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Magister Magicae

Magister Magicae 7
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Trigger-Warnung: Vergewaltigung
(Nein, es passiert überhaupt gar nix, aber man weiß ja nie wer das hier liest ...) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ihr Lieben, bitte nicht wundern wenn euch das hier bekannt vorkommt. Ich musste das Kapitel nochmal überarbeiten. Scharenweise Harpyien in London waren doch etwas unrealistisch. Die gehören von der Mythologie her eher nach Griechenland. Nach Rücksprache mit Salix habe ich mal lieber andere Kreaturen draus gemacht. Danke an Salix für den Hinweis und die Hilfe. :) Komplett anzeigen

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Prolog

Urnue zog sich murrend die Bettdecke aus dem Gesicht und fuhr sich mit einer Hand durch die zerwuschelten, schwarzen Haare, als sein ganzer Nachttisch lautstark brummte und klapperte. Der Vibrationsalarm seines Handys war ja noch schlimmer, als wenn er einfach den Ton angelassen hätte. Es war stockdunkel im Zimmer, also musste es noch tiefste Nacht sein. Ja, 2:43 Uhr, wie ihm der digitale Wecker bestätigte.

Der Wiesel-Tiergeist gab dem hartnäckigen Rumoren seines Telefons nach, griff ohne hinzusehen nach dem Gerät und hielt es sich blinzelnd vor die Nase. Auf dem Display wurde ein Anruf mit unterdrückter Nummer angezeigt, was Urnue sofort etwas munterer machte. Es gab nur einen, der immer mit unterdrückter Nummer anrief, um nicht zurückverfolgt werden zu können. Noch dazu um so eine Uhrzeit. Er nahm den Anruf an und meldete sich mit einem skeptischen „Ja?“

Urnue, eto ty?“ [Urnue, bist du das?], antwortete jemand.

Gott, jetzt auch noch Russisch übersetzen, in diesem Halbschlaf-Zustand. Das fehlte Urnue gerade noch. Aber er erkannte zumindest die Stimme seines Anrufers sofort wieder. Das war Victor, wie erwartet. „ey, Dragomir. da, eto ya.“ [Hey, Dragomir. Ja, ich bin´s.], meinte er. „Was ist denn los?“

„Ich muss dringend mit dir reden. Kannst du kurz rauskommen?“

Urnue überdachte diese Frage verwirrt. „Wie, rauskommen?“

„Na, raus aus deinem Haus.“

„Du bist in London?“

„Kennst du die alte Lagerhalle am Ende der Straße?“

„Ja?“, erwiderte Urnue unsicher.

„Dort findest du mich. Lass Ruppert schlafen und komm alleine.“

„Äh ... JETZT???“

Das typische Tuten in der Leitung war die einzige Antwort, die Urnue noch bekam. Victor hatte aufgelegt. Irritiert schaute Urnue auf den Bildschirm. Was zur Hölle ...!? Nach ein paar Augenblicken Bedenkzeit quälte er sich aber trotzdem aus dem Bett hoch und begann sich anzuziehen. Als Wiesel musste er sich keine sonderlich große Mühe geben, leise zu sein, um seinen Schützling im Nachbarzimmer nicht zu wecken. Leise zu sein lag ohnehin in seiner Natur. Was konnte der wollen? Ging es um Nyu?

„Ich werde das Vieh jetzt totschlagen!“

[der Abend zuvor]
 

Der graue Bankenbesitzer kam muffelig ins Wohnzimmer gestapft. Von den Haaren über das Jacket, das er auch zu Hause trug, bis zu den Schuhen war alles an ihm grau und farblos. Ernst und irgendwie griesgrämig war er ja immer, aber heute war es besonders schlimm. Allerdings hatte er auch guten Grund dazu. Ruppert sah sich im Wohnzimmer um und fand seinen 19-jährigen Sohn Josh allein auf dem Sofa sitzend und für die Aufnahmeprüfung der Uni lernen. „Wo ist Danny?“, wollte Ruppert wissen.

„Im Keller.“

„Ist er immer noch bei diesem verwilderten Biest?“

Josh warf ihm nur einen entschuldigenden Blick zu, als ob er was dafür könnte. Nagut, komplett unschuldig war er in der Tat nicht. Er hatte ja schließlich mitgeholfen. Und, was noch schlimmer war, er hatte den Schutzgeist seines Vaters überredet, Ruppert ungeschützt alleine zu Hause zu lassen und zu diesem waghalsigen Unternehmen mitzukommen. Im Ergebnis hatten sie jetzt eine wilde, tobende Harpyie im Keller sitzen, die völlig außer Kontrolle war und jeden zerfleischte, der ihr zu nahe kam.

„Ich werde das Vieh jetzt totschlagen!“, entschied Ruppert und krallte sich den Schürhaken vom Kamin.

Josh schnellte schockiert vom Sofa hoch. „Vater! Nein!“

Urnue erschien aus der Küche, ein Glas Saft in der Hand, und lehnte sich mit fragendem Blick mit der Schulter in den Türrahmen, um zu verfolgen, was hier passierte. Auch er war sehr kleinlaut. Ruppert hatte ihn noch in der Nacht zusammengestaucht wie eine Schrottpresse. Davon hatten Rupperts Söhne nur am Rande etwas mitbekommen, wenn er dabei zwischenzeitlich mal lauter geworden war. Als sein Genius Intimus war es nicht nur eine bodenlose Frechheit, seinen Schützling allein zu lassen und zu verschwinden, sondern es war noch dazu eine unverzeihliche, verdammt schwerwiegende Pflichtverletzung, die ihn im Zweifelsfall den Kopf kosten konnte.

„Ich versteh bis jetzt nicht, was diese Befreiungsbewegung sollte, die ihr drei gegründet habt! Weg mit dem Drecksvieh!“, polterte Ruppert weiter, schon auf halbem Weg zur Kellertür.

„Du warst nicht dabei, als sie die Genii befreit haben! Du hast keine Ahnung, was in Danny vorgeht!“, versuchte sein Sohn ihn aufzuhalten.

„Sentimentaler Unsinn!“, entschied der Banker. Als ehemaliger Finanz-Chef der Motus war er in Sachen Versklavung und Totschlag von Genii eher schmerzfrei. Unaufhaltsam rauschte er weiter, hinaus in den Flur.

Aber der Junge ließ nicht locker. „Vater, die haben gesagt, sie wäre eine Genia Intima! Sie ist über ein silbernes Band mit jemandem verbunden! Die hat irgendwo einen Schützling! Hast du mal bedacht, daß ihr Schützling noch irgendwo da draußen auf sie warten könnte?“

„Dann sollen 'die' das Vieh zu seinem Schützling bringen und nicht hier bei uns abladen! Danny soll sich drum kümmern, seinen eigenen Schutzgeist zu finden, damit ich ihm nicht immer einen Babysitter ...!“

Josh fiel seinem Vater in den Arm, als der die Hand nach der Klinke der Kellertür ausstrecken wollte. „Das da unten im Keller IST sein eigener Schutzgeist!“

„Bitte was!?“

Josh sah ihn nur vielsagend an. Er hatte schon richtig verstanden. Er konnte sich denken, daß sein Vater auf diese Idee nicht von selber gekommen war. Damit, daß ein Junge einen weiblichen Schutzgeist hatte, rechnete im ersten Moment ja auch keiner. Das war sehr unüblich.

Fluchend warf Ruppert den Schürhaken zu Boden. „Heilige Scheiße!“

„Siehst du? Genau diese Reaktion hat Danny erwartet“, meinte sein Sohn. „Darum wollte er es keinem sagen, bevor sie sich nicht wieder eingekriegt hat. Gib ihm einfach noch etwas Zeit, bitte. Er braucht nichts weiter als Zeit, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Gib ihm eine Chance.“

Etwas unverständliches in sich hineinmaulend marschierte Ruppert Richtung Küche. Urnue machte ihm mit gesenktem Kopf Platz, um ihm die Tür nicht zu versperren. Drinnen hörte man erst den Kühlschrank und dann Gläser klappern. Der Bankenbesitzer beschloss, das Thema vorerst mit Alkohol abzurunden.

Josh hob zögerlich den Schürhaken wieder auf und brachte ihn zurück zu seinem Platz neben dem Kamin.
 

Danny saß am Abendbrottisch und kaute mit ungutem Gefühl sein Brot. Irgendwas war anders als bisher. Sein Vater war schon die ganze Zeit missmutig gewesen, seit er sich der jungen Genia angenommen hatte. Und das war er auch jetzt noch. Aber auf eine andere, sehr viel unheilvollere Weise. Sein älterer Bruder Josh warf ihm verstohlene Blicke zu, die er nicht deuten konnte. Was war nur los? Das Schweigen machte ihn wahnsinnig.

Auch Ruppert sah immer wieder böse vom einen zum anderen. Danny, der jüngere, hatte mittelbraune Haare, etwa wie Rehbraun, die er fingerlang hatte wachsen lassen, und die ihm als lässiger Pony in die Augen fielen. Die Haare von Josh, seinem zwei Jahre älteren Bruder, waren eine Spur brünetter, eher karottenrot, und kurzgeschoren. Aber beide waren Ruppert wie aus dem Gesicht geschnitten. Das waren zweifelsfrei seine Söhne. Im Moment wusste er nicht so richtig, ob er sie nur als „missratene“ Söhne ansehen oder gleich ganz verleugnen und enterben sollte. Er war stinksauer auf die beiden. Danny konnte er ja beinahe noch ein wenig verstehen. Wenn der unvermutet seinen lange verschollenen Schutzgeist fand, war es nachvollziehbar, daß ihm vorübergehend das Gehirn aussetzte. Aber von Josh hätte er wesentlich mehr Vernunft erwartet. Und von Urnue erst! Wenn Danny wirklich glaubte, seinen Schutzgeist gefunden zu haben und aus der Gewalt von Sklaventreibern befreien zu müssen, hätte man das anders lösen können. Dazu hätten sie nicht in einer Nacht- und Nebelaktion einen Zirkus überfallen müssen, ohne ihm vorher Bescheid zu geben.

Danny und Josh hatten gestern am frühen Nachmittag eine Vorstellung in einem Zirkus besucht, in dem man offenbar Genii auftreten ließ. In der Nacht, während der Spätvorstellung, hatte er sich den Genius seines Vaters geschnappt und war in dessen Begleitung in den Zirkus eingebrochen, um einen der dort lebenden, angeblich gefangenen Genii zu kidnappen und zu entführen. Er war dabei von einer offiziellen Organisation überrascht worden, die scheinbar das gleiche Vorhaben mit staatlicher Befugnis betrieb. Die hatten alle Genii des Zirkus beschlagnahmt und Danny mit Tatü-Tata wieder nach Hause gebracht. Seitdem saß dieses DING da unten in ihrem Keller, das sie zusammen mit seinem Sohn hier abgeladen hatten.

„Wie kommst du voran?“, wollte Josh kleinlaut wissen. Auch ihm war es eindeutig zu still bei Tisch, er musste einfach reden.

„Schleppend. Sie spricht kein Wort. Ich bin mir nichtmal sicher, ob sie mich überhaupt versteht.“, gab Danny wahrheitsgetreu zurück.

Ruppert, sein Vater, brummte.

„Aber sie hat sich schon etwas beruhigt! Sie schlägt nicht mehr wie wild um sich, das ist doch schonmal die halbe Miete“, fuhr Danny schnell fort. Er wollte nicht klingen, als würde er überhaupt keine Fortschritte machen.

„Hat sie sich schon wieder in ihre menschliche Gestalt zurückverwandelt?“, fragte Josh hoffnungsvoll weiter.

Ein Kopfschütteln. „Sie behält immer noch ihre Harpyien-Gestalt bei.“ Die junge Frau tat ihm so leid. Er hätte gern mehr für sie getan, aber sie ließ es einfach nicht zu. Sie blieb konsequent im Kampfmodus, hielt sich alles und jeden vom Leib und gab nur immerzu drohende, knurrende Töne von sich, die kaum zu einem Vogel passten. Ihre menschliche Gestalt hatte Danny nur im Zirkus gesehen, bevor sie befreit worden war. Als junge Frau mit langer, schwarz-grüner Lockenmähne war sie unglaublich niedlich.

„Wenn sie nicht mit sich reden lässt, dann gib ihr über das silberne Band zu verstehen, was du von ihr willst!“, maulte Ruppert schlecht gelaunt dazwischen und biss derber in sein Brot als nötig.

Danny schaute ihn fassungslos an. Er wusste von dem Band? Sein Blick wanderte zu Josh, der betreten wegschaute und plötzlich hilflos mit seinem Besteck spielte. „Hast du es ihm etwa gesagt?“, wollte Danny gekränkt wissen. Josh hatte die Gabe der Intuition. Es war kein Hellsehen in dem Sinne. Nur das fast unweigerliche Wissen um die Art oder den Zweck eines Dinges, das er vor sich hatte. Er hatte im Zirkus während der Vorstellung einfach gewusst, daß die junge Frau Dannys Genius Intimus war. Danny hatte ihn gebeten, geradezu angefleht, es vorläufig keinem zu erzählen.

„Tut mir leid. ... Er wollte sie totschlagen. Ich musste etwas tun“, gab Josh kleinlaut zurück und warf einen unterwürfigen Blick auf seinen Vater.

„Du wolltest WAS!?“, hakte Danny entsetzt nach, diesmal an seinen Vater gewandt. „Bist du übergeschnappt, hey?“

„Du kennst den Codex Geniorum!“, erwiderte der nur seelenruhig.

„Ja, auswendig! Paragraph 1: Ein ungebundener Schutzgeist oder eine ungebundene Schutzbestie wird als Genius bezeichnet, solange der Genius seinen Schützling noch nicht gefunden hat und die Verbindung zu diesem eingegangen ist. Genius intimus ist die Bezeichnung für einen an seinen Schützling gebundenen Schutzgeist*“, begann er trotzig zu rezitieren. „Paragraph 2: Der Schutzgeist, auch Genius genannt, ist ein Geisterwesen, welches Magiern, Hexen, Schamanen oder Hellsehern hilfreich zur Seite steht und diese vor Gefahren der anderen Ebene, auch als Astralebene oder Geisterwelt und ähnliches bezeichnet, schützt. Zumeist besteht zwischen Schutzgeist und Schützling eine angeborene magische Verbindung* ... “

Ein Brummen unterbrach ihn. „Paragraph 5: Ein Genius darf keinem Menschen tödlichen oder dauerhaften Schaden zufügen, es sei den sein eigenes Leben, das Leben seines Schützlings oder das Leben einer anderen Person wird durch diesen Menschen bedroht*“, hielt sein Vater dagegen. „Und jetzt sieh dir das Ding da unten im Keller mal an. Ich hab sie für verwildertes, unkontrollierbares Ungeziefer gehalten.“

„Und wenn schon! Sie ist trotzdem ein Genius! Ein lebendes, intelligentes, fühlendes Individuum, auch wenn sie gerade etwas verstört und panisch ist! Für so kaltblütig hätte ich dich nicht gehalten! Du solltest Urnue nie wieder unter die Augen treten!“, fauchte Danny mit einem Deut auf den Genius Intimus seines Vaters. Er schnappte seinen Teller, sprang hasserfüllt vom Tisch auf und schneite davon.

„Das mit dem 'intelligent' muss sie uns erst noch beweisen“, murmelte Ruppert und aß ungerührt weiter. Herrgott, was dachten seine Söhne bloß von ihm? Natürlich hätte er den räudigen, dunkelgrauen Vogel nicht totgeschlagen. Genii standen den Menschen in nichts nach. Im Gegenteil, als Fabelwesen waren sie magisch begabt und dadurch um einiges mächtiger und stärker als Menschen. Sie lebten unter den Menschen und hatten die gleichen Rechte wie die menschlichen Bürger auf dieser Welt. Sie zu erschlagen, war ein vollwertiger Mord und wurde auch entsprechend geahndet. So lieb und teuer waren ihm seine Freiheit und sein Luxus-Leben schon, um sich nicht wegen Mordes einbuchten zu lassen. Und bei seiner Vergangenheit war er ohnehin bemüht, den Gesetzeshütern möglichst aus dem Weg zu gehen. Bestenfalls hätte er der Harpyie im Keller so lange Manieren eingeprügelt, bis sie sich wieder wie ein klar denkendes Wesen benahm. Oder noch wahrscheinlicher hätte er seinen Sohn Danny windelweich geknüppelt, für diese gesamte, hirnrissige Situation hier, die seit letzter Nacht herrschte. Wer weiß, was der mit Urnue angestellt hatte, um ihn zu so einer Aktion zu nötigen. Ein Genius Intimus trennte sich normalerweise NIE von seinem Schützling.

Nagut, die Tatsache, daß sie der Genius Intimus seines Sohnes war, änderte natürlich einiges. Zu jedem magisch begabten Menschen – und seine Familie gehörte dazu – gehörte von Geburt an ein sogenannter Genius, ein Geister- oder Fabelwesen. Die beiden trafen in der Regel zusammen, sobald bei dem Menschen, dem Magi, die erste magische Begabung auftrat. Der Genius spürte es, egal in welchem Winkel der Welt er gerade war, und machte sich wie hypnotisiert auf den Weg, seinen Schützling zu suchen. Ruppert hatte sich immer geärgert, daß sein Sohn nie auf den zu ihm gehörenden Genius getroffen war. Er hatte zwar vermutet, daß der Genius vielleicht schon im Kindesalter gestorben war, hatte aber die Hoffnung noch nicht aufgegeben gehabt. Immerhin kannte er so ein um Jahre verzögertes Zusammentreffen mit seinem Schutzgeist nur zu gut von sich selbst. Ohne seinen Genius war ein Magi praktisch nichts, weil er ungeschützt war und sich daher nicht der Magie und Alchemie widmen konnte. Man konnte einen Genius nur mit roher Gewalt und mächtigen Bannzaubern davon abhalten, seinen Schützling zu suchen. Und das war grässlichste Folter für den betreffenden Genius. Was hatten die im Zirkus wohl mit der Genia angestellt, damit sie Danny nicht fand?

„He, du kannst ja doch reden.“

Danny blieb vor der Kellertür stehen und atmete tief durch. Er versuchte bewusst, sich zu beruhigen, bevor er zu ihr rein ging. Er wollte ihr nicht mit schlechter Laune gegenüber treten. Das wäre sicher das Letzte gewesen, was sie jetzt noch brauchen konnte. Selbst wenn er sich Unmut äußerlich nicht anmerken ließ, hätte sie es über die mentale Verbindung dennoch gespürt.

Schließlich drehte er den Schlüssel im Schloss. Leider Gottes, er hatte die Ärmste einschließen müssen. Er konnte sie noch nicht frei rumlaufen lassen, sie war immer noch zu aufgewühlt und zu panisch in Gegenwart von Menschen. Sicher würde sie fluchtartig auf und davon rennen und nie wieder gesehen werden, wenn er ihr die Chance dazu ließ. Aber es fehlte ihr da drinnen ja an nichts. Der Keller war fast zu einer kleinen Wohnung ausgebaut. Es gab ein Bett, und sogar eine Dusche und eine Toilette, weil der Keller ursprünglich mal ein Waschhaus gewesen war. Der Keller diente sonst als Gästezimmer, oder auch gern mal als Ausweich-Schlafzimmer, wenn es im Hochsommer unter dem Dach zu warm wurde.

Der Schüler trat mit einem betont fröhlichen Gruß ein und stellte erstaunt fest, daß sie sich endlich dazu durchgerungen hatte, ihre menschliche Gestalt wieder anzunehmen, auch wenn sie wie erwartet verängstigt in der hintersten Zimmerecke auf dem Boden kauerte. Oh, dieser Berg rabenschwarzer Locken mit den grünen Haarspitzen! Wie Danny das anhimmelte. Die zierliche Kleine war so verdammt goldig. „Hey, ich hab dir was zum Abendessen mitgebracht. Hast du schon Hunger?“, wollte er lächelnd wissen. Er stellte den Teller auf den Fußboden und ließ ihn mit einem kräftigen Stoß in ihre Richtung schlittern. Er wusste ja, daß sie es nicht ertrug, wenn man sich ihr auch nur einen Schritt näherte. Dann verfiel sie sofort in panische Verzweiflungsangriffe.

Die Genia beäugte das Essen argwöhnisch, bis der knurrende Magen siegte. Auf allen Vieren robbte sie vorsichtig auf den Teller zu, schnappte sich ein belegtes Brot herunter und sprang damit förmlich in ihre Ecke zurück, um es dort mit Heißhunger herunter zu schlingen.

Danny setzte sich gegenüber ebenfalls auf den blanken Boden, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, und schaute ihr zu. Sie war in ihrer menschlichen Tarngestalt so herzallerliebst, er hätte sie am liebsten geknuddelt. Er wusste nicht, ob jeder Schützling seinen Genius Intimus so empfand oder ob es nur ihm so ging. Aber sie war wirklich furchtbar niedlich. Gott, er hatte einen weiblichen Schutzgeist. Er konnte sich noch gar nicht vorstellen, sich von einem Mädchen beschützen zu lassen. Momentan hatte er eher das Bedürfnis, sie zu beschützen. „Verrätst du mir deinen Code-Namen?“, wollte er ruhig wissen. Jeder Genius Intimus hatte einen Decknamen, mit dem er draußen angesprochen wurde. Wenn man den echten, vollständigen Namen von jemandem erfuhr, hatte man zuviel Macht über ihn, konnte ihn mit Magie massiv aus dem Rennen nehmen oder ganz ausschalten. Das wäre im Gefecht ziemlich blöd. Dann konnte der Genius seinen Schützling nicht mehr verteidigen. Darum sah man zu, den echten Namen seines Genius im Beisein anderer möglichst nicht zu verwenden. Sicher gab es auch dieser verstörten Genia Sicherheit, wenn er ihren echten Namen erstmal noch nicht wissen wollte. Die Frage nach ihrem Code-Namen hatte Danny ihr seit gestern sicher ein Dutzend mal gestellt. Für gewöhnlich reagierte sie nicht auf Fragen, so wie auch jetzt nicht. Ob sie nicht reden konnte, oder nicht reden wollte, oder einfach nur kein Englisch verstand, hatte Danny aber noch nicht herausgefunden. Soviel er mitbekommen hatte, stammte der Zirkus, in dem sie gefangen gewesen war, nicht aus England.

„Ist es okay, wenn ich etwas näher komme?“, hakte er also nach und erhob sich langsam vom Boden.

Sie fauchte sofort drohend auf und presste sich zurück in ihre Zimmerecke.

„Ist schon in Ordnung. Ich tu dir nichts. Ich will mich nur auf das Bett setzen.“ Danny machte zwei, drei Schritte auf sie zu. Der Abstand zu ihr wurde rasch kleiner. Groß war der ausgebaute Keller ja nicht. „Das ist bequemer als der Fußboden und ...“ Weiter kam er nicht, da wurde er von einer mörderischen Druckwelle von den Füßen gerissen. Noch in der Flugphase spürte er die riesigen Risswunden quer über seiner Brust und seinem Bauch. Dann wurden diese übergangslos von dem Aufprall rückwärts gegen die Wand überschattet, an der er gerade noch gesessen hatte. Danny knickte in den Beinen ein und sank keuchend zu Boden. War das die Genia gewesen? Wie hatte sie ihn über so große Distanz schlagen können? Quer über seinem Oberkörper prangten tiefe Wunden wie von einer dreifingrigen Klaue. Sein Hemd hing in Streifen von ihm herunter. Er stöhnte und kippte kraftlos zur Seite um. „Ich ... wollte dich ... nicht erschrecken ...“, hauchte er leise und mit schwindenden Sinnen. Ihm wurde langsam schwarz vor Augen.

„Oh mein Gott!“, stieß die Genia entsetzt hervor, als habe sie erst jetzt richtig realisiert, was sie da eigentlich angerichtet hatte. „Nein!“ Sie stürzte sich hektisch auf den jungen Mann und drückte ihm beide Hände auf die Brust. Tränen schossen ihr in die Augen, als sie verzweifelt versuchte, seine Wunden wieder zu heilen. Sie besaß zwar Heilerkräfte, aber diese waren nur sehr schwach ausgeprägt und waren auch nie trainiert worden. Mit der schieren Macht der Verzweiflung schaffte sie es jedoch zumindest, die Blutung zu stoppen, so daß die aufgerissene Haut haltbar verkrustete.
 

