Ausbildung erhalten, und ...“

„Das ist im Ministerium bekannt, keine Sorge.“

Demonstrativ hielt sie mir den Zauberstab hin. Zögerlich griff ich danach und versuchte, ihn so wenig wie möglich zu schwingen, um nicht aus Versehen irgendeinen Zauber auszulösen. Sofort, als ich das Holz in der Hand hatte, begann meine Haut zu kribbeln. Erst an meiner rechten Hand und am Arm, nach und nach am ganzen Körper.

Skeptisch blickte ich auf den Stab hinab, ehe ich mich wieder Frau von Bülow zuwandte. In meinem Moment der Unachtsamkeit hatte sie einen weiteren Gegenstand hervorgeholt.

„Äh, ist das ein Maßkrug?“, fragte ich vorsichtig.

„Papperlapapp, ein Portschlüssel natürlich! Kommen Sie, es wird gleich losgehen.“

„Äh ...“

Sie hielt mir den Maßkrug-Portschlüssel hin und ich fasste ihn an der Unterseite. Sofort klebte meine Hand daran.

„Und nun?“

„Nun warten wir auf unseren Reisezeitpunkt, es sollte nicht mehr lange dauern.“

Ich fühlte mich ziemlich unsicher, linke Hand an einem Maßkrug, in der Rechten ein, mein, Zauberstab. Frau von Bülow ignorierte höflich meine Unsicherheit.

‚Was hab ich mir nur dabei gedacht?‘, fragte ich mich innerlich.

Ein flaues Gefühl machte sich in meinem Bauch breit, das langsam auf den Rest meines Körpers überging. Die Umgebung begann, sich um uns herum zu drehen, und sanft stiegen wir in die Höhe. Zumindest erschien es mir so.

Frau von Bülow grinste vor sich hin. Anscheinend glaubte sie, ich wüsste nicht, was mir bevorstand. Eine ziemlich harte Landung in Berlin. Der Portschlüssel drehte sich weiter mit uns.

„Lassen Sie los!“, rief mir Frau von Bülow über den Lärm hinweg zu.

Ich sah sie skeptisch an, tat aber nach einem Augenblick, wie geheißen. Instinktiv versuchte ich, mit den Füßen in der Luft zu gehen, so wie es Cedric Diggory in Harry Potter und der Feuerkelch getan hatte. Vergeblich. Scheinbar gab es einen weitaus komplizierteren Trick, um den Sturz durch den Raum abzufangen. Unsanft landete ich auf meinem Hintern, aber der Aufprall war weniger schlimm, als ich das aus Film in Erinnerung hatte. 

Ich rollte mich herum und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Passanten standen offensichtlich nicht um mich herum, Gott sei Dank. Frau von Bülow schien dafür auch wo anders gelandet zu sein. Ich rappelte mich auf und nahm meine nähere Umgebung in Augenschein. Ein Bauwerk zog wie magisch meinen Blick auf sich, der Berliner Fernsehturm. Tatsächlich, ich hatte es wohl unbeschadet in die Hauptstadt geschafft.

Im Ministerium angekommen

Ich sah mich um. Auf dem Alexanderplatz war um diese Zeit noch recht viel los, das Bahnhofsgebäude, hinter dem sich der Fernsehturm erstreckte, hell erleuchtet. Ich drehte zunächst einige Runden auf dem Platz, doch Frau von Bülow war nicht auffindbar. Ich grummelte. Was sollte ich als Nächstes tun? Warten, wo ich war und darauf hoffen, dass die Bülow mit abholte? Ich sah mir die Menschen an, die auf dem Platz unterwegs waren und beschloss, ins Bahnhofsgebäude zu gehen.

Seufzend passierte ich die Fressbuden. Warum nur hatte ich meine Handtasche nicht mitgenommen? Jetzt stand ich in einer mir fremden Stadt und mir grummelte der Magen, doch ohne Geld würde der noch eine Weile lang weitergrummeln. Ich verließ das Gebäude auf der anderen Seite und stand nun direkt vor dem Fernsehturm. Erneut verfluchte ich mich, da sich auch mein Smartphone in meiner Handtasche befand. Nicht mal ein Selfie konnte ich machen, nur den Fernsehturm so bestaunen.

Gemessenen Schrittes umrundete ich den Turm und betrachtete ihn immer wieder fasziniert. Die runde Kugel oben machte einiges her, nicht so ein hässlicher Kasten, wie das beim Fernsehturm in München der Fall war. Auch hier waren noch recht viele Leute unterwegs, Jugendliche, die die Nacht zum Tag werden ließen, Touristen, Pärchen Hand in Hand.

Ich trollte mich weiter gen Westen. Wenn ich schon die Gelegenheit hatte, mir Berlin einmal anzusehen, wollte ich so viel wie möglich sehen. Schließlich wusste ich nicht, wann die vom Ministerium mich einsammeln würden. Hinter dem Fernsehturm gab es einen großen Platz mit einem Brunnen, an dem sich auch viele Leute aufzuhalten schienen, also schlenderte ich dorthin. Der Brunnen wurde von einer Griechischen Gottheit mit Dreizack beherrscht, während zahlreiche Seetiere Wasser zu ihm hoch spien. Ziemlich kitschig und weil sich hier besonders viele Pärchen aufzuhalten schienen, ging ich schnell weiter.

Ich kam zu einer Straße und wandte mich nach rechts zur nächsten Kreuzung. Auch hier war es sehr belebt um diese Uhrzeit, ich schätzte, dass es mittlerweile auf halb zehn Uhr abends zuging. Dem Menschenstrom folgend ging ich an der Kreuzung wieder links und folgte der Karl-Liebknecht-Straße, die bald über eine Brücke über die Spree führte. Von dem kleinen Fluss war in der Dunkelheit nicht viel zu erkennen, außer die Lichter, die sich darin spiegelten.

Das Gebäude auf der anderen Straßenseite sah mit der Beleuchtung ziemlich duster aus. Ich ließ es rechts liegen und ignorierte auch den Park dort. Parks hatten um diese Zeit häufig die Angewohnheit, von Obdachlosen, Drogensüchtigen und möglicherweise auch Kriminellen bevölkert zu sein. Und so interessant ich Berlin auch fand, so suspekt war mir sein Image. Ich beschloss, tagsüber einmal herzukommen, wenn ich Gelegenheit dazu bekam.

So ganz abgelenkt von meinen Gedanken war mir gar nicht aufgefallen, dass eine kleine Lichtkugel vor mir schwebte. Sie sah jener verdammt ähnlich, die die Bülow im Kirchwald gezaubert hatte, um mir den Weg zu leuchten. Verstohlen sah ich mich um. Die anderen Fußgänger schienen die Lichtkugel nicht bemerkt zu haben und so folgte ich ihr möglichst unauffällig. Es führte mich über eine weitere Brücke. Interessiert las ich eines der Straßenschilder.

„Hah! Unter den Linden!“, rief ich erfreut.

Einige andere Fußgänger drehten sich zu mir um, aber ich ignorierte sie. Unter den Linden war neben dem Ku’damm eine der bekanntesten Straßen in Berlin. Wenn ich ihr folgte, würde ich sicher noch an einigen anderen touristischen Attraktionen vorbeikommen.

‚Sofern die Leuchtkugel nicht einen anderen Weg wählt‘, dachte ich.

Doch ich wurde belohnt. Etwa eine halbe Stunde brauchte ich, um das Brandenburger Tor zu erreichen. Aus dem Geschichtsunterricht wusste ich, dass das Brandenburger Tor zur Zeit der Teilung in Ostberlin gestanden hatte. Mit der Wende 1989 war es zu einem Symbol der Freiheit geworden, als zahlreiche Berliner die Grenzmauer erklommen hatten, um unter den Fittichen des Brandenburger Tors die Öffnung des eisernen Vorhangs zu feiern. Eine leichte Gänsehaut machte sich auf meinem Körper breit, wenn ich daran dachte, was dieses Bauwerk schon an historischen Ereignissen erlebt hatte.

Ich hatte eine gefühlte Ewigkeit am Brandenburger Tor verbracht, ehe ich mich von der Leuchtkugel dazu bringen ließ, mich wieder abzuwenden. Sie führte mich auf die andere Seite des Tores zwischen zwei der Säulen, wo Frau von Bülow auf mich wartete.

„Oh, hallo, da sind Sie ja wieder“, begrüßte ich sie erleichtert.

„Hatten Sie ausreichend Gelegenheit, das Brandenburger Tor zu bewundern?“, fragte sie.

„Ja. In echt sieht es noch viel eindrucksvoller aus, als wenn man es immer nur auf Bildern sieht.“

Frau von Bülow seufzte resigniert.

„Kommen Sie, es ist schon spät.“

„Und Ihre Arbeit wartet auf Sie.“

„Werden Sie bloß nicht frech, Frau ...“

Mir entging nicht, wie sie stockte.

„Was ist?“

„Nichts“, flüsterte sie.

Ihr Gemütswechsel überraschte mich.

„Wir sollten uns nur einen Decknamen für Sie überlegen, sobald wir im Ministerium angekommen sind.“

„Einen Decknamen?“, fragte ich, während wir der Straße folgten und die Parkanlage durchquerten, die gemeinhin als Tiergarten bekannt war. Von den Tieren im Tiergarten konnte man um diese Zeit natürlich nichts hören, aber tagsüber würden sicher die Elefanten aus allen Rüsseln tröten.

„Ja, definitiv. Im Ministerium wird man Sie darüber aufklären.“

„Hm“, machte ich. Dann: „Können wir mal in den Zoo gehen, wenn das Wetter schön ist?“

„Sie sollen magische Tierwesen untersuchen, meine Liebe, nicht Zootiere.“

„Aber ...“

„Nichts da! Magische Tierwesen sind mindestens genauso interessant, wie Elefanten, Tiger und Schildkröten.“

Wir gingen weiter. Die Siegessäule mit Goldelse auf ihrer Spitze kam immer näher.

„Sagen Sie mal, Katzen sind doch in gewisser Weise auch magisch versiert, oder?“

„‚Magisch versiert‘ ist eine glatte Übertreibung. Sie spüren, wenn Magie gewirkt wird und lassen sich in gewisser Weise trainieren. Aber das magische Verständnis von Katzen geht nicht über einfachste Aufgaben oder gute Menschenkenntnis hinaus. Und nicht jede Katze eignet sich dafür.“

„Verstehe. Wie verhält es sich denn mit Großkatzen?“

„Wieso?“, fragte von Bülow. „Wollen Sie sich einen Löwen zulegen?“

„Nein. Ich frage nur aus wissenschaftlicher Neugier.“

„Sie können es ja mal erforschen, aber nicht, ohne vorher die wichtigsten Verteidigungszauber und Apparieren gelernt zu haben!“

Ich seufzte. Apparieren lernten sie bei Harry Potter erst im sechsten Schuljahr, wenn mich nicht alles täuschte. Und häufig kam es dabei zu Unfällen, bei denen der Anwender ein Körperteil ‚vergaß‘. Da würde einiges auf mich zukommen.

„Okay, wir sind da.“

In meinen Gedanken versunken hatte ich gar nicht bemerkt, dass wir bei der Siegessäule angekommen waren. Wieder starrte ich fasziniert nach oben.

„Kommen Sie, wir haben nicht ewig Zeit!“

Sie nahm mich am Ellbogen und führte mich über den mehrspurigen Kreisverkehr.

„Sollten wir nicht lieber eine der Fußgängerunterführungen nehmen?“

„Wieso? Es ist doch eh kaum etwas los“, meinte Frau von Bülow und sprang den letzten Satz mit mir, damit wir nicht von einem anrauschenden Taxi überfahren wurden.

„Nur die, die los sind, fahren wie besoffen“, kommentierte ich.

„Typisch MaKas.“

„‚MaKas‘?“

„Magische Kartoffel, Menschen, die nicht zaubern können. Nichtmagier.“

Ich folgte Frau von Bülow irritiert. In Fantastic Beasts 2 hatte Grindelwald die nichtmagische Bevölkerung als „Kann nicht zaubern“ bezeichnet. Hatten sie eine andere Bezeichnung bekommen? Oder hatte man Normalsterbliche in Deutschland jemals „Kann nicht zaubern“ genannt? War es vielleicht nur ein verächtlicher Ausdruck von Grindelwald und Konsorten für Muggel?

„Sie wissen, dass sich der Begriff anhört, als wären es Affen?“

Frau von Bülow drehte sich zu mir um und zog eine Augenbraue nach oben.

„Makaken. Das ist eine Affenunterart.“

„Ja, und ist das so schlimm?“

Ich überlegte.

„In Anbetracht der Tatsache, dass der Mensch vom Affen abstammt, wohl nicht.“

„Also, wollen wir dann?“

Ich schluckte.

„Was muss ich tun?“

„Sie atmen einmal tief durch, visieren die Wand an und rennen durch. Natürlich ohne, dass Ihnen ein MaKa dabei zuschaut.“

„Also wie bei Harry Potter am Gleis?“, fragte ich aus einem Reflex heraus und bekam plötzlich ein ganz schlimmes Übelkeitsgefühl.

„Wie bei wem?“, fragte Frau von Bülow irritiert.

„Ach, nicht so wichtig. Würden Sie es mir bitte einmal vorführen?“

Sie nickte und sah sich um. Niemand, der uns hätte beobachten können. Frau von Bülow rannte einfach auf die Mauer zu und war verschwunden. Sie hatte nicht tief durchgeatmet, bevor sie losgerannt war.

„Na toll, und jetzt soll ich ihr das nachmachen.“

Ich sah mich ebenfalls um. Gerade jetzt mussten natürlich ein paar Nachtschwärmer in meine Richtung kommen. Ich tat so, als ob ich den Sternenhimmel betrachten würde, von dem in Berlin natürlich nichts zu sehen war.

„Ey!“, meinte einer, als er auf mich aufmerksam wurde.

Ich stöhnte.

„Willste mit auf’n Bier?“

Ohne meine Antwort abzuwarten, schwang er mir seinen schweren Arm um den Hals. Er roch fürchterlich nach Alkohol und ich rümpfte die Nase, als ich mich von ihm frei machte.

„Ey, jetzt sei doch nich‘ so!“

Ich machte mich schnell aus dem Staub und ging einmal auf die andere Seite der Siegessäule in der Hoffnung, dass mir die Typen nicht folgten.

„Dass die auch immer besoffen sein müssen ...“

Ich wartete an Ort und Stelle und lauschte, doch außer leichtem Verkehrslärm und einem weit entfernten Martinshorn konnte ich nichts hören. Vorsichtig ging ich auf der anderen Seite wieder herum.

„Verdammt ...“

Schnell hechtete ich wieder zurück. Die Halbstarken hatten sich direkt vor der Mauer niedergelassen, in der Frau von Bülow verschwunden war.

„Was mach‘ ich denn jetzt? Weghexen?“

Einen Zauberstab hatte ich ja, aber ich bezweifle, dass es so eine gute Idee war, ihn hervorzuholen. Hernach flog ganz Berlin in die Luft und ich hatte Schuld daran. Andererseits wartete die Bülow wahrscheinlich schon wieder auf mich. Und langsam wurde es mir doch zu frisch. Ich überlegte das für und wider und wurde dann jäh aus meinen Gedanken gerissen.

„Kommen Sie?“, fragte Frau von Bülow hinter mir.

Ich fuhr auf dem Absatz herum. Ihr Kopf steckte aus der Wand hinter mir heraus.

„Äh ...“

„Jede Wand ist magisch verzaubert. Wenn die eine Seite belegt ist, wählt man einfach eine andere. Und nun kommen Sie endlich.“

Ich schwieg, atmete stattdessen einmal tief ein und wieder aus, wie sie mir geraten hatte. Dann rannte ich mit einem höchst mulmigen Gefühl los und machte die Augen zu. Trotzdem fühlte es sich an, als würde ich durch eine Wand laufen, raus aus der Kälte und hinein in wärmeres Klima. Als ich sicher war, dass ich nicht tot oder schwerstverletzt in der Wand steckte, öffnete ich die Augen.

„Lassen Sie sich nicht auf die MaKas ein, das bringt nichts.“

„Leichter gesagt, als getan.“

Ich folgte Frau von Bülow. Innerhalb des Podests, auf dem die Säule mit dem Friedensengel thronte, war es ziemlich dunkel. Frau von Bülow hatte scheinbar ein Lumos an ihrem Zauberstab und leuchtete uns den Weg.

„Na, Bertie?“, fragte sie in die Dunkelheit.

Ich konnte absolut nichts erkennen.

„Na, Waltraud?“

Wir gingen tiefer in den Raum hinein. Mittlerweile konnte ich Einzelheiten erkennen, auch, dass sich vor uns ein Gitterkasten befand.

„Ist das ein Aufzug?“

„Sie haben es erraten. Bertie, Abteilung für Magische Landwirtschaft, wenn du so nett wärst.“

„Natürlich.“

Bertie öffnete die Aufzugkabine für uns und wir gingen an ihm vorbei. Höflich nickte ich dem Mann mit Halbglatze und grauen Haaren zu, und wunderte mich darüber, warum kein Hauself den Aufzug bediente. Bestimmt würde ich an anderer Stelle bald auf welche treffen. Wir fuhren in die Finsternis hinab. Anstatt im ersten Untergeschoss, einer großen und hell erleuchteten Eingangshalle, anzuhalten, fuhren wir weiter.

„Und wie viele Probleme hattest du mit ihr?“, fragte Bertie.

„Meistens hab ich darauf gewartet, dass sie endlich kommt.“

„Sie kann Sie übrigens hören“, murmelte ich.

„Wie war das?“, fragte Frau von Bülow.

„Ach, nichts.“

Wir fuhren noch vier Etagen nach unten.

„Du meine Güte, wie weit geht das eigentlich runter?“

„Das Ministerium für Zauberei Deutschland hat zehn Etagen, neun, wenn man die Lobby ignoriert“, erzählte Bertie bereitwillig. „Im untersten Stockwerk ...“

„Bertie, lass gut sein. Das lernt sie alles noch früh genug.“

Ich grinste Bertie verschmitzt zu. Zu gerne hätte ich mehr gewusst, aber Frau von Bülow schien nun endgültig am Ende ihrer Geduld angekommen zu sein. Endlich waren wir im fünften Untergeschoss angekommen. Bertie ließ uns aussteigen.

„Da wären wir, die Abteilung für Magische Landwirtschaft teilt sich die Etage mit der Abteilung für Magische Wirtschaft“, führte mich Frau von Bülow ein. „Einen Grundriss des Ministeriums sowie Angaben dazu, in welcher Etage sich welche Abteilung befindet, gibt es immer hier am Aufzug.“

Sie deutete auf ein großes Plakat links des Aufzugschachts. Ich wollte schon einen Blick darauf werfen, aber sie hielt mich zurück.

„Kommen Sie, Sie sind bestimmt erschöpft von der ganzen Aufregung. Außerdem wartet Müller wahrscheinlich schon brennend darauf, Sie kennenzulernen.“

„Müller?“

„Dr. Heribert Gernot Müller, der Leiter der Abteilung für Magische Landwirtschaft.“

„Dr. Heribert Gernot Müller“, wiederholte ich ehrfürchtig.

In Gedanken stellte ich mir einen kleinen, dicken Mann mit Brille auf der Nase und hellgrauen, kurzen Haaren vor. In einem braunen Tweedanzug, der aus der Zeit gefallen zu sein schien und mit braunen Budapestern dazu.

Tatsächlich handelte es sich um einen großen, recht kräftigen Mann mit schwarzem, vollem Haar und einem Ankerbart. Statt einer Brille trug er ein Monokel, im Mundwinkel hatte er eine halb gerauchte Zigarre, die aber erloschen war. Seine Kleidung entging mir komplett. Mein Blick war auf das fixiert, was er auf den Schultern hatte: ein azurblauer kleiner Vogel, etwa so groß wie eine Amsel. Dr. Heribert Gernot Müller, Leiter der Abteilung für Magische Landwirtschaft, erhob sich.

„Wie ich sehe, gefällt Ihnen mein Jobberknoll?“, fragte er, als er auf uns zukam.

„Ja, Sir!“, bestätigte ich.

Der kleine Vogel schien zu spüren, dass es um ihn ging. Neugierig hüpfte er auf der Schulter von Dr. Müller und sah mich mit seinen kleinen schwarzen Augen an. Er legte den Kopf schief.

„Er ist eine Handaufzucht.“

„Handaufzucht?“

„Ja, wir haben ihn einem amerikanischen Zauberer bei der Einreise abgenommen. Er war gerade einmal wenige Tage alt und in furchtbar schlechtem Zustand.“

„Oh.“

Betroffen sah ich zu dem kleinen Vogel. Er hatte ein kräftiges, blaues Gefieder und wirkte nicht wie ein Sorgenkind.

„Singt er gar nicht?“

„Nein. Warum, das werden Sie noch früh genug herausfinden.“

„Werde ich?“

„Ja. Setzen Sie sich bitte!“

„Kann ich ...“, fing Frau von Bülow an.

„Nein. Waltraud, meine Liebe, unser Neuzugang ist doch noch gar nicht richtig angekommen.“

Dr. Müller bedeutete ihr, sich ebenfalls zu setzen. Sie seufzte vernehmlich und nahm neben mir am Schreibtisch des Abteilungsleiters für Magische Landwirtschaft Platz. Er setzte sich uns gegenüber.

„Also lassen Sie mich mal sehen ...“

Er rückte sein Monokel zurecht und griff dann nach einer Akte, die geschlossen auf seinem Tisch gelegen hatte.

„Erste magische Begebenheiten in Ihrem Umfeld haben sich schon in Ihrer Kindheit zugetragen, richtig?“

„Äh ... nicht, dass ich wüsste.“

„Oh, aber ja! Als sie acht Jahre alt waren, hat Sie ein Auto auf Ihrem Fahrrad erfasst und Sie blieben so gut wie unverletzt. Haben Sie das vergessen?“

„Äh ...“

Diese Episode aus meiner Grundschulzeit hatte ich tatsächlich verdrängt. Ich hatte mich sehr dafür geschämt, einfach ohne noch mal zu schauen auf die Straße gefahren zu sein. Der Autofahrer hatte zum Glück noch eine Vollbremsung hinlegen können. Ohne mir der Realität bewusst zu sein, war ich einfach weiter gefahren mit meinem Rad, ehe mich der Autofahrer eingeholt und mit zitternden Beinen gefragt hatte, ob ich verletzt sei. Als ich verneinte, war er weitergefahren. Zuhause hatte ich den Vorfall verschwiegen und es über die Jahre vergessen. Jetzt sah ich Dr. Müller betroffen an.

„Magie! Sie haben seinerzeit unglaubliches Glück gehabt, dass der Fahrer zu geschockt war, um zu realisieren, was eigentlich geschehen war. Und er unverrichteter Dinge wieder gefahren ist, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Sie unverletzt sind.“

„Äh, Herr Dr. Müller. Sie wissen davon?“

„Wir haben Sie schon seit längerem auf dem Schirm.“

Verwirrt sah ich ihn an. Und wandte mich dann an Frau von Bülow in der Hoffnung einer Erklärung. Sie ignorierte mich.

„Äh, darf ich Sie etwas fragen?“

„Nur zu“, ermutigte mich Dr. Müller.

„Äh, wenn Sie mich schon so lange beobachten, warum melden Sie sich erst jetzt bei mir?“

Verlegen wechselte der Abteilungsleiter einen Blick mit Frau von Bülow.

„Nun, wissen Sie, es kann schon mal vorkommen, dass wir Nachwuchshexen und -zauberer aus den Augen verlieren. Konkret ist uns Ihre Akte vor etwa einem Jahr wieder in die Hände gefallen, das hat in der Registratur für einigen Wirbel gesorgt. Da Sie sich ziemlich gut geschlagen hatten und in Ihrem Umfeld bei den MaKas gefestigt waren, haben wir Sie nur beobachtet. Jedoch haben die Dinge in den letzten Stunden etwas überhandgenommen, nicht?“

„Äh, was meinen Sie?“, fragte ich ihn unsicher.

„Na, das Feuer in dem Bürokomplex. Im Eifer des Gefechts kann so etwas schon mal passieren, vor allem wenn man emotional aufgewühlt ist.“

„Das Feuer?“, fragte ich erschrocken.

„Aber ja!“, bestätigte Dr. Müller. „Ihr Glück, dass Sie die MaKa-Feuerwehr gerufen haben, das hätte sonst böse enden können.“

„Äh, nur, dass ich Sie richtig verstehe. Sie wollen mir sagen, dass ich das Feuer im Erdgeschoss meines Arbeitgebers verursacht habe? Mit Magie?“

„Ja.“

Mir wurde kurzzeitig schwarz vor Augen. Dr. Müller und Frau von Bülow schwiegen diskret, bis ich meine Fassung wieder erlangt hatte.

„Ist jemand verletzt worden?“, fragte ich besorgt.

„Nein, wie ich schon sagte. Die Feuerwehr kam rechtzeitig und hat Schlimmeres verhindert. Niemand wurde verletzt. Trotzdem hielten wir es für ratsam, Sie unter unsere Fittiche zu nehmen.“

Immer noch aufgewühlt sah ich ihm ernst in die Augen.

„Und jetzt wollen Sie, dass ich magische Tierwesen untersuche?“

Er nickte.

„Da Sie durch Ihre Eltern einen landwirtschaftlichen Hintergrund mitbringen, hielten es die Ministeriumsoberen für sinnvoll, Sie in meine Abteilung zu versetzen.“

„Oh. Und ich soll die Tierwesen alleine erforschen?“

„Ja. Sie müssen wissen, dass im Deutschen Zaubereiministerium, anders als in den anderen in Europa, ziemlich Not am Mann herrscht. Oder der Frau, wenn man so will.“

„Personalmangel? Wurden dem Ministerium die finanziellen Mittel gekürzt?“, fragte ich.

Dass in Deutschland diese oder jene Ausgabenposten von der Politik kaputt gespart wurden, war kein Geheimnis. Das betraf unter anderem das gemeine Schulwesen in den Ländern, aber zum Beispiel auch Bundes- und Landespolizei sowie den Zoll. Deshalb war es das Erste, was mir einfiel.

„Nun ja, so ähnlich“, meinte Frau von Bülow leise neben mir.

Verwirrt sah ich zwischen den beiden hin und her.

„Sie werden es noch früh genug erfahren. Tut mir leid, aber zu Ihren Aufgaben wird es deshalb auch gehören, dass Sie sich zunächst alleine in Magie aus- und fortbilden.“

Ich riss den Mund auf.

„Wir haben eine exzellente Enzyklopädie der Magie und Zauberkunst. Eine vollständige Ausgabe haben wir bereits auf Ihr Zimmer bringen lassen.“

„Äh ... Mein Zimmer?“

„Sie werden vorerst hier wohnen. Nichts Weltbewegendes, natürlich gibt es keine Fenster, dafür ist es ein Einzelzimmer. Sie haben private Sanitärräume mit fließend warmem Wasser. Und es gibt einen Gemeinschaftsraum.“

„Aha. Aber halten Sie das nicht für völlig gefährlich, eine nicht ausgebildete Hexe auf magische Tierwesen loszulassen? Oder auf Berlin?“

„Keine Sorge, Ihre Arbeit wird sich die meiste Zeit außerhalb der Stadt abspielen. Tierwesen sind nämlich sehr MaKa-scheu, wie Sie sich denken können.“

„Hat denn bisher noch niemand Tierwesen untersucht?“, fragte ich.

„Doch natürlich, aber noch nicht maßgeblich. Sie müssen wissen, die Deutsche Zauberergemeinschaft hat erst sehr spät begonnen, sich mit dem Thema zu befassen. Lange Zeit wurden magische Tierwesen von uns Menschen als gefährlich betrachtet und deshalb gejagt. Diese Herangehensweise bröckelt erst seit knapp hundert Jahren.“

 „Wieso? Was geschah denn vor hundert Jahren?“, fragte ich so beiläufig wie möglich.

Der erste Fantastic Beasts Film spielte 1926 in New York. Jetzt war es 2020, die Zeitrechnung von Dr. Müller konnte also hinkommen.

„Ja, nun. Die Zaubererschaft in Übersee sah mit einem nicht unerheblichen Vorfall konfrontiert, dessen Auslöser man zunächst in der Riege der Tierwesen vermutete. Hinterher stellte sich jedoch eine andere Ursache für die Geschehnisse heraus.“

„Oh!“

„Jedenfalls, einige der Tierwesen halfen am Ende, die Enttarnung der Zaubererschaft zu verhindern. Dadurch veränderte sich die Sichtweise grundlegend, wie Sie sich sicher vorstellen können.“

„Ja, soweit habe ich es verstanden“, bestätigte ich. „Ich verstehe nur nicht, warum man nicht die Forschung von Hexen und Magiern aus dem Ausland zurate zieht. Die haben die Tierwesen doch bestimmt schon sehr detailliert beschrieben?“

Ich wollte den Namen Newt Scamander nicht wörtlich in den Mund nehmen. Einerseits, weil ich nicht wieder so ein Übelkeitsgefühl bekommen wollte wie in dem Moment, als ich Harry Potter gegenüber der Bülow erwähnt hatte. Andererseits, weil ich damit vielleicht etwas lostrat, wovon ich jetzt noch nicht wissen konnte, ob es sich positiv oder negativ auswirken würde. Die Heimlichtuerei, die Dr. Müller mir bezüglich deutschen und nicht-deutschen Zauberern an den Tag legte, wirkte auf mich mehr als nur verdächtig. Ich beschloss, der Sache bei Gelegenheit auf den Grund zu gehen. Vielleicht stand ja etwas in der viel gepriesenen Enzyklopädie.

„Ähm, nun ja. Das werden Sie noch früh genug erfahren. Jedenfalls, wir hoffen, dass wir durch Ihre Arbeit unserer Enzyklopädie einen weiteren wichtigen Baustein hinzufügen können. Das Thema Tierwesen ist dort ein weißer Fleck auf der Landkarte.“

„Ich freue mich, wenn ich etwas zum Gemeinwohl beitragen kann“, sagte ich pflichtschuldig.

„Gut gut, das freut mich zu hören. Da wir soweit das Wichtigste geklärt haben, entlasse ich Sie für heute. Waltraud wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen. Ihre Sachen sowie eine Ausgabe unserer Enzyklopädie haben wir, wie erwähnt, schon hinbringen lassen.“

Wir erhoben uns alle von unseren Plätzen und gingen zur Tür des Büros.

„Ach, eine Sache noch“, fügte Dr. Müller hinzu. „Bevor Sie sich ins offene Feld begeben, sollten Sie die wichtigsten Zaubersprüche auf unserem Übungsplatz probieren. Der befindet sich im dritten Untergeschoss und ist mit einem beachtlichen Raumausdehnungszauber ausgestattet. Das Gelände innerhalb des Zaubers ist fast so groß wie die Fläche der Uckermark, aber bei weitem abwechslungsreicher. Neben einem Strand- und einem Waldareal gibt es auch ein kleines Gebirge. Und natürlich Gebiete, die Dörfern und Städten ähneln. Dort sollten Sie auf jeden Fall trainieren.“

Ich nickte.

„Guten Abend, meine Liebe. Waltraud, wir sehen uns dann morgen.“

„Es ist zwei Uhr in der Früh“, konterte Frau von Bülow.

„Oh, schon so spät? Wie die Zeit vergeht! Na ja, dann sehen wir uns später.“

Frau von Bülow verdrehte die Augen und schob mich nach draußen auf den Gang.

„Arbeitet er immer so spät?“, fragte ich, als wir beim Aufzug angekommen waren.

„Ständig. Er ist ein Workaholic.“

Bertie kam mit dem Aufzug angerauscht und fuhr mit uns ins vierte Untergeschoss hoch.

„Es wohnen noch einige andere Ministeriumsmitarbeiter hier, Sie sollten sich also entsprechend leise verhalten. Ausschweifende Parties sind verboten, aber gegen einen geselligen Abend hat der Zaubereiminister in der Regel nichts einzuwenden. Wenn die Arbeit nicht darunter leidet, natürlich“, erzählte mir Frau von Bülow auf dem Weg zu meinem Zimmer.

Wir blieben vor einer Holztür auf der linken Seite des Gangs stehen.

„Also, da wären wir.“

Frau von Bülow kramte ihren Zauberstab hervor und hielt ihn auf das Schlüsselloch.

„Alohomora!“

Die Tür öffnete sich auf magische Weise.

„Äh, gibt es keinen Schlüssel?“

„Doch, aber den müssen Sie sich morgen in der Registratur abholen. Um die Zeit ist dort niemand mehr.“

„Und man kann die Zimmer einfach so aufzaubern?“

„Die nicht bewohnten schon. Sie sollten sich in der Enzyklopädie aber das Kapitel über den magischen Datenschutz anschauen, dort gibt es auch einen Unterpunkt zum Thema Verschließzauber.“

Ich sah Frau von Bülow sprachlos an.

„Was?“

„Also, Sie wollen mir allen Ernstes erzählen, dass es in der Buchsammlung ein Kapitel über Schließ- und Öffnungszauber gibt? Was bleibt denn dann geheim, wenn jeder die Zaubersprüche nachlesen kann?“, fragte ich überfordert.

„Lesen Sie das Kapitel, dann wissen Sie mehr. Und jetzt rein mit Ihnen. Wenn Sie meinen Rat hören wollen, versuchen Sie zu schlafen, zu essen und dann erst auf den Übungsplatz zu gehen. Eine andere Reihenfolge macht um diese späte Uhrzeit keinen Sinn.“

„Ja.“

Ich trat an Frau von Bülow vorbei in das Zimmer.

„Und denken Sie an Ihren Decknamen. Das können Sie morgen an der Rezeption erledigen, die kümmern sich dann um die Änderung der Akten.“

„Ist gut. An wen darf ich mich wenden, wenn ich Hilfe brauche?“

„Generell erst einmal an die Rezeption. Die hilft Ihnen bei allerlei Fragen zum Ministerium weiter. Diese befindet sich im ersten Untergeschoss. Dort befindet sich auch die Ministeriumsbibliothek, in der Sie im frei zugänglichen Bereich Bücher ausleihen können. Wenn Sie abteilungsspezifische Hilfe benötigen, gehen Sie zu Dr. Müller.“

„Und wenn ich Ihre Hilfe benötige?“, hakte ich nach.

„Die werden Sie nicht brauchen, außer Dr. Müller ist außer Gefecht gesetzt. Dann schicken Sie mir eine Eule. Aber nur dann!“

Ich war zu müde, um sie anzugrinsen.

„Ist gut.“

„Also dann, auf gute Zusammenarbeit“, wünschte mir Frau von Bülow, wandte sich um und ging.

Ich sah ihr erschöpft hinterher und beschloss, den Rat der Hexe zu befolgen, und fiel ins Bett. Binnen weniger Sekunden war ich eingeschlafen.

Am nächsten Morgen

Ich rollte mich herum und gähnte herzhaft. Unter meiner Bettdecke war es mollig warm und ich hatte gar keine Lust, jetzt schon aufzustehen. Trotzdem drückte es mich in der unteren Region, das Hohlorgan musste dringend entleert werden, und ich hatte einen grummelnden Magen, der nicht Ruhe geben wollte. Schlaftrunken, wie ich war, setzte ich mich auf dem Bett auf. Es war irgendwie stockfinster, ich tastete nach dem Schalter meiner Bettlampe, fand ihn aber nicht. Grummelnd stand ich auf und tastete mich in der Dunkelheit in Richtung Toilette. Nur, um abrupt mit einem Möbelstück zusammenzutreffen. Eigentlich traf es eher mich, gegen mein rechtes Schienbein. Wie blöd, dass es mir gerade jetzt entgegenkommen musste, wo ich dringend aufs Örtchen musste. Im Halbschlaf wich ich dem Möbel aus und rannte dann gegen eine Wand.

„AU!“

Wieso kam mir jetzt auch noch eine Wand entgegen, die hatte hier doch gar nichts zu suchen? Ich stützte mich an der Wand ab und gähnte noch mal. War das ein leichtes Übelkeitsgefühl in meinem Magen? Ich überlegte, wann ich das letzte Mal etwas zu Essen hatte. Es fiel mir leider nicht ein, aber es schien gerade mein körperliches Hauptanliegen zu sein. Zumindest nach dem Klogang.

Ich versuchte, mich in der Dunkelheit zu orientieren. Inzwischen hatten sich meine Augen an das kaum vorhandene Licht gewöhnt.

„Scheiße!“, war mein einziger Kommentar.

Ich war nicht zuhause. Schlagartig war ich wach. Wo war ich?

„Scheiße!“

Die Geschichte mit der Tante vom deutschen Zaubereiministerium! Das hatte ich doch alles nur geträumt, oder nicht? Aber wenn ja, wo war ich dann jetzt? Ich fixierte die Tür, die ich nur deshalb erkannte, weil unter ihrem Schlitz Licht hindurch drang. Langsam bewegte ich mich auf sie zu, sah meine Hand in Zeitlupe zur Türklinke gleiten und sie herunter drücken.

Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Der Gang, der sich hinter der Tür aufmachte, war ziemlich unspektakulär und schien zum Glück auch nicht besonders lang zu sein. Duster, ohne Tageslicht, wie mir auffiel, stattdessen hingen altmodische Lampen jeweils parallel zwischen den Türen. Sie sahen für mich aus, als wären sie aus der Zeit, wo man Lampen noch mit Gas betrieben hat, aber sicher war ich mir nicht. Ich schaute den Gang einmal rauf und runter. Kein Wunder, dass ich mich nicht mehr erinnere, hier lang gekommen zu sein. Alles höchst mysteriös.

Ich ging in mein Zimmer zurück und fand nun endlich auch einen Lichtschalter. Das Zimmer, in dem ich die vergangene Nacht geschlafen hatte, war genauso einfach, wie der Gang. Ein einfaches Bett, etwa einen Meter breit und damit gerade ausreichend für mich, begleitet von einem großen und einem kleinen Schrank und einer Truhe am Bettende. Ein Schreibtisch nebst Stuhl komplettierte das Mobiliar. Es handelte sich um ein Einzelzimmer, wie Dr. Müller am Vortag gesagt hatte. Allerdings hatte er auch gemeint, ich verfüge hier über private Sanitäranlagen. Bisher hatte ich die nicht gefunden. Ich schloss die Tür hinter mir, ging zum großen Schrank hinüber und öffnete ihn.

„Äh ...“

In dem Möbel waren feinsäuberlich Klamotten von mir untergebracht. Alles Nötige, Unterwäsche, mehrere Hosen für Sommer und Winter, Pullis, T-Shirts. Sogar eines der Kleider hatte man mir her gebracht. Als mein Blick zum Bett glitt, stellte ich überrascht fest, dass das Bettzeug mit einer meiner eigenen Bettwäschen bezogen worden war. Vermutlich hatte ich deshalb so angenehm darin geschlafen, obwohl es ein fremdes Bett war. In der Truhe fand ich diverse Hygieneartikel und meinen roten Wanderrucksack. Ich griff mir Handtuch und Seife. Meine Blase drückte immer noch.

„Hn ...“

An der Tür steckte kein Schlüssel. Richtig, diesen musste ich mir ja an der Rezeption abholen, das konnte ich nachher erledigen, wenn ich meinen Namen änderte. Ich trat auf den Gang hinaus, in Socken, aber mit meiner Straßenbekleidung, bei der sich scheinbar niemand getraut hatte, sie mir auszuziehen. Ich wandte mich nach rechts, links lagen nur noch vier Zimmer und dann war das Ende des Gangs erreicht. Nach einigen Metern kam ich in einen größeren Raum, manche würden es wohl als großzügiges Foyer bezeichnen. Hier zweigten noch zwei Gänge ab, während es auf der einen Seite Sanitärbereiche gab. Die erkannte ich allerdings erst, als ich direkt davor stand, denn die Männlein- und Weibleinzeichen aus Kupfer waren wirklich klein und schlecht zu erkennen. Und stammten wohl wie das meiste hier aus dem letzten Jahrtausend.

Der Abort war genauso alt aber sauber. Ich hätte nicht gedacht, dass man so veraltete Sanitäranlagen noch so gut in Schuss halten konnte, aber vielleicht lag es auch an der Magie? Ich wusch mir Hände und Gesicht, mehr war nicht möglich, denn Duschen hatte ich hier nicht gefunden. Ich ging wieder in mein Zimmer zurück, um die Sachen aufzuräumen. Jegliches Zeitgefühl hatte ich verloren, eine Uhr fand ich nicht, aber ich fürchtete, dass ich schon viel zu spät dran war.

Doch anstatt mich zu beeilen und mich schnellstmöglich an der Rezeption zu melden, wandte ich mich dem kleinen Schrank zu. Da ich in dem großen und in der Truhe schon das Meiste gefunden hatte, war ich neugierig, ob der kleine Schrank auch befüllt war. Ich öffnete ihn und wäre fast in Ohnmacht gefallen. Der Schrank war mit einem Raumausdehnungszauber versehen, der in so etwas wie einer kleinen Privatbibliothek mündete.

„Gott, warum haben die das in dem kleinen Schrank gemacht und nicht in dem Großen?“

Ich trat durch das Möbel hindurch und stieß mir den Kopf. Ich fluchte, schaute mich dann aber neugierig um. Momentan gab es hier zwei Regale sowie einen großen Schreibtisch mit Stuhl und Schreibzeug, genauso altmodisch, wie die restliche Einrichtung. Das eine Regal war komplett befüllt. Ich trat näher und las die Buchrücken. Auf jedem stand „Encyclopaedia Magica Germanica“, darunter gab es verschiedene Einteilungen in Flora, Fauna und dergleichen mehr. Jede dieser Unterteilungen umfasste ihrerseits mehrere dicke Wälzer, wobei Fauna mit nur zwei Stück sehr übersichtlich war. Das war wohl die Stelle, an der ich ins Spiel kam. Insgesamt schätzte ich die Enzyklopädie auf etwa 30 Einzelbände, was ich als ziemlich ordentlich empfand.

Doch anstatt mich weiter um die Bücher zu kümmern, beschloss ich, erst einmal etwas Essbares zu suchen, mein Magen grummelte inzwischen unentwegt. Ich kletterte durch den Schrank zurück in mein Zimmer und verschloss ihn sorgsam. Dann sah ich mich um, wo war mein Zauberstab? Ich fand ihn schließlich unter der Bettdecke wieder, nahm ihn auf und zog mir die Schuhe an. Barfuß wollte ich keinem der anderen Zauberer begegnen.

Ich ging wieder in den größeren Raum zurück. Unschlüssig blickte ich die anderen Gänge entlang, fand aber heraus, dass es eigentlich nur einen gab, der aus dieser Ecke des Gebäudes hinausführte. Ich überschlug die Zimmeranzahl und schätzte, dass hier bis zu 20 Personen gleichzeitig leben konnten, wenn es sich ausschließlich um Einzelzimmer handelte. Bisher hatte ich jedoch noch niemanden getroffen, den ich danach hätte fragen können.

Ich folgte dem einen Gang und kam zu den Aufzügen. Interessiert trat ich an das Plakat mit dem Grundriss des Ministeriums heran und fand heraus, dass es im zweiten Untergeschoss eine Kantine gab. Bestimmt hatten die dort auch Frühstück. Ich drückte auf den Knopf und musste nicht lange warten, aber dieses Mal bediente nicht Bertie den Aufzug.

„Guten Tag“, grüßte ich den Herrn, der auf mich eher noch wie ein Knirps wirkte, und stieg in die Aufzugskabine. „Zweites Untergeschoss bitte.“

Wir fuhren kommentarlos nach oben, hielten im dritten Untergeschoss an und ein Mann, knapp 1,90 Meter groß, muskulös und etwa in meinem Alter, trat ein. Er hatte ein blaues Auge. Ich sah ihn geschockt an, wandte mich aber schnell ab, um nicht aufdringlich zu wirken.

„Ist halb so wild!“, meinte er fröhlich. „Beim Training passiert das schon mal. Wollen Sie nach oben?“

Ich nickte.

„Training?“

Ach ja, im dritten Untergeschoss befand sich ja das Trainingsgelände, bei dem man mir geraten hatte, es möglichst bald aufzusuchen. Ich schluckte, das konnte ja heiter werden. Und der Typ wirkte auf mich wie ein voll ausgebildeter Zauberer. Er drehte sich zu mir, während wir weiter Meter um Meter mit dem Aufzug erklommen.

„Hm? Ach, Sie müssen die Neue aus dem Landwirtschaftsamt sein, oder? Ich bin Jost.“

Jost hielt mir seine Rechte zum Gruß hin. Ich gab ihm meine Hand und musste sie anschließend etwas lockern, nachdem Jost sie überschwänglich geschüttelt hatte. Es schien ihm nicht aufzufallen.

„Monika ...“, stammelte ich.

„Ein schöner Name. Meine Tante heißt auch Monika.“

Ich verdrehte die Augen. Den Namen hatte ich nie wirklich gemocht, aber auch keine passende Alternative gehabt. Noch mehr Abneigung hatte ich gegen den Namen entwickelt, als ich feststellte, dass vor allem ältere Semester so hießen.

„Das ist mein richtiger Name. Mir wurde gesagt, ich solle mir einen Decknamen zulegen.“

„Ah ja. Das gilt für die meisten Hexen und Zauberer hier.“

Ich zog eine Augenbraue hoch.

„Zweites Untergeschoss.“

Die Fahrstuhltüren öffneten sich und vor uns stand eine Meute, die in die Kabine wollte. Wir quetschten uns hindurch. Jost bedeutete mir, nach links zu gehen, der Lärm aus der Kantine war bereits hier gut zu hören.

„Und hast du dir schon was überlegt?“, fragte er.

„Mhm. Schuster wohl als Nachnamen, aber Vorname gefallen mir mehrere Sachen.“

„Welche stehen denn zur Auswahl?“

„Senta, Lizzy oder Wanda, hatte ich mir unter anderem überlegt.“

„Lizzy find ich hübsch.“

„Ist Jost dein richtiger Name?“, fragte ich.

Wir kamen endlich in der Kantine an. Optisch sah sie bei weitem besser aus, als das, was ich von der Uni her kannte. Mehr wie die Kantine unseres Kunden.

‚Oder Ex-Kunden‘, dachte ich.

Jost und ich nahmen uns ein Tablett und liefen die verschiedenen Stationen ab.

„Nein, natürlich nicht. Mein richtiger Name ist eigentlich Heiko.“

„Ah.“

Ich lud mein Tablett voll mit allem, was mich optisch ansprach, Speck, gekochte Eier, Vollkornsemmeln, wobei das hier wohl eher Brötchen statt Semmeln waren, O-Saft, Kaffee und einen kleinen Obstsalat.

„Da hat wohl jemand Hunger“, lachte Jost.

„Ja, ich hatte zuletzt gestern Mittag was zwischen den Kiefern.“

Sein Gesicht wurde plötzlich ernst.

„Ich kam erst spät am Abend hier an!“, fügte ich schnell hinzu. „Ist der Name von Dr. Müller auch ein Deckname?“

„Nein. Die höheren Tiere können mit ihrem realen Namen raus, aber wir Agenten in der Regel nicht. Zu unserem eigenen Schutz.“

Ich folgte ihm zu einem Platz etwas abseits, wir setzten uns und ich machte mich über meine Portion her. Jost nippte an seinem Tee.

„Und Frau von Bülow?“

„Auch nicht. Aber sprich sie nicht darauf an, sie reagiert heikel darauf, wenn sich jemand nach der Wahl ihres Decknamens erkundigt.“

„Sie wollte wohl unbedingt einen Adelstitel haben, wie?“

Er zuckte mit den Schultern und biss in ein Croissant. Ich hingegen verputzte Speck, Eier und Semmeln in Nullkommanichts. Auch der Obstsalat war schnell verschwunden, aber ich hatte immer noch Hunger.

„Isst du das noch?“, fragte ich.

Jost schob mir sein zweites Croissant über den Tisch rüber.

„Danke!“

„Und hast du dich schon umgesehen?“, fragte er.

„Nein. Ich bin gestern erst sehr spät in der Nacht angekommen, glaube, war so um zwei im Bett oder so.“

„Oh. Dafür bist du aber früh wach.“

Ich horchte auf.

„Wie spät ist es denn?“

„Halb neun ...“

„Halb neun?“

Puh, da hatte ich aber ganz schön Glück gehabt. Ich entspannte mich sichtlich, lehnte mich zurück und mümmelte das Croissant vor mich hin.

„Wie lange arbeitest du schon für das Ministerium?“

„Seit meiner Ausbildung zum magisch vereidigten Zollfachmann.“

Mir klappte die Kinnlade nach unten.

„Zöllner?“

„Ja. Wir überwachen die Einhaltung von Verboten und Beschränkungen beim Warenverkehr, sichern die Grenze und solche Sachen. Unsere Arbeit unterscheidet sich da nicht so sehr von denen der MaKas, nur dass wir eben auf Magier und Hexen und ihre Angelegenheiten spezialisiert sind.“

„Aha.“

„Ich schätze, dass wir in Zukunft gelegentlich zusammenarbeiten werden. Wenn wir zum Beispiel ein magisches Tierwesen konfiszieren müssen.“

„Kommt das häufig vor?“

„Gelegentlich ja. Ab und zu haben wir auch mal ein Totes dabei, weil jemand dachte, er könne es einfach im Koffer mitnehmen, den er am Flughafen aufgibt.“

„Äh ...“

„Hm?“

„Hexen und Zauberer reisen mit Flugzeugen?“

„Ja, warum denn nicht?“

„Äh, wäre Apparieren nicht viel schneller und unkomplizierter?“

„Klar, macht aber nicht jeder. Vor allem dann nicht, wenn sie mit MaKas unterwegs sind. Und manche Tierwesen sind auch einfach zu groß, um mit ihnen zu apparieren.“

„Mit MaKas unterwegs, gibt es keine Trennung zwischen ...?“

„Zwischen uns und den magisch Unbegabten? Nein, hat man Anfang der 1970er Jahre abgeschafft.“

„Oh.“

Ich erinnerte mich daran, dass Newt in den Filmen behauptete, die Amerikaner hätten ziemlich bornierte Regeln in Bezug auf die Interaktion mit Muggeln, das war Mitte der 1920er Jahre. Ob die USA diese Regel mittlerweile abgeschafft hatten, wusste ich nicht. Deutschland scheint sich da etwas weiterentwickelt zu haben.

„Selbstverständlich sind wir dazu angehalten, unsere Welt vor den MaKas geheim zu halten, aber das ist natürlich nicht immer möglich. Vor allem dann, wenn es sich innerhalb einer Familie abspielt.“

„Aber dürfen wir sie denn heiraten?“

„Ja. Nur sollten wir halt trotzdem nicht mit unseren Fähigkeiten hausieren gehen, das zieht zu viele Probleme nach sich.“

Ich nickte, um ihm zu bedeuten, dass ich verstanden hatte. Inzwischen war mein Tablett leer, Kaffee und Saft getrunken und ich pappsatt.

„Was hast du jetzt vor?“, fragte Jost.

„Den Decknamen an der Rezeption abklären und den Schlüssel zu meinem Zimmer organisieren. Und dann ins dritte Untergeschoss.“

„Zum Trainieren? Viel Spaß!“

Wir standen auf und brachten unsere Tabletts zur Rückgabe.

„Na vielen Dank. Ich hab‘ ja gar keine Ahnung, worauf ich mich einlasse.“

„Huh?!“

Wir machten uns auf den Weg zu den Aufzügen.

„Ich habe erst gestern Abend durch Frau von Bülow erfahren, dass ich eine Hexe bin.“

„Ähh, du bist nicht in Arenberg ausgebildet worden?“

„Arenberg?“

„Deutschlands Schule für Zauberkunst?“

„Äh, nein?“

„Dann in Beauxbaton? Oder Hogwarts?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Doch nicht etwa in Durmstrang?“

„Nein.“

„Äh ...“

„Ich wusste bis gestern Abend nicht, dass ich eine Hexe bin“, erklärte ich ihm.

Es war das erste Mal, dass Jost keinen fröhlichen Eindruck machte.

„Ich bin genauso verwirrt wie du. Dr. Müller sagte, sie hätten mich vor einigen Jahren aus den Augen verloren.“

„Ach, einer von den Fällen ...“

„‚Einer von den Fällen‘, was meinst du damit?“

„Ach, das soll dir lieber Dr. Müller erklären.“

„Ich hab ihn gefragt, aber er hat nur herumgedruckst.“

„Kann sein, aber ich kann mich da nicht einmischen und dir Dinge erzählen, die deine Vorgesetzten vorerst vor dir geheim halten.“

Ich seufzte. Wir waren wieder beim Aufzug angekommen, doch die Kabine brauchte einige Zeit, um wieder bei uns anzukommen.

„Wo musst du jetzt hin?“, fragte ich Jost, damit das Gespräch nicht vollends abbrach.

„Hn, eigentlich hätte ich jetzt ein wichtiges Meeting, aber ich hab beschlossen, mit dir mitzukommen.“

„Huh? Warum das denn?“

„Um dir beim Training zu helfen!“, erklärte er. „Es ist verantwortungslos, komplett unerfahrene Hexen allein loszuschicken.“

„Wie schön, dass wenigstens einer das versteht.“

„Es sieht zwar nicht danach aus, aber das Ministerium ist chronisch unterbesetzt.“

„Chronisch unterbesetzt? So in etwa hat sich Müller gestern auch geäußert. Was ist denn der Grund dafür, wenn ich fragen darf?“

Jost sah mich an und überlegte. Endlich kam der Aufzug, wir stiegen ein und ließen uns eine Etage nach oben fahren. Während der Fahrt schwiegen wir, aber als wir oben waren und zur Rezeption gingen, beugte er sich zu mir rüber.

„Kaputtgespart“, flüsterte er.

Ich schwieg. Dass Jost mir für meinen Geschmack zu lange mit dieser Antwort gewartet hatte, als dass sie für mich plausibel klang, konnte er schließlich nicht wissen. Der Rezeptionist grüßte mich höflich, während mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Schüchtern lächelte ich den Mann an, dessen Namensschild ihn als Herrn Schneider auswies. Jost wartete beim Anschlagbrett auf mich.

„Willkommen beim Ministerium für Zauberei Deutschland. Was kann ich für Sie tun?“

„Guten Tag, ich bin gestern hier angekommen und mir wurde gesagt, dass ich mir einen Decknamen zulegen muss.“

„Ah ja, richtig. Ich wurde schon darüber informiert.“

Beruhigt sah ich dabei zu, wie der Rezeptionist in einem Stapel Unterlagen zu wühlen begann. Er fand schließlich die richtige Mappe und öffnete sie.

„Ah ja, Sie benötigen außerdem noch den Schlüssel zu Ihrem Zimmer, korrekt?“

Ich nickte. Schneider reichte mir ein Formular über die Theke.

„Wenn Sie bitte hier Ihren gewünschten Vor- und Nachnamen eintragen würden. Unten rechts müssen Sie dann noch unterschreiben.“

Er reichte mir eine Schreibfeder.

„Mit meinem richtigen Namen oder mit meinem Decknamen?“, fragte ich.