Als Danny keine Ahnung wie viel später wieder zu sich kam, lag er immer noch lang auf dem Boden und fühlte sich desorientiert und benommen. Ach ja, er war ja gegen eine Wand geschmettert worden, erinnerte er sich. Da gehörte sich das so. Er konnte nur Momente bewusstlos gewesen sein. Jedenfalls war er immer noch mit seiner Genia Intima allein im Keller. Er war noch nicht von irgendjemandem gefunden worden, der zu Hilfe geeilt wäre. Die junge Frau mit der grün-schwarzen Lockenmähne lag heulend auf seinem Oberkörper. Hatte dieser Ausrutscher sie endlich dazu bewogen, Nähe zu dulden? Bisher war sie doch schon in Panik verfallen, wenn man sich ihr nur näherte. „Heeeeey“, hauchte er gedämpft. „Es ist alles in Ordnung.“ Beruhigend legte er links und rechts seine Hände auf ihre Oberarme, auch wenn der Drang, sie komplett in die Arme zu schließen, schier unwiderstehlich war. Aber damit hätte er sie bloß wieder verschreckt.

Sie hob den Kopf und sah ihn mit großen, dunklen, tränengefluteten Augen an. Dort, wo ihr Kopf gelegen hatte, kamen drei gefährlich aussehende Narben zum Vorschein, die ihn blutig anleuchteten. „Verzeih mir! Das wollte ich nicht!“, würgte sie mit belegter Stimme hervor.

Danny musste lächeln. „He, du kannst ja doch reden.“

„Es tut mir leid, ehrlich“, bekräftigte sie nochmals.

„Alles gut. Ich lebe noch. Ich war einfach unvorsichtig.“

Unglücklich ließ sie ihren Kopf wieder auf seine Brust sinken.

„Ist es okay, wenn ich dich in die Arme nehme?“

„Hm-hm“, machte sie zögerlich zustimmend.

Der Junge wanderte mit den Händen langsam über ihre Schultern hinauf und verschlang diese dann auf ihrem Rücken. Er spürte, daß sie unter der Berührung zitterte, aber trotzdem versuchte, tapfer still zu halten. „Hast du Angst vor mir?“

„Ich weiß nicht ... Was mir eigentlich Angst macht, ist, daß ich dich irgendwie mag ...“

„Ich bin dein Schützling. Sicher kommt die Sympathie daher. Wir sind mental miteinander verbunden.“

„Ist mir schon bewusst.“

„Ich mag dich auch total gern, weißt du?“

„Ich hab mich wie ein Idiot benommen“, hielt sie negierend dagegen. So jemanden konnte man doch nicht gern haben!

„Sicher hatte das Gründe.“ Er strich ihr sachte durch die langen Haare. „Was haben sie dir bloß angetan, daß du so scheu und verängstigt geworden bist?“, seufzte er, ohne wirklich eine Antwort auf diese Frage zu erwarten. Er bekam auch keine. „Was meinst du, wollen wir raus in den Garten gehen, solange die Sonne noch nicht ganz weg ist? Du musst mal was anderes sehen als dieses Kellerloch“, schlug er vor.

Sie hob den Kopf wieder. „Kannst du denn schon wieder aufstehen?“

Danny richtete sich in eine sitzende Position auf und wurde jäh von einem Schwindelanfall heimgesucht. Der verging jedoch glücklicherweise nach einigen Augenblicken wieder. „Es geht schon“, nuschelte er, etwas blass um die Nase. Die Risswunden auf seinem Oberkörper begannen unvermittelt wieder höllisch zu schmerzen und er bewegte sich sofort eine ganze Ecke vorsichtiger, damit sie nicht wieder aufrissen. Er sollte die dringend verarzten und verbinden.

„Kann ich Urnue treffen?“, wollte sie kleinlaut wissen.

Danny schaute von seinen Verletzungen auf und sah sie reichlich doof an. Ausgerechnet seinen Namen hatte sie sich in dem ganzen Chaos letzte Nacht gemerkt? Zugegeben, Urnue war der gewesen, der sie ansatzweise zur Vernunft gebracht hatte, damit man sie überhaupt hier her in Rupperts Haus hatte bringen können, ohne daß sie dabei jemanden umbrachte. Aber abgesehen davon hatte Danny keine Ahnung, warum sie sich ausgerechnet an ihn halten sollte.

„So ... so hieß er doch, oder?“, hakte die Harpyie vorsichtig nach, weil sie diesen Blick nicht recht deuten konnte.

„Ja, den wirst du schneller wiedersehen als du denkst. Er ist der Genius Intimus von meinem Vater.“

„Er wohnt auch hier?“ Die Genia begann zu strahlen wie ein Honigkuchen.

„Sag mal, kennt ihr euch?“, warf Danny skeptisch eine Vermutung in den Raum.

„Nein. Hab ihn vorher noch nie gesehen. Warum?“

„Weil du so explizit nach ihm fragst.“

„Ist was passiert?“

Als Danny aus dem Keller kam und wieder den Hausflur betrat, kam ihm direkterweise Urnue entgegen. Hektisch drehte Danny sich weg. Er wollte nicht, daß jemand das in Fetzen hängende Hemd und die frisch verkrusteten Wunden sah. Glücklicherweise stand er gerade direkt neben dem Kleiderständer, so daß er eine Jacke schnappen, sich überwerfen und bis zum Kinn zuknöpfen konnte. Auch wenn das blöd aussah, denn draußen waren trotz der abendlichen Zeit immer noch 23°C und Sonnenschein. „Hey. Wir gehen mal kurz raus“, erklärte Danny wie beiläufig.

„Oh, geht es der Kleinen wieder besser? Wie schön!“, erwiderte Urnue und wuselte begeistert näher. Da seine wahre Gestalt die eines überdimensionalen Wiesels war, erschienen all seine Bewegungen stets unnatürlich schnell, präzise und geschmeidig. Sein Aussehen war ein wenig exzentrisch, fast rockig. Er trug durch und durch schwarz am Leib. Sein ärmelloses Oberteil war rabenschwarz, ebenso die Lederhose, die um seine Hüften und Oberschenkel auffallend eng saß, nach unten aber ausgestellt war. Seine Haare waren wild und fransig, standen in alle Richtungen ab, und waren – natürlich – rabenschwarz. Seine eisblauen Augen pflegte er mit einer Überdosis schwarzem Kajalstift und Eyeliner zu betonen. Er sah zwar extrem hip aus, passte aber so gar nicht zu Rupperts anzug- und krawatten-dominiertem Business-Stil. Wohl der Hauptgrund, warum sein Vater auf den Schutzgeist nicht wirklich große Stücke hielt.

Danny warf seiner Genia einen vielsagenden Seitenblick zu und musste feststellen, daß sie schon wieder euphorisch lächelte. „Da hast du deinen Urnue“, erklärte Danny und zog seine Jacke zurecht. Nicht, daß er ihr die gute Laune nicht gegönnt hätte. Ihn hätte nur mal interessiert, was der Grund dafür war. Zugegeben, die meisten Tiergeister wirkten auf Menschen sehr anziehend, aufgrund ihres geheimnisvollen Verhaltens und bei Urnue vor allem aufgrund seiner mystischen Augen. Das lag in ihrer Natur. Aber sie war kein Mensch. Zog Urnues Charisma denn auch bei anderen Genii?

„Hi. Gestern ging es ja ganz schön hoch her. Jetzt nochmal offiziell und in etwas entspannterem Rahmen: Ich bin Urnue.“

„Ich bin Nyu!“, stellte sie sich offenherzig ebenfalls vor und streckte ihm sofort die Hand entgegen. Während sie mit Danny fast 24 Stunden gehadert hatte, schien sie vor Urnue keinerlei Angst oder Vorbehalte zu haben.

Danny wiederholte den Namen in Gedanken still. Nyu also. Toll, nun wusste er auch endlich wie sie hieß, dachte er und verfolgte skeptisch, wie sie sich von dem fremden Genius kameradschaftlich drücken ließ. Offenbar hatte sie nichts gegen Genii. Auch in dem Zirkuszelt gestern war es ein Genius gewesen, der sie endlich zur Ruhe gebracht hatte, damit man sie von dem Halsreifen befreien konnte, mit dem sie angepflockt gewesen war wie eine Ziege. Wie es aussah, hatte sie nur vor Menschen Angst. Gegenüber Genii war sie sehr viel aufgeschlossener.

Urnue trat einen Schritt zurück und beschaute sie von oben bis unten. Er kam scheinbar auch zu einem Ergebnis, konnte es aber nicht mehr kundtun, weil Dannys Vater von der oberen Etage nach ihm rief. Eine Tür flog auf und Josh kam lautstark die Treppe heruntergepoltert.

Die junge Frau drehte sich panisch um und wollte den Rückzug in den Keller antreten, aber Danny schloss sie schnell in die Arme. „Bleib hier, Nyu, keine Angst“, redete er ruhig auf sie ein. „Das ist mein Bruder, der tut dir nichts. Ganz ruhig.“ Er spürte, wie Nyu in seinen Armen zitterte und den herunterkommenden, jungen Mann mit schreckgeweiteten Augen anstarrte. Aber sie verzichtete darauf, sich gewaltsam loszureißen und zu flüchten. Danny strich ihr beruhigend durch die Haare.

„Urnue, Vater braucht deine Hilf-... Oh!“, machte Josh nur erstaunt und blieb auf der untersten Stufe stehen, als er die Genia plötzlich freilaufend vor sich hatte. Bisher war sie ja wegen ihre Unkontrollierbarkeit in den Keller gesperrt gewesen.

„Ich komme“, erwiderte Urnue, drängte sich an ihm vorbei und stapfte – ganz unwieselig – die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Ein Zeichen dafür, daß es ihm gerade gar nicht passte, hier weg zu müssen.

„Ist was passiert?“, wollte Josh mit einem Deut auf Dannys Jacke wissen. Und es war nicht ganz herauszuhören, ob er eigentlich <Du willst doch nicht etwa ausgehen?> oder <Was versteckst du da drunter?> fragen wollte. Seine übernatürliche Intuition verriet ihm viel, aber bei weitem nicht alles. Es war manchmal schwer, aus seinen zwielichtigen Äußerungen heraus zu interpretieren, wie viel er wirklich wusste.
 

Danny seufzte innerlich. Er hatte sich mit Nyu draußen in die Wiese unter einen Baum gesetzt, in der Hoffnung, ein bisschen Ruhe zu haben und ihr den Sonnenuntergang zeigen zu können, aber Fehlanzeige. Binnen weniger Minuten stand seine gesamte Sippe um ihn herum, sein Bruder samt Genius, sein Vater samt Urnue, das Hausmädchen, und glotzten interessiert das neue Familienmitglied an. Danny konnte ihnen die Neugier ja nicht wirklich verübeln, immerhin war Nyu ab sofort Teil der Familie und würde hier dauerhaft bei allem mit eingebunden sein. Klar, daß man wissen wollte, wer sie war. Aber merkten die gar nicht, wie unangenehm das der Kleinen war?

Danny erzählte ihr gerade zu jedem ein paar Worte, bemühte sich aber, sich kurz zu fassen, um sie nicht gleich mit zuvielen Informationen zu überfordern. „Tja ... und das ist Urnue. Mit dem scheinst du dich ja schon ganz gut zu verstehen“, stellte Danny ihr den letzten in der Reihe vor.

Nyu nickt nur stumm und ringelte sich dabei etwas nervös eine Locke um den Finger. Sie schaute unsicher von Gesicht zu Gesicht, als versuche sie in Gedanken jedem nochmal den richtigen Namen zuzuordnen.

Danny stand auf. „Lasst uns mal schauen, wo wir sie unterbringen werden“, schlug er vor und schob die anderen mit ausgebreiteten Armen zum Haus zurück. „Wir brauchen ein paar Klamotten für sie. Und außerdem muss jemand mit meinem Schuldirektor reden. Sie muss ja mit in die Klasse kommen, wenn ich zur Schule gehe.“ Nyu ließ er unter dem Baum sitzen, damit sie kurz ihre Ruhe hatte.

„Pass auf sie auf!“, zischte sein Vater Urnue zu.

„Ja, bitte, pass auf sie auf“, bat auch Danny zustimmend, mit dem Unterschied, daß er damit nicht 'Halte sie gewaltsam auf, wenn irgendwas ist!' meinte.

Urnue ließ sich also zurückfallen, statt mit den anderen wieder ins Haus zu gehen. Er blieb mit der Harpyie allein im Garten zurück.

Sie seufzte spürbar erleichtert auf und ließ den Blick durch das schöne, geräumige, super gepflegte Grundstück und über das makellos weiß gestrichene Haus schweifen. Das Ganze war umsäumt von einer mehr als mannshohen Sichtschutzhecke. Diese Familie hatte unverkennbar Geld. Das hier war also ihr neues Heim. Ob sie jemals wieder irgendeinen Berührungspunkt mit ihrem alten Leben vor der Zeit im Zirkus haben würde? Kontakt zu ihren Eltern oder sowas?

Der komplett in schwarz gekleidete Genius setzte sich zu ihr. „Ganz schön anstrengend, was? An das Großfamilienleben muss man sich erst gewöhnen. Ich habe auch einige Zeit gebraucht“, meinte er in seiner angenehmen, ruhigen Stimme.

Nyu lächelte ihn an. Solange sie nur Genii um sich hatte, fühlte sie sich hier richtig wohl. Urnue mochte sie sowieso. An dem hatte sie sofort einen Narren gefressen, wie ein kleines Kind, das auf einer Feier einen gebuchten, bezahlten Alleinunterhalter anschwärmte, ohne ihn überhaupt zu kennen. Und ihr Schützling Danny schien ebenfalls ein lieber Kerl zu sein. Sicher würde sie es hier gut haben. Sie musste sich nur zusammenreißen und sich damit abfinden, unter Menschen leben zu müssen. Das hier war nicht mehr der Zirkus!

„Wie alt bist du eigentlich?“, wollte Urnue leger wissen.

„Siebzehn.“

Urnue nickte einverstanden, als hätte er mit dieser Antwort gerechnet. „Wie Danny. Genii und ihre Schützlinge sind fast immer halbwegs gleichalt.“

„Wie alt bist du denn?“, fragte sie zurück.

„Vierzig.“

Nyu musste schmunzeln. Vierzig derwegen schon? Er sah irgendwie ein gutes Stück jünger aus. Sie hätte ihn bestenfalls Anfang Dreißig geschätzt. Im Gegensatz zu seinem unverkennbar gealterten Schützling. „Ruppert wirkt viel älter als du“, gestand sie.

„Ist er auch. Ruppert ist 57. Ich hab keine Ahnung, warum er so viel älter ist als ich. Aus irgendeinem Grund wurde ich wesentlich später geboren. Es gibt Vermutungen, aber wirklich stichhaltig erklären konnte es uns bisher keiner.“

„Es gab aber schon solche Fälle. Ihr seid da nicht die ersten.“

„Nein. Aber es kommt extrem selten vor. Naja, Hauptsache ist, daß ich ihn doch noch gefunden habe und ihm inzwischen nichts passiert ist.“

„Das denke ich bei Danny auch“, meinte Nyu sentimental. Sie rutschte etwas näher und lehnte sich mit der Schulter an Urnue an. „Ich bin froh, daß er nicht in Schwierigkeiten geraten ist, solange ich in diesem verdammten Zirkus festsaß.“

„Ich finde es immer noch unglaublich, daß sie es geschafft haben, dich dort festzuhalten. Das muss echte Folter gewesen sein.“

„Ja, war es auch. Als ich die Verbindung zu meinem Schützling gespürt habe und mich auf die Suche machen wollte, haben sie mich in einen Käfig gesperrt und mir sofort eine Bannmarke verpasst, damit ich nicht weglaufe. Das war so ein grauenvolles Ziehen und Ziepen, das durch den ganzen Körper gegangen ist und immer stärker geworden ist. Am Ende war es ein regelrechtes Reißen. Ich dachte, mein ganzer Körper wird in Zeitlupe gevierteilt. Es hat so wehgetan, daß ich mich kaum noch koordiniert bewegen konnte. Ich habe getobt und geschrien und geheult. Es war unerträglich. Irgendwann hat ein anderer Genius aus dem Zirkus meine mentale Verbindung mit Bannmagie etwas abgeschwächt, damit ich sie nicht mehr so stark spüre. Es hat Monate gedauert, bis es endlich nachgelassen hat. Sowas macht deinen Verstand mürbe, ehrlich“, erzählte Nyu.

„Wie lange warst du denn in dem Zirkus?“, wollte Urnue schockiert wissen.

„Seit ich zwölf war. Ich wurde damals verkauft, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Meine Eltern konnten mich nicht ernähren und meinten, in diesem Zirkus wären meine Überlebens-Chancen besser. Sie haben es getan, weil sie mich geliebt haben und mich versorgt wissen wollten. Jedenfalls haben sie mir das eingeredet, als sie mich damals weggegeben haben. Sie konnten ja nicht wissen, daß ich mal ein Genius Intimus werden und an einen Schützling gebunden sein würde. Aber ich nehme an, der Zirkus hat nicht gerade wenig Geld für mich bezahlt, sonst hätten sie wohl kaum so einen Wind darum gemacht, mich festzuhalten. Ich war de facto ihr Eigentum. Sie hätten mich nie im Leben gehen lassen.“

„Sie hätten deinen Schützling ja auch suchen und dazuholen können. Danny hätte es bestimmt cool gefunden, mit einem Zirkus durch die Welt zu ziehen, wenn du als Artist dort hättest bleiben wollen.“

Nyu schüttelte nur den Kopf. Nie im Leben hätten die das zugelassen. Dann hätte ja am Ende noch jemand mitbekommen, mit welchen kriminellen Methoden dieser Zirkus arbeitete.

Urnue atmete mitfühlend durch und zog seinen Arm heraus, an dem sie lehnte, um ihn ihr um die Schultern zu legen und sie tröstend an sich zu drücken. „Jetzt kommen bessere Zeiten, versprochen.“

„Tu doch was!“

Nyu blieb eine ganze Weile schweigend in Urnues Umarmung sitzen. Sie fragte sich, was aus Nat geworden war, dieser Sphinx-Knabe, mit dem sie im Zirkus eingesperrt gewesen war. Das Letzte woran sie sich erinnerte, war, daß viele fremde Leute um sie herum gewesen waren, die beruhigend auf sie einsprachen, und immer näher kamen, und sie damit nur noch mehr in Panik versetzten. Dann waren sie getrennt worden.
 

In der Nachmittagsvorstellung hatte sie bei ihrer Trapez-Nummer einen Fehler gemacht. Irgendjemand im Publikum hatte sie irritiert und abgelenkt. Jetzt im Nachhinein glaubte sie, es war Danny gewesen, und die unterdrückte mentale Verbindung zu ihm, die aufgrund der räumlichen Nähe unterschwellig aufgeflackert war. Sie war gestürzt, weil die verdammte Bannmarke ihr eine unerlaubte Verwandlung in ihre wahre Gestalt unmöglich machte, und war in einer so blöden Stellung ins Fangnetz gefallen, daß sie sich eine Schulter verknackst hatte. Hätte sie sich in eine Harpyie verwandeln dürfen, hätte sie sich problemlos abfangen können. Sie wurde aus der Spätvorstellung gestrichen und draußen angepflockt und bekam nur anhand der tosenden Jubelstürme und des Applauses mit, daß im großen Zelt gerade eine Vorstellung lief. Es begann zu regnen, zu schütten wie aus Eimern, während sie da draußen im Freien angekettet war.

Nat, der Sphinx-Junge, wurde nach seiner Nummer in seinem winzigen Raubtierkäfig herausgeschoben und in ihrer Nähe geparkt. Fieserweise ließ man ihn da drin eingesperrt, obwohl die Aufseher genau wussten, wie panisch er in so engen Gitterboxen wurde. Das Ding war so eng, daß er sich kaum rühren konnte. Nyu sah ihn einen Moment lang mitleidig an, aber helfen konnte sie ihm ja nicht. Dann gab sie sich wieder ihrem eigenen Elend hin. Das Regenwasser prasselte auf sie herunter, als stünde sie unter der Dusche. Die langen, schwarzgrünen Haare klebten ihr pitschnass im Gesicht und auf Rücken und Schultern. In ihrem Spagettiträger-Oberteil fror sie sich die Seele aus dem erbärmlich zitternden Leib, und der kräftig wehende, eisige Wind tat sein Übriges dazu.

Sie war völlig in Gedanken und bemerkte den komplett schwarz gekleideten Mann erst, als er schon direkt vor ihr stand. Erschrocken rappelte sie sich auf und gab beim Zurückweichen einen drohenden Ton von sich. Leider klang es aufgrund ihres Kältezitterns eher wie ein rostiges Türscharnier und gar nicht angsteinflößend. Der Mann hatte drei Jungen bei sich, die ebenfalls hier zwischen den Wagen herumkletterten. Was hatten die hier backstage zu suchen? „Das ist sie! U., das ist sie! Tu doch was!“, raunte einer aufgeregt.

„Immer langsam, bring jetzt bitte keine kopflosen Aktionen, Danny“, gab der junge Mann mit der schwarzen Lederjacke – den sie inzwischen als Urnue kannte – ruhig und leise zurück und sah sich aufmerksam weiter um. Er suchte wohl nach weiteren Gefangenen, oder vielleicht nach Aufpassern, die es auszuschalten galt. Nyu begann kreischend um sich zu schlagen, als dieser Junge, Danny, mit ausgestreckten Händen näher auf sie zu kam. Sie wollte nicht, daß dieser Typ näher kam. Sie wollte nicht angegrabscht werden. Der Junge hob beschwichtigend die Hände, raunte irgendwas von „Du musst leise sein!“ und machte sich stattdessen an dem Pflock zu schaffen, an dem sie angekettet war. Aber er war ihr immer noch viel zu nah, sie tobte halb panisch, halb aggressiv weiter.

„Sie wollen dich befreien! Bleib ruhig, Nyu!“, hörte sie Nat aus seinem Käfig rufen und fuhr verdutzt zu ihm herum. Groß darüber nachdenken konnte sie nicht mehr, denn in diesem Moment erschienen weitere Leute auf dem Platz hinter dem Zirkuszelt. Souverän und autoritär aussehende Leute. Leute die einen Hauch von staatlicher Executive ausstrahlten. Bei einem kurzen Wortabtausch, den Nyu aufgrund des prasselnden Regens und ihrer Panik nicht mitverfolgen konnte, wurden Urnue, Danny und die anderen beiden Jungs weggedrängt. Ein Asiate mit gewaltigen Flügeln auf dem Rücken nahm sich ihrer an. Mit einem erstaunlich freundlichen „Ich bin Seiji. Keine Sorge, ...“, trat er auf sie zu. Aber sie wollte ihm nicht zuhören. Sie wollte verdammt nochmal in Ruhe gelassen werden! Obwohl er gut sichtbar ein Genius war, begann sie auf der Stelle wieder panisch um sich zu schlagen, als er ihr zu nahe kam. Er erstickte ihre Versuche jedoch schon im Keim und rang sie radikal zu Boden. Wohl hatte er keine Zeit für solche Mätzchen. Er kniete sich über sie, hielt sie unter sich bewegungsunfähig fest, damit sie ihm nicht doch noch eine scheuerte, und beugte sich zu ihr herunter. „Hey, es ist alles okay. Du musst keine Angst haben, verstehst du mich? Wir holen euch aus diesem Zirkus raus“, redete er sanft und beruhigend auf sie ein. Mit seinem Körper schützte er sie vor dem Regen, und seine Wärme stand für einen Moment wie ein Zelt über ihr.

Nyu stiegen vor Angst Tränen in die Augen, aber sie stellte ihre Gegenwehr widerwillig ein. Sie wusste noch nicht recht, ob sie ihm glauben konnte, aber wenn auch nur die geringste Chance bestand, daß diese Hölle hier im Zirkus endlich aufhörte, dann wollte sie ihm nicht im Weg stehen. Anschauen konnte sie ihn nicht. Sie hielt die Augen fest zusammengekniffen, um nicht sehen zu müssen, wie nah er ihr war.

„Keine Panik. Wir wollen dir nichts tun. Wir holen dich nur hier raus. Ich bin ein Genius, wie du, hörst du? Ich werde dir nicht schaden. Ich will dich lediglich von dem Halsreifen da befreien“, erklärte er ruhig weiter, als er merkte, wie ihre aggressive Gegenwehr langsam nachließ. „Okay?“

Langsam beruhigte sich Nyu ein wenig. Sie nickte langsam, immer noch ohne ihn ansehen zu können. Ein Genius. Er war ein Genius. Sie musste keine Angst vor einem Genius haben. Genii hatten ihr noch nie was getan.

„Ich lass dich jetzt los. Bitte schlag nicht wieder um dich. ... Ist das okay für dich?“, fragte er abermals.

Wieder nickte Nyu und schniefte. Langsam blinzelte sie die Augen auf, um zu sehen, was er als nächstes tat. Er hielt gerade einen Schraubenschlüssel wie ein Messer auf sie gerichtet. Sie keuchte erschrocken und unterdrückte den Drang, unter ihm heraus zu rutschen wie ein nasses Stück Seife, als er damit ihren Halsreifen öffnete. 'Keine Panik! Keine Panik!', versuchte sie sich in Gedanken selbst zu beruhigen, während er an ihrem widerspenstigen Halsreif herumdoktorte. Es dauerte eine Weile, bis er das lästige Ding endlich geöffnet hatte. Wohl auch, weil Nyu immer wieder ihre Hände schützend in die Höhe riss und ihn damit behinderte.

„Um den Bannzauber kümmere ich mich auch gleich noch, warte“, versprach der geflügelte Asiate, der sich als Seiji vorgestellt hatte. Er bedachte sie mit fragendem Blick von oben bis unten. „Wo ist denn das Bann-Symbol bei dir?“, wollte er dann wissen. Ehe er sie eigenhändig aus ihren Klamotten schälte, wollte er lieber wissen, wo er anfangen sollte, um Peinlichkeiten zu vermeiden. Er hatte bei gefangenen Genii die Bannmarken schon an den tollsten Stellen gefunden. Das Dekolleté und die Innenseiten der Oberschenkel waren bei weiblichen Genii am schwersten in Mode.

Nyu starrte ihn einen Moment lang mit undeutbarem Blick an, einer Mischung aus Wut, Panik und unverholener Skepsis.

„Wo ist es? Willst du´s mir nicht sagen, damit ich es aufheben kann?“, hakte Seiji freundlich nach und lächelte vertrauenerweckend.

Langsam drehte sich Nyu unter ihm auf den Bauch. So viel Platz ließ er ihr gerade noch. Ihre Klamotten waren schon schlammig genug. Sie lag bereits auf dem Rücken im Matsch. Wenn sie sich jetzt auch noch auf den Bauch drehte, war ihre Kleidung endgültig versaut. Aber das machte nach der halben Stunde im Platzregen vermutlich eh keinen Unterschied mehr. Und es war auch gar nicht ihr größtes Problem. Sie war in erster Linie gar nicht begeistert davon, diesen Seiji in ihrer Bauchlage nicht mehr sehen zu können. So konnte sie sich unmöglich wehren. Aber es half nichts. Wenn er ihr helfen sollte, musste sie ihn seine Arbeit machen lassen. „Da“, gab sie leise zurück und deutete nach hinten auf ihre Wirbelsäule.

Vorsichtig zog er ihr den Kragen des dehnbaren Spagettiträger-Oberteils so weit nach unten, daß ihre Schulterblätter freigelegt waren. Da war es, genau zwischen den Schulterblättern, wie ein Postkarte groß. Ein detailreiches, verschlängeltes und verschachteltes Muster, das für Unwissende wie ein Tattoo wirkte. Sie hörte den Asiaten seufzen. Wahrscheinlich hatte er auf etwas einfacheres gehofft. Dieses Symbol war ziemlich komplex. Dennoch machte er sich sofort an die Arbeit, die Linien mit seiner Bann-Magie zu verändern und die anspruchsvolle Kombination aus Gehorsamszwang, Verwandlungs-Blocker und Fluchtverhinderer zu lösen. Nyu spürte seine warme Hand auf dem Rücken, und obwohl das Lösen dieses schon sehr lange dort verankerten Bannzaubers ein wenig weh tat, empfand sie die Hand als beruhigend.

„So, schon fertig, siehst du? Komm, du musst aus dem Regen raus“, lud er sie lächelnd ein, stand auf, wodurch sie endlich wieder Luft zum Atmen hatte, und hielt ihr eine helfende Hand hin, um sie auf die Beine zu ziehen. Dann ließ er sie plötzlich einfach stehen und ging weiter zu Nat. Jemand anderes kümmerte sich um sie. Sofort bekam sie wieder Panik. Von dem Asiaten, zu dem sie gerade erst Vertrauen gefasst hatte, wurde sie so schnell schon wieder getrennt? Sie wollte bei ihm bleiben! Das war doch der einzige hier, der auf ihrer Seite war! Sie wurde von Nats Käfig weggezogen, was sie ebenfalls nicht wollte. Man versuchte, sie in einen Polizeibus zu stopfen, zusammen mit dem Mann in der schwarzen Lederjacke und den drei Jungen. Ab da wusste sie kaum noch etwas. Aufgrund der fehlenden Bannmarke war sie ungehindert in ihre Harpyien-Gestalt geswitscht und einer Raserei verfallen, weil sie nicht in den Polizeibus gesperrt werden wollte, sondern sich, zur Not auch gewaltsam, zurück zu Nat und dem geflügelten Asiaten durchschlagen wollte. Schon gar nicht wollte sie in diesem Bus mit einigen Menschen zusammengesteckt werden. Es war im Prinzip eine Affekthandlung gewesen. Ihre so lange unterdrückten und jetzt mangels Bannmarke unkontrolliert entfesselten Kräfte explodierten einfach und ließen ihr eine Sicherung durchbrennen, als sie versuchte, sich zu wehren.

Es musste einige Schlägereien und Tumulte gegeben haben. Soviel wusste Nyu noch. Einigermaßen klar im Gedächtnis haften geblieben war ihr nur der Mann in der schwarzen Lederjacke, der sie konsequent festgenagelt hatte bis Hilfe kam. Er hatte sich ihr als Urnue vorgestellt und sich als Genius zu erkennen gegeben, um sie zu beruhigen. Nyu hatte daraufhin wirklich kurz aufgehört, ihn töten zu wollen, was andere Polizisten genutzt hatten, um sie endgültig zu überwältigen, mit einem Betäubungspfeil ruhig zu stellen und in eine Gitterbox zu sperren. Sie war irgendwann mutterseelenallein in Dannys Keller eingesperrt wieder aufgewacht, und glaubte auch, daß sie dort unten wie wahnsinnig weiter getobt und geschrien hatte, bis ihr Anfall von Raserei vorbei war. Aber das wusste sie schon nicht mehr so sicher. Sie hatte nur sehr schnell bemerkt, daß der Keller mit magischen Barrieren ausgekleidet sein musste, um ihr eine Flucht über die Astralebene zu verwähren. Nun, wohl eher sollten die Barrieren andere Wesen daran hindern, von außen ins Haus einzudringen. Aber es änderte nichts an dem Effekt, daß Nyu festgesessen hatte. Als Harpyie konnte sie auf die 'andere Seite' wechseln und hätte dann eigentlich ungehindert durch Wände und Türen spazieren können.*
 

Nat hatte sie jedenfalls nicht nochmal gesehen und wusste auch nicht, wo er inzwischen war. Ob es ihm gut ging? Vielleicht konnte sie Danny überreden, ihn zu suchen. Eventuell wusste er sogar, wo man ihn hingebracht hatte. Danny war ja in jener Nacht im Zirkus dabei gewesen. Er würde sowieso noch für Zeugenaussagen und all das auf dem Polizeirevier vorsprechen müssen. Bestimmt erfuhr er da etwas.

„Ich bin froh, daß ich dich hier wieder sehe, Urnue“, meinte Nyu sentimental. „Im Zirkus dachte ich noch, du würdest zu den Polizisten gehören. Ich war einigermaßen überrascht, als Danny sagte, du würdest auch hier wohnen.“

„Sah ich denn aus wie ein Polizist?“, wollte Urnue amüsiert wissen und drückte sie noch etwas fester mit einem Arm an sich.

„Weiß nicht. Die anderen hatten ja auch keine Uniformen, sondern waren in zivil. Und ich war in Raserei verfallen. Ich hab überhaupt nichts mehr richtig klar mitbekommen. Ich hab an letzte Nacht, ab dem Zeitpunkt als meine Bann-Marke gelöst wurde, so gut wie keine Erinnerungen mehr. Nur noch an dich. Du hast es geschafft, mich lange genug bei Verstand zu halten, bis die mich einfangen konnten. Wer weiß, was ich noch alles angestellt hätte. Eine ausgetickte Harpyie kann den ganzen Zirkus kurz und klein schlagen, wenn sie will. ... Danke, daß du mich davon abgehalten hast, am Ende noch jemanden zu verletzen.“

„Komm her ... lass dich umarmen“, schnurrte Urnue, kraxelte um sie herum, setzte sich einfach verkehrt herum auf ihren Schoß und strich ihr mit den Fingerspitzen zart über die Wange. Da sie rücklings am Baum lehnte, konnte sie nicht weg.

„Mo-Moment mal! Ich will das nicht!“, protestierte sie verwirrt.

„Sssscccchhhh ... Keine Panik. Sie sagten doch, ich soll mich um dich kümmern.“ Er hatte schon mitbekommen, daß Nyu ihn feierte wie einen Rockstar. Und diesem Schwärmen gab er nur zu gern nach. Er freute sich durchaus über Gesellschaft, die ihm zugetan war, noch dazu wenn sie weiblich und so goldig war. Er hatte ja sonst niemanden, mit dem ihn sowas wie Freundschaft verband. Lediglich Rupperts Söhne gingen etwas kollegialer mit ihm um, widmeten sich darüber hinaus aber auch vorrangig ihrem eigenen Leben.

„A...aber so haben die das sicher nicht gemeint!“

„Ich versuche lediglich, dir ein wenig das Gefühl von Sicherheit und Achtung zu geben, das du nie hattest.“

„Und das DU vermutlich auch nie hattest???“, vermutete Nyu etwas mürrisch und schob ihn auf Armlänge weg.

Urnue wandte betreten das Gesicht ab, und schon tat ihr die Bemerkung leid. „Wenn du es so sehen willst, ja“, gab er zu.

„Sie haben ein Unterbringungsproblem.“

Danny kontrollierte vor dem Spiegel nochmal den Sitz seines Verbandes. Er war endlich allein in seinem Zimmer, also unbeobachtet, hatte seine Wunden versorgen können und zog sich nun ein frisches Hemd über, das nicht in Streifen von ihm herunter hing. Die Risse taten immer noch fies weh, aber er ignorierte es. Er würde sich schon an das Brennen gewöhnen.

Nyu kam hereingeschlichen und lächelte ihn etwas unglücklich an, während er noch den letzten Knopf zuknöpfte. Über den silbernen Faden, der sie verband, fiel es ihr ja nicht schwer, ihn in dem großen Haus zu finden.

„Was machst du denn für ein Gesicht?“, wollte Danny besorgt wissen. „Hat Urnue irgendwas angestellt?“

„Ja ... äh ... nein ... Naja, ich scheine ihm zu gefallen ...“

„Und er dir auch?“, vermutete Danny. War ja nicht zu übersehen, daß sie den Kerl ziemlich anhimmelte. Dann lachte er. Urnue hatte schon immer ein bisschen Casanova-Tendenzen. Er mutierte zum echten Weiberhelden, wenn es drauf ankam. Nur leider hatte er in Rupperts Gefolge kaum Gelegenheit, diesen Charakterzug auszuleben. „Das ist doch schön. Urnue ist cool. Etwas gothic-mäßig vielleicht, aber ansonsten echt fetzig. Was hindert dich?“

„Ich bin dein Genius Intimus!“, erinnerte Nyu ihn.

„Na und? Er ist auch einer.“

„Ich denke aber schon, daß ich meine ganze Aufmerksamkeit dir widmen sollte.“

„Eieiei ...“, seufzte Danny und kratzte sich amüsiert am Kopf. „Komm mal her!“ Er zog sie am Handgelenk neben sich aufs Bett, aus Mangel an anderen Sitzgelegenheiten. „Hör mal, du bist zwar mein Schutzgeist, aber du bist trotzdem ein eigenständiges, freies Wesen mit einem eigenen Leben. Ich lasse dir alle Freiheiten, die ich dir lassen kann, solange ich sie irgendwie mit meinem eigenen Leben unter einen Hut kriege, okay? Wenn du meinst, daß Urnue zu dir passt, dann hindert dich nichts daran, es auszuprobieren. Im Gegenteil, ich würde mich freuen.“

„Aber ... dich mag ich mehr als ihn. ... Jedenfalls bist du wichtiger.“

„Ach, Nyu, das ist zwar ehrenhaft, aber total unsinnig. Ich bin ein Mensch und ich würde mich nie im Leben mit Genii einlassen. Wir sind doch biologisch gar nicht füreinander gemacht.“

Nyu schaute ihn nur halb skeptisch, halb gekränkt an. Zugegeben, das Argument war recht haltlos. Wiesel-Tiergeister und Harpyien waren biologisch schließlich auch nicht füreinander gemacht. Sie gehörten genauso komplett verschiedenen Spezies an wie Harpyien und Menschen. Soviel man ihr im Zirkus erzählt hatte, gab es durchaus auch mal Ehen zwischen Genii verschiedener Spezies, auch wenn das in manchen Ländern gesellschaftlich verpönt war, aber mit Nachwuchs war da in der Regel nichts zu machen. Hybriden waren so gut wie unmöglich.

„Außerdem ist es eher untypisch, daß ein Schutzgeist und Schützling verschiedener Geschlechter aufeinandertreffen. Wenn ich ein Mädchen wäre, würde sich die ganze Frage gar nicht stellen, verstehst du?“, fuhr Danny fort.

Immer noch schien die junge Genia nicht einlenken zu wollen.

Danny seufzte. „Okay, hör zu. Auch wenn das sicherlich wie ein Stoß vor den Kopf für dich sein muss, aber ich bin schon vergeben. Ich habe eine Verlobte, die ich in einem Jahr oder zwei heiraten werde, wenn ich alt genug dafür bin! ... Und deren Genia Intima auch, möchte ich anfügen.“

„Meinst du wirklich?“

Danny nickte zuversichtlich. „Sei lieb zu Urnue. Er hat kein leichtes Leben.“

„Den Eindruck hab ich auch. Was läuft denn zwischen ihm und seinem Schützling?“

„Tja ...“ Der junge Magi überlegte, wie er das in Worte fassen sollte. „Mein Vater ist noch einer vom alten Schlag. Er betrachtet Urnue als seinen Sklaven, der die Klappe zu halten und protestlos zu gehorchen hat. Er lässt Urnue keinerlei Freiheiten und behandelt ihn recht herabwürdigend. Vor allem wenn er glaubt, daß niemand hinschaut. Urnue ist für ihn kein Partner, sondern ein ...“ Danny gestikulierte kurz hilflos herum, um ein passendes Wort aus der Luft zu pflücken. „ein Diener, oder so. Da Urnue so viel jünger ist als er, hat er da auch nicht gerade gute Karten in der Hand.“

„Aber Urnue ist doch total stark. Er ist ein echt mächtiger Genius“, meinte Nyu verdutzt.

„Sicher. Das nützt ihm aber auch nichts, wenn mein Vater glaubt, ihn nicht zu brauchen und alleine klar zu kommen.“

Die Genia runzelte die Stirn. Unglaublich, sowas. Sie war froh, daß Danny selbst das etwas humaner zu sehen schien.
 

Das typische Tuten in der Leitung war die einzige Antwort, die Urnue in dieser Nacht noch bekam, nachdem das Telefon ihn geweckt hatte. Victor hatte aufgelegt. Mürrisch schaute er auf den Bildschirm. Was zur Hölle ...!? Lagerhalle am anderen Ende der Straße? Jetzt, um 2:45 Uhr in der Nacht? Alleine? Nach ein paar Augenblicken Bedenkzeit quälte er sich aber trotzdem aus dem Bett hoch und begann sich anzuziehen. Als Wiesel musste er sich keine sonderlich große Mühe geben, leise zu sein, um seinen Schützling im Nachbarzimmer oder irgendjemand anderen in diesem Haus nicht zu wecken. Leise und unsichtbar versteckt zu sein lag ohnehin in seiner Natur. Was konnte Victor wollen? Ging es um Nyu, die man aus einem Zirkus befreit hatte und die seit vorgestern hier wohnte? Angst hatte er jedenfalls keine. Er kannte Victor ja. Er war mit ihm befreundet und vertraute ihm. Um genau zu sein, sahen solche Aktionen hier dem ehemaligen Vize sogar sehr ähnlich.

Gott, Ruppert würde ihn totschlagen, wenn er das hier mitbekam. Mit sehr unbehaglichem Gefühl dachte Urnue an die letzte Nacht zurück ...
 

Ruppert lehnte bereits mit verschränkten Armen und finsterem Gesichtsausdruck in der offenen Haustür, als die ersten Polizisten auf sein Grundstück kamen. Auch wenn der ganze Vorgarten mit Sichtschutzhecken ummauert war, war das flackernde Blaulicht der Streifenwagen direkt vor seinem Eingang nicht zu übersehen gewesen. Ihm war schon klar, daß die Polizei nicht grundlos genau vor seinem Haus hielt.

Ein Mann in ziviler Kleidung und unübersehbarem Kopfhörer im Ohr, der leger einen Arm um Dannys Schultern gelegt hatte, um ihn motivierend vor sich her zu schieben, bildete die Vorhut. „Guten Abend, Sir. Mein Name ist Ben Darcy“, stellte sich der Mann freundlich lächelnd vor.

Ruppert versuchte, seine Mimik im Griff zu behalten. Er antwortete nur mit einem grüßenden Nicken und schaute dann fragend auf seinen jüngeren Sohn, den dieser Mister Dracy hier ablieferte.

„Ich bin von der Polizei“, fuhr der fort. Konkreter wurde er nicht.

„Hat Danny was angestellt?“

„Nein, nicht direkt“, versicherte der FABELS-Agent mit einem aufrichtigen Lächeln. „Wir haben einen Zirkus draußen am Stadtrand geräumt, dem man kriminelle Machenschaften nachgesagt hat, haben das Publikum nach Hause geschickt, soweit wir sie nicht als Zeugen gebraucht haben, und haben einige Artisten des Zirkus' in Verwahrung genommen. Danny hat uns ... quasi Hilfe angeboten“, erzählte er, wobei er seine Worte aufgrund Dannys eindringlichen Seitenblickes schnell nochmal neu wählte.

„Hilfe, ja?“, echote Ruppert mürrisch und schaute wie ein Wachhund über sein ganzes Grundstück, als auch sein älterer Sohn Josh und Urnue herein kamen. Natürlich in Begleitung weiterer Polizisten. Urnues Fehlen war Ruppert schon länger aufgefallen, aber er sagte zunächst nichts.

„Sie haben ein Unterbringungsproblem“, mischte sich Danny selbst mit ins Gespräch ein und setzte einen Dackelblick auf. „Es sind zu viele Genii, die sie im Zirkus in Schutzhaft nehmen mussten. Ich habe ihnen für ein junges Mädchen unser Gästezimmer für die Nacht angeboten. Sie würden morgen natürlich wiederkommen und sich um die ganze Sache kümmern.“ Er wollte seinem Vater noch nicht sagen, daß es hier um seine Genia Intima ging. Nicht in dem Zustand, in dem sie gerade war. Und er hatte die FABELS-Agenten angefleht, es auch erstmal keinem zu sagen. Er konnte nur hoffen, daß sein Vater als Hellseher nicht auf die Idee kam, sich selber entsprechende Gedanken zu machen.

Rupperts Blick wurde noch düsterer. Aber jetzt noch abzulehnen, wo die schon alle vor seiner Haustür standen, dafür war es entschieden zu spät. „Meinetwegen. Wir reden später. Ich zeig' euch das Gästezimmer“, maulte er nur, warf Urnue noch einen todwünschenden Blick zu und verschwand dann im Haus, um den Staatlichen den Weg in den Keller zu zeigen. Früher war hier unten ein Fitnessraum mit Dusche und WC gewesen, den er für Urnue eingerichtet hatte. Aber nachdem seine beiden Söhne wieder hier eingezogen waren und die letzten freien Räume in Beschlag genommen hatten, hatte Ruppert ein weiteres Gästezimmer für sinnvoll gehalten und Urnues Trainingsgeräte ausgelagert. Seither hatte Urnue die Geräte in seinem eigenen Zimmer stehen.

„Es ist sehr freundlich, daß Sie uns helfen“, spielte Ben Darcy die Maskerade tadellos weiter mit. Er schaute sich möglichst unauffällig im ganzen Flur und Gästekeller um, bis er hinter sich die Gitterbox klappern hörte, in die man Nyu gesteckt hatte. Die anderen Polizisten brachten die Genia also schon herein.

„Eine Harpyie?“, stellte Ruppert in undeutbar negativem Tonfall fest.

„Es ist ja nur für eine Nacht“, log Danny.

„Und wieso ist die bewusstlos und weggesperrt?“

„Die Polizisten mussten sie betäuben. Es gab da ein paar Komplikationen.“

Aha, gefährlich war sie also auch noch. Der Banker im grauen Anzug atmete tief durch, verkniff sich aber weitere Kommentare, solange die Gesetzeshüter noch in seinem Haus herumrannten.
 

Nach einigem Hin und Her, einer Litanei an Dankesfloskeln und an Versprechungen, daß man bald wiederkommen und sich um die Harpyie kümmern werde, zogen die Polizisten irgendwann endlich wieder ab. Ruppert wartete gerade noch lange genug bis die Haustür hinter ihnen ins Schloss fiel, dann nahm sein Gesicht eine knallrote Farbe an. Er wandte sich seinen beiden vom Regen durchgeweichten Söhnen zu. Joshs Genius Intimus hatte sich – wohlweislich – schon längst verzogen. „Sagt mal, habt ihr jetzt endgültig den Verstand verloren!?“, polterte er außer sich vor Wut los. „Verratet mir mal, was ihr um diese Uhrzeit in dem Zirkus zu suchen hattet! Ihr wart doch schon zur Nachmittags-Vorstellung dort!“

„Die haben in dem Zirkus Genii gefangen gehalten!“

„Das sagtet ihr bereits! Und ich habe euch verboten, wieder da hin zu gehen und euch einzumischen! Habt etwa ihr zwei die Bullen gerufen?“

„Nein. Wir wussten nicht, daß die auch dort auftauchen würden.“

„Und was soll dieses Ding da unten im Keller!?“, fauchte ihr Vater ungehalten. Er bekam keine Antwort. „Und wer von euch kam auf die glorreiche Idee, Urnue mitzunehmen und mir nichts zu sagen!?“

„Vater ...“, bat Josh beschwichtigend.

„Mir aus den Augen! Alle beide! Das klären wir morgen!“ Mit diesen Worten krallte er seinen Genius Intimus an der Lederjacke, zerrte ihn brutal mit sich davon und ließ seine beiden Söhne einfach im Flur stehen.
 

Ruppert riss Urnue am Schlawittchen die Treppen ins obere Stockwerk hinauf, so daß der etwas unbeholfen hinterher stolperte, und verfrachtete ihn in sein Zimmer. Urnue hatte ein eigenes Schlafzimmer direkt neben dem des Bankenbesitzers.

„Ruppert, aua!“, protestierte der Wiesel-Geist, wenn auch kleinlaut.

„Du verfluchtes Stück Dreck!“, beschimpfte Ruppert ihn laut, nachdem er die Tür von innen zugeschmissen hatte, und wischte ihm erstmal links und rechts je eine Backpfeife ins Gesicht. „Du wirst mir nicht nochmal abhauen, das schwöre ich dir! Einfach verschwinden und mich unbeaufsichtigt und wehrlos irgendwo zurück lassen! Was bildest du dir eigentlich ein!?“

„Aber ich hab doch unserem Hausmädchen aufgetragen, auf dich Acht zu geben ...“

„Hast du eine Ahnung, was alles hätte passieren können!? Mich zu schützen, ist DEINE Aufgabe, nicht die unseres Hausmädchens!“ Ruppert packte seinen entgeisterten Genius Intimus mit beiden Händen an den Kragenaufschlägen und schob ihn durch das Zimmer wie ein Bulldozer.

Urnue quietschte schockiert auf, als er rücklings in sein Bett gewuchtet wurde und Ruppert auf ihn kletterte.