„Mit richtigem Namen.“

„Oh.“

Ich sah auf das Formular. Meine persönlichen Daten hatte man soweit eingetragen. Von der Augenfarbe über Körpergröße und Geschlecht war alles dabei. Sogar mein richtiger Name stand auf dem Papier. Rechts oben war ein leeres Kästchen, das mich irritierte. Ich setzte meine Signatur darunter.

„Hier, bitte.“

Ich reichte das Blatt zurück.

„So, dann müssten wir jetzt noch ein Foto von Ihnen machen.“

Ich erschrak sichtlich.

„Wofür wird denn ein Foto benötigt?“, fragte ich.

„Das Foto wird für Ihren Dienstausweis benötigt. Ohne diesen können Sie die für Ihre Sicherheitsstufe zugänglichen Bereiche des Ministeriums nicht betreten.“

„Muss das jetzt sein?“

„Ja, umgehend. Sonst können wir Ihren Ausweis nicht fertigstellen.“

„Und wo kann ich so ein Foto machen lassen?“

„Wenn Sie bitte einmal um die Theke herum kommen wollen, dann können wir das gleich hier und jetzt erledigen.“

Ich tat, was Schneider mir sagte und versuchte, meine Frisur halbwegs in Ordnung zu bringen. Warum hatte mir niemand gesagt, dass sie ein Foto von mir brauchten? Komplett ungeschminkt konnte das nur eine Katastrophe werden. Wobei ich mich nur in den seltensten Fällen schminkte, für Bewerbungsfotos und dergleichen. Immerhin hatte ich davor noch mein Gesicht gewaschen, aber etwaige Reste vom Frühstück konnte ich mir nur mehr schlecht als Recht wegwischen.

„Bitte stellen Sie sich einmal hier hin und blicken Sie direkt in die Kamera“, wies mich der Rezeptionist an, der bereits einen auffällig großen Fotoapparat in der Hand hielt.

Ich fragte mich, ob der auch so ein bewegliches Foto von mir machen würde, wie ich es aus den Filmen kannte. Der Rezeptionist hielt die Kamera auf mich.

„So, und jetzt lächeln Sie bitte einmal leicht.“

Es blitzte.

„Noch eines als Reserve.“

Ich grinste noch mal windschief ins Objektiv.

„Das hätten wir.“

Er schickte mich wieder zurück auf die andere Seite der Theke.

„Wir werden den Ausweis so schnell wie möglich für Sie fertigstellen. Wo werden Sie sich die nächsten Stunden aufhalten?“

Ich sah zu Jost hinüber.

„Im Trainingsgelände.“

„Wir werden Ihnen den Ausweis bringen. Jetzt bräuchte ich noch einmal Ihre Unterschrift dafür, dass Sie den Schlüssel zum Zimmer erhalten haben.“

Ich unterschrieb auf einem zweiten Formular. Schneider reichte mir einen altmodisch aussehenden Messingschlüssel.

„Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt, guten Tag.“

Ich verabschiedete mich von dem Rezeptionisten und ging zu Jost. Den Schlüssel steckte ich in meine Hosentasche.

„Wieso hast du mir nicht vorher gesagt, dass die ein Foto machen?“, fragte ich.

„Wusstest du das nicht?“

„Nein.“

„Oh. Entschuldige. Bist du bereit, das Trainingsgelände unsicher zu machen?“, fragte er dann.

„Ja, wenn es mich nicht vorher unsicher macht.“

„Keine Sorge, am Anfang klingt es viel schlimmer, als es in Wahrheit ist.“

Wir wandten uns wieder zum Aufzug und fuhren ins dritte Untergeschoss. 

Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Aber jedenfalls nicht den Anblick, der sich mir jetzt bot. Anstatt noch einmal durch einen Gang oder Ähnliches laufen zu müssen, traten wir direkt von der Aufzugskabine ins Trainingsgelände. Wie Dr. Müller am Vortag erzählt hatte, war es eine weitläufige Gegend. Am Horizont konnte ich einige Berge erahnen, vermutlich waren sie nicht größer als 1.500 Meter, aber mit den Gewitterwolken um die Gipfel herum wirkten sie bedrohlich und imposant. Davor konnte ich einen kleinen See ausmachen, der sich an ein Birkenwäldchen schmiegte. Insgesamt wirkte alles sehr malerisch.

Jost lachte vergnügt neben mir auf und lief einige Schritte in das Gelände hinein. Ich folgte ihm angemessenen Schrittes. Es fühlte sich nicht anders an, als wäre ich in der richtigen freien Natur. Ich atmete die frische Luft und ließ den Wind mit meinen Haaren spielen.

„Also, wie findest du’s?“, fragte Jost.

„Überwältigend! Ich wusste nicht, dass es so groß ist.“

„Ja, nicht? Es ist eines der Glanzstücke unseres Ministeriums.“

„Ist es?“

„Ja. Du hast doch bestimmt auch die Encyclopaedia Magica Germanica bekommen, oder? Schau bei Gelegenheit mal rein, das Trainingsgelände ist dort genau beschrieben. Wie es erschaffen wurde, seit wann es das Gelände gibt, wer es erschaffen hat und solche Sachen.“

„Ich hatte ja eigentlich eher eine Turnhalle erwartet, in der man das Zaubern üben konnte. Oder ein chemisches Labor, wenn man Tränke brauen will. Ehrlich, als Müller mir die Landschaft beschrieb, habe ich gedacht, er lügt mich an.“

Jost grinste.

„Also lass mal überlegen. Da du ja noch komplett neu bist, sollten wir mit einigen grundlegenden Zaubern beginnen. Deinen Zauberstab hast du hoffentlich dabei?“

Ich zog ihn unter meinem Pulli hervor. In Ermangelung einer Alternative hatte ich ihn mir in den Bund meiner Hose geschoben. Jost sah mir irritiert dabei zu.

„Die haben dir gar nichts gesagt, oder?“

„Wer?“

„Müller und die Bülow.“

„Na ja, fast nichts.“

„Okay. Vielleicht solltest du im KaDeZa vorbei schauen, wenn du mal Zeit hast.“

„‚KaDeZa‘?“, wiederholte ich.

„Kaufhaus der Zauberdinge, wie es eigentlich heißt, aber jeder nennt es nur KaDeZa. Die Ähnlichkeit zum KaDeWe ist natürlich nur rein zufällig.“

„Natürlich“, bestätigte ich mit einem Grinsen.

„Dort findest du alles, was das Hexenherz begehrt. Von Trankzutaten über die richtige Garderobe bis hin zu so nützlichen Sachen wie einem Zauberstab-Halfter für den Gürtel.“

„Oh, okay, dann werde ich da mal hinschauen.“

Wir hatten uns etwas von der Stelle entfernt, an der uns der Aufzug abgesetzt hatte.

„Also hör zu, bevor wir mit dem Training anfangen, musst du einige Dinge über das Gelände hier wissen. Es hat 24 Stunden geöffnet, sieben Tage die Woche. Es gibt keine Aufseher oder Leute, die hier patrouillieren. Wenn du dich also in eine missliche Lage bringst und allein bist, hast du ein Problem. Du kannst dann nur hoffen, mit einem Signalzauber jemanden auf dich aufmerksam machen zu können. Oder dass vielleicht zufällig jemand des Weges kommt, solltest du bewusstlos, oder, na ja, tot, sein.“

„Na du machst mir ja Freude, aber okay.“

„Außerdem solltest du dir die Stelle mit dem Stein da merken, an der wir rausgekommen sind. Der Stein beherbergt den Knopf für den Aufzug. Er befindet sich genau in der Mitte des Geländes, ist aber trotzdem nicht so leicht zu finden, da du immer noch Horizont siehst, wenn du am Rand des Geländes angekommen bist. Vergiss das besser nicht.“

„Ja, sonst bin ich hier gestrandet. Wie sieht es mit Überlebensmöglichkeiten aus?“

„Was meinst du damit?“, fragte Jost.

„Na ja, falls ich den Stein doch nicht mehr finde und auch sonst niemand da ist, kann ich z. B. essbare Beeren finden oder sowas?“

„Hab mich nie drum gekümmert, wenn ich ehrlich sein soll.“

„Oh.“

„Schau einfach, dass du nicht verloren gehst, okay?“

„Ja.“

„Also hör zu, Zaubern wird uns ja eigentlich relativ früh beigebracht. Weil du erst so spät dazu gekommen bist, musst du anders lernen, als die Knirpse in Arenberg.“

„Ich werde mich wohl vorranging auf das konzentrieren müssen, was in direkter Verbindung mit den Tierwesen steht, die ich untersuchen soll.“

„Korrekt. Sowas wie Runen brauchst du zum Beispiel nicht. Auch Geschichte der Zauberkunst erscheint als weniger relevant, aber da solltest du vielleicht trotzdem mal reinschauen. Unerlässlich sind aber die zwei Bände über die Tierwesen, die unsere Enzyklopädie enthält.“

„Das habe ich mir schon gedacht“, erwiderte ich. „Aber das wird wohl auch vorranging nur Lesen und auswendig lernen sein und weniger Zauberstabschwingen, oder?“

„Ja, trotzdem solltest du deinen Zauberstab anwenden können, oder nicht? Zum Beispiel für den Fall, dass du dich mal gegen etwas verteidigen musst.“

„Und welchen Band empfiehlst du mir da zum Lesen?“

„Verschiedene. Auf jeden Fall den Zauberspruchalmanach, der umfasst derzeit sieben Bände und wird auch in Arenberg gelehrt, aber du musst individuell vorgehen, anstatt chronologisch beim ersten Band anzufangen, wie die Schüler. Und alles, was mit Zaubertränken zu tun hat, solltest du auch als erstes durchgehen. Also Zauberrezepte für Anfänger, Fortgeschrittene und Profis und das Standardlehrwerk 1001 Magische Bohnen. Sicher ist es auch nicht verkehrt, wenn du mal in Verzauberungen für Anfänger gelesen hast. Falls mal jemand ein Tierwesen in eine Statuette verzaubert und auf diesem Wege schmuggeln will, oder sowas. Wobei das eher das Fachgebiet meiner Abteilung ist.“

„Oh, okay. Klingt ziemlich aufwändig. Kann ich mit den Büchern auch hierher kommen, um zu trainieren?“

„Klar, aber du solltest keines der Bücher verlieren. Die komplette Enzyklopädie wird jedem Mitarbeiter kostenlos zur Verfügung gestellt. Wenn du ein Buch verlierst, musst du es aber auf eigene Kosten ersetzen.“

„Verstanden, aber werde ich nicht im Umkehrschluss vom Ministerium bezahlt?“

Jost sah mich schief an und verschränkte die Arme.

„Unsere Gehälter sind nicht so üppig, als dass wir uns davon so viel leisten könnten“, brummte er.

„Mhm. Und womit fangen wir jetzt an?“

„Schwing erst einmal deinen Zauberstab, nicht in meine Richtung, versteht sich.“

„Wozu?“, fragte ich. „Solltest du mir nicht erst einen konkreten Zauberspruch beibringen, bevor ich ihn schwinge?“

„Nein, ich will einfach nur sehen, wie er reagiert. Jeder Zauberstab hat eine Persönlichkeit, musst du wissen.“

Ich versuchte, ihn möglichst überrascht anzuschauen. Was Jost mir da erzählte, war im Grunde nicht neu für mich. Der Zauberstab wählte den oder die Zauberin, nicht anders herum. In den Filmen schloss sich mit diesem Satz der Kreis, denn Voldemort hatte den Elderstab zwar verwenden, aber nicht gegen dessen eigentlichen Besitzer, Harry Potter, wenden können.

Ich sah mich in der näheren Umgebung um und visierte einen umgefallenen Baumstamm an. Eifrig richtete ich meinen Zauberstab darauf und schwang ihn einmal. Der Baumstamm wurde zerfetzt und ein Regen Holzsplitter kam auf uns zu. Jost war so geistesgegenwärtig, einen Schildzauber zu wirken, sodass wir geschützt waren.

„Huh, damit solltest du vorsichtig sein“, war sein Kommentar, als die Reste des Stamms wieder auf dem Boden gelandet waren.

„Du hast gut reden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich jemanden verletze, ist ziemlich groß, findest du nicht?“

„Ja, aber eine andere Wahl hast du nicht. Außer natürlich, du schaust dich nach einem anderen Zauberstab um.“

„Wo wir gerade dabei sind, woher ist dieser eigentlich?“, fragte ich.

„Der Zauberstab? Vermutlich aus der Asservatenkammer.“

„Aus der Asservatenkammer?“

„Ja, vielleicht war er mal ein Beweisstück gegen einen kriminellen Zauberer oder so und wird jetzt nicht mehr als Beweismittel benötigt.“

„Ah.“

Ich machte mir innerlich einen Punkt auf der Liste, die ich abarbeiten musste. In der Enzyklopädie gibt es sicher auch ein Kapitel über Zauberstäbe und wie man in Deutschland auf legalem Wege an sie heran kam.

„Jedenfalls, der Zauber, mit dem ich uns gerade geschützt habe, ist der Protego. Das ist ein Basiszauber gegen allerlei Arten von Flüchen und schwächere Zaubersprüche, die gegen dich gewirkt werden. Du musst deinen Zauberstab dafür einmal so bewegen und dabei deutlich ‚Protego‘ sagen.“

Jost führte es mir mit dem Zeigefinger vor.

„Versuch es einmal.“

Ich nickte und hob meinen Zauberstab wieder.

„Protego!“

Ich führte meinen Zauberstab in einer kurzen, senkrechten Bewegung. Nichts tat sich. Ich sah verwirrt zu Jost.

„Beim Basiszauber ist der Effekt unsichtbar, wenn nicht etwas an ihm abprallt.“

„Du müsstest also einen Stein auf mich werfen, oder wie?“

„Wohl eher einen einfachen Fluch gegen dich sprechen. Willst du es probieren?“

„Äh, und wenn mein Protego misslingt?“

„Dann landest du auf dem Hintern.“

„Äh ...“

Jost stellte sich mir gegenüber, ohne meine Antwort abzuwarten. Ich hob meinen Zauberstab wieder, er bebte in meinen Händen.

„Ganz ruhig, so schwer ist es nicht. Du darfst nur den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen. Sobald ich meinen Zauberstab schwinge, musst du reagieren. Ich werde nur einen ganz harmlosen Spruch anwenden, der dich zurückstubsen wird.“

„Okay.“

Ich war überrascht, wie fest meine Stimme trotz meiner Aufregung klang. Ich fixierte Jost mit meinen Augen, aber ich hätte mich mehr auf seinen Zauberstab konzentrieren sollen. Mein Protego kam einige Sekunden zu spät, ich sah es nur kurz aufblitzen, aber da war der Stoß von Jost schon durch. Ich taumelte einige Schritte nach hinten.

„Los, gleich noch mal!“

Er wartete, bis ich wieder fest auf beiden Beinen stand, und meine Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war. Beim zweiten Mal war ich schneller, mein Protego blitzte auf.

„Gar nicht schlecht“, lobte Jost.

Ich fühlte mich fast wie ein Hund, der gerade ein schwieriges Kommando gelernt hatte. Gerade, dass mir mein Trainer kein Leckerli hinhielt. Trotzdem sah ich ihn erfreut an.

„Willst du es noch mal probieren?“

„Klar!“

Wir nahmen wieder Aufstellung und richteten unsere Zauberstäbe aufeinander. Erneut schaffte ich es, mein Protego im richtigen Moment anzuwenden. Doch von dem Aufprall von Josts Zauber auf meinem Schild wurde ich nach hinten gestoßen, stolperte, und landete nun doch auf meinem Allerwertesten.

„Hey!“

„Entschuldige!“

Jost eilte schnell auf mich zu, ich ließ mir von ihm aufhelfen. Mein Hintern tat weh und der Aufprall auf dem Boden hatte mir den Atem aus den Lungen gepresst.

„Das war gemein!“, beschwerte ich mich.

„Ich weiß. Es war nur ein Test“, entschuldigte er sich. „Zauber, die gegen dich gewirkt werden, können mal mehr, mal weniger mächtig sein. Das hängt von dem Zaubernden ab und davon, wie gut er ihn beherrscht. Gleiches gilt allerdings auch für dich. Je mehr du dein Protego übst, desto mächtiger wird dein Schutzschild. Ganz davon abgesehen, dass du ihn viel routinierter einsetzen wirst, je mehr du ihn trainierst. Hast du das soweit verstanden?“

„Ja. Aber wie kann ich den Zauber am besten trainieren, wenn du zum Beispiel mal keine Zeit hast, um mit mir zu üben?“, fragte ich.

„Du kannst auch andere Mitarbeiter des Ministeriums um Hilfe bitten. Für die schon etwas Erfahreneren gibt es einen ministeriumsinternen Duellierklub.“

„Oha.“

So einen gab es wohl überall und in jeder Epoche. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie sich Draco und Harry gegenüber gestanden hatten und zunächst der eine, dann der andere, auf dem Boden gelandet waren.

„Es macht wohl wenig Sinn, mich im Klub anzumelden, wenn ich nur einen einzigen Zauber nicht besonders gut beherrsche, oder?“

„Ja, das stimmt allerdings.“

Ich überlegte und hatte plötzlich einen Geistesblitz, wie ich den Protego-Zauber auch ohne fremde Hilfe würde üben können. Jost entging nicht, dass sich mein Gesicht aufhellte.

„Was ist?“

„Nichts. Okay, was kannst du mir noch beibringen?“

Jost legte den Kopf schief.

„Vielleicht wirst du hin und wieder einen Levitationszauber anwenden müssen“, überlegte er. „Zum Beispiel, um eines der Tierwesen mit etwas Fressbarem anzulocken oder so.“

Ich wartete nur darauf, dass er mit Wingardium Leviosa ankam, einem der ersten Zaubersprüche, die Harry, Ron und Hermine im ersten Schuljahr gelernt haben. Und so sollte es dann auch kommen.

„Einer der einfachsten Levitationszauber ist Wingardium Leviosa. Die Zauberstabbewegung dafür ist so.“

Er schwang seinen in einem Halbkreis und dann senkrecht nach unten. Zwei Meter von uns entfernt fing ein großer Stein zu schweben an, der wieder zu Boden fiel, als er den Zauber löste.

„Jetzt du.“

Ich musste die ganze Zeit daran denken, wie künstlich Hermine im Film die Aussprache von Ron betont hatte. Und dass die Feder bei Seamus Finnigan explodiert war, weil er den Zauberspruch falsch ausgesprochen hatte. Entsprechend ehrfürchtig ging ich an die Sache heran, aber Wingadrium Leviosa wollte nicht so richtig klappen. Die Steine in der näheren Umgebung wackelten auf dem Boden, aber keiner schwebte so, wie es zuvor Josts Stein getan hatte. Immerhin explodierte auch keiner.

„Okay. Den kann ich wenigstens alleine trainieren“, meinte ich, nachdem ich es mehrmals relativ erfolglos versucht hatte.

„Ja, aber fang klein an, mit Steinen und so. Erst, wenn du etwas geübter darin bist, sie auch in bestimmte Richtungen schweben zu lassen, solltest du dich an größere Objekte heranwagen.“

Ich nickte.

„Willst du mir noch was zeigen?“

„Nein. Ich muss mich langsam wieder an meine eigene Arbeit machen. Eigentlich habe ich schon viel zu lange herumgetrödelt.“

Ich sah Jost erschrocken an.

„Warum hast du denn nicht gesagt, dass ich dich aufhalte?“

„Ach was. Eine neue Kollegin kann man doch nicht einfach so im Regen stehen lassen.“

„Trotzdem. Dass du wegen mir deine Arbeit liegen lässt, muss ja auch nicht sein“, konterte ich. „Was soll denn dein Chef dazu sagen?“

„Den lass mal meine Sorge sein, er kann eh nicht auf mich verzichten. Also komm, sicher haben die mittlerweile auch deinen Ausweis fertig.“

Wir gingen zu dem großen Felsen zurück. Jost ließ mich den Knopf für den Aufzug suchen, aber ich hatte ihn schnell gefunden. Der Aufzug ließ etwas auf sich warten, aber plötzlich schoben sich die Türen wie aus dem nichts vor uns auseinander. Wir stiegen in die Kabine.

„Viertes Untergeschoss“, sagte ich.

„Achtes Untergeschoss.“

Die Aufzugtüren schlossen sich wieder.

„Du musst aber tief runter.“

„Ja, man gewöhnt sich dran.“

„Darf ich dich mal besuchen kommen?“, fragte ich.

„Klar, aber du musst dich am Tresen anmelden.“

„Am Tresen?“

„Ja, in unserer Abteilung haben wir noch mal eine eigene Rezeption mit einem Mitarbeiter. Damit nicht einfach jeder herumspaziert und sich die Asservatenkammer von innen anschaut.“

„Oh.“

„Viertes Untergeschoss“, verkündete der Aufzugwärter.

„Vielen Dank, dass du mir so viel geholfen hast“, sagte ich zu Jost, als ich ausstieg.

„Keine Ursache, lass dich nur nicht unterkriegen und pass auf, wenn du mit den Tierwesen zu tun hast. Manche können ziemlich gefährlich sein.“

Als ob ich das nicht wüsste. Ich grinste ihm verhalten ins Gesicht, während sich die Fahrstuhltüren wieder schlossen und er in der Tiefe verschwand.

Ich atmete einmal tief ein und wieder aus. Und war froh, als ich wieder für mich war, ohne dass ich unter Beobachtung stand. So nett sich Jost mir gegenüber auch verhalten hat, so wenig wusste ich tatsächlich über ihn. Außer, dass sein Deckname Jost war, sein richtiger Name angeblich Heiko, und er ein Mitarbeiter beim magischen Zoll war. Genauso wahrscheinlich konnte sein, dass das alles Käse war und man ihn auf mich angesetzt hatte, um mir wenigstens die ersten paar Stunden durch den Tag zu helfen. Oder, um mich zu überwachen.

Oder ich bildete mir das alles nur ein, das war natürlich auch im Rahmen des Möglichen. Ich zuckte mit den Schultern und ging zu meinem Zimmer. Wie schon am Morgen kam mir niemand in diesen Gängen entgegen. Ob außer mir überhaupt jemand hier lebte?

‚Aber wieso nicht? Wenn sie schon so sparen müssen, werden die kaum die Zimmer frei haben. Wäre ja die reinste Platzverschwendung‘, dachte ich.

Die Tür zu meinem Schlafzimmer war immer noch offen. Ich prüfte den Schlüssel, den mir der Rezeptionist gegeben hatte. Er passte wie angegossen und schloss die Tür vernünftig ab. Wenigstens ein Punkt, den ich von meiner Arbeitsliste streichen konnte.

Ich sah mich in meinem Zimmer um. Augenscheinlich hatte sich nichts verändert, was mich nur bedingt beruhigte. Ich konnte nirgends etwas entdecken, das einem Dienstausweis oder einer Nachricht der Obrigkeit glich. Ich musste also wohl noch länger darauf warten und beschloss, nun doch einmal in der Enzyklopädie zu stöbern.

Sehnsüchtig schaute ich auf mein Bett, die Decke war noch immer zerwühlt. Einen Zimmerservice gab es offensichtlich nicht, aber das war mir ganz recht. Da musste ich auch nicht dran denken, morgens aufzuräumen, weil jemand ins Zimmer kommt. Ich ließ das Bett links liegen und wandte mich dem kleinen Schrank zu, der meine persönliche Privatbibliothek beherbergte.

„Bestimmt ist es sinnvoll, wenn ich mir die gelernten Zaubersprüche notiere und alles Wissenswerte über sie zusammenfasse“, überlegte ich.

Ich kletterte wieder durch das Möbel und stieß mir dabei die rechte Schulter an.

„Autsch!“

Meine Privatbibliothek war noch genauso, wie ich sie verlassen hatte. Zunächst inspizierte ich den Schreibtisch, auf dem sich eine Bankerleuchte mit grünem Schirm sowie eine Schreibunterlage und ein Tintenfass samt Schreibfeder fanden. Rechts hatte er zwei Schubladen, in der obersten waren ein ledernes Notizbuch und ein Block. Ich legte beides auf den Tisch. Die untere Schublade war leer. Danach wandte ich mit der Enzyklopädie zu.

„Also lass mal sehen, Zauberspruchalmanach und 1001 Magische Bohnen hatte Jost gemeint.“

Die entsprechenden Bücher fanden sich schnell, wobei allein das Bohnebuch doppelt so breit wie meine Handfläche war. Ich wollte es aus dem Regal ziehen, merkte aber schnell, dass es viel zu schwer war.

‚Jost, du alter Schlawiner. Deswegen wolltest du mir den Wingardium Leviosa beibringen‘, dachte ich amüsiert.

Ich holte meinen Zauberstab hervor und richtete ihn einmal auf den Schinken.

„Wingardium Leviosa!“, sprach ich deutlich und schwang meinen Zauberstab.

Statt dem Schmöker segelte ein anderes Buch aus dem Regal hervor. Es schwebte kurz, ehe es zu Boden fiel.

„Scheiße.“

Immerhin hatte ich es geschafft, wenigstens ein bisschen den richtigen Zauber zu wirken.

‚Macht es vielleicht einen Unterschied, ob ich Bücher oder Steine fliegen lasse?‘, dachte ich.

Schnell hatte ich das Buch vom Boden aufgehoben und las den Titel.

„‚Magische Spurensuche‘, das schein wohl eher Josts Metier zusein.“

Ich stellte den Band zurück ins Regal und versuchte es noch einmal. Dieses Mal schaffte ich es, mit meinem Zauberspruch das richtige Buch zu erwischen. Langsam schwebte 1001 Magische Bohnen aus dem Regal heraus und dem Schreibtisch entgegen. Einen Meter davor fiel es auf den Boden und ich fragte mich, warum. War meinem Zauber zwischendrin die Puste ausgegangen?

Ein drittes Wingardium Leviosa beförderte das Buch endgültig auf den Schreibtisch, wo ich es erst einmal liegen ließ. Als Nächstes holte ich mir die beiden Bücher über die Fauna, meinen neuen Fachbereich sozusagen, und als letztes den ersten Band vom Zauberspruchalmanach. Da hatte ich ja einiges vor mir, wenn ich mir den Bücherstapel so ansah, und das war nur das, was mich direkt betraft. Geschichte der Zauberei hatte ich noch gar nicht angefasst.

Ich setzte mich und nahm den Zauberspruchalmanach zur Hand.

„Also lass mal sehen, Protego und Wingardium Leviosa, das sollte ja in der ersten Klasse in Hogwarts drankommen. Oder Arenberg vielmehr.“

Doch anstatt dass ich mich auf den Inhalt des Buches konzentrierte, schweiften meine Gedanken zu der Schule für Magie und Zauberei ab, die es in Arenberg gab, und auf die ich nie gegangen war. Der Ort klang mir wie der Name einer Burg oder eines Klosters oder etwas vergleichsweise Altem. Wo die Schule lag, wusste ich nicht, aber das ließ sich sicher in einem meiner Bücher nachschlagen. Blind für das Wissen vor meiner Nase blätterte ich durch den Zaubereialmanach, als sich etwas geräuschvoll hinter mir bemerkbar machte. Ich zuckte ob des Knalls zusammen und sprang von meinem Stuhl hoch.

„Wer ist da?“

Ich erhielt keine Antwort. Besorgt nahm ich meinen Zauberstab zur Hand in dem Wissen, dass ich mich mit Protego schützen und mit Wingardium Leviosa Bücher herumschweben lassen konnte, sollte mich jemand angreifen. Doch die Sorge war unbegründet, der Schrank war wohl zu klein, als dass der gefiederte Besucher im Flug hindurch gepasst hätte. Ich beobachtete, wie sich die Schleiereule einmal schüttelte und wieder auf zwei Beinen stand.

„Wie kommst du denn hier rein?“, fragte ich sie, erhielt aber natürlich keine Antwort.

Stattdessen hielt sie mir einen Umschlag hin, natürlich nicht grün beschriftet und mit dem Siegel von Hogwarts auf der Rückseite, aber trotzdem war ich angemessen erstaunt. Vorsichtig nahm ich der Eule den Brief ab und blickte darauf. Ehe ich mich versah, war mein Besucher wieder verschwunden.

„Huh?“

Die Tür war nach wie vor zu. Gab es hier einen Ausgang, von dem ich nichts wusste, und durch den die Eule gekommen war? Ich zuckte die Schultern und öffnete den Umschlag. Er enthielt meinen Dienstausweis, von dem mir tatsächlich meine eigene, ungeschminkte Visage entgegen starrte. Ich drehte ihn einmal, aber die Rückseite war ziemlich unspektakulär mit einigen meiner körperlichen Eigenschaften versehen.

„Ist ja schon wie ein Perso.“

Ich steckte die Karte ein und fischte dann ein weiteres Blatt aus dem Umschlag.

„Kommen Sie bitte zu Dr. Müller, sobald Sie mit Ihrem Training fertig sind“, stand da.

Unterzeichnet war die Nachricht nicht und natürlich kannte ich weder die Handschrift von Dr. Müller noch die von Frau von Bülow. Ob Müller eine Sekretärin hat? Und ob die sehen konnten, ob ich das Trainingsgelände schon wieder verlassen hatte?

‚Vermutlich. Wenn sie mir keinen Peilsender verpasst haben oder Jost tatsächlich nicht dazu da war, mich im Auge zu behalten, dann verrät ihnen sicher die Eule durch ihre Rückkehr, dass sie Ausweis und Nachricht erfolgreich zugestellt hatte.‘

Wie im Reflex wollte ich auf mein Fitnessarmband schauen, aber das lag ja zuhause auf dem Sideboard. Wenn ich nach meinem Magen ging, war es wohl langsam wieder Zeit für etwas zwischen die Kauknochen.

„Hm, aber Müller warten zu lassen, ist vermutlich keine so gute Idee.“

Ich verschloss den kleinen Schrank wieder, sah mich in meinem Zimmer um und verließ es. Hinter mir sperrte ich ab und ging vorne auf die Toilette, ehe ich mit dem Aufzug ins fünfte Untergeschoss fuhr.

Die Abteilung für Magische Landwirtschaft war menschenleer. Lediglich im Büro von Dr. Heribert Gernot Müller brannte Licht. Oder zumindest ließ etwas das Licht in seinem Büro sehr stark flackern. Die Tür stand sperrangelweit offen und ich trat leise näher. Dr. Müller stand an einem Sideboard und hatte mir den Rücken zugedreht. Seine Nase hatte er in einem Aktenordner vergraben. Sein Haustier, der Jobberknoll, flog flink wie ein Kolibri vor seiner Schreibtischlampe herum. Als der Vogel mich wahrnahm, flatterte er aufgeregt zu seinem Besitzer und setzte sich auf dessen Schulter. Dr. Müller drehte sich um.

„Oh, ich habe gar nicht bemerkt, dass Sie schon da sind.“

Verlegen lächelte ich ihn an.

„Entschuldigen Sie, ich hätte mich eher bemerkbar machen sollen.“

Dr. Müller klappte die Akte zu und legte sie auf das Sideboard. Freundlich wies er mich an, in einem der Besuchersessel Platz zu nehmen. Er setzte sich ebenfalls.

„Und haben Sie sich schon etwas eingelebt?“, fragte er.

„Äh, ein bisschen. Soweit es mir in den wenigen Stunden jetzt möglich war.“

„Ja, natürlich. Ich fürchte, Sie werden auch erst einmal nicht weiter dazu kommen, das Ministerium zu erkunden oder das Zaubern zu lernen. Es gibt eine Sache, der Sie sofort nachgehen müssen.“

„Äh ...“

„Ich weiß, was Sie jetzt wieder sagen wollen. Dass es noch zu früh sei, Sie auf die Welt da draußen loszulassen.“

Ich nickte ergeben.

„Wir werden leider nicht umhin kommen, Sie jetzt schon einzusetzen. Wie ich gestern schon erwähnte ...“

„... ist das Ministerium chronisch unterbesetzt“, beendete ich seinen Satz. „Kann sich Frau von Bülow nicht darum kümmern? Oder einer der anderen Mitarbeiter der Abteilung?“

„Nein, leider nicht. Die haben ihre eigenen, ihnen zugewiesenen Aufgaben, von denen ich sie nicht abziehen kann. Sie jedoch ...“

Es machte mir ein bisschen Angst, wie er das sagte. Vor allem, wie er sich dabei zurücklehnte und mich mit studierendem Blick betrachtete.

„Sie sind noch unbedarft.“

„Sie wollten wohl ‚unerfahren‘ sagen“, half ich ihm auf die Sprünge.

„Das auch. Ihren Dienstausweis haben Sie mittlerweile erhalten, nehme ich an.“

Ich nickte, zog das Dokument hervor und reichte es ihm.

„Lizzy Schuster“, las er vor. „Nicht schlecht, nicht schlecht. Klingt etwas flotter im Vergleich zu manch anderen Decknamen.“

„Äh ...“

Er gab mir meinen Ausweis zurück.

„Was Ihren Fall betrifft, müssen Sie sofort zum Botanischen Museum. Dr. Feld wird sich dort mit Ihnen in Verbindung setzen.“

„Dr. Feld?“

„Ja, einer unserer Leute, aber nicht auf Tierwesen spezialisiert, sondern auf Zaubertrankgewächse und dergleichen.“

„Arbeitet er an 1001 Magische Bohnen?“, hakte ich nach.

Dr. Müller nickte.

„Wie ich sehe, haben Sie schon in Ihrer Bibliothek gestöbert.“

„Ja, dieses und jenes. Aber natürlich wirkt alles ein bisschen mächtig“, gestand ich.

„Ja ja, das ist nachvollziehbar. Nutzen Sie die Gelegenheit, um sich bei Dr. Feld ein paar Tipps zu holen, er ist wirklich eine Koryphäe auf dem Gebiet der Kräuterkunde. Jedoch auch etwas verschroben.“

„Oh.“

Leider führte Dr. Müller den Gedankengang nicht weiter aus.

„Haben Sie sonst Fragen, die wir jetzt auf dem kurzen Dienstweg klären können?“

„Äh ...“

Verlegen rutschte ich in dem Sessel herum.

„Nur raus damit, Fräulein Schuster.“

Ich zuckte leicht zusammen. Hatte er mich gerade tatsächlich mit „Fräulein“ angesprochen? Dr. Müller war wohl von der ganz alten Schule.

„Äh, ich hab leider keine Duschen im vierten Untergeschoss gefunden.“

„Huh? Tatsächlich?“

Der Leiter der Abteilung für Magische Landwirtschaft sah ehrlich verwundert aus. Er kratzte sich am Kinn und überlegte.

„Hm, kann natürlich sein, dass sich da jemand einen Scherz erlaubt hat, als er das Zimmer auf Vordermann gebracht hat und das Bad durch einen Illusionszauber versteckt ist. Ich werde das für Sie überprüfen lassen, bis zum Abend sollte alles so sein, wie es sein sollte.“

„Okay, vielen Dank.“

„Drückt noch wo der Schuh?“

„Nein.“

„Gut, dann wär’s das für’s erste.“

Dr. Müller erhob sich, ich tat es ihm gleich.

„Passen Sie da draußen auf sich auf. Dr. Feld hat mir leider nicht gesagt, worum es sich genau handelt. Er meinte nur, irgendein Tierwesen sei im botanischen Museum aufgetaucht.“

„Okay, hoffentlich ist es nichts Gefährliches.“

„Das hoffe ich auch. Scheuen Sie sich nicht davor, mir eine Eule zu schicken, sollten Sie gar nicht zurecht kommen. Und jetzt ab mit Ihnen.“

Ich verabschiedete mich von Dr. Müller und verließ sein Büro. Doch anstatt das Ministerium auf direktem Wege zu verlassen, ging ich zunächst in mein Zimmer zurück und kramte meinen Rucksack hervor. Danach holte ich die zwei Bände über die magische Fauna in Europa aus meiner Bibliothek und stopfte sie in den Rucksack.

‚Wie soll ich auch sonst Tierwesen untersuchen?‘, dachte ich bei alldem.

Danach überprüfte ich, was sich sonst so in meinem Rucksack befand.

„Hah!“

‚Die haben sogar an mein Smartphone gedacht.‘

Darüber war ich tatsächlich erstaunt. Ich hatte immer geglaubt, die Zaubererwelt von Harry Potter würde ohne Handys und dergleichen auskommen. Andererseits spielten die Filme der Hauptreihe während der 1990er Jahre, soweit ich wusste. Und Handys flächendeckend kamen erst um die Jahrtausendwende auf. Zumindest in meinem Bekanntenkreis.

Auch meinen Geldbeutel zog ich aus meinem Rucksack hervor und fand darin das Geld, das ich am Vortag in der Mittagspause gezählt hatte. In einem anderen Leben, wie mir inzwischen schien. Mein Personalausweis war ebenfalls enthalten, vermutlich, falls ich mich mal gegenüber herkömmlichen Polizisten ausweisen musste. Dafür fehlten mein Führerschein und der Fahrzeugschein meiner Suppenschüssel.

‚Ob die mir irgendwann einen Besen zum Fliegen geben?‘, fragte ich mich da.

Leicht wehmütig war mir schon zumute, denn ich fuhr gern Auto. Allerdings nicht unbedingt in einer Großstadt und in Berlin kam man vermutlich auch gut mit dem öffentlichen Nahverkehr von A nach B.

Weiterhin fanden sich ein paar Papiertaschentücher und mein Lippenbalsam, ansonsten war der Rucksack leer. Ich zog die Reißverschlüsse wieder zu und schulterte ihn.

„Boah, ziemlich schwer.“

Ich hoffte, dass ich die Bücher nicht den ganzen Tag mit rumschleppen musste. Wenn doch, würde ich am nächsten Tag bestimmt einen Muskelkater haben, weil es sich jetzt schon wie das reinste Gewichtstraining anfühlte. Ich verließ mein Zimmer und ließ mich vom Aufzugwärter ganz nach oben fahren, in den Sockel der Siegessäule.

„Ähm, wie komm ich denn wieder raus?“, fragte ich den Mann oben.

„So, wie Sie reingekommen sind, natürlich.“

Ohne mich weiter zu beachten, fuhr er wieder nach unten. Ich tastete mich in dem dunklen Gang entlang und kam zu der Wand, durch die ich in der Nacht zuvor gelaufen war. Dort vergewisserte ich mich, dass ich nichts vergessen hatte, auch nicht den Zauberstab, und atmete einmal tief durch. Und schluckte. Draußen konnte es mir schließlich passieren, dass ich geradewegs in jemanden hinein rannte.

Ich atmete noch mal schwer, und lief nach draußen, um in strahlendem Sonnenschein anzukommen

 

Sightseeing und Dr. Feld

„Wenigstens das Wetter ist schön ...“, murmelte ich, als wieder in der realen Welt angekommen war.

„Huh? Wo sind Sie denn so plötzlich hergekommen?“

Ich zuckte zusammen. Neben mir stand eine Oma mit einem Dackel an der Leine, der mich ankläffte.

„Entschuldigung ...“, stammelte ich und druckste mich weg.

Als ich die Alte hinter mir gelassen hatte, sah ich mich um. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wo sich das Botanische Museum befand und auch einen Wegweiser konnte ich in meiner direkten Umgebung nicht erkennen. Also zog ich mein Handy hervor und öffnete eine meiner zahlreichen Stadtplanapps. Mit Erschrecken stellte ich fest, dass ich mit den Öffentlichen mindestens eine Stunde unterwegs sein würde, eher mehr. Ich scrollte auf der Karte in der App herum.

„KaDeWe?“

Das sagte mir was und es lag nicht allzu weit entfernt. Allerdings hatte Dr. Müller gemeint, ich solle sofort beim Botanischen Museum aufschlagen. Ich war hin- und hergerissen zwischen meinem Wunsch, Berlin etwas näher zu erkunden und den Leuten vom Ministerium mein Pflichtbewusstsein zu beweisen. Doch meine Neugierde siegte, und so fuhr ich mit dem Bus zum Kaufhaus des Westens, Berlins Konsumikone schlechthin und eine Kampfansage an meinen Geldbeutel.

Das Kaufhaus war gut besucht, wie ich es von einem Berliner Wahrzeichen erwartete. Ich hörte viele verschiedene Sprachen aus dem Stimmengewirr heraus; Japanisch, Spanisch, Arabisch und natürlich Englisch und Deutsch. Viele Besucher waren offensichtlich wie ich zu touristischen Zwecken hier und ich ließ mich von der Masse mittreiben, sah hier und da in die Auslage, ohne jedoch groß irgendwo stehen zu bleiben. Es machte schließlich keinen Sinn, etwas zu kaufen, das ich nur mitschleppen musste. Mein Rucksack war auch so schon schwer genug und zusätzliche Tüten würden mich nur behindern.

‚Wird wohl besser sein, die Tage mal eine Bestandsaufnahme davon zu machen, was die mir nach Berlin gebracht haben und alles Fehlende nachzukaufen‘, dachte ich.

Alsbald fand ich mit in der Lebensmittelabteilung wider, die so ganz anders wirkte als die Lebensmittelabteilungen, die ich von Karstadt und Galeria Kaufhof kannte. Offener, größer, geräumiger und bei weitem weniger miefig. Das hatte mich vor allem bei Karstadt immer abgeschreckt, da sich dort der Geruch aus der Frischfischtheke immer besonders gut in den restlichen Abteilungen verteilte und man ihn überall riechen konnte. 

An einem der Stände kaufte ich mir ein Sandwich für später und packte es in meinen Rucksack, ehe ich mit dem Aufzug nach oben fuhr. Dort landete ich als Nächstes in der Markenabteilung und aus Lautsprechern dröhnte mir nervige Technomusik in meine Ohren.

„Wie wollen die da Gucci Handtaschen und Jimmy Choo Latschen verkaufen?“, wunderte ich mich und verkrümelte mich.

Schließlich stellte ich fest, dass das KaDeWe scheinbar nur Klamotten, Beauty Produkte, Schuhe und Accessoires verkaufte. Enttäuscht darüber, dass es keine Buchabteilung gab, verließ ich das Kaufhaus wieder.

„So, und wie komm ich von hier jetzt zum botanischen Museum?“, fragte ich mich.

„Mit dem Bus natürlich“, raunte mir ein älterer Herr mit Schiebermütze und Schal zu und ich zuckte zusammen. „M46 bis Schöneberg und dann in die S-Bahn.“

„D-danke ...“, stammelte ich und entfernte mich etwas von ihm.

Als der Alte weitergezogen war, zückte ich mein Handy und überprüfte, was er mir gesagt hatte.

„Hmpf, scheint ja tatsächlich zu stimmen.“

Ich steckte das Mobiltelefon wieder weg und machte mich auf die Suche nach der richtigen Bushaltestelle, die wegen der vielen Passanten jedoch gar nicht so leicht zu finden war. Endlich angekommen, überprüfte ich noch mal, dass ich auch wirklich an dem richtigen Bushäuschen stand.

„Sind se das erste Mal in Berlin, Kind?“

Ich zuckte schon wieder zusammen. Hatte ich etwa „Bitte ansprechen“ auf der Stirn stehen? Ich drehte mich um. Dieses Mal sah ich mich einer Greisin mit Rollator gegenüber und ich lächelte sie gezwungenermaßen höflich an.

„Ja, mein erster Tag“, bestätigte ich.

„Wo wollen’s denn hin?“

„Zum Botanischen Museum.“

„Ai, aber da sind se hier doch ganz falsch. Se müsse da rüber, net hier in de Bayreuther Straß‘n.“

Ich unterdrückte ein Seufzen, bemühte mich weiterhin um mein sonnigstes Lächeln und fragte:

„Ganz sicher?“

Der Dialekt der Dame kam mir nicht wie Berlinerisch vor, was mich an ihrer Wegbeschreibung zweifeln ließ.

„Abe‘ natürlich ...“

Ich lächelte noch immer, drehte mich um und ging einige Meter weiter weg, damit mich die Alte nicht mehr sah. Ich schaute noch einmal zum Haltestellenschild, das klar und deutlich mit Wittenbergplatz bezeichnet war. Darunter stand N46. Ich musste etwa zwei Minuten warten, ehe ein Bus dieser Linie kam, und stellte dann fest, dass ich tatsächlich falsch war.

„Also wieder zurück auf Los, streichen Sie keine 3.000€ ein, und gehen Sie direkt in die Klappse“, säuselte ich verdrießlich.

Ich lief den Weg zurück, den ich gekommen war. Im Zweifelsfalle musste ich einfach nur noch mal von neuem vom Ausgang am KaDeWe starten. Aber so schwer konnte das doch mit der Trackingapp nicht sein, oder? Ich brauchte fast fünf Minuten, ehe ich Handy, App und Kartenausrichtung soweit hatte, dass ich etwas damit anfangen konnte. Die App lotste mich direkt in die Mitte des Wittenbergplatzes.

„Aber da steht nur n Häusel“, überlegte ich.

Misstrauisch ging ich auf das alt aussehende Gebäude zu und fand heraus, dass sich darin zumindest die U-Bahn-Station Wittenbergplatz befand. Von einer Bushaltestelle war weit und breit nichts zu sehen.

„Das ist ja schlimmer als in München, hier.“

Meine Hoffnung schwand, doch noch die richtige Bushaltestelle zu finden. Stattdessen prüfte ich, welche U-Bahn-Haltestelle in der Nähe des Museums lag und ob ich von meinem jetzigen Standpunkt dorthin kommen würde.

„Tze, da muss ich ja wieder umsteigen und nach einer Bushaltestelle schauen.“

Aber vielleicht hatte ich an der Bülowstraße ja mehr Glück. Ich stieg in die entsprechende U-Bahn ein und fuhr zwei Stationen. Die U-Bahn war um diese Zeit zum Glück weniger stark frequentiert und die entsprechende Busstation hatte ich schnell gefunden. Dafür musste ich jetzt fast 20 Minuten warten, der letzte Bus war mir wohl vor der Nase weggefahren. Oder ein Bus ist komplett ausgefallen.

Entnervt ließ ich mich auf einem der kleinen Sitze nieder, lehnte mich hinten an und schloss die Augen. Es fühlte sich so an, als sei es keine besonders gute Idee gewesen, in das Kaufhaus zu gehen. Mir war auf der U-Bahnfahrt leicht schlecht geworden und das Gefühl hielt nach wie vor an. Die Straßenluft Berlins machte es nicht wirklich besser und hier direkt an der Straße war ich dem lärmenden Verkehr direkt ausgesetzt.

Etwas rührte sich neben mir und ich öffnete träge die Augen, nur um festzustellen, dass sich ein anderer Passant neben mir niedergelassen hatte. Ich schloss die Augen wieder. Hernach kam der auf die Idee, mich noch anquatschen zu wollen. Das war mir in letzter Zeit zu häufig passiert, dass mich Fremde anquatschten. Gut, die eine Omi von vorhin hatte vermutlich nur nett sein wollen, als sie mir den Weg erklärte. Aber wirklich weiter gebracht hatte es mich auch nicht.

Ich döste so vor mich hin und wäre fast eingeschlafen, doch dann hielt endlich ein Bus vor meiner Nase. Entsetzt darüber, dass ich ihn knapp hätte verpassen können, sprang ich auf und stieg ein. Der Bus war nur schwach besetzt und ich ergatterte im vorderen Bereich einen Fensterplatz. Erleichtert stellte ich fest, dass er die nächste Straße rechts einbog, die Richtung, in die ich musste. Ich schaute einige Zeit aus dem Fenster, lehnte meinen Kopf dann jedoch dagegen und döste wieder vor mich hin. Zwischendurch gähnte ich herzhaft, der Tag heute war wohl einfach schon viel zu anstrengend gewesen.

Ich wurde rüde an der Schulter geschüttelt.

„HE!“, beschwerte ich mich.

„Aussteigen! Hier ist Endstation!“

Ich sah dem Rüpel hinterher und stellte erst auf den zweiten Blick fest, dass es der Busfahrer war. Schnell sammelte ich meinen Rucksack ein und drängte mich auf den Gang. Die anderen Gäste hatten den Bus schon verlassen.

„Wo sind wir denn hier?“, fragte ich den Fahrer.

„Innsbrucker Platz“, erhielt ich nur als Antwort.

„Eh? Sind wir da schon am botanischen Museum vorbei?“, fragte ich verwirrt.

„Nein. Das hier ist die kurze Linie, die nicht weiter fährt. Außer, Sie wollen zurück ins Zentrum, da können Sie hier sitzen bleiben. Zum botanischen Garten müssen Sie den nächsten Bus nehmen und bei der Station Unter den Eichen/Botanischer Garten raus.“

„Ach so ...“

Ich bedankte mich bei dem Busfahrer und stieg aus.

„Scheiße.“

An der Außenanzeige des Busses stand tatsächlich Innsbrucker Platz und ich Schussel hatte nicht aufgepasst, ob meine Station davor oder dahinter lag. Seufzend sah ich mich um. Der nächste Bus der Linie würde erst in zehn Minuten kommen. Wenn er nicht auch wieder ausfiel.

Inzwischen war es kurz nach drei Uhr nachmittags, ich hatte Kohldampf und das schöne Wetter forderte seinen Tribut. Also beschloss ich, nicht auf den nächsten Bus zu warten, sondern mir irgendwo ein nettes Plätzchen zum Verweilen zu suchen und mein Sandwich zu verdrücken. Direkt an der U-Bahn-Station kaufte ich im Supermarkt eine Flasche Cola und schaute kurz auf mein Handy. Ein kleiner Park schien sich nicht weit weg zu befinden und so beschloss ich, ihn aufzusuchen und dort Pause zu machen. Nach dem Marsch von zehn Minuten suchte ich mir ein Plätzchen auf einer Parkbank und ließ mich geschafft darauf fallen.

Ich ließ mir das inzwischen zerknautschte Sandwich und die Cola schmecken, fühlte mein ärgstes Übelkeitsgefühl verschwunden und beobachtete die Leute in dem Park. Jogger, Radfahrer, Spaziergänger, Mütter mit Kindern, Männer mit Hunden, Halbstarke. Rentner am Rollator, Junge, Alte, homosexuelle Pärchen, jegliche Hautfarben, die man sich nur vorstellen konnte; Berlin war wahrlich bunt gemischt.

Ich hockte fast eine Stunde auf der Parkbank, ehe ich mich wieder auf die Füße kämpfte und mich umsah. Etwas weiter entfernt gab es ein gülden glänzendes Ding in der Höhe. Ich beschloss, es mir aus der Nähe anzusehen, und kam bald an einem Kiesplatz an, in dessen Mitte ein Brunnen angelegt war. Im Zentrum des Brunnens befand sich eine Säule mit einem goldenen Hirsch darauf.

„Hm, scheint wohl ein Andenken an die Zeit zu sein, als man hier Hirsche jagend konnte“, überlegte ich laut.

Ich zog mein Handy hervor, konnte aber nichts Näheres dazu herausfinden. Trotzdem machte ich ein Bild von dem Hirsch, der nur so im Sonnenlicht strahlte. Andere Touristen machten gestellte Fotos, so, als ob sie mit dem Hirsch gerade an der Leine gingen. Ich schüttelte den Kopf. Die Generation Instagram kam auf die abenteuerlichsten Ideen. Was war ich froh, mich dem Hype nie angeschlossen zu haben.

Ich schlenderte etwas in dem Park umher, kam bald an einen großen Teich, an dem fleißig Enten und andere Vögel gefüttert wurden.

‚Und die wundern sich dann immer, dass alles zugeschissen ist‘, dachte ich.

Der Park selbst war nicht besonders breit. Zu beiden Seiten konnte man die Häuserfronten sehen, die sich hinter den Bäumen verbargen. Und der Straßenlärm machte fast jede Art von Erholung zunichte. Die Parkanlage um die Straße des 17. Juni schien da bei weitem mehr Ruhe und Entschleunigung zu ermöglichen, auch wenn Teile der Anlage zum Tiergarten gehörten und eine der am stärksten befahrenen Straßen Berlins mitten durch führte.

Ich kam zu einer Stelle, an der der Park einen Schlenker machte und von einer Straße vom Rest des Parks getrennt war. Grummelnd beschloss ich, auf der anderen Seite wieder zurückzugehen. Die Passanten hatten sich mittlerweile etwas gelichtet, was vermutlich auch daran lag, dass es auf Abend zuging. Ich sah auf mein Smartphone.

„Scheiße, schon fast 18 Uhr!“

Ich beschleunigte mein Tempo. Über meinen kleinen Spaziergang hatte ich ganz vergessen, dass ich ja eigentlich einen Auftrag zu erledigen hatte. Dr. Feld wartete vermutlich schon seit Stunden darauf, dass ich kam.

„Scheiße“, murmelte ich noch einmal.

Wie peinlich, dass ich mich von meiner Sucht nach Umgebungserkundung hab ablenken lassen. Das machte ich immer, wenn ich irgendwo im Urlaub war. Am ersten Tag, direkt nach dem Ankommen in der Unterkunft, in der nächsten Umgebung herumlaufen. Ein strammer Fußmarsch brachte mich zurück an den Bahnhof Innsbrucker Platz. Die richtige Bushaltestelle musste ich zum Glück nicht suchen. Dafür war der Bus gerammelt voll. Warum hatte ich nur solange getrödelt? Jetzt war ich mitten in den Berufsverkehr geraten.

Zum Glück dauerte die Fahrt nicht lange, aber es stiegen nur sehr wenige Leute aus, weshalb ich bis zur Haltestelle Unter den Eichen/Botanischer Garten stehen musste. Ich kämpfte mich zur Tür, als die Automatendame die Station ankündigte, drückte aufs Knöpfchen und schälte mich aus dem Bus. War gar nicht so einfach, da es auch hier Leute gab, denen jeder Anstand fehlte und die einfach einstiegen, obwohl noch Leute aussteigen wollten. Ich rammte einem Mittfünfziger meinen Ellbogen in seine Seite, als ich ausstieg und ignorierte sein Gezeter.

Erschrocken stellte ich dann fest, dass ich direkt vorm Ordnungsamt Steglitz raus gekommen war. Hoffentlich hatte niemand meine Handgreiflichkeit von gerade eben bemerkt. Ich wandte mich nach links und konnte das Hinweisschild zum Botanischen Museum schon sehen. 

„Scheiße, die haben ja schon zu!“, stellte ich dann entsetzt fest.

Na toll, was machte ich denn jetzt? Das Museum hatte schon geschlossen und ich stand hier, an meinem ersten Arbeitstag beim Ministerium und hatte bereits kläglich versagt. Nicht etwa darin, dass mich ein Tierwesen zur Strecke gebracht hätte. Nein, ich war einfach nur so dämlich gewesen und zu spät zu meinem ersten Auftrag gekommen. Und zwar Stunden zu spät.

Ich blickte in den Eingangsbereich hinein. Es war noch alles hell erleuchtet, was mich stutzig machte. Ein Blick auf mein Smartphone verriet mir, dass es kurz vor 19 Uhr war. Vielleicht war noch eine Reinigungsfirma unterwegs? Frenetisch klopfte ich an die Glastür. Brummte dann und ging einmal um die Eingangstür herum, um von dort gegen die Scheibe zu hämmern.