Der Banker hielt mit links Urnues Handgelenk auf der Bettmatratze fest und setzte ihm auch noch ein Knie in den Bauch, um das reflexartige Drehen und Winden seines Schutzgeistes zu unterbinden. Seine rechte Hand schloss sich um Urnues Hals.

„Ruppert!“, heulte Urnue panisch auf und hielt endlich still. Er zog hart Luft ein. Atmen konnte er noch. Rupperts Griff zum Hals war kein Würgen, es war ein reiner Drohgriff, der nichts weiter als Wirkung erzielen sollte. Und das tat er. Obwohl das Knie in seinem Bauch extrem unangenehm war, traute sich Urnue nicht mehr, sich zu rühren. Über die mentale Verbindung zu Ruppert spürte er sehr deutlich, daß der zu weiteren Handgreiflichkeiten aufgelegt war, wenn Urnue Terz machte.

„Was du hier getan hast, war ein Schwerverbrechen, du Hund“, zischte sein Schützling ihn böse an. „Du wirst mir jetzt die oberste Regel aus dem Codex Geniorum aufsagen!“

„Ja ... äh ... Jeder Genius, ob gebunden oder nicht, ist verpflichtet einem Begabten in Not zu helfen, sofern dies nicht mit den Pflichten gegenüber dem eigenen Schützling in Konflikt gerät*“, betete Urnue leise den Text herunter. Den Blick hatte er inzwischen abgewandt. Er konnte Ruppert in dieser bedrohlichen Lage, mit dessen Hand an seiner Kehle, nicht in die Augen sehen.

„Und weiter?“

„Bei Zuwiderhandlung ist der betreffende Schutzgeist zu bannen.*“

Ruppert nickte vielsagend. „Warst du verpflichtet ihr zu helfen? Ist die Harpyie da unten in unserem Keller ein magisch begabter Mensch?“

„Nein, ein Genius.“

„Gerät es mit deinen Pflichten mir gegenüber in Konflikt, einfach abzuhauen und mich ungeschützt zu lassen?“

„Ja“, gab Urnue kleinlaut zu.

„Und? Soll ich dich jetzt bannen lassen?“

Urnues Gesicht wurde noch eine ganze Ecke wehleidiger. Er presste die Lippen aufeinander und schniefte leise, als wäre er kurz davor, zu heulen. Er sagte nichts dazu. Was auch?

Ruppert musterte den Genius Intimus unter sich verachtend, als würde er mangels Antwort nach einem neuen Aufhänger für weitere Kritik suchen. „Gott, wie ich diese schwarzen Klamotten an dir hasse! Ich hab dir immer die Freiheit gelassen, mit diesen Fetzen rumzurennen, wenn wir nicht gerade geschäftlich unterwegs waren. Und so dankst du mir das. Damit ist jetzt Schluss, mein Wort darauf. Nächste Woche geh ich vernünftige Sachen kaufen, die du von jetzt an tragen wirst. ... Und wisch dir diese verdammte Schminke aus dem Gesicht!“, fügte er angewidert an, als sein Blick mal wieder auf die Kajal-Umrandung um Urnues Augen fiel.

„Natürlich“, murmelte der Schutzgeist nur unterwürfig.

Ruppert kletterte endlich von ihm herunter und setzte sich auf den einzigen Stuhl in Urnues Zimmer. Sauer lehnte er sich mit verschränkten Armen zurück. Langsam regte er sich wieder ab. Er hatte seine gröbste Wut wohl ausreichend an dem Wiesel-Geist abreagiert, aber er gedachte das trotzdem noch hier und jetzt gründlich mit Urnue auszudiskutieren, egal wie spät es inzwischen schon war. „Wenn du dir noch eine Schote oder auch nur ein Widerwort leistest, ziehe ich hier noch ganz andere Seiten auf, daß das klar ist, dreckiger Abschaum.“

Der schwarzhaarige Genius nickte und sah ihm vorsichtig wieder ins Gesicht. Zögerlich richtete er sich in eine sitzende Haltung auf.

„Jetzt erzähl mir, was diese hirnrissige Aktion sollte! Was haben Josh und Danny dir eingeredet, damit du da mitgehst?“, verlangte er böse.

„Hätte ich sie denn allein gehen lassen sollen?“, hauchte Urnue kleinlaut.

„Du hättest sie GAR NICHT gehen lassen sollen, du degeneriertes Kamel!“, blaffte Ruppert ihn expolsiv an. „Wie haben die zwei Jungs es überhaupt geschafft, daß die Polizei eine ausgetickte, randalierende Harpyie in eine Pflegefamilie steckt und unbeaufsichtigt hier lässt, statt sie wegzusperren?“

„Danny hat ihnen sehr glaubhaft versichert, daß wir sie unter Kontrolle halten können, wenn irgendwas ist. Der Kellerraum ist absperrbar. Und selbst wenn sie raus kommt, kann ich sie ja ... aufhalten ... und ...“ Er unterbrach sich selbst, als Rupperts Blick von Wort zu Wort düsterer wurde. Er machte es offenbar nur schlimmer.

„Seid ihr alle miteinander komplett bescheuert!?“, wollte der Banker wissen.

„Ich kann sie wirklich unter Kontrolle halten. Das habe ich schon im Zirkus getan.“

„Dann war das also deine Idee, sie hier her zu holen???“

„Nein!“, beeilte sich Urnue panisch zu versichern, aber zu spät. Er hatte im gleichen Moment schon wieder alle fünf Finger seines Schützlings im Gesicht kleben.

„Du lügst! Oder verschweigst mir irgendwas! Vergiss nicht, daß wir über ein silbernes Band miteinander verbunden sind! Ich weiß genau, was in dir vorgeht!“, schrie Ruppert auf ihn ein, schon wieder stehend und dadurch größer als Urnue.

Der Wiesel-Geist schlang lediglich schützend die Arme um seinen Kopf, ging in Deckung und sagte nichts mehr. Einen Moment lang fragte er sich, warum er sich eigentlich für Danny schlagen lassen musste. Aber versprochen war nunmal versprochen. Er hatte dem Jungen zugesichert, dicht zu halten.

„Tut einfach euren Job.“

Urnue nutzte zum Schließen der Haustür den Schlüssel, um die Tür nicht krachend ins Schloss ziehen zu müssen und alle zu wecken. Dann vergrub er beide Hände samt dem Schlüsselbund in den Jackentaschen und stiefelte in Ruhe los. Unglaublich. Erst gestern hatte Ruppert ihn ungespitzt in den Boden gerammt, weil er alleine abgehauen war, und heute zog er schon wieder ohne seinen Schützling durch die Gegend. Wie dumm war er eigentlich? Aber es war ja immerhin Victor, der ihn gerufen hatte.

Als er das Grundstück verließ und auf den Fußweg hinaus trat, lag der typische, englische Nebel in den Straßen Londons. Unter den Straßenlaternen kräuselte er sich ein wenig, ansonsten waberte er nur träge vor sich hin und schränkte die Sicht ein. Alles war gespenstig leer, wie das um so eine Uhrzeit angemessen war. Und die Nacht präsentierte sich herbstlich kühl. Unangenehmes Wetter. Aber wenigstens regnete es nicht wieder. Egal. Mal sehen, was Victor ausheckte. Es war fast zwei Jahre her, daß er den Russen zuletzt so richtig gesprochen hatte. Damals war die Motus gerade von ihm zerschlagen worden und er war auf der Flucht zeitweilig bei Ruppert untergetaucht. Seither hatte er sich nur noch telefonisch bei Ruppert gemeldet und Urnue auch ab und an Grüße bestellen lassen, wodurch Urnue die Aktivitäten des ehemaligen Vize-Bosses noch halbwegs mitverfolgen konnte. Der jagte nach wie vor und immer radikaler die früheren Motus-Verbrecher. Bei Urnue selbst hatte er bisher nur einmal angerufen und sich ihm einmal kurz persönlich gezeigt. Kaum lang genug, um vernünftig ein paar Worte zu wechseln, sondern nur um zu signalisieren, daß er nach wie vor ein Auge auf Rupperts Haus und Familie hatte. Aber der Russe hatte ihm sehr glaubhaft versichert, daß Urnue ihm immer noch als Freund wichtig war. Leider hatte Urnue Victors Nummer nicht, um sich mal selber bei ihm zu melden. Der Mann wollte nicht gefunden werden. Und man fand ihn auch wirklich nicht.
 

Zwei Personen in grell-bunten, identischen Outfits kamen in die alte, leerstehende Lagerhalle herein. Zwei Frauen, beide noch in den besten Jahren. Durch ihre auffallend gleiche Kleidung wirkten sie wie Geschwister, was ihnen schon sehr lange den Namen 'die Zwillinge' eingehandelt hatte, auch wenn sie sich vom Körperbau her ein wenig unterschieden. In kriminellen Kreisen kannte man dieses Gangster-Duo. Ybi und Vy, eine Magi und ihre Genia Intima.

„Okay, er ist auf dem Weg hier her“, tat Ybi, die magisch Begabte, ihre Beobachtung Kund und sah sich nun das Innere der Lagerhalle genauer an. Obwohl diese Ruine schon lange keine Stromversorgung mehr hatte, war es dank eines akkubetriebenen Scheinwerfers in der Ecke doch hell genug, um das Nötigste zu erkennen.

korosho“ [Gut.], erwiderte der junge Mann, der drinnen auf dem Fußboden kniete, stoisch auf Russisch. Er verzog keine Miene, sondern zeichnete mit Kreide akribisch die Linien seines Bannkreises, den er gerade noch fertig aufpolierte.

„Er ist schon fast da. Wie weit bist du, Dragomir?“, wollte Vy wissen.

„Nenn mich nicht Dragomir“, war die einzige und sehr kühle Antwort, die sie bekam.

„Wieso nicht?“

„Das tun nur meine Freunde.“

„Wir arbeiten mit dir, statt gegen dich. Ist das nicht Berechtigung genug, dich so zu nennen, Victor“, legte die Genia schnippisch nach.

sdelayte swoyu rabotu“ [Tut einfach euren Job], verlangte der Russe gefährlich ruhig, fast drohend, und ohne von seiner Arbeit auch nur eine Sekunde aufzusehen. Er zog noch ein paar Striche, stand schließlich auf, musterte das Ergebnis nochmal von oben und wandte sich endlich dem Gauner-Duo zu, als er zufrieden war. Jetzt erkannten Ybi und Vy mehr von ihm. Er trug einen fast bodenlangen Ledermantel und schwarze Haare bis zu den Schultern, die ihm mit Seitenscheitel asymmetrisch ins Gesicht fielen. In ein hübsches, harmloses Gesicht, trotz daß sein Blick toternst war. Victor Dragomir Raspochenko Akomowarov, der ehemalige Vize-Chef eines Verbrecher-Kartells von internationalen Ausmaßen, ganz in seinem Element. Den coolen Bösen spielen, das konnte er, wenn er wollte. „Wenn ihr ihn festgesetzt habt, werdet ihr hier bleiben und aufpassen“, legte Victor fest.

„Worauf?“

„Das er nicht eher hier weg kommt als mir lieb ist.“

„Wie soll er denn hier weg kommen, wenn er einmal in deinem Bannkreis drin ist?“

„Jemand könnte ihn befreien. Glaubt ihr, es wird keiner nach ihm suchen?“

„Aber ich dachte, seinen Schützling würdest du ...“

net obsuzdeniya!“ [Keine Diskussion!], verlangte Victor drohend. „Ihr werdet den Zeitplan befolgen! ... Und macht halblang! Wenn ihr ihm auch nur ein Haar krümmt, seid ihr tot, merkt euch das!“ Mit diesen Worten und wehendem Ledermantel marschierte er aus der Lagerhalle hinaus.

Die Zwillinge schauten ihm grummelig hinterher. „Das Gerücht, daß er mit seinen Handlangern inzwischen etwas kameradschaftlicher umgeht, würde ich jetzt nicht direkt bestätigen“, kommentierte Ybi zynisch und schaute auf die Armbanduhr, um den besagten Zeitplan nochmal in Gedanken abzugleichen.

„Tut er ja angeblich auch erst hinterher, nachdem der Auftrag zuverlässig erfüllt wurde. Vorschuss-Lorbeeren kriegt man von ihm nicht.“
 

Es dauerte eine ziemliche Weile, bis die alte, rostige Tür der Lagerhalle wieder aufgezogen wurde und ihr 'Auftrag' mit wachsamem Blick herein kam. Urnue schaute sich erst sorgsam um, bevor er das Gebäude ganz betrat, und prüfte die Umgebung auch auf magische Schwingungen. Langsam kam er in die Halle herein gelaufen. „Dragomir?“, fragte er schließlich in die Runde, als er niemanden sah. Nur der immer noch brennende Scheinwerfer zeugte davon, daß in dieser Lagerhalle wirklich gerade jemand aktiv war.

„Ha, sieh an“, plökte Vy verstehend. „Der ist ein Freund von Victor.“ Darum also hatte Victor ihnen mit einer rituellen Hinrichtung gedroht, sollte dem Kerl auch nur ein Haar gekrümmt werden. Das erklärte einiges.

„Wie kommst du darauf?“, gab ihr Schützling Ybi zurück.

„Weil er ihn Dragomir genannt hat!“

Urnue drehte sich fragend nach den Stimmen um. Er hatte akut das Gefühl, in einen Hinterhalt geraten zu sein. Wo war Victor hin? Der hatte ihn doch extra her bestellt. War in den 20 Minuten, die Urnue vom Bett bis hier her gebraucht hatte, etwa irgendwas passiert? „Wer seid ihr?“, wollte er wissen, da er die beiden weiblichen Stimmen spontan nicht zuordnen konnte und ihre Besitzer auch auf den ersten Blick nirgends sah.

Urnue verzog das Gesicht, als seine beiden Gesellschafter sich ihm endlich zeigten. Zwei Damen in identischen Outfits. Die Zwillinge. Er kannte die beiden. Die hatten damals mit der Motus zu schaffen gehabt. Aber er wusste auf die Schnelle nicht, ob die heutzutage, seit dem Niedergang dieses Kartells, mit Victor kooperierten oder gegen ihn arbeiteten. War es gut oder schlecht, die beiden hier anzutreffen, wo er eigentlich Victor erwartet hatte? Ybi kam von vorn auf ihn zu, Vy von hinten, so daß er unmöglich beide gleichzeitig im Auge behalten konnte.
 

„Schön, daß du uns mal besuchst“, scherzte Ybi, die menschliche Magierin im Bunde, salopp und grinste hämisch.

„Was wollt ihr von mir?“, erkundigte sich Urnue mit aufgesetzt genervter Stimme. Jetzt bloß keine Unsicherheit zeigen.

„Oh, da gibt es zwei Möglichkeiten.“ Ybi deutete auf den riesigen, verschnörkelten Kreidekreis in der Mitte der Lagerhalle. „Entweder du trittst freiwillig in den Bannkreis, oder wir stecken dich mit Gewalt rein.“

„Schon klar. Wo ist Victor?“, verlangte er zu wissen.

„Ach, jetzt ist er für dich plötzlich wieder Victor und nicht mehr Dragomir?“, warf Vy von hinten ein. Sie war indess schon ein gutes Stück näher gekommen.

Urnue schnalzte sauer mit der Zunge. „Könnt ihr nicht mal eine einzige Frage ordentlich beantworten?“

„Wir sollen dir von Victor schöne Grüße ausrichten. Er ist nicht mehr da. Aber er möchte, daß du hier wartest, bis er fertig ist und zurück kommt“, schmunzelte Ybi.

Dem Wiesel-Tiergeist rutschte eine Augenbraue Richtung Haaransatz. „Das soll er mir bitte selber sagen!“, entschied er und wandte sich um, um hier wieder zu verschwinden. Ob Freunde von Victor oder nicht, mit den beiden würde er sich mal besser nicht länger befassen. Das war einfach zu zwielichtig. Irgendwas musste schief gelaufen sein. Solche Aktionen hier würde Victor sicher nicht abziehen. Wozu auch? Was sollte er für einen Grund haben, Urnue mitten in der Nacht aus dem Bett zu klingeln und in einen Bannkreis zu stecken?

„He! Hier geblieben, Freundchen!“, befahl Ybi.

Ein magisches Seil, vermutlich Bannmagie, wickelte sich um Urnues Fuß und brachte ihn zu Fall. Er fing sich aber elegant mit beiden Händen ab, bevor er einen Bauchklatscher auf den Betonboden machte. Sein Blick ruckte kampfbereit herum.

„Das ist unhöflich, einfach abzuhauen, ohne sich zu verabschieden!“, belehrte die magisch Begabte ihn, zog derb an dem Schlingseil und schleifte den Wiesel-Genius damit ein Stück weit bäuchlings über den Boden zu sich heran.

Urnue, selbst ein starker Bann-Magier, warf sich auf den Rücken herum, musste hinnehmen, daß er in dieser Haltung abermals einen Ruck weit über den Boden gezerrt wurde, kappte das Seil um seinen Fuß dann endlich mit einem Gegenzauber und kam mit einer akrobatischen Rückwärtsrolle wieder auf die Beine. Im nächsten Moment hatte er bereits Kampfhaltung angenommen und einen magischen Schutzschild hochgezogen, der sich in symbolbewährten Kreisen vor ihm in der Luft manifestierte.

„Na schön, du willst also nicht freiwillig da rein gehen“, stellte Ybi mit gespielter Enttäuschung fest. „Dann müssen wir nachhelfen.“ Sie gab ihrer Genia Intima ein vielsagendes Kopfnicken zum Zeichen.

Urnue schaute sich fragend nach Vy um, um zu sehen, was sie tun würde, aber das war der gravierendste Fehler, den er hatte machen können. Ybi nutzte die Ablenkung sofort, um Urnue erneut anzugreifen. Ihr Zauber durchstieß seinen Schutzschild wie eine Lanze und traf ihn zielgenau von der Seite in die Rippen. Der Angriff prellte Urnue zu Boden, als wäre er von einem Rammbock getroffen worden. Er krachte durch den unvermuteten Treffer so unkoordiniert auf den Beton, daß er sich beim besten Willen nicht mehr abfangen konnte. Selbst seine hochtrainierten Reflexe und seine wieselhafte Körperbeherrschung reichten dafür nicht aus. Hustend blieb er liegen.

Vy trat lachend hinzu. „Der Trick klappt doch immer wieder. Du tust so, als würdest du an mich übergeben, und dann, wenn sich der Gegner mir zuwendet, greifst du doch selber an. Ich liebe diese Taktik.“

„Naja. Den hier hätten wir auch nicht anders klein gekriegt. Im frontalen Kampf hätten wir kein leichtes Spiel mit ihm gehabt.“

Die Zwillinge schauten ihm einen Moment lang zu, wie er sich stöhnend und schwerfällig zu einer Kugel zusammen zu rollen versuchte, es aber nicht schaffte. „Ich glaube, die Bruchlandung war nicht gut“, vermutete Vy nun doch etwas besorgt.

Ihr Schützling schüttelte beruhigend den Kopf. „Ich hab in meinen Angriff Lähmung mit eingeflochten. Dem geht´s gut. Er kann sich einfach nur nicht mehr bewegen.“

„Trotzdem, übertreib nicht. Du weißt, daß Victor uns umbringt, wenn dem Kerl hier was passiert.“

Ybi warf ihrer Genia einen tadelnden Blick zu. „Weiß ich selber. Ich bin ja nicht lebensmüde. Los, jetzt steck ihn endlich in den Bannkreis, und dann machen wir Feierabend für heute.“

Vy bückte sich und griff nach Urnues Handgelenken, um ihn hoch zu ziehen. Ohne viel Federlesen warf sie sich den fremden Schutzgeist über die Schulter und trug ihn weg. Obwohl sie durchaus eine recht stämmige Frau war, war es unglaublich, wieviel Kraft sie hatte. Sie musste zu einer Spezies gehören, die sich von Natur aus durch viel Körperkraft auszeichnete. Neben dem Bannkreis stellte sie Urnue wieder auf die Füße wie eine Schaufensterpuppe. Mit dem nötigen Halt schaffte der es sogar, schwankend stehen zu bleiben, mehr aber auch nicht. „Löst du den Lähmungs-Bann wieder?“

„Wieso sollte ich?“, wollte Ybi uneinsichtig wissen.

„Weil Victor uns sonst rund macht wie einen Buslenker.“

„Ich dachte, Victor ist so hochbegabt. Der kann den Bann doch später selber wieder lösen, wenn er will.“

„Ybi!“

„Schon gut ...“, maulte die Bann-Magierin lustlos. „Hast du ihn?“

„Ja.“ Die Genia packte Urnue fester am Kragen, um ihn bei Bedarf unter Kontrolle zu halten. Man wusste ja nie, wo reaktionsschnell so ein Wiesel war.

„Gut, dann ... eins ... zwei ...“, zählte Ybi als Vorwarnung ein.

Vy gab Urnue einen Stoß, der ihn haltlos in den Bannkreis hinein straucheln ließ, kaum daß ihr Schützling fertig gezählt hatte.

Die Paralyse verpuffte zwar, aber das nützte Urnue auch nichts mehr, da er im Bannkreis sofort zusammenbrach. Keine Chance mehr, noch in irgendeine Richtung zu reagieren. Noch bevor er sich Gedanken darüber machen konnte, warum er zusammenklappte wie ein Kartenhaus und warum ihm schwarz vor Augen wurde, waren ihm bereits die Sinne vergangen und er wurde ohnmächtig.

Ybi gab ein mürrisches Brummen von sich, als sie Urnue bewusstlos da liegen sah. „Na super. Mich hast du angezinkt, weil ich den Kerl bewegungsunfähig gemacht habe. Und jetzt sieh dir an, was Victor selber mit ihm anstellt!“

Ihr Schutzgeist spazierte interessiert um den Bannkreis herum und schaute sich die Symbole und Zeichen genauer an, die darin eingearbeitet waren. Es waren eine ganze Menge. „Hm. Er muss wohl irgendwas verwendet haben, was das Opfer außer Gefecht setzt, damit der nicht auf die Idee kommt, sich selber zu befreien. Der Kamerad hier ist ja auch ein Bann-Magier.“

Ybi schaute auf die Uhr. Das war ja unkomplizierter und schneller vonstatten gegangen als erhofft. Alles bestens. Aber dafür hatten sie jetzt auch jede Menge Zeit. „Müssen wir echt hier Wache schieben? Ich meine, sieh dir das an! Der ist ja nichtmal mehr bei Bewusstsein. Was soll mit dem schon passieren?“

„Victor sagte, jemand könnte ihn suchen kommen und befreien.“

„Wer denn bitte? Und vor allem, wie soll uns hier jemand finden? Und selbst wenn uns jemand findet: Wer Victors Bannkreise allen Ernstes knacken kann, hat es sich auch redlich verdient, den Genius da als Trophäe mitzunehmen!“, beharrte Ybi mit einem Deut auf Urnue im Kreidekreis.

„Nörgel einfach nicht und mach, was Victor sagt. Du weißt, daß er uns jederzeit umlegen könnte, wenn er meint, daß wir ihm nichts mehr nützen. Der jagt ehemalige Motus-Leute wie uns, schon vergessen? Wir müssen fast froh sein, daß er uns in seine Pläne einspannt, statt uns der Polizei zu übergeben oder einfach über den Haufen zu schießen, jetzt wo er uns einmal aufgespürt hat.“

„Wir sind viel zu kleine Lichter. Ich glaube nicht, daß der sich wirklich für uns interessiert. Victor ist hinter größeren Fischen her“, glaube Ybi.

„Da wäre ich nicht so überzeugt. Er hat auch 'die Katze' kalt gemacht. Und die war auch nur ein kleiner Schmuggler, so wie wir.“

„Wir sind keine Schmuggler! Wir handeln mit Informationen!“

„Oder erinnerst du dich an Perry und Ludwig?“, fuhr die Genia unbeeindruckt fort.

„Die sitzen im Knast.“

„Ja, tun sie“, stimmte Vy zu. „Aber die gehen auch auf Victors Konto. Ich will damit sagen, daß er nicht wählerisch ist. Der nimmt sich jeden Motus-Anhänger zur Brust, der ihm zufällig über den Weg läuft, egal ob groß oder klein.“

„Welche Fähigkeiten hast du?“

„ ... was soll das heißen, weg?“, raunte jemand, als Nyu am nächsten Morgen langsam zu sich kam. Sie lag in einem weichen, warmen, bequemen Bett und war noch im Halbschlaf gefangen. Vermutlich hatte das Gespräch im Zimmer sie geweckt.