Meine Mühen schienen endlich von Erfolg gekrönt zu sein. Ich sah einen Schatten im hinteren Teil des Eingangsbereichs, der jetzt in mein Sichtfeld kam. Nahezu hysterisch winkte ich, die Person stockte kurz, kam dann aber näher. Und sah zum Glück nicht aus, als wär sie vom Reinigungspersonal. Die Person trat an die Glasfront heran und musterte mich. Jetzt erkannte ich, dass es sich bei ihr um eine Frau handelte, die etwas jünger war als ich. Sie zog einen dicken Schlüsselbund hervor und öffnete den Besucherhaupteingang. Ich stellte mich bei ihr mit meinem Decknamen vor. Den Ausweis ließ ich vorerst in meiner Tasche.

„Na Sie haben Nerven, jetzt noch hier aufzukreuzen. Wir haben schon vor Stunden mit Ihnen gerechnet.“

„Entschuldigen Sie“, meinte ich und schob mich unhöflich an ihr vorbei in den Eingangsbereich.

Wenn ich schon mal drin war, konnte sie mich nicht mehr so leicht abwimmeln.

„Ist Dr. Feld noch da?“

„Ja. Ihr Glück, dass er schon damit gerechnet hat, dass Sie zu spät kommen.“

Die Frau, deren Namensschild sie als Frau Müller-Haider auswies, schloss die Tür wieder hinter mir. Ich zog neugierig die Augenbraue hoch. Sie hatte sich mir nicht vorgestellt, also fragte ich nicht danach. Doch zu gerne hätte ich gewusst, ob sie mit Dr. Müller verwandt war.

‚Hm, könnte seine Tochter sein ...‘, überlegte ich.

Sie seufzte.

„Wissen Sie, ich hab noch viel zu tun. Also kommen Sie.“

Ich musste ihr nicht weit folgen. Die Büros der Angestellten waren ebenfalls im Haupthaus untergebracht. Doch statt in den ersten Stock hochzugehen, bog Frau Müller-Haider nach links ab, verließ das Haupthaus und führte mich ins direkt dahinter stehende Gewächshaus.

„Dr. Feld, sie is‘ endlich da!“, rief sie in das Zwielicht hinein.

Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte sie sich um und stolzierte davon. Ich machte einige Schritte in das Gewächshaus hinein, blieb stehen und sah mich um. Und stellte fest, dass ich im Kakteen- und Sukkulentengewächshaus gelandet war. Noch immer rührte sich nichts.

Ich trat an eines der Beete heran und betrachtete die Gewächse vor mir. Eine Pflanze erweckte dabei meine besondere Aufmerksamkeit. Auf den ersten Blick schien sie zur Familie der Sukkulenten zu gehören, hatte aber einen langen Stiel mit einer dunkelfarbenen, glockenförmigen Blüte daran. Ich kniete mich vor die Blüte und betrachtete sie fasziniert, unschlüssig darüber, ob die Blütenblätter nun schwarz waren oder nur sehr dunkellila.

„Gefällt sie Ihnen?“, fragte mich jemand.

Ich zuckte zusammen und sprang auf die Füße. Unbemerkt hatte sich ein älterer Herr genähert, er war sehr korpulent, hatte eine schimmernde Vollglatze, dafür einen langen, grauen Rauschebart, bei dem ich unweigerlich an Gandalf aus Herr der Ringe denken musste und trug eine fleckige Schürze. Mich musternd schob er sich seine rahmenlose Brille zurecht.

„Sie müssen Fräulein Schuster sein. Ich bin Dr. Feld, freut mich, Sie kennenzulernen“, stellte er sich vor.

„Bitte entschuldigen Sie, dass ich so spät erst gekommen bin“, meinte ich und streckte ihm meine Hand entgegen.

Er sah mich nur an, ohne sie zu ergreifen. Verwirrt ließ ich sie wieder sinken.

„Äh, es ist mein erstes Mal in Berlin und ...“

Dr. Feld lachte schallend.

„Haha, ja, die jugendliche Neugierde. Kein Grund, warum Sie sich schämen müssten. Gefällt sie Ihnen?“

Ich zog eine Augenbraue hoch. Dr. Feld deutete auf die Blume. Ich folgte seinem Finger.

„Oh ja!“, meinte ich begeistert. „Ich habe mich gerade gefragt, welche Farbe ihre Blüten haben.“

„Haha, ganz unterschiedlich. Im Licht schimmern sie mal lila, mal dunkelblau, aber ihre Grundfarbe ist schwarz.“

„Oh, also ähnlich wie bei Perlmutt?“, hakte ich nach.

„Ganz genau. Sie kapieren schnell!“

Ich errötete dezent, was aber im schummrigen Licht des Gewächshauses nicht zu erkennen war. Zumindest hoffte ich das.

„Wollen Sie sie?“

„Huh?“

„Die Blüte? Wollen Sie sie?“

„Geht das denn so einfach?“, fragte ich.

„Natürlich. Von ihnen wachsen hier noch mehr. Außerdem sind Sie ja vom Ministerium, da kann ich schon mal eine Ausnahme machen.“

Ich strahlte ihn an. Dr. Feld griff unter seine Schürze und förderte eine Gartenschere zu Tage. Er bückte sich und zwickte die Blüte ganz unten am Stängel ab. Grinsend reichte er sie mir.

„Vielen Dank!“

Ehrfürchtig nahm ich sie entgegen.

„Können wir sie hier irgendwo ins Wasser stellen?“, fragte ich dann. „Ich soll ja noch den Fall bearbeiten.“

„Oh natürlich, Sie haben vollkommen Recht. Wo bin ich nur mit meinen Gedanken? Kommen Sie!“

Dr. Feld fuhr herum und stiefelte den Weg entlang, den er zuvor scheinbar gekommen war. Er führte mich zu einem Arbeitsplatz, an dem eine Bankerlampe leuchtete. Die schienen beim Ministerium der letzte Schrei zu sein. Dr. Feld kramte eine kleine Vase hervor und goss mit einer Gießkanne über sie drüber.

„Hier, stellen Sie sie vorerst hier rein. Sie dürfen sie nachher nur nicht vergessen.“

Ich parkte die Blume auf seinem Arbeitstisch und sah Dr. Feld dann ernst an.

„Also? Was haben Sie für mich?“

Er sah sich verstohlen um.

„Nicht hier, kommen Sie mit.“

Wieder folgte ich ihm. Seine Vorsicht schien einen Grund zu haben.

„Ist Frau Müller-Haider auch ... Sie wissen schon ...“, versuchte ich.

„Nein. Eben deswegen ja.“

Ich unterdrückte ein Brummen. Das konnte ja noch was werden. Ich hatte eigentlich erwartet, dass mehr magisch Begabte im Museum arbeiten würden, aber da hatte ich mich wohl getäuscht.

„Überschätzen Sie die Leute nicht. Frau Haider ist nur Buchhalterin und hat liebenswürdigerweise auf den Haupteingang geachtet.“

„Äh ...“

„Sie hatte noch Schulden bei mir.“

Ich verzichtete darauf, nach der Art der Schulden zu fragen. Einen späten Besucher noch ins Museum zu lassen, erschien mir vergleichsweise harmlos und sie konnte sich wohl nicht darüber beschweren. 

Dr. Feld blieb mitten auf dem Weg stehen. Links und rechts ragten zwei mächtige Kakteen nach oben, die mich an jene, mehrarmigen Exemplare aus Mexiko erinnerten. Zumindest glaubte ich, dass sie dort heimisch waren. Der Doktor sah sich noch einmal verstohlen um, zückte seinen Zauberstab und schwang ihn. Einen Zauberspruch konnte ich ihn nicht sprechen hören. Aber vermutlich war ich auch einfach noch nicht vertrauenswürdig genug, als dass er ihn mir so einfach verraten wollte. Die Luft zwischen den beiden Kakteen vibrierte kurz, stand dann wieder still.

„Folgen Sie mir“, meinte Dr. Feld und schritt durch das Portal.

Ich durchquerte es ebenfalls, spürte etwas wie Frost, als ich es direkt berührte. Die Welt dahinter sah genau gleich aus wie das Gewächshaus, aus dem ich gerade kam. Nur dass es noch dunkler war, und kühler. Abgekühlt, als wär alles Leben daraus gewichen.

„Äh, ist das ein Raumausdehnungsportal?“, fragte ich neugierig.

„So ähnlich“, erklärte Dr. Feld. „Eher ein Zeitportal. Wir befinden uns hier in einer Art Zeitschleife. Eine kleine Blase innerhalb des Kakteen- und Sukkulentengewächshauses, in der man sich jedoch nicht ewig aufhalten kann. Zu lange und man bekommt furchtbare Kopfschmerzen.“

„Äh, Sie können die Zeit beeinflussen?“

„Nur in sehr begrenztem Maße. Eine Schleife ist möglich, aber man sollte sich nicht zu lange in ihr aufhalten, wie gesagt. Von den körperlichen Beschwerden einmal abgesehen. Die Schleife merkt, dass man nicht zu ihr gehört. Während die Gegenwart weiter voranschreitet und Sie und ich weiterhin Gegenwart sind, driftet eine Zeitschleife immer weiter in die Vergangenheit.“

„Äh, wie das? Ich dachte, in einer Zeitschleife würde die Zeit nie vergehen.“

„Tut sie ja auch nicht, der Augenblick ist darin gefangen. Aber Sie vergehen weiter. Deshalb sind alle Pflanzen, die Sie hier sehen können, nur ein Schatten der Gegenwart. Sie sind nicht echt.“

„Äh ...“

„Können wir uns bitte auf das Wesentliche konzentrieren?“, unterbrach Dr. Feld meinen Fragenschwall. „Wir müssen immerhin ein Tierwesen aufspüren.“

In meinem Kopf ratterte es. Hatte ich gerade tatsächlich so etwas wie eine Zeitreise gemacht? Ich verzichtete jedoch darauf, noch einmal eine entsprechende Frage danach zu stellen.

„Okay, was können Sie mir denn über das Tierwesen sagen? Haben Sie es gesehen?“

Dr. Feld brummte und strich sich über seine Glatze.

„Nicht direkt. Es ist weggelaufen, als es sich gerade meine Sichel unter den Nagel gerissen hat.“

„Ihre Sichel?“

„Ja, meine Sichel. Ein Familienerbstück, müssen Sie wissen, seit sieben Generationen in Familienbesitz und noch genauso scharf wie am ersten Tag.“

Ich fragte nicht danach, woher er das zu wissen glaubte.

„Wie sieht die Sichel denn aus?“

„Vergoldet an der unscharfen Kante und mit kleinen Edelsteinen, die eingelegt wurden.“

„Oha, klingt mir nach einer sehr wertvollen Sichel!“

„Oh ja! Natürlich hat sie abgesehen vom materiellen Wert eine viel höhere immaterielle Bedeutung für mich und meine Familie.“

Ich nickte verständnisvoll.

„Und haben Sie das Wesen auch sehen können?“

Dr. Feld sah nach unten, überlegte und kratzte dabei seinen Bart.

„Nicht genau, leider. Es war heute Morgen, als es noch ziemlich dunkel draußen war und das Gewächshaus entsprechend unbeleuchtet. So wie jetzt in etwa. Ich kam gerade zu meinem Arbeitsplatz, die Sichel hatte ich am Tag zuvor in der Schublade meines Arbeitstisches verstaut.“

„Äh, Dr. Feld, entschuldigen Sie, aber ich verstehe nicht ganz“, unterbrach ich seinen Redeschwall. „Wenn Ihre Sichel so wertvoll ist, lassen Sie die doch nicht so vergleichsweise öffentlich herumliegen, oder? Haben Sie denn nicht Angst, dass einer der MaKas sie sieht und ... na ja, stiehlt?“

„Oh nein. Die Sichel ist verzaubert. Für einen MaKa sieht sie wie eine gewöhnliche Sichel aus. Kein Gegenstand, der in der heutigen, modernen Welt noch häufig gebraucht wird. Und meine oberste Schublade ist magisch gesichert.“

„Magisch gesichert? Wie konnte der Dieb Ihre Sichel dann stehlen?“

„Tja, das würde ich gerne von Ihnen wissen.“

„Oh, ähem, na ja ... Bisher haben Sie mir aber leider noch nichts über das Wesen gesagt. Also haben Sie etwas gesehen, oder nicht?“

Ich hatte schon eine Vermutung, was für ein Wesen seine Sichel gestohlen hatte, wollte diese aber erst einmal für mich behalten. Vorsicht war schließlich besser als Nachsicht.

„Nun, also es war klein und schwarz und ist schnell davon gehuscht, als es mich kommen hörte. Sah sich einmal nach mir um und sprang vom Arbeitstisch.“

„Äh, war es kleiner als Ihre Sichel?“

„Hrm, etwas kleiner meine ich, aber wie gesagt, es war dunkel ...“

Ich schüttelte den Kopf. Schüttelte ihn noch einmal.

„Oh, das sind wohl die ersten Wehwehchen von der Zeitschleife. Na ja, ich denke, wir können wieder nach draußen treten.“

Dr. Feld nahm meinen Oberarm und führte mich sachte durch das Portal zurück in das gegenwärtige Gewächshaus. Die hier herrschende Wärme munterte mich etwas auf.

„Is‘ mir übel ...“

„Atmen Sie einfach ein paar Mal tief durch, das vergeht dann wieder.“

Ich tat, wie er mir riet, kam aber trotzdem nicht umhin, mich nach vorne zu beugen und mich auf meinen Knien abzustützen.

„Huh, deswegen sind Zeitreisen wohl nicht möglich.“

Dr. Feld schüttelte den Kopf.

Ich atmete noch einmal tief ein und aus und richtete mich dann wieder auf. Kopfweh hatte ich zwar noch immer, aber ich wollte weiter machen.

„Können Sie mir bitte einmal den Tatort zeigen?“

„Natürlich, gleich an meinem Platz.“

Wir gingen wieder zurück. Die schwarze Blume war noch genauso hübsch, wie ich sie zurückgelassen hatte. Dr. Feld beugte sich rechts von seinem Arbeitsplatz auf den Boden.

„Das ist ja ein Metalltisch“, stellte ich überrascht fest.

„Ist das besonders?“, fragte Dr. Feld aufgeregt.

„Vielleicht. Können Sie die Schublade einmal für mich öffnen?“

Er sah mich misstrauisch an.

„Ich will nur einmal ihre Beschaffenheit in Augenschein nehmen“, erklärte ich schnell.

„Okay, drehen Sie sich bitte um.“

Ich gehorchte widerspruchslos. Wie er seinen Privatkram sicherte, ging mich schließlich nichts an.

„Okay, jetzt.“

Auch das Schubfach an sich war komplett aus Metall, was mich irritierte. In einem Gewächshaus hätte ich eher Holzmöbel vermutet, schon allein deshalb, weil Metall in der Hitze und Feuchtigkeit bestimmt schnell rostete. Dr. Feld verschloss die Schublade wieder, sprach jedoch keinen Zauber darauf.

„Warum verwenden Sie keine Holztische zum Arbeiten?“

„Um keine Schädlinge einzuschleppen. Metall ist neutral, steril, wenn Sie so wollen. Bei Holzmöbeln müssen wir befürchten, dass sie mit Pilzen oder anderen Schädlingen befallen sind. Selbst wenn sie frisch aus einer Schreinerei kommen und äußerlich einen perfekten Eindruck machen, weiß man nie, was in ihnen steckt.“

„Oh.“

„Also sehen Sie hier, da ist das kleine Biest vom Tisch gesprungen und hat sich dann da durch die Kakteen davon gemacht.“

Ich zwängte mich an ihm vorbei und kniete mich auf den Boden, um in der Finsternis etwas zu erkennen. Viel mehr als die hellen Stacheln der Kakteen konnte ich indes jedoch nicht erkennen. Brummend zog ich mein Smartphone hervor und leuchtete die Ecke aus.

„Was machen Sie denn da?“, fragte Dr. Feld verwirrt.

„Mir leuchten, damit ich was sehe.“

„Ja, aber warum zaubern Sie nicht?“

Ich drehte mich um und sah zu ihm hoch.

„Dr. Feld, man hat es Ihnen vielleicht nicht gesagt, aber heute ist mein erster Tag beim Ministerium. Und ich weiß seit etwa 24 Stunden, dass ich eine Hexe bin. Bei den Zaubersprüchen habe ich es noch nicht weiter als bis zu Wingardium Leviosa und Protego gebracht.“

„Äh ...“

„Und außerdem ist es so doch sicherer für den Fall, dass Frau Müller-Haider kommt, finden Sie nicht auch?“

Er starrte mich entgeistert an, aber ich ignorierte es und wandte mich wieder um. Vorsichtig kroch ich noch etwas näher an die Kakteen heran. Leuchtete einmal von dieser Seite mit meinem Smartphone, einmal von einer anderen und bemerkte endlich etwas, was ein Hinweis sein konnte. Ich streckte meine Hand aus und griff nach etwas, dass sich an einer der Kakteen verfangen hatte. Ich löschte das Licht meines Smartphones, stand auf und hielt Dr. Feld triumphierend ein kleines Büschel schwarzer Haare vor die Nase.

„Da wäre ich ja nie drauf gekommen ...!“, meinte er fasziniert.

„Tiere haben ja zum Gewächshaus keinen Zutritt, oder?“

„Nur Hunde und das nur, wenn sie angeleint sind.“

„Oh.“

Ich sah auf Dr. Felds Arbeitstisch.

„Darf ich mir ein Blatt und einen Stift ausleihen?“, fragte ich.

Er nickte. Schnell griff ich nach den entsprechenden Gegenständen und kritzelte etwas auf.

„Sah es ungefähr so aus?“

Dr. Feld massierte wieder seinen Bart.

„Hrm, das könnte es schon gewesen sein. Sieht mir nach einem Maulwurf aus. Einem ziemlich hässlichen Maulwurf, wenn ich das sagen darf.“

„Bitte, ich bin kein Picasso.“

„Der hat auch nur abstrakt gemalt.“

„Touché!“

„Also, wissen Sie, welches Wesen mir meine Sichel geklaut hat?“, fragte er dann.

„Nicht genau“, log ich. „Ich weiß nur, dass sie Maulwürfen zum Verwechseln ähnlich sind. Und, dass sie alles mitgehen lassen, was glitzert und glänzt.“

Dummerweise hatte ich zuvor nicht in meinen Fauna-Büchern geschaut, ob der Niffler dort bereits beschrieben war. Aber wenn Dr. Feld meine Beschreibung der kleinen Kerlchen nichts sagte, war dem wohl tatsächlich nicht so.

„Wie Elstern?“, fragte er.

„Wie Elstern“, bestätigte ich.

„Äh ... Und wie kann so ein kleiner Maulwurf sich mit meiner kompletten Sichel aus dem Staub machen?“

„Ähem ...“

Ich hatte mal in einem Harry Potter Wikipedia darüber gelesen, dass Niffler vorne dran einen Beutel hatten, der ähnlich wie ein Raumausdehnungszauber funktionierte. Darauf würde sich Dr. Feld vielleicht noch einlassen. Aber wie erklärte ich, dass sich das kleine Ding durch alle möglichen Metalle schieben konnte? Und Dr. Feld daher seine Sichel besser irgendwo aufbewahrte, wo es niffler-sicherer war? Vorausgesetzt natürlich, wir bekamen sie zurück.

„Vielleicht kann er nur furchtbar schwere Lasten heben?“, überlegte ich laut.

„Da verwechseln Sie wohl etwas. Schwere Lasten hebt in der Regel ein Phönix in die Lüfte. Hätte ein anderes Wesen diese Fähigkeit, wäre es bestimmt bekannt.“

„Äh, da haben Sie vermutlich Recht. Entschuldigen Sie bitte, es ist wie gesagt mein erster Tag und mein erster Fall heute. Ich konnte mich noch nicht wirklich in die Materie einarbeiten. Ich bin schon froh, wenn ich überhaupt einen Hinweis bekommen kann.“

Er grunzte.

„Aber Sie wissen, wie wir es fangen können?“

„Ja. Wenn glitzernde Sachen es anlocken, sollte es offensichtlich sein. Gibt es hier im Gebäude ein Bankschließfach oder so etwas? Um zum Beispiel die Tageseinnahmen zu lagern?“

„Die Tageseinnahmen werden direkt zur Bank gebracht und auf dem Konto eingezahlt, soweit ich weiß. Aber wir haben natürlich immer die Tageskassen der Mitarbeiter mit entsprechend Wechselgeld bestückt im Tresor.“

„Oh, ein Tresor. Aber außer dem Wechselgeld ist da nichts drin?“

„Nein. Vielleicht noch wichtige Dokumente oder Urkunden? Sicher aber nichts Wertvolles. Worauf wollen Sie hinaus?“

„Na ja, wir brauchen auch irgendetwas, um ihn hervorzulocken. Sie haben nicht zufällig noch etwas anderes Wertvolles in Ihrer Schublade? Oder vielleicht in Ihrem Spindt?“

Dr. Feld sah mich abschätzig an. Und griff dann an seine rechte Hand, um etwas von einem Finger zu ziehen. Er hielt einen Siegelring hoch.

„Vielleicht das hier?“

„Das wäre perfekt.“

Er sah mich streng an.

„Ich verlasse mich auf Sie. Wenn mein Ring hinterher auch weg ist, können Sie was erleben.“

Ich schluckte.

„Selbstverständlich, Herr Dr. Feld. Aber ich werde Ihre Hilfe benötigen.“

Er nickte, steckte sich den Ring dann wieder an den Finger.

„Wie wollen Sie’s anstellen?“

„Zuerst einmal müssen wir sichergehen, dass keine MaKas mehr im Gebäude sind.“

Dr. Feld grunzte zustimmend.

„Dann brauchen wir Ihren Ring. Ich will ihn mit Wingardium Leviosa vor dem Tresor schweben lassen, sodass es der kleine Kerl sieht, wenn er aus dem Tresor hervor kommt. Falls er nach so vielen Stunden überhaupt noch da ist.“

„Mhm. Sie machen mir keine Hoffnung, wissen Sie das?“

„Entschuldigung. Ich tappe hier auch im Zwielicht. Jedenfalls, ab da wird es für mich kniffelig, weshalb Sie ran müssen. Ich kenne wie gesagt nur den Schwebe- und den Schutzzauber. Um den Dieb zu fangen, wäre ein Zauber gut, der ihn betäubt. Und ihn am besten betäubt hält, sodass ich ihn ins Ministerium bringen kann.“

„Da fällt mir schon was ein“, brummte er eifrig. „Also los jetzt, bevor er weg ist.“

Wir machten uns auf dem Weg. Zum Glück lag alles im Hauptgebäude, Tresor im Büro des Museumsdirektors. Frau Müller-Haider hatte ihr Buchhaltungsbüro am anderen Ende des Ganges. Es war komplett dunkel. Wir vergewisserten uns, dass sie wirklich gegangen war, und wandten uns dann zum Büro des Direktors um. Je näher wir der Tür kamen, desto mehr schlichen wir vorwärts.

Nichts war zu hören in dem Raum. Ob sich der kleine Dieb in dem Tresor gerade gütlich tat oder nicht, war für uns nicht zu erkennen. 

„Das ist seltsam“, flüstere Dr. Feld.

„Hm?“

„Herr Borsch macht die Tür normalerweise zu, wenn er geht.“

Wir sahen uns misstrauisch an.

„Ist es möglich, dass Frau Müller-Haider noch einmal in dem Zimmer war?“

„Das bezweifle ich. Sie hat im Direktionsbüro nichts verloren. Sie macht ja nur Buchhaltung, wissen Sie?“

„Und die Buchhaltungsordner stehen dann bei ihr im Büro, nehme ich an?“

„Ja. Wo sollten die denn sonst sein?“

Ich erwiderte nichts. Dr. Feld musste ja nicht wissen, dass das bei meinem alten Arbeitgeber stellenweise anders gehandhabt wurde.

Wir schlichen uns in das Büro und ich hob schnell den Finger, als er was sagen wollte. Einer der Schränke war geöffnet, zufälligerweise gerade der, in dem sich der Tresor befand. Alle anderen waren offen. Ich zückte meinen Zauberstab und hielt dann Dr. Feld meine geöffnete Hand hin. Er sah verwundert darauf.

„Ihr Ring“, flüsterte ich.

„Ach so“, flüsterte er zurück.

Dr. Feld zog sich den Ring vom Finger und reichte ihn mir. Ich bedeutete ihm, sich hinter dem Schreibtisch zu positionieren. Er schlich hinüber und bückte sich, sodass gerade sein Kopf über der Kante zu sehen war. Ich legte seinen Siegelring auf den Boden vor dem Tresor, etwa einen halben Meter entfernt und stahl mich dann zu meinem Komplizen hinüber. Ich richtete meinen Zauberstab auf den Ring.

„Wingardium Leviosa“, flüsterte ich so deutlich wie möglich.

Der Ring vibrierte, schwebte dann aber ansehnlich in der Luft.

„Nicht schlecht“, hauchte Dr. Feld.

„Sie sind hoffentlich bereit?“

„Bereit wie noch nie zuvor in meinem Leben.“

Ich ließ mich ebenfalls hinter den Schreibtisch sinken. Dummerweise schwenkte ich meinen Zauberstab dabei etwas zu viel, denn der Zauber löste sich und der Ring fiel zu Boden.

„Mist“, fluchte ich leise.

„Gleich noch mal.“

Ich wollte den Zauber gerade sprechen, als wir etwas klappern hörten. Gebannt starrten wir auf den Safe. Etwas Kleines schob sich daraus hervor, wir erkannten es gerade so, sahen aber nicht genau, was es war.

„Lassen Sie den Ring noch mal klappern“, riet mir Dr. Feld.

Ich verstand ihn gerade so, machte mich aber daran, Wingardium Leviosa ein zweites Mal zu sprechen. Und musste es dann ein drittes Mal machen, so angespannt waren meine Nerven.

Aber es zeigte Wirkung. Der Ring flutschte einmal gegen die Kante des Schranks, in dem der Tresor stand. Das finstere etwas schob sich noch weiter heraus. Dr. Feld und ich hielten den Atem an. Ein platter Schnabel kam zum Vorschein, dann der Rest des possierlichen Tierchens.

Ich seufzte. Niffler waren ja eigentlich ziemlich süß. Aber ihre Kleptomanie war einfach nur nervig. Unserem Exemplar hing ein Griff aus dem Bauch. Scheinbar gehörte der zu der goldenen Sichel und bestand nicht aus Metall, weshalb der Niffler ihn nicht weiter hatte schieben können. Wie er es schaffte, den Holzgriff durch den Tresor zu bekommen, war mir schleierhaft.

Ich ließ den Ring noch mal auf dem Boden wirbeln. Der Niffler schob sich nun ganz aus dem Tresor heraus und betrachtete den Ring neugierig. Ich glaubte, sogar etwas wie ein Glitzern in seinen Augen zu erkennen. Mühsam krabbelte der kleine Dieb auf den Ring zu. Der Sichelgriff schien ihn arg zu behindern.

„PETRIFICUS TOTALUS!!“, brüllte Dr. Feld neben mir und schwang seinen Zauberstab.

Und verfehlte den Niffler. Er versuchte, weg zu krabbeln, und war dabei flinker, als ich gedacht hätte. Statt meinen Zauberstab ebenfalls zu nutzen, stolperte ich um den Schreibtisch herum und dem Niffler hinterher. Dank seiner Behinderung war ich schneller als er. Schnell hatte ich die wenigen Meter überwunden, die uns trennten. Der Niffler wollte gerade durch die Tür des Büros flüchten, ich bückte mich hastig nach ihm, als mich etwas in den Hintern traf.

Ich erstarrte zu Stein, konnte mich plötzlich gar nicht mehr bewegen und knallte auf den Boden. Nicht mal ein aua brachte ich heraus, sah nur, dass ein Schatten über mich hinweg sprang.

„Entschuldigen Sie!“, rief mir Dr. Feld noch zu und verschwand durch den Gang.

Ich konnte ihn noch mehrmals Petrificus Totalus rufen hören. Und einige Einrichtungsgegenstände, die er dabei wohl beiseite fegte. Sehen konnte ich nichts. Entweder war der Niffler die Sense losgeworden oder Dr. Feld war sehr langsam. Ich konnte nichts mehr hören, nur der Straßenlärm von draußen drang schwach an meine Ohren. Ein aufheulender Motor, jemand, der als Antwort darauf wie wild hupte. Nicht einmal mit den Augen konnte ich rollen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Dr. Feld endlich zurück.

„Ich hab sie!“, erzählte er voller Stolz.

‚Schön für dich!‘

Wenigstens Denken konnte ich noch. Und in manchen Situationen war Reden Silber und Schweigen Gold. Trotzdem fing mein Körper nicht an, sich zu vergolden.

„Oh, entschuldigen Sie, das hätt‘ ich jetzt fast vergessen. ... Rennervate!“

Die Lähmung löste sich augenblicklich. Mein ganzer Körper kribbelte, so, als wär jede Ecke meines Körpers eingeschlafen. Wackelig stand ich auf.

„Haben Sie Ihre Sichel?“, fragte ich nur.

Dr. Feld hielt sie triumphierend hoch.

„Und auch meinen Ring.“

Ich blickte auf das Chaos, das sich hinter ihm im Gang ausbreitete.

„Gut. Ich bräuchte dann den kleinen Dieb.“

Er sah mich ausdruckslos an.

„Wo ist er denn?“

„Äh ...“

„Dr. Feld?“

„Nun ...“

„Der Maulwurf, wo ist er?“, fragte ich, so streng ich konnte.

„Er ist mir leider entwischt.“

Ich musste mich zusammenreißen, ihm nicht an die Gurgel zu springen, so wütend war ich. Da hatten wir den Dieb schon vor uns, und er ließ ihn entwischen. Wo hatte er mit seinem Petrificus Totalus überhaupt hingezaubert?

„Immerhin hab ich meine Sichel wieder“, meinte Dr. Feld zufrieden.

„Immerhin“, bestätigte ich. „Und der Maulwurf ist fort, hat sich vermutlich in sein Versteck eingebuldet, wo es mir unmöglichsein wird, ihn zu finden. Ich war so kurz davor. Dr. Feld, wie soll ich denn den kleinen Quälgeist jetzt fangen? Mit nur den zwei Zaubern, die mir zur Verfügung stehen?“

„Ach, Ihnen wird doch bestimmt jemand helfen, so addrett, wie Sie sind“, wiegelte er ab.

„Adrett? Wie meinen Sie denn das jetzt bitte?“, fragte ich misstrauisch.

„Ach nur so.“

Er sah sich auffällig unauffällig in dem Gang um. Ich seufzte.

„Na, ich mach mich wohl besser auf den Weg zurück zum Ministerium. Der Dieb wird inzwischen über alle Berge sein. Vielleicht hat ja Dr. Müller einen Rat für mich.“

„Vergessen Sie nicht Ihre Suculentus Campanula Mortalis.“

„Was für’n Ding?“

„Na, Ihre Blume natürlich.“

„Ah ja, richtig.“

Die Blume hatte ich schon wieder vergessen. Wenigstens kam ich nicht völlig mit leeren Händen zurück, auch wenn die Blume natürlich alles andere als hilfreich für die Lösung des Falls war.

Wir gingen gemeinsam ins Gewächshaus zurück. Dr. Feld drückte mir gleich die ganze Vase in die Hände und bat darum, sie ihm bei Gelegenheit zurückbringen. Danach brachte er mich zum Haupteingang zurück.

„Zeigen Sie mir den kleinen Kerl, sobald Sie ihn gefangen haben?“, fragte er.

„Öh, ich weiß nicht, ob das gestattet ist“, stammelte ich. „Da muss ich erst mal Dr. Müller fragen.“

Er schaute etwas niedergeschlagen.

‚Hättest Du ihn nicht entwichen lassen, hättest Du ihn Dir jetzt nach Herzenslust anschauen können‘, dachte ich griesgrämig.

Ich schlüpfte durch die Tür.

„Auf Wiedersehen!“, verabschiedete ich mich so höflich wie möglich.

„Auf Wiedersehen. Passen Sie gut auf. Berlin ist nachts nicht immer ganz einfach“, rief mir Dr. Feld hinterher.

Ich brummte nur und ging zur Bushaltestelle. Dass Berlin speziell war, wusste ich von zwei Freundinnen, die mir das jeweils unabhängig voneinander berichteten. Ob ich sie mal besuchen sollte? Falls ich durfte? Ich konnte ja behaupten, dass ich im Urlaub hier war. Obwohl es sich trotz allem eher noch wie ein Traum anfühlte. Aber der Petrificus Totalus von vorhin hat mich eines Besseren belehrt.

Der Bus kam endlich, und ich schaffte es sogar, mich auf den Weg zurück zum Ministerium nicht wieder heillos zu verfahren. Jetzt, Mitten in der Nacht, dauerte der Rückweg nur noch etwa eine dreiviertel Stunde, was vermutlich dem niedrigeren Verkehrsaufkommen geschuldet war. Goldelse begrüßte mich in ihrem von Scheinwerfern erleuchteten Gewand. Langsam überquerte ich den Kreisel zu dem Platz, auf dem sie stand und musste dann einen großen Satz machen.

„EY DU PENNER!!!“, schrie ich dem Autofahrer hinterher, der mich um ein Haar erfasst hatte.

Er hupte nur zur Antwort und raste weiter.

„Wichser! Also Berlin ist wirklich asozial!“

Ich stapfte zur Siegessäule hinüber und rannte einmal durch den geheimen Durchgang, ganz ohne darauf zu achten, ob mich irgendwelche MaKas dabei beobachteten. Erschöpft fuhr ich erst einmal ins vierte Untergeschoss und ging in mein Zimmer. Dort stellte ich die Blume samt Vase auf den kleinen Schreibtisch, zog mir meinen Rucksack von den Schultern und die Jacke aus. Und betrachtete dann nur kurz die Tür, die sich am Morgen noch nicht auf der rechten Wandseite befunden hatte.

‚Dusche‘, schoss es mir durch den Kopf.

Ich blickte einmal in den Raum hinein und war zufrieden. Waschbecken, Duschkabine und sogar eine eigene Toilette befanden sich in dem kleinen Kabuff. Kein Luxus aber zum längeren Leben im Ministerium durchaus ausreichend.

Ich seufzte und beschloss, nachzuschauen, ob Dr. Müller noch da war. Workaholic, der er laut Frau von Bülow war, stand die Chance bestimmt nicht schlecht. So fuhr ich noch eine Etage tiefer und schlurfte niedergeschlagen den Gang entlang. Es brannte tatsächlich noch Licht, er saß an seinem Schreibtisch und schrieb etwas. Seinen Jobberknoll entdeckte ich leider nicht. Ich schlurfte weiter und ließ mich in Dr. Müllers Besuchersessel fallen, seufzte niedergeschlagen.

„Ihrem Seufzen entnehm ich, dass Sie etwas bedrückt?“, fragte Dr. Müller, ohne aufzuschauen.

Er schrieb einfach weiter.

„Dr. Feld ... ich hatte Ihnen nicht geglaubt, als Sie meinten, er sei eigenbrötlerisch.“

Müller lachte schallend.

„Und? Was haben Sie?“

Ich schilderte ihm grob den Verlauf meines ersten Arbeitstages.

„Na ja, immerhin hat er seine Sichel zurück. Die ist tatsächlich wertvoll, wissen Sie?“

Ich ließ den Kopf sinken. Wenn Dr. Müller jetzt auch noch davon anfing, von dem Teil zu schwärmen, wollte ich keine Garantie mehr für irgendwas übernehmen.

„Wieso gehen Sie nicht erst einmal ins Bett und ruhen sich von dem ereignisreichen Tag aus? Sie werden sehen, morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.“

„Oh, ich bete dafür, dass Sie Recht haben.“

„Nur zu. Wir haben alle einmal klein angefangen und gleich an Ihrem ersten Tag einen Erfolg vorweisen zu können, ist etwas vermessen, finden Sie nicht?“

„Na ja ... ich hatte ihn ja schon vor meiner Nase!“

Dr. Müller lächelte verständnisvoll. 

„Ihr Pflichtbewusstsein und Engagement ehrt Sie natürlich, aber übertreiben Sie es nicht. Ein überarbeiteter Agent ist uns auch nicht von großem Nutzen.“

„Öh ...“

„Hm?“

„Ach nichts.“

„Nichts? Gut! Jetzt ab mit Ihnen ins Bett!“

Ich verabschiedete mich von Dr. Müller, fuhr wieder eine Etage nach oben und ließ mich ins Bett fallen, ohne mich groß bettfertig zu machen. Nur wenige Augenblicke später war ich im Land der Träume.

Wie Katz und Niffler

Ich öffnete träge die Augen. Sie fühlten sich völlig verklebt an, aber das war nicht der Grund, warum ich wach geworden war. Ein Brummen auf dem Nachttisch hatte mich aufgeweckt. Mein Handy. Ich griff danach. Warum nur hatte ich gestern den Wecker auf 5 Uhr morgen gestellt? Es gab doch überhaupt keinen Grund, so früh aufzustehen. Vor allem weil ich erst nach Mitternacht ins Bett gekommen war. Ich grunzte verdrießlich.

Immerhin wusste ich, dass ich mich im deutschen Zaubereiministerium in Berlin befand. Gestern war ich blindlinks in Möbelstücke gerannt und hatte mich dabei fies gestoßen, weil ich dachte, ich sei in meinem Schlafzimmer. Ich betätigte die Taschenlampenfunktion am Handy, quälte mich aus dem Bett und ging zur Tür, um den Lichtschalter einzuschalten. Eine Nachttischlampe gehörte leider nicht zu meinem Inventar.

‚Gut, Lumos sollte ich mir vielleicht auch irgendwann mal beibringen. Oder einen Zauberspruch, mit dem ich vom Bett aus den Lichtschalter einschalten konnte. Ob es so einen überhaupt gibt?‘, dachte ich.

Ich dehnte mich etwas und wuselte dann auf die Toilette. Und weil der Tag noch frisch, ich aber entsprechend durch war, hing ich auch gleich noch eine Dusche mit dran. Das Wasser aus dem Duschkopf machte mich schnell wach, obwohl es heiß war. Nachdem ich mich gewaschen und das Shampoo in meine Haare einmassiert hatte, stellte ich es vorsichtig auf kalt. Sofort zuckte ich zusammen, denn es kam eiskalt aus dem Duschhahn. Ich zappelte und bibberte noch einen Moment unter dem Eiswasser und stellte es dann ab. Jetzt war ich wenigstens richtig wach. Schnell kletterte ich aus der Duschkabine, trocknete mich ab und ließ mich mit einem Handtuchturban ins Bett fallen.

Zuhause würde ich jetzt noch mal eine Runde im Bett gammeln, aber im Ministerium wollte ich mir das nicht erlauben. So gönnte ich mir fünf Minuten im Bett, um festzustellen, dass ich am Handy keinen Empfang hatte.

„War ja klar, so tief unter der Erde ...“

Ich quälte mich wieder auf meine Beine, zog meine Klamotten vom Vortag an und schaute mich dann im Bad um. Danach ging ich zu meinem Bett zurück und schaute in meine Truhe.

„Na toll, kein Föhn da. Und wie krieg ich jetzt die Haare trocken?“

Mein Blick fiel auf den kleinen Schrank, in dem sich meine Bibliothek befand. Ob es einen Haartrocknerzauberspruch gab? Aus den Büchern wusste ich, dass es zumindest einen Lockenwicklerzauberspruch gab, warum also nicht auch einen zum Haare trocknen? Und hatte Newt im zweiten Film nicht einen Trockenzauber angewendet, nachdem er mit dem Kelpie in dem Pool geschwommen war? Argh, es war zum grün und blau ärgern. Wieso hatte ich nur so ein schlechtes Gedächtnis, was die Zaubersprüche in den Büchern und Filmen betraf? Meine To-Do-Liste wurde immer länger.

Ich verzichtete erst einmal darauf, in meiner Bibliothek nachzuschlagen, und rubbelte meine Haare soweit als möglich trocken. Danach fuhr ich zur Kantine hoch und sah mich um. Unglaublich, aber die hatten sogar um sechs Uhr morgens schon auf. Ich sammelte mir mein Frühstück auf einem Tablett zusammen, weniger viel, als am Tag zuvor. Außerdem konnte ich ein zweites Mal gehen, wenn notwendig.

Ich setzte mich an einen etwas abseits gelegenen Tisch, von dem aus ich das Treiben in dem großen Pausenraum gut im Blick behalten konnte. Wer kam? Wer ging? Vielleicht fand Jost ja den Weg hierher. Aber vielleicht lag der Gute noch zuhause in seinem Bett und schlief. Ich trank von meinem Kaffee und ließ mir den Vortag durch den Kopf gehen.

Warum musste es ausgerechnet ein Niffler sein? Wieso konnte es nicht ein Einhorn sein? Friedlich irgendwo auf der grünen Wiese in einem Park weidend. Oder meinetwegen auch ein Erumpent. Das zerlegte dann zwar den halben Tiergarten, aber ich würde es schnell finden. Und meine mir bis dato noch unbekannten Zaubererkollegen konnten mir helfen, es einzufangen. Dann würde ich die Herrschaften von der Abteilung für magische Landwirtschaft auch gleich mal in Aktion sehen.

Aber nein, es musste ja ausgerechnet ein Niffler sein. Klein, schwarz, flink und furchtbar knuffig, sodass es nahezu jedem den Kopf verdrehte. Das Biest hatte sich vermutlich in seinen Bau zurückgezogen und sortierte gerade das Wechselgeld aus dem Botanischen Museum. Ich löffelte meinen Obstsalat.

‚Und wenn ich den kleinen Gauner nicht bald finde, geht er noch mehr stiften‘, dachte ich verdrießlich.

Ich beendete mein Frühstück, brachte das Geschirr weg und fuhr ins fünfte Untergeschoss hinunter. Die Abteilung für magische Landwirtschaft lag verlassen da. Irritiert ging in mein Zimmer zurück. Es war jetzt kurz vor acht Uhr morgens. Ich fragte mich, was meine Vorgesetzten konkret von mir erwarteten. Gestern hatte ich noch so etwas wie Welpenschutz. Aber heute? Erwartete Dr. Müller, dass ich ihn morgens aufsuchte? Oder würde man mich nur benachrichtigen, wenn man mich benötigte? Frau von Bülow hatte gesagt, dass Müller ein Workaholic war. Warum er um die Zeit noch nicht im Büro war, verwunderte mich. Aber vielleicht hatte sie es auch nur so gemeint, dass er immer bis spät abends in der Nacht arbeitete und morgens dann nicht so früh kam?

Ich zuckte mit den Schultern und beschloss, noch den ein oder anderen Zauberspruch zu lernen. Die Zeit mit sinnlosen Grübeleien zu verschwenden, war nicht hilfreich. Dr. Feld hatte am Vortag versucht, den Niffler mit einem Petrificus Totalus zu erwischen. Mir erschien der Zauberspruch sinnvoll, ich kannte ihn aus den Filmen und konnte ihn entsprechend in meinen Büchern nachschlagen. Doch wie ich ihn trainieren sollte, so ganz ohne Testperson und einen Zauberer oder eine Hexe als Back-up, die die Versuchsperson wieder entlähmen konnte, war mir schleierhaft.

Trotzdem musste ich es darauf ankommen lassen. Ich konnte nur hoffen, dass mir nicht irgendwelche MaKas im Weg standen, sobald ich de Zauber nutzte.

„Rennervate!“

Zum Glück hatte ich mir wenigstens den Spruch gemerkt, mit dem Dr. Feld mich am Abend zuvor von der Lähmung befreit hatte. Es würde sicher nicht schaden, diesen gleich parallel zum Petrificus Totalus zu lernen. Ich kletterte durch den kleinen Schrank in meine Bibliothek und stieß mir dabei das linke Knie.

„Autsch!“

Das Buch mit den Zaubersprüchen lag zum Glück noch aufgeschlagen auf meinem Schreibtisch. Ich blätterte durch das Inhaltsverzeichnis des ersten Bandes und fand, was ich suchte.

„Perfekt!“

Ich klappte das Buch zu, fischte meinen Zauberstab aus meinem Bett und machte mich auf den Weg zum Trainingsgelände. Der Aufzug eine Etage nach oben war mit zwei Hexen besetzt, die beide kleiner waren als ich. Anders als die meisten anderen Hexen und Magier, die ich bisher getroffen hatte, waren sie wie Hexen gekleidet, wie man sich Hexen üblicherweise so vorstellte. Schwarze Kleider, bei der einen lang und mit Samt, bei der anderen kurz und mit Spitze, Umhänge dazu und ein Hexenhut. Die eine schien Anfang 20 zu sein, die andere schon etwas älter. Sie sahen mich abschätzig an, als ich die Kabine betrat. Mir nichts denkend, wandte ich ihnen den Rücken zu.

„Drittes Untergeschoss“, bat ich den Aufzugwärter.

Die eine kicherte hinter mir und tuschelte mit der anderen so leise, dass ich nichts verstehen konnte. Ich seufzte. Sollte das jetzt womöglich wieder wie in der Schule laufen, dass ich eine Außenseiterin war, die man gut mobben konnte? Ich drehte mich zu den beiden Damen um.

„Gibt’s ein Problem?“, fragte ich sie rundheraus.

Sie wirkten etwas überrascht, die Junge kicherte dann aber wieder.

„Nein“, gackerte die andere.

Ich sah sie nacheinander an.

„Wo ist denn eure Muhme abgeblieben?“, fragte ich dann.

Das Lächeln der beiden Hexen verschwand wie im Flug. Ernst sahen sie mich an, auch ein bisschen verwirrt.

„Heute mit dem falschen Fuß aufgestanden?“, setzte ich hinzu. „Oder ist sie wetterfühlig?“

„Was faseln Sie da?“, fragte mich die Ältere der beiden.

„Ich wundere mich nur, wo die dritte in Ihrem Bunde ist. Sie bilden doch einen Hexenzirkel, oder nicht? Wenn ich mich recht erinnere, müssten Sie Mutter und Jungfrau sein? Wie geht es denn der werten Alten?“

„Der werten Alten geht’s prima!“, schoss die Jungfrauenhexe aus ihrem Mund.

„Psst, Marlene, sei still“, mahnte die Ältere.

Immerhin wusste ich jetzt zumindest, wie die Jüngste hieß. Die Jungfrau des Hexenzirkels. Ob es sich um ihren echten Namen handelte, oder Marlene auch nur ein Deckname war, blieb vorerst ein Geheimnis.

„Drittes Untergeschoss!“, verkündete der Aufzugwärter.

„Sie entschuldigen mich?“

Ich schob mich an den beiden vorbei.

„Einen guten Tag wünsche ich!“, säuselte mir die Ältere ins Ohr.

„Ebenfalls, guten Tag!“

Die Aufzugtüren schlossen sich hinter mir und ich stand im Trainingsgelände. Atmete einmal tief durch und versuchte, meine Nerven etwas zu beruhigen. Das Intermezzo hatte vielleicht eine Minute gedauert und war eigentlich harmlos. Trotzdem raste mir der Puls. Mannoman, was für zwei Schreckschrauben. Und die Alte des Trios war bestimmt noch schrulliger.

Das Trainingsgelände direkt am Eingang sah genauso aus wie am Tag zuvor. Das entfernte Gebirge war zur Abwechslung nicht wolkenverhangen. Ein strahlendblauer Himmel lag über der Szenerie und ich beschloss, mich nicht allzu weit vom Aufzug und dem Stein, an dem sich der Schalter befand, zu entfernen. Mit Zauberspruchbuch und Zauberstab bewaffnet verkrümelte ich mich zum nächsten Waldrand. Dort hockte ich mich hin und schlug das Buch auf.

Petrificus Totalus war von der Zauberstabbewegung her schon etwas kniffliger als das, was ich bereits kannte. Ähnlich wie bei Wingardium Leviosa beschrieb man zunächst eine kreisartige Bewegung gegen den Uhrzeigersinn. Gefühlt sah es wie ein ⅔-Kreis aus, aber das konnte auch eine optische Täuschung sein. Danach ging die Bewegung quer nach rechts, ehe sie kurz nach unten geführt wurde. Ich nahm meinen Zauberstab zur Hand und übte die Bewegung mehrmals, ohne den Spruch dabei zu sagen. 

Danach legte ich meinen Zauberstab vorsichtshalber zur Seite, und sah mir an, wie genau man den Spruch betonen musste. Auch dies übte ich mehrmals, was aber gar nicht so leicht war. 

„Oh man, da bricht man sich ja eher die Zunge. Petrifics Totalus. ... Hmpf.“

Laut der Beschreibung musste ich jeweils die zweiten Silben von vorne betonen, also tri und ta.

„PeTRIficus ToTAlus“, sprach ich erneut, ohne überhaupt einen Hinweis darauf zu haben, ob es so richtig war.

Ich seufzte. Weiter darüber grübeln, brachte mich aber auch nicht weiter und so beschloss ich, Zauberstab und Spruch zu verbinden. Ich übte auch das mehrmals, doch nichts tat sich.

Frustriert sah ich mich um. Bisher war niemand durch den Aufzug gekommen, um ebenfalls hier zu trainieren. Ich war zwar etwas weiter weg, aber nicht so weit, dass ich nicht entsprechende Geräusche gehört hätte. Und auf dem Rückweg war bisher auch noch niemand vorbei gekommen. Schlecht gelaunt sah ich zum Blätterdach hoch.

„Tze, nicht mal Vögel gibt’s hier.“

Was vermutlich aber auch besser war. Die würden einen Petrificus Totalus vielleicht nicht überleben. Vor allem dann nicht, wenn er von mir kam. 

„Gut, dann auf zum Nächsten.“

Nach Rennervate musste ich nicht lange suchen, er befand sich direkt auf der nächsten Seite meines Spruchbuches. Dieser Zauberspruch war etwas anders gestrickt, die Betonung lag auf der vorletzten Silbe.

„RennerVAte. ... Hm.“

Die Bewegung beschrieb eine V-Form, wie wenn man mit dem Stift ein V schrieb. Auch hier übte ich Spruch und Bewegung noch mehrmals gemeinsam, ohne zu wissen, ob ich es richtig machte.

„Wie machen die das eigentlich in Hogwarts mit solchen Zaubersprüchen?“, fragte ich mich dann.

Gab es da Freiwillige, die die Schüler solche Zaubersprüche an sich erproben ließen? Ich erinnerte mich nicht mehr wirklich an die Bücher und die Filme waren sehr abgespeckt. Trotzdem meinte ich zu erinnern, dass in beidem zum Beispiel nur der Levitationszauber gelehrt und gelernt wurde. Wie sie Petrificus Totalus übten, war weder in den Büchern, noch in den Filmen enthalten. Lediglich Hermione hatte am Ende vom ersten Teil Neville mit dem Zauber gelähmt.

Und von Petrificus Totalus getroffen zu werden, war keine angenehme Erfahrung. Ich hatte sie selbst bereits am eigenen Leib erlebt. Mich hatte ein eiskalter Schauer überzogen, ausgehend von der Stelle, an der mich der Fluch getroffen hatte. Der Zauber hatte sich also von meinem rechten Schulterblatt über den ganzen Körper hinweg gezogen. Besonders am Kopf und im Gesicht war das unangenehm. Es war nicht schmerzhaft in dem Sinne, aber ich hatte kurzzeitig das Gefühl, mir würden die Augen eingefrieren. Das Frostgefühl hatte zum Glück nicht angehalten. Dafür war ich bewegungsunfähig nach vorne gefallen. Auf meine Nase, die mir heute immer noch weh tat.

Ich verzog das Gesicht. Und im zweiten Jahr hatten die unter den Fittichen von Gilderoy Lockhart einen Duellierklub an Hogwarts gegründet. Und zwölf Jahre alte Schüler hatten sich dort duelliert. Also faktisch Knirpse, Kinder, Schutzbefohlene, die man in Deutschland den Familien wegen Kindeswohlgefährdung wegnehmen würde, käme das heraus. Die Autorin hatte viele Themen in den Büchern eingebracht, die kritisch zu betrachten waren. Ich mochte mir gar nicht ausmalen, dass das hier in der Realität, in der ich jetzt lebte, tatsächlich so gehandhabt wurde. Dass es vielleicht auch in Arenberg so gelebt und gelehrt wurde. Ich schluckte schwer.

‚War vielleicht doch gar nicht so schlimm, dass die meine Akte verschludert haben‘, dachte ich.

Ich grunzte, packte mein Zeug zusammen und trat den Rückweg an. Der Aufzugstein lag nach wie vor verlassen da. Ich trat an ihn heran, drückte auf den Knopf und wartete. Urplötzlich brach eine Sintflut über mich herein, durchnässte mich komplett bis auf die Knochen und war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war.

„Was zur Hölle?!“, rief ich erschrocken und schnappte nach Luft.

Riss den Kopf herum, doch niemand war zu sehen. Auch hörte ich nichts. Ich grummelte. Keine einzige Wolke trübte den strahlend blauen Himmel des Trainingsgeländes. Hatte sich das jemand einen Scherz mit mir erlaubt? 

Immer noch wütend trat ich in die Aufzugskabine, als sie endlich kam. Der Wärter verzog keine Mine. Vermutlich war er so einen Anblick gewohnt. Leute, die völlig durchnässt vom Trainingsgelände kamen, waren vermutlich noch harmlos.

„Wo wollen Sie hin?“, fragte er mich nur.

„Runter! Eine Etage!“

„Kein Grund, so pampig zu sein.“

Ich ersparte mir eine Antwort, ließ mich runter fahren und stapfte den Weg zurück zu meinem Zimmer.

„Scheiße!“

Ich flitzte los, riss die Tür zu meinem Zimmer auf und knallte sie hinter mir zu. Mein ganzes Zauberbuch war nass. Das hatte ich völlig vergessen.

„Scheiße, scheiße, SCHEISSE!“, schrie ich aufgebracht.

Ich schlug es auf. Und stieß dann einen Seufzer der Erleichterung aus. Es war offensichtlich nicht mit wasserlöslicher Tinte beschrieben.

„Oh Gott!“

Mir fiel der sprichwörtliche Stein vom Herzen. Nicht auszudenken, hätte ich das Buch an meinem zweiten Tag schon ersetzen müssen. Obwohl ich noch nicht mal etwas richtig zustande gebracht hatte. Ich holte ein Handtuch aus meinem Bad und versuchte, das Buch so gut es ging, abzutrocknen. Dass ich währenddessen auf den Boden tropfte, ignorierte ich vorerst. Das Buch war mir bei weitem wichtiger. Lediglich der Ledereinband machte keinen so guten Eindruck. Vermutlich quillte das Leder jetzt auf und find dann zu Bröseln an, sobald es komplett getrocknet war. Wie ärgerlich. Aber wenigstens die Zaubersprüche hatte ich noch.

Ich breitete das Handtuch auf dem Schreibtisch aus und legte dann mein Buch zum Trocknen drauf. Danach zog ich mir die nassen Klamotten aus, trocknete mich selber ab und zog frische Kleidung an. Die Haare trocken rubbeln ersparte ich mir dieses Mal. Alle meine Handtücher waren inzwischen zu feucht, als dass es einen großen Unterschied gemacht hätte. Stattdessen wrang ich sie mir über dem Waschbecken aus und knotete sie dann mit einem Haargummi zu einem Dutt zusammen.

Als ich aus dem Bad kam, lag ein Briefumschlag vor der Tür.

„Diesmal keine Eule?“

Ich fischte den Umschlag vom Boden auf. Darin stand, dass ich umgehend zu Dr. Müller kommen sollte. Ich fragte mich, ob der Brief von einer Eule zugestellt worden war. Wie war sie gestern in meine Privatbibliothek gekommen? Und warum wurde mir ein Brief in mein normales Zimmer über den Schlitz unter der Tür zugestellt? Hatten die Eulen möglicherweise zur Zuflug zu den verzauberten Räumen in den Unterkünften? Fragen über Fragen. Ich grunzte, sackte meinen Zauberstab ein und fuhr wieder eine Etage nach unten.

„Oh!“

Zwei Leute arbeiteten und saßen seltsamerweise soweit auseinander, wie es die Raumgröße und die zur Verfügung stehenden Tische zuließen. Ich kannte niemanden von ihnen.

„Äh, guten Morgen“, stammelte ich, als ich das Büro betrat.

Beide drehten sich zu mir um. Eine ältere Dame mit dunkelbrauner Haut und schwarzen Locken, die sie offen trug. Und ein rothaariger Mann, der jünger war, als ich. Die Frau stand auf und kam auf mich zu.

„Wer sind Sie denn?“, fragte sie.

„Äh, Lizzy Schuster, ich bin seit ... äh, vorgestern Abend hier. Freut mich, Sie kennen zu lernen“, antwortete ich verunsichert.

„Ach so. Sie sind das. Ich bin Jennifer Oakley. Freut mich ebenfalls, Sie endlich kennen zu lernen.“

Wir schüttelten uns die Hände und meine Unsicherheit fiel ab.

„Endlich bekommen wir hier mal Verstärkung“, hörte ich es aus der Ecke.

Der andere war nicht aufgestanden, um sich mir vorzustellen.

Jennifer lächelte entschuldigend in seine Richtung, ehe sie sich mir wieder zuwandte.

„Sie müssen es Rüdiger verzeihen, er arbeitet eigentlich in einer anderen Abteilung.“

„Oh.“

Ich warf ebenfalls einen kurzen Blick in seine Richtung.

„Äh, und Sie sind feste Mitarbeiterin der Landwirtschaftsabteilung?“

Jennifer nickte, schüttelte dann den Kopf.

„Ich bin nur für meine Dissertation hier. Mein Spezialgebiet sind die magischen Pflanzen und Kräuter.“

„Oh, dann arbeiten Sie eng mit Dr. Feld zusammen?“

Ihr Blick verfinsterte sich.

„Hab ich etwas Falsches gesagt? Entschuldigen Sie, ich wollte nicht ...“

Sie winkte ab.

„Nein, das können Sie nicht wissen. Machen Sie sich keinen Kopf drum. Feld und ich, ... na ja, wir haben unterschiedliche Ansichten, was die Herangehensweise an magische Pflanzen betrifft. Ich bin da eher progressiver Natur, wenn Sie verstehen.“

‚Und Dr. Feld ist der Hobbit, der Konservative, der alles bewahren wollte, so wie es war‘, dachte ich.

„Ich glaube, ich verstehe halbwegs, wie Sie es meinen. Äh, ist Dr. Müller da? Ich hab‘ eine Benachrichtigung bekommen, es hat wohl einen schlimmen Vorfall gegeben?“

Jennifer winkte mich durch.

„Ja, Sie kommen gerade recht. Es ist alles ein fürchterliches Chaos, wenn man den Berichten glauben darf. Gehen Sie direkt in sein Büro. Ich hab ihn bisher nicht rauskommen sehen, er sollte also noch drin sein.“

„Vielen Dank!“

Sie wandte sich wieder ihrem Arbeitsplatz zu. Rüdiger hatte den Kopf über eine Schreibarbeit gerichtet und ignorierte mich.

„Dann nicht“, murmelte ich und stapfte direkt zu Dr. Müllers Büro.

Ich klopfte an den Türrahmen und trat ein.

Müller saß an seinem Platz und sah aus, als wäre er die ganze Nacht auf den Beinen gewesen. Rot unterlaufene Augen, die wenigen Haare, die er noch hatte, standen ihm wirr vom Kopf.

„Äh, wie viel Kaffee haben Sie intus?“, fragte ich ihn.

Ich klaubte einige Zettel und Akten von den Besucherstühlen zusammen und legte sie zurück auf seinen Schreibtisch. Ich setzte mich. Sein Jobberknoll war nirgends zu sehen.

„Ach Lizzy, zu viel! Sie werden es nicht glauben, Ihr kleiner Dieb hat sich gestern noch auf große Diebestour begeben.“

Ich spürte, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich. Zum Glück saß ich auf einem der Sessel, sonst wäre mir vielleicht schwarz vor Augen geworden.

„Äh, seit gestern Abend?“

„Ja. Es ging um kurz nach 10 Uhr los. Ich glaub, da sind Sie erst hier angekommen. Sagt Ihnen die Schlossstraße etwas?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Das ist Berlins erste Adresse für Juweliere. So viele Juweliere wie in der Schlossstraße finden sich sonst in ganz Berlin nicht.“

„Äh, und die Schlossstraße liegt wo, wenn ich fragen darf?“

Ich hatte eine böse Vorahnung.

„Unweit vom botanischen Museum. Das kleine Biest muss das gemerkt haben. Ist beim ersten eingestiegen, hat sich bedient und ist zum nächsten.“

„Äh, Dr. Müller. Sie wollen mir sagen, ... also verstehe ich Sie da richtig? Dass es einen Laden nach dem anderen ausgeräumt hat?“

„So gut wie. Momentan sind es elf Stück. Die Wahrscheinlichkeit, dass es erneut zuschlägt, ist ziemlich gorß.“

„Elf Geschäfte ...?!“, murmelte ich entsetzt.

Wie konnte so ein kleines Biest elf Geschäfte ausrauben? Die meisten davon Schmuckgeschäfte. Wie viel passte in die Taschen so eines Nifflers bitteschön rein? Ich spürte, wie meine Knie weich wurden. Wie mir alles Blut aus dem Gesicht wich. Wäre ich gestanden, wäre ich auf der Stelle bewusstlos umgekippt.

„Lizzy, ist Ihnen nicht gut?“

„Äh nein, geht schon. Nur etwas schwindelig.“

„Wollen Sie ein Wasser?“

Dr. Müller wartete nicht. Er schwang nur einmal seinen Zauberstab. Aus den Untiefen der Abteilung kam ein Glas Wasser angeschwebt. Ich registrierte nicht einmal richtig, wie es vor mir auf Müllers Tisch landete. Einige Tropfen schwappten über den Rand und landeten auf den Unterlagen.

„Nein, bitte. Machen Sie sich wegen mir keine Umstände, es ist nur ein bisschen ... viel. Elf Geschäfte?“, stammelte ich.

„Ja, so ungefähr. Zwei Bankfilialen, neun Juweliergeschäfte.“

„Äh, ich nehme an, dass ich mich sofort auf den Weg machen soll?“

Müller nickte nur.

„Äh ...“

„Hm? Haben Sie noch was auf dem Herzen?“

„Ja. An den Tatorten werden doch sicher auch noch normale Polizisten und Ermittler sein und nach Spuren suchen, oder nicht?“

„Worauf wollen Sie hinaus?“

„Äh, also, wissen Sie. Ich meine, ich fand es gestern schon hilfreich, Dr. Feld an meiner Seite zu haben. Einen erfahrenen Zauberer, und ...“

„Ich kann Ihnen leider niemanden an die Seite stellen, Fräulein Schuster.“

Ich zuckte. Müller hatte mich wieder beim Nachnamen genannt, von dem altmodischen ‚Fräulein‘ ganz zu schweigen. Ob er das immer dann machte, wenn er einen strengen Eindruck erwecken wollte?

„Äh, und was ist mit Jennifer Oakley? Oder Rüdiger?“

Ich hatte den Bogen wohl überspannt. Dr. Müllers Gesichtsausdruck verdunkelte sich.

„Oakley ist nur auf dem Papier Mitarbeiterin dieser Abteilung. Sie forscht derzeit zu ihrer Dissertation. Und ich kann von Glück sagen, dass ich Rüdiger von der Nachrichtenbeschaffung bekommen habe. Die schuldeten mir noch einen Gefallen, und ich brauche Rüdiger, weil bei ihm die Fäden über die Einbrüche zusammen laufen.“

Er sah mich einmal streng an.

„Hier sind alle Unterlagen, die wir zu dem Fall bisher haben. Besser, Sie beeilen sich.“

Ich ließ die Schultern hängen, griff nach der Mappe, die er mir reichte und stand auf. Nahezu blind verließ ich sein Büro und ging zwischen den Tischen hindurch. Ich ignorierte Jennifer, die mir irgendwas zurief und Rüdiger, der mich seinerseits höflich zurück ignorierte. Wie ich den Weg zum Aufzug zurücklegte, war mir schleierhaft. Ich sammelte mir die wichtigsten Sachen aus meinem Zimmer zusammen und stopfte es zusammen mit den Unterlagen, die Müller mir gegeben hatte, in meinen Rucksack. Das Ministerium verließ ich auf schnellstem Wege.

Draußen angekommen, zückte ich als Erstes mein Handy und fand heraus, dass ich ganz einfach mit der U-Bahn vom Hansaplatz zur Station Rathaus Steglitz fahren konnte. Ich musste nur etwa eine viertel Stunde laufen, um zur Station am Hansaplatz zu kommen.

Und da mir der Regen ins Gesicht schlug, beeilte ich mich. Wenigstens waren bei dem Mistwetter auch weniger Passanten unterwegs, ich musste also kaum jemandem ausweichen. Trotz meiner Eile kam ich fast durchnässt an der U-Bahn-Station an, auch mein Rucksack schien einiges abbekommen zu haben.

Ich schaute mich in der Station um und entdeckte nach kurzer Suche das, was ich jetzt brauchte. Einen Fahrkartenautomaten samt Preisübersicht.

„34 EURO?!“, stellte ich dann überrascht fest.

Zugegeben, ich hatte keinen blassen Schimmer, wie teuer aktuell die Wochenkarten für den öffentlichen Nahverkehr im Stadtgebiet München waren, aber ich bezweifelte, dass sie teurer als ihr Berliner Pendant waren. Zähneknirschend zog ich mir ein Wochenticket für die Zonen A und B und machte mich auf zum Bahnsteig.

Die entsprechende Bahn kam nach zwei Minuten und ich bekam einen Sitzplatz entgegen der Fahrtrichtung, dafür am Fenster. Doch dafür hatte ich keinen Nerv. 

Ich legte meinen Rucksack auf meinen Schoss und holte vorsichtig die Unterlagen von Dr. Müller hervor. Vorsichtig, um den anderen Fahrgästen um mich herum keine Einblicke zu gewähren, lugte ich hinein.

Viel war es indes nicht an Information. Eine Übersichtsseite mit den Adressen und Kontaktdaten von Ansprechpersonen und Zeugen vor Ort. Und für acht Einbrüche gab es Informationen auf einer A4 Seite. Ich prüfte vorsichtshalber auch die Rückseiten der Papiere.

„Was ist mit den letzten drei?“, murmelte ich.

Ich blätterte noch einmal gründlich durch die Unterlagen, fand aber nichts dazu. Die Berichte schienen also noch nicht fertig zu sein. Wenigstens hatte ich die Adressen, da konnte ich die drei fehlenden Tatorte auch selbständig aufsuchen und die Zeugen befragen.

Zeugen befragen. Nie hätte ich gedacht, selber einmal Ermittlerin zu sein. Ich kam mir schon ein bisschen wie die zwei Ermittler von den Rosenheim Cops vor, die immer am Dienstag am Vorabendprogramm im Zweiten Deutschen Fernsehen liefen. Wobei es mittlerweile nicht mehr nur zwei waren, sondern die munter durch tauschten. Wenigstens gab es bei mir keine Leichen und niemanden, der die Leichen mit „Es gabat a Leich“ den Ermittlern ankündigte.

Doch mir war nicht nach Lachen zumute. Ich verscheuchte die Gedanken an die beliebte ZDF-Serie und konzentrierte mich wieder auf meinen eigenen Fall. An der nächsten Station stieg eine Mutti mit kleinem Kind zu, die sich in meine Vierersitzgruppe setzten. Das Kind ausgerechnet neben mich. Sobald sich die Türen wieder geschlossen und die U-Bahn losgefahren war, fing der Junge an, herumzuzappeln. Ich krümelte mich auf meinem Sitz zusammen.

„Kannst du bitte auf deiner Seite bleiben?“, fragte ich ihn zuckersüß, als er mir dann doch gegen die Beine trat.

Der Mutter schien das Verhalten ihres Sohnes völlig egal zu sein. Sie tippte nur auf ihrem Handy rum. Irgendwann trat ich dann doch mal halbherzig zurück.

„He, was fällt Ihnen ein?!“, beschwerte sich da die Alte lautstark.

„Merken Sie eigentlich nicht, dass Ihr Sohn mich ständig tritt?“

„Der macht sowas nicht!“, behauptete sie felsenfest.

„Sagt diejenige, die die ganze Zeit nur aufs Handy gafft“, blaffte ich zurück. „Ich versuche, hier zu arbeiten und Ihr Sohn stört mich dabei.“

„Haben Sie was gegen Kinder?“, konterte sie.

„Nein. Ich habe was gegen Eltern, die ihre Kinder nicht erziehen. Bei Hunden ist schließlich auch das andere Ende der Leine das Problem!“

„Also wirklich. Was fällt Ihnen ein? Mein Sohn ist doch kein Hund!“

„Stimmt! Jeder Hund ist besser erzogen als Ihr Sohn!“

Schließlich stand die Schreckschraube auf und zog ihren Sohn mit. Im Weggehen konnte ich noch einige Schimpfwörter hören, zuckte aber nur mit den Schultern. Schimpfworte waren nicht mein Niveau.

„Sind Sie immer so unfreundlich?“, fragte mich ein älterer Herr mit Berliner Akzent von schräg gegenüber.

„Dren Berliner Kinda imma gega de Hax’n vo anderne Leid? Leana dean de goar nix vo eich Äidane!“, pampte ich in meinem bayerischsten Akzent zurück.

Der alte Sack riss die Augen auf, hielt aber zum Glück den Schnabel. Und auch sonst schien sich niemand mehr mit mir anlegen zu wollen. Ich steckte meine Nase wieder in meine Unterlagen, konnte mich wegen der Sache aber nicht mehr richtig konzentrieren. Es war nur ein Bankeinbruch aufgeführt, der zweite Banküberfall war wohl bei den drei Fällen, zu denen es noch keine Übersicht gab.

Ich sah auf mein Handy. Es war kurz vor Mittag, die ersten Einbrüche hatten wohl um kurz nach 22 Uhr in der Nacht zuvor angefangen. Ich schaute mir den chronologisch letzten Bericht an, den ich hatte. Im Schätzen war ich nie besonders gut, aber der Niffler schien nirgends länger als eine Stunde gewesen zu sein. Eher weniger, denn er musste ja auch von einem Juwelierladen zum anderen kommen.

Ich sah die Berichte noch mal durch. Heutzutage waren Juwelierläden, Pfandhäuser und Banken alle mit Alarmanlagen gesichert. Und die hatten auch alle zuverlässig ausgelöst. Dass sich der kleine Kerl da nicht allzu lange aufgehalten hatte, war verständlich. Der Chronologie nach hatte er einen Laden betreten, diesen um alles erleichtert, was funkelnd genug war und war dann zum nächsten Laden gezogen. Eine Pause schien er zwischendrin nicht gemacht zu haben. Zumindest nicht bei den ersten acht Fällen.

Ich seufzte. Nicht zum ersten Mal an diesem beschissenen Tag fragte ich mich, wie viel in die Tasche eines Nifflers eigentlich rein ging. Ich zog das Übersichtsblatt aus der Mappe hervor, faltete es in A6-Größe zusammen und schob es in meine Jackentasche. Danach klappte ich die Mappe mit den Unterlagen zusammen und stopfte sie in den Rucksack zurück. Bei der nächsten Station musste ich raus.

In dieser Station war bei weitem mehr los, ich schob es darauf, dass die Schlossstraße bestimmt auch noch jede Menge andere Läden beherbergte, nicht nur die ganzen Juweliere. Ich kämpfte über zwei Rolltreppen an die Oberfläche und stellte erleichtert fest, dass der Regen nachgelassen hatte. Interessiert sah mich um. 

Die Schlossstraße war weniger spektakulär, als ich erwartet hatte. Das verrieten mir die Filialen einer Drogeriekette und eines Schuhladens, in dem ich vor Jahren auch immer meine Treter gekauft hatte. Bis ich auf hochwertigeres Schuhwerk umgestiegen war.

„Also wollen doch mal sehen, wo wir hier sind.“

Ich holte mein Handy und die Adressübersicht hervor. Den ersten Tatort konnte ich nicht vom U-Bahn-Aufgang aus sehen. Ich prüfte den Standort noch einmal auf meinem Smartphone.

„Hm, scheint wohl in einem größeren Einkaufszentrum zu sein.“

Ich überquerte die Straßenkreuzung an der Ampel und stand dann in der Schlossstraße auf der linken Seite. Mein Weg führte mich mehrere Meter wieder Berlin einwärts und dann links in einen wuchtigen Gebäudekomplex, das sich als Einkaufszentrum „das Schloss“ entpuppte. Den Laden hatte ich schnell gefunden.

Von außen wirkten die zwei Schaufenster schon seltsam, beim Näherkommen stellte ich fest, dass der Laden größtenteils leer war. Und die Auslage im Schaufenster war komplett weg. Der Niffler hatte gewütet, als hinge sein Leben davon ab. Leere Ringtabletts, verwaiste Schmuckbüsten, nackte Ohrringständer.

„Ein normaler Dieb hätte wohl die ganzen Dinger auch mitgenommen, der Niffler hat sich nur den Schmuck einverleibt und ist weiter.“

Ich wandte mich vom Schaufenster zur Eingangstür. Einen Knopf für eine Klingel konnte ich nicht finden, so klopfte ich einfach gegen das Glas. Ich musste mehrmals klopfen, doch niemand kam. Das Licht machte den Anschein, dass auf jeden Fall jemand in dem Laden war. Auch wenn es gedimmt war. Aber gut, vielleicht befand sich die Person auch einfach außer Hörweite.

Ich zog mein Handy und die Liste wieder hervor, um den nächsten betroffenen Laden ausfindig zu machen. Es stellte sich heraus, dass es ein zweiter Amber-Laden war, dieses Mal das Trauringstudio, das sich ebenfalls in dem Einkaufszentrum befand. Ich musste etwas herumsuchen, ehe ich die zweite Filiale fand. Mir bot sich das gleiche Bild wie schon zuvor. Nur, dass dieses Mal jemand im Laden stand und telefonierte. 

Ich packte Handy und Liste weg, kramte meinen Dienstausweis hervor und versuchte, den Herrn mittleren Alters auf mich aufmerksam zu machen, als er in meine Richtung blickte. Er sagte noch mal etwas in sein Telefon und legte dann auf. Er kam an die Tür und öffnete sie einen Spalt breit.

„Wer sind Sie?“, fragte er verwirrt.

„Schuster ist mein Name, von der Soko Goldmarie“, log ich.

Ich hielt ihm meinen Dienstausweis unter die Nase und hoffte, dass Dr. Müller Recht behielt, was dessen MaKa-Sicherheit betraf.

„Ich wusste nicht, dass eine Soko gegründet wurde.“

„Wurde sie. Darf ich eintreten?“

Der Mann zögerte kurz, trat dann aber zurück und ließ mich in den Laden schlüpfen. Die Glastheken und Vitrinen boten dasselbe Bild wie die Schaufensterauslagen. Betroffen sah ich mich um.

„Ich hatte eigentlich schon alles Ihren Kollegen erzählt.“

„Äh, ja, Herr ...?“

„Yildirim.“

Ich wollte ihm die Hand reichen, aber er ignorierte sie.

‚Hm, Muslim der traditionellen Erziehung‘, dachte ich.

„Sind Sie wirklich Ermittlerin?“

„Ja. Gibt es ein Problem damit?“, fragte ich ihn rundheraus.

„Wie gesagt, ich habe schon alles Ihren männlichen Kollegen erzählt“, wehrte er ab.

„Leider haben meine männlichen Kollegen nicht wirklich gut aufgepasst“, gab ich zurück. „Weshalb ich hier bin. Ich müsste zum Beispiel noch einmal die Aufnahmen Ihrer Überwachungskameras sehen, Herr Yildirim.“

Sein Gesichtsausdruck wechselte von verwirrt zu genervt. Es schien ihm wohl nicht zu schmecken, dass ich als Frau nun scheinbar die Ermittlungen übernommen hatte. Dass es sich bei meiner Geschichte um eine blanke Lüge handelte, konnte er nicht wissen. Vermutlich würde er mich hochkant rauswerfen.

„Also, wollen Sie nun Ihre Ware zurück, oder nicht?“, hakte ich nach.

Er brummte und wandte sich um.

„Kommen Sie.“

Ich folgte ihm an die Hinterseite der Filiale, in der es ein Büro mit zwei Arbeitsplätzen, einer Miniküchenzeile und eine Toilette gab. Er setzte sich an einen der Plätze, an dem ein alter Röhrenbildschirm stand, tippte etwas in die Tastatur und ein Fenster öffnete sich.

„Da sieht man ja so gut wie gar nichts!“, stellte ich verdutzt fest.

„Dafür hätten Sie nicht extra herkommen müssen, oder?“

Ich brummte nur. 

„Haben Sie keine Lichter, die automatisch bei Bewegung im Laden anspringen?“

„Doch, natürlich. Aber die Diebe scheinen sie irgendwie außer Gefecht gesetzt zu haben.“

‚Oder waren einfach nur zu klein, um von dem Bewegungssensor erfasst werden zu können.‘

Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, während ich mir die Aufnahme noch mal anschaute. Anders, als Herr Yildirim dachte, war auf den Bildern schon etwas zu erkennen. Nämlich, von wo aus im Laden der Niffler anfing, den Schmuck zu entwenden. Nur ganz schwach und auch nur, weil Licht aus dem Gang des Einkaufszentrums in den abgedunkelten Laden drang. Wie sich das kleine Biest Zugang verschafft hatte, war mir jedoch nach wie vor ein Rätsel. Und es war leider nicht zu erkennen, wo er den Laden verließ. Nur ein kleines schwarzes Etwas, das nach dem Schmuck griff und das nicht zu erkennen war, wenn man nicht wusste, worauf genau man achten musste. Und mindestens eine der Überwachungskameras schien einen toten Winkel zu haben.

„Ich muss mir etwas in Ihrem Laden anschauen“, meinte ich, nachdem ich mir die Aufnahmen ein fünftes Mal angesehen hatte.

Herr Yildirim grunzte, führte mich aber in den Verkaufsraum zurück. Dort begutachtete ich die Ecke, in der ich den Niffler auf den Überwachungskameras hatte erkennen können. Herr Yildirim stand mir im Nacken und sah mir über die Schulter.

„Was wollen Sie denn in der Ecke?“, fragte er.

„Nur was überprüfen.“

Ich betrachtete den Schrank, auf dem die Auslagevitrine stand. Kaum erkennbar führten einige Kratzer nach oben. Oder eher Tapser von fettigen Pfoten. Wo der kleine Kerl wohl davor war?

„Gut, das wär dann alles“, meinte ich.

Ich stand wieder auf. Herr Yildirim stand gerade einmal einen halben Meter hinter mir. Viel zu nah für meinen Geschmack, aber ich sagte nichts.

„Und jetzt?“, fragte er.

„Jetzt werde ich den nächsten Tatort begutachten.“

Ich sah ihn motiviert an, aber er schien nicht zu kapieren, worauf ich hinaus wollte.

„In Ihr anderes Geschäft ist doch auch eingebrochen worden.“

„Ah ja, das wollen Sie sich auch ansehen?“

Ich nickte.

„Haben Sie denn hier schon was rausgefunden?“, fragte er mich.

„Äh, wie meinen Sie?“

„Na, Sie haben sich mehrmals das Video angeschaut und haben hier in der Ecke gekauert, aber rausgefunden haben Sie noch nichts.“

„Herr Yildirim, wir stehen noch ganz am Anfang der Ermittlungen.“

„Sollten Sie nicht mittlerweile dem Täter ganz nah auf der Spur sein?“, raunte er.

„Herr Yildirim, offenbar haben Sie eine Vorstellung von ... Polizeiarbeit, die von der Realität abweicht.“

Er sah mich wütend an.

„Nun, da Sie mich bei meiner Arbeit offenbar nicht weiter unterstützen wollen, werde ich mir den nächsten Tatort auf meiner Liste anschauen. Ich bin mir sicher, dort wird man hilfsbereiter sein.“

Sagte ich, drehte mich um und verließ sein Geschäft. Der Inhaber der zwei Schmuckgeschäfte schimpfte mir auf Türkisch hinterher, aber es war mir egal. Wenn er nicht genügend Eier in der Hose hatte und sich nicht traute, mich in einer Sprache zu beleidigen, die ich auch verstand, lag das Problem eindeutig bei ihm.

‚Und seinem verkorksten Verständnis von Polizeiarbeit.‘

Ich quälte mich aus der Passage heraus und zurück an die Schlossstraße. Es tat gut, wieder etwas Frischluft um die Nase zu spüren. Ein Blick auf meine Liste verriet mir den Standort des nächsten geschädigten Ladens. Ich drehte mich einmal um. 

Die Filiale der Berliner Sparkasse, in die der Niffler ebenfalls eingebrochen war, hatte eine Mietfläche der Einkaufspassage, die zur Schlossstraße hin zeigte. Sie war ebenfalls mit Polizeiabsperrband markiert, aber ein Sigel befand sich dort nicht. Offenbar war es dem Personal gelungen, die Polizei davon zu überzeugen, die Filiale weiter zu betreiben. Was mir ein Rätsel war. Vermutlich hatte die SpuSi schon alle wichtigen Spuren am Tatort gesichert.

Ich betrat die Filiale, in der sich gerade zwei Kunden aufhielten. Eine ältere Dame mit Rollator und Teppichporsche im Körbchen wurde gerade bedient. Ein älterer Herr hatte in dem Wartebereich Platz genommen.

„Sind Sie als Nächstes dran?“, fragte ich ihn höflich.

Er nickte, schüttelte dann den Kopf. Ich grinste ihn überfordert an.

„Mei‘ Frau braucht no‘ a bissl“, meinte er dann.

Mein Grinsen wurde noch breiter. Scheinbar jemand aus meiner alten Heimat. Ich stellte mich höflich hinter die Dame mit Rollator und Fiffi im Körbchen und wartete. Und wartete. Und begann, mich in der Filiale umzusehen.

Zunächst nahm ich die Theke in Augenschein. Sie war mit dunkler Holzoptik gestaltet, was ich etwas altmodisch fand, aber vielleicht wollte man hier lieber am Interieur statt an den Mitarbeitern sparen. Hoffte ich zumindest. Das Furnier wies keinerlei Spuren auf. Vermutlich hatten die Angestellten den Kundenbereich sauber gemacht, sobald er von der Polizei freigegeben worden war.

Die Omi ließ sich gerade noch einmal erklären, warum sie für das Abheben von ihrem Konto jetzt eine Gebühr zu entrichten hatte. Ich verdrehte innerlich die Augen. Scheinbar hatte die Bank ein neues Gebührenmodell eingeführt und das Konto in das billigst mögliche Modell eingruppiert. Was mich wunderte, üblicherweise sortierten Banken bei einer Modelländerung in teurere Bereiche ein. Aber anders konnte ich mir nicht erklären, warum die Dame jetzt einen kleinen Obolus zu entrichten hatte. 

Aus den Augenwinkeln fiel mir eine Bewegung auf und ich drehte den Kopf zur Sitzecke. Ihr Gatte mühte sich damit ab, aufzustehen. Ich trat zu ihm und bot ihm meine Hand.

„Darf ich Ihnen helfen?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, griff ich ihn am Ellbogen und half ihm auf. Er nickte mir kurz dankbar zu und humpelte zu seiner Ehefrau an den Schalter. Die Fußhupe bellte einmal lautstark. Ich stellte mich wieder in gemessenem Abstand hinter das Paar und wartete. Die Bankangestellte, möglicherweise eine Auszubildende, versuchte nun schon zum dritten Mal zu erklären, warum die Dame noch eine Gebühr zu zahlen habe. Ich seufzte und trat nun ebenfalls hinzu.

„Was ist denn das Problem, wenn ich fragen darf?“

„Die Dame hat ihr Konto auf Economy umgestellt und beschwert sich nun, dass sie für das Geld abheben eine Gebühr bezahlen muss.“

Ich sah die Angestellte an. Eigentlich hätte sie mir das wegen der Datenschutzgrundverordnung nicht mal erzählen dürfen, aber das behielt ich für mich. Die Dame ihrerseits schien verzweifelt zu sein.

„Um welchen Betrag geht es denn?“, fragte ich und fing an, in meinem Rucksack zu kramen.

„2,95 Euro.“

Ich zog einen Geldschein hervor.

„Hier haben Sie 10 Euro, den Rest bezahlen Sie der Dame bitte aus.“

„Aber das kann ich nicht machen“, meinte die Angestellte.

„Warum denn nicht? Es ist doch im Endeffekt egal, wer die Gebühr bezahlt, oder nicht?“

„Nein, es muss auf dem Kontoauszug mit drauf sein.“

„Eh? Dann zahlen Sie halt die 10 Euro auf das Konto ein, das kann doch nicht so schwer sein.“

Die Bankmitarbeiterin sah mich noch einen Moment perplex an, griff dann nach dem Geldschein und begann, in ihren Computer zu tippen.

„Vergelt’s Gott, gute Frau“, meinte die Oma.

Erst jetzt sah ich, dass ihr wohl schon einige Tränen über’s Gesicht gelaufen waren. Umgehend hatte ich ein schlechtes Gewissen, hatte ich die 10 Euro doch nur hingelegt, damit ich selbst endlich dran kam. Ich fragte mich, warum das Pärchen in Berlin war. Ob es Verwandte besuchte? Den Sohn vielleicht, oder die Tochter?

Die Bankangestellte hatte den Papierkram nun erledigt und zahlte der Dame das Restgeld aus.

„Das reicht hoffentlich noch für den Besuch in einem Café“, meinte ich zu den beiden, die sich noch einmal überschwänglich bedankten und aus dem gerührt sein gar nicht mehr heraus kamen. 

Als sie endlich draußen waren, atmete ich einmal tief durch und drehte mich wieder zu der Angestellten um. Nur, dass die dort jetzt nicht mehr stand.

„Das darf doch nicht ...“

Ich sah mich im Kundenbereich um. Nein, die Dame schien in irgendwelche Hinterräume verschwunden zu sein.

„Entschuldigung?!“, rief ich.

Umgehend hörte ich Gerumpel im hinteren Bereich der Bankfiliale. Zum Vorschein kam eine ältere Dame, deren blonde Haare von grauen Strähnen durchwirkt waren. Auf ihrem Namensschild stand Klarissa Delau und Filialleiterin. Da war ich ja gleich an der richtigen Adresse.

„Huch?“, meinte sie, als sie mich erblickte.

„Entschuldigen Sie, ich hab heute leider noch einiges vor mir“, meinte ich und legte meinen Dienstausweis auf den Tisch.

„Oh!“

„Ich müsste Sie noch einmal zu dem Bankraub heute in der Nacht befragen.“

„Oh, natürlich.“

Die Dame wandte sich wieder um.

„Frau Grießmann, können Sie hier wieder übernehmen?“, rief sie in die Untiefen der Filiale hinein. „Es ist noch mal jemand von der Polizei gekommen.“

Es dauerte nicht lange, bis die Auszubildende wieder kam und ihre Vorgesetzte mich durch eine kleine Tür in den hinteren Bereich der Bank lotste. Ich sah mich einmal in dem kurzen Gang um, in dem sich ein Garderobenständer für Mitarbeiter und ein Kopierdrucker mit Scanfunktion standen.

„Sie sind die Filialleiterin, Frau Delau?“

Sie nickte.

„Gibt es außer Ihnen und Frau, äh ... Grießmann noch andere Angestellte?“

„Nur Herr Wanner, aber der ist noch im Urlaub. Deshalb sind wir hier leider etwas im Stress.“

„Verstehe. Und der Diebstahl ist Ihnen natürlich heute Morgen aufgefallen.“

Wieder nickte Frau Delau.

„Wenn Herr Wanner nicht da ist, komme ich morgens meist als erstes und überprüfe alles. Wie es bei uns Vorschrift ist. Dabei ist mir der Diebstahl aufgefallen.“

„Ich habe mir die Informationen meiner Kollegen noch einmal angesehen und sie mit den, äh ... anderen Tatorten verglichen. Bei Ihnen ist ja das ganze, äh, Bargeld gestohlen worden, also Münzgeld jeglicher Währung?“

„Ja, wirklich ärgerlich. Kommen Sie.“

Die Dame führte mich in einen kleinen Raum mit verschieden großen Tresoren. Die Türen der Fächer waren alle geschlossen und schienen wie blank geputzt. Nicht verwunderlich, Niffler konnten sich ja einfach so durch jedes beliebige Metall schieben, ohne einen Hinweis zu hinterlassen.

„Wir haben hier immer eine Auswahl der regulärsten Währungen. Neben Euro und diversen Dollar-Währungen natürlich auch Pfund, Rubel, Riyals, Renminbi und Yen.“

„Sie haben nur noch Scheine, oder?“

„Ja. Es ist, als hätten sich die Münzen einfach in Luft aufgelöst. Natürlich können wir Devisenwechsel vornehmen, aber bisher haben wir den Kunden immer mit Münzen ausbezahlt. Jetzt müssen wir hoffen, dass Kunden mit entsprechendem Kleingeld kommen, bevor eine Nachlieferung aus der Zentrale kommt.“

Ich nickte. Frau Delau öffnete eines der Zahlenschlösser eines größeren Faches. Dahinter kamen diverse Dollar-Stapel zum Vorschein. Das Fach für die Dollar-Münzen war komplett ausgeräumt.

„Sehr seltsam, das alles.“

„Ja. Genau deshalb bin ich noch mal hier. Es ist höchst merkwürdig, dass ein Einbrecher nur das Münzgeld stiehlt und die Scheine, die in der Regel ja mehr wert sind, einfach liegen lässt.“

„Haben Sie schon einen Verdacht?“

Ich seufzte innerlich. Genau die gleiche Frage hatte Herr Yildirim auch gestellt, aber bei ihm war ja vor allem Schmuck geklaut worden. Mir war schleierhaft, inwieweit die anderen Geschädigten voneinander wussten. Falls Frau Delau wusste, dass vor allem Schmuckläden bestohlen worden waren, würde ihr der Vorfall sicher nur noch merkwürdiger vorkommen.

„Nun, in Anbetracht der anderen, äh, Tatorte wirkt es seltsam, dass der Dieb sich überhaupt die Mühe gemacht hat, Ihre Bank zu bestehlen. Sagen Sie, haben Sie hier auch wertvolle Sammlermünzen?“

„Nein, eigentlich nicht. Wir sind eine ganz normale Bank. Dadurch, dass wir hier in der Schlossstraße relativ viele Touristen haben, haben wir entsprechend Fremdgeld. Möglich, dass unter den Münzen einige seltenen Exemplare sind, aber wir kontrollieren die nicht. Wie gesagt, in der Regel zahlen wir die Münzen den Kunden aus. Nur sehr selten kommt jemand, und will Fremdwährung in Münzen tauschen.“

Ich grummelte.

„Hm?“

„Nichts. Vielleicht hat der Täter einfach alles eingeräumt in der Hoffnung, dass etwas Wertvolles dabei ist. Anders kann ich es mir leider nicht erklären.“

Ich hockte mich vor die geöffnete Tresortür und nahm sie in Augenschein. Weder außen noch innen war die Tür auffällig. Keine Kratzspuren von gewaltsamen Öffnungsversuchen, keine Tapser von fettigen Nifflerpfoten. Nur ein paar Fingerabdrücke, die vermutlich vom Personal stammten.

„Sie müssen sich ja viele Zahlenkombinationen merken.“

„Ja. Aber das bringt der Job mit sich. Andere Filialen haben natürlich einen großen Tresorraum und die einzelnen Fächer dahinter sind mit Schlüsseln gesichert.“

Ich stand wieder auf und sah mich in der kleinen Kammer um. Mein Blick fiel an die Decke.

„Hrm, ich werde mir im Präsidium wohl noch mal das Aufnahmeband ansehen müssen“, murmelte ich zu mir selbst.

„Wie bitte?“

„Ach nichts. Ich bin soweit fertig hier. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihre Zeit solange beansprucht habe“, meinte ich höflich.

„Gerne. Ich hoffe, Sie finden den Dieb bald.“

Frau Delau begleitete mich zum Kundenbereich zurück.

„Wir geben unser Bestes. Aber in Anbetracht der Dimension der Diebstähle wird die Aufklärung wohl noch etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen“, meinte ich.

„Natürlich. Für uns als Bank ist es zwar ärgerlich, aber die Goldschmiede bleiben auf einem höheren Schaden sitzen, fürchte ich.“

Ich nickte nur, verabschiedete mich und verließ die Bank. Und stand wieder im Regen.

„Na toll!“

Schnell huschte ich in den Eingangsbereich der Einkaufspassage zurück, in der sich einige Leute gesammelt hatten.

Ich grummelte, nicht nur ob des schlechten Wetters. Warum der Niffler die Bank ausgeraubt hatte, war mir schleierhaft. Münzen hatten in der Regel nur einen sehr geringen Anteil an Metall und es waren nicht mal Edelmetalle. Warum also hatte er die Bank aufgesucht? 

Ich sah auf mein Handy. Keine Nachrichten. Und es war schon fast zwei Uhr nachmittags. Da hatte ich ja noch einiges vor mir. Ich brummte erneut und machte mich auf den Weg, die weiteren Tatorte zu inspizieren.
 

Abends, kurz nach Ladenschluss, stolperte ich aus Jacqueline’s Trauringstudio. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes fix und fertig. Nach der Filiale der Berliner Sparkasse waren noch sieben weitere Schmuckläden bzw. Pfandleihhäuser und eine weitere Bank gefolgt. Bei allen hatte ich in etwa ähnliche Gespräche geführt wie zuvor bei Herrn Yildirim und Frau Delau. Zwischendurch war ich in ein Bistro gegangen und hatte mir ein Mittagessen organisiert.

Die letzte Bestandsaufnahme im Trauringstudio war genauso wie die erste an diesem Tag. Der Inhaber war ebenfalls ziemlich ungehalten, dass die Berliner Polizei seine kostbare Zeit noch einmal verschwendete und noch nichts Belastbares ermittelt hatte. Abgestumpft hatte ich mir den Laden zeigen lassen, der ohne die Auslage ziemlich traurig wirkte. 

Ich zog mein Handy hervor. Es war halb acht abends. Mein Magen grummelte, aber um diese Zeit würde es bei den zahlreichen Imbissbuden wohl nichts Frisches mehr geben. Ein kurzer Blick in meine Tracking-App verriet mir, dass das bullige Gebäude schräg gegenüber wieder eine Shopping Mall war. Die reihten sich hier auch aneinander.

„Äh ...“, machte ich dann.

Meine Tracking-App hatte meinen kompletten Tagesverlauf aufgezeichnet. Der Niffler hatte eine relativ gerade Schneise der Verwüstung durch die Schlossstraße gezogen. Warum er beim Trauringstudio aufgehört hatte, war mir schleierhaft. Ich vermutete, dass ihm die Passanten zu viel wurden, als dass er sich weiter ungestört hätte bedienen können.

„Ach, kuck mal an! CHRIST Juweliere und Uhrmacher ...“

Ich starrte auf das Einkaufszentrum. Eine Filiale weiter die Straße runter war ja bereits ausgeraubt worden. Sicher war diese in Alarmbereitschaft. Aber in einem großen Einkaufszentrum würde es bestimmt Sicherheitspersonal geben, das regelmäßig patrouillierte. Ein Schmuckladen in einem großen Kaufhaus war für den Niffler sicher interessant, für mich aber kein sinnvoller Ort, ihn zu schnappen. Grummelnd sah ich auf mein Handy zurück.

„Es wird ja wohl noch ein paar andere Läden geben.“

Nach kurzer Suche fand ich auch etwas Passendes und beschloss, mein Glück zu versuchen.

„Aber erst brauch ich was für die Nerven.“

Ich wandte mich nach links, wo zwei Häuser weiter gleich ein goldenes M auf rotem Hintergrund den Weg zu einem Schnellrestaurant wies. Bewaffnet mit einem Chicken McNugget Small Menü machte ich mich auf den Weg stadteinwärts. Ich hatte die Wahl zwischen Juwelier Gabriel und Goldschmiedin Susanne Teuscher. Ich entschied mich für Juwelier Gabriel, da es auf den Bildern etwas repräsentativer aussah mit einem großen Schaufenster und reichhaltiger Schmuckauslage. Ich als Niffler würde definitiv da einsteigen.

Als ich bei dem Laden ankam, war er noch geöffnet, weshalb ich mich windschief vor der Filiale einer namhaften Parfumeriekette postiert und anfing, mein McDonald’s Menü zu futtern. Nebenher ging ich meine Optionen durch. 

Ganze fünf Zaubersprüche konnte ich halbwegs gut anwenden, wobei mir Petrificus Totalus als der hilfreichste erschien. Wenn ich richtig zielte, würde es mir natürlich ein Leichtes sein, den Ladenbesitzer außer Gefecht zu setzen und in dem Juwelierladen Wache zu halten. Jedoch brachte diese Herangehensweise das Problem mit sich, dass der oder die Angestellten alles hautnah miterleben würden. Und Obliviate hatte ich noch nicht erlernt. Es bestand also eine reelle Gefahr, dass der Mann gefunden würde, noch ehe ich zum Ministerium zurückkehren und die Situation entsprechend schildern konnte, damit ein Kollege ihn oblivierte. Außer, ich ließ mich von einem Taxi fahren, was bedeutete, dass ich wieder etwas von meinen kostbaren Euros hergeben musste, was ich nicht wollte.

‚Ich muss dringend klären, ob ich mir solche Auslagen erstatten lassen kann.‘

Apparieren war jenseits meiner Möglichkeiten und ich schätzte, dass ich diesen komplizierten Zauber nicht innerhalb der nächsten drei Jahre würde erlernen können. Auf mein McMenü wurde mir schlecht bei dem Gedanken daran, wie Ron im siebten Film zersplittert war.

Die andere Möglichkeit bestand darin, dass ich mich als verdeckte Ermittlerin zu erkennen gab und mich im Laden einsperren ließ. Es würde zweifelsohne zu einem Kampf mit dem Niffler kommen, oder wenigstens zu einer Hetzjagd durch den Laden. Andererseits würden die Angestellten dann alles daran setzen, zumindest in der Nähe zu warten. Geschweige denn, dass sie andere, wichtige Leute würden hinzuziehen wollen. Und wie sollte ich erklären, dass ich alleine zur Verbrecherjagd abgestellt worden war. Eine schlaksige junge Frau, die gegen einen Dieb angehen wollte, möglicherweise sogar mehrere?

Ich seufzte. Wie ich es drehte und wendete, beide Optionen bargen für mich auf den ersten Blick mehr Nachteile statt Vorteile. Doch die Zeit drängte, ein Mann trat aus dem Laden und schickte sich an, noch mal eine letzte Runde im und außerhalb des Ladens zu machen. Ich konnte sehen, dass er ein Namensschild trug, aber auf die Entfernung war es unleserlich. Ich pfefferte die Reste des McMenüs in den nächsten Mülleimer, zückte meinen Zauberstab und schlüpfte hinter dem Mann in den Laden. Er zuckte herum.

„Wer ...“

„PETRIFICUS TOTALUS!“

Ich schwang meinen Zauberstab. Der Mann erschauderte, als hätte ihn ein Blitz getroffen und schlug der Länge nach hin. Ich hetzte zu ihm hinüber.

„Entschuldigen Sie bitte vielmals“, stammelte ich bescheiden.

Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, packte ich ihn an den Beinen und zog ihn tiefer in den Laden, sodass er vom Eingangsbereich aus nicht mehr zu sehen war. Danach hielt ich ihm kurz meinen Ausweis vor die Nase, wohl wissend, dass ihn das Dokument in seiner derzeitigen Situation nicht wirklich beruhigen würde.

„Ich bin wegen der Diebstähle hier“, meinte ich, als ich ihn durchsuchte.

Doch ich fand nicht, wonach ich suchte.

„Scheiße, wo haben Sie den Schlüssel zum abschließen?“, fragte ich ihn.

Aber er konnte mir keine Antwort geben. Statt noch einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, packte ich ihn wieder an den Beinen und zog ihn noch tiefer in den Laden. Und wurde im hinteren Bereich von einer weiteren Person überrascht.

„Wer sind Sie?!“, kreischte sie mich erschrocken an. „Hilfe, Polizei!!“

„Shit.“

Ich ließ die Beine des Mannes fallen, wo sie waren, und griff wieder nach meinem Zauberstab. In der Hektik und nach dem Schreck verfehlte mein erster Schockzauber sie. Die Frau stürzte auf mich zu und rempelte mich zur Seite. Vermutlich wollte sie einen der Notschalter erreichen, den es in jedem Schmuckladen und in jeder Bankfiliale gab. Dann wäre ich geliefert. Ich zauberte noch mal Petrificus Totalus und erwischte sie zum Glück am Bein. Die Frau fiel hin und riss dabei eine kleine Stehvitrine zu Boden, die lauttönend zerbrach und ihren Inhalt auf den Boden ergoss.

„Scheiße!“

Ich schleppte auch die Frau wieder zurück und bugsierte die beiden in den Mitarbeiterbereich. Da hatte ich ja ein schönes Malheur angerichtet. Doch ich hatte keine Zeit, mir noch weiter Gedanken darüber zu machen. Ich musste den Laden schleunigst zusperren und soweit abdunkeln, damit es so wirkte, als wäre alles wie immer.

Ich durchsuchte die Frau und fand bei ihr einen Schlüsselbund. Damit konnte ich wenigstens das eine Schloss an der Innenseite zumachen. Wie man das Sicherheitsgitter herunter ließ, war mir schleierhaft. Ich hatte die Befürchtung, dass dies nur von außen möglich war, wie ich es schon häufiger im Fernsehen gesehen hatte.

Nachdem der Laden soweit abgesperrt aussah für die Außenwelt, versuchte ich, mich mit dem Interieur vertraut zu machen. Dies war mir jedoch nur aus dem hinteren Bereich des Geschäfts möglich, weil man mich sonst vorne vom Gehweg ausgesehen hätte. Es gab insgesamt drei Schautische, die in einem L angeordnet waren. Der obere Bereich war jeweils ein Glaskasten, der zahlreichen Schmuck enthielt. Die Vitrine, welche die Dame vorhin herunter gerissen hatte, lag noch in ihren Überresten auf dem Boden. Auch die Wände waren voll schmuckbesetzter Glasschaukästen.

„Was für ne dumme Idee ...“, murmelte ich.

Aber es half nichts. Sich jetzt darüber zu ärgern, den Laden an der Straße ausgewählt zu haben statt der CHRIST Filiale in dem Kaufhaus war müßig. Ich konnte nur darauf vertrauen, dass der Niffler erst hervorkommen würde, sobald nicht mehr so viele Leute auf der Straße unterwegs waren. Und ich hoffte, dass er vielleicht erst in dem Konsumtempel zuschlagen würde und danach die weiteren Läden stadteinwärts aufsuchte. Vielleicht hatte ich also Glück und müsste mich erst mitten in der Nacht austoben.

Das Mobiliar bot nicht viel Versteckmöglichkeit für mich. Die Tische waren durchweg ziemlich niedrig. Ich musste mich also hinter einem zusammenkauern, damit mich etwaige Fußgänger nicht erspähen konnten. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Die Mitarbeiter offen anzusprechen erschien mir jetzt als der klügere Weg, aber ich konnte nicht mehr aus. Und dumm, wie ich war, hatte ich die Umgebung des Juweliers zuvor nicht mehr geprüft. Ich wusste also nicht, ob es in der Nähe ein Polizeirevier gab. Ich konnte nur hoffen, dass die zuerst zu einem anderen Laden fuhren, den der Niffler ausgeraubt hatte.

„Mist! Mist, Mist, Mist!“

Ich grummelte noch mehrmals vor mich hin, als ich in den hinteren Bereich ging.

„Ich bin gerade dabei, Ihre Auslage zu retten, falls Sie sich wundern“, meinte ich zu den beiden.

Sie hatten sich bisher nicht gerührt. Wie auch? Petrificus Totalus lähmte das Opfer und nur der Gegenspruch erlöste sie. Den konnte ich nach getaner Arbeit jedoch nicht anwenden. Vielmehr musste ich umgehend das Ministerium kontaktieren, damit die den Saustall aufräumten, den ich hinterlassen würde. Apropos Saustall.

Ich begann, die hinteren Räume zu durchsuchen, und fand bald einen Handbesen und ein Kehrblech. Damit kehrte ich die Scherben von der Vitrine auf. Sorgsam sammelte ich die Schmuckstücke und Displays aus den Scherben und häufte alles auf einem Tisch in dem kleinen Büro auf. Die Glasscherben kippte ich in den nächsten Mülleimer.

Ich überprüfte mein Handy. Es war kurz nach neun Uhr. Jetzt begann also die Zeit des Wartens und des Lauerns für mich. Ich hoffte, dass sich der Niffler nicht allzu lange bitten ließ. Und verfluchte mich umgehend wieder für diesen Gedanken. Je später er kam, desto besser. Aber nach dem anstrengenden Tag und dem schweren McMenü in meinem Magen war ich ziemlich erschöpft.

Ich malte mir aus, wie meine Jagd verlaufen würde. Ich zweifelte nicht im mindesten daran, dass sie sich ebenso kompliziert gestalten würde, wie im ersten Film. Newt hatte sich mit Jacob angefreundet, und gemeinsam haben sie sich auf den Weg gemacht, die entkommenen Tierwesen einzufangen. Vermutlich würde es bei mir noch dramatischer ablaufen, aber das konnte ich jetzt nicht ändern.

Ich verkrümelte mich im Gang zwischen Verkaufsraum und Privaträume und überlegte, womit ich die Wartezeit überbrücken sollte. Seit drei Tagen war ich jetzt hier in Berlin und es fühlte sich bereits an wie mehrere Wochen. Ich schob es auf den anstrengenden Tag, den ich hinter mir hatte. Ich würde elendig ins Bett fallen und morgen erst einmal die Cafeteria und insbesondere die Kaffeemaschinen aufsuchen. Warum hatte ich mir tagsüber keinen gegönnt? Ach ja, meine eigene Knauserigkeit hielt mich davon ab, die noch vorhandenen Euros zu verschwenden.

Draußen wurde es langsam dunkel. Ich sah zu den beiden Mitarbeitern, die ich der Länge nach in dem einen Arbeitszimmer verstaut hatte. Sie konnten nur da liegen und auf den nächsten Tag und meine Kollegen vom Ministerium warten, die sie befreien und oblivieren würden. Ich vermutete, dass ich ob meiner unkonventionellen Methoden wieder einen Einlauf von Dr. Müller bekommen würde, aber das juckte mich momentan nicht. Wenn das Ministerium erst meine Akte verschluderte und dann auch noch nicht mal dazu in der Lage war, mir einen vernünftigen Crashkurs in Magie und Zauberei angedeihen zu lassen, konnten sie die Scherben, die ich hinterließ, auch selbst zusammenräumen.

Ich schob meinen Rucksack zurecht, ließ mich auf den Rücken sinken und starrte an die Decke. Ich hob meinen Zauberstab in mein Sichtfeld und betrachtete ihn neugierig. Ich war mir sicher, dass dieses Exemplar mal einem anderen Zauberer gehört hatte. Was hatte Jost gemeint? Asservatenkammer? Der Zauberstab war komplett schwarz und vorne an der Spitze gerade. Hinten am Griff war er leicht wellig. Ansonsten war er schmucklos. Aus welchem Holz er geschnitzt und mit welchem Kern er bestückt war, war mir schleierhaft. Vielleicht konnten die aus der Asservatenkammer mir mehr über das gute Stück erzählen. Schließlich mussten sie ja Dokumente darüber haben, woher er stammte. Welcher Zauberin er einmal gehört hatte, welchem Magier. Oder ob es ein Fundstück war. Wobei Asservatenkammern Beweisstücke aufbewahrten.

„Alles sehr merkwürdig“, murmelte ich.

Ich steckte den Stab wieder weg und rollte mich auf die Seite. Sollte ich mein Handy hervorziehen? Den ganzen Tag über hatte ich keine Nachrichten bekommen. Weder von Freunden, noch von der lieben Familie. Und von der Arbeit hörte ich auch nichts, nicht einmal einer der Kollegen hatte sich bisher gemeldet, was ich etwas schade fand, weil ich mich doch mit dem ein oder anderen recht gut verstand. Aber vermutlich hatten sie gerade selber mit meinem cholerischen Ex-Chef zu kämpfen. Vor Jahren hatte er die Kollegen nahezu wöchentlich in sein Zimmer zitiert und zusammen gebrüllt. Ich fragte mich bis heute, ob er sich davon tatsächlich bessere Arbeitsleistung versprach. Stattdessen waren die Leute immer frustrierter zur Arbeit gegangen. Mich eingeschlossen, weshalb ich mittlerweile doch etwas froh war, dass er mir gekündigt hatte.

„Scheiße“, brummte ich dann.

Ob ich mich trotzdem beim Arbeitsamt melden sollte? Das musste man ja machen, sobald man erfuhr, dass man arbeitslos wurde. Sonst wurden einem die Bezüge für mehrere Monate gestrichen. Ich beschloss, Dr. Müller diesbezüglich zu fragen. Vielleicht würde es auch gar nicht nötig sein, wenn ich am Ende des Monats Gehalt bekommen würde. Und momentan wohnte ich ja im Ministerium. Aber ich sollte vielleicht jemanden bitten, meinen Briefkasten auszuleeren. Vielleicht meinen Bruder.

„Scheiße!“

Wie sollte ich denn bitte erklären, dass ich jetzt in Berlin war? Oh man, noch etwas, was ich mit Dr. Müller besprechen musste. Meine Liste wurde immer länger und ich befürchtete, dass der morgige Tag genauso zeitintensiv werden würde, wie der heutige. Ich schloss erschöpft die Augen und versuchte, die Geräusche in mich aufzunehmen. Der Verkehr von draußen war mittlerweile weniger geworden. Ab und zu hörte man einen Motor von einem Poser aufheulen, das Lachen von Menschen auf dem Gehweg, Schritte, die vermutlich aus der Etage über dem Schmuckladen kamen. Nichts, was auf den ersten Moment verdächtigt wirkte.