„So wie ich es sage! Verschwunden! Weg!“, gab eine andere, dunklere Stimme gereizt zurück. Wesentlich lauter als die erste. „Oder siehst du ihn hier irgendwo? Du und Josh, ihr werdet auf der Stelle losziehen und ihn zurückholen.“

„Ausgeschlossen. Das ist gefährlich. Nyu hat noch nie ein Trainings-Center von innen gesehen.“

„Das ist mir völlig egal!“

„Aber heute Mittag soll der Psychologe von der Kriminalpolizei kommen, der sich Nyus Zustand ansehen will! Da kann ich nicht einfach mit ihr abhauen!“

Nyu stöhnte und wälzte sich im Bett herum, den beiden Stimmen zu. Es waren ihr Schützling Danny und sein Vater Ruppert, die da rumdiskutierten. „Was ist verschwunden?“, hauchte Nyu müde und versuchte die Augen aufzublinzeln. Sie rieb sich den Schlafsand aus dem Gesicht.

„Oh, du bist ja wach. Hallo“, gab Danny zurück. „Urnue ist offenbar weg.“

„Was, weg? Aber gestern Abend war er doch noch da! Wo ist er denn?“ Die junge Genia war plötzlich hellwach und schnellte aus dem Liegen in eine sitzende Position hoch. Sie mochte Urnue. Das erste Wesen in ihrem Leben, das sie wirklich mochte. Sie wollte nicht, daß er weg war!

„Abgehauen, was denn sonst!?“, raunzte Dannys Vater sauer. „Wäre ja auch nicht das erste Mal, daß dieser Abschaum sowas macht“, fügte er vielsagend an.

„Quatsch, warum sollte er das tun? Wohlmöglich ist er von jemandem verschleppt worden“, meinte Danny.

„Ach ja? Und warum sollte DAS jemand tun?“

„Vielleicht, weil du einer der mächtigsten und einflussreichsten Banker landesweit bist und letzte Woche all deinen Konkurrenten den Krieg erklärt hast?“, schlug Danny mit einem Kapierst-du´s-nicht?-Tonfall vor.

„Mein Gott, wir müssen Urnue sofort suchen!“, beschloss Nyu und sprang hektisch aus dem Bett, um sich Kleider über den Leib zu reißen und auf der Stelle kopflos aus dem Haus zu rennen. Für sie war klar, daß etwas nicht stimmte. Urnue konnte nicht einfach abgehauen sein. Das ließ der Codex gar nicht zu.

„Nun mal langsam. Das ist gefährlich! Und du bist völlig ...“

„Ich hab zwar nie offiziell trainiert, aber kämpfen kann ich!“, beharrte sie. „Ich bin eine Harpyie! Wenn ich was kann, dann austeilen!“
 

Keine halbe Stunde später, gegen 10 Uhr, spazierten sie auf Nyus Drängen hin bereits zielstrebig los: sie, Danny, sein Bruder Josh und dessen Genius Intimus, den man nur 'Steinbeißer' nannte. Ob man damit auf den Speisefisch oder auf die Fantasy-Filmfigur aus 'Die unendliche Geschichte' anspielte, wusste Nyu noch nicht. Der Steinbeißer war ein seltsamer, dicker Typ, der ganz und gar dem Klischee eines Computerfreaks und Gamers entsprach und kein Wort sagte. Schon in der Haustür hatte er schlecht gelaunt ein Handy mit riesigem Display und Internetfunktion gezückt und hatte es seither permanent vor der Nase. Er schien genervt davon, das Haus verlassen zu müssen. Oder auch nur sein Zimmer verlassen zu müssen. Nyu hatte ihn abgesehen von der Vorstellungsrunde gestern im Garten kein einziges Mal mehr zu Gesicht bekommen. Es war offensichtlich, daß er mit der Gesellschaft seines Schützlings schon mehr als bedient war. Mehr soziale Kontakte brauchte er nicht. Die Harpyie fand den Kerl auf Anhieb unsympathisch.

Nyu selbst kaute noch auf den Resten ihres Frühstücks herum. Sie hatte nicht lange genug still sitzen können, um es noch daheim aufzuessen. Keiner wollte Urnue dringender finden als sie, und dabei kannte sie ihn noch keine zwei Tage. „Hast du schon eine Idee, wohin wir gehen müssen?“, wollte sie hoffnungsvoll wissen.

Danny nickte. „Allerdings. Von Vaters Konkurrenten kenne ich nur einen, der auf so krasse Methoden zurückgreifen würde, einen Genius Intimus zu entführen. Vielleicht kriegt Vater ja im Laufe des Vormittags eine Lösegeldforderung.“

„Was aber ziemlich sinnlos wäre. Jeder weiß, daß er die niemals zahlen würde“, fügte sein Bruder Josh an.

„Warum nicht? Das ist sein Genius Intimus!“, fragte Nyu fassungslos nach.

„Ja, schon. Aber er hält nicht viel auf Genii, weißt du? Er ist größenwahnsinnig und erfolgsverwöhnt genug, um zu glauben, daß er ganz gut allein klarkommt. Und wenn Urnue sich wirklich von einem Kidnapper wegfangen lässt, würde das Vaters Glauben an seine Unfähigkeit und Nutzlosigkeit nur noch bestärken ... Urnue hat ihm schon so oft den Hintern gerettet. Manchmal wünsche ich mir fast, daß er mal auf irgendwas stößt, wo Urnue ihm nicht mehr helfen kann. Damit er´s mal merkt.“

Nyu sah nachdenklich zu Boden. Sowas in der Art hatte Danny ja gestern schon angedeutet. Es war schade, wenn das Verhältnis zwischen einem Schutzgeist und einem magisch Begabten so war. Die beiden sollten sich eigentlich gegenseitig achten und helfen. Sie selbst war auch noch nicht so weit, gestand sie sich ein. Sie hatte immer noch ein wenig Angst vor Danny, von seiner Familie ganz zu schweigen. Aber sie war ja auch erst seit zwei Tagen hier. Urnue rang schon seit etlichen Jahren um die Anerkennung seines Schützlings.

„Die Kubikas wohnen am anderen Ende des Viertels“, erklärte Danny weiter und deutete die ganze Straße hinunter. Allein die Geste verdeutlichte, daß es sich um ein nennenswertes Stück Weg handeln musste. Mit der anderen Hand fingerte er verstohlen nach dem Verband unter seinem T-Shirt. Die Risswunden auf seiner Brust schmerzten höllisch und er bekam kaum richtig Luft. Er fühlte sich furchtbar und hoffte inständig, daß Josh es nicht merkte. Aber der hatte zum Glück gerade andere Sorgen.

„Mann, wieso nehmen wir nicht das Auto?“, maulte Josh. „Ich bin 19 und hab einen Führerschein. Ich hätte sogar selber fahren können, wenn Vater uns schon nicht rumkutschieren will.“

„Weil es einerseits zu auffällig wäre, mit Vaters Luxuskarosse vorzufahren, und weil er zweitens zu geizig ist, uns die Karre zu überlassen. Wir könnten ja auf den paar Meilen den ganzen Tank leer fahren.“

„Wenigstens ne Fahrkarte hätte er uns spendieren können.“

„Jetzt sei nicht so faul. Ein Spaziergang wird uns nicht schaden“, stellte Danny klar und lief kraftvoll und enthusiastisch vorweg. „Vor allem nicht deinem Computerfreak von Genius Intimus. Der könnte ruhig öfters mal ... Äh, Josh?“, meinte Danny verwundert, als der erwartete Protest seines Bruders ausblieb. Verdutzt blieb er stehen und sah zurück, weil Josh auch plötzlich nicht mehr neben ihm lief. Der junge Mann war ein paar Schritte zuvor an einer heruntergekommenen, leerstehenden Lagerhalle zurückgeblieben und starrte diese nachdenklich an.

„Josh?“, wollte Danny vorsichtig wissen, als er wieder zu seinem Bruder zurück kam.

„Urnue ist da drin“, meinte Josh fest überzeugt.

Danny sah sich die bedrohliche Lagerhalle genauer an und schluckte schwer. „Hast du geraten, oder sagt dir das deine magische Intuition?“

„Meine Intuition“, antwortete er, sah sich aufmerksam in alle Richtungen um und schob schließlich das angelehnte Tor auf, welches der einzige Zugang zum Grundstück war. Er hielt vor lauter Anspannung die Luft an. Was wollte der Genius Intimus seines Vaters in einer verlassenen Lagerhalle? Oder was wollte IRGENDWER in einer verlassenen Lagerhalle, wer auch immer Urnue in seiner Gewalt hatte?
 

Danny fluchte leise. Im Flüsterton, damit es keiner hörte. Er spähte durch einen Türspalt in die abgedunkelte Lagerhalle hinein. Die Fenster waren seit Jahren nicht mehr geputzt worden und so dreckig, daß sie kaum noch Sonne herein ließen. Die Halle war leer bis auf einige Kisten, die an der Rückwand hochgestapelt waren. Und mitten in der Halle, auf dem blanken Fußboden, lag Urnue. Seine schwarze Biker-Lederjacke und die schwarzen Wuschelhaare waren selbst über diese Entfernung unverkennbar. Er lag offensichtlich bewusstlos in einem Bannkreis, soweit Danny das erkennen konnte.

„Das riecht ja geradezu nach einer Falle“, maulte er und sah überlegend Nyu, Josh und dessen Genius Intimus an. Überlegend, was er um Himmels Willen tun konnte, um keinen von ihnen mehr als nötig zu gefährden, beziehungsweise, wer ihm gerade am nützlichsten war, um Urnue zu retten. „Okay, Nyu, jetzt ist es an der Zeit, mir was über dich zu erzählen. Welche Fähigkeiten hast du?“

„Fähigkeiten?“, gab sie verunsichert zurück. „Ich hab eigentlich keine.“

„Naja, zum Beispiel ...“ Danny zuckte hilflos mit den Schultern.

„Hmmmm ... Ich kann mich verwandeln, siehst du!?“, fiel ihr ein und sie nahm ihre wahre Gestalt an.

Dem Steinbeißer entfuhr ein schockierter Fluch, als er entsetzt zurückwich und dabei sein Handy fallen lies. Anstelle der kleinen, drahtigen 17-Jährigen mit der schwarz-grünen Lockenpracht kauerte vor ihm plötzlich dieser riesige, massige Vogel mit räudigem, dunkelgrauem Gefieder, einem langen, vorn abgekanteten Geier-Schnabel und weißen, trüben Augen, die wie blind wirkten. „Harpyie!“, keuchte er nur.

„Beherrsch dich, Mann!“, fauchte Josh seinen Genius Intimus an und deutete an, ihm einen Klapps auf den Hinterkopf geben zu wollen. Aus irgendeinem Grund schien der Harpyien nicht ertragen zu können. Nyu fragte sich einen Moment lang, was der wohl in seiner wahren Gestalt für ein Wesen war. Aber Dannys weitere Fragen lenkten sie wieder davon ab.

„Nagut, das kann jeder Genius“, hielt Danny ihr vor. „Aber du musst doch irgendwelche magischen Fähigkeiten haben. Alle Genii haben welche.“

„Ich ... weiß aber wirklich von keinen“, gestand sie eingeschüchtert. „Ich kann mich in Kämpfen ganz gut behaupten. Und ein bisschen heilen. Aber meine Heilerfähigkeit ist nur rudimentär vorhanden und ich hatte auch nie die Möglichkeit, sie zu trainieren.“

Hilfesuchend drehte Danny sich also zu seinem älteren Bruder Josh um. Vielleicht wusste der mit seiner übernatürlichen Intuition etwas. Aber auch der schüttelte nur unwissend den Kopf. Ein Genius ohne Fähigkeiten, gab es sowas überhaupt? „Du hast mich zu Hause durch den ganzen Keller geschleudert, ohne mich zu berühren. Wie hast du das gemacht?“, wollte Danny wissen. Sein letzter Hoffnungsschimmer, ihr doch noch irgendeine Art von magischer Fähigkeit andichten zu können. Wieder wanderte seine Hand zur Brust und den Wunden, ohne daß er es merkte.

„Energieübertragung. Schlichte Energiearbeit, das kann doch jeder“, gab sie zurück und schaute dann verwirrt in die dummen Gesichter der Jungen.

„Nein, Nyu. Distanzüberbrückung ist keine sehr weit verbreitete Fähigkeit“, erklärte Josh ruhig und sah plötzlich sehr feierlich aus.

„Was sind denn bitteschön eure Fähigkeiten?“, hakte Nyu nach.

„Wir haben zu reden, towarisch.“

Ruppert saß im Wohnzimmer auf einem Sessel, mit seinem Laptop auf dem Couch-Tisch, und verfolgte im Internet den Verlauf der Börsenkurse. Das war als Bankenbesitzer schließlich ein wesentlicher Teil seiner Arbeit. Es war völlig still im Haus, nur an der Wand tickte eine Pendeluhr. Daher vernahm Ruppert das Summen neben sich sehr deutlich. Er schaute hoch, beobachtete, wie sich die Fliege gegenüber auf dem Sofa niederließ, und überlegte schon genervt, wie er sie möglichst effektiv beseitigen könnte. Er hasste Ungeziefer in seinen Räumlichkeiten.

Unvorgewarnt verschwand die Fliege in einem größer werdenden Strudel aus schwarzem Rauch und dehnte sich binnen weniger Sekunden zu monströsen Ausmaßen. Ruppert krächzte ein schockiertes „Shit!“. Ehe er sich versah, hatte er einen langhaarigen Russen auf seinem Sofa sitzen, den er sofort erkannte und Gott sei Dank als Freund einstufte. Keine Frage, wie der hier rein gekommen war. In seiner Fliegengestalt passte der Gestaltwandler durch jedes gekippte Fenster. „Dragomir! vy w londone?“ [Du bist in London?], grüßte Ruppert hyperventilierend. Er musste erstmal seinen Puls wieder in den Griff kriegen. Und, verdammte Axt, er musste dringend Fliegen-Gage an seinen Fenstern anbringen!

Victor setzte ein leicht gehässiges Lächeln auf, das seine Augen aber nicht erreichte. Es war durch und durch frostig. „Vorübergehend“, bestätigte er.

„Hast du mich vielleicht erschreckt! ... äh ... ich freu mich, dich zu sehen.“

„Das bezweifle ich stark“, hielt der Russe dagegen. Er wusste, daß Ruppert so ziemlich allein im Haus war. Urnue hatte er persönlich wegfangen lassen, und Rupperts zwei Söhne hatte er gerade samt ihren Genii weggehen sehen. Es war nur noch die Haushälterin da, eine ungebundene Genia, mit der er aber im Zweifelsfall fertig werden würde, wenn sie zufällig gerade aus dem Garten hereinkommen sollte. Beste Voraussetzungen also.

Der fortwährend kühle Blick und die auffallende Humorlosigkeit des Besuchers machten Ruppert doch langsam unsicher. Er kannte Victor als fröhlicheren, scherzhafteren Mann. Der war heute nicht auf einen ungezwungenen Freundschaftsplausch hier aufgetaucht, das merkte man ihm an. „Ist was passiert?“, wollte der Banker vorsichtig wissen.

„Wir haben zu reden, towarisch.“

„Bin ganz Ohr.“

„Du wirst meinen Berg Predanje für mich suchen“, verlangte Victor ernst. Ja, dieser Tonfall war wahrlich keine Bitte. Das war ein astreiner Befehl.

Trotzdem schnaufte Ruppert amüsiert. „Was denn, hast du ihn so gut getarnt, daß du ihn selber nicht mehr wiederfindest?“

„Nein. Aber ich will wissen, ob ich ihn gut genug getarnt habe, damit er nicht von anderen gefunden wird.“ Dieser Berg, den er 'Predanje', also übersetzt 'Mythos', genannt hatte, lag im tiefsten Nirgendwo abseits jeglicher erschlossener Zivilisation. Er hatte angeblich ein weit verzweigtes Höhlensystem, das Victor sich wohnlich ausgebaut hatte. Das war seine Zentrale. Dort wohnte er, wenn er nicht gerade in der Welt rumgeisterte und Verbrecher jagte. Niemand wusste, wo Predanje war.

„Ja-ja, kann ich nachher gern machen“, gab der alte Kauz im grauen Anzug sich geschlagen, auch wenn er nicht direkt erpicht darauf aussah.

Victor verengte drohend die Augen. „Jetzt“, stellte unheilvoll klar.

„Halt ich für keine gute Idee. Ich würde lieber warten, bis Urnue wieder ...“

„Jetzt, hab ich gesagt. Fang an.“

Ruppert sah ihm rückversichernd in die Augen und verwarf seine Überlegungen wieder, ob er weiterarbeiten oder dem Gast erstmal etwas zu trinken anbieten sollte. „Hat es einen Grund, warum du es so eilig hast?“, wollte er überfordert wissen. Die Art, die Victor gerade an den Tag legte, kannte er überhaupt nicht von ihm. Als er das letzte Mal nachgesehen hatte, waren sie doch eigentlich noch Verbündete und Freunde gewesen, oder nicht? Also was sollte diese Nummer jetzt?

„Du brüstest dich doch immer damit, daß du Urnue nicht brauchst und ohne ihn klar kommst. Also lass die Hinhalte-Taktik. Fang an.“

„Aber ...“

Victor pfefferte ihm ein Geschoss aus Bann-Magie über den Pelz, das schmerzhaft von Rupperts Schulter abprallte wie ein Stein aus einer Steinschleuder.

Der Treffer zwiebelte mörderisch, selbst durch die Anzugjacke hindurch, was den Banker mit einem Protestlaut wegzucken ließ. „Aua, Mann, spinnst du!? Das tut weh! Was ist denn los mit dir!?“, empörte er sich und ging schnell vor dem nächsten Geschoss in Deckung, das Victors Antwort darstellen sollte. So wie es hinter ihm in die Rücklehne des Sessels einschlug, hätte es ihm wahrscheinlich die Rippen zertrümmert. An der Trefferfläche blieb ein kleiner Riss zurück. „Schon gut, krieg dich ein!“

„Wird´s dann jetzt bald?“

Mit einem Brummen und einem Kopfschütteln nahm Ruppert wieder eine gerade Sitzhaltung ein. Ihm blieb scheinbar nichts anderes übrig, wenn er nicht von den Bann-Projektilen erschossen werden wollte. Er hätte gern mal gewusst, was Victors Problem war. Aber diese Frage würde er wohl nicht klären können, bevor Victors Wünschen nicht vollumfänglich entsprochen war.
 

Um Visionen einfangen zu können, musste Ruppert mit seinem Bewusstsein auf eine andere Ebene wechseln. Sein Verstand verließ die stoffliche Welt und entschwebte gewollt in die Sphären der Astralebene. Es war ungewohnt, alleine hier rumzugeistern, ohne Urnue an seiner Seite. Der Tiergeist konnte ebenfalls auf die Astralebene wechseln, ihn begleiten und ihn hier vor Gefahren schützen. Denn ohne stofflichen Körper war Ruppert ziemlich wehrlos. Er konnte nichtmal schlagen oder treten, er war nur noch ein loses Bewusstsein ohne fleischliche Hülle, eine Astralprojektion.

Die Astralebene war ein seltsames Ding. Es war wie eine Parallelwelt. Jeder, der auf diese Ebene schauen oder hier hin wechseln konnte, nahm sie ein bisschen anders wahr. Für Ruppert herrschte hier immer ein rauer, grünstichiger Sandsturm, der die Sonne abdunkelte, ihn nur wenige Meter weit sehen ließ und wild an seiner Energie zerrte. Ein Zeichen dafür, daß er hier eigentlich nicht hin gehörte und sich hier auch nicht unnötig lange aufhalten sollte. Aber dafür konnte er sich hier in dieser Astralwelt wesentlich schneller bewegen. In wenigen Minuten nach Japan switchen? Kein Problem.

Manche Dinge existierten in beiden Welten, sowohl auf der irdischen als auch der astralen Ebene. Als Ruppert sich umsah, entdeckte er zum Beispiel Victor, der als leuchtender Schemen vor ihm in der Luft hing. Der saß immer noch auf dem Sofa, aber das Sofa existierte auf der astralen Ebene nicht, nur auf der irdischen. Rupperts gesamtes Haus existierte hier nicht. Dafür standen um ihn herum ein paar wenige, andere Gebäude, die im irdischen London nicht dort waren. Sie sahen auf undefinierbare Weise anders aus als die Häuser, die Ruppert aus seiner Welt kannte. Sie hatten auch senkrechte Wände und Türen und Fenster und Dächer, aber trotzdem war irgendwas an ihnen anders. Der Bankenbesitzer hatte sich allerdings noch nie die Zeit genommen, sich diese Bauten auf der astralen Ebene genauer anzusehen, um den Unterschied genau zu ergründen. Auf jeden Fall sahen sie nach menschlichem Verständnis nicht bewohnt aus. Auch die sehr spärliche Vegetation hier war übrigens völlig anders als man es von der stofflichen Ebene gewohnt war.

Zögerlich ging Ruppert los, nachdem er sich vergewissert hatte, daß er mit seinem stofflichen Körper über die übliche Energiebahn verbunden war. Ohne die würde er seinen stofflichen Körper nämlich später nicht mehr wiederfinden und hier verloren gehen. Einmal war ihm das schon passiert, ganz am Anfang. Da hatte sein damaliger Begleiter ihn förmlich einfangen und zurückholen müssen.

Er schwebte einfach quer feld ein, da keine Hausmauern ihn daran gehindert hätten. Vorbei an seiner Haushälterin, die scheinbar gerade in einem Blumenbeet Unkraut zupfte, und die er hier auf der Astralebene ebenfalls nur als leuchtende Sillhouette wahrnahm. Wo sein Haus gestanden hatte, befanden sich jetzt etliche Schilder aus Bann-Magie, die sein Heim gegen alle erdenklichen, magischen Gewalten schützten und auf der astralen Ebene sichtbar wurden. Sein Haus war aus magischer Sicht ein echter Schutzbunker, so wie einige andere wichtige Gebäude in London auch. Banken und große, wissenschaftliche Bibliotheken waren auch immer auf astraler Ebene geschützt. Nach wenigen Metern hatte er sein Hausmädchen im Sandsturm zurückgelassen und schwebte weiter. Er sollte also Victors Berg finden. Wie konnte er das am besten anstellen? Hatte Victor irgendwelche magischen Gegenstände in seinem Besitz, nach denen man suchen könnte? Wenn er beispielsweise ein bestimmtes Amulett besaß, das auch auf der Astralebene sichtbare Energie abstrahlte, und das er in seinem Berg Predanje liegen gelassen hatte, dann war dort, wo das Amulett war, auch Victors Berg. Man musste nur das Amulett finden.

Ruppert konnte nicht mehr lange überlegen, welche hilfreichen Gegenstände sich denn mal in Victors Hausrat befinden könnten, denn er sah einen ganzen Schwarm Harpyien auf sich zukommen. Diese Viecher verbargen sich gern auf der astralen Ebene, auch wenn sie sehr wohl auf die stoffliche wechseln konnten, und stürzten sich hier auf alles, was sich bewegte, wie Geier auf ein Stück Aas. Wenn man den Anführer des Schwarms abwehrte, hatte man meist gute Chancen, auch den Rest der räudigen Raubvögel loszuwerden. Der Anführer war in der Regel die größte und am gierigsten aussehende Harpyie in dem ganzen Pulk. Aber da Ruppert sich auf der astralen Ebene kein bisschen wehren konnte, trat er panisch den Rückzug zu seinem stofflichen Körper an, um sich auf die irdische Ebene zu retten, bevor die Dinger ihn erwischten.
 

Mit einem Kreischen erwachte Ruppert wieder aus seiner hellseherischen Vision. Er war schweißgebadet und schnappte nach Luft. Himmel, war das knapp gewesen.

Victor, der sich die Zeit damit vertrieben hatte, einen von Rupperts Schränken zu durchsuchen, schaute herüber. „Was ist? Hast du meinen Berg schon gefunden?“, wollte er herzlos wissen, ohne die geringste Sorge oder Mitgefühl zu zeigen.

Ruppert schüttelte den Kopf und bemühte sich, wieder zu Atem zu kommen. „Ich bin auf der anderen Ebene von Harpyien angegriffen worden.“

„Tja. Aber du bist ja offensichtlich entkommen. Dann such weiter“, trug der Russe ihm stoisch auf.