Ich grummelte und öffnete die Augen. Gähnte herzhaft. Rieb mir dann die Augen und ruckte mit dem Kopf hoch. War ich etwa eingeschlafen? Ich kämpfte mich in eine sitzende Position und kramte mein Handy hervor. 01:30 Uhr stand da in leuchtenden Lettern. Ich war tatsächlich eingeschlafen.

„So ein Mist aber auch“, fluchte ich so leise wie möglich.

Ich schloss die Augen erneut und konzentrierte mich auf die Geräusche, die da vorherrschten. Ich glaubte, das Atmen der beiden Angestellten zu hören. Vorsichtig kroch ich zu ihnen hinüber. Sie hatten die Augen immer noch geöffnet und starrten gerade aus. Bei dem Mann konnte ich sehen, dass er versuchte, seine Pupillen auf mich zu richten, aber es gelang ihm nicht. Hoffentlich bewirkte Petrificus Totalus keine bleibenden Schäden, wenn er zu lange nicht aufgehoben wurde.

Dann klapperte etwas. Ich riss den Kopf herum und lauschte in der Dunkelheit. Die fünf Minuten, die ich auf das nächste Geräusch warten musste, fühlten sich wie Stunden an. Ich zog meinen Zauberstab hervor und schlich auf Zehenspitzen zu dem Durchgang zwischen Verkaufsraum und Privaträume. Dabei streifte mein rechter Fuß etwas auf dem Boden, meinen Rucksack! Ich hielt wieder still und lauschte.

Einige Augenblicke später klapperte es wieder im Verkaufsraum. Ich lugte um die Ecke. Tatsächlich. Da stand das Mistvieh auf einem der Tische, dessen Glas er zertrümmert hatte, und bediente sich an der Auslage. Diverse edelsteinbesetzte Ringe schob er sich gerade in den Wanst. Danach folgten mehrere Ohrringe, die er von den Schmuckdisplays holte. Ich fragte mich, wie viel sich das Biest schon einverleibt hatte. Äußerlich sah es so aus, wie vermutlich jeder ausgewachsener Niffler aussah. Komplett schwarz, Breitbandentenschnabel und Krallenpfoten, mit denen er gut graben konnte. Seine Aufmerksamkeit hatte er auf den Schmuck gerichtet.

Ich zückte meinen Zauberstab und zielte. In dem Moment riss der Niffler den Kopf herum, sah mich und sprang von dem Tisch.

„Petrificus Totalus!“

Mein Zauber ging daneben. Natürlich! Wer hätte auch ahnen können, dass der Niffler so wendig sein würde. Trotz vollgestopftem Bauch. Anstatt sich hinter den Tisch zu retten, kam das Biest direkt auf mich zu. Ich folgte ihm mit der Spitze meines Zauberstabs, sprach den Lähmzauber erneut und traf wieder nicht.

„Verflixt noch eins! HE!“

Der Niffler war mir auf meinen Fuß gesprungen und dann zwischen meine Beine hindurch. Anstatt mich umzudrehen, bückte ich mich nach vorne und sah durch meine Beine hindurch. Er wollte in die Privaträume. Ich nahm die Verfolgung auf, stolperte aber wieder über meinen Rucksack. Strauchelnd hetzte ich dem Niffler hinterher in das Büro, in dem auch die zwei Angestellten lagen. Der Niffler saß auf dem Schreibtisch und sah angriffslustig zu mir herüber. Ich näherte mich ihm vorsichtig. Vielleicht würde er sich nicht so flink bewegen, wenn ich mich ruhig verhielt und nicht mit meinem Zauberstab wedelte. Ich war auf einen halben Meter herangekommen, als er mir plötzlich auf den Kopf sprang und von dort auf den Boden zurück und in den Gang krabbelte, der wieder in den Verkaufsraum führte.

„HE!“

Ich fuhr herum und setzte ihm nach. Geistesgegenwärtig überwand ich die wenigen Meter zur Haustür. Der Dieb hatte sich scheinbar gerade davonmachen wollen. Er saß mitten auf dem Gang und sah zu mir hoch. Fast schien es, als sei er beleidigt.

„Durch die Wände kommst du wohl nicht, was?“, meinte ich triumphierend.

Ich richtete meinen Zauberstab wieder auf ihn.

„Petrificus Totalus“, sprach ich erneut, doch der Niffler sprang rechtzeitig aus dem Weg und um das Eck des letzten, noch nicht zerstörten Bedientisches.

„Ah!“

Ich rührte mich nicht. Stattdessen sah ich mir die verschiedenen Schmuckstücke an, linste einmal zu der Auslage im Schaufenster. Entschied mich dann aber anders und schlich zu dem zerstörten Tisch hinüber. Nach etwas Wühlen hatte ich einen wertvollen Anhänger mit einem Diamanten im Brillantschliff gefunden.

„Wollen doch mal sehen, wie dir das gefällt“, murmelte ich.

Mit dem Anhänger bewaffnet ging ich zum Eingang zurück und setzte mich davor hin. Es brauchte einige Versuche, ehe ich das Schmuckstück mit Wingardium Leviosa zum Schweben gebracht hatte. Wenigstens fiel es mir nicht herunter, wie das Kräuterbuch in meiner Bibliothek. Ich ließ den Anhänger etwa einen Meter entfernt von mir knapp über dem Boden schweben.

„Na komm, kleiner Niffler. Willst du das nicht haben?“, säuselte ich.

Er ließ sich ziemlich lange Zeit, aber schließlich kam der kleine Pelzgeselle doch hervor. Bei diesem Diamanten konnte schließlich auch niemand nein sagen. Ich hätte das Schmuckstück auch nicht verschmäht, selbst wenn ich nie Gelegenheit gehabt hätte, es zu tragen. 

Langsam kroch der Niffler näher, sah immer wieder misstrauisch zu mir. Gerade, als er in Greifnähe war, ließ ich das Schmuckstück etwas näher zu mir schweben. Ich traute mich nicht, ihm dabei direkt in die Augen zu sehen. Sein lautes Tapsen auf dem Boden verriet mir auch so, dass er darüber nicht erfreut war. Vorsichtig kroch er näher, blieb immer wieder stehen, um mich misstrauisch zu beäugen.

Aber das Schmuckstück übte einfach eine zu große Anziehungskraft auf ihn aus. Nach etwa zehn Minuten hatte ich ihn so nah, dass ich nach ihm hätte greifen könnten, wenn ich mich vorgebeugt hätte. Stattdessen zauberte ich. Dieses Mal traf mein Lähmzauber sein Ziel. Der Niffler erstarrte und plumpste zu Boden. Ebenso der Diamantanhänger. Doch ich hatte nur Augen für den pelzigen kleinen Gesellen. Schnell hatte ich meinen Zauberstab weggesteckt und den Niffler aufgehoben. Er atmete ganz angestrengt, gerade so, als wehrte er sich innerlich gegen die Verzauberung. Aber es half ihm nicht. Vorsichtig ging ich mit dem kleinen Kerlchen zu meinem Rucksack und stopfte ihn in die hintere Tasche, die auch ein Fach für einen Laptop enthielt. Ich hoffte, dass es groß genug war, und verschloss den Reißverschluss nicht ganz, sodass der Niffler atmen konnte. Danach schulterte ich ihn und trat in das Hinterzimmer.

„Hab den Dieb“, erklärte ich unumwunden. „Es wird bald jemand kommen und Sie erlösen.“

Ich schnappte mir die Schlüssel für die Eingangstür von der Dame und verließ den Laden. Um diese Zeit war nichts mehr los auf Berlins Straßen. Ob sich auf die Schnelle ein Taxi finden ließ? An einer U-Bahn-Station würde ich wohl am meisten Glück haben, deshalb zog ich mein Handy hervor.

„Halb drei ist es schon“, stellte ich verwundert fest.

Die nächste Station war zum Glück nicht weit. Ich wandte mich gen Norden, wo ich kurz danach schon das U-Bahn-Hinweisschild ausmachen konnte. Als ich an dem Abgang ankam, war jedoch weit und breit kein Taxi zu sehen. War ja klar. 

Ich zückte erneut mein Handy. Etwas weiter Richtung Innenstadt gab es angeblich einen Taxistand. Ich musste nur der Schlossstraße folgen, die hier jedoch zur Rheinstraße wurde. Ich lief noch mal eine viertel Stunde, wurde aber dieses Mal mit Glück belohnt. Ich machte den Taxifahrer über das Beifahrerfenster auf mich aufmerksam und stieg hinten ein.

„Zur Siegessäule bitte.“

„Was wollen Sie denn um diese Uhrzeit da?“

„Mich mit Freunden treffen“, log ich.

„Ah ja?“, fragte der Fahrer misstrauisch. „Können Sie die Fahrt auch bezahlen?“

„Ja, natürlich. Wie kommen Sie darauf?“

Er musterte mich einmal von oben nach unten.

„Was?“, fragte ich gereizt.

Unbewusst griff ich an die Stelle, an der ich meinen Zauberstab trug. Scheinbar glaubte der Mann, dass ich eine Kriminelle war. Ich holte meine Börse hervor und zeigte ihm einen 20 Euro Schein in der Hoffnung, dass ihn das besänftigen und zum Losfahren bewegen würde. Endlich startete der Mann den Wagen.

„Und zwar auf dem schnellsten Weg, wenn ich bitten darf“, sagte ich, als der Mann aus der Parkbucht fuhr. „Keine unnötigen Umwege über Nebenstraßen, die die Kosten in die Höhe treiben.“

Schlappe zehn Minuten später war ich am Ziel. Ich drückte dem Mann den 20-Euro-Schein in seine Hand in dem Wissen, dass er jetzt gerade mal 60 Cent Trinkgeld bekommen hatte. Er grummelte.

„Für Unfreundlichkeit bekommen Sie eben nicht mehr Trinkgeld“, meinte ich zu ihm und knallte die Tür zu.

Hinter seinem Wagen flitzte ich über den Kreisverkehr.

„Na toll.“

Ich zog meinen Zauberstab hervor und hielt ihn nah an meinem rechten Bein. Der Platz war von Nachtschwärmern bevölkert. Ich schätzte die Klientel auf Alkoholiker, Obdachlose und Drogensüchtige. Keine Leute, mit denen ich mich gerne herumschlagen wollte. Zumindest nicht mit den Suchtkranken und vor allem nicht um die Uhrzeit. Es musste mittlerweile nach drei Uhr morgens sein und ich schleppte mich zu einer weniger frequentierten Seite der Säule.

Ein Typ wollte mich gerade ansprechen, aber da war ich schon mit viel Widerstand in der Säule verschwunden.

„Man, warum war das so hart?“, wunderte ich mich.

Ich ließ mich vom Fahrstuhlwärter ins 5. Untergeschoss fahren und trottete mit meiner letzten Kraft zu Dr. Müllers Büro. Er war noch im Büro, lag quer über seinen Schreibtisch gebeugt und schnarchte.

„Na toll, und was mach ich jetzt?“, fragte ich mich.

Ich ließ den Alten schlafen, wo er war, schrieb ihm nur eine kurze Notiz und fuhr zur Lobby zurück. Dort schilderte ich dem dienstschiebenden Mitarbeiter das Chaos, was ich in der Schlossstraße hinterlassen hatte. Ich zeigte ihm den gelähmten Niffler, der immer noch schwer atmete. Der Mann nickte fasziniert und versprach, sofort ein Räumkommando von der magischen Müllabfuhr loszuschicken. Ich wunderte mich so gar nicht mehr über die Begrifflichkeiten, wünschte ihm eine gute Nacht und fuhr wieder nach unten.

Erschöpft, wie ich war, fiel ich ins Bett. Binnen Minuten war ich eingeschlafen, während der Niffler den Rest der Nacht keuchend und schnaufend in meinem Rucksack verbrachte.

Ein neuer Freund

Ich gähnte und starrte an die Decke. Mein Wecker hatte schon vor Stunden geklingelt. Um fünf Uhr morgens, wenn ich genau sein wollte. Weil ich gestern Abend zu müde war, ihn auf eine spätere Uhrzeit umzustellen.

‚Oder vor ein paar Stunden ...‘

Realistischerweise war ich ja erst um halb fünf Uhr morgens ins Bett gekommen. Und der Wecker hatte eine halbe Stunde später geklingelt. Ich hatte es schlicht nicht gehört. Jetzt war es 11 Uhr und ich fühlte mich immer noch schlapp. Ich hatte vielleicht sechs Stunden Schlaf bekommen, definitiv zu wenig, um den vorherigen Tag auszugleichen. Und ich verspürte wenig Lust, jetzt schon aufzustehen und mich wieder an die Arbeit zu machen.

‚Chronischer Fachkräftemangel oder nicht, wenn die Ministeriumsmitarbeiter alle solche Schichten haben, ist es kein Wunder, dass kaum jemand für arbeiten will‘, dachte ich.

Ich rollte mich herum, kuschelte mich in meine Bettdecke samt Wolldecke und schloss die Augen wieder. Inzwischen fiel es mir schwer, die Augen geschlossen zu halten. Ich wollte sie dringend noch etwas entspannen, aber ohne meine Schlafmaske fiel mir das nicht leicht.

Meine Schultern taten mir weh, was ich darauf schob, am Vortag die ganze Zeit den Rucksack geschultert zu haben. Wenigstens hatte ich ein Einzelzimmer, der wahre Luxus, wenn ich so darüber nachdachte. 

Ich hatte es bisher nicht einmal fertig gebracht, mich nach dem Rucksack zu bücken, der neben meinem Bett lag und in dem der Niffler immer noch schwer atmete. 

Ich riss die Augen auf. Den kleinen Kerl hatte ich vollkommen vergessen. Ich kletterte aus meinem Bett und humpelte zum Lichtschalter. Danach ging ich zum Bett zurück.

„Wehe, du hast mir in den Rucksack gemacht ...“, drohte ich.

Ich griff nach dem Rucksack. Der Niffler saß immer noch so drin, wie ich ihn reingestopft hatte. Ihm fiel es irgendwie bedeutend leichter, seine Pupillen auf mich zu richten und ich vermutete, es lag daran, dass er ein magisches Tierwesen war.

Ich holte den kleinen Kerl aus dem Rucksack und wendete ihn in meinen Händen. Er war steif wie ein Stück Holz. Zum Test nahm ich ihn an seinen Hinterläufer, hielt ihn kopfüber und schüttelte ihn, aber nichts geschah. War wohl doch besser, wenn ich mit ihm zu Dr. Müller ging und er den Zauber aufhob.

„Aber erst Mittagessen“, entschied ich.

Ich holte neue, frische Klamotten aus meinem Schrank und zog sie an. Die Wäsche vom Vortag, in der ich auch geschlafen hatte, häufte ich auch mein Bett. Den Niffler schob ich in meinen Rucksack zurück und schulterte ihn. Sicher war sicher. Danach griff ich nach meinem Zauberstab, der auf dem Tisch lag.

„Huh?“

Ich fischte einen gefalteten Zettel von der Tischplatte.

„Kommen Sie bitte umgehend zu mir“, stand dort.

Unterzeichnet war die Nachricht von Dr. Müller.

„Ja. Aber erst Essen“, meinte ich.

Ich steckte Zauberstab und Zettel ein, verließ mein Zimmer und fuhr ins zweite Untergeschoss hoch. Die Kantine war um diese Zeit brechend voll. Ergeben stellte ich mich in eine der Schlangen bei den Tabletts.

„Huh? Unterbesetzt ist ja mal eine maßlose Übertreibung.“

Ich wunderte mich, woher auf einmal die ganzen Ministeriumsmitarbeiter herkamen, aber verscheuchte den Gedanken auf später. Ich gönnte mir eine echte Berliner Currywurst nebst Fritten und Limo. Frustnahrung sozusagen, irgendwie schade, dass ich das Frühstück verpasst hatte. Ich quetschte mich an einen freien Platz mitten unter den Tischen und verputzte mein Mittagessen. Die Soße war schärfer als erwartet, aber ich mochte scharf und haute ordentlich rein.

Die Geräuschkulisse um mich herum war zu groß, als dass ich mich auf eines der Gespräche neben mir hätte konzentrieren können. Ich hatte den Eindruck, dass es weniger um die Arbeit der anderen Ministeriumsmitarbeiter ging, sondern mehr um Privates. Welcher Zauberer seiner Gattin mit welcher Ministeriumshexe fremdgegangen war, interessierte mich nun wirklich nicht.

Schließlich brachte ich mein Tablett zurück und fuhr in meine Abteilung. Dr. Müller saß an seinem Platz, als ich in sein Büro kam. Sein Jobberknoll sprang auf seinem Schreibtisch herum und spielte mit einem kurzen Bleistift.

„Mahlzeit“, begrüßte ich ihn.

„Moin Frau Schuster. Ich hatte Sie ja schon eher erwartet.“

„Sir, ich war am frühen Morgen bei Ihnen, aber da haben Sie auf Ihrem Schreibtisch gelegen und geschlafen“, erklärte ich schüchtern. „Und ich hatte auch einen langen Tag hinter mir, wenn ich ehrlich sein darf.“

„Ja ja, hab schon gehört, was Sie alles angestellt haben. Und dass Sie erfolgreich waren. Wo ist der kleine Kerl jetzt?“

Ich setzte meinen Rucksack auf einem der Besucherstühle ab und holte den Niffler hervor.

„Tada!“, meinte ich triumphierend.

Ich reichte ihn über den Tisch hinweg zu Dr. Müller, der den Niffler fasziniert entgegennahm. Er betrachtete ihn von allen Seiten, während das Tier weiterhin schwer schnaufte.

„Nun gut, dass wir ihn haben. So ein kleiner Dieb hätte noch bei weitem mehr Chaos stiften können“, meinte Dr. Müller und legte den Niffler dann vor sich auf den Tisch.

Ich nickte selbstbewusst.

„Aber ich muss Sie wegen Ihrer ...“

„Unkonventionell?“, schlug ich vor.

„Ja ... wegen Ihrer unkonventionellen Methoden rügen. Oben war man über das Chaos, das Sie angerichtet haben, nicht besonders begeistert.“

War ja klar. Da brachte man erfolgreich einen Dieb zur Strecke, noch dazu einen, der nicht gerade einfach zu fangen gewesen war, und dann wurde man dafür noch angekekst. Ich starrte Dr. Müller einen kurzen Augenblick durchdringend an, nahm meinen Rucksack vom Stuhl und setzte mich.

„Wieso haben Sie die Angestellten nicht obliviert, als Sie die Gelegenheit dazu hatten?“, fragte er.

„Weil ich diesen Zauber nicht beherrsche, Dr. Müller. Ich bin schon froh, den kleinen Ganoven mit Petrificus Totalus erwischt zu haben. Für eine unausgebildete Hexe wie mich ist das alles andere als leicht“, gab ich zurück. „Das können Sie Ihren Leuten da oben ruhig auch mal unter die Nase reiben.“

Dr. Müller seufzte und sank in seinem Stuhl zusammen.

„Sie haben ja Recht. Ach, es ist wirklich ärgerlich, dass wir Ihre Akte damals verschlampt haben.“

Ich legte den Kopf schief.

„Na ja, wäre ich damals nach Arenberg gegangen, würde ich jetzt vielleicht einer anderen Berufung nachgehen. Aber Sie können nicht von mir erwarten, perfekte Leistungen abzuliefern. So unausgebildet, wie ich leider bin. Ich bin schon froh, dass ich niemanden ernsthaft verletzt habe, wenn man von dem Sturz der Dame einmal absieht.“

„Na schön, ich schau mal, was sich da machen lässt. Was hatten Sie für heute geplant?“

„Öh, bisher nichts, wenn ich ehrlich sein soll. Ich versuche morgens immer, mittels der Bücher etwas zu lernen, aber da ich zwei anstrengende Tage hinter mir habe, brauchte ich heute einfach den Schlaf. Und ich muss noch einige private Dinge klären.“

Dr. Müller richtete sich wieder in seinem Sitz auf.

„Private Dinge? Was für private Dinge, wenn ich fragen darf?“

Ich druckste etwas auf meinem Stuhl herum.

„Na ja, ich habe kurzfristig Familie und Freunde zurückgelassen. Die werden sich vielleicht fragen, warum ich nicht mehr zu Hause bin. Oder sich bei mir auf dem Handy melden. Und ich bin ja arbeitslos, also wissen Sie ...“

Er legte den Kopf schief.

„Nee, woher auch“, murmelte ich.

„Sie müssen schon lauter sprechen, wenn ich Ihnen helfen soll.“

„Also in der MaKa-Welt muss man sich eigentlich arbeitslos melden, sobald man seinen Job verliert. Ich weiß nicht, ob ich das machen soll oder nicht.“

„Äh, damit kenne ich mich leider nicht aus. Sie bekommen am Ende des Monats Gehalt vom Ministerium und arbeiten für uns. Warum sollten Sie sich da dann in der MaKa-Welt arbeitslos melden?“

„Hm, stimmt auch wieder, da hab ich nicht drüber nachgedacht. Ich dachte, es sei nur sinnvoll wegen meiner späteren Rentenbezüge und so ...“

„ Äh ... und was haben Sie noch auf dem Herzen?“

„Äh, ich hab zuhause auch einen Briefkasten. Wenn der nicht regelmäßig geleert wird, denkt vielleicht jemand, ich sei im Urlaub und bricht bei mir zu Hause ein.“

„Schon erledigt. Eine Eule bringt Ihre tägliche Post nach Berlin.“

„Äh, eine Eule?“

Dr. Müller nickte und verschränkte schmunzelnd die Arme vor seinem Bauch.

„Schafft die es denn in einem Tag von Berlin nach München und wieder zurück?“

„Nun, eine Eule braucht natürlich etwas länger, sie muss zwischendurch ja auch mal Pause machen und was fressen. Ihre Post kommt mit einigem zeitlichen Versatz an, aber das sollte nicht so schlimm sein.“

Ich sah ihn fasziniert an.

„Wie viele Eulen sind denn für solche Dienste im Einsatz?“, fragte ich neugierig.

„Kaum welche, wie Sie sich denken können. Sie sind ja sozusagen ein Sonderfall. Alle anderen Ministeriumsmitarbeiter haben ganz normale Wohnungen, an die auch die MaKa-Post gesendet wird.“

„Gut, dann wird das wohl so sein. Äh ... Dr. Müller, gibt es im Ministerium eine Möglichkeit, wo ich meine Wäsche waschen kann?“

„Tut mir leid, sowas bieten wir leider nicht. Wir sind ja kein Hotel. Ich fürchte, dafür werden Sie einen Waschsalon in der Stadt aufsuchen müssen. Fragen Sie einfach oben an der Rezeption nach, die können Ihnen da helfen. Drückt sonst noch wo der Schuh?“

Ich nickte leicht beschämt.

„Entschuldigen Sie, meine Ankunft hier war wirklich ungeplant. Ich weiß leider so gut wie nichts über die deutsche Zauberergesellschaft. Wie läuft das mit meinem Gehalt? Auf welchem Konto wird das bitte eingezahlt?“

„Auf Ihrem ganz normalen Konto.“

„Auf meinem ganz normalen Konto? Versteh ich nicht, meine Hausbank wird das doch nicht verstehen, wenn plötzlich eine Transaktion in einer ihr völlig unbekannten Währung ankommt.“

Dr. Müller legte amüsiert den Kopf schief.

„Ich kann mich nur noch mal dafür entschuldigen, dass wir Sie so mir nichts dir nichts entführt haben, wenn man es so sagen will. Anders als andere Zaubereigesellschaften nutzt die Deutsche den Euro als Währung. Der Absender des Geldes ist natürlich ein Pseudonym, damit wir keinen Verdacht erregen.“

„Äh, Euros? Versteh ich nicht.“

„Na ja, mit der von Theo Waigel und Konsorten angestoßenen Währungsreform dachten wir uns, dass das für uns auch ein guter Zeitpunkt wäre, unsere Magische Mark hinter uns zu lassen und neue Wege zu gehen.“

„Äh, aber warum denn gerade der Euro?“

„Eigentlich ist es ja nachvollziehbar. So laufen wir nicht Gefahr, aus Versehen eine andere Währung irgendwo liegen zu lassen, die nur die Magierschaft auf diesem Planeten kennt. Aber es war seinerzeit nicht einfach, die Sache durchzubekommen ...“

„Warum?“

Der Alte schüttelte vergnügt den Kopf.

„Na na, Frau Schuster, das muss mit der Geschichtsstunde jetzt erst einmal reichen. Lesen Sie bei Interesse einfach die entsprechenden Quellen in Ihrer Bibliothek.“

Ich schüttelte den Kopf, nickte dann.

„Also? Wo ist denn das ganze Diebesgut?“

„Steckt noch im Niffler“, erzählte ich. „Ich habe probiert, es aus ihm raus zu bekommen, aber ich glaube, solange er noch unter dem Petrificus Totalus steht, wird das nichts.“

„Haben Sie den Gegenspruch nicht gelernt?“, fragte Dr. Müller.

„Doch, natürlich. Aber ich hatte Angst, ihn freizulassen. Hernach entwischt er mir und das ganze Chaos war umsonst.“

„Ja, gut, das ist natürlich nachvollziehbar. Wollen Sie’s probieren? Dann pass ich auf, dass er nicht durch die Tür abhaut.“

Ohne meine Antwort abzuwarten, sprang Dr. Müller von seinem Platz auf und postierte sich mit seinem Zauberstab an der Hand in der Tür. Sein Jobberknoll flog zu ihm und setzte sich auf seine Schulter. Ich stand ebenfalls auf, holte meinen Zauberstab hervor und nahm den Niffler ins Visier.

„Denken Sie an die richtige Betonung ...“, flüsterte Dr. Müller.

Ich seufzte innerlich. Genau die hatte ich beim Aussprechen besonders geübt. Ob ich es richtig gemacht hatte und auch die Zauberstabbewegung beherrschte, würde sich jetzt zeigen. Ich räusperte mich einmal theatralisch und richtete meinen Zauberstab auf den Niffler.

„RennerVAte!“, sprach ich laut und deutlich.

Umgehend erschlaffte der kleine Körper. Der Niffler keuchte schwer und fing dann an, auf dem Bauch zu schwimmen. Ich trat an den Schreibtisch heran, legte meinen Zauberstab auf den Tisch und schnappte mir den kleinen Kerl.

„Zeit, die Beute herzugeben“, meinte ich.

Der Niffler warf mir einen verängstigten Blick zu, aber ich ließ mich davon nicht beeindrucken. Stattdessen stürzte ich ihn vorsichtig kopfüber und schüttelte ihn. Umgehend fielen zahlreiche Gegenstände aus seinem Bauch heraus.

„Das hätte ich nun nicht geglaubt!“, meinte Dr. Müller fasziniert.

Er war ebenfalls herangetreten und sah mir dabei zu, wie ich den Bauch des Nifflers sozusagen entleerte. Die verschiedensten Wertgegenstände ergossen sich dabei über seinen Arbeitsplatz. Der Jobberknoll schwirrte aufgeregt um uns herum.

Ich hatte den Niffler ganze fünf Minuten schütteln müssen, bis sein Bauch leer war. Jetzt hing er schlaff an meinen Händen und ich beschloss, ihn aus der Position zu retten. Vorsichtig griff ich ihn am Bauch und drehte ihn wieder aufrecht hin. Instinktiv kraulte ich ihn, als wär er eine Katze, aber er kratzte mich umgehend.

„Autsch! Du kleines Ungeheuer!“, schimpfte ich mit ihm.

Dr. Müller hatte sich derweil über die Wertgegenstände hergemacht. Hauptsächlich Münzen und verschiedene Schmuckstücke lagen auf seinem Schreibtisch und auf dem Boden davor verteilt. Mir fiel auf, dass keinerlei Perlenschmuck dabei war. Ob das am persönlichen Geschmack des Nifflers lag oder ob er sich das Material einfach nicht einverleiben konnte, wusste ich nicht. Müller fischte sogar einen goldenen Füllfederhalter aus dem Haufen. Ich grummelte.

„Stimmt was nicht?“, fragte mich der Alte.

„Nein. Der kleine Kerl hatte doch in der Nacht zuvor zwei Banken ausgeraubt und dort das ganze Münzgeld mitgehen lassen.“

Ich bückte mich nun ebenfalls zu Boden und strich durch ein Häufchen Geld.

„Ich seh hier nur Euro, Dollar und Pfund. Von den Rubel und den Yen, von der die eine Bankangestellte gesprochen hat, fehlt jede Spur.“

„Oh, das ist natürlich ärgerlich“, kommentierte Dr. Müller.

Ihn schien das weniger zu stören. Oder ihm war einfach nur nicht klar, worauf ich hinaus wollte.

„Das Biest muss die Beute von der Nacht davor in seinem Bau versteckt haben. Anders kann ich mir nicht erklären, warum wir hier für mehr als zehn Geschäfte doch vergleichsweise wenig Zeug liegen haben.“

„Äh, Frau Schuster, meinen Sie, es fehlt ein Teil?“

„Ich ... AUTSCH!“

Ich ließ den Niffler fallen. Das Biest hatte mich in meine Hand gebissen und machte sich jetzt aus dem Staub, ohne sich auch nur einmal nach dem ganzen Schmuck und dem Geld umzudrehen.

„Verdammt, schnappen Sie ihn!“, schrie ich, doch Dr. Müller war etwas schwer von Begriff.

Er schien noch gar nicht richtig realisiert zu haben, dass mir der Niffler entkommen war und sich anschickte, durch das Büro der Abteilung für magische Landwirtschaft zu krabbeln. Lahm kam er auf die Füße, während ich schon nach meinem Zauberstab griff und aus seinem Büro hetzte.

Das kleine Monster hüpfte unter den Schreibtischen hindurch und ich verlor es immer wieder aus den Augen. Dr. Müller brauchte etwas länger, um die Verfolgung aufzunehmen. Ich hechtete um einen Schreibtisch herum und warf einen Petrificus Totalus nach dem Niffler. Der Zauber schlug einen satten Meter neben dem Biest in den Boden ein. Aufgeschreckt schlug es einen Haken und krabbelte zur Wand hinüber.

„Scheiße!“

Ich hetzte hinterher und rempelte dabei einen Bürostuhl um. Blieb dann zwei Meter vor der Wand stehen. Fluchte saftig. Der Niffler war weg.

„Haben Sie ihn erwischt?“, fragte Dr. Müller hinter mir.

Ich schüttelte nur den Kopf. Ließ die Schultern hängen. Drehte mich zu dem Alten um.

„Oh, na ja, nehmen Sie es nicht so schwer. Sie werden den kleinen Kerl schon wieder einfangen.“

Ich musste hart kämpfen, um meine Tränen hinunter zu schlucken. Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein, oder? Aber andererseits war es auch nicht verwunderlich, dass er es jetzt mir aufbrummte, das Biest wieder zu suchen. Schließlich hatte ich es auch entkommen lassen. Ich hätte mir vorher denken können, dass es mich beißt oder kratzt und dann von der Hand springt. Scheiß Niffler, warum mussten das auch solche Biester sein?

„Na na na, kein Grund zum Heulen. Sie haben ihn doch schon mal gefangen, es wird Ihnen auch ein zweites Mal gelingen.“

„Wenn Sie das sagen ...“, meinte ich niedergeschlagen.

„Wie haben Sie es denn beim ersten Mal gemacht?“

Ich erzählte ihm die Geschichte.

„Ist doch gar nicht mal so schlecht. Immerhin haben wir hier ja genügend Zeug, womit Sie ihn ein zweites Mal so anlocken können.“

Dr. Müller führte mich in sein Büro zurück und wir sahen auf die Beute hinab.

„Glauben Sie wirklich, der Niffler ist dumm genug, noch einmal auf denselben Trick hereinzufallen?“, fragte ich.

„Wenn Sie’s nicht versuchen, werden Sie’s nicht wissen. Und überhaupt ist das dann auch eine gute Möglichkeit, sich mehr mit dem kleinen Gesellen zu befassen. Ihn zu studieren, seine Merkmale herauszufinden. Verhaltensweisen und so weiter.“

„Äh ... ich soll mich um ihn kümmern?“

„Aber ja! Wir können ihn ja nicht einfach so herumstreunen lassen, weder in Berlin, noch hier im Ministerium. Und Sie scheinen ein Händchen für ihn zu haben.“

‚Ja, ein Händchen, in das man gut reinbeißen kann‘, dachte ich.

„Äh, Dr. Müller. Versteh ich da vielleicht was falsch? Ich dachte, ich sollte ihn nur einfangen und abgeben. Und er wird dann in einer Auffangstation für magische Tierwesen oder so betreut.“

Dr. Müller grinste in einer Art und Weise, die mir Angst machte. Ich ahnte Schlimmes.

„Bisher verfügt das deutsche Zaubereiministerium noch nicht über eine solche Einrichtung. Aber wir hoffen, eine solche mit Ihrer Unterstützung aufbauen zu können.“

Ich schluckte. Musste mich dann an seinem Arbeitstisch abstützen und um das Möbel herum gehen, um den Weg zu einem der Gästesessel zu finden. Schwer ließ ich mich darauf fallen.

„Sie sehen nicht besonders gut aus“, merkte Dr. Müller an.

„Es ist ... also Dr. Müller, das ist alles ein bisschen viel auf einmal, wissen Sie? Ich bin jetzt ... den vierten Tag hier. Drei eigentlich, weil ich ja erst mitten in der Nacht angekommen bin. Und ich glaube, ich habe es schon oft genug gesagt, aber ich bin keine ausgebildete Hexe.“

„Na na! Natürlich werden Sie die Einrichtung nicht alleine betreuen. Ich werde das ganze beaufsichtigen, Sie werden unter meiner Anleitung arbeiten, soweit dies möglich ist. ... Oh, Sie sehen aber nicht gut aus ... Wollen Sie einen Schnaps zur Beruhigung?“

„Ja, wär‘ wohl das beste“, meinte ich lahm.

Dr. Müller ging zu einem Sekretär. Er öffnete das oberste Fach, und zum Vorschein kam eine Kristallkaraffe und dazu passende Gläser. Er schenkte sich selbst auch eines ein, schloss das Möbelstück wieder und drückte mir ein Glas in meine Hand. Ohne groß darüber nachzudenken, stürzte ich den Inhalt hinunter.

Und bekam einen fürchterlichen Hustenanfall. Ich hätte es mir dreimal überlegen sollen. Warum griff ich auch zum Alkohol, den ich sonst nie trank?

„Nehmen Sie’s nicht so wild. Eine Alkoholikerleber muss man sich auch erst erarbeiten.“

„Ich h-hoffe, dass ... es bei mir nicht so-weit kommt“, hustete ich ihm zu. „Gott, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“

„Gehen Sie systematisch vor. Wo würde sich der kleine Kerl am ehesten verkriechen?“

„Im Ministerium? Um diese Uhrzeit? Überall da, wo nicht allzu viele Leute unterwegs sind und es gute Versteckmöglichkeiten gibt. Oder eventuell einen Weg, um aus der Anlage hinaus zu kommen.“

Dr. Müller nickte und überlegte. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wo ich meine neuerliche Suche beginnen sollte. Ich hoffte nur, dass der kleine Scheißer nicht den Weg in das Trainingsgelände fand. Das völlig allein nach einem maulwurfartigen Wesen durchkämen zu müssen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Und dass er magisch veränderte Räumlichkeiten ohne Probleme betreten konnte, wusste ich ja von Newts Koffer.

‚Wieso nur hab ich nicht aufgepasst‘, ärgerte ich mich.

„Nun, vielleicht schauen Sie mal im Büro des Zaubereiministers vorbei. Der Minister ist dienstlich unterwegs, soweit ich weiß, aber sein Personal hilft Ihnen bestimmt weiter. Ansonsten gibt es im achten Untergeschoss jede Menge Möglichkeiten für so einen kleinen Kerl, sich zu verstecken. Oh, und wenn er nicht über den Hauptausgang versucht, rauszukommen, ist seine einzige Möglichkeit die Eulerei.“

„Also, Büro des Zaubereiministers, achtes Untergeschoss und Eulerei. Dann mache ich mich besser auf den Weg, sonst ist er über alle Berge“, erklärte ich und stand auf.

Aus dem Beutehaufen suchte ich mir ein besonders ansprechendes Stück und steckte es in meine Hosentasche.

„Was haben Sie damit vor?“, fragte Dr. Müller misstrauisch.

„Na den Niffler anlocken. Wenn er sich noch mal darauf einlässt, versteht sich.“

„Gut, aber bringen Sie das Stück wieder zurück, wenn Sie fertig sind. Wir sind verpflichtet, die geraubten Gegenstände so schnell wie möglich an die Geschädigten zurückzugeben.“

„Natürlich, Sir.“

Ich griff nach meinem Rucksack und verabschiedete mich von Dr. Müller.

‚Also, Zaubereiminister, achtes Untergeschoss und die Eulen‘, wiederholte ich noch mal im Geiste.

Das achte Untergeschoss kam mir vertraut vor, aber ich konnte mich nicht erinnern, in welchem Zusammenhang. Doch anstatt sofort zu beginnen, brachte ich zunächst meinen Rucksack zurück in mein Zimmer. Es hatte schließlich keinen Sinn, ihn im Ministerium die ganze Zeit mitzuschleppen. Ich beschloss, ihn am Abend einmal auszuräumen und zu schauen, was ich wirklich ständig bei mir haben wollte. Gewichte Schleppen durch unnötiges Gepäck auf den Schultern machte auch keinen Spaß.

Danach inspizierte ich die Anzeige an dem Aufzugsschacht. Der Zaubereiminister war ganz unten, die Eulerei ganz oben im Eingangsbereich und das achte Stockwerk verständlicherweise irgendwo dazwischen.

‚Ach stimmt ja, Zoll, Polizei und Justizwesen, da müsste Jost sitzen in der Etage.‘

Ich beschloss, mir als erstes einmal das Büro des Zaubereiministers anzuschauen. Irgendwie hatte ich so meine Zweifel, dass der Niffler in den tiefsten Keller krabbelt, um sich dort zu verstecken. Wie weit mochte die Anlage hinab reichen? Ging ich von großzügigen drei Metern pro Etage aus, ging es mindestens 30 Meter runter. Ich schätzte eher mehr, da vor allem der Eingangsbereich eine sehr hohe Decke hatte.

‚Und wie tief gräbt ein Maulwurf?‘

Darauf hatte ich keine Antwort, aber ich schätzte, dass es nicht sehr tief sein würde. Die Gänge wollten ja über die Maulwurfhügel auch noch belüftet werden und je tiefer sie waren, desto schwieriger war ein Austausch.

Ich drückte den Aufzugknopf.

„Andererseits haben Kobolde Niffler eingesetzt, um sie nach Schätzen graben zu lassen.“

Wenn die tief unter der Erde lagen, konnte es sein, dass die magischen Verwandten der Maulwürfe tiefer gruben. Der Aufzugwärter kam mit der Kabine angerauscht und ich betrat sie.

„Büro des Zaubereiministers, bitte.“

„Der Mann musterte mich von oben nach unten. 

„Haben Sie überhaupt die nötige Freigabe, um da runter zu fahren?“

„Ja, von Dr. Müller persönlich. Könnten Sie sich bitte beeilen?“, bat ich.

Die Fahrt nach unten dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Bei jedem zweiten Stockwerk mussten wir anhalten, damit jemand zu- oder aussteigen konnte. Vor allem beim achten Untergeschoss ging es geschäftig zu, aber da würde ich nachher noch ausreichend Gelegenheit bekommen, das Warum zu erfragen.

Endlich kamen wir im Keller an und ich schlüpfte aus der Aufzugskabine. Das Areal wirkte nahezu verlassen und seltsamerweise war es hier unten wesentlich kühler als oben. Ich hatte erwartet, dass die unteren Etagen entsprechend temperiert waren, hatte mich aber getäuscht.

Geschmackvolle Laternen an den Wänden sorgten für eine wohlige Atmosphäre. Es gab nur einen Gang, den ich nehmen konnte. Die Laternen wechselten sich mit Gemälden von Persönlichkeiten ab, die auf irgendeine Weise wichtig sein mussten. Ich vermutete, dass es die bisherigen Zaubereiminister waren, aber keiner von ihnen gab sich damit ab, sich mit mir zu befassen. Manche Gemälde enthielten nur einen leeren Stuhl, andere ein verwaistes Bücherregal. Wenn mal eine der Personen in ihrem Gemälde saß, schlief sie oder hatte mir sogar den Rücken zugewandt.

„Ganz anders als in Hogwarts“, murmelte ich.

„RUHE!“, brüllte mich einer der Gemäldeinsassen an.

Dabei hatte ich nicht einmal laut gesprochen. Erschrocken sah ich zu ihm hin und beeilte mich, weiterzugehen. Einige Flächen waren leer, obwohl danach noch mal ein paar Gemälde kamen.

‚Hm, vermutlich zur Zeit des Dritten Reichs?‘, überlegte ich.

Endlich kam ich in einem größeren Raum an, in dem von vier Arbeitstischen drei besetzt waren. Die Dame an dem mir nächsten Tisch sah auf.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie.

„Ja. Dr. Müller schickt mich“, erzählte ich. „Es ist ein magisches Tierwesen in unserer Abteilung entkommen. Haben Sie zufällig ein Tier gesehen, das aussieht, wie ein Maulwurf?“

Anstatt zu antworten, drehte sich die Dame zu ihren Kollegen um.

„Habt ihr einen Maulwurf gesehen?“, fragte sie sie barsch.

„Nee“, meinte der eine, ohne aufzusehen.

Die andere Person schüttelte nur den Kopf.

„Nee, nichts“, meinte die Dame dann wieder zu mir.

„Äh, sind Sie sicher? Das Tier kann sich problemlos durch metallische Materialien drücken. Vielleicht hat es sich im Zimmer des Ministers versteckt?“

„Äh ...“

„‘Tschuldigung, bin noch ziemlich neu in dem Beruf und kenne die Gepflogenheiten daher nicht.“

Auch sie musterte mich nun von oben nach unten.

„Sie können sich bestimmt vorstellen, dass das Büro des Ministers noch einmal besonders gesichert ist.“

„Äh, ja ... natürlich ...“

„Daher kann sich darin auch nichts verschanzen. Vor allem nicht, ohne dass es uns entgeht.“

Ich ließ die Schultern hängen. Das einzige, was mir übrig blieb, war, die anderen möglichen Orte aufzusuchen, die Dr. Müller vorgeschlagen hatte. Hier kam ich leider nicht weiter.

„Schönen Tag noch“, wünschte ich der Dame und verschwand wieder.

Der Aufzugswärter zog nur die Augenbrauen hoch, als er mich wieder abholte und ins achte Untergeschoss hochfuhr. In dieser Abteilung ging es zu wie in einem Taubenschlag. Die Angestellten wuselten wild durcheinander und ich ließ mich von ihnen in den Gang nach links treiben. Beinahe hätten sie mich an der Theke vorbeigeschoben, aber ich schaffte es noch rechtzeitig, mich heraus zu kämpfen.

„Lizzy?“

Ich zuckte zusammen und fuhr herum. Jost wurde in dem Menschenstrom vorbei gespült, strandete einige Meter weiter aber am Rand des Gangs. Ich schloss zu ihm auf.

„Sag mal, was ist eigentlich hier los?“, fragte ich ihn.

„Jemand hat sich einen Scherz erlaubt und einen Gegenstand, den wir kürzlich konfisziert haben, mit einem Illusionszauber versehen ...“

„Äh ...“

„Frag nicht. Jedenfalls wirkt es jetzt so, als befänden wir uns auf dem Weg ins Oly-Stadion zu einem Spiel zwischen Hertha und Union.“

Ich sah ihn zweifelnd an.

„Okay, das war jetzt vermutlich übertrieben. Aber so stelle ich mir zumindest ein Lokalderby vor.“

„Könnt ihr das nicht beheben?“

„Noch haben wir nicht rausbekommen, wie der Gegenstand funktioniert. Aber jetzt mal zu dir, was verschlägt dich hier her?“

Ich schilderte ihm mein Problem. Jost brach in schallendes Gelächter aus, woraufhin sich der Mitarbeiter am Anmeldetresen zu uns umdrehte.

„Das ist gar nicht witzig.“

„Doch.“

Eingeschnappt sah ich ihn an.

„Jedenfalls, ein Maulwurf wär mir aufgefallen. Oder einem Kollegen. Wir sind eine ziemlich aufmerksame Truppe, musst du wissen. Hast du sonst noch eine Idee, wo dein Niffler sein könnte?“

„Dr. Müller hat gemeint, er könnte noch in der Eulerei sein. Neben dem Haupteingang sei das wohl die einzige Möglichkeit für ihn, aus der Anlage zu kommen.“

„Gut. Warte hier kurz. Ich muss nur schnell was holen und dann schauen wir, ob wir ihn kriegen.“

„Äh, du willst mir helfen?“

„Natürlich. Du hast dich ja lange genug mit ihm herum geschlagen, da wird ein bisschen Hilfe wohl nicht schaden“, schmunzelte er.

Mein Gesicht hellte sich auf.

„Vielen Dank! Dafür hast du was bei mir gut!“, beteuerte ich.

„Nicht dafür. Solange ich hier rauskomme und mich nicht mehr mit der Illusion herumschlagen muss, ist mir alles Recht.“

Ich lachte, und Jost verschwand in den Untiefen der Zollabteilung. Als er wieder kam, hatte er eine Jacke angezogen.

„Bernd, bin mal kurz in der Eulerei, falls was ist!“, rief er dem Mann an der Theke zu.

„Drückst dich wohl mal wieder, was?“, gab dieser zurück.

Jost schob mich weiter und zum Aufzug zurück. Es war gar nicht so leicht, gegen den Strom der Illusionsmenschen anzukommen, doch schließlich schafften wir es. Dieses Mal brauchte der Aufzug etwas länger, bis er bei uns ankam. Ich schätzte, dass er sogar einmal auf dem Weg nach unten an uns vorbei fuhr.

„Könnt ihr nicht einfach den Zauberer fragen, dem ihr das Gerät abgenommen hat, wie man den Fluch abstellt?“

„Nein, leider nicht. Das Problem ist, dass wir es keinem Zauberer abgenommen haben, sondern einem MaKa.“

Ich zog überrascht eine Augenbraue hoch.

„Guck nicht so, auch das kommt vor. Der Gute hatte keine Ahnung, was er da in seinem Handgepäck mitschleppte.“

„Äh, was war es denn?“

„Ein mit Onyx besetztes Medaillon aus der Zeit der Hexenverfolgungen“, erklärte er. „Der MaKa gab an, dass er es im Zuge eines Bazars im mittleren Osten erworben habe.“

„Äh ...“

„Wir haben es ihm mit der Begründung abgenommen, dass es sich dabei um Diebesgut handelte.“

„Oh, Diebesgut. Damit hab ich mich in letzter Zeit auch viel rumgeschlagen“, meinte ich lapidar.

Endlich kam der Aufzug an und wir fuhren nach oben. Diesmal unterließ der Wärter jegliche Reaktion auf meine Person. Ich vermutete, dass es an Jost lag.

„Du musst mir mal zeigen, wie das mit dem Niffler funktioniert.“

„Vielleicht, falls wir ihn schnappen. Mich würde es nicht wundern, wenn er sich auf dem Weg nach draußen wieder irgendwas einverleibt hat.“

Wir traten aus der Aufzugskabine und standen in der großzügigen Lobby. Jost führte mich am Empfang vorbei zu einer steinernen Treppe.

„Wo führt die denn hin?“, fragte ich irritiert. Genau genommen befanden wir uns jetzt eine Etage unterhalb des Erdgeschosses. Eine Treppe nach oben bedeutete, dass wir gleich an der Oberfläche sein würden.

„Die Eulerei ist der einzige Ort, der sich über der Erdoberfläche befindet.“

„Mhm, magisch gesichert?“

„Natürlich. Sonst würde jeder die Eulen ein- und ausfliegen sehen.“

Ich folgte ihm die Stufen hinauf. Die Eulerei war größer, als ich sie mir vorgestellt hatte. Ähnlich wie jene in Hogwarts, hatte diese sehr viele Nischen, in denen die Tiere sitzen und schlafen konnten, doch waren gerade nur sehr wenige Vögel da. Manche inspizierten uns mit fast geschlossenen Augen. Plötzlich zuckten einige Tiere, als Jost lachte.

„Du solltest vielleicht eher den Boden erkunden“, meinte er vergnügt.

„Entschuldige, es ist nur ... Ich hab Eulen noch nie aus nächster Nähe gesehen.“

„Ach, vergiss sie besser gleich wieder. Eigentlich sind sie ziemlich lästig.“

„Lästig? Wen nennst du hier lästig?“, ereiferte ich mich.

„Ständig muss man ihren Dreck wegputzen, dann noch die Unmengen an Ratten und Mäusen, die sie fressen. Oder einfach so zum Spaß anschleppen und auf den Balkon legen.“

„Das trifft auf jede normale Hauskatze mit Freigang auch zu, das weißt du.“

„Ja, mag sein. Ich war einfach nur nie ein Haustiertyp. Also lass uns mal schauen.“

„Okay, wo können die Viecher denn rausfliegen?“

„Insgesamt haben sie drei Zugänge. Hier, da drüben und dort.“

Wir nahmen die drei Fenster in Augenschein. Doch anstatt dass ich mich auf den Boden direkt davor konzentrierte, schaute ich lieber hinaus. Mein Fenster zeigte auf die Straße des 17. Juni hinaus bis zum Brandenburger Tor. Auch heute regnete es und so wandte ich mich doch wieder ab.

Zwischen dem Vogeldreck konnte ich leider keine Spuren von einem Niffler ausmachen und so wandte ich mich dem zweiten Fenster zu.

„Nichts gefunden?“, fragte Jost hinter mir.

„Nee, leider nicht. Ich bezweifle ehrlich gesagt auch, dass er mitten durch die Häufchen krabbeln würde“, antwortete ich.

„Wer würde das schon freiwillig tun?“

Ich grummelte, weil mir langsam die Ideen ausgingen. Doch anstatt noch weiter darüber nachzudenken, was ich jetzt tun könnte, bekamen wir Gesellschaft. Ein Mitarbeiter des Ministeriums kam mit einer Eule auf dem Arm in die Eulerei. Jost schien ihn auch nicht zu kennen. Der Mann seinerseits erschrak sichtlich, als er uns sah.

„Huch?!“

Die Eule flatterte aufgescheucht von seinem Arm weg und durch eines der Fenster.

„Mist! So viel Pech auf einmal aber auch“, fluchte er dann.

„Entschuldigung. Was ist denn passiert?“

„Erst macht meine Frau mit mir Schluss ...“

Ich begann, verlegen zu lächeln.

„... dann erfahr ich, dass meine Geliebte schwanger ist ...“

Jost schob seine Mundwinkel nach oben.

„... und dann klaut mir so ein Maulwurf die goldene Taschenuhr meines Vaters, ein Erbstück!“, ereiferte er sich. „Und jetzt die Eule!“

Mir wurde zugleich heiß und kalt. Ich stürzte auf ihn zu und packte ihn bei den Schultern.

„He!“, beschwerte ich ihn.

„Wann wurde Ihnen die Uhr geklaut.“

„Hm, lassen Sie mich mal nachdenken“, fing er an.

„WANN?“, brüllte Jost.

Der Mann zuckte zusammen.

„Äh, vor sieben Minuten vielleicht. Ganz sicher bin ich mir nicht, Hildegard hatte gerade an meinem Kinn geknabbert, und ...“

„WO?“

„Auf dem Weg hier rauf. Was sind Sie eigentlich so unfreundlich ...“

Wir ließen ihn stehen, wo er war. Jost und ich rempelten unsanft zusammen, als wir beide gleichzeitig die Treppe nach unten nehmen wollten. Ich ließ ihm keuchend den Vortritt. Mit seinen langen Beinen würde er schneller unten ankommen, als ich. Doch es zeigte sich, dass wir wieder zu spät kamen.

„Mist. Dann sind wir zu früh in die Eulerei gekommen und haben ihn verscheucht“, überlegte ich.

Jost brummte nur. Dann hellte sich sein Gesicht auf.

„Hör zu, ich hab‘ eine Idee.“

Ich spitzte meine Ohren.

„Ich hab dir doch von unserer Asservatenkammer erzählt.“

Ich nickte.

„Da wo ich meinen Zauberstab her hab.“

„Ja. Also pass auf. Wir haben da natürlich nicht nur Zauberstäbe, sondern auch allerlei Wertvolles, was deinen Niffler vielleicht anzieht, wie Licht die Schmetterlinge.“

„Mücken“, murmelte ich.

„Huh?“

„Nichts. Also Asservatenkammer. Wo ist die?“

„Unten. Komm mit.“

Dieses Mal liefen wir zum Aufzug, aber er ließ wieder ewig auf sich warten. Wenn das so weiterging, würde uns der Niffler wohl doch wieder entwischen. Als die Kabine endlich kam, schob Jost die Türen sogar auf und wir zwängten uns rein.

„Na na na!“, schimpfte der Wärter.

„Wir sind grad mitten in Ermittlungen, also schnell ins Achte runter!“, fauchte Jost.

Der Mann drückte nur auf den entsprechenden Knopf und wir fuhren wieder hinab. An jedem Stockwerk, an dem wir notgedrungen hielten, drückte Jost dreisterweise auf den Knopf für das achte Untergeschoss und scheuchte die Leute weg. Der Aufzugswärter sah ihn wütend an. Letztendlich kamen wir an.

„Lassen Sie sich bloß nicht noch mal blicken heute“, fuhr uns der Mann an und verschwand wieder mit der Kabine.

Jost ignorierte ihn, packte mich am Oberarm und schleifte mich mit. Der Illusionszauber war immer noch aktiv und Jost hatte ziemlich zu kämpfen, uns durch den Schwall der Fakemenschen hindurch in den richtigen Gang zu bugsieren. 

Schließlich kamen wir bei der Asservatenkammer an. Der Bereich war durch ein metallenes Gitter komplett vom Rest der Abteilung getrennt. Es gab eine Tür in dem Gitter und ein Fenster, hinter dem ein Mitarbeiter saß.

„Da!“, raunte ich zu Jost.

Der Niffler schob sich gerade durch das Metallgitter hindurch. Der Mann, der hinter dem Gitter saß und seinen Dienst verrichtete, zuckte zusammen, als er mich hörte.

„Moin, Jost, was gibt‘s?“

„Siggi, ist dir nicht aufgefallen, dass jemand gerade unbefugt die Asservatenkammer betreten hat?“

Der Mann zuckte noch mal zusammen und fing an, sich umzusehen.

„Du verarschst mich doch!“

„Nein. Sperrst du bitte auf? Wir müssen den Dieb fangen, ehe er sich wieder aus dem Staub macht.“

Siggi betrachtete mich interessiert.

„Du weißt, dass ich nur Leute mit entsprechender Genehmigung reinlassen kann.“

„Ja, weiß ich. Lizzy wird hier draußen Schmiere stehen und wir suchen unseren kleinen Gast in der Kammer?“

„Wir? Wer ist wir?“, wollte Siggi wissen.

„Na, du und ich natürlich.“

„Was, ich auch? Wie kommst du auf die Idee, dass ich dir helfe?“

„Damit’s schneller geht“, meinte Jost. „Und weil du dann was bei mir gut hättest. Und ich nicht sagen müsste, dass während deiner Schicht jemand in die Kammer eingebrochen ist.“

Siggi brummte verstimmt, schloss aber artig die Tür auf. Jost trat hindurch und Siggi schloss die Tür wieder zu.

„Lizzy, du bewachst die Tür hier draußen. Wenn er sich durchschiebt, sollte es ja kein Problem für dich sein, ihn zu schnappen.“

Ich nickte.

„Gibt es keine anderen Möglichkeiten aus der Kammer hinaus?“

„Nein. Die Kammer ist zwar hermetisch mit dem Gitter versehen, aber durch das Beton sollte er nicht hindurch kommen, oder?“

„Nein, ich glaube nicht“, bestätigte ich.

„Gut, dann Weidmannsheil uns allen!“

Ich sah den beiden Männern zu, wie sie in der Kammer verschwanden. Eigentlich war ich ziemlich froh, dass ich keine Berechtigung hatte, sie zu betreten. Von meiner Position aus konnte ich sehen, dass hinter Siggis Sitzplatz zahlreiche Regale nach hinten führten. Und ich schätzte, dass es sich dabei nur um einen sehr kleinen Teil der Asservatenkammer handelte. Bestimmt gab es hier auch einen Bereich, der mit einem Raumausdehnungszauber vergrößert worden war.

Ich sah mich in dem kleinen Vorzimmer um, aber hier gab es nicht einmal eine Sitzecke. Grummelnd hockte ich mich im Schneidersitz auf den Boden und holte dann das Schmuckstück aus meiner Hosentasche, das ich aus Dr. Müllers Büro mitgenommen hatte. Es war ein mit Diamanten besetztes Armkettchen und ich schätzte seinen Wert auf mehrere tausend Euro. Sorgsam platzierte ich es vor mir auf dem Boden, nicht zu weit weg, damit ich es noch mit der Hand greifen konnte.

Dann zuckte ich zusammen. Aus den Tiefen der Asservatenkammer konnte ich ein Scheppern hören, gerade so, als hätten die Männer ein Regal umgestoßen.

„Vermutlich haben sie das auch.“

Ich konnte jemanden saftig fluchen hören und tippte, dass es Siggi war. Ich schaute noch eine Weile zu der Kammer, konnte von meiner Position aus aber nicht viel sehen. Die beiden entbrannten in ein kurzes Wortgefecht, dann blitzte etwas und es klirrte erneut. Einer von ihnen muss wohl gezaubert haben. Jegliches Freudengeschrei blieb aus.

‚Schön zu wissen, dass nicht nur meine Zauber daneben gehen‘, dachte ich mir.

Irgendwie bekam ich ein schlechtes Gewissen. Was, wenn der Niffler von einem herabstürzenden Gegenstand erschlagen worden war? So viel Ärger er mir bisher bereitet hatte, so wenig wollte ich auf der anderen Seite, dass er verletzt wurde.

Doch meine Sorge war unbegründet. Der kleine Dieb kam gerade wieder durch das Gitter gekrochen. Scheinbar hatten die Männer ihn doch soweit aufgeschreckt und ihn wieder zur Flucht bewegt. Als er mitten im Gitter hing, wurde er auf mich aufmerksam und verharrte reglos. Fing an, schwer zu schnaufen.

„Na? Hat’s Spaß gemacht?“, fragte ich ihn so beiläufig wie möglich.

Er beobachtete, wie ich mich langsam nach vorne beugte und das Diamantarmband nahm. Ließ es nicht mehr aus den Augen.

„Möchtest du das haben?“

Der Niffler schob sich nun vollends durch die Tür und reckte seine Nase nach oben, als würde er eine Witterung aufnehmen.

‚Interessant. Scheinbar scheint er seine Beute erschnüffeln zu können.‘

Aus irgendeinem Grund lärmte es wieder in der Asservatenkammer und der Niffler und ich zuckten beide zusammen. Erschrocken sah der Kleine hinter sich und beschloss, etwas Abstand zu dem Gitter zu gewinnen. Dann wurde er wieder auf mich aufmerksam und blieb sitzen, wo er war.

„Na komm“, lockte ich ihn mit dem Armkettchen.

In Schlangenlinien kam er einige winzig anmutende Nifflerschritte auf mich zu. Obwohl ich meinen Zauberstab nicht hervorgeholt hatte, schien er mir nicht über den Weg zu trauen. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Ich an seiner Stelle wäre auch vorsichtig gewesen. Er schnüffelte wieder, sah mich dann fast abschätzig an.

„Wenn du lieb bist, darfst du es vielleicht behalten“, meinte ich.

Der Niffler konnte schließlich nicht wissen, dass es eine glatte Lüge war. Aber irgendwas musste ich ihm schließlich bieten, damit er sich benahm. Vor allem, wenn ich mich in Zukunft eh um ihn kümmern sollte. Von den Fantastic Beasts Filmen wusste ich ja, dass zumindest Newts erwachsener Niffler eine Höhle mit allerlei Glitzergegenständen hatte, die er nach Lust und Laune sortieren konnte. Das war eines der ersten Dinge, um die ich mich kümmern musste.

‚Oder viel mehr Dr. Müller.‘

Der Niffler schnüffelte jetzt an dem Armkettchen, griff mit einer Pfote danach.

„Na?“

Ich zog es etwas zu mir her und der Kleine sah mich eingeschnappt an. Er wollte nicht mehr locker lassen, aber ich war leider viel zu stark für ihn, und so trottete er dem Armkettchen hinterher, als ich es näher zu mir zog. Schließlich musste er auf meinen Schoß hüpfen, wenn er es erreichen wollte. Ich ließ etwas locker. Umgehend begann der Niffler, sich seine Hälfte des Armkettchens in den Bauch zu schieben. Anscheinend hatte er vergessen, dass ich ihn schon mehr als einmal ans Leder gegangen war.

Ich gab noch etwas nach und es rummste wieder in der Asservatenkammer. Was Jost und Siggi so lange da drin trieben, war mir schleierhaft. Der Niffler seinerseits zuckte erschrocken zusammen und sah sich wieder um. Ich nutzte den Moment, ließ das Armkettchen los und griff sanft nach dem Kleinen. Er realisierte es erst, als ich ihn hochhob. Doch anstatt sich zu befreien, schob er das Diamantkettchen nun vollständig in sich hinein.

„Willst du jetzt brav sein?“, fragte ich ihn.

Ich nahm den Niffler wie eine Katze auf den Arm und kraulte ihn am Hinterkopf. Natürlich schnurrte er nicht. Andererseits machte er auch keine Anstalten, mich erneut zu beißen. Vorsichtig stand ich mit dem Kleinen auf und wir harrten der Dinge, die sich gerade in der Asservatenkammer abspielten. Ich wollte die beiden nicht einfach so da stehen und sich abmühen lassen, einen Niffler zu suchen, der längst nicht mehr in der Kammer war.

Die Männer schienen es mittlerweile auch begriffen zuhaben. Sie kamen beide wieder hervor, wobei Jost die Führung übernommen hatte. Seine große Statur würde ich mittlerweile überall wiedererkennen. Er hatte eine Beule auf der Stirn, die schnell größer wurde.

„Oh!“, meinte er.

Ich grinste ihm verschmitzt zu und drückte den Niffler leicht an mich. 

„Mit weniger Radau ist es einfacher, ihn zu fangen.“

„Das seh ich!“

Jost stemmte die Hände in seine Hüften und schüttelte grinsend den Kopf.

„Immerhin hast du ihn jetzt, pass auf, dass er nicht wieder entwischt.“

„Keine Sorge. Er scheint es mittlerweile selbst geschnallt zu haben.“

Siggi schob sich hinter Jost hervor.

„Ah, da ist ja der kleine Kerl. Sieht ja tatsächlich wie ein Maulwurf aus.“

„Was habt ihr da drinnen eigentlich getrieben? Es klang fast so, als hättet ihr euch duelliert.“

„Nee, das nicht. Jost meinte nur, einen Schatten gesehen zu haben und erschrak sich dabei so sehr, dass er gegen ein Regal gerempelt ist“, erzählte Siggi.

„Sei still!“, fauchte Jost ihn an.

Ich lachte nur.

„Was haben Sie jetzt mit dem Kleinen vor?“, fragte Siggi.

Er schloss die Gittertür auf und Jost verließ die Kammer wieder.

„Dr. Müller hat mir aufgetragen, ihn zu pflegen und zu studieren. Die Abteilung für magische Landwirtschaft will eine neue Einrichtung hochziehen, die sich um die Erforschung und Pflege von magischen Tierwesen kümmert.“

„Und Sie sollen das machen?“, fragte Siggi.

„Ja, sie soll das machen.“

Der Mann schüttelte nur den Kopf.

„Chronische Unterbesetzung“, murmelte er.

Ich trat an das Gitter heran, damit Siggi sich den Niffler etwas genauer anschauen konnte.

„Äh, darf ich Sie was fragen?“

Siggi setzte sich wieder auf seinen Platz.

„Nur zu, junge Dame. Was wollen Sie wissen?“

„Äh, verschiedene Dinge. Ich brauch für den Kleinen ein paar Glitzergegenstände für sein Zuhause. Sonst läuft er wieder weg, wenn er nichts zum Sortieren hat. Und ich brauche es natürlich für meine Forschung. Wenn ich also diesbezüglich etwas aus der Asservatenkammer benötige, brauche ich bestimmt eine Genehmigung, oder?“

„Ja. Müller ist Ihr Vorgesetzter?“

Ich nickte.

„Dann muss er sich eine Genehmigung bei meinem Chef holen und mit der können Sie dann zu mir kommen. Vorher darf ich Ihnen leider nichts aushändigen.“

Ich nickte erneut.

„Und Ihre zweite Frage?“

„Äh, ich glaub, die kann auch noch warten.“

Zu gern hätte ich Siggi nach der Herkunft meines Zauberstabs gefragt, wollte dies aber nicht vor Jost tun. Außerdem hatte der Niffler angefangen, auf meinem Arm zu zappeln.

„Gut, dann halt nicht“, meinte Siggi nur.

„Vielen Dank für Ihre Unterstützung“, bedankte ich mich bei dem Mann.

Er lachte.

„Nicht dafür. Es gehört schließlich zu den Pflichten der Ministeriumsmitarbeiter, abteilungsübergreifend zusammen zu arbeiten.“

„Weil wir chronisch unterbesetzt sind“, fügte ich hinzu.

„Ja, das auch. Sie können mich ja mal auf einen Kaffee einladen.“

Nach einigen Sekunden nickte ich. Jost seinerseits schüttelte den Kopf. Wir verabschiedeten uns von Siggi und Jost brachte mich zum Aufzug zurück. Seine Kollegen schienen den Illusionszauber mittlerweile aufgehoben zu haben.

„Dass du mir ja nichts mit Siggi anfängst.“

„Huh? Wie kommst du denn da drauf?“

„Nur so.“

„Er scheint ganz nett zu sein.“

Jost brummte.

„Siggi ist ... also ...“

Ich fuhr zu ihm herum.

„Wieso wirst du jetzt so rot?“, fragte ich ihn.

„Äh, nichts. Vergiss es.“

Ich legte den Kopf schief, aber Jost führte das Thema nicht weiter aus. 

„Ist er ein Vampir?“, riet ich.

„Himmel, nein!“

„Was denn dann?“

Er grummelte resigniert.

„Wirst du selbst noch früh genug herausfinden.“

Nun war es an mir, ihn anzugrummeln. Erst erwähnte er etwas, erzählte nur die Hälfte und ließ das Thema dann auf sich beruhen.

„Wart ihr Mal zusammen?“

Er fuhr zu mir herum und funkelte mich an. Mir entging nicht, wie er dabei puterrot anlief.

„Willst du das Thema wechseln“, schlug ich vor.

„Ja ... Was hast du jetzt mit dem Kleinen vor?“

„Ihn auf mein Zimmer bringen. Danach gehe ich am besten noch mal zu Müller. Schließlich muss ich das Diamantkettchen wieder zurückbringen, das er in seinem Bauch hat. Und die Taschenuhr von dem Mann aus der Eulerei.“

„Wie kriegt man die Dinge aus seinem Bauch?“, fragte Jost.

„Indem man ihn an den Hinterpfoten festhält und ihn kopfüber schüttelt.“

„Wie ein Kissen? Wie grausam.“

„Tja, so ist das Leben für kleine Niffler.“

Jost sah mich erwartungsvoll an.

„Ich werde das jetzt nicht vorführen, falls du darauf wartest.“

„Schade.“

Endlich kam der Aufzug an und er wurde zum Glück nicht mehr von dem Spießer von vorhin bedient. Eine junge Frau grüßte mich höflich, als ich in die Kabine trat.

„Vielen Dank noch mal, dass du mir geholfen hast. Ich glaube, ohne dich hätte ich den Kleinen nicht gefangen.“

„Kannst ja mal mit mir Essen gehen.“

Ich legte den Kopf schief und lächelte Jost an, während sich die Fahrstuhltüren wieder schlossen.

„Viertes Untergeschoss, bitte.“

Der Aufzug setzte sich in Bewegung. Mein Grinsen verging mir, sobald wir das achte Untergeschoss verlassen hatten. Was Jost mir wohl über Siggi hatte sagen wollen? Mir kam die Sache höchst merkwürdig vor und ich überlegte, was mit dem Mann aus der Asservatenkammer sein konnte, als dass er solch merkwürdigen Hinweise verdiente. Jost würde mir doch mitteilen, wenn etwas nicht stimmte, oder? Wenn Siggi gefährlich war.

‚Aber dann würde er bestimmt nicht für das Ministerium arbeiten, oder?‘

Ich grübelte immer noch vor mich hin, als ich endlich in mein Zimmer stolperte. Der Niffler sah sich in dem Zimmer um und ich hob ihn hoch, um ihm in seine Knopfaugen schauen zu können.

„Wenn du mir noch einmal abhaust, lass ich dich zu einer Handtasche verarbeiten“, drohte ich ihm.

Der Kleine begann wieder schwer zu schnaufen.

„Haben wir uns verstanden?“

Ich sah ihm noch einmal streng in seine Augen, seufzte und setzte ihn schließlich auf dem Boden ab. Er begann umgehend, etwas Abstand zu mir zu gewinnen, und machte sich daran, mein Zimmer in Augenschein zu nehmen. Es sollte ihm unmöglich sein, aus dem Zimmer zu entkommen, wenn ich die Tür nicht offen stehen ließ. Die Wände waren auch hier aus Beton und die Tür aus Holz. Nirgends Metall, durch das er sich durchschieben konnte.

Der Niffler krabbelte unters Bett, bliebt dort eine Weile und kam dann wieder hervor.

„Du kleines Schweinchen“, meinte ich zu ihm.

Er war über und über mit Wollmäusen und Flusen bedeckt. Ich sammelte den Kleinen vom Boden auf und strich über sein schwarzes Fell, um ihn von dem Dreck zu befreien. Dieses Mal schnüffelte der Niffler nach mir.

„Hmpf, du brauchst einen Namen“, überlegte ich. „Wie wär’s mit Rufus?“

Der Niffler ächzte. Ob es ein Laut der Zustimmung war oder er den Namen eher nicht so toll fand, wusste ich nicht. Ich nahm ihn wieder auf den Arm und kraulte ihn, doch er fing an, herumzuzappeln.

„Willst wohl wieder auf den Boden?“

Ich setzte Rufus wieder ab und er krabbelte zu dem Tisch hinüber. Flink wie ein Wiesel kletterte er auf den einzigen Stuhl, und von dort auf die Tischplatte selbst.

„Huch?“

Erst jetzt fiel mir auf, dass etwas auf dem Tisch lag. Rufus untersuchte es neugierig mit seinen Pfoten. Ich nahm ihm den Gegenstand weg, ehe er ihn sich einverleiben konnte. Eingeschnappt sah er zu mir hoch und betatschte mich dann an meinen Händen.

„Du bekommst es ja gleich wieder“, sagte ich ihm.

Rufus stand auf einem Zettel und ich zog das Stück Papier unter ihm hervor.

„Du kleiner Gauner“, meinte ich zu ihm.

Laut der Nachricht hielt ich ein Stück Beute von Rufus in der Hand, welches nicht zugeordnet werden konnte. Es handelte sich um einen roten Stein, der komplett oval geschliffen war. Ohne jegliche Facette. 

„Wo hast du das geklaut?“, fragte ich Rufus, aber natürlich gab er mir keine Antwort.

Ich schüttelte nur einmal den Kopf ob seiner Beharrlichkeit, an den Stein zu kommen. Schließlich packte ich das Juwel in meine Faust und setzte mich auf mein Bett. Rufus kletterte sofort vom Tisch herunter, kam ans Bett und kraxelte dort auf einem der Beine wieder hoch. Über die Bettdecke hinweg sprang er zu mir und an die Faust, die den Stein hielt.

„Willst du das haben?“

Ich ließ mich noch etwas bitten, ehe ich meine Hand wieder öffnete. Der Klunker war in Nullkommanichts in Rufus‘ Bauch verschwunden. Danach krabbelte er auf meinen Schoß und rollte sich dort zusammen.

„Bist ja doch ein bisschen wie eine Katze“, meinte ich und fing an, ihn zu streicheln.

Früh übt sich, ...

Die Notiz beinhaltete nicht, dass ich mich wieder bei Dr. Müller melden sollte und so ging ich davon aus, dass ich die Zeit erst einmal zur freien Verfügung hatte. Ich überlegte, was ich jetzt tun sollte. Rufus hatte sich auf meinem Schoß zusammengerollt und ich wollte ihn ungern wecken. Andererseits war der Tag auch noch nicht vorbei und ich hatte am Vormittag schon zu viel Zeit mit Müßiggang vertrödelt.

„Und du willst schließlich auch gehegt und gepflegt werden, na?“, meinte ich zu meinem Niffler.

Er hustete einmal zur Antwort. Zähneknirschend hob ich ihn hoch und bettete ihn dann auf meine Bettdecke. Irritiert sah er mich an, blieb aber artig liegen. Ich holte mein Handy und einige Münzen aus meiner Börse. Das Geld verbarg ich vor Rufus, so gut es ging. Mein Handy schob ich in meine Gesäßtasche und griff den Niffler an den Beinen. Umgehend begann er wieder, schwer zu atmen, hing dann an den Hinterläufen.

Dieses Mal dauerte es keine Minute, bis ich alles aus ihm geschüttelt hatte. Die Taschenuhr und das Diamantarmband nahm ich an mich. Den Rest, den er auf seiner Tour durch das Ministerium eingesammelt hatte, ließ ich ihm. Neben dem merkwürdigen Edelstein waren das einige Euromünzen, eine antik aussehende Sammlermünze, deren Material ich auf Silber schätzte, ein vergoldeter Füllfederhalter und ein einzelner Ohrring.

Schnell hatte Rufus sich wieder alles einverleibt und sah mich dann eingeschnappt an. Ich zog die Euromünzen aus meiner Hosentasche hervor und hielt sie ihm hin. Misstrauisch schnüffelte er an meiner Hand und sah dann zu mir hoch.

„Magst du die nicht haben?“

Ich hielt sie ihm noch näher hin. Vorsihtig nahm er die erste Euromünze an sich und schob sie in seinen Bauch. Ließ mich dabei keine Sekunde aus den Augen.

‚Du Liebes bisschen, da muss ich ja höllisch aufpassen‘, dachte ich.

Ich wartete, bis er die restlichen Münzen auch genommen hatte, und streichelte ihm dann wieder über den Rücken. Rufus gab ein Geräusch von sich, das ich als Grummeln einordnete. Dann kam mir eine Idee.

Ich ließ ihn auf meinem Bett sitzen und ging in das Bad hinüber. In meinen Zahnputzbecher ließ ich Wasser laufen, bis der Becher fast voll war. Damit ging ich zu Rufus zurück und hielt es ihm an der Bettkante hin. Neugierig grabbelte er näher, tauchte seinen Schnabel hinein und ließ dann wieder davon ab.

„Hm, hast wohl grad keinen Durst?“, fragte ich ihn.

Rufus sah zu mir hoch. Natürlich gab er mir keine Antwort.

„Okay, wird Zeit, dass wir die Sachen zurück bringen.“

Ich nahm Rufus wieder auf meinen Arm, verließ mit ihm mein Zimmer und wir machten uns auf den Weg zu Dr. Müller. Die Dame, die den Aufzug bediente, betrachtete mich wieder neugierig.

„Ist der neueste Ministeriumsmitarbeiter“, meinte ich zu ihr und deutete auf Rufus.

„Haha!“, lachte sie vergnügt.

Der kleine Rabauke und ich schlüpften aus der Kabine und schon standen wir wieder auf dem Gang des fünften Untergeschosses. Jennifer kam uns entgegen.

„Hallo“, begrüßte ich sie.

Sie blieb stehen.

„Hi. Was hast du denn da?“

„Meinen ersten Erfolg beim Ministerium. Der Kleine hat mich die letzten Tage ziemlich auf Trab gehalten.“

„Ah. Und was ist er?“

Irritiert sah ich auf Rufus hinab.

„Ein Niffler. Kennst du die nicht?“

Sie druckste etwas herum. 

„Doch, aber nur vom Hörensagen. Hab nie einen Lebendigen gesehen.“

„Äh ...“

Ich wollte nicht danach fragen, ob sie in ihrer Ausbildung zur Hexe noch nie einen Niffler gesehen hatte. Sollte Ilvermorny tatsächlich so zurückgeblieben sein und die Schülerinnen und Schüler nicht anhand von lebenden Tierwesen ausbilden? Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

„Darf ich ihn mal halten?“

„Äh ... na ja, mich hat er heute schon gekratzt und gebissen ...“

„Oh, dann lieber nicht!“

Verschmitzt sah ich sie an.

„Hast du schon Feierabend?“

„Nein. Muss noch ins Botanische Museum für eine Probe“, erzählte sie. „Wenn Feld sie rausrückt.“

„Oh, richte ... obwohl ... hmpf.“

„Hm?“

„Nichts, lass stecken.“

Ich wollte sie eigentlich darum bitten, Dr. Feld einen schönen Gruß von mir auszurichten. Aber dann war mir wieder eingefallen, wie er mich mit Petrificus Totalus gelähmt und eine viertel Stunde liegen gelassen hatte. Und der Niffler war ihm auch durch die Lappen gegangen. 

„Was machst du nach Feierabend?“, fragte ich sie.

„Hab heute Tennis-Training“

„Oh, du interessierst dich für Tennis?“

„Ja. Ich hab damit angefangen, bevor ... also vor ...“

Ich grinste sie verlegen an.

„Bevor du erfahren hast, dass du magisch begabt bist?“, schlug ich vor.

Jennifer nickte.

„Es ist ein Überbleibsel aus meiner NoMaj-Zeit ...“

Ich zog die Augenbrauen hoch.

„Hier heißen sie MaKas“, erklärte Jennifer.

„Oh, ach so. Nicht magisch Begabte sozusagen.“

Sie konnte schlecht ahnen, dass ich den Begriff NoMaj kannte.

„Wo nennt man MaKas denn NoMaj?“, fragte ich höflich.

„In den USA. In England heißen sie glaub ich Muggel ...“

Ich zog künstlich die Augenbrauen hoch.

„Ah! Seltsame Wortwahl.“

„Na ja, jedes Land hat da so seine eigenen Begriffe entwickelt. Brauchst du noch was?“

„Äh, nee. Entschuldige, dass ich dich aufgehalten hab. Viel Spaß beim Tennis.“

Jennifer lächelte mich kurz an, verabschiedete sich und ging. Ich sah ihr neugierig hinterher.

„Ob Serena Williams ihr Vorbild ist?“, überlegte ich. „Obwohl Jennifer ja eigentlich älter ist als Serena ...“

Gerne hätte ich mich etwas mehr mit mir ausgetauscht, aber ich wollte sie auch nicht von ihrer Arbeit abhalten. Freundschaften schließen war mir nie besonders einfach gefallen. Zwar hatte ich in meinem bisherigen Leben schon viele Leute kennen gelernt. Aber der Kontakt war nach einiger Zeit wieder abgeflaut und schließlich ganz erloschen. Ich seufzte.

„Na komm, lass uns gehen“, meinte ich dann zu Rufus.

Ich bemerkte nicht, wie der Niffler vorwurfsvoll zu mir hochsah. Schließlich fing er zu Zappeln an. Ich hatte Mühe, ihn festzuhalten.

„Benimm dich! Ich lass dich nicht noch einmal entkomm“, mahnte ich ihn.

Als wir in der Abteilung für magische Landwirtschaft ankamen, waren die Räumlichkeiten hell erleuchtet.

„Kann doch nicht sein, dass hier auf einmal der Bär steppt?“

Tatsächlich waren nur zwei der Tische besetzt. Rüdiger saß wieder an dem Platz an der Wand, wie schon am Vortag. Wieder schien ihm meine Anwesenheit am Allerwertesten vorbei zu gehen.

‚Dann halt nicht.‘

An einem Tisch in der Mitte des Büros saß Frau von Bülow. Vor ihr auf dem Tisch waren zwei Stapel Papier, säuberlich voneinander getrennt. Ich sah ihr eine Weile dabei zu, wie sie von dem höheren Stapel einige Papiere nahm, diese systematisch durchging, auf der jeweils letzten Seite etwas drauf kritzelte, und dann auf den noch wesentlich kleineren Stapel ablegte, bevor sie sich den nächsten Packen vornahm. Vermutlich würde sie mich genervt zusammenfahren und mir mitteilen, dass ich sie bei der Arbeit störte, also ließ ich sie weitermachen.

Ich stolperte in Dr. Müllers Büro, der an seinem Tisch saß und ein Buch las. Von seinem Jobberknoll war weit und breit nichts zu sehen. Der Alte hob den Kopf.

„Sitz!“, meinte ich zu Rufus, als ich ihn auf Müllers Schreibtisch absetzte.

Wenigstens blieb er auf dem Platz, trotzdem sah er sich auf dem Tisch um und hielt prüfend seine Nase nach oben, als würde er etwas wittern. Ich zog das Diamantarmband und die goldene Taschenuhr aus meiner Hosentasche und reichte es Dr. Müller über den Tisch hinweg. Rufus nahm sofort die Verfolgung der Gegenstände auf und landete schließlich mit seinem Schnabel an Müllers Bauch. Der Alte lachte amüsiert.

„Wusste ich doch, dass Sie ihn wieder kriegen.“

„Einfach war’s nicht. Ich hab’s nur mit abteilungsübergreifender Hilfe geschafft.“

„So, nun, ja ... Das freut mich zu hören.“

Ich nahm nun ebenfalls Platz. Rufus versuchte derweil, an die Wertgegenstände zu kommen, die ich Müller gegeben hatte. Und als der kleine Niffler begriff, dass da etwas an einem wertvollen Kettchen in der Westentasche von Müller hing, war es ganz aus. Verzweifelt versuchte er, am Bauch des Alten hoch zu krabbeln.

„Haben Sie noch was, was ich heute machen soll?“, fragte ich ihn.

„Nein, tut mir leid“, meinte Müller. „Am besten setzen Sie sich wieder an Ihre Ausbildung. Oder untersuchen den kleinen Kerl.“

Müller schob Rufus etwas von sich und der Kleine ließ von ihm ab. Langsam krabbelte er auf dem Schreibtisch herum und über das Buch hinweg, das Müller bis eben gelesen hatte.

„Auch deswegen bin ich noch mal hergekommen. Wir haben ihn vorhin in der Asservatenkammer zu fassen bekommen. Ich fürchte, wenn ich ihm nicht diversen Glitzertand anbiete, den er behalten darf, wird er früher oder später wieder stiften gehen.“

Müller zog eine Augenbraue hoch.

„Äh, ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.“

Rufus krabbelte zu mir und ich hielt ihm meine geöffnete Hand hin, aber als er merkte, dass ich nichts für ihn hatte, wandte er sich wieder ab.

„Also, ich hab Siggi von der Asservatenkammer gefragt, und der hat gemeint, dass er mir durchaus Sachen geben kann, die nicht mehr gebraucht würden und nur wegen der rechtlichen Absicherung noch verwahrt werden.“

Natürlich hatte Siggi mir das nicht so ausführlich erklärt, aber so war meiner Meinung nach die allgemeine Behandlung von Beweisgegenständen, deren Verfahren bis zur obersten Instanz abgeschlossen waren und bei denen dadurch Rechtssicherheit herrschte.

„Er meinte, Sie müssten bei seinem Chef eine Genehmigung beantragen, damit ich Schmuck und so Kram als Leihgabe aus der Asservatenkammer haben könnte“, schloss ich.

Dr. Müller beugte sich an seinem Platz vor und machte sich eine Notiz.

„Das muss ich erst beantragen. Leider kann ich Ihnen nicht sagen, bis wann ich die Genehmigung haben werde. Sonst noch was?“

„Äh, ja. Wie sieht es denn mit der restlichen Beute von dem Kleinen aus?“

Ich deutete auf Rufus.

„Da haben wir schon wen anders losgeschickt, um das Diebesgut zu bergen.“

„Äh ... wen anders? Wen denn, wenn ich fragen darf?“

„Jemanden von unserer Polizei natürlich. Schließlich handelt es sich um Diebesgut.“

„Äh, wissen Sie denn, wo er sein Lager hat?“

„Noch nicht genau, aber in Anbetracht der Orte, wo Ihr Niffler seinen Diebeszug von vorgestern beendet und den von gestern begonnen hatte, sind die ziemlich sicher, dass sie den Bau auf wenige Quadratmeter eingrenzen konnten.“

„Äh ...“

„Ich weiß, was Sie sagen wollen!“

„Tatsächlich?“

„Ja. Warum nicht Sie dabei sind. Dafür sind Sie in meiner Abteilung zu wichtig, als dass ich Sie in irgendwelchen Hinterhöfen buddeln lassen kann.“

‚Er meint wohl zu unerfahren‘, dachte ich.

Meine Mine verfinsterte leicht, aber ich schluckte meinen Frust hinunter, so gut es ging. Schließlich hatte er ja Recht. Die magische Polizei war bei weitem besser geeignet und vor allem auch ausgebildet darin, entsprechende Aufträge zu erfüllen. Bei mir würden vermutlich nur wieder jede Menge MaKas obliviert werden müssen.

„Vielleicht sollten Sie auch schon beginnen, sich einige Notizen zu dem kleinen Kerl zu machen. Das wäre dann Ihr erster wissenschaftlicher Beitrag zum Wohle der deutschen Zauberergemeinschaft.“

Ich nickte.

„Und Sie müssen natürlich einen Bericht schreiben.“

„Äh, einen Bericht?“

„Natürlich! Jetzt sagen Sie nicht, dass Sie das so überrascht ...“

„Äh ...“

„Waltraud!?“, rief Dr. Müller aus seinem Büro hinaus.

Wir konnten ein nicht sehr damenhaftes Fluchen hören, danach ein Stühlerücken. Schließlich erschien Frau von Bülow im Türrahmen.

„Gernot, du weißt, ich bin beschäftigt ... Hallo Schuster!“

Irritiert drehte ich mich zu ihr um und begrüßte sie höflich nickend.

‚Er nennt sie Waltraud, sie ihn Gernot ... Ob da was läuft?‘, überlegte ich.

„Was schauen Sie denn so?“

Ich zuckte zusammen und schüttelte schnell den Kopf.

„Besser, Sie passen gleich auf, ich erkläre es nicht zweimal“, meinte Frau von Bülow streng.

„Ich habe Waltraud gerade gebeten, Ihnen das mit dem Bericht zu zeigen. Das wäre das Einzige, was Sie heute noch für mich machen müssten. Ansonsten haben Sie ja wie gesagt Ihren Niffler zum Studieren. Und wegen der Genehmigung werde ich mich kümmern.“

„Vielen Dank. Und was ist morgen?“

„Morgen? Schuster, ich werde mich bei Ihnen melden, wenn wir wieder was Neues haben. Solange sollten Sie die Ihnen zur Verfügung stehende Zeit nutzen. Natürlich dürfen Sie auch die Stadt erkunden, aber ich muss darauf bestehen, dass Sie dabei entsprechend vorsichtig sind. Zaubern in aller Öffentlichkeit ist natürlich verboten.“

„Ich verstehe“, antwortete ich. „Ich werde wohl eh noch einige Sachen für den Niffler besorgen müssen.“

„Gut, das wär’s dann soweit. Guten Tag“.

„Wiedersehen.“

Frau von Bülow seufzte laut hörbar hinter mir. Ich beeilte mich und stand auf.

„Rufus, komm!“

Der Niffler war an den Tischrand gekrabbelt und sah jetzt zu mir. Aber natürlich dachte er nicht daran, herzukommen, und so sammelte ich ihn auf. Frau von Bülow schüttelte demonstrativ den Kopf, als ich ihr aus Müllers Büro hinaus folgte.

‚Was ist eigentlich ihr Problem?‘, fragte ich mich.

Sie führte mich zu einem Sideboard, auf dem zahlreiche Schütten mit Formularen standen. Sie griff in eine und förderte einen rosafarbenen Zettel zutage.

„Äh, die Berichte werden auf rosa Papier verfasst?“, hakte ich nach.

Frau von Bülow sah mich ausdruckslos an und ich folgte ihr wieder zu ihrem Schreibtisch.

„Also, beim Kopf sollte ja relativ selbsterklärend sein, was Sie bei den einzelnen Feldern einzutragen haben. Datum, Name, Abteilung, Vorgesetzter, Grund des Berichts und so weiter.“

Ich betrachtete den Zettel. Der Kopf umfasste fast die Hälfte der oberen Seite.

„Und wenn mein Bericht länger ist als der Platz unten, schreibe ich auf der Rückseite weiter?“

„Nein. Die Seiten werden automatisch länger, wenn Sie an den unteren Rand kommen.

„Äh ...“

„Sodass man sie am Ende vernünftig rollen kann, natürlich.“

„Äh, ich rolle die Seite am Ende?“

„Was haben Sie denn gedacht?“

„Aktenordner?“

„Nee, soweit sind wir noch nicht.“

Ich seufzte. Frau von Bülow hielt mir das Blatt hin.

„Und schreiben Sie bloß leserlich.“

„Natürlich!“, versicherte ich ihr schnell.

„Und jetzt ab mit Ihnen, ich hab noch zu tun.“

„Vielen Dank für Ihre Hilfe“, bedankte ich mich.

Ich fischte mir einen Stift von einem der Tische und verschwand eiligst. 

„Also als erstes der Bericht und dann noch ein paar Notizen zu dir, hm?“, meinte ich zu Rufus, als wir wieder in meinem Zimmer waren.

Ich setzte ihn auf den Boden und verschwand kurz im Bad. Als ich wieder kam, stand der Niffler auf seinen Hinterläufen an dem kleinen Schrank, der zu meiner Bibliothek führte, und kratzte an der Holztür. Scheinbar schien er zu spüren, dass sich dahinter etwas Magisches verbarg. Ich ging zu ihm und öffnete den Schrank vorsichtig, um ihn nicht zu stoßen. In Windeseile war er durch die Tür geschlüpft und begann nun, meine Minibibliothek in Augenschein zu nehmen.

Ich folgte ihm, setzte mich mit rosa Formular und Stift bewaffnet an meinen Schreibtisch und begann, den Bericht zu schreiben. Immer wieder hörte ich Rufus an der ein oder anderen Stelle kratzen, einmal schien es mir, als klettere er an dem Bücherregal hoch, doch ich versuchte, mich auf den Bericht zu konzentrieren. Als sich mein Schrieb dem unteren Rand näherte, verlängerte sich das Papier tatsächlich, wie Frau von Bülow gesagt hatte. Insgesamt wurde es fast einen halben Meter lang, ehe ich meine Unterschrift unter den Bericht setzte.

„Mist ...“

Beim noch mal Durchlesen fielen mir einige Fehler auf, aber natürlich hatte ich kein zweites Formular mitgenommen, um den Bericht noch mal neu zu schreiben. Ich grummelte, legte dann aber den Bericht zur Seite. Es hatte schließlich keinen Sinn, sich darüber zu ärgern und andere würden sicher auch nicht ganz fehlerfreie Texte abliefern.

Ich sah mich nach Rufus um. Der Niffler lag mit dem Bauch nach oben vorm Bücherregal und streckte alle Gliedmaßen von sich. Vorsichtig trat ich hinzu und bückte mich zu ihm. Sein Bauch hob und senkte sich leicht. 

„War ja auch ein anstrengender Tag für dich.“

Ich verzichtete darauf, ihn zu tätscheln, und sah mich stattdessen in meiner Bibliothek um.

„Stimmt ja, das Zauberspruchbuch ...“

Ich kletterte aus dem Schrank hinaus in mein Schlafzimmer und stieß mir die rechte Hüfte.

„Autsch!“

Auf dem Tisch in meinem Schlafzimmer lag immer noch das Zauberspruchbuch, das ich dort zum Trocknen hingelegt hatte. Ich nahm es zur Hand und prüfte es. Die einzelnen Seiten waren wellig geworden, wie feuchtes Papier es so an sich hatte, wenn es trocknete. Ansonsten waren sie in Ordnung, die Schrift nach wie vor stark und nicht verwischt. Der Ledereinband machte hingegen keinen so guten Eindruck. Er war zwar trocken, hatte aber einige Wasserflecken und fühlte sich nicht mehr so weich an, wie zuvor.

„Okay, ein zweites Mal darf mir das nicht passieren.“

Ich drückte das Buch an mich und stieg wieder in den Schrank. Rufus lag immer noch auf dem Boden und ich setzte mich zurück an den Tisch.

„Also wollen doch mal sehen. Obliviate für den Fall der Fälle und Lumos.“

Ich beschloss, es zunächst mit dem Lichtzauber zu probieren. Ob ich ihn richtig anwandte, würde ich sofort erkennen, wenn sich an meinem Zauberstab eine Leuchtkugel bildete. Bei Obliviate würde ich wieder auf ein geeignetes Subjekt warten müssen. Obwohl es mir als sinnvoller erschien, den Spruch nur in Anwesenheit einer erfahrenen Hexe oder Zauberers anzuwenden.

„Sonst oblivier ich jemanden falsch und der verliert sein ganzes Gedächtnis ...“

Ich beschloss, bei Gelegenheit jemanden um Rat danach zu bitten.

„Also Lumos, der sollte ja relativ weit vorne sein ...“

Ich blätterte durch mein Zaubereibuch und kam auf der entsprechenden Doppelseite an. Von den Filmen wusste ich, dass man den Lichtzauber auf verschiedene Varianten anwenden konnte. Eine kleine Leuchtkugel, die an der Zauberstabspitze verblieb. Oder eine schwebende Leuchtkugel, wie Frau von Bülow sie damals im Wald gezaubert hatte, um mir den Weg zu leuchten.

„Damals ...“

Eigentlich war es gerade einmal vier Tage her, dass sie mich kontaktiert und meine Welt so grundlegend verändert hatte. Und mir kam es bereits so vor, als hätte es sich vor Jahren zugetragen. Ich seufzte schwer. 

‚Wie es wohl meiner Familie geht? Meinen Freunden?‘

Ich musste mich am Riemen reißen und mich wieder auf den Buchinhalt vor mir konzentrieren. Auch wenn es mich brennend interessierte, was zuhause so los war, wollte ich doch nichts riskieren. Zumal ich ja eh zur Verschwiegenheit verpflichtet war, und wenn mein Vater spitz bekam, dass ich aus Gründen, die ich schlecht bis gar nicht erklären konnte, länger in Berlin verbleiben würde, würde er sich nur ins Auto setzen und her fahren. Ich brummte.

„Lumos kann durch verschiedene Zusätze verstärkt werden“, las ich. „Maxima, Solem, ... und Geschicklichkeit und Intention? Hm, hängt wohl mit der Solem-Geschichte zusammen.“

Ich schüttelte den Kopf. Lumos entpuppte sich gerade als komplizierter, als ich zunächst erwartet hatte. Daher beschloss ich, es zunächst mit der Standardvariante zu probieren.

„Mehr werde ich vermutlich eh erst mal nicht brauchen ...“

Ich griff an meinen Hosenbund. Grummelte. Natürlich hatte ich den Zauberstab mal wieder vergessen. Also stiefelte ich erneut in mein Schlafzimmer zurück und stieß mir beim Hinaustreten die linke Hand.

„Autsch! Das darf aber jetzt auch mal aufhören“, fluchte ich.

Jedes Mal, wenn ich aus dem Möbel hinaus trat, stieß ich mich irgendwo. Mittlerweile zierten einige blaue Flecken meinen Körper. Ich fischte meinen Zauberstab vom Tisch und machte mich wieder auf den Rückweg in meine kleine Bibliothek. 

Als ich dort ankam, hatte Rufus gerade meine Bankerlampe entdeckt. Interessiert spielte er mit der Kette zum Anmachen, die Lampe ging dabei immer wieder an und aus. Ich ließ ihn noch einen Moment damit spielen, ehe ich die Kette aus seinem Griff löste.

„Nicht kaputtma-AUTSCH! Du kleines Biest!!“

Rufus hatte mich wieder gekratzt und hoppelte nun wieder zur Lampe hin.

„Du Monster!“, schimpfte ich mit ihm.

Ich wollte ihm schon wieder damit drohen, ihn in eine Handtasche verarbeiten zu lassen, als er sich plötzlich zu mir umdrehte und auf den Rücken fallen ließ. Er rollte sich hin und her und streckte seinen Schnabel zu mir. Eingeschnappt setzte ich mich auf meinen Stuhl und versuchte, weiter zu arbeiten. Lumos gelang mir nicht recht. Mehr als ein paar helle Funken, die allenfalls in einem dunklen Raum spektakulär wirken würden, brachte ich nicht zustande.

Rufus rollte immer noch auf dem Rücken hin und her und fing an, zu quäken. Aufgeschmissen sah ich zu ihm. Ich konnte mir keinen Reim auf sein seltsames Verhalten machen, zumal die Bankerlampe nicht mehr von Interesse zu sein schien.

Dann grummelte mein Magen und ich hatte eine ungefähre Ahnung, was ihm fehlte.

„Hast du Hunger?“, fragte ich ihn.

Rufus hörte mit dem Rollen auf, machte sich stattdessen auf dem Rücken lang und sah mich an. Er antwortete nicht.

„Ach was, natürlich hast du Hunger!“, meinte ich nur. „Mir geht’s ja genauso. Na komm, wollen wir was zu Essen suchen?“

Als ich mich vom Stuhl erhob, sprang mein Niffler ebenfalls auf und kam zu mir. Ich nahm ihn auf meinen Arm, griff nach meinem Zauberstab, und stieg aus dem Schrank hinaus. Wie durch ein Wunder schaffte ich es dieses Mal, mich nirgends zu stoßen. Ich schloss das Möbel hinter mir, griff nach meinem Smartphone und sah auf das Display.

„Schon viertel nach fünf, ob wir da noch was in der Kantine kriegen?“

Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie lange die Kantine geöffnet hatte, schätzte aber, dass es nicht mehr lange sein würde. Ohne einen weiteren Gedanken an die Zaubersprüche zu verschwenden, machte ich mich mit Rufus auf den Weg ins zweite Untergeschoss. Tatsächlich war die Kantine noch geöffnet, das Angebot war nur sehr überschaubar.

„Ok, großes Resteessen heute.“

Ich nahm mir ein Tablett und trat an die Ausgabe. Der Mann hinter der Theke sah skeptisch dabei zu, wie ich Rufus auf der Ablage absetzte und der Niffler sich schnüffelnd auf den Weg machte.

„Sei schön brav und lauf nicht davon!“

Rufus ließ das Gemüse links liegen. Ich nahm mir dafür ein Schälchen von den Salzkartoffeln zur Sättigung. Mit Salzkartoffeln konnte man schließlich nie was verkehrt machen. Vor dem Fleisch blieb der Niffler hängen, sah auffordernd zu mir und wieder zu den Fleischscheiben hin. Ich seufzte. Eigentlich aß ich nie viel Fleisch. Ich war eher der Geflügel- und Fischmensch, aber Rufus war natürlich vor dem Rindfleisch sitzen geblieben. Ich deutete auf eine größere Scheibe und der Kantinenmitarbeiter legte sie mir auf einen Teller.

„Äh, bitte keine Soße ... ich glaub, die verträgt er nicht ...“

Vermutlich würde auch das Fleisch an sich viel zu stark gewürzt sein, als dass es gesund war für einen Niffler. Aber in Anbetracht meiner anderen Möglichkeiten schien es derzeit die einzige Lösung zu sein, dem Kleinen ein vernünftiges Abendbrot zu bieten. Rufus kletterte an meinem Arm hoch, als mir der Mann den Teller mit dem Fleisch reichte.

„Wir bedienen normalerweise keine Haustiere ...“, meinte er.

„Entschuldigung, ich werde dafür sorgen, dass es eine Ausnahme bleibt.“

Ich nahm mir noch eine Flasche Wasser und eine Flasche Cola und von der Salatbar ein komplett leeres Schälchen. Es musste schließlich nicht sein, dass ich mit einem Niffler vom selben Teller aß.

Die Kantine hatte außer mir nur noch zwei weitere Gäste und ich pflanzte mich möglichst weit weg von den beiden anderen an einen Tisch. Rufus kletterte auf die Tischplatte und wollte sich über das Fleisch hermachen, aber ich zog ihn auf meinen Schoß zurück.

„Benimm dich gefälligst“, raunte ich ihn an.

Er saß auf meinen Schoß, Pfoten an der Tischkante und sah mir dabei zu, wie ich die Hälfte des Fleischs in kleine Stückchen schnitt und in das leere Schälchen gab. Als ich das Schälchen auf dem Sitzplatz neben mir abstellte, gab es kein Halten mehr. Ich sah ihm kopfschüttelnd dabei zu, wie er von mir runter sprang und zu der Schale krabbelte. Neben mir machte sich ein Schmatzen breit, das ich sonst nur von Leuten ohne Manieren kannte.

Als ich den ersten Bissen Kartoffel im Mund hatte, merkte ich erst, wie ausgehungert ich selbst war. Und da hatte ich Rufus getadelt! Ich ließ mir mehr Zeit beim Essen, auch, weil das Fleisch ohne Soße kaum nach etwas schmeckte. Von der Schuhsohlenkonsistenz einmal abgesehen, aber was erwartete ich von Kantinenessen auch?

Das Schmatzen neben mir hörte auf und kurze Zeit später spürte ich Rufus wieder auf meinem Oberschenkel. Er sah wieder auf die Tischplatte.

„Bist du denn doch nicht satt?“, wunderte ich mich.

Den Rest Fleisch hatte ich mittlerweile selbst verdrückt und so schnitt ich von einer Kartoffel ein kleines Stückchen ab. Ich hielt es Rufus hin, aber er nieste nur einmal abwertend drauf.

„Na toll, du kleines Schweinchen!“

Ich packte das Stück Kartoffel zurück auf den Teller und aß den Rest der Knolle mit meinem Messer allein. Die vollgenieste Gabel wollte ich auch nicht mehr ablecken. Wenigstens machte Rufus keine Anstalten mehr, auf den Tisch zu klettern. Ich brummte zufrieden, als ich mir mit der Serviette den Mund abwischte und den Rest der Cola trank.

„Und nun?“, fragte ich den Kleinen. „Schlafen oder noch etwas Trainieren?“

Rufus ließ sich zurücksinken, und lehnte mit seinem Rücken an meinem Bauch.

„Also schlafen, oder wie darf ich das verstehen?“

Er linste nur zu mir hoch. Sogar ein Bäuerchen machte er. Niffler! Immer wieder faszinierend und süß. Ich hob ihn auf meine Schulter hoch und seine Pfoten krallten sich an mir fest. Wenigstens versuchte er dieses Mal nicht, mich zu kratzen, und so brachte ich unser Tablett zurück. 

Das Ministerium wirkte mittlerweile wie ausgestorben. Gerne hätte ich den Abend genutzt, mir Berlin anzuschauen. Andererseits musste ich mich auch dringend um meine Ausbildung kümmern und Berlin bei Nacht hatte ich schon gesehen. Ich entschloss mich dazu, heute Abend Lumos zu meistern und mit Obliviate zumindest anzufangen. Beides sollte ich in meinem Zimmer üben können und so würde ich Rufus auch im Auge behalten können.

Der Niffler hing quer über meine Schulter und hustete.

„Nanu, dass du mir keine Erkältung eingefangen hast.“

Ich nahm ihn auf den Arm, er döste scheinbar vor sich hin. Als wir wieder in meinem Zimmer ankamen, legte ich ihn an das Fußende meines Bettes auf die Decke. In Nullkommanichts war er eingeschlafen und atmete regelmäßig.

„So geht’s natürlich auch“, murmelte ich. „Ok, Zauberstab, Zauberstab. Und jetzt bitte mehr als nur ein paar leuchtende Funken.“

Ich löschte das Licht in meinem Zimmer, tastete mich vorsichtig zu meinem Bett und setzte mich drauf. Rufus atmete ruhig neben mir und ich begann, Lumos zu üben. Die ersten paar Male hatte ich wieder nur die sprühenden Funken, doch bei gelöschtem Licht sah das Ergebnis imposanter aus, als zuvor. 

Trotzdem verstand ich nicht, warum so ein stumpfer Lichtzauber so viel komplizierter zu sein schien, als zum Beispiel ein Lähmzauber. Letztendlich musste ich den Zauberstab ja nur senkrecht nach oben führen, während es bei anderen Sprüchen meist eine Kombination aus Strichen, Kreisen oder Spitzen war. Ob ich doch etwas an meiner Intention schrauben muste?

Bisher hatte ich Lumos geübt, um Lumos zu erlernen. Vielleicht musste ich den Zauber anwenden, um mit seiner Hilfe etwas anderes zu machen? Ich grummelte und sah zu der Stelle, an der ich meinen Niffler zum Schlafen gebettet hatte. Viel von ihm sehen konnte ich in der Finsternis natürlich nicht.

„Lumos“, meinte ich und zeigte mit meinem Zauberstab auf Rufus.

Der Kleine wurde hell erleuchtet. Als ich meinen Stab senkte, ging das Licht wieder aus. Ich versuchte es noch mal. Dieses Mal war sogar das ganze Zimmer taghell erleuchtet.

„Hmpf, also doch immer mit einer Absicht dahinter, wie?“

Mein Niffler brummte zur Antwort. Beim dritten Mal probierte ich, vom Bett in mein Bad zu kommen. Ich schaffte es ohne Unfälle bis zur Tür, ehe mein Lumos wieder erlosch. Den Türgriff fand ich auch so. Ich trat in das Bad, zauberte wieder und wollte den Stab dann leuchtend in meinem Zahnputzbecher abstellen. Sobald meine Finger keinen Kontakt mehr zu dem Holz hatten, ging das Licht wieder aus.

„War ja klar.“

Ich drückte auf den Lichtschalter und wusch mich. Dass Lumos nicht funktionierte, wenn ich meinen Zauberstab nicht in der Hand hielt, klang schlüssig. Weder in den Filmen noch in den Büchern hatte ich es bisher erlebt, dass eine magisch begabte Persönlichkeit Zauber wirken konnte, ohne ihren Zauberstab in der Hand zu halten. Voldemort nicht, Dumbledore nicht und ich bezweifelte, dass ein Grindelwald dazu fähig gewesen war. Und ich hatte das Gefühl, dass auch die Hogwarts-Gründer dazu nicht im Stande waren, aber andererseits wusste ich zu wenig über die Gründer-Ära.

Ich schlurfte in mein Schlafzimmer zurück und stieß mich dann an dem Tisch, der mitten im Raum stand.

„Verflixt noch eins!“

Ich musste wirklich besser aufpassen, wo ich meinen Zauberstab hinlegte. Ich fischte ihn von der Ablage unter dem Spiegel, auf den ich ihn vor dem Zahnputz hingelegt hatte und humpelte zu meinem Bett. Dort angekommen zog ich mich aus und schlüpfte vorsichtig unter die Bettdecke. Rufus brummte und rollte sich am Kopfende herum. Ich blieb still liegen und wartete, ob er sich weiter rührte. Eine Katze hätte sich jetzt vielleicht zu mir gesellt und ich hätte mit ihr schmusen können. Niffler waren da anscheinend anders. Ich glaubte, so etwas wie ein Schnarchen von dem Kleinen zu hören.

Ein kurzer Blick auf mein Handy verriet mir, dass es bereits nach 20 Uhr war. Heute sollte ich wohl doch ziemlich zeitig ins Bett kommen und irgendwie fühlte ich mich ja auch schlapp. Die sechs Stunden Schlaf von heute Morgen waren definitiv nicht genug und es jetzt nachzuholen, erschien mir am besten.

Trotzdem verfiel ich in Grübeleien, als ich sah, dass meine Eltern mehrmals bei mir angerufen hatten. Ich würde sie wohl am nächsten Tag mal zurückrufen müssen mit irgendeiner Ausrede, warum ich nicht nach Hause kommen könne.

Vom Bett aus übte ich Lumos noch eine Weile, doch das ständige Licht an und wieder aus ermüdete meine Augen. So legte ich meinen Zauberstab schließlich weg und war wenige Augenblicke später eingeschlafen. Obliviate hatte ich vollkommen vergessen.

... wer einmal ein anständiger Niffler-Halter sein will

Ich zuckte. Etwas war auf den Boden gefallen. So wach war ich schon, dass ich das problemlos registrierte. Ich konnte mir nur nicht erklären, was runter gefallen war. Nur, dass es weich war. Und dass es dabei ächzte.

Ich rieb mir mit meiner Hand über meine Augenlider. Fühlte mich noch viel zu müde, um schon aufzustehen. Aber der Lärm wollte auch irgendwie nicht aufhören. Ich angelte meinen Zauberstab vom Boden. Lumos klappte beim zweiten Versuch, und ich stellte fest, dass Rufus den Weg in meinen Kleiderschrank gefunden hatte.

„Du kleines Monster!“, schimpfte ich mit ihm.

Er hatte doch tatsächlich angefangen, meine Wäsche aus dem Schrank zu werfen. Ich quälte mich aus dem Bett und betätigte den Lichtschalter. Der Schrank war etwa zur Hälfte leer geräumt, ein Unterhemd hing gerade noch so an einem der Bretter innen fest.

„Du kleines Monster“, wiederholte ich und stapfte zu dem Schrank.

Rufus sah mich und schlüpfte mir durch die Hände, als ich ihn packen wollte. Ich ließ ihn zunächst krabbeln, sammelte meine Wäsche auf und stopfte sie in den Schrank.

„Hast dir wohl ne Kuhle bauen wollen, wie?“

Der Niffler war unter den Tisch gesprungen und linste mich jetzt an. Als ich fast bei ihm angekommen war, flitzte er unters Bett.