„Willst du mich umbringen?“

„Du sollst suchen gehen, hab ich gesagt.“

„Ist das was Persönliches, was du hier gerade abziehst?“

Na schön. Wenn der Banker nicht hören wollte, musste er eben größere Geschütze auffahren – im wahrsten Sinne des Wortes. Victor griff sich mit einem lustlosen Seufzen den gesuchten Gegenstand aus Rupperts Kommode und kam damit wieder herüber.

Ruppert wurde bleich und flüsterte ein fassungsloses 'Scheiße', als er seinen Revolver in Victors Händen gewahrte. Der Russe drückte beim Herüberkommen wie beiläufig die 6-Kammer-Trommel heraus, um zu sehen, ob Munition drin war, und rastete sie dann wieder in die Fassung ein. Ruppert musste nicht auf die Reaktion seines Besuchers warten. Er wusste selber, daß das Ding geladen war.

Victor setzte sich zurück auf das Sofa und legte die Waffe demonstrativ gut sichtbar vor sich auf den Couch-Tisch. Da er beim Gestaltwandeln keine eigene mitnehmen konnte, hatte er sich die von Ruppert schnappen müssen, die ihren Zweck aber genauso gut erfüllte. „Such meinen Berg Predanje. Nochmal werde ich das nicht sagen.“ Die Tatsache, daß er nicht aggressiv oder auch nur laut wurde, sondern ganz die Ruhe selbst blieb, machte ihn um so einschüchternder.

June, Rupperts Hausmädchen, kam fröhlich aus dem Garten herein, lächelte noch etwas breiter, als sie den Gast von früheren Besuchen wiedererkannte, und grüßte. Das Lächeln schwand ihr aber wieder, als sie die seltsame Stimmung im Raum bemerkte. Hier war gerade spürbar irgendwas passiert.

„Was ist los mit dir?“

„Okay, hier ist der Plan“, hob Danny an. „Josh, du gehst mit deinem Genius erstmal außen um die Lagerhalle herum, und vergewisserst dich, daß wir hier nicht in eine Falle laufen. Mit seinen Röntgenaugen sollte dein Genius versteckte Bannmarken, Angreifer und so ein Zeug leichter finden als wir. Er hält dann hier draußen Wache. Du kommst mit Nyu und mir rein, wir gehen in die Halle und nehmen den Bannkreis da drin unter die Lupe, in dem Urnue liegt.“

„Ich soll mich von meinem Schutzgeist trennen? In so einer Situation? Spinnst du?“, empörte sich Josh.

„Nyu ist doch bei uns.“

„Die kann doch gar nichts!“, ereiferte sich sein älterer Bruder, ohne noch Rücksicht auf irgendwelches Taktgefühl zu nehmen. Er wollte nicht auf eine 17-jährige Genia vertrauen, die erst seit 2 Tagen da war und die er überhaupt nicht kannte.

„Irgendjemand MUSS aber Wache halten. Und ich brauch dich da drin. Du hast wenigstens ein bisschen Ahnung von Bannkreisen“, gab Danny flehend zurück.

„Und du glaubst, wogegen selbst Urnue machtlos war, dagegen kann ich was ausrichten, ja? Der hat wesentlich mehr auf dem Kasten als ich!“

„Wir wissen ja gar nicht, wie Urnue da reingekommen ist. Vielleicht hatte er einfach keine Zeit, noch irgendwas dagegen zu tun.“

„Und ich bin kein Bann-Magier!“, diskutierte Josh aufgekratzt weiter.

„Nyu, vielleicht kannst du Urnue da rausholen, ohne selbst in den Bannkreis rein zu müssen. Deine Distanzüberbrückung könnte uns da eine gewaltige Hilfe sein. Das ist Windmagie, die kommt meistens ganz gut durch Bannkreise durch.“

Nyu nickte nur und sah unbehaglich auf das Eingangstor der Lagerhalle. Es war gruselig, daß hier alles so still war. Aus der Halle drang kein Laut und auch das Grundstück war totenstill. Nein, nicht tot, korrigiere Nyu in Gedanken. Eher lauernd. Das seit Jahren wildwuchernde Gras um sie herum war hoch genug, daß ein Schäferhund problemlos darin verschwunden wäre, ohne noch gesehen zu werden. Da konnte sich alles mögliche drin verstecken, von Fallen bis hin zu lebenden Angreifern. Nur ein Streifen plattgetretene Wiese vom Grundstückszaun zum Eingangstor der Halle zeugten wie eine Drohung davon, daß sie hier bestimmt nicht allein waren.

„Das ist ein uralter Bau. In den Wänden ist Asbest und Blei verarbeitet. Da helfen meine Röntgenaugen auch nicht weiter“, warf der Steinbeißer ein und entrang Danny damit einen frustrierten Fluch. „Soll ich trotzdem hier draußen Wache schieben?“

„Ach was, als ob du ordentlich Wache schieben würdest! Du wirst doch eh nur auf dein Handy glotzen. Komm mit rein“, meinte Josh harsch, um zu überspielen, wie froh er war, sich doch nicht von seinem Genius trennen zu müssen.

Danny seufzte. „Na schön, lasst uns reingehen“, murrte er resignierend.
 

„Geh nach den Kisten da hinten sehen!“, trug Josh seinem Genius leise auf, als sie die weitläufige Halle auf Zehenspitzen betraten und zu Urnue hinüberschlichen. Das riesige Gebäude wirkte von innen so groß wie ein Flugzeug-Hangar und ließ freie Schussbahn von allen Seiten. Danny kam sich vor, als würde er aus jeder Richtung genauestens beobachtet werden. Urnue lag immer noch unverändert und ohnmächtig auf dem Boden. Der Bannkreis um ihn herum war mit Wachskreide gezeichnet und so groß, daß man Urnue von keiner Stelle aus erreichen konnte, ohne selbst mindestens einen Schritt weit hineinzutreten.

Josh und Danny knieten sich neben den auffallend verschnörkelten Kreidekreis und musterten die darin verarbeiteten Zeichen. Josh stöhnte.

„Was sagt dir deine hochgepriesene Intuition über das Ding?“, wollte Danny wissen.

„Das kann ich gar nicht in Worte fassen, Mann“, gab sein Bruder zurück und ließ seinen Blick weiter über die Windungen und Verzierungen gleiten. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie viele Faktoren dieser Kreis beinhaltet. Das hier sieht mir nach einem Fallen-Element aus.“ Er deutete auf ein Symbol. Er kannte es nur im Zusammenhang mit Bannkreisen, die ihre Opfer hinein, aber nicht wieder hinaus ließen. Ob aber genau dieses konkrete Zeichen den Fallen-Effekt bescherte, oder ob es nur ein begleitendes Hilfszeichen war, wusste er nicht. „Das dort könnte vielleicht ein Illusions-Element sein. Möglicherweise gaukelt uns das Ding nur vor, daß Urnue da drin liegt. Um ehrlich zu sein, bin ich mir nichtmal sicher, in welcher Sprache dieser Bannkreis aufgezeichnet wurde. Und ich verstehe nicht, warum das gesamte blöde Teil dermaßen verziert und verschnörkelt ist. Das hat sicher auch eine Bedeutung.“

„Ich dachte, mit deiner Intuition kannst du immer sofort sagen, was es mit einer Sache auf sich hat.“

„Moment mal, ich bin noch in der Ausbildung!“ Natürlich hatte er ein wenig Ahnung von Bannkreisen. Theoretische Kenntnisse in Form von Allgemeinwissen. Aber dieses Werk hier war astronomisch. Das war, als würde man einen Grundschüler mit Integral-Rechnung bombardieren.

„Entschuldige ...“

„Also rein kann man. Der Bannkreis ist nicht dazu gedacht, uns auszusperren“, warf Nyu von der Seite ein und hielt demonstrativ ihre Hand über die geschlängelten und symboldurchwobenen Linien.

„Mein Gott, sei vorsichtig!“, krächzte Danny. „Wenn das Ding wirklich eine Fallenfunktion hat, wird es dich reinziehen, sobald du mehr als die Hälfte ...“ Er quietschte panisch auf und schlug sich beide Hände vor den Mund, als Nyu ohne zu zögern ihren gesamten Arm hineinsteckte. Und ihn einen Moment später wieder herauszog. Sie wurde nicht hinein gezogen. Danny wollte gerade erleichtert aufatmen.

„Nö, keine Falle. Also wenn der Bannkreis mich nicht einsperrt, werde ich Urnue da jetzt rausholen!“, beschloss sie.

„Nyu!“

Aber da war sie bereits komplett eingetreten.

Danny griff stöhnend nach den Risswunden auf seiner Brust. Sie taten so verdammt weh. Er sackte vor Schmerzen haltlos zur Seite und rollte sich nach Luft schnappend am Boden zusammen.

Nyu fühlte sich schlagartig seltsam, als sie den Kreis betrat, irgendwie müde und desorientiert. Sie bemerkte noch Dannys missliche Lage und wollte wieder aus dem Bannkreis herauskommen, um ihm zu helfen. Aber sie schaffte es nicht mehr. Ihr fielen die Augen zu, ohne daß sie noch dagegen ankämpfen konnte. Sie kippte ohnmächtig um und schlug der Länge nach neben Urnue hin, kaum zwei Sekunden nachdem sie zu ihm eingetreten war.

Josh sah fragend von den Symbolen hoch, die er konzentriert studiert hatte. „Verdammt, Danny, was ist los mit dir?“, wollte er wissen.

Sein jüngerer Bruder brachte vor Schmerzen nur keuchende Laute hervor und krümmte sich zu einem Ball zusammen. Ihm traten unverkennbare Schweißtropfen auf die Stirn und er sah plötzlich ungesund grün aus.

„Nyu!“, rief Josh, aber die fand er bewusstlos im Inneren des Bannkreises. Die konnte ihm auch nicht mehr helfen. Verzweifelt sah er sich um. Wo war eigentlich sein Genius Intimus geblieben? Wie lange konnte der Dicke denn brauchen, um nachzusehen, ob hinter den paar aufgestapelten Kisten irgendwelche Entführer oder andere bewaffnete Gentlemen saßen? Aber der Steinbeißer war spurlos verschwunden. Josh fragte sich, was zur Hölle denn hier los war. Wie konnte er innerhalb von Sekunden alleine dastehen? Seine magisch bedingte Intuition flutete ihn mit einer ganzen Bandbreite an Informationen. Etwa, daß Danny jetzt Kälte brauchen konnte. Oder, daß Urnue und Nyu im Bannkreis von ihnen allen am wenigsten in Gefahr waren. Oder, daß sie besser sehen sollten, daß sie schnell hier weg kamen. Oder, nein, eigentlich, daß es sowieso längst zu spät war. Aber nichts davon brachte Josh gerade weiter. Hilflos fuhr er sich mit einer Hand durch die rehbraunen Haare und suchte mit seinem Blick die Umgebung ab, ob hier nicht irgendwas rumlag, was ihm hätte helfen können. Mit der anderen Hand klopfte er gleichzeitig seine Jackentaschen ab. Er ärgerte sich, daß er nichts mitgenommen hatte, was irgendwie an eine Waffe grenzte. Ein Küchenmesser, oder sowas. Es wäre so einfach gewesen. Sie waren immerhin mit dem Anliegen losgezogen, Urnue aus einer mutmaßlichen Geiselhaft zu befreien, zur Not mit Gewalt. Er wusste, warum er keine entsprechenden Vorbereitungen getroffen hatte: weil er nicht damit gerechnet hatte, Urnue tatsächlich irgendwo zu finden. Dabei hätte er so viel klüger sein müssen. Seine Intuition hatte ihn in der Vergangenheit schon in die unmöglichsten Situationen gebracht, die er sich vorher im Traum nicht ausgemalt hätte.

Josh versuchte, über das silberne Band seinen Schutzgeist zu finden. Auf diese mentale Verbindung tief in seinem Inneren hatte er schon seit Ewigkeiten nicht mehr gehört, weil er darüber sowieso nichts anderes mitbekam als die aktuellen Erfolgsquoten des Dicken beim Zocken seiner Computerspiele. Für etwas anderes schlug sein Herz nicht. Der Genius war mit seiner Aufmerksamkeit komplett in dieser virtuellen Onlinewelt gefangen. Jede freie Minute, Tag und Nacht. Er schien nichtmal wirklich zu schlafen. Er saß am Computer, wenn Josh früh aufstand, und er saß am Computer, wenn Josh abends wieder ins Bett ging. Mahlzeiten nahm er in seinem Zimmer ein, mit einer Hand am Controler. Tja, und so sah er rein optisch auch aus. Jetzt allerdings spürte Josh über die mentale Verbindung zu seinem Schutzgeist eine gänzlich ungewohnte Stimmung. Hilflosigkeit und Frust.

„Hast du´s jemals versucht?“

Das hohe, nasale Kichern einer Frau erklang hinter den Kisten. Josh lief ein Schauer über den Rücken. Er wusste, wer das war, noch bevor er sie zu Gesicht bekam. Hinter der Mauer aus Holzcontainern traten zwei Gestalten in grellen Neonfarben hervor, mit denen er schon Bekanntschaft gemacht hatte. „Bitte nicht die Zwillinge“, hauchte Josh überflüssigerweise. Er kannte die beiden Weiber. Diese zwei, eine schlanke, betont sexy gebaute Frau und eine eher stämmige, ihre Genia Intima, waren zwar in keinster Weise verwandt, trugen aber stets ein dermaßen identisches Outfit, daß man sie unweigerlich für Geschwister halten musste. Die zwei waren ein nicht ganz ungefährliches Gangster-Duo. Ihr Vater Ruppert hatte mal mit den beiden zu schaffen gehabt, ohne daß Josh sagen konnte, worum es damals genau gegangen war. Er hielt seine Söhne aus manchen Dingen rigeros heraus, worüber sie auch nicht böse waren.

„Ist das langweilig mit euch, hey“, maulte Ybi, die Magierin, und stämmte die Hände in die Hüften. „Die Genia springt freiwillig in eine Falle ...“, meinte sie mit Deut auf Nyu im Bannkreis, „der Tölpel da geht von selber K.O.“, ihr Fingerzeig schwänkte weiter Richtung Danny, „der hier war auch keine große Nummer ...“, zählte sie weiter auf und zerrte dabei Josh´s gefesselten und geknebelten Genius Intimus hinter den Kisten hervor.

„Ja, Mann, so macht das einfach keinen Spaß!“, stimmte Vy, der Schutzgeist an ihrer Seite, zu und zog ein wesentlich weniger amüsiertes Gesicht als sie.

„Ich hatte ja gehofft, ihr zwei wärt endlich mal zur Vernunft gekommen“, meinte Josh und sah sich hektisch um. Er war ausgeliefert. Seine letzte Chance bestand darin, auf der Stelle diesen Bannkreis aufzulösen, damit Urnue und Nyu wieder aufwachten. „Verstoßt ihr mit solchen Entführungen hier nicht gegen den Codex Geniorum?“

„Pfeif auf den Codex! Wir haben schon ganz andere Gesetze gebrochen als nur den Codex“, hielt Vy dagegen.

„Was zur Hölle wollt ihr denn von uns?“, fragte Josh nach, immer noch fieberhaft auf den Bannkreis starrend, in der Hoffnung irgendeinen Knackpunkt zu finden, an dem er den Bann brechen konnte. Aber er war eben kein Bann-Magier. Wie wahnsinnig war es eigentlich von ihrem Vater gewesen, sie alleine loszuschicken? Und wie wahnsinnig war es erst von ihnen selbst gewesen, so eine Nummer hier auch wirklich alleine in Angriff zu nehmen? Sie hätten einfach zur Polizei gehen sollen! Aber Nyus Drängen hatte sie alle miteinander weich geklopft. Zugegeben, Urnue war ein charismatisches, peppiges und talentiertes Kerlchen. Er verstand, daß 17-jährige Mädchen auf ihn flogen. Aber das war kein Grund für so ein Selbstmordkommando hier.

„Von euch? Gar nichts. Wir wollen nur Urnue. ... Nein, eigentlich wollen wir nichtmal Urnue. Unser Auftrag ist genau genommen schon erfüllt, ihr könnt ihn gern wiederhaben, sofern ihr den Bannkreis auflösen könnt.“

„Vater!“, keuchte Danny. Er lag noch immer zusammengekrümmt am Boden, hatte sich aber inzwischen so weit gefangen, daß er seine Umgebung wieder wahrnahm. „Sie wollen Vater. Es ist gerade kein einziger Genius im Haus, um ihn zu schützen“, würgte er hervor, in dem Wissen, daß ihr Dienstmädchen June um diese Zeit immer voller Euphorie im Garten in ihren geliebten Blumenbeeten herum werkelte.

Ybi und Vy lachten und spazierten los. „Richtig. Die zwei sind ja doch nicht so strohdoof wie ich dachte“, kicherte Ybi. Sie schubste den Steinbeißer zu den anderen in den Bannkreis, wo er auf der Stelle ohnmächtig in sich zusammensank, als habe er ein Nudelholz über den Schädel bekommen. Danny und Josh zogen verängstigt die Köpfe ein, als die Zwillinge direkt auf sie zu kamen, dann aber haarscharf an ihnen vorbeistiefelten und ungerührt zum Ausgang schlenderten. „Einen schönen Tag noch, die Herren. Wir haben einen Zeitplan einzuhalten.“
 

„Wir müssen nach Hause, Vater helfen“, keuchte Danny, versuchte sich hoch zu stemmen, brach aber sofort wieder zusammen und blieb stöhnend am Boden liegen. Er konnte sich nur bäuchlings auf die Ellenbogen stützen, weiter kam er nicht.

„Mach mal halblang, Kumpel, du kannst dir ja nichtmal selber helfen. Was ist überhaupt los, sag mal?“, gab Josh kalt zurück, drehte seinen Bruder radikal auf den Rücken und zog ihm das Hemd hoch. Der Verband darunter war locker geworden und verrutscht, so daß die Wunden Josh in voller Pracht anleuchteten. „Schöne Schande. Das ist böse entzündet. Ein Wunder, daß das keine Blutvergiftung geworden ist! Woher hast du die? Waren die gestern schon da? ... Toll, und Fieber hast du auch noch“, fügte er nach einem prüfenden Griff auf Dannys Stirn hinzu.

Danny sah sich suchend und um Atem ringend um. „Als erstes müssen wir unsere Genii aus diesem Bannkreis rausholen“, meinte er, die Frage seines Bruders demonstrativ ignorierend.

„Der einzige, der wirklich Ahnung von Bannkreisen hat, ist Urnue. Und wie schon gesagt, ich beherrsche keine Bannmagie.“

„Aber ich!“

„Ja, aber du hast noch viel weniger Ahnung davon, selbst wenn du deine magische Fähigkeit jemals trainiert und angewendet hättest.“ Da Danny seinen Genius Intimus ja nie gefunden hatte, hatte er seine Fähigkeit immer möglichst unterdrückt. Ohne einen Schutzgeist war es einfach zu gefährlich, Magie zu wirken. „Und man kann auch nicht einfach lustig an so einem Bannkreis dran rumändern, wenn man nicht weiß, wie er funktioniert. Damit könntest du seine Eigenschaften und seine Wirkung auf unvorhersehbare Weise verändern“, belehrte Josh ihn.

Sein jüngerer Bruder zog ein unglückliches Gesicht und strich sich mit den Fingern den rehbraunen Pony aus den Augen. „Urnue ist ein ziemlich mächtiger Genius. Ich wüsste gern mal, wie die ihn in diesen Kreis reingekriegt haben.“

„Ich wüsste lieber, wie sie in unseren Hochsicherheitstrakt von einem Wohnhaus reingekommen sind, um Urnue rauszuholen und unbemerkt zu entführen“, hielt Josh dagegen. „Aber dieses Gerätsel hilft uns gerade nicht weiter. Frag dich lieber, wie wir ihn jetzt wieder da aus dem Bannkreis raus kriegen.“

Danny überlegte einen Moment. „Ich robbe auf dem Bauch in den Kreis rein, so daß meine Füße noch rausschauen. Dann schnappe ich mir den erstbesten Genius, den ich zu fassen kriege, und du ziehst uns wieder raus.“

„Meinst du nicht, das wäre ein bisschen zu einfach? Das kann nie im Leben klappen. Ich will nicht, daß du auch noch ohnmächtig in diesem Bannkreis landest und ich ganz alleine hier draußen sitze.“

„Dann mach doch 'nen besseren Vorschlag“, hauchte Danny müde und schloss die Augen. Die Schmerzen in seiner Brust ließen zwar langsam wieder nach, der Anfall schien vorüber zu sein, aber er fühlte sich echt fertig.

„Mach ich! Wie wäre es, wenn du mal deine Fähigkeit einsetzt?“

Danny sah fragend auf. Seine magische Begabung war es, die magische Begabung anderer Wesen zu unterbinden. Er konnte, jedenfalls manchmal, verhindern, daß andere einen Zauber wirkten oder ihre Erbfähigkeiten einsetzten. Das glückte ihm nur nicht sonderlich gut, weil seine Begabung aus bekannten Gründen nicht gut trainiert war. „Das kann ich nur bei lebenden Wesen, nicht bei Bannkreisen“, meinte er zögerlich.

„Hast du´s jemals versucht?“

„Ähm ... nein?“

„Dann wird es Zeit“, gebot Josh streng und deutete einladend auf den Kreidekreis.
 

Seufzend raffte sich Danny endlich in eine sitzende Position hoch und konzentrierte sich auf den Bannkreis. Und es geschah ... nichts! Nach endlosen Sekunden des Ringens brach Danny enttäuscht ab und seufzte. „Ich sag doch ...“

„Mach weiter! Nyu hat gezuckt! Der Bann ist ins Schwanken geraten, konzentrier dich stärker!“, verlangte sein Bruder.

„Noch stärker? Mir ist gerade schon fast der Kopf geplatzt“, jammerte Danny, schloss aber gehorsam wieder die Augen und atmete tief durch. Mit reinem Willen und roher Gewalt würde er das nicht schaffen, soviel war ihm jetzt klar. Er musste seine inneren Kräfte freisetzen. Er lauschte in seinen Körper hinein, suchte sein magisches Potential, das wie auf Bahnen durch seinen Körper wanderte, und versuchte, es zu sammeln. Es floss in seiner Körpermitte zusammen wie in einem Becken, das Wasserrinnsale auffing. Als er genug davon gesammelt hatte, lenkte er die Energie kontrolliert durch seinen ganzen Körper, schließlich sogar hinaus. Es war ein unbeschreibliches Gefühl von Ruhe und innerer Ausgeglichenheit, das mit dieser Energie durch seinen gesamten Körper gespült wurde. Vorsichtig lenkte er seine Konzentration nach außen. Behutsam, um seine Magie nicht wieder zusammenbrechen zu lassen. Jetzt fiel es ihm leichter, die Strömungen und Blockaden wahrzunehmen, die von dem Bannkreis ausgingen.

Vor seinem inneren Auge konnte er den Bannkreis fast sehen. Und wischte ihn mit seiner Bannmagie einfach weg. Er hörte die drei Genii im Inneren des Bannkreises müde seufzen, als wären sie kurz aufgewacht, aber der Bannkreis kehrte auf der Stelle zurück, und schon war wieder Ruhe. „Ja, gut so“, hörte er im Unterbewusstsein Josh raunen. Vor seinem inneren Auge sah er die drei Genii im Kreis liegen. Oder zumindest drei leuchtende Gebilde, die wage die Form von Menschen hatten. Ihre Erscheinung flackerte und sie wechselten ein paar Mal schnell zwischen ihren menschlichen und tierischen Gestalten hin und her, bis der Bannkreis sich wieder völlig aufgebaut hatte. Stimmt, seine Fähigkeit, Magie zu unterbinden, nahm den Genii auch die Möglichkeit, ihre menschliche Tarngestalt aufrecht zu erhalten.

Obwohl sich ein immer stärker werdender Kopfschmerz durch sein Gehirn grub und ihm die Konzentration raubte, lenkte Danny seine magische Kraft abermals in den Bannkreis hinein und wischte ihn erneut weg. Nachdrücklicher und grober diesmal. Die Kopfschmerzen explodierten förmlich und ließen Danny fast aufschreien. Wieder regten sich die Genii im Inneren.

„U., komm sofort her!“, bellte Josh neben ihm im Befehlston.

Eine der leuchtenden, in diesem Moment tierischen Gestalten ruckte hoch und machte einen wieseligen Satz nach vorn. Danny verlor den Kontakt zum Bannkreis und dem Bild vor seinem inneren Auge. Dann hatte sich der Bannkreis schon wieder aufgebaut. Das war das Letzte, was er noch sah.

Danny brach seine Bemühungen ab und ließ sich rücklings zu Boden fallen. „Zwecklos. Ich schaff es nicht. Der verfluchte Bannkreis regeneriert sich ständig wieder. Ich finde seine Quelle nicht, um ihn zu deaktivieren“, jappste er und presste sich die zittrigen Hände vor das Gesicht. Er hätte vor Müdigkeit und Kraftlosigkeit einfach nur losheulen wollen. Ihm war speiübel, schwindelig und er fühlte sich entsetzlich ausgekühlt. Er hatte seine untrainierte Begabung eindeutig überstrapaziert, selbst wenn er nicht verwundet gewesen wäre. Die hämmernden Kopfschmerzen blieben auch jetzt noch präsent, wo Danny seine Gabe gar nicht mehr einsetzte. Zusätzlich zu den elenden Wundschmerzen auf seiner Brust. Er war einfach ein Wrack. Was für eine blöde, anstrengende Begabung! Im Kampf oder unter Stress würde ihm das niemals was nützen, weil er gar nicht die nötige Konzentration dafür aufbringen würde.

„Das war gute Arbeit, Brüderchen! Spitze!“, warf Josh im Jubelton von der Seite ein.

Danny sah fragend zur Seite. Sein Bruder lag neben ihm am Boden und rubbelte einem riesigen Wiesel über den Rücken, welches wie eine tote Pelzdecke auf ihm lag. Die Jungen hatten Urnue selten in seiner wahren Gestalt gesehen. Seine Wiesel-Form war mit Schwanz fast 3 Meter lang und auf die Hinterbeine gestellt mannshoch. Sein sandgelbes Fell lud einfach zum Knuddeln ein, weil es so weich war, auch wenn er das nicht mochte. Danny nutzte die Chance, griff herüber und fuhr ebenfalls einmal mit der Hand durch den Pelz des wehrlosen, betäubten Wiesels-Geistes. Auch um sich zu vergewissern, daß Urnue wirklich da war, und nicht nur Einbildung.

„Er hat mich bei seinem Hechtsprung aus dem Bannkreis einfach umgerannt und unter sich begraben“, kommentierte Josh amüsiert. „Aber zumindest haben wir ihn wieder. Da hat es sich doch wenigstens einmal gelohnt, daß er immer und in jeder Situation auf der Stelle gehorcht, ohne nachzudenken. Ich mag Vaters Methoden zwar nicht, aber diesmal scheint es ihm das Leben gerettet zu haben“, fügte er nachdenklich an. „Eine Sekunde später und der Bannkreis hätte ihn wieder in die Ohnmacht geschickt.“ Er schob den Genius seines Vaters vorsichtig von sich herunter und setzte sich wieder auf, während dieser langsam zu sich kam.

„Nyu ist immer noch da drin“, gab Danny etwas traurig zurück.

„Ja, der Dicke auch. Aber hey, dank dir haben wir immerhin U. wieder.“

„Ich will kein Geld.“

Victor schaute auf eine Uhr an der Wand und musste feststellen, daß Ybi und Vy sich tatsächlich tadellos an die Absprachen hielten. 11 Uhr sollten sie hier aufschlagen. Jetzt war es nur drei Minuten über der Zeit, als es an der Tür klingelte. Er ging persönlich los, um die Tür zu öffnen und die beiden in Rupperts Haus zu lassen, wodurch er dem Hellseher mal ein paar Sekunden Pause gönnte.

„Hi, da sind wir“, grüßte Vy gut gelaunt.

„Und, alles ruhig?“, wollte Victor sofort wissen.

Ybi nickte. „Du hattest Recht. Die Jungs haben Urnue tatsächlich aufgespürt, gerade als wir gehen wollten. Sie sind jetzt im Lagerhaus.“

„Probleme?“, hakte der Russe rückversichernd nach.

„Nein. Wir haben sie einfach dort gelassen und gut. Die sind mit deinem Bannkreis noch eine Weile gut beschäftigt. Die Schutzgeister der beiden sind jetzt auch in dem Kreis, also gehen die Jungs garantiert nirgendwo hin.“

Victor zog ein zufriedenes Gesicht und winkte den beiden, ihm ins Wohnzimmer zu folgen, wo Ruppert wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa hing und sein Hausmädchen June immer noch artig in der Ecke stand, ohne sich zu rühren.

Ruppert merkte auf, als er die Zwillinge erkannte. Hatte Victor nicht gesagt, die wären bei seinen Söhnen?

„Hohoho, fuck!“, kommentierte Ybi lachend, als sie das überaus zerknitterte Gesicht des Bankers erblickte. „Du hast den alten Edelig ja gründlich fertig gemacht, so wie der aussieht. Was hast du angestellt?“, wollte sie von Victor wissen.

„Was habt ihr mit Danny und Josh gemacht? Wo sind sie!?“, blaffte Ruppert hysterisch dazwischen, bevor Victor die Frage beantworten konnte.

„Du hängst wohl an deinen Söhnen?“, fragte Victor gehässig zurück und ließ sich mit kerzengerade aufgerichtetem Rücken auf einen Sessel sinken. Diese betont hoheitliche Körperhaltung, die er schon die ganze Zeit zeigte, konnte einen wahnsinnig machen, weil sie so überlegen wirkte.

„Ja, verdammt! Wenn ihr ihnen was antut, dann ...!“

„Dann was?“, wollte der Russe unbeeindruckt wissen.

Ruppert betitelte ihn nur mit einem rüden Schimpfwort, als er darauf keine Antwort fand. Er war ja in der Tat machtlos. Das musste Victor ihn nicht extra spüren lassen, damit er das einsah.

Der ehemalige Vize-Boss lachte nur und gab Ybi und Vy einen Wink. „Das Haus gehört euch. Tobt euch aus und nehmt mit, was ihr brauchen könnt“, lud er die beiden ein.

„Au ja, super. Dann fang ich mal mit dem Whisky da an!“, entschied die Genia und ging zum Schreibtisch, um sich beherzt die Bleikristallflasche zu greifen, die Ruppert noch dort stehen hatte.

„Nein! He! Das ist ein 1973´er Jahrgang!“, jaulte Ruppert auf und sprang vom Sofa hoch. Er wurde von einem Bannzauber getroffen, klatschte zu Boden und blieb gefesselt liegen, weil sich der Bann als rotes Band um seinen ganzen Körper wickelte und ihn bewegungsunfähig verschnürte wie ein Paket. „Victor! Lass mich los!“, verlangte der Banker sauer und zappelte erfolglos auf dem Boden herum wie ein Fisch an Land. In seiner Wut warf er sogar die Gewohnheit über Bord, ihn 'Dragomir' zu nennen.

Victor lachte erneut und lehnte sich entspannt in seinem Sessel zurück.

Ruppert musste tatenlos zusehen, wie die Zwillinge sein Wohnzimmer auf den Kopf stellten, Geld, Wertgegenstände und Unterlagen einsackten und den teuren Alkohol leerten. Als es Ybi im Wohnzimmer zu langweilig wurde, schwärmte sie aus und nahm die Treppe hinauf in die oberen Etagen.

„Hast du hier irgendwo mal 'nen Beutel oder eine Tüte, wo wir unsere ganzen, neuen Sachen reinpacken können?“, wollte Vy grinsend wissen und hielt ein Bündel Geldscheine hoch, das sie aus der Kasse vom Schreibtisch geklaubt hatte.

Der Banker knirschte mit den Zähnen.

„Antworte, Ruppert!“, trug Victor ihm selbstgefällig auf.

Immer noch bäuchlings auf dem Fußboden liegend machte der Hellseher eine genervte Kopfbewegung Richtung Küche. Dort würde sie Tragetaschen finden. Dann bekam er riesige Augen, als Ybi aus der oberen Etage mit ein paar Büchern zurück kam und diese auf dem Schreibtisch bei ihren anderen Errungenschaften parkte. „Eh, das Buch ist von Hand abgeschrieben! Das existiert nur dreimal auf der Welt! Das ist wertvoll! Stell das sofort zurück!“ Er begann zu zappeln und sich zu winden, kam aus Victors magischer Fessel aber immer noch nicht frei.

„Dann hol es dir doch“, schlug Victor vor.

ty mudak!“ [Du bist ein Arschloch!], fluchte Ruppert so sauer wie hilflos.

Der Vize kicherte. „Was denn? War das kein guter Vorschlag?“

„Verdammt, was willst du denn eigentlich von mir, Mann? Wenn du Geld willst, dann sag´s doch einfach!“

„Ich will kein Geld“, versicherte Victor mit einem sanften Kopfschütteln.

„Willst du Informationen? Was soll ich dir erzählen?“

„Nö, brauch ich auch nicht.“

„Dann suchst du was bestimmtes? Ein Magie-Buch, das ich habe? Oder ein Artefakt?“

„Nein.“

Ruppert stöhnte ratlos. Er hatte langsam ernsthaft Angst vor Victor. Bisher hatte er sich an den Gedanken geklammert, daß sie doch Freunde waren, Victor in seiner Schuld stand und er Victor doch eigentlich gar nichts getan hatte. Aber was hier gerade passierte, gab ihm ein verdammt mulmiges Gefühl. „Was denn dann? Irgendeinen Grund muss deine Erpressung hier doch haben!“

„Ich will, daß du dich wehrst“, klärte der langhaarige Russe ihn mit einem bittersüßen Schmunzeln auf, erhob sich aus dem Sessel und ging vor Rupperts Nase in die Hocke, um etwas näher zu kommen. „Befrei dich aus meiner Fessel. Schmeiß Ybi und Vy aus deinem Haus. Rette deine Söhne, wenn du sie so liebst.“

Der Banker gaffte ihn eine ganze Weile einfach nur an. Man sah förmlich die Zahnräder in seinem Kopf rattern. Victor wollte ihn zu einem Kampf herausfordern? „Wie denn?“, wollte er schließlich wissen.

„Tja, wie? Ist schon scheiße, ohne Urnue, was?“, meinte Victor grinsend, stand wieder auf und gab den Zwillingen einen Wink. „Du, brenn seine Bibliothek nieder! Und du seine Luxus-Karosse draußen in der Garage!“

„WAS!?“, jaulte Ruppert entsetzt.

„Aber zieht vorher magische Barrieren auf, damit ihr nicht das ganze Haus mit abfackelt. ... NOCH nicht!“

Ybi und Vy zogen begeistert johlend in verschiedene Richtungen los. Die Magierin angelte bereits ein Feuerzeug aus ihrer Hosentasche und ließ es testhalber anschnippen.

„Victor!!!! Im Bücherzimmer sind unbezahlbare Werke drin! Und Unikate! ... Und mein Auto!!!“, jammerte Ruppert.

Der Vize-Boss hob die Hände, als könne er nichts dafür. „Dann geh und verhindere es.“

„June! Tu doch was!“, befahl Ruppert seinem Hausmädchen, das immer noch unschlüssig in der Ecke herumstand und sich nicht traute, einzugreifen, weil ihr Dienstherr ihr immer noch keine entsprechende Weisung gegeben hatte.

June, die selbst eine ungebundene Genia ohne eigenen Schützling war, nahm ihre wahre Gestalt an. Sie wurde zu etwas, das optisch stark nach einer Fee aussah.

Da es unglaublich viele feenartige Wesen gab und Victor sich mit denen nicht übermäßig detailliert auskannte, konnte er sie auf die Schnelle nicht genauer spezifizieren. Aber im Grunde war es ihm auch egal, denn an sich unterschieden die sich nicht so sehr. Elementar-Magier waren sie alle, und damit kam er klar. Da bei jeder ihrer Flügelbewegungen Funken stoben, war sie höchstwahrscheinlich eine Feuer-Magierin. Das wiederrum hieß, daß sie hier in geschlossenen Räumen kaum sehr viel ausrichten konnte, wenn sie Rupperts Haus nicht gleich selber abfackeln wollte, statt das den Zwillingen zu überlassen.

June wollte aus dem Zimmer flitzen, aber Victor setzte einen Schließ-Bann ein, der ihr die Wohnzimmertür vor der Nase zuschlug und das Schloss verriegelte, so daß sich die Tür von innen nicht mehr öffnen ließ. Als die Fee einen Moment ergebnislos an der Türklinke gerissen hatte und sich daraufhin todesmutig auf Victor stürzen wollte, zog der einen Schutzschild aus Bann-Magie hoch und ließ sie einfach toben. Dabei musste er leicht lächeln. Mit Urnue hätte er kein so einfaches Spiel gehabt. Der hätte sowohl die Tür auf bekommen, als auch den Schild brechen können. Und er wusste, daß auch Ruppert das klar war. Seinem Gesichtsausdruck sah man das deutlich an, während er die erfolglosen Bemühungen seines Hausmädchens beobachtete.

„June, schon gut, hör auf. Das bringt nichts“, gebot Ruppert der Fee bald Einhalt. „Befrei mich lieber aus der elenden Fessel!“

Widerwillig ließ sie von Victor ab. Sie war ein wenig skeptisch, daß Victor selbst keinerlei Gegenangriffe startete, um sie außer Gefecht zu setzen, sondern sich bloß hinter seinem Schutzschild versteckte. Er schien vorerst weder ihr noch Ruppert körperlich schaden zu wollen. Aber was wollte er dann?

Victor ließ seinen bann-magischen Schild verpuffen und grinste schon wieder vorfreudig in sich hinein. „Die Mühe kann sie sich später machen. Ich leih mir deine June mal aus, wenn das okay ist“, kündigte er an und zog die Fee an den Haaren von Ruppert herunter. Da sie in ihrer wahren Gestalt gerade noch 80 cm groß war, war das kein großer Kraftakt für ihn. Fröhlich zerrte er die schreiende, um sich schlagende, geflügelte Frau zur Tür.

„Wozu!? Was hast du vor?“, rief Ruppert ihm schockiert nach.

„Ich hab gerade typisch männliche Bedürfnisse.“

„Bitte was!?“

„Dein Schlafzimmer war oben und dann die linke Tür, oder? Ach, ich finde es schon.“

„Willst du June ficken?“

Victor lächelte, löste den Bann, der das Schloss verriegelt hielt, und zog die Tür auf, immer noch die panische Fee an den Haaren durch die Gegend bugsierend.

„Victor! Nein!“, schrie Ruppert ihm hinterher. Aber da war der Russe schon weg und ließ ihn bewegungsunfähig allein im Wohnzimmer auf dem Boden liegen. Er konnte absolut nichts tun, um einzuschreiten. Er hörte sein Hausmädchen noch den ganzen Weg die Treppe hinauf zetern und kreischen.
 

Victor schleifte June ins Schlafzimmer, schob hinter sich die Tür zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, um sie an einer vorzeitigen Flucht zu hindern.

Die Fee starrte ihn mit riesigen, verheulten Augen an. Im Gegensatz zu Urnue war sie so grobe Behandlung nicht gewohnt. Anders als Urnue war sie aber auch um einiges unterwürfiger, gab nie Widerworte und tat immer, was man ihr sagte. Darum kam sie mit Ruppert sehr viel besser und konfliktärmer aus und musste in der Folge auch nicht so viel Verachtung und Schikane ertragen wie sein Genius Intimus.

„Okay“, seufzte Victor und ließ einen Teil seiner aufgesetzten Arroganz fallen. Gegenüber dem Hausmädchen musste er sich nicht so betont überlegen zeigen. „Keine Angst, ich rühre dich nicht an, versprochen. Ruppert soll es nur glauben“, meinte er beschwichtigend und lächelte sie an. „Ich werde dir jetzt ein paar Dinge erklären.“ Es war keinerlei Änderung in ihrer Mimik zu verzeichnen. Victor wurde langsam etwas skeptisch, als fortgesetzt blanke Angst und Unwissen aus ihrem Blick sprachen. Er bekam einen Verdacht, warum sie die ganze Zeit über tatenlos in der Ecke gestanden hatte. Sie hatte einfach nicht einschätzen können, was das hier bedeutete, denn der Schlagabtausch zwischen Ruppert und Victor hatte fast durchgängig in einer anderen Sprache stattgefunden. „Verstehst du Russisch?“, rückversicherte er sich. „Oder muss ich Englisch mit dir reden?“

Immer noch keine Reaktion von June.

„I see ... let´s speak English then ...“, lenkte der Vize ein.

„Klingt russisch. Wer is´n das?“

Urnue wechselte in seine menschliche Gestalt zurück und hielt sich stöhnend den Kopf. Er hatte Probleme, die Augen auf zu bekommen. „Was ... was ist passiert?“, murmelte er und schaute dabei endlich mühsam auf. Mit einem einzigen, alleserfassenden Blick sah er die Lagerhalle, den Bannkreis, Danny und Josh daneben und ihre beiden Genii darin. Aber viel panischer machte ihn das, was er nicht sah: Ybi und Vy waren weg. „Ich muss zu Ruppert!“, keuchte er, sprang auf, wurde aber im gleichen Moment am Jackenärmel wieder zu Boden gezerrt.

„Sekunde mal!“, zischte Josh empört. „Erstmal erklärst du uns, was hier los ist. Und dann wirst du diesen verdammten Bannkreis dort aufheben. Danny hat dich da gerade unter Einsatz seiner Gesundheit rausgeholt!“

Urnue schliefen die Gesichtszüge ein, als er Dannys offenes Hemd, die verrutschte Binde und die gewaltigen, entzündeten Wunden darunter sah. Danny war blass und sein Gefühl der Kälte wuchs aufgrund des Fiebers gerade zu einem ausgereiften Schüttelfrost an. Der unschöne Gedanke, daß das alles seine Schuld sein könnte, ließ Urnue innehalten. Mit fragendem Blick wandte er sich zum Bannkreis um. „Oh Gott ... Das ist ne harte Nuss. Er hat den Bannkreis wirklich selber hier her gebaut“, stöhnte er. Ybi und Vy hatten also tatsächlich mit dem Russen gemeinsame Sache gemacht. Victor hatte ihn ernsthaft mitten in der Nacht aus dem Bett geholt, nur um ihn in einem Bannkreis festzunageln.

„Was ist denn damit?“, wollte Josh wissen.

„Das da ist eindeutig die Handschrift von Dragomir.“

„Von wem?“

„Victor Dragomir Raspochenko Akomowarov.“

„Hä?“, machte Danny nur.

„Klingt russisch. Wer is´n das?“

„Wie lange hast du geübt, um dir so nen Namen merken zu können?“

„Was, kennt ihr Dragomir nicht?“, gab Urnue verdutzt zurück. „Er war der Magister Artificiosus Magicae der Motus. Die rechte Hand vom Chef höchstselbst. Zumindest die Motus kennt ihr doch, oder?“ Wieder schaute er nur in verständnislose Gesichter. Ruppert musste echt gut darin gewesen sein, alle nahestehenden Leute aus seinen Machenschaften heraus zu halten. „Die Motus war eine maffia-artige Organisation mit Stammsitz in Moskau und einigen internationalen Clustern. Sie wurde vor zwei oder drei Jahren zerschlagen.“

„Und was wollen die von dir?“, wollte Danny wissen.

„Von mir? Gar nichts. Aber euer Vater steckte da bis zum Hals mit drin. Er hat damals den ganzen Verbrecherhaufen gesponsort.“

„Fuck!“

„Richtig erkannt!“, stimmte Urnue zu. „Ich weiß bloß nicht, was Dragomir plötzlich für ein Problem mit Ruppert hat. Als Geldgeber ist euer Vater sicher der Letzte, den er ins Messer laufen lässt. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Dragomir sich mit ihm anlegt, wegen irgendeiner Lapalie.“
 

Magister Artificiosus Magicae. Josh schauderte. Davon hatte er bei seiner Vorbereitung auf die Uni schon gehört. Allein um den Titel 'Magister' zu verdienen, musste man schon eine jahrelange Studienzeit hinter sich haben. Dieser Victor-wie-auch-immer war ein 'Magister Artificiosus', also selbst unter den Magistern und seinesgleichen noch unübertroffen. Die Voraussetzungen, um sich Magister Artificiosus Magicae nennen zu dürfen, waren von Land zu Land etwas verschieden. Wenn der Kerl ein Russe war, hatte er wohl auf drei verschiedene Magie-Arten Prüfungen abgelegt, um diesen Status in Russland anerkannt zu bekommen. Dabei hatten die meisten Magi nur eine einzige, oder maximal zwei magische Veranlagungen. Wie musste man sich so einen Typen vorstellen, der drei verschiedene Arten von Magie beherrschte?

„Kannst du Nyu da raus holen?“, bat Danny hoffnungsvoll.

„Vergiss es“, entgegnete Urnue auf der Stelle und erhob sich nun doch vom Boden. Diesmal hielt Josh ihn nicht fest. „Dragomirs Bannkreise kann man nicht brechen, er ist einfach zu mächtig.“

„Jeden Bannkreis kann man brechen!“, protestierte Josh.

„Sicher! Wenn man mindestens so stark wie Dragomir ist. Dieser Bannkreis hat durch die ganzen Schnörkel und Verzierungen keine Knackpunkte, an denen man ihm beikommen könnte. Mit reiner Technik kommt man da nicht weiter. Den kriegt man nur mit roher Gewalt gebrochen. Und, tut mir leid, Jungs, an Dragomirs Macht komm ich nun wirklich nicht ran“, brummte er und stapfte auf die Ausgangstür zu. „Euren beiden Genii passiert da drin nichts. Ich muss zu Ruppert!“, fügte er noch an.

Danny sprang auf und folgte ihm, wenn auch etwas schwerfällig, „U., das kannst du nicht machen!“

„Ich komme so schnell es geht zurück.“ Er zog die Tür auf, wollte festen Schrittes hinaus treten und rannte direkt gegen eine durchsichtige, orange Magiebarriere. Benommen taumelte er zurück. „Aua ... Was zur Hölle ...?“ Er patschte prüfend mit der Hand gegen die magische Wand. „Habt ihr sie noch alle? Lasst mich sofort hier raus!“, verlangte er dann stinksauer und starrte pauschal Danny voller Hass an. Das hier war Bann-Magie, also konnte sie nicht von Josh stammen. Der ältere der beiden Jungen war Hellseher. Das die ihn davon abhielten, zu seinem Schützling zu gelangen, schürte in ihm die blanke Verachtung.

Josh kam näher und prüfte ebenfalls die Tür. Er konnte die Barriere als Mensch nicht sehen, aber auch er prallte daran zurück. „Ein Fallen-Bannkreis. Der ist nicht von uns, Urnue“, meinte er entschuldigend.

Urnue musste sich erstmal fix und fertig auf den blanken Boden setzen und verbarg verzweifelt das Gesicht in den Händen. Irgendjemand wollte aus irgendeinem Grund, daß er so lange wie möglich hier festsaß. Die Uhr sagte ihm, daß sein Schützling schon seit gut 10 Stunden schutzlos zu Hause saß. Hoffentlich saß er noch zu Hause! Wer, und verdammt nochmal, warum? Victor doch nicht. Der war ein Freund der Familie. Der würde Urnue und Ruppert niemals schaden.

„Hör mal, U., ich verstehe, daß dein Schützling für dich die höchste Priorität hat. Ich weiß, wie du dich fühlst. Aber du kommst hier gerade genauso wenig weg wie wir“, sprach Josh ruhig auf ihn ein und schloss ihn tröstend in die Arme. Er hatte den sonst so coolen Wiesel-Geist noch nie so schwächlich erlebt.

Der Genius mit den schwarzen Wuschelhaaren rang noch einige Sekunden um Atem und Fassung, bevor er die Hände wieder aus dem Gesicht nahm.

Danny ging neben ihm ebenfalls in die Hocke, um ihn aufzumuntern. Ihm fiel wieder die Strieme in Urnues Gesicht auf. Die hatte er schon gestern gehabt, also stammte sie nicht von demjenigen, der ihn hier in die Lagerhalle verfrachtet hatte. „Hat Vater dich geschlagen?“, wollte Danny unglücklich wissen und fuhr die Schmarre auf Urnues Wange zart mit den Fingern nach.