„Jetzt komm, ich hab keine Lust, dir hinterher zu laufen.“

Dummerweise hatte er alles Glitzernde, was sich in meinem Besitz befand, schon in seinem Bauch. Ich hätte wohl doch einige der Euros zurückbehalten sollen, aber ändern ließ es sich jetzt auch nicht mehr.

Am Bett angekommen flitzte er natürlich wieder weg, aber ich ließ mich stattdessen auf die Matratze fallen. Ein bisschen dösen war noch drin, wie ich bei einem kurzen Blick auf mein Smartphone feststellte. Ich hatte den Tag frei, was sollte ich also machen? Sicher war es das Beste, einen Tierbedarfsladen aufzusuchen und dort das ein oder andere für Rufus zu kaufen. Ein Katzenkorb vielleicht und Heimchen, falls die welche hatten.

Wie zur Bestätigung kratzte er an meinem Kleiderschrank. Scheinbar hatte es ihm doch nicht so recht gefallen, in meinem Bett zu schlafen. Erschrocken ließ ich mich von der Matratze fallen und krabbelte zu ihm hin. Er wich wieder etwas zurück.

„Hab ich dich heute Nacht etwa getreten, mein kleiner armer Rufus?“

Abschätzig betrachtete mich der Niffler einmal von oben nach unten. Natürlich gab er mir keine Antwort, aber sein Blick sprach Bände. Vielleicht hatte ich ihn sogar aus dem Bett gekickt, kein Wunder, dass er jetzt so einen Radau machte.

Ich schüttelte den Kopf, stand auf und öffnete meinen Kleiderschrank wieder. Am besten war es wohl, zu Duschen und dann Frühstücken zu gehen. Ich fühlte mich teigig und hatte es dringend nötig, mal wieder Wasser auf meiner Haut zu spüren. Gesagt getan. Ich ging ins Bad hinüber und stellte die Dusche an. An die antik aussehenden Armaturen hatte ich mich mittlerweile gewöhnt, nicht jedoch daran, dass ich einen Regler für Heißwasser hatte und einen für Kaltes. Ich brauchte wieder eine halbe Ewigkeit, vernünftig warmes Wasser einzustellen, doch schließlich prasselte es dampfend herab.

Ich stellte mich in die Wanne, zog den Duschvorhang zu, und ließ das Wasser die ersten fünf Minuten nur über meinen Körper herablaufen. Als ich mich umdrehte und nach der Seife greifen wollte, zuckte ich zusammen.

„RUFUS, DU SPANNER!“

Rufus hing am Rand der Wanne und schaute mir dabei zu, wie ich duschte. Zunächst versuchte ich, mich halbwegs zu bedecken, was aber ein Ding der Unmöglichkeit war. Er saß ausgerechnet an der Stelle, wo ich Seife und Shampoo platziert hatte.

„Kusch!“

Er dachte natürlich gar nicht daran, sich von mir verscheuchen zu lassen. Ich versuchte stattdessen, ihn so sanft wie möglich vom Wannenrand zu schieben. Zum Dank kratzte er mich einmal und sprang dann selbst auf die Fliesen zurück.

„Du kleines Ungeheuer!“

Ich blutete am Finger. Rufus saß auf den Fliesen und sah über den Wannenrand zu mir hoch, abschätzig, als würde er überlegen, was er als Nächstes mit mir anstellen wollte. Ich funkelte ihn wütend an, was ihn dazu veranlasste, zu verschwinden.

„Kleines Ungeheuer ...“, murmelte ich.

Ich hoffte nur, dass er nicht wieder einen Saustall in meinem Schlafzimmer anrichtete. Noch einmal wollte ich meine Wäsche nicht wieder aufräumen müssen. Dann kam mir eine Idee, aber das würde ich notgedrungen an ihm testen müssen.

„Und ihn dafür mitschleppen ...“

Andererseits war es töricht, den Niffler alleine in meinem Schlafzimmer zu lassen, während ich Berlin erkundete und die ein oder andere Besorgung machte. Ich wusch mich, während ich so dahin sinnierte. Als ich aus der Wanne trat, stieg mir ein seltsamer Geruch in meine Nase. Rufus hatte wohl irgendwo hingemacht. Ich seufzte innerlich. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen?

Ich zog mich an, wickelte meine feuchten Haare in einen Turban und ging ins Schlafzimmer zurück. Rufus war wenigstens so umsichtig gewesen, gut sichtbar ein Häufchen zu setzen. Komischerweise saß er direkt daneben, so, als wäre ihm bewusst, dass er sich nicht so toll verhalten hat.

„Also Katzenkorb, Katzenklo, Streu, Heimchen und die andere Sache.“

Ich beschloss, auch noch ein bisschen Katzenfeuchtfutter zu besorgen. Igel konnte man damit gut füttern und bei Maulwürfen und Nifflern sollte das schließlich auch klappen, oder nicht? Ich tätschelte ihm leicht über den Kopf, um ihm zu bedeuten, dass ich nicht böse war, und beeilte mich dann, das Malheur zu entfernen. Danach wusch ich mir noch mal die Hände, sammelte Handy, Zauberstab und Niffler ein und fuhr zur Kantine hoch.

Es war halb neun Uhr morgens und hier herrschte reger Betrieb. Genau genommen hatte ich die Kantine noch nie so voll erlebt und ich musste fast fünf Minuten warten, ehe ich zur Ausgabe kam. Rufus ließ ich dieses Mal auf meiner Schulter und er machte Anstalten, meinen Arm hinunter zu klettern, aber ich schob ihn immer wieder hoch.

„Benimm dich gefälligst!“, raunte ich ihm zu.

Ich packte ein paar Scheiben Wurst und ein Wiener Würstchen auf einen Teller, für Rufus, und sammelte mir dann selbst meine Sachen nebst Kaffee ein. Einen freien Platz für mich und Rufus zu finden, war nicht so leicht. Ich wollte ihn nicht auf den Boden setzen, aber die meisten Bänke waren gut besucht. Nur in der Mitte gab es noch genügend Platz und ich quetschte mich durch. Dabei registrierte ich, wie mir zahlreiche Augenpaare folgten.

„Ist hier noch frei?“, fragte ich eine Hexe am Tisch.

Sie nickte, ignorierte mich dann aber zum Glück. Den Teller für Rufus stellte ich auf die Bank neben mich und sofort kletterte er meinen Rücken hinab.

„Wohl bekomms!“, wünschte ich ihm und trank von meinem Kaffee.

Während ich aß, versuchte ich, so viele Eindrücke wie möglich aufzunehmen. In der Kantine herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, aber seltsamerweise blieb die Mitte relativ unbesetzt. Die allgemeine Aufmerksamkeit hatte sich wieder auf die Tabletts gerichtet, nur die uns nächsten Leute warfen hin und wieder einen neugierigen Blick auf meinen Niffler, der sich gerade über sein Frühstück hermachte.

„Schling nicht so“, mahnte ich ihn.

Natürlich hörte Rufus nicht auf mich. Wäre ja auch zu schön gewesen. Das Würstchen hatte er zur Hälfte verspeist, die Wurstscheiben waren ebenfalls alle angefressen.

„Wehe, du isst nicht auf!“

Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich im Restaurant oder in einer Kantine mein Teller nicht komplett leer zurückgab. Ich wandte mich wieder meinem eigenen Teller zu und schob die zweite Semmelhälfte mit Butter und Marmelade in meine Futterluke. Als ich mit dem Obstsalat anfing, plumpste etwas an meinen Oberschenkel. Ich sah hinab.

Rufus hatte sich gegen mich gelehnt. Sein Teller war komplett leer geleckt. Sein kurzes Stummelschwanz spitzte zwischen seinen Beinen hervor, gerade so, als hätte er sich auf eine Couch gefläzt.

„Braver Rufus!“, lobte ich.

Er machte keine Anstalten, herumzutoben, und so beendete ich mein Frühstück. Es blieb gleichbleibend geschäftig in der Kantine. Die Hexe, die noch bei uns gesessen hatte, war mittlerweile gegangen. Hier und dort konnte ich spitze Hüte aufragen sehen, manche hatten auch ganz andere Arten von Kopfbedeckungen. Einer hatte sogar ein ziemlich schlecht sitzendes Toupet und ich hätte fast meinen Kaffee gespuckt, als ich ihn erspähte. Zum Glück bemerkte mich niemand.

Ich sammelte alles wieder ein, brachte das Tablett zurück und fuhr mit Rufus in mein Zimmer zurück.

„Also, dann wollen wir dich mal reisefertig machen, ja?“

Er sah fragend vom Boden zu mir hoch. Ich grinste ihn nur einmal an und griff dann zu meinem Rucksack. Sofort krabbelte er unter das Bett.

„He! Komm da wieder raus.“

Rufus blieb, wo er war und sah zu mir, als ich unters Bett schaute. Ich konnte seine kleinen Knopfaugen sehen, die das Licht reflektierten. Er schnaufte schwer. Scheinbar hatte er noch ein Trauma von dem Augenblick, wo er gelähmt in meinem Rucksack war. Für eine halbe Nacht, weil ich ihn vergessen hatte.

„Oh je, das kann ja heiter werden.“

Ich ließ ihn erst einmal sitzen, wo er war und überlegte, wie ich den Rucksack so präparieren konnte, dass es für ihn möglichst angenehm war. In der Öffentlichkeit rumtragen war schließlich ausgeschlossen, aber ich wollte ihn auch nicht in meinem Zimmer einsperren, während ich in der Stadt zu tun hatte.

„Und ich sollte mir überlegen, wie ich am besten mit dir Gassi gehen kann, was?“, meinte ich.

Ich holte einen Pullover und ein Handtuch aus meinem Schrank und stopfte es ins hinterste Fach des Rucksacks. Hoffentlich fand Rufus darin so viel Platz, dass er sich komplett verstecken konnte. Aber er sollte auch den Schnabel raus stecken können. Der Niffler saß immer noch unter dem Bett und ich versuchte, ihn hervorzulocken.

„Na komm, wir wollen einen Ausflug machen.“

Rufus saß immer noch in der hintersten Ecke und glotzte mich an. Er war durch nichts zu bewegen, unter dem Bett hervorzukommen. Dummerweise hatte ich auch keinen Glitzertand zur Hand. Ich seufzte.

„Soll ich dich etwa doch wieder lähmen, damit ich dich da raus bekomme?“

Ich fischte nach meinem Zauberstab. Als Rufus den sah, hatte er ein Einsehen und kam vorsichtig näher. Ich zeigte ihm, wie ich das Fach in meinem Rucksack ausgepolstert hatte. Er steckte seinen Schnabel hinein und sah mich dann skeptisch an.

„Brauchst du noch ein Handtuch?“

Nach einigem Zögern kroch er doch in den Rucksack und drehte sich um. Vorsichtig stellte ich ihn auf und alles sackte nach unten. 

„Gut, wohl noch wenigstens ein Handtuch.“

Ich hob Rufus aus dem Rucksack und setzte ihn auf dem Bett ab. Danach holte ich noch ein kleines Handtuch und stopfte es in das Fach in der Hoffnung, dass er jetzt besser drin sitzen konnte. Auffordernd hielt ich dem Niffler den Rucksack hin. Dieses Mal krabbelte er schneller hinein und hatte auch weniger Mühe, oben heraus zu schauen. Probehalber versuchte ich, den Rucksack zuzumachen, aber Rufus begann sofort zu protestieren.

„So kann ich dich aber schlecht in Menschenmassen mitnehmen.“

Er hörte nicht auf, zu rebellieren, und so ließ ich ihm zunächst seinen Willen. Ich zog mich berlintauglich an, schob meinen Zauberstab in meinen Hosenbund und zog meine Jacke darüber. Danach schulterte ich den Rucksack. Rufus schnuffelte mir sofort durch die Haare.

Der Rucksack war noch schwerer als sonst. Unbewusst grummelte ich, das konnte ja heiter werden, wenn ich keine Alternative fand, Rufus mit mir mitzunehmen.

„Hmpf. Außer ich lass mir von wem meinen Rucksack so verzaubern, dass er wie Newts Koffer ist.“

Aber darauf hatte ich gerade wenig Lust. Wir fuhren in die Lobby hoch und ich ließ mir vom Empfang den Standort und die Zugangsweise vom KaDeZa erklären. Und tippte das ganze dann in eine Notiz auf mein Handy, als ich das Ministerium verlassen hatte. Der Weg dorthin war zwar einfach, aber der Zugang natürlich magisch gesichert.

Doch anstatt mich direkt auf den Weg zu machen, suchte ich den Fressnapf in Kreuzberg auf und tingelte mit einem Einkaufwagen hinein. Ich verirrte mich als Erstes in der Abteilung mit den Halsbändern, Geschirren und Leinen für kleinere Hunde.

„Kann ick Ihnen helfen?“, fragte auch gleich eine Mitarbeiterin, die sich unbemerkt angeschlichen hatte.

Ich zuckte zusammen. Hoffentlich hatte sie Rufus nicht gesehen.

„Ich schau mich erst mal nur um, vielen Dank.“

Sie zog wieder von dannen. Ich schluckte und sah mir dann mehrere von den Geschirren an. Ich versuchte abzuschätzen, ob eines davon groß genug für Rufus sein würde. Aus zweierlei Gründen traute ich mich nicht, ihn aus dem Rucksack zu holen und es zu testen. Einerseits wollte ich den Ladendetektiv nicht auf uns aufmerksam machen. Und andererseits sollte mir der Kleine nicht stiften gehen in dem Laden. Der Niffler nieste in meinen Nacken.

„Na vielen Dank auch!“

Schließlich wählte ich ein Dunkelblaues, das man ein bisschen verstellen konnte. Die dazu passende Leine war schnell gefunden und ich verkrümelte mich zu den Körbchen und Transportboxen. Dort war es schon schwieriger, eine Auswahl zu treffen. Vor allem die Körbchen waren alle weich und flauschig. Newts Niffler im Film hatte aber eher so eine Weidenhöhle zum Dekorieren, wenn ich mich recht erinnerte. Solche gab es aber nur bei den Transportboxen mit Gitter vorne dran. Doch anstatt mir eine solche zu nehmen, griff ich zu einer handelsüblichen Katzentransportbox aus Plastik. Dort hinein wollte ich den ganzen Kram stopfen, den ich jetzt kaufte und bequem mit mir mitschleppen wollte. Bei den Körbchen griff ich dann zu einem kleineren mit Knochen drauf.

Die Katzenkratzbäume betrachtete ich nur kurz. Als Artverwandter von herkömmlichen Maulwürfen würde Rufus wohl eher etwas brauchen, worin er auch mal graben konnte.

„Hah!“

Ich fuhr mit dem Einkaufwagen zu den Katzenklos weiter und wählte schließlich eine große und tiefe Box, in die man viel Streu einkippen konnte. Und seufzte dann und stellte sie wieder zurück, weil ich so viel doch nicht tragen konnte.

„Hm, werden wir wohl erst mal reichlich Gassi gehen müssen, wir zwei, was?“

Ich hörte, wie er zweimal gegen den Rucksack kratzte.

„Huh? War das jetzt etwa ein ja? Aber du hast doch vorhin schon ...?“

Rufus blieb ruhig sitzen. Es gab einfach zu viel, was ich nicht über Niffler wusste. Das konnte ja was werden. Ich sammelte ein paar kleine Dosen Katzenfeuchtfutter ein und kam dann an einem Regal mit Heimchen vorbei, die für die Reptilienversorgung verkauft wurden. Rufus fing zu toben und zu zappeln an und hörte erst wieder auf, als ich auch von den Heimchen zwei Packungen in den Einkaufswagen legte. Irgendwie hatte ich so meine Zweifel, dass sie alle in Rufus‘ Magen landen würden. Sicher würde ihm der ein oder andere Käfer zwischen die Krallen gehen und sich dann in meinem Zimmer verkrümeln.

Eine Zeckenzange und ein Leuchtanhänger für das Geschirr fanden ebenfalls den Weg in den Einkaufswagen. Unschlüssig blieb ich vor den Bürsten stehen, entschied mich aber schließlich dagegen. So lang war das Fell von Rufus nun auch wieder nicht, als dass ich es vor Verfilzung schützen müsste. Aus Prinzip nahm ich dann noch eine Katzenangel. Ob der Niffler darauf anspringen würde, wenn ich ihm was Glitzerendes ran bastelte?

Bevor ich mit meiner Ausbeute an die Kasse ging, stellte ich meinen Rucksack auf den Boden und kramte meinen Geldbeutel hervor.

„Sei bloß still, sonst fliegen wir auf“, raunte ich Rufus zu.

Ich schulterte den Rucksack wieder und fuhr an die Kasse heran.

„Können Sie mir die Sachen bitte in die Transportbox packen?“

Der Kassierer sah ziemlich skeptisch auf meine Ausbeute, passten Hundegeschirr, Katzenfutter und Angel doch so gar nicht zusammen. Bei den Heimchen schien er besonders misstrauisch zu werden, doch zum Glück sagte er nichts, und fing an, die Sachen einzuscannen und in die Kiste zu packen.

„Wollen Sie sicher keine Tüte?“

„Hm ... Hrm, doch, geben Sie mir bitte eine dazu.“

„Das macht dann 50 Cent extra.“

Ich seufzte. Andererseits hatte ich eh vor, die Rechnung Dr. Müller sozusagen als Spesenabrechnung zu geben. Es konnte schließlich nicht sein, dass ich die ganzen Sachen von meinem privaten Geld bezahlen sollte. Der Verkäufer packte die Transportkiste samt Inhalt in eine große Plastiktüte und stellte sie auf den Tresen. Ich bezahlte mit Karte, stellte die Tüte in den Einkaufswagen und fuhr weg.

„Äh, was ist das?“, fragte er dann hinter mir.

Ich zuckte zusammen und fuhr herum.

„Was meinen Sie?“

„Na, das in Ihrem Rucksack.“

„Äh ... das Schwarze?“

Er nickte.

„Ist nur ein selbstgenähtes Stofftier. Die Sachen sind für das Tierheim, das ich privat unterstütze.“

„Ah ja? Seltsame Kombination ...“

Ich legte den Kopf schief und lächelte ihn an.

„Kann Ihnen ja eigentlich egal sein, Sie haben damit ein Geschäft gemacht.“

Er grummelte.

„Wiedersehen“, meinte er ziemlich unfreundlich.

‚Du mich auch‘, dachte ich.

Ich atmete einmal tief durch, als ich endlich draußen war und den Einkaufswagen abgestellt hatte.

„Also, musst du mal oder können wir direkt ins KaDeZa?“, frage ich Rufus.

Sein Schnabel kitzelte mich im Nacken und ich lachte.

„Hey! Ist das jetzt ein ja oder ein nein?“

Ich setzte den Rucksack wieder ab, um meinen Geldbeutel einzuräumen, Rufus kurz zu tätscheln und die Uhrzeit auf meinem Handy zu prüfen. Rufus machte Anstalten, an meine Hände zu kommen.

„Au, nicht wieder kratzen“, meinte ich rein vorsorglich.

Er versuchte, sich aus dem Rucksack zu kämpfen, aber ich schob ihn wieder zurück.

„Was willst du denn?“

Er hatte seine kleinen Knopfaugen starr auf die Einkaufstüte gerichtet.

„Nee, also da musst du schon bis heute Mittag warten, du hattest erst Frühstück!“

Rufus machte weiterhin Terz und so zog ich nur einmal kurz das Geschirr heraus, um es ihm zu zeigen. Er starrte drauf und hörte zu zappeln auf.

„Wenn du brav bist, kauf ich dir im KaDeZa auch noch was Feines. Gut, und wo ist jetzt die nächste Öffentliche?“

Ich prüfte es auf meinem Handy und stellte fest, dass es vielleicht eine Viertelstunde entfernt war. Dafür lohnte es sich nicht, umständlich mit dem öffentlichen Nahverkehr zu fahren. Ich schulterte meinen Rucksack, nahm die Einkaufstüte und stiefelte los.

Meine Wegweiserapp führte mich zunächst die Hauptstraße entlang und ich kam am so genannten Anhalter Bahnhof vorbei.

„Seltsame Namen für S-Bahn-Stationen haben die hier“, wunderte ich mich.

Hinter dem Platz bog ich links ab und folgte der Straße etwa zehn Minuten, bis ich endlich an einer kleinen Parkanlage ankam. Von hier aus war es nicht mehr weit.

Ich spürte, wie Rufus gelegentlich den Kopf wendete, aber niemand nahm groß von uns Notiz. Die meisten schienen ihn hoffentlich doch für ein Stofftier zu halten, das einfach nicht mehr ganz in den Rucksack gepasst hatte.

Wir durchquerten den Park und bogen dann noch mal links ab. Ein Hinweisschild wies mir den Weg in die Richtung, in die ich musste. Ich wechselte einen 5-Euro-Schein am Automaten, warf ein 1-Euro-Stück in den anderen und zwängte mich mit Sack und Pack durch das Drehkreuz. 

Zu den Damen ging es wieder nach links. Das Örtchen war ziemlich gut besucht, wie es schien. Ich bekam die vorletzte Kabine, trat ein und schloss hinter mir ab. Dann sah ich zweifelnd auf die Schüssel vor mir.

‚Und ich muss mich wirklich runterspülen?‘

Eine geschlagene Viertelstunde stand ich vor der Toilette und fragte mich, ob das alles nicht doch ein Traum war und ich die schlimmsten Sachen nur noch nicht erlebt hatte, um schließlich aufwachen zu können.

„Oder zu dürfen ...“

Einen Augenblick später hämmerte jemand an meine Tür.

„Ja doch verdammt, man kann nichts erzwingen!!“, brüllte ich genervt.

Es kostete mich weitere zehn Minuten, ehe ich mich in die Kloschüssel stellte, das zweifellos bakterienverseuchte Spülwasser ignorierte, das meine Füße umspülte, wackelig versuchte, mit der großen Fressnapf-Tüte und dem Rucksack mein Gleichgewicht zu halten, und schließlich den Spülknopf betätigte. Ich wurde in einen Schraubstock gedreht und nach unten gezogen, mein kompletter Mageninhalt schob sich nach oben.

Am anderen Ende wurde ich wieder herausgedreht und schaffte es, auf beiden Füßen zum Stehen zu kommen. Nur die Fressnapf-Tüte rutschte mir aus den Fingern und landete krachend auf der saftig grünen Wiese neben mir. Bedröppelt blieb ich stehen und sah mich um. Doch Zeit zum Verschnaufen blieb mir nicht, eine Hexe kam auf mich zu und verscheuchte mich.

„Schnell, bevor der Nächste kommt und in Sie kracht!“

Ich sammelte meinen Kram auf und machte, dass ich wegkam. Hinter mir krachte keine zwei Augenblicke später der nächste Besucher des KaDeZas durch das Portal. Auf welcher öffentlichen Toilette er sich wohl runtergespült hatte, um hierher zu kommen?

Ich hatte nicht schlecht gestaunt, als mir der Rezeptionsmitarbeiter des Ministeriums den Weg erklärt hatte. Und so freundlich war, ihn mir auch noch ein zweites Mal zu erklären und ein drittes Mal zu bestätigen, dass ich mich wirklich – wie in einem der Filme – in einem Klo herunterzuspülen habe.

Ich sah auf meine Füße und stellte überrascht fest, dass sie vollkommen trocken waren. Ich schob es auf einen Nebeneffekt des Portals.

„Wäre ja sonst auch nicht machbar, wenn jeder mit nassen Füßen hier ankommen würde.“

Sich zu beschweren war schließlich der deutsche Nationalsport nach Fußball schlechthin. Sicher würde die deutsche Zauberergemeinschaft nicht anders sein. Ich setzte meinen Rucksack ab und sofort sprang Rufus heraus.

„He!“, rief ich ihm hinterher.

Aber der Kleine hüpfte nur einmal zur Wiese zurück, kratzte etwas im Boden und hockte sich dann ihn. Ich sah mich schnell um, doch von den anderen Leuten, die ins Kaufhaus der Zauberdinge wollten, nahm niemand Notiz davon, dass mein Niffler sich hier gerade in aller Öffentlichkeit erleichterte.

‚Vielleicht hätte ich auch noch einmal gehen sollen ...‘, dachte ich.

Als Rufus fertig war, schob er sich auf der Wiese im Kreis, rollte einmal darüber und kam dann gemächlich zu mir zurück. In den Rucksack wollte er nicht wieder hinein. Ich seufzte. Frei herumlaufen lassen konnte ich ihn auch nicht. Entweder ging er im Kaufhaus verloren, machte sich absichtlich davon oder jemand anderes wurde auf ihn aufmerksam und nahm ihn heimlich mit. Alles davon wollte ich nicht, also kramte ich in der Fressnapf-Tüte nach dem Geschirr. Bevor ich es herauszog, packte ich Rufus. Der Kleine merkte, was ich vorhatte, und fing wieder zu zappeln und zu toben an.

„Ich kann mich nicht drauf verlassen, dass du mir nicht abhaust!“, schimpfte ich mit ihm.

Zwei Hexen sahen neugierig zu uns herüber, gingen aber zum Glück weiter.

„Autsch!“

Er hatte mich gekratzt, aber ich konnte ihn dennoch zu Boden halten. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich das Geschirr an Rufus dran hatte. Umgehend begann er, daran herum zu kratzen, aber der Verschluss war zum Glück so gefertigt, dass er ihn nicht so leicht aufbekommen würde. Überdies war er aus Plastik. Die Leine hatte ich schnell an ihm dran. Von beiden Artikeln riss ich die Preisschildchen ab, stopfte sie in meine Tüte zurück und schulterte meinen Rucksack wieder.

Rufus saß irritiert auf dem Boden, rollte sich dann auf den Rücken und versuchte so, das Geschirr abzustreifen. Wieder dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis er begriff, dass er mit mir mitlaufen sollte. Wann immer ich versuchte, ihn leicht in meine Richtung zu ziehen, stemmte er sich dagegen. Natürlich brachte ihm das nicht viel, aber der Niffler sollte begreifen, dass er mit Geschirr und Leine leben musste, wenn er ein halbwegs freies Leben bei mir genießen wollte. Frei laufen lassen konnte ich ihn nur in meinem Zimmer und in der Bibliothek, und das auch nur unter Aufsicht. Besser, er gewöhnte sich schnell an die neue Situation. Schließlich tapste er mir in Schlangenlinien hinterher, ließ immer so viel Platz zwischen sich und mir, wie möglich. Rufus schien wirklich beleidigt zu sein. 

Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir am Eingang des KaDeZas an. Das KaDeZa schien das einzige Gebäude in diesem separaten und vor den normalen Menschen abgeschirmten Bereichs zu sein. Zwei große Messingdrehtüren gewährten Zutritt zu dem magischen Konsumtempel, der von außen genauso groß wie sein MaKa-Pendant zu sein schien. Aber bei Magie konnte man schließlich nie wissen.

Rufus schien das System Drehtür ebenfalls begriffen zu haben. Wir passten eine Chance ab und liefen dann gemeinsam durch das Portal, ehe der Niffler sich wieder betont Zeit damit ließ, mir zu folgen. Allerdings war ich auch nicht sehr schnell unterwegs, sondern schlenderte gemütlich zu einer Anzeigentafel.

Im KaDeZa schien es alles zu geben, was das Zauberer- und Hexenherz begehrte: Braukessel, Zaubertrankzutaten, Phiolen für die Tränke, Schulsachen, Kleidung, Schuhe, Handtaschen und Koffer, alles für die verschiedensten Gaumenfreuden sowie einen Zoofachhandel und sogar ein Zauberstabgeschäft. Und mit eines der wichtigsten Dinge für mich würde wohl der Buchladen sein. Wo sollte ich nur als Erstes anfangen?

Ich beschloss, es zunächst in dem Lederwarenbedarf zu probieren. Jost hatte mir geraden, mir für meinen Zauberstab ein Halfter zu besorgen, und das würde ich nur hier bekommen. Der entsprechende Laden war im zweiten Obergeschoss und ich wählte den mit Niffler mühsamen Weg über die Treppe. Schließlich nahm ich Rufus auf den Arm, als ich merkte, dass ihm die Stufen zu anstrengend wurden. Neugierig wandte er seinen Schnabel nach links und rechts und sah sich genauso fasziniert um, wie ich mich. Ich vergaß sogar, ihn wieder auf dem Boden abzusetzen, als wir oben angekommen waren. 

Der Laden war etwas versteckt, doch schließlich fanden wir ihn. Ich schob die altmodische Tür auf und eine Glocke bimmelte. Ein Mann war gerade dabei, eine andere Kundin zu bedienen.

„Guten Tag, ich bin gleich für Sie da“, rief er mir zu.

Ich nickte und sah mich um. Besonders magisch sah die Ware nicht aus, aber bei Handtaschen, Rucksäcken und Koffern konnte man schließlich nie wissen. Ich entdeckte zumindest nichts, dessen Reißverschluss eher an das Gebiss eines Hais erinnert hätte oder dergleichen. Fasziniert erinnerte ich mich an das Monsterbuch der Monster aus dem dritten Teil, das sich als lebendes Buchmonster entpuppt hatte und dem man den Rücken streicheln musste, um es vernünftig öffnen zu können. Irgendwie erwartete ich, dass es sowas hier auch gab.

Rufus zappelte und kletterte dann mein Hosenbein hinab.

„He!“

Zum Glück hatte ich die Schlaufe der Leine um den Arm gelegt. Doch meine Sorge war unbegründet, er wollte nicht stiften gehen, sondern nur hier und da die Ware befummeln. „Beziehungsweise die Schließen, Ziernieten und Ringe, he!!“

Ich zog sachte an der Leine. Der Niffler sah kurz zu mir und machte sich dann wieder an seinem Objekt der Begierde zu Schaffen.

„Jetzt reicht’s aber ...“

So schnell konnte Rufus gar nicht schauen, hatte ich ihn wieder auf meinen Armen. Ich seufzte angestrengt. Wenn er sich in jedem Laden so benahm, konnte der heutige Ausflug ja heiter werden. Der Mitarbeiter schien nun auch misstrauisch geworden zu sein, er kam in unsere Richtung.

„Nun sieh, was du angerichtet hast“, raunte ich Rufus zu.

Der Mann betrachtete uns einmal von oben nach unten.

„Tierwesen haben keinen Zutritt“, meinte er nüchtern.

„Entschuldigen Sie, das ist ein Niffler, der geht mir sonst stiften.“

Das Gesicht des Mannes hellte sich auf.

„Doch nicht etwa der, der die Schlossstraße geplündert hat?!“

„Äh ... doch, ich fürchte, es ist genau der ... Sie haben Ihre Kasse hoffentlich gut abgesperrt?“

Er wurde blass und wuselte zur Theke zurück, um seine Kasse zu sichern. Danach kam er wieder zu mir.

„Sie verstehen hoffentlich, warum ich den kleinen Rabauken nicht aus den Augen lassen will.“

„Ja, vor allem hier nicht. In der Glaskugel stand alles über den Fall“, zwinkerte er. „Also, wie kann ich Ihnen helfen?“

„Äh ...“

Hatte er gerade eben tatsächlich Glaskugel gesagt? Doch ich kam nicht umhin, mir weiter Gedanken darüber zu machen. Ich zog meinen Zauberstab hervor.

„Ah, versteh schon. Kommen Sie bitte.“

Er fuhr auf dem Absatz herum.

„Zauberstab im Hosenbund ... die Jugend heutzutage“, hörte ich ihn faseln.

Ich folgte ihm zu einer Vitrine mit Zauberstabhalftern in verschiedensten Größen und Ausführungen. Er öffnete sie und holte ein Modell hervor. Mein Zauberstab passte wie angegossen hinein, daran erkannte man wohl die Erfahrung des Mannes.

„Dieses Modell gibt es natürlich in verschiedenen Varianten. Nicht nur in schwarz, sondern natürlich auch in braunem Leder, mit Prägung oder Messingbeschlag, ganz nach dem Geschmack der Kunden. Wenn Sie wollen, können Sie auch eine Sonderanfertigung bekommen, zum Beispiel in rotem Leder mit Ihrem Familienlogo eingeprägt.“

„Äh ... ich glaube, das einfache Modell reicht vollkommen. Ich benötige es für die Arbeit und weniger zur Zierde.“

Das freundliche Lächeln des Verkäufers gefror kurz ob der Sorge, vielleicht nur den billigsten Artikel des Ladens verkaufen zu können. Ich ließ meinen Blick schweifen. Sofort nahm der Mann wieder Fahrt auf.

„Benötigen Sie noch etwas?“

Ich sah wieder zu ihm, hielt ihm meine Fressnapf-Tüte entgegen und deutete dann auf meinen Rucksack.

„Verstehe, Handtasche mit integriertem Raumausdehnungszauber. Haben Sie bestimmte Vorlieben?“

„Äh ...“

„Na ja, eher einen Shopper oder lieber eine Clutch? Oder doch wieder ein Rucksack? Den Möglichkeiten sind da keinerlei Grenzen gesetzt, wissen Sie?“

„Oh, äh, na ja, ich bin da eher immer der Umhängetaschentyp.“

Der Mann nickte verständnisvoll.

„Dann werden wir sicher was für Sie finden!“, meinte er motiviert.

Ich seufzte. Wie manipulativ er doch war. Andererseits würde es mir sicher guttun, wenn ich weder Rucksack noch Fressnapfsachen noch länger mit mir herumschleppen müsste. 

‚In einer magischen Umhängetasche würde sich das Gewicht doch bestimmt verflüchtigen‘, hoffte ich innerlich.

Hier eine Auswahl zu treffen, war bei weitem schwieriger, als bei dem Halfter. Eine Tasche war für mich doch immer ein modisches Accessoire, das mir zu gefallen hatte und das zu möglichst vielen Looks passen sollte. In der ich außerdem schnell mein Zeug fand und die einfach zu handhaben war. 

Über eine halbe Stunde also war ich damit beschäftigt, mir verschiedene Modelle anzuschauen. Der Mann hatte sich zwischenzeitlich verkrümelt, um einen anderen Kunden zu bedienen, so konnte ich die Favoriten selbst nach Herzenslust begutachten. Schließlich entschied ich mich auch hier für ein schwarzes Modell. Der Umhängegurt war nicht zu schmal und höhenverstellbar, die Tasche oben wurde nur mit einem Reißverschluss geschlossen. Außerdem hatte sie innen zwei Fächer, ein mit Reißverschluss verschließbares Mittelfach, und zwei innen liegende Seitentaschen. Ich hatte sie schon zweimal begutachtet und wieder an den Haken gehängt. Bisher war der Preis von über 100 Euro immer abschreckend, aber es half wohl alles nichts. Ich nahm die Tasche vom Haken und ging zur Kasse.

„Haben Sie ein Modell gefunden?“, fragte mich der Verkäufer, nachdem er den anderen Kunden verabschiedet hatte.

„Ja. Die Auswahl war aber auch wirklich schwer!“

Er lächelte und begann, Halfter und Tasche einzuscannen.

„Das macht dann 179,95 Euro.“

Ich schluckte.

„Äh, wie läuft das eigentlich mit dem Raumausdehnungszauber?“

Er sah mich verständnislos an.

„Also, muss ich den nicht bezahlen?“

„Huh? Wie meinen Sie das denn?“

„Na ja, die Tasche ist ja jetzt noch nicht verzaubert, oder?“

„Ja, aber das machen Sie doch selber.“

Ich ließ die Schultern hängen. Wie man einen Raumausdehnungszauber anwendete, war mir komplett schleierhaft.

„Ich bin da leider nicht so gut darin. Können Sie das vielleicht für mich machen? Natürlich bezahle ich für diesen Service auch.“

Er sah mich skeptisch an.

„Ihnen ist aber dann schon bewusst, dass nicht nur Sie wissen, in welcher Seitentasche sich das Fach befindet, oder?“

Ich nickte.

„Gut, wenn Sie meinen. Dafür würde ich Ihnen noch mal 10 Euro extra berechnen, wenn das okay für Sie ist.“

„Selbstverständlich.“

Auf die 10 Euro kam es jetzt auch nicht mehr an.

„Also in welche Seitentasche wollen Sie das Fach?“

Die an der Rückseite mit dem Reißverschluss. Der Mann nickte und sprach den entsprechenden Zauber.

„Bitte sehr.“

„Vielen Dank.“

Er tippte die Servicegebühr in seine Kasse und ich bezahlte mit Karte.

„Soll ich es Ihnen einmal zeigen?“

„Ja, das macht am meisten Sinn.“

Ich stellte meine Fressnapf-Tüte auf die Theke und der Verkäufer begann, mir die Funktionsweise des Raumfachs zu demonstrieren. Nach und nach waren meine bisherigen Einkäufe in dem Fach verschwunden. Als Nächstes folgte mein Rucksack, wobei ich diesen um Taschentücher und natürlich mein Handy erleichterte. Meine Geldbörse hielt ich eh noch in der Hand. Der Mann ließ mich testweise einige der Sachen wieder aus dem Fach hervor ziehen und selbst darin versenken.

„Ich glaube, ich hab’s verstanden“, meinte ich schließlich.

„Gut. Sie müssen allerdings wissen, dass das Fach nicht allzu groß ist.“

„Äh ...“

„Vielleicht so groß wie ein Smart.“

„Gut, das sollte ausreichend sein. Was muss ich sonst noch wissen?“

„Sie sollten sich immer gut daran erinnern, wo in dem Fach Sie etwas hingelegt haben, sonst kann es sein, dass Sie ein mittelschweres Chaos in dem Fach verursachen und es wieder aufräumen müssen.“

Wieder nickte ich ergeben.

„Noch was?“

„Nee, das war alles.“

„Gut, können Sie bitte noch die Preisschildchen abmachen?“

Er tat, worum ich ihn bat und händigte mir Umhängetasche und Zauberstabhalfter aus. Ich legte beides an, schob meinen Zauberstab in das Halfter und bedankte mich bei dem Mann. Er hatte mir wirklich sehr geholfen und sich über eine Stunde Zeit für meine Belange genommen. 

‚Jemand, der es verdient hatte, positiv auf Google bewertet zu werden‘, dachte ich, als ich mich verabschiedete und den Laden verließ. ‚Aber mit dem Raumausdehnungszauber hat er Recht. Mir würde bestimmt wohler dabei sein, wenn niemand wusste, wo sich das Fach in meiner Handtasche befindet.‘

Draußen auf dem Gang fing Rufus wie wild zu ziehen an.

„Was ist denn, musst du schon wieder?“

Wenigstens hatte ich dieses Mal nicht mehr so viel Mühe damit, ihm mit meinem ganzen Kram zu folgen. Was ein Glück, dass ich mich doch dafür entschieden hatte, noch eine Tasche zu kaufen. 

Ich ließ mich von ihm mitziehen in der Hoffnung, dass er so verstand, dass es nichts Schlechtes war, an einem Geschirr mit Leine dran zu hängen. Der Niffler führte mich natürlich zu einem Laden, wo es jede Menge glitzernde Sachen gab.

„Da wolltest du also hin?“

Rufus sah zu mir hoch, als wir vor dem Laden standen. Er schien darauf zu warten, dass ich mit ihm in den Laden ging. Ich überlegte. Nachdem wir als Erstes für ihn einkaufen waren und dann eine Sache für mich gemacht hatten, wäre er nun eigentlich wieder dran gewesen. Andererseits wollte ich auch nicht, dass er jetzt lernte, dass er nur zu ziehen brauchte, um seinen Willen zu bekommen. Natürlich würde er mich nie ernsthaft irgendwo hingezogen bekommen, wo ich nicht hinwollte. Schließlich war Rufus nur ein Niffler und kein Berner Sennenhund.

Ich nahm ihn wieder auf den Arm und trat mit ihm zunächst an das Schaufenster heran. Er schien etwas eingeschnappt zu sein, lehnte sich dann aber doch mit seinen Krallen gegen das Glas, um die Glitzersachen sehen zu können. Dabei schien es sich hauptsächlich um Ware zu handeln, die bei den MaKas als Modeschmuck bekannt war. Sowas hatte ich selbst zu Hause und irgendwie wunderte es mich nicht, dass es sowas auch in der Parallelwelt gab.

‚Für die Leute, die sich keine teuren Erbstücke leisten können‘, dachte ich.

Rufus begann, schwer zu atmen. Ich seufzte und drehte ihn so, dass ich ihm ins Gesicht schauen konnte.

„Du darfst dir eine Sache aussuchen, aber danach bist du brav!“, meinte ich zu ihm.

Er erwiderte meinen Blick nur. Schließlich wandte ich mich zu der Tür und trat mit ihm ein. Hier gab es keine Glocke, die einen neuen Kunden ankündigte. Trotzdem war das Personal so geschult, dass es automatisch den Kopf hob, sobald jemand eintrat. Lag wohl an den sich verändernden Lichtverhältnissen. Anders konnte ich es mir nicht erklären, warum ich jetzt von zwei Augenpaaren ins Visier genommen wurde.

„Der kommt hier nicht rein!“, raunte mich die Ältere der beiden an.

„Äh ...“

„Verschwinden Sie, oder ich ruf den Sicherheitsdienst!“

Ich stolperte rückwärts wieder raus. Rufus machte Anstalten, an meinem Bein hinab zu klettern, aber ich hielt ihn fest. Als ich den Kopf wieder hob, sah ich, dass mir die Ältere mit erhobenem Zauberstab entgegenkam. Ich schnappte mir den Niffler und machte mich davon, ehe die noch auf dumme Gedanken kamen. Rufus schien ebenfalls verstanden zu haben, warum wir doch nicht in den Laden gegangen waren. Er machte keinerlei Anstalten, saß stattdessen brav auf meinem Arm.

Verstohlen sah ich mich um, aber so etwas wie einen Sicherheitsdienst konnte ich nicht ausmachen. Zumindest sah ich niemanden in adrettem Anzug und mit Namensschildchen, der an einer prominenten Stelle herumstand und Fragen beantwortete oder die Leute beobachtete.

„Nach dem Schreck haben wir uns eine kleine Stärkung verdient, was?“, meinte ich zu Rufus.

Ich ging mit ihm in einen Bereich mit Sitzecken, pflanzte mich hin und setzte ihn vor mir auf den Boden. Danach begann ich, in meiner neuen Handtasche zu wühlen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich die eine Verpackung mit den Heimchen zu Tage gefördert hatte. Als ich sie hervorzog, gab es für Rufus kein Halten mehr.

„Jetzt gib doch mal Ruhe!“, schimpfte ich mit ihm, als er wie wild an der Plastikverpackung kratzte.

Mit meinem Fingernagel riss ich den einen Klebverschluss auf und sah ernst auf den Niffler hinab. Mich gruselte es ein bisschen davor, die Heimchen anzufassen. Ich hatte auch Sorge, dass mir einige entwischen würden, und hoffte darauf, dass Rufus schnell genug sein würde, sie einzufangen. Ich öffnete die Packung leicht und schob meine Finger durch.

„Iihhh!“, machte ich, als mich eines der Viecher berührte.

Erst beim dritten Versuch schaffte ich es, einen der Käfer zu Fassen zu bekommen. Ich zog ihn hervor, drückte den Deckel schnell auf die Packung und quiekte dann.

„Rufus, du kleines Monster!“

Er hatte mich mal wieder gekratzt, um das Heimchen zu bekommen. Schnell hatte er es vertilgt und sah mich dann auffordernd an. Offensichtlich war er nach einem noch nicht satt, war ja klar. Ich fischte ihm noch zwei weitere Heimchen aus der Verpackung, über die er sich genüsslich hermachte. Ein viertes entkam. Rufus blickte dem Käfer nur hinterher und dann wieder zu mir.

„Fauler Sack!“

Da hatte ich mir ja ein schönes Exemplar von einem Niffler gerichtet. Manche Dinge verstand er wirklich schnell, zum Beispiel, dass es viel bequemer war, die Heimchen von meinen Fingern zu nehmen, als ihnen umständlich hinterherjagen zu müssen.

„Aber nicht mit mir, Freund!“, meinte ich, als ich die Heimchenpackung wieder verstaute.

Er verfolgte es mit Fassung. Scheinbar war er doch erst einmal zufrieden. Dafür fing nun mein Magen an zu knurren und ich versuchte mich zu erinnern, wo sich in der Anlage der Food Court befand.

„Oder einfach nur die Fressallee ...“

Wir stolperten gemächlich durch die Gänge, aber im zweiten Obergeschoss schien es nur Noon-Food zu geben. Auf dem Weg nach unten nahm ich Rufus wieder auf den Arm. Die neugierigen Blicke entgingen mir komplett. Im Erdgeschoss konnte ich dann immerhin der Nase lang gehen, bis ich schließlich bei den ersten Läden ankam, die Essen verkauften.

„Relativ unspektakulär ...“, stellte ich fest, nachdem ich mir alles angesehen hatte. „Eigentlich wie in den Pasing Arcaden.“

Der Food Court des KaDeZas war ziemlich wenig magisch angehaucht. Essen war wohl eines der Dinge, die beide Welten gemeinsam hatten. Nur bei den Nachspeisen gab es das ein oder andere, was für mich spektakulär war, weil das Essen auch unerwartete Effekte hatte. Dass die Mitarbeiter im Food Court das Gemüse nicht von Hand schnippelten, sondern Messer verzauberten und dabei zusahen, wie diese von selbst schnitten, hatte ich nicht anders erwartet.

Ich beschloss, es bei der asiatischen Ecke zu probieren, und holte mir ein Hühnchen Yakitori mit Soba Nudeln. Erst beim ersten Bissen merkte ich, wie ausgehungert ich war. Zum Glück hatte ich mir Stäbchen geben lassen, sonst hätte ich die Portion wohl in mich hinein geschlungen. 

Rufus sah mir eine Weile interessiert beim Essen zu, fand es aber irgendwann langweilig und erkundete den kleinen Bereich, den er mit Leine erreichte. Mal zog die Leine hier etwas, mal dort. Ob er dabei Reste vom Boden auffraß, wollte ich gar nicht so genau wissen. Als ich mit den Nudeln fertig war, holte ich mir eine Flasche Wasser und ging zu den Süßkramständen. Rufus krabbelte vor mir auf den Boden.

„Ich glaub, ich hätte doch ne Bürste kaufen sollen.“

Der Niffler nahm den ganzen Dreck vom Boden auf und hatte ihn im Fell. Vor dem Stand mit den Bonbons nach Gramm richtete er sich auf und klopfte über seinen Bauch. Scheinbar war er auch halbwegs reinlich. 

Ich kaufte mir 200 Gramm von allem, was die Dame da hatte und bekam eine große Plastiktüte voll ungesundem Zeug. Das erste Fruchtgummi, auf das ich biss, biss dreisterweise zurück. Ich erschrak darüber so, dass es mir aus dem Mund fiel. Rufus machte sich sofort darüber her, wurde aber ebenfalls gebissen. Skeptisch sah ich darauf hinab, dann in meine Tüte. Die Verkäuferin hatte mir noch ein zweites rein getan, aber ich probierte lieber was anderes. Die blaue Kugel, die ich nun intus hatte, war weit weniger problematisch, schmeckte so wie das Schlumpfeis aus Eisdielen und prickelte leicht auf der Zunge. Warum mich nun viele Leute angrinsten, war mir ein Rätsel.

Wir verließen den Food Court wieder und schlenderten ins erste Obergeschoss hoch. Dort blieb ich vor einem kleinen Kiosk stehen, der die üblichen magischen Tageszeitungen mit den sich bewegenden Bildern führte. Sogar Exemplare des Tagespropheten, der englischen Magierzeitung, hatten sie da. Meine Augen waren aber auf eine andere Tageszeitung geheftet, die sich „Die Glaskugel“ schimpfte.

„Damit wäre auch geklärt, was der Handtaschenverkäufer vorhin meinte“, sagte ich zu Rufus.

Ich nahm ein Exemplar zur Hand. „Magisches Tierwesen treibt MaKa Geschäfte in den Ruin“ titelte die erste Seite. Dazu gab es ein sich bewegendes Bild eines Schnabeltiers, das nun absolut keine Ähnlichkeit mit einem Niffler hatte. Irgendwie erinnerte mich das Blatt an eine ziemlich unrühmliche MaKa-Zeitung, die zuletzt vor allem wegen ihrer rechten Tendenzen aufgefallen war und ansonsten nur noch über den Wetterbericht und Titten schrieb. Nichtsdestotrotz kaufte ich mir das Blatt. Den Tagespropheten ließ ich links liegen. Ich stopfte die Glaskugel in meine Handtasche.

„Ist ja irgendwie auch ein treffender Name, nicht?“, meinte ich zu Rufus. „Die von der BILD schauen ja auch immer in eine Glaskugel für ihre News.“

Der Niffler sah zu mir hoch. Natürlich gab er mir keine Antwort.

Wir gingen weiter und stolperten als Nächstes in den hiesigen Buchladen. Da ich Bücher über alles liebte, verbrachten wir fast zwei Stunden in dem Laden, ehe Rufus zu quengeln begann. Schweren Herzens entschied ich mich, nur ein in Leder eingeschlagenes Notizbuch und ein Kochbuch für magische Gerichte zu kaufen, was eine himmelschreiende Geldverschwendung war. Eine Küche hatte ich schließlich nicht in meinem Zimmer. Aber Bücher über die Vergangenheit der magischen Gesellschaft Deutschlands hatte ich nicht finden können. Zumindest nicht den Zeitraum, der mich am meisten interessierte, die Zeit des Nationalsozialismus.

Ich grummelte, als ich wieder aus dem Laden ging.

„Und wo magst du jetzt hin?“

Rufus sah zu mir hoch und überlegte. Schließlich begriff er, zog mich wieder ins Erdgeschoss hinunter und hinaus aus dem KaDeZa und zur nächsten Grünfläche, wo er sich hinhockte. Höflich wandte ich mich ab und sah mir die Leute an, die an uns vorbei kamen. Die meisten Hexen und Magier waren in ziviler Kleidung unterwegs, wie sie auch auf den MaKa-Straßen Berlins getragen wurde. Nur sehr wenige kamen leger mit Umhang und Zauberhut. Ich schätzte, dass es sich bei ihnen um Hexen uns Zauberer handelte, die außerhalb Berlins wohnten. Oder vielleicht in einer geschlossenen Gesellschaft.

Rufus grub etwas in der Grünfläche herum, wie ich schließlich mit Bestürzung feststellte.

„Rollst du dich gerade in deinem eigenen Häufchen?“, fragte ich ihn entgeistert und zog an der Leine.

Der Niffler keuchte genervt und sah zu mir hoch. Kratzte sich dann durch sein Fell. Anscheinend war das Rollen im Gras dazu gedacht, ein halbwegs sauberes Fell zu bekommen, nachdem er vorhin den ganzen Dreck aufgewischt hatte. Ich ließ ihn noch ein paar Augenblicke und ging dann wieder mit ihm ins KaDeZa.
 

Am frühen Abend kamen wir völlig geschlaucht ins Ministerium zurück. Den Rest des Nachmittags hatten Rufus und ich damit verbracht, ihm etwas Glitzerendes aufzutreiben und mir einen Eindruck der deutschen Mode für Zauberer und Hexen zu vermitteln. Das meiste war natürlich in dunklen Farben gehalten. Jedoch sah ich momentan keine Notwendigkeit dafür, so herumzulaufen, wie sich MaKas Hexen in der Regel vorstellten. Danach hatten wir uns auf den Rückweg gemacht.

Im Zimmer angekommen ließ ich als erstes Rufus von der Leine und entfernte sein Geschirr. Sofort hopste er aufgeregt im Zimmer herum und folgte mir sogar bis zur Toilette. Ob er sich einfach nur freute oder noch etwas von mir haben wollte, wusste ich nicht. Er schien ob der Tatsache, dass ich mich nun selbst erleichtern wollte, völlig blind zu sein. Strich mir kurz um die Beine und hüpfte ins Schlafzimmer zurück, während ich so da hockte und den Tag Revue passieren ließ.

Zurück im anderen Zimmer fing ich an, die Ausbeute des Tages aus dem magischen Fach meiner Handtasche zu holen. Ich musste ziemlich viel herumkramen, doch schließlich bekam ich die Transportbox zu packen, in der sich bis auf die eine Packung Heimchen alles andere für Rufus befand. Ich nahm alles auseinander, entfernte die Preisschildchen und überlegte, wo ich die Sachen sinnvollerweise verstauen könnte. Viel Platz in dem Zimmer war schließlich nicht. So packte ich die Transportbox geöffnet unter den Tisch. Bisher hatte ich eh nicht daran gesessen und gearbeitet, dafür hatte ich immer meine Bibliothek genutzt.

„Stimmt ja, die Bibliothek ...“

Ich holte die Box wieder unter dem Tisch hervor und brachte sie in meine Bibliothek hinüber. Sicher würde Rufus es ganz angenehm finden, auch dort einen Platz für sich zu haben. Dafür stellte ich das Körbchen nun unter den Tisch. Mein Niffler sah mir neugierig dabei zu, wie ich die verschiedenen Dinge für ihn platzierte. Als ich mit dem Ergebnis zufrieden war, besah er es sich skeptisch, und verzichtete demonstrativ darauf, Körbchen und Korb in Beschlag zu nehmen.

„Na ja, du wirst es schon noch begreifen“, meinte ich zu ihm und wandte mich wieder der Handtasche zu.

Das Katzenfutter, die Zeckenzange und die Katzenangel packte ich in den großen Schrank, in dem auch schon meine Kleidung ihren Platz gefunden hatte. Langsam wurde es doch eng darin.

„Scheiße!“, meinte ich dann, als ich in der Handtasche nach der geöffneten Packung Heimchens gefischt hatte. 

Scheinbar hatten die Biester einen Weg gefunden, den Deckel soweit zu öffnen, dass sie raus konnten. Oder ich hatte die Packung beim Zurückstellen nicht vernünftig abgestellt oder sie mit dem anderen Kram umgestoßen. Als ich sie hervorzog, hielt ich nur eine Hälfte der Plastikverpackung in der Hand. Die andere hing mit dem zweiten Klebstreifen noch dran. Von dem Papier, das solche Packungen üblicherweise ausstopfte, fehlte weit und breit jede Spur. Von den Heimchen ganz zu schweigen.

„Na toll!“

Ich wog meine Möglichkeiten ab. Sicher würden die Biester raus kommen, wenn ich die Tasche einmal umkippte und schüttelte. Andererseits waren sie in dem Raumausdehnungsfeld, das gegen Ausbruch eigentlich erhaben sein sollte, oder?

„Obwohl, Newts Tierwesen sind ja schließlich auch aus dem Koffer entkommen.“

Ob Heimchen dazu ebenfalls in der Lage sein würden? Oder ob es sinnvoller war, Rufus einmal rein zu stecken und zu hoffen, dass er sie alle fing? Was hatte der Verkäufer gemeint? Das Ausdehnungsfeld sei so groß wie ein Smart? Also nicht allzu groß und für Rufus sollte es kein Problem sein, sie alle zu schnappen. Aber ob er hungrig genug sein würde für fast eine ganze Packung Heimchen? Ich verfluchte mich dafür, Rufus‘ Drängeln stattgegeben und ihn im KaDeZa schon mit den Biestern gefüttert zu haben. Jetzt erntete ich die Früchte davon.

Doch ich sollte keine weitere Gelegenheit haben, mich darüber zu ärgern. Ein Umschlag kam unter der Tür durchgeflutscht, die Eulen schienen tatsächlich nur Zugang zu der Bibliothek zu haben. Ich flitzte zur Tür, öffnete sie und sah hinaus, aber niemand war zu sehen. Auch keine Eule. Wie der Brief wohl hergekommen war?

Ich sammelte ihn vom Boden auf und las die Nachricht. Und seufzte dann verdrießlich, ehe ich zu Rufus hinblickte. Der Kleine hatte sich mittlerweile doch dem Körbchen genähert und inspizierte es neugierig. Ich ging zu ihm und bückte mich halb unter den Tisch. Der Niffler sah zu mir, dann wieder auf seine Schlafgelegenheit. Ich tätschelte ihn am Kopf.

„Sieht so aus, als müsste ich noch arbeiten. Kann ich dich hier alleine lassen?“

Natürlich gab er mir keine Antwort. Ich seufzte und kraulte ihn noch etwas, ehe ich mich mit Zauberstab bewaffnet auf den Weg zu Dr. Müller machte. Scheinbar gab es wieder einen Notfall, der keinen Aufschub duldete. Und dabei hatte ich heute rein gar nichts für meine Ausbildung getan, sondern mich dem Laster und meiner Neugierde hingegeben. Ich Schussel!

Komm Einhorn, wir gehen!

Als ich in Müllers Büro ankam, stellte ich erstaunt fest, dass er nicht alleine war. Jennifer saß in einem der Besucherstühle. Ich erkannte sie erst, als sie ihren Kopf zu mir drehte und mir zunickte.

„Guten Abend“, begrüßte ich die beiden und trat ein.

„Schuster, gut, dass Sie endlich da sind. Setzen Sie sich!“

Ich tat, wie geheißen, räumte einigen Krempel vom anderen Besucherstuhl auf Müllers Schreibtisch und pflanzte mich auf meine vier Buchstaben. Erwartungsvoll sah ich über den Tisch.

„Es gibt wieder etwas für mich zu tun?“

„Ja. Sie und Oakley werden sich umgehend auf den Weg machen. Es ist ein Einhorn aufgetaucht und streunt jetzt verletzt durch Berlin.“

„Ein Einhorn?“, wiederholte ich überrascht.

„Ja, ein Einhorn. Zuletzt wurde es beim Ehrenpfortenberg gesehen. Sie müssen es so schnell wie möglich finden, schon zu seinem eigenen Schutz.“

Ich nickte.

„Weiß man, wie genau es sich verletzt hat? Oder wo?“

„Es scheint zumindest nicht an den Beinen verletzt zu sein, sonst würde es wohl mehr herum humpeln, statt rennen. Oder galoppieren, wie man das bei Pferden so nennt.“

Ich fühlte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. Ein topfittes Pferd einzufangen, stellte ich mir ziemlich kompliziert vor.

„Vor allem für jemanden, der keine Hexer-Zeichen anwenden kann ...“, murmelte ich.

Jennifer sah mich von der Seite her an.

„Wie meinen Sie?“, fragte mich Müller.

Ich zuckte zusammen.

„Äh, nichts. Ich hab mich nur an etwas aus einem ... Videospiel erinnert.“

Müller zog eine Augenbraue hoch.

„Gut, wie Sie meinen. Das wäre dann soweit alles. Am besten, Sie machen sich sofort auf den Weg. Um diese Zeit sind in der Gegend viele Leute mit ihren Hunden unterwegs.“

„Oh je“, meinte ich nur.

Jennifer und ich standen auf und verließen Müllers Büro. Wir gingen zu einem Schreibtisch, an dem eine Stehlampe brannte. Sie packte ihre Sachen zusammen.

„Schon mal ein Einhorn gefangen?“, fragte sie mich dann.

„Nee. Ich bin ja jetzt erst den ... fünften Tag hier.“

„Wie hast du denn den Niffler erwischt?“

„Mit Petrificus Totalus. Alternativ kann man ihm auch was Glänzendes hinhalten und er kommt automatisch. Wenn er gerade Lust dazu hat. Ich fürchte nur, bei einem Einhorn werden wir weder mit der einen Möglichkeit, noch mit der anderen besonders viel Erfolg haben.“

„Stimmt. Was weißt du denn über Einhörner?“

„Dass sie besonders selten sind, besonders reine Wesen und vermutlich besonders begehrt?“

Jennifer sah mich wieder von der Seite her an.

„Und ich hab das ein oder andere gehört, bei dem ich mir aber nicht sicher bin, ob ich es für bare Münze halten soll oder ob es nur Ammenmärchen sind.“

„Und?“

„Na ja, dass sie bei Männern Reißaus nehmen und sich nur Jungfrauen annähern können.“

Dieses Mal sah ich ihr direkt ins Gesicht. Keine von uns wagte es, die Frage, die sich in der Luft zwischen uns gebildet hatte, auszusprechen. Sie hing einfach da über dieser Situation. Immerhin hatten Jennifer und ich ein gemeinsames Verständnis von Scham, wie es schien. Keine traute sich, die jeweils andere zu fragen, ob sie noch Jungfrau war.

„Wir werden es wohl drauf ankommen lassen müssen“, meinte sie lapidar.

„Ja, werden wir wohl.“

Wir fuhren ins vierte Untergeschoss hoch, wo ich Rufus ein paar Heimchen fütterte und meine entsprechenden Bücher in meine Handtasche packte. Jennifer betrachtete den Niffler fasziniert, der sie äußerst misstrauisch beäugte und seine Schätze, von denen er einige in das Körbchen gepackt hatte, bewachte.

„Gott, wie süß!“, meinte Jennifer schließlich. „AUTSCH!!“

Ich fuhr herum.

„Hat er dich gekratzt?“

„Ja, kleines Biest.“

Sie stand auf und hielt sich den Finger.

„Zeig mal her.“

Sie hielt mir ihren Finger hin.

„Böser Rufus!“, schimpfte ich mit dem Niffler, wobei ich vermutete, dass er nur seine Schätze vor der Fremden verteidigen wollte. „Brauchst du ein Pflaster?“

„Nein, lass mal.“

Jennifer zog ihren Zauberstab hervor und fixte den Kratzer mit einem Zauber, den sie nicht laut aussprach und den ich nicht kannte. Fasziniert sah ich dabei zu, wie sich die Wunde wieder schloss.

„Welcher Zauber war das?“, fragte ich sie.

Sie packte ihren Zauberstab wieder weg.

„Episkey. Solltest du dir bei Gelegenheit aneignen, hilft bei kleineren Wunden perfekt.“

Wieso war ich nicht von selbst darauf gekommen? Anstatt darauf zu antworten, beugte ich mich zu Rufus hinab und tätschelte ihm den Kopf.

„Pass gut auf, mein Kleiner, ja?“

Der Niffler gab mir keine Antwort. Stattdessen kratzte er seine letzten Klunker zusammen und sah mir misstrauisch ins Gesicht.

„War ja klar.“

Wir verließen meine Bude und ich schloss die Tür ab.

„Wahrscheinlich wird mein Zimmer wieder ein Schweinestall sein, wenn wir zurück kommen“, seufzte ich.

„Warum?“

„Heute morgen hatte er meinen Schrank aufgemacht und alles raus geworfen“, erzählte ich.

„Oh, also wie eine Katze?“

Wir gingen zum Fahrstuhl.

„Äh, na ja ich hab noch keine Katze getroffen, die einen Schrank öffnet und Wäsche raus wirft. Vielleicht allenfalls Katzen, die den Schrank mit dem Futter drin öffnen. Hast du Katzen?“

„Nein. Da ginge momentan auch gar nicht mit meiner Dissertation.“

„Ist wohl wahr.“

Am Aufzug angekommen, drückte ich auf den Knopf.

„Wie wollen wir eigentlich vorgehen?“, fragte Jennifer.

„Öh, vielleicht ist es am besten, wenn wir uns erst einmal einen Überblick über den Park verschaffen und uns dann aufteilen? Ich hab von Berlin leider keine Ahnung, wenn ich ehrlich sein soll.“

„Dann sind wir ja schon zwei.“

Wir fuhren nach oben und verließen das Ministerium. Wieder war der Stern, wie der Platz mit der Siegessäule auch genannt wurde, von Nachtschwärmern und Touristen bevölkert. Ich zog mein Handy hervor.

„Was machst du da?“, fragte Jennifer mich.

„Nachschauen, wie wir am besten zum Ehrenpfortenberg kommen.“

„Aha“, war ihre skeptische Antwort. „Mit den Öffentlichen sind wir da über eine Stunde unterwegs, weißt du.“

Ich hob den Kopf und schluckte.

„Bis wir da ankommen, ist das Einhorn weg.“

„Was schlägst du vor?“, fragte ich sie.

Jennifer zog die Augenbrauen hoch.

„Äh, n-nein, das halte ich für keine so gute Idee ...“

Ich wich leicht vor ihr zurück, als sie auf mich zukam. Trotzdem bekam sie meinen Oberarm zu fassen und apparierte. Alles an mir zog sich zusammen. Mein Magen, mein Darm, meine Lunge. Bei meinen Knochen fühlte es sich am schmerzhaftesten an, doch ich hatte keine Gelegenheit, darüber nachzudenken, denn auf der anderen Seite fiel ich heraus und landete unsanft auf dem Boden.

Ich hustete und prustete, was das Zeug hielt, und kämpfte mich auf meine wackeligen Beine, nur um dann hinter dem nächsten Baum zu verschwinden. Ich beugte mich vornüber und keuchte und würgte Galle hervor, das Ergebnis des nicht vorhandenen Abendessens. Ich machte selbst dann noch weiter, als ich eine Hand auf meinem unteren Rücken spüren konnte.

„Alles gut bei Ihnen?“, fragte mich eine Männerstimme.

Ich war zu geschlaucht, um zusammenzuzucken. Wackelig drehte ich mich um, um den Typen sehen zu können, der mich da so einfach betatschte. Vor allem erschreckte ich mich, weil er so mir nichts, dir nichts aus dem Nichts aufgetaucht war. Und das in einem Waldgebiet. Ganz koscher war er mir nicht. Zum Glück wich er zurück, als er mir ins Gesicht sah. Entweder hatte ich mich selbst auch ein Stück weit vollgekotzt, oder meine vermutlich blasse Gesichtsfarbe verriet ihm, dass Abstand besser für ihn sein würde.

„Soll ich den Notarzt verständigen?“

Er zog schon sein Handy vor, als ich abwinkte.

„Haj-hab mich n-nur üb-überan-strengt“, keuchte ich hinter vorgehaltener Hand. „S-S ge-ht gleich w-wieder ...“

„Sicher nicht?“, fragte er zweifelnd.

„J-Ja.“

Ich machte eine scheuchende Handbewegung und wandte mich von dem Mann ab. Zum Glück verfolgte er mich nicht, sondern rief einen Namen und ich hörte ein Bellen. Ich ging auf wackelnden Knien von ihm weg. Ich hatte Mühe, mich aufrecht zu halten und von Jennifer war weit und breit keine Spur. Was für ein Schlamassel. Warum hatte sie uns auch einfach appariert, ohne mich vorher darauf vorzubereiten. Wusste sie nicht, dass ich ein blutiger Anfänger war?

Ich fühlte mich ein bisschen an meinen ersten Abend in Berlin zurückversetzt, als ich mit Hilfe eines Maßkrug-Portschlüssels nach Berlin gereist war und Frau von Bülow dabei verloren hatte. Nur, dass mir dabei nicht so übel geworden war, wie jetzt. Für die kurze Zeit, die ich jetzt für das Ministerium arbeitete, hatte ich schon ziemlich viele verschiedene Reisemöglichkeiten kennen gelernt. Portschlüssel, Kloschüssel und jetzt das Apparieren. Keine der Reisemöglichkeiten hatte mir bisher besonders behagt, wobei sich die Reise mit der Kloschüssel ...

‚Oder wohl eher durch die Kloschüssel ...‘, dachte ich.

... sich am komfortabelsten herausgestellt hatte. Ich war trocken und auf beiden Füßen stehend angekommen und mir war hinterher auch nicht speiübel. Sie hatte nur furchtbar viel Überwindung gekostet, etwas, was mir mit der Zeit und viel Übung sicher leichter fallen würde. Ob ich Apparieren jemals meistern würde, bezweifelte ich.

Jennifer kam mir entgegen gestiefelt, ihren Zauberstab mit einem Lumos vor sich haltend. Ich erkannte sie erst, als sich einen Meter vor mir stand, so unkonzentriert war ich. Oder geschlaucht.

„Da bist du ja endlich, ich hab mir Sorgen gemacht“, meinte sie.

Ich musste mich beherrschen, nicht die Augen zu verdrehen.

„Du hättest mir ruhig sagen können, dass du apparieren willst.“

Jennifer legte den Kopf schief.

„Es war mein erstes Mal.“

„Huch? Warum hast du denn nichts gesagt?“, fragte sie erschrocken.

„Du hast mir nicht die Zeit gelassen, überhaupt etwas zu sagen.“

„Entschuldige ...“

Sie kramte in ihrer Hosentasche und förderte schließlich ein Pfefferminzbonbon zu Tage.

„Hier, das sollte über die schlimmste Übelkeit hinweg helfen.“

Erschöpft sah ich sie an.

„Hab ich mich angekleckert?“

„Nein. Aber du bist halt doch ziemlich weiß im Gesicht.“

Ich grummelte, packte das Bonbon aus und schob es mir in den Mund. Im Nu war der Geschmack nach Galle in meinem Mund verschwunden.

„Einer wollte schon einen Notarzt rufen“, meinte ich und sah mich dabei unbewusst um.

Inzwischen hatte Jennifer einen peinlich berührten Gesichtsausdruck angenommen. Verlegen kratzte sie sich am Hinterkopf.

„Also, irgendeine Idee, wo wir hier sind und vor allem, wo wir zu suchen anfangen sollten?“

Zum ersten Mal hatte ich wirklich Gelegenheit, mir die Umgebung anzuschauen. Viel sehen konnte ich indes nicht, da es inzwischen fast Nacht war. So Nacht, wie es in unmittelbarer Umgebung Berlins und des Tegeler Flughafen eben sein konnte, also eigentlich eher Dämmerung. Trotzdem war der Wald um diese Zeit finster und ohne vernünftige Beleuchtung nicht zu durchkämen. Anders als Jennifer zog ich es jedoch vor, mein Handy für entsprechend Licht zu benutzen. Auf mögliche Gassigeher würde das bei weitem weniger suspekt wirken, als ein Zauberstab.

„Also wollen doch mal sehen, wo wir hier sind.“

Der Ehrenpfortenberg war gar nicht weit weg und wir machten uns auf den Weg. Jennifer schritt mit mehr Enthusiasmus voraus, ich war etwas vorsichtiger dabei, mit meinem Handy zu leuchten, gleichzeitig unsere Route zu überprüfen und natürlich nicht über Wurzeln oder Steine zu stolpern.

Schließlich kamen wir bei dem so genannten Berg an, der bei genauerer Betrachtung nicht mal die Bezeichnung „Hügel“ verdiente. Eine Infotafel verriet uns, dass der Berg gerade einmal 69 Meter hoch war.

„Typisch Berlin“, schloss ich. „Die bezeichnen eine Müllhalde vermutlich auch als Gebirge ...“

Jennifer drehte sich zu mir um.

„Was ist?“

„Nichts. Ich hab nur eine andere Definition von Bergen. ... Wir sollten uns umsehen.“

Wir leuchteten mit Handy und Lumos in der unmittelbaren Umgebung herum, konnten aber nicht viel erkennen. Ich konnte mehrere Fußspuren ausmachen. Der Ehrenpfortenberg schien eine beliebte Wegmarke zu sein. Einen Hufabdruck fand ich jedoch nicht.

„He, komm mal hier rüber.“

Jennifer hatte sich etwas von der Infotafel entfernt und winkte mir jetzt zu. Ich stolperte zu ihr hinüber und sie zeigte auf einen Baum. Ich trat näher heran und erkannte schließlich einige helle Haare, die etwa auf Brusthöhe an der Rinde hingen. Ich nahm einige davon.

„Meinst du, das war das Einhorn?“, fragte ich Jennifer.

„Ich wüsste nicht, welches Tier sonst so helle Haare hat.“

Ich legte den Kopf schief.

„Zum Beispiel ein Schimmel? Hier braucht nur einer durchgeritten zu sein.“

„Ernsthaft?“, konterte sie.

Ich packte die Haare in meine Hosentasche in der Hoffnung, sie im Nachhinein nicht zu vergessen. Danach leuchtete ich mit meinem Handy auf dem Boden und fand nach kurzer Suche Hufspuren, die von der einen Richtung in die andere führten. Ich folgte der Spur einige Meter, Jennifer blieb an dem Baum stehen.

„Hier drüben, kannst du dir das ansehen?“, fragte ich sie.

Jennifer schloss zu mir auf und ich deutete auf eine Stelle am Boden, die silbern schimmerte. Sie hockte sich hin, verzichtete aber darauf, in die flüssig aussehende Masse zu greifen.

„Ich glaube, wir haben unser Einhorn gefunden“, meinte sie.

„Ist das Blut?“, fragte ich.

Überflüssigerweise. Natürlich wusste ich, dass es sich bei dem silbernen Zeug um Einhornblut handelte, sah es doch genauso so wie im ersten Teil der Harry Potter Filme aus. 

„Ja.“

„Wenn es blutet, scheint es doch schwerer verletzt zu sein“, überlegte ich.

„Das bezweifle ich. Die Spuren sehen ziemlich normal aus, was ihren Abstand zueinander betrifft. Das Einhorn scheint hier gemächlich durchgetrabt zu sein, eine gravierende Wunde würde entweder Stillstand oder wilde Flucht bedeuten.“

Ich nickte verdrießlich. Kunde über magische Wesen sollte ja eigentlich mein Fachgebiet sein. Oder werden. Trotzdem wusste Jennifer bei weitem mehr über die Materie, als ich. Oder sie vergleich das Einhorn einfach nur sehr mit herkömmlichen Pferden.

 Wir folgten der Spur weiter, die silbernen Flecken waren inzwischen genauso regelmäßig wie die Hufspuren. Nach fünf Minuten beugten wir uns wieder zu Boden.

„Siehst du das? Das Blut ist immer direkt am Huf, vielleicht hat es eine Wunde, aus der das Blut am Bein hinab läuft.“

„Ja, das habe ich auch schon überlegt.“

Die Spur führte uns wieder zurück nach Berlin, doch wir waren noch ziemlich weit vom Stadtrand entfernt. 

„Äh, Jennifer?“

„Hm?“

„Da kommt jetzt dann ein Wildtiergehege“, meinte ich. „Vielleicht hält es sich dort irgendwo auf.“

„Gut möglich. Zum Glück haben die da keine Wölfe.“

Inzwischen hatten wir ein gutes Tempo gefunden, um der Spur des Einhorns weiter zu folgen. Wir stiefelten noch einige Minuten durch den Wald, ehe wir an einem ersten Zaun ankamen.

„Da wären wir“, meinte Jennifer.

Ich prüfte das Gelände auf meinem Handy. Wirklich viel gab es nicht her. Die Spur führte am Zaun nach links, das Einhorn seinerseits schien sein Tempo ebenfalls verringert zu haben. Wir sahen uns die Blutspur auf dem Boden an und stellten fest, dass es noch ziemlich feucht war.

„Okay, ich glaube, am besten ist es, wenn wir uns hier aufteilen, um die Tieranlage zu durchkämen“, meinte ich. „So finden wir es schneller, falls es sich noch hier aufhält und der eine kann ihm notfalls den Weg abschneiden, sollte es doch ausbüchsen wollen.“

„Äh, gut, aber wie willst du Kontakt halten?“

Ich sah Jennifer schief an.

„Mit dem Handy? Du hast doch bestimmt eines, oder nicht?“, fragte ich unsicher.

„Ja, schon. Aber hier ist ein Funkloch.“

Erschrocken sah ich auf mein Display.

„Bei mir nich‘“, meinte ich nach einigen Augenblicken.

Jennifer hielt mir ihr eigenes Gerät hin, das sie aus dem Nichts zutage gefördert hatte. Dass eine waschechte Hexe ein Handy besaß, betrachtete ich als erheblichen Fortschritt. Dass ihr Gerät tatsächlich unter einem Funkloch litt, war allerdings alles andere als hilfreich.

„Was hast du denn für einen Anbieter?“

„O2.“

Sie sprach es „Ohh-Zwei“ aus. Zum Glück konnte Jennifer nicht sehen, wie ich die Augen verdrehte.

„Vielleicht solltest du dir einen anderen suchen.“

„Bei welchem bist du denn?“, fragte sie.

„Congstar. Ist ein ziemlich kleiner Anbieter, aber eine Tochter von der Telekom. Die nutzen das selbe Netz, soweit ich weiß.“

„Und Telekom ist gut?“

„Äh ... also sie haben die beste Netzabdeckung, falls du das meinst. Ich hab hier wie gesagt keine Probleme mit Empfang. Servicetechnisch ist die Telekom eine Katastrophe, aber die anderen sind da auch nicht besser.“

„Mhm?“

„Am besten ist es, wenn du mal in einen Telekom-Laden gehst.“

„Gut. Aber lass uns erst das Einhorn fangen.“

„Ja. Ich glaube, am besten ist es, wenn du die Route hier entlang direkt Richtung Häuser gehst. Da kriegst du am ehesten wieder Netz.“

„Und du dann dem Einhorn hinterher? Können wir so machen?“

Etwas raschelte vernehmlich. Erschrocken rissen wir die Köpfe herum, starrten in die Dunkelheit und lauschten der Stille. Außer entfernter Straßenlärm und vereinzelten Flugzeugen tat sich nicht viel. Nach fünf Minuten drehten wir unsere Köpfe zueinander. 

„Glaubst du auch, dass das kein gewöhnliches Geräusch war?“, hauchte Jennifer.

„Ja, aber wir haben keine Zeit, uns darum zu kümmern“, flüsterte ich zurück. „Also du da lang und ich hier.“

Wir nickten uns zu, zückten zu unseren Handys noch unsere Zauberstäbe und rückten aus. Innerhalb kürzester Zeit war Jennifer nicht mehr zu sehen, selbst ihr Lumos konnte ich in der Dunkelheit nicht mehr erkennen. Ob sie es ausgemacht hatte?

Ich schlich der Spur nach, die zunächst am Zaun entlang führte und dann rechts abbog, und inspizierte sie dann. Entweder war hier vor kurzem noch ein Loch im Zaun gewesen, das in der Zwischenzeit jemand verschlossen hatte, oder das Einhorn war einfach so durch den Zaun hindurch marschiert. Nichts deutete darauf hin, dass es Anlauf genommen und dann hinüber gesprungen war. Die Spur führte einfach geradewegs durch den Zaun.

„Scheiße“, fluchte ich leise. „Wenn alle magischen Tierwesen durch Zäune und Wände gehen können, krieg ich ein Problem.“

Ich steckte mein Handy weg, nahm den Zauberstab zwischen die Zähne und kletterte über den Maschendrahtzaun. Er war so stabil, dass ihn mein Gewicht nicht nach unten bog, trotzdem wackelte ich auf dem Scheitelpunkt hin und her. Auf der anderen Seite kam ich zum stehen und orientierte mich. 

Die Spur führte hier weiter stadteinwärts. Wenn das Einhorn die Richtung beibehielt, würde auch ich unweigerlich auf die ersten Gebäude stoßen. Vorausgesetzt, ich verlor die Spur nicht. 

Ich schlich weiter, schreckte dabei aber eine Rotte Wildschweine auf, die im Gehege links von mir waren. Ich hatte sie nicht mal bemerkt, plötzlich grunzten sie los. Entsprechend erschrocken hopste ich weiter. Die Rotte lärmte noch lauter und ich beeilte mich, wegzukommen.

Die Flecken von dem silbernen Blut waren noch ziemlich gut sichtbar, hatten aber trotzdem an Intensität abgenommen, seit wir sie zum ersten Mal entdeckt hatten. Ich schloss daraus, dass sich der Blutfluss der Wunde etwas gemindert hatte. An sich ein gutes Zeichen. Andererseits hatte sich die Verfassung des Tieres vermutlich auch etwas gebessert, das heißt, es würde etwas aufgeweckter unterwegs sein.

Ich schlich weiter und kam wieder an einem Gehege vorbei, doch von Tieren war dieses Mal weit und breit nichts zu sehen. Schließlich kam ich an den ersten Stallungen an, wo die Spur wieder nach rechts führte. Ich vermutete, dass ich alsbald wieder auf Jennifer treffen würde, doch sie blieb zunächst verschwunden. 

Dafür konnte ich ein Hufscharren ausmachen. Ich spitzte die Ohren, hob meinen Zauberstab und lauschte wieder. Das Scharren wiederholte sich nicht, dafür hörte ich ein Schnauben. Ich hielt meinen Zauberstab mit dem Lumos gesenkt, sodass es für ein etwaiges Tier nicht blendend war. Außerdem konnte ich so den Weg vor mir besser erkennen. 

Ich befand mich auf einem ziemlich platt getrampelten Pfad. Hufspuren waren nicht mehr zu erkennen. Die einzige Spur, die mir blieb, war das silberne Blut. Nur sehr spärlich glänzte es inzwischen im Schein meines Lumos. Die Spur führte mich zu einem Betriebsgebäude, wo sie um die Ecke ging. Anstatt ihr zu folgen, verhielt ich mich ruhig. Ich hatte das Gefühl, dass ich dem Einhorn mittlerweile ganz nahegekommen war. Woher das Gefühl kam, wusste ich nicht. 

Vorsichtig lugte ich um die Ecke und erspähte das Einhorn. Es hatte nur entfernt Ähnlichkeit mit jenem, welches man verletzt im ersten Harry Potter Film am Boden hatte liegen sehen. Dieses war grazil, hatte eine silbern glänzende Mähne, komplett glatt und platt statt wellig. Unruhig warf es den Kopf hin und her. Das Einhorn hatte meine Anwesenheit ebenfalls bemerkt. 

Oder vielleicht die von Jennifer. Die Hexe kam aus der anderen Richtung langsam auf uns zu. Sie nickte mir zu, woraufhin das Einhorn zu ihr herum schreckte. Im fahlen Licht unserer Lumos‘ konnte ich sehen, dass dem Wesen etwas aus dem Maul hing und tippte, dass es sich dabei um Heu handelte.

Das Horn des Einhorns strahlte mit unserem magischen Licht um die Wette. Es saß mitten auf der Stirn und war leicht eingedreht. Eine tödliche Waffe, wenn man genau darüber nachdachte. Dass sich noch keine Trophäenjäger und Schaulustige um das Tier zusammengerottet hatten, grenzte an ein Wunder und ich fragte mich, was es ausgerechnet nach Berlin verschlagen hatte.

Jennifer hatte sich kein Stück weit bewegt, seit sich das Einhorn zu ihr umgedreht hatte. Ich nickte ihr zu, um ihr zu bedeuten, dass sie einen Annäherungsversuch wagen sollte. Wenn ich von schräg hinten kam, würde es sich nur wieder erschrecken und womöglich durchgehen. Ob mich das Tier ebenfalls bemerkt hatte, wusste ich nicht.

Meine Partnerin hielt den Zauberstab gesenkt und machte einen vorsichtigen Schritt vorwärts, ließ das Einhorn dabei nicht aus den Augen. Es schnaubte, warf den Kopf hin und her und schüttelte dabei seine silberne Mähne. Jennifer schaffte es bis auf einen Meter an das Wesen heran, ehe es auf seine Hinterläufe stieg und sich aus unserer unmittelbaren Umgebung katapultierte. Es trabte einige Meter zurück Richtung Waldgebiet, blieb dann stehen und tat so, als würde es äsen.

„Wäre ja auch zu schön gewesen“, meinte Jennifer. „Versuch du es mal.“

Ich nickte nur und verhielt mich dann ebenfalls ruhig, so, wie sie es vorgemacht hatte. Das Einhorn hob den Kopf wieder, als ich mich etwas genähert hatte. Misstrauisch kaute es auf ein paar Halmen herum, während ich dafür betete, dass es nicht wieder ausbüchsen würde. Kurz überlegte ich, ob ich es wie bei einem Hippogreif versuchen und mich einmal vor dem Tier verbeugen sollte, entschied mich aber dagegen. Einhörner waren bestimmt nicht so eingebildet, als dass sie so ein Verhalten nötig gehabt hätten.

Ich merkte, wie ich lächelte. Das Warum konnte ich mir nicht erklären. Hoffte ich, dass das Einhorn so begreifen würde, dass ich keine Gefahr war? Oder wollte ich nur meine innere Anspannung weglächeln? Immerhin konnte mich das Tier auch aufspießen, wenn es die Lust danach verspürte. Ich bezweifelte, dass ein Protego mir in der Situation helfen würde.

Wieder schüttelte das Einhorn den Kopf, äste dann aber wieder. Schwang einmal seinen Schwanz, um imaginäre Fliegen zu vertreiben. Oder Anspannung.

„Schön brav, mein Kleines“, versuchte ich, es zu beruhigen.

Das Einhorn hob den Kopf wieder in meine Richtung und sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Knabberte genüsslich auf einigen Halmen herum, schnaubte.

Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Nur noch einen Meter musste ich an das Einhorn herankommen, um es an der Seite berühren zu können. Dann nur noch einen halben Meter, es äste immer noch.

Hinter mir raschelte etwas. Ich zuckte zusammen und drehte mich um, konnte aber nichts erkennen. Das Einhorn hatte den Kopf wieder hochgerissen, war aber nicht weggesprungen. Mit gespitzten Ohren sah es in jene Richtung, aus der der Lärm gekommen war. Ich hielt dem Wesen meine Hand entgegen, nur verzögert schnupperte es daran, sah dann wieder dorthin, wo Jennifer zuletzt gestanden hatte. Vorsichtig strich ich im über die Nüstern und drehte mich dann ebenfalls wieder um.

Ich fühlte an meiner Hand, wie das Einhorn mit seinen Nüstern dagegen stieß. Mir dann über die Hand leckte.

„Hey“, meinte ich.

Es lärmte wieder.

„Verflucht noch eins ...!“

Schließlich kam ein heller Punkt zum Vorschein, der sich als ein Lumos entpuppte.

„Ich hab ein Seil, das können wir als Trense binden“, rief Jennifer mir zu.

Der Stein, der mir vom Herzen fiel, war bestimmt noch im Ministerium zu hören, so erleichtert war ich, dass nur Jennifer herumgelärmt hat. Sie kam vorsichtig in unsere Richtung. Ich wandte mich wieder um. Das Einhorn sah meine Partnerin noch einen kurzen Moment an und fing dann wieder zu äsen an.

„Verfressen ist es auch“, meinte ich zu der Hexe, als sie schräg hinter mir stand. „Weißt du, wie man eine Trense aus einem Seil bindet?“

„Nein, aber so schwer kann das schließlich nicht sein.“

Sie brauchte eine gefühlte Ewigkeit für das Unterfangen, aber schließlich schaffte sie es, eine ansehnliche Variante zu knoten. Das Einhorn wollte sie nur nicht so recht anziehen. Was mich aber nicht wunderte, wer ließ sich schon gerne ein Seil um den Kopf wickeln. Das wäre, als würde man mich knebeln. Trotzdem schaffte Jennifer es schließlich, dem Einhorn unter viel gutem Zureden die improvisierte Trense anzulegen.

„Gut, das hätten wir. Kannst du es mal festhalten?“

„Äh, ja“, meinte ich und griff nach den Zügeln. „Was hast du vor?“

„Mir die Wunde anschauen. Siehst du? Am hinteren Oberschenkel rechts ist es verletzt.“

„Iihhh, das sieht ja gar nicht gut aus.“

Ich nahm die Trense und tätschelte dem Einhorn beruhigend den Hals. Trotzdem zuckte es herum, als sich Jennifer der Wunde näherte und sie untersuchte. Ich hatte erwartet, dass das Einhorn vielleicht irgendwo dagegen gelaufen und sich dadurch einen tiefen Kratzer eingefangen hatte. Stattdessen war die Wunde rund, an den Rändern hatte sich schon etwas silberner Schorf gebildet. Schließlich fing Jennifer an, in ihren Sachen zu kramen.

„Kannst du was dagegen machen?“, fragte ich.

„Eine erste Wundversorgung, ja. Trotzdem müssen wir es uns noch mal genauer anschauen, sobald wir zurück im Ministerium sind.“

Ich sah dem Einhorn in seine Augen.

„Äh, wie wollen wir das eigentlich machen? Also das Einhorn zurück ins Ministerium bringen?“

Jennifer hatte sich auf den Boden gekauert, einen Mörser sowie verschiedene Kräuter, Beeren und andere Zutaten hervorgeholt und zu arbeiten begonnen. Was genau sie da anrühren wollte, war mir ein Rätsel. Bei meiner Frage hielt sie in ihrem Tun inne und sah überrascht zu mir hoch.

„Ich dachte, du wüsstest das ...“

„Äh ... Ich kenne nur den Zugang über die Siegessäule.“

Der Stößel glitt aus ihren Fingern und klirrte im Mörser. Sie stand auf, ohne ihr Missgeschick weiter zu beachten.

„Dann haben wir ein Problem.“

Ich schluckte.

„Ich kenne leider auch keinen anderen“, meinte sie lapidar. „Bin ja nur für meine Dissertation hier ...“

Ich ließ die Schultern hängen.

„Gut, aber davon sollten wir uns nicht abhalten lassen, oder? Erst ein Problem nach dem anderen lösen.“

„Stimmt, du hast Recht!“

Sie wandte sich wieder ihrer Mixtur zu, zerrieb sie noch etwas weiter und näherte sich damit der Wunde des Einhorns. Instinktiv wurde es unruhig.

„Sshhht“, versuchte ich, es zu beruhigen.

Trotzdem wich das Einhorn von Jennifer weg, als sie einen ersten Teil der Heilpaste auf der Wunde verteilte. Zum Glück trat es nicht aus. Ganz vorsichtig strich die Hexe das Zeug zuerst am Rand, dann auf die Stelle, an der sich noch kein Schorf gebildet hatte. Wieder zuckte das Einhorn weg, ließ die sanfte Handbewegung Jennifers schließlich zu und schnaubte zur Antwort. Als sie fertig war, kramte die Hexe noch einmal in ihrem Beutel.

„Sind das Feigenblätter?“, fragte ich sie.

„Ja. Frisch aus Felds Gewächshaus. Hätte nicht gedacht, sie für sowas zu brauchen.“

Jennifer presste zwei Feigenblätter sanft auf die Wunde mit der Paste und drückte einige Minuten dagegen. Als sie die Hand wieder wegnahm, blieben die Blätter von selbst haften.

„Eigentlich würde ich ja noch einen Verband drum machen, aber an der Stelle ist das blöd.“

„Gut, dann muss es halt so gehen. ... Das hast du gut gemacht!“

Wieder tätschelte ich dem Einhorn beruhigend den Hals. Es schnaubte und stupste mich dann mit den Nüstern an der Stirn.

„Danke.“

„Äh ...“

Jennifer packte ihre Sachen weg, stand auf und trat zu mir.

„Hast du dir überlegt, wie wir es zurück ins Ministerium bekommen?“

„Wir nicht, aber ich kenn wen, der uns da bestimmt helfen kann.“

„Wen denn?“

„Müller.“

„Müller?“

„Ja, er kennt bestimmt einen Weg. Und er weiß, dass wir uns nicht gut im Ministerium auskennen.“

Jennifer sah nicht überzeugt aus.

„Was denn? Hast du einen besseren Vorschlag?“

„Nein, aber ich hab ihn bisher nur als Schreibtischhengst kennen gelernt.“

„Dann muss er halt jetzt mal einen Ortstermin machen. Wir können schließlich nichts dafür, wenn wir keine richtige Einweisung bezüglich des Ministeriums erhalten.“

Dass ich den bisherigen Tag zu reinem Eigennutz in Berlin verbracht hatte, anstatt etwas über das Ministerium zu lernen, verschwieg ich.

„Und nun?“

„Nun apparierst du zum Ministerium und holst Müller.“

„Ich?“

„Ja ich kann’s ja nicht. Also apparieren meine ich.“

Jennifer seufzte.

„Kommst du hier alleine klar?“, fragte sie.

„Natürlich. Außer mir und den Tieren ist hier ja niemand.“

Sie schien nicht überzeugt, brachte aber andererseits auch keinen besseren Vorschlag vor.

„Gut. Ich schau, dass wir so schnell wie möglich her kommen ...“

Und weg war sie. Ich stieß ein Seufzen aus. Wie froh ich doch war, erst mal nicht wieder apparieren zu müssen. Ich bezweifelte, dass mein zweites Mal besser als mein erstes Mal laufen würde, und war froh, es noch etwas hinauszögern zu können.

Ich hatte meinen Zauberstab in mein Halfter gesteckt, hielt das Einhorn an der Trense fest und beruhigte mehr mich selbst, statt das Tierwesen. Es schien zu spüren, dass ihm gerade keine Gefahr drohte, und versuchte, mich wieder zurück zu dem Stall zu ziehen. Ich ging neben dem Einhorn her.

„Ah, das hatte dich also angelockt?“, meinte ich.

Das Einhorn steckte seinen Kopf in einen Haufen Heu hinab, der unter dem Vordach lagerte und als Streu und Futter für die Tiere des Freigeheges gedacht war. 

„Du kleiner Fresssack bist genauso verfressen wie Rufus. Hm, ich nenn dich wohl Aerith, der Name passt am besten zu einem reinen Wesen wie dir.“

Das Einhorn fraß einfach weiter. Es duldete meine Anwesenheit und hatte sich auch nicht geregt, als Jennifer disappariert war. Ich hoffte, dass Müller noch wach war und sie nicht lange mit ihm herumdiskutieren musste. Ich verspürte wenig Lust, hier in dieser abgelegenen Gegend länger, als nötig ausharren zu müssen. Einen einfachen Weg zurück zum Ministerium gab es für mich nicht. Mir blieb lediglich, ein Taxi zu nehmen, aber dann müsste ich das Einhorn, Aerith, hier lassen. 

Und war es nicht Sinn und Zweck gewesen, das Einhorn zu finden und zum Ministerium zurückzubringen? Vermutlich hatte das Ministerium sogar einen weniger prominenten Eingang, durch den man auch ein größeres Wesen hindurch bringen konnte. 

Überhaupt, was stellte Müller sich vor, wo wir es unterbringen sollten? In meinem Zimmer ja wohl nicht, das war viel zu klein und außerdem schon von Rufus besetzt. Wer weiß, wie der kleine Niffler auf das Horn des Einhorns reagieren mochte? Hernach verwechselte er es mit dem Glitzertand, den er hortete und versuchte, sich das Horn einzuverleiben.

„Also sich aufzuspiesen, hm?“, meinte ich zu Aerith.

Das Einhorn, sie, schnaubte und fraß weiter Heu.

„Auf den Schock mit der Wunde brauchst du erst mal was zu Fressen, was? Wo hast du dir die überhaupt eingefangen?“

Natürlich antwortete Aerith nicht. In der Hinsicht war sie ganz wie mein Niffler. Ich strich ihr über ihr seidig glänzendes Fell. Als sich meine Hand der Wunde näherte, wich das Einhorn von mir weg.

„Entschuldige ...“

Ich konzentrierte mich wieder mehr auf den Kopf des Tiers. Es wusste instinktiv, wie lang sein Horn war und wann es nicht mehr genug Platz hatte, um den Kopf zu schütteln. Jedoch bezog das mich nicht ein und ich musste Aerith einmal abwehren, als sie sich kauend zu mir umwandte. Beinahe hätte sie mir ihr Horn gegen die Schulter gerammt.

„Na na na!“, mahnte ich streng.

Aerith fraß weiter Heu. Ich war so darauf konzentriert, dass ich gar nicht mitbekam, wie sich jemand anschlich. Erst, als das Einhorn den Kopf hochriss und erschrocken wieherte, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Doch da war es bereits zu spät. Ich spürte nur noch einen dumpfen Schlag. Das Bewusstsein verlor ich, noch ehe ich zu Boden gefallen war.

Als ich wieder wach wurde, fehlte mir zunächst jede Orientierung. Ich nahm nur wahr, dass ich auf dem Rücken lag, in einem Bett. Ein Schatten schob sich in mein Gesichtsfeld und meine Pupillen brauchten etwas, ehe sie sich fokussierten. Jennifer hatte viele Sorgenfalten im Gesicht, aber ihr Blick wurde etwas entspannter.

„Na endlich! Ich hab mir solche Sorgen gemacht.“

„Äh ...“

Zu mehr fehlte mir die Kraft.

„Die haben nur auf einen günstigen Moment gewartet. Als ich weg war, witterten sie ihre Chance.“

Ich sah sie mit einem Fragezeichen im Kopf an. Was war noch mal passiert? Und wer waren die? Doch zu sehr brummte mir der Schädel. Eigentlich wollte ich nur die Augen zu machen, damit mich das Licht von der Deckenlampe nicht mehr so blenden konnte.

‚Was für ein beschissener Traum ...‘, dachte ich.

„Tut es noch arg weh?“, fragte Jennifer.

„Äh ...“

Eigentlich tat mir gar nichts weh. Bis auf der Brummschädel. Das sagte ich ihr so.

„Nun, das sind vermutlich noch die Nachwehen von dem Zauber, mit dem wir die Kopfwunde geheilt haben.“

„Kopfwunde ...?“

„Ja. Die haben dir mit einem Ast auf den Hinterkopf geschlagen. Du hattest eine ziemlich fiese Platzwunde davon getragen. Du kannst dich echt glücklich schätzen. Normale MaKas hätte man an der Stelle rasiert und sie würden wohl eine Narbe behalten.“

Ich sah sie mit großen Augen an und fing dann an, an meinem Kopf herumzutasten.

„Warum hab ich keinen Verband?“

„Weil wir die Wunde mit einem Zauber verschlossen haben.“

Jennifer ließ sich nichts anmerken. Ich ächzte. Sie wandte den Kopf ab, griff dann nach etwas, das mir auf die Beine gesprungen war.

„Dein Niffler scheint auch besorgt zu sein.“

Sie hielt Rufus in mein Gesichtsfeld und der Kleine zappelte herum.

„Autsch!“

Jetzt krabbelte er auf der Matratze neben mir und betastete mich mit seinen Patschepfoten. Wandte sich dann wieder ab und kletterte vom Bett, als wäre nichts gewesen. Warum hatte ich auch was anderes erwartet?

„Hat er dich gekratzt?“

„Ja, ist aber nicht schlimm. ... Wie fühlst du dich?“

„Als hätte mich ein LKW überfahren ...“

Jennifer zog eine Augenbraue hoch.

„Was ist denn genau passiert?“

„Na ja, wir waren wohl nicht die Einzigen, die hinter dem Einhorn her waren. Zum Glück kamen wir gerade noch rechtzeitig, sie hatten das Einhorn noch nicht verladen.“

„Verladen? Warum denn verladen?“

„Na ja, Einhörner sind auch für NoMajs sichtbar. Die haben wohl das große Geld gewittert, wenn du mich fragst.“

„Äh ...“

„Keine Sorge, wir haben uns angemessen um die gekümmert.“

„Und das Einhorn?“, fragte ich leise.

„Ist sicher verstaut im Trainingsgelände. Sie haben kurzfristig einen Stall hochgezogen. Dr. Müller meinte, es würde auch noch eine Weide dazukommen.“

„Äh ...“

Jennifer lächelte verschmitzt.

„Mach das nie wieder, hörst du?“

Ich sah sie überfordert an.

„Dir von hinten auf den Kopf schlagen lassen. Was meinst du, was ich für einen Schreck hatte, als ich dich da liegen sah!“

„Du hast mich gesehen?“

„Ja.“

„Wer war denn noch da?“

„Dr. Müller natürlich. Er ist wirklich etwas eingerostet, wenn ich das so sagen darf. Und einer von der magischen Polizei, wenn ich mich nicht täusche.“

„Äh, Jost vielleicht?“

„Nee, so hieß der nicht.“

Ich brummte. Dann fiel mir etwas ein.

„Du sag mal ...“

„Hm?“

„Du spielst doch Tennis?“

„Ja. Warum?“

„Meinst du, wir könnten uns mal so eine Tennisball-Maschine ausleihen?“

Jennifer sah mich schief an.

„Ich kann dich gerne mal zu einem Training mitnehmen, wenn du es lernen möchtest.“

Ich schüttelte schnell den Kopf und fluchte dann.

„Ich will nicht Tennis lernen, sondern Protego üben.“

„Mit einer Tennisball-Maschine?“

„Ja. Zum Selbsttraining.“

Jennifer zog die Augenbrauen hoch.

„Wieso sagst du nichts, wenn du jemanden zum Üben brauchst?“

„Äh, na ja. Ich wollte dich nicht von deiner Dissertation abhalten.“

Dass Dr. Müller mich extra darauf hingewiesen hatte, dass sie keine reguläre Ministeriumshexe war und ich sie lieber nicht von ihrer Arbeit abhalten solle, verschwieg ich lieber.

„Wir können gerne mal zusammen trainieren gehen, wenn du magst.“

Mein Gesicht hellte sich auf.

„Aber erst, wenn du wieder fit bist.“

Ich nickte.

„Wie spät ist es?

„Es dürfte kurz vor 12 Uhr sein. Kann ich dich alleine lassen?“

„Ja. Du bist bestimmt auch müde, oder?“

Sie nickte nur. Jennifer stand auf und schob den Stuhl zurück an den Tisch.

„Lass dir morgen früh Zeit beim Aufstehen. Vielleicht kommt auch jemand vorbei, um nach dir zu sehen. Ich kann leider nicht, hab selber einen Termin.“

„Nur keine Umstände wegen mir.“

Sie lächelte kurz und ging dann zur Tür.

„Soll ich das Licht ausmachen?“

„Ja, bitte.“

„Also dann, gute Nacht.“

„Gute Nacht“, wünschte ich ihr.

Jennifer drückte auf den Lichtschalter und verließ mein Zimmer. Ich sank auf das Kissen zurück, schloss erschöpft die Augen und versuchte zu schlafen. Wenige Augenblicke später dümpelte ich durch wirre Träume.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und hier meine Prolog-spezifischen Aufgaben:

1. Es war ein schrecklicher Tag. Alles lief für dich normal, bis du am ende deiner schicht gefeuert wurdest, weil etwas gegen dein Chef geflogen ist und er dich dafür verantwortlich gemacht hat.
2. Wütend fährst du nach hause als das nächste unglück passierte. Feuer brach von deiner Arbeitsstelle raus, deine entscheidung was du machst.
3. Gegen Abend bemerkst du ein Brief worauf steht: „Ministerium der Zauberei“. Ist das ein Scherz oder Realität?
4. In dem Brief wird stehen, dass du dich sofort aufmachen sollst zur straße Lohweg, dort wartet eine Person auf dich die dich abholen wird.
6. Dir wird die Aufgabe zuteil Tierwesen zu untersuchen, dazu bekommst du allerdings noch ein Zauberstab.
7. Gemeinsam nutzt ihr ein Portschlüssel und werdet in Berlin „teleportiert". Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und hier meine kapitelspezifischen Aufgaben:

1. Du hast Frau von Bülow aus den augen verloren und wanderst beirrt durch Berlin. Du gehst eine straße entlang, wirst auf den weg ein licht finden und wirst es folgen, dabei gehst du „zufällig“ zum Brandenburger Tor.
2. Frau von Bülow wartet ungeduldig und lässt ihre lichtkugel voran fliegen zum ministerium (Auf der karte gesehen, geht ihr weiter richtung westen zur Siegesstatue)
3. Wie bei Gleis 9 3/4 ist dort der gleiche zauber, ihr geht durch eine wand und nehmt den Fahrstuhl in das Ministerium der Zauberei.
4. Dort angekommen wird dir erklärt, dass es seit dem vorfall mit dem massen erinnerungslöschen die ansicht der Tierwesen verändert wurden.
5. Deine wichtigen sachen, wie handtasche, wurde auf magische weise schon hergebracht.
6. Das Feuer war deine Schuld weil du deine magie nicht richtig einsetzen konntest, deswegen wird es nicht abgemahnt oder weiter thematisiert, desweiteren kommst du zu deiner Reise ein Buch mit mindestens 1000 Seiten über Magie und ihre Zauberei.
7. Da viel arbeit auf Bülow wartet, wirst du dich ausruhen dürfen, vielleicht wendest du vorher Magie auf den übungsplatz an, der sich im dritten untergeschoss befindet? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Für das zweite Kapitel hatte ich eigentlich acht Aufgaben bekommen, aber da es nach vier Aufgaben schon ziemlich umfangreich war, habe ich beschlossen, das Kapitel zu splitten.

Hier die Aufgaben von Kapitel 2:
1. Du wachst auf und willst dein gewohnten Morgengang gehen, doch bemerkst später im Halbschlaf, dass du im Zauberei Ministerium bist. Geh zu frühstück und danach zum Training. Beim essen wirst du jemanden finden der dir dabei helfen wird.
2. Nach deinem Training und nachdem du mal in deinem „Enzyklopädie der Magie und Zauberkunst“ nachgeschlagen hast, wird dir gegen Mittag mitgeteilt, dass du zu Dr. Müller gehen sollst.
3. Dort angekommen wirst du auch gleich dein ersten Auftrag bekommen. Du sollst zum Botanischen Museum gehen (süd-süd-west) und dort jemanden namens Dr. Friederich Feld erkundigen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und hier die Aufgaben zu diesem Kapitel:

1. Du wirst von deinem Handy aufgeweckt um 5 Uhr, geh erstmal deine morgentliche Routine nach und bereite dich vor, du wirst ein gefühl bekommen dass der Niffler dir stress machen könnte...
2. gegen 9 bis 10 wirst du in kenntniss gesetzt dass es ein schlimmen Notfall gibt und du dich bei Dr. Müller Melden sollst
3. Dir wird gesagt dass mehrere Läden und banken ausgeraubt wurden und zwar seit ca. 10 uhr des gestrigen abend... Insgesammt sind es jetzt schon 11 gebäude und es werden mehr wenn nichts unternommen wird.
4. Mach dich auf um den Niffler zu fangen, dabei wird dich niemand begleiten. Untersuche die Tatorte und vielleicht bekommst du den einen oder anderen Hinweis... (würfelglück W6: Du findest spuren um geschäft und wenn du dir auf deinen handy eine app ansiehst welche läden ausgeraubt wurden, erkennst du darauf eine linie und kannst damit den nächsten ort abschätzen wo dein niffler zu finden sei)
5. Finde den Niffler... (Gottheit bescheid sagen)
6. Fange den Niffler. Leider wird dir das eine oder andere Missgeschick passieren. Er wird dir einmal unter die Beine durchlaufen, auf dein Kopf einmal hüpfen und um die ecke entkommen falls du ein Zauber auf ihn wirkst.
7. Stelle ihn sicher und bringe ihn zu Dr. Müller. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und hier noch meine Aufgaben zu diesem Kapitel:

1. Du kannst dich heute mal so richtig schon ausschlafen, wirst aber eine Notiz bei dir finden, dass du mit den Niffler zu Dr. Müller gehen sollst.
2. Je nachdem Ob du davor oder erst Danach frühstücken willst, gehst du zu Dr. Müller und erzählst ihn grob was vorgefallen ist. Er wird etwas wütend, weil du nicht den Obligationszauber selbst an anderen angewendet hast, aber er gibt sich selbst dafür die schuld.
3. Falls du Dr. Müller fragst wegen dem Arbeitsamt und wegen deiner Post zuhause, wird er dir erzählen, dass es nicht notwendig ist. Mit dem Arbeitsamt ist es schon geklärt und die Post wird weitergeleitet in das Ministerium, du hast da ein eigenes Postfach. Die umstände waren etwas hecktisch und deswegen bittet er dich auch um entschuldigung.
4. Er bittet dich die beute Des Nifflers zu überreichen.
5. Einmal kurz nicht aufgepasst und der Niffler verschwindet im Ministerium.
6. Dr. Müller wird dir erklären, dass du dich um ihn kümmern musst und ihn deswegen suchen. (frag deine Gottheit nach 3 orten wo du im Ministerium suchen möchtest.)

- Im Zaubereiministerium im 10 Untergeschoss wird alles normal sein, niemand hat ein Niffler gesehen und sind auch eher mit der arbeit beschäftigt.
- Beim Magischen Zoll gibt es Probleme wegen eines Gegenstandes, aber der Niffler ist dort auch nicht. Stattdessen wirst du Jost dort finden und er bemerkt dich und fragt was du beim zoll suchst. Wenn du ihn erklärst dass dein Niffler frei herumläuft und du ihn einfangen musst, wird er dir deine Hilfe anbieten.
- In der Eulerei ist auf dem ersten blick nichts ungewöhnliches, aber bevor du gehst kommt einer der Mitarbeiter zu dir und sagt dir, dass ein kleiner schwarzer Maulwurf hier war und hat ihn seine Taschenuhr geklaut. wenn du ihn fragst wie lange es her war, wird er dir sagen etwa vor 7 Minuten.
- Jost wird dir den Vorschlag machen an der Asservatenkammer zu warten. Unter den Beweisstücken sind auch glänzende Gegenstände, die er sich sicher holen möchte. Gemeinsam macht ihr euch auf, gerade aus du dort angekommen bist, verschwindet der niffler durch die Tür.


7. Ist der Niffler eingefangen und auch zurück mit dir in dein Zimmer, siehst du auf den tisch ein kleinen roten Feuerrubin. Daneben auch ein Zettel, dass dies eine beute des Nifflers sei und man nicht zuortnen konnte woher er es hat. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Da ich die gestellten Aufgaben in zwei Kapitel aufgespaltet habe, wird es die Aufgaben für dieses Kapitel erst beim nächsten Kapitel nachzulesen geben. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und hier nun die Aufgaben zu Kapitel 6 und 7:

1. Es wird jetzt für dich entspannter.
2. Wenn du zu Müller gehst, kannst du ihn gern wegen der Genehmigung fragen, er sagt dir aber, dass es dauern wird. Wegen seine restlichen Beute wird eine andere Person geschickt.
3. Du kannst dich mit neuen Zauber befassen und sonstige Sachen nachlesen wenn du magst. Solltest du dein kleinen pelzigen gesellen mit hinein nehmen ist er am Anfang zahm wird aber doch ein wenig ungeduldiger und bekommt Hunger.
4. Du bekommst langsam auch Hunger und es wird zeit für das Abendessen.
5. Wenn du magst kannst du dein Niffler anschließend in dein Zimmer lassen und noch trainieren oder du gehst mit ihm schlafen.
6. Der nächste tag bricht an und der Niffler tobt spielerisch in dein Zimmer herum. beruhige ihn.
7. Der Rest des Tages kannst du gestalten wie du willst. Leider ist die Genehmigung noch nicht da.
8. Am Abend wirst du wegen eines Notfalls zu Dr. Müller gerufen. Komplett anzeigen

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