Der Wiesel-Tiergeist deutete ein Nicken an. „Weil ich ihm nicht sagen wollte, was es mit Nyu wirklich auf sich hat.“

Mit einem leisen Fluchen, das eine Entschuldigung darstellen sollte, schlang Danny seine Arme um Urnues Hals und drückte ihn an sich. „Das habe ich nicht gewollt“, versicherte er mit spürbar schlechtem Gewissen. Er hätte seinem Vater einfach sagen sollen, daß die Harpyie sein persönlicher Schutzgeist war. Sicher hätte das viel Ärger der letzten beiden Tage und Nächte verhindert. „Welcher Magi schlägt denn bitte seinen eigenen Schutzgeist, Mann?“

Urnue zupfte vielsagend an Dannys Verband. „Und welcher Schutzgeist schlägt seinen eigenen Schützling?“, hielt er in einem Anflug von Galgenhumor dagegen.

„He, das war was anderes!“, protestierte der Junge und ließ Urnue wieder los.

„Na schön. Lass uns Nyu und dem Dicken helfen“, beschloss er leise.

„Hat Vater dich schon öfter geschlagen?“, wollte Josh mit gedrückter Stimmung wissen, jetzt wo die Zeichen der Gewaltanwendung in Urnues Gesicht ihm ebenfalls auffielen. Die hatte er vorher gar nicht für bare Münze genommen.

Der Wiesel-Genius atmete nachdenklich durch. „Wirklich geschlagen eher selten. Er hat viel schönere Methoden, mich meine Wertlosigkeit spüren zu lassen. Ich will euch eine Geschichte über Dragomir erzählen ... Über Victor, meine ich. 'Dragomir' nennen ihn ja nur seine Freunde.“ Urnue nahm nebenbei wieder den Bannkreis in Augenschein, während er redete.
 

Ruppert schwebte auf der Astralebene herum und ging seinen hellseherischen Visionen nach. Urnue begleitete ihn dabei, da es hier sehr viele Gefahren für einen Menschen gab, gegen die dieser sich nicht alleine verteidigen konnte. Es war schon Herbst und die Rauhnächte rückten näher. Dann fegten vermehrt „Wilde Jagden“ über Europa hinweg, Horden aus Feenhunden, Feenpferden und anderen grausamen Feenwesen, die alles jagten, was sich nicht rechtzeitig in Sicherheit brachte. Man stolperte schon gelegentlich mal über eines dieser Wesen. Ein einzelnes, bösartiges Feenwesen war auch nicht so das Problem. Aber wenn sie sich im Herbst und Winter zu großen Gruppen zusammenschlossen, konnte es auf der Astralebene für Hellseher und Genii verdammt gefährlich werden. Schon jetzt fanden sich langsam die ersten dieser Kreaturen zu Rudeln zusammen, um sich auf die Jagden vorzubereiten. So wie dieser wilde Pulk da vorn.

Urnue fluchte leise, als er die schwarzen Schatten von weitem näher kommen sah. Und sie waren verdammt schnell. Aus der Ferne hielt er es für Feenhunde. Das war am wahrscheinlichsten, denn auf die traf man, gerade um diese Jahreszeit, öfter. Die waren am häufigsten und am angriffslustigsten. Er hatte aber keine Zeit mehr, zu warten, bis er mehr erkannte. Jeder Meter, den er einem Teufelshund oder Kirchengrimm zugestand, war ein verlorener Meter. Urnue schaffte es zeitlich gerade noch, mittels eines vorgefertigen Bannzettels einen Schutzkreis um seinen Schützling zu erzeugen. So war zumindest Ruppert erstmal sicher. Dann konnte Urnue sich mit den Viechern befassen, ohne nebenbei noch auf Ruppert aufpassen zu müssen. Auch wenn er noch nicht so recht wusste, wie er das schaffen sollte. Er hatte es immerhin gleich mit mehreren Angreifern auf einmal zu tun.

Als er seine Aufmerksamkeit wieder den Gegnern zuwandte, bemerkte er seinen Irrtum. Das waren keine Feenhunde. Das waren drei Far Laith, Nebel-Kreaturen, die einem Krankheiten einhauchten und Kartoffelfäule brachten. Sie wurden auch 'Graue Männer' genannt und waren seit dem umweltverschmutzten Industrie-Zeitalter eigentlich eher selten geworden. Urnue konnte sich allerdings nicht darüber wundern, gleich von dreien dieser tödlichen Dinger angefallen zu werden. Er war hellauf damit beschäftigt, sich irgendeine Gegenmaßnahme einfallen zu lassen. Nebel zerstreute man am besten mit Wind. Nur dummerweise war er kein Windmagier. Er zog sich mit einer Hand den Kragen seines T-Shirts ins Gesicht und presste sich den Stoff auf Mund und Nase, um gegen den giftigen Atem der Grauen Männer wenigstens einen allernötigsten Filterschutz zu haben. Die andere hob er zur Abwehr und erzeugte mit seiner Bann-Magie einen Schutzschild vor sich in der Luft. Dummerweise übersah er dabei, daß einer der Far Laith ihn schon umkreist hatte und ihm in den Rücken fiel.

Er flog unkontrolliert durch die Luft, getroffen von einem wirklich mördermäßigen Hammerschlag, krachte ungelenk zu Boden, überschlug sich bei der Landung, und blieb dann bewegungsunfähig auf der Seite liegen. Die Landung nahm ihm die Luft und da er mit dem Kopf aufgetitscht war, ging ihm auch erstmal das Bewusstsein flöten. Er brachte nur noch einen gepressten Ton heraus und fiel auf die irdische Ebene zurück. Nahm wieder eine stoffliche Form an. Mit seinem immer mehr verschwimmenden Blick sah er die Grauen Männer auf sich zukommen, die sich wie reißende Wölfe auf ihn stürzten. Auch von der Astralebene aus, auf der sie sich verbargen, konnten die ihm schaden. Die würden ihn zerfetzen oder vergiften, das wusste er. Aber er war nicht mehr in der Lage, sich zu wehren. Er hatte verspielt.

Urnue hörte noch, wie jemand seinen Namen rief. Bekam mit, wie sich jemand schützend über ihn warf. Spürte die Hand auf seinem Oberarm. Konnte noch den rot leuchtenden Schutzschild erahnen, der zwischen ihm und den heranrasenden Far Laith hochgezogen wurde. Dann wurde sein Blickfeld endgültig schwarz. „Nein! Urnue! Bleib wach!“, rief sein unbekannter Retter ein wenig erschrocken, bevor ihm auch die Akustik wegbrach und er endgültig ins Vergessen abtauchte.

„Ja, ich merke es.“

Urnue hörte noch, wie jemand seinen Namen rief. Bekam mit, wie sich jemand schützend über ihn warf. Spürte die Hand auf seinem Oberarm. Konnte noch den rot leuchtenden Schutzschild erahnen, der zwischen ihm und den heranrasenden Far Laith hochgezogen wurde. Dann wurde sein Blickfeld endgültig schwarz. „Nein! Urnue! Bleib wach!“, rief sein unbekannter Retter ein wenig erschrocken, bevor ihm auch die Akustik wegbrach und er endgültig ins Vergessen abtauchte.

Mit einem Fluchen griff Victor in seine Manteltaschen und schaute, was er noch an nützlichen Gegenständen bei sich trug. Wenn er wenigstens gewusst hätte, womit er es hier zu tun hatte! Aber das konnte Urnue ihm ja jetzt nicht mehr sagen, wenn er das Bewusstsein verlor. Victor nahm zwar Wesen wahr, die sich auf der anderen Ebene verbargen, aber leider nicht sehr deutlich. Sein Wahrnehmungsspektrum war da begrenzt. Wesen auf der Astralebene waren für ihn fast unsichtbar, er erahnte eher ihre Bewegungen. Es war für ihn nicht mehr als ein Hitzeflirren in der Luft. Dennoch war das schon sehr viel mehr, als Menschen sehen konnten. Menschen und viele Genii-Arten konnten die Astralebene überhaupt nicht wahrnehmen. Für sie war die Astralebene wie Ultraviolettes Licht oder Radiowellen: vorhanden aber mit den Sinnen nicht zu erfassen.

Er bekam einen Zopfgummi in die Finger, den er durchaus ganz gern mal verwendete, wenn ihm seine langen Haaren auf die Nerven gingen oder im Weg waren. Nun, besser als nichts. Er schloss den Zopfgummi fest in seine Faust, legte einen einfachen aber wirkungsvollen Bann darauf und streifte Urnue den Gummi dann schnell über das Handgelenk, bevor das Ding durch die Magie hart wie ein Armreifen wurde und sich nicht mehr dehnen ließ. Das Gummiband glühte rhythmisch grün auf. Und mit jedem Aufglühen schossen kugelförmige Bannschilde davon weg, die sich in alle Richtungen ausdehnten wie Wellen auf einem See. Die ausschwärmenden Schilde versickerten nach etwa 3 Metern. Das war also der Radius, in dem Urnue sicher sein würde. Tatsächlich hielten die Angreifer zunächst auch den gebührenden Abstand und waberten unschlüssig in der Umgebung herum.

Nachdem Victor sich vergewissert hatte, daß die Kreaturen Urnue durch den Pulsar wirklich in Ruhe lassen würden, hetzte er zu Ruppert hinüber. Der eine, der sich derweile auf den Hellseher gestürzt hatte, durchschlug langsam aber sicher den von Urnue erzeugten Bannkreis, da dieser scheinbar auf den Schutz vor anderen Wesen ausgelegt war. Der Kreis würde Ruppert nicht mehr lange schützen.

„Wer bist du!?“, wollte Ruppert wissen.

Victor antwortete ihm nicht. Er wusste, daß der Hellseher seine Anwesenheit zwar auch auf der Astralebene wahrnehmen konnte, aber nur als diffuse Lichtsilhouette. Ruppert erkannte, daß sich eine Person hier befand, aber nicht, wen genau er da gerade vor sich hatte. Und so sollte es vorläufig auch bleiben. Wortlos jagte er den undeutbaren Angreifer auf Abstand, löste Urnues Bannkreis, schnappte Rupperts Astralkörper und zog ihn zu Urnue herüber. Mit hinein in den 3-Meter-Radius des Pulsars, wo sie allesamt sicher waren. Oder auch nicht, musste Victor betrübt feststellen ...
 

Als Urnue – wider Erwarten – tatsächlich wieder zu sich kam, lag er zu Hause in seinem Zimmer. Begonnen hatte ihre Reise eigentlich unten im Wohnzimmer, als Ruppert seinen Visionen nachgegangen war. Wenn sie beide auf die Astralebene entschwebten, wechselte Urnue komplett dorthin, Ruppert verließ nur seinen Körper und ließ seine stoffliche Hülle im Wohnzimmer zurück. Aber weit waren sie nicht gekommen. Sie konnten bestenfalls bis in den Vorgarten gelangt sein, als sie von den giftigen Grauen Männern überfallen worden waren. Jemand musste ihn nach dem desaströs verlorenen Kampf zurück ins Haus geholt haben und die Treppen hinauf zu seinem Zimmer geschleppt haben. „Ruppert!“, keuchte er und fuhr hoch. Aber er wurde auf der Stelle gepackt und zurück nach unten gedrückt.

„Hey, bleib liegen“, bat eine ruhige, junge Stimme.

Urnue griff sich stöhnend an den brummenden Schädel, in dem sich sofort alles drehte wie ein Karussell. Erst jetzt nahm er sich die Zeit, seine Situation zu erfassen. Er lag der Länge nach auf seinem Bett. Mit dem Kopf und Oberkörper ruhte er auf dem Schoß von jemandem, der mit bei ihm im Bett saß und ihn mehr oder weniger lose in die Arme geschlossen hatte.

„Dein Kreislauf muss sich erst stabilisieren, bevor du hochspringst.“

„Ja, ich merke es“, stöhnte der Wiesel-Tiergeist und wälzte sich schwerfällig ein wenig frei, um wenigstens zu schauen, wer ihn da eigentlich im Bett festhielt, denn er glaubte seinen eigenen Ohren nicht. Er bildete sich zwar ein, die Stimme zu kennen, aber das konnte eigentlich gar nicht sein. „Dragomir!?“, stellte er erstaunt fest. Damit hätte er nicht gerechnet. Es war schon reichlich 2 Monate her, daß der nach der Motus-Sache aus Rupperts Haus wieder ausgezogen war. Urnue hatte gar nicht gedacht, daß der noch in England war. Oder war er wieder hier?

„Ruppert geht´s blendend, keine Sorge“, merkte der Russe ein wenig humorlos an. Er wollte spürbar mitfühlend mit Urnue umgehen, aber irgendwas verhagelte ihm so sehr die Laune, daß er es nicht verbergen konnte. „Ich hab dich schon grob abgetastet. Du scheinst keine größeren Verletzung zu haben. Aber trotzdem: tut dir irgendwas weh, was sich nach mehr als einem blauen Fleck anfühlt?“

Urnue regte sich wieder, um eine andere Liegeposition zu finden. Dabei verzog er schmerzlich das Gesicht. „Meine Schulter ...“, gab er zu und deutete auf die rechte von beiden. Ihm fiel auf, daß er seine Lederjacke gar nicht mehr trug, die er bei Astralreisen immer überzog, weil es auf der anderen Seite recht kühl war. Immer noch hatte er den Pulsar am Handgelenk, der fortwährend Schutzschilde in die Welt hinaus feuerte.

Victor nickte und schob ihn in eine aufrechte Sitzhaltung. Damit befreite er sich auch gleichzeitig aus der unter Urnue gefangenen Position.

„Wo ist Ruppert?“, versuchte Urnue das Thema zu wechseln.

Victor legte dem Tiergeist sachte beide Hände um das Schultergelenk. „Kannst du sie noch bewegen? Roll die Schulter mal.“

„Ja“, beantwortete der Genius die Frage und kam der Aufforderung vorsichtig nach. „Tut aber ganz schön weh.“

„Gut. Da blockiert nichts. Ist also noch alles heil da drin. Nur eine Prellung, oder Stauchung, oder sowas.“

„Dragomir! Wo ist Ruppert!?“, verlangte Urnue daraufhin nochmal etwas nachdrücklicher zu wissen.

Victor zog ein missmutiges Gesicht. „Er hat dich in dein Bett geworfen, nachdem er auf die stoffliche Ebene zurückgekehrt ist, und ist wieder nach unten gegangen. Er hat gerade besseres zu tun, als jetzt bei dir zu sein.“

Urnue schaute ungläubig auf die Uhr an der Wand. Ihm fehlten fast 4 Stunden. So lange musste er bewusstlos hier rumgelegen haben.

„Er hat seitdem noch nicht wieder nach dir gesehen“, ergänzte Victor.

„Weiß er, daß du hier bist?“

„Nein. Ich habe mich als Fliege getarnt, solange Ruppert da war. Er hat mich noch nicht zu Gesicht bekommen. Er weiß gar nicht, daß ich überhaupt in London bin.“ Victor hatte sich ganz bewusst nicht gezeigt. Er hatte sehen wollen, was Ruppert nun tat. Bedauerlicherweise hatte Rupperts Verhalten seine Erwartungen nicht enttäuscht. Er behandelte Urnue immer noch so schlecht.

Urnue behielt seine Mimik halbwegs im Griff, nur seine Augen liefen mit Wuttränen voll wie ein Staubecken, während er Victor ungläubig anstarrte. Das erklärte Victors seltsame Stimmung. Der Wiesel-Genius schluckte hart. Er war stundenlang bewusstlos gewesen, im Zweifelsfall sogar vergiftet. Und Ruppert ließ ihn in diesem Zustand unbeaufsichtigt? Das war kreuzgefährlich. Ihm hätten die Vitalfunktionen aussetzen können, oder er hätte an seiner verschluckten Zunge oder an Erbrochenem ersticken können. Man konnte einen Ohnmächtigen doch nicht alleine rumliegen lassen. „Bedeute ich Ruppert wirklich so wenig?“

Victor seufzte und wich Urnues Blick aus. „Willst du darauf eine ehrliche Antwort?“ Darauf hatte Victor ihn doch schon aufmerksam gemacht, als er sich nach dem Niedergang der Motus wochenlang hier bei Ruppert verkrochen und sich dabei mit Urnue angefreundet hatte.

Urnue ließ sich seitlich auf seine Bettmatratze fallen, ungeachtet der schmerzenden Schulter. Er fühlte sich plötzlich furchtbar leer und verlassen. „Ich will nicht mehr, Dragomir ... Ich kann nicht mehr. Ich habe so sehr die Nase voll von diesem Mann.“

„Komm her“, hauchte Victor tröstend, zog Urnue mit Kraft zu sich heran und in eine Umarmung. Der gab zwar aufgrund seiner verletzten Schulter zuerst einen leisen, schmerzlichen Protest von sich, nahm es dann aber dankend an.

„Ich habe mir immer eingeredet, daß Ruppert bloß kein herzlicher Typ ist. ... Daß er es einfach nicht so zeigen kann, wenn ihm jemand wichtig ist. ... Aber ... langsam glaube ich selber nicht mehr daran. ... Er verachtet Genii wirklich.“

Victor rieb ihm aufmunternd über den Rücken und brachte ihn damit zu einem Seufzen und einem akuten Entspannen aller Muskeln. Es hätte einem Zusammenbrechen geglichen, wenn er nicht sowieso schon in der Waagerechten gelegen hätte.

Das tat irgendwie gut. Urnue genoss eine ganze Weile einfach nur die Ruhe und Schwere, die ihn einhüllte, während Victor ihm weiter in langsamen, nicht zu kräftigen Strichen den Rücken hinauf und hinunter fuhr. Dabei schob er das Wissen um Victors wahre Persönlichkeit bewusst von sich. Ihm war klar, daß Victor nicht immer so 'lieb' war. Er wusste, daß Victor miese Ecken und Kanten hatte. Und er war sicher nicht mit allem einverstanden, was dieser Mann trieb. Der war de facto ein Schwerverbrecher. Schon zu Motus-Zeiten, und auch jetzt noch. Aber trotzdem hatte sich Urnue noch nie so sicher und gut aufgehoben gefühlt wie hier und jetzt in Anwesenheit dieses jungen Kerls. Und wenn er als 39-jähriger sowas sagte, dann musste es schon richtig was bedeuten. Jetzt, hier, in diesem Moment, war Victor für ihn kein skrupelloser Killer, sondern einfach nur ein Freund, der sich Sorgen um ihn machte. „Krieg ich das Ding auch wieder ab?“, wollte Urnue irgendwann wissen und zeigte sein Handgelenk mit dem grün glühenden Zopfgummi hoch.

„Den Pulsar? Nein, leider nicht. Ich hatte keine Zeit mehr, den Zauber reversibel zu machen. Mit dem Ding wirst du jetzt wohl oder übel 'ne Woche rumlaufen müssen. Der Gummiring geht erst wieder ab, wenn der Bann erloschen ist.“

Urnue nickte nur leicht und beäugte den magischen Ring um sein Handgelenk weiter, um sich abzulenken.

„Sieh es positiv, solange musst du dir keinen Kopf um Angriffe von der anderen Ebene machen. ... Und wenn das grüne Licht dich stört, dann verdeck den Pulsar einfach. Knote ein Tuch drum, oder stülpe ein Schweißband drüber, oder sowas.“

„Ist das Ding etwa 3-fach gesichert?“, fasste Urnue seine Beobachtungen in Worte. Das erstaunte ihn.

„Ja. Ich musste drei verschiedene Bann-Zauber übereinander legen, bis es endlich geholfen hat. Da ich nicht gesehen habe, was genau euch da angegriffen hat, musste ich raten und rumprobieren. Was für Dinger waren das? Ich hatte echte Probleme, die los zu werden.“

„Das waren Far Laith. Graue Männer“, begann der Wiesel-Tiergeist zu erzählen und holte etwas weiter aus, da er glaubte, daß Victor als Russe nicht so viel Ahnung von den in England vertretenen Wesen hatte. Far Laith liebten verschmutzte, giftige Umgebungen. Zur Zeit der Industrialisierung, als ganz London förmlich unter einer Smog-Glocke begraben war, waren diese kreuzgefährlichen Kreaturen ein echtes Problem gewesen. Nach dem historischen Vorfall des 'giftigen Nebels von London' von 1952, der zehntausende das Leben gekostet hatte, hatte man Maßnahmen eingeleitet, um England und vor allem London wieder wesentlich sauberer zu machen. Seither gab es hier eigentlich auch so gut wie keine Far Laith mehr. Urnue hatte seit Jahrzehnten von keiner Sichtung mehr gehört. Um so ungewöhnlicher war es, gleich drei von denen an der Backe zu haben.
 

Urnue kam die Treppe herunter und blieb in der Wohnzimmertür stehen. Da lag Ruppert also. Der Fernseher lief, er hatte sich auf dem Sofa lang gemacht und schlürfte unbekümmert eine Dose Bier.

Als er über die mentale Verbindung auf den plötzlichen Unmut seines Schutzgeistes aufmerksam wurde, schaute er fragend herum. „Oh, du bist wieder wach?“

Urnue sah ihn lange an. Wartete auf mehr. Aber es kam nichts. Seine Augen verengten sich übellaunisch. „Das ist alles? 'Du bist wieder wach'?“

Ruppert runzelte die Stirn. „Was willst du denn hören?“

„Wenigstens die Frage, ob es mir gut geht!? Ich war stundenlang bewusstlos. Und du liegst hier in Ruhe auf dem Sofa, guckst deine Serien, und säufst Alkohol, statt einen Arzt zu rufen oder wenigstens selber mal zu schauen, ob ich noch lebe und atme. Machst du dir überhaupt keine Sorgen um mich? Nichtmal ein bisschen?“

Der Hellseher verdrehte die Augen. „Meine Fresse, bist du verweichlicht“, attestierte er seinem Schutzgeist und nippte gelassen an seiner Bierdose. „Wärst du kein Schutzgeist geworden!“

„Habe ich dir nicht das Leben gerettet?“

„Hast du? Soviel ich mitbekommen habe, ist da jemand dazwischen gegangen, weil du versagt hast.“

da, ya byl etim“ [Ja, ich war das.], mischte sich Victor aus der anderen Raumecke ein und ließ Ruppert erschrocken herumfahren. Er hatte das Gespräch in seiner Fliegengestalt quasi unsichtbar mitverfolgt. Eine Fliege an der Wand nahm schließlich keiner für voll. Nun fühlte er sich aber doch veranlasst, sich dem Banker endlich mal zu zeigen und sich einzumischen.

„Dragomir!“, machte der Hellseher irritiert und setzte sich aufrecht. „Du, hier? Du warst das, der uns gerettet hat? Was tust du hier?“

„Da sind gleich 3 Far Laith über euch hergefallen!“, hielt der russische Vize ihm vor, ohne auf die Frage einzugehen. „Was erwartest du von Urnue? Soll er es etwa alleine mit denen aufnehmen?“

„Du hast es doch auch geschafft“, hielt Ruppert uneinsichtig dagegen.

„ICH!“, betonte Victor sauer, „... bin ein Magister Artificiosus Magicae! Urnue hast du nichtmal eine richtige Ausbildung absolvieren lassen! Herrgott, Ruppert, wo ist dein Verstand geblieben!? Außerdem solltest du dir mal einen Kopf darüber machen, warum ihr mitten in London von so vielen Far Laith angegriffen werdet! Zu Gruppen schließen die sich sonst nicht zusammen. Ich hatte den Eindruck, die wurden angestiftet! Geh gefälligst mal rausfinden, von wem, damit ihr euch nicht unnötig weiter in Gefahr bringt!“

„Seit wann kannst du auf die Astralebene wechseln?“, ignorierte der den Einwand.

„Kann ich nicht. Ich kann nur Wesen wage wahrnehmen, die sich dort rumtreiben. Darum habe ich eure missliche Lage mitbekommen. Und ich kenne Magie, die auf die andere Ebene Effekt hat. - Passt etwas besser auf euch auf, hört ihr? Ich bin zwar immer mal in London, aber es war wirklich purer Zufall, daß ich gerade jetzt hier vorbei kam.“ Mit diesen Worten nahm er wieder seine Fliegengestalt an – die kleinste Form, die er als Gestaltwandler beherrschte – und sirrte durch die offene Terrassentür hinaus und davon. Weg war er. Ohne Abschied. Er hinterließ lediglich den Eindruck, daß er verdammt schlechte Laune hatte.

„Ich will Nyu wiederhaben!“

Urnue spazierte in der Lagerhalle seit Minuten murmelnd um den Bannkreis herum. Er diskutierte mit sich selbst über Mathematik, Physik und Alchemie, kam eins ums andere Mal zu dem Ergebnis, daß das gar nicht funktionieren könne und wanderte dann weiter. Er hatte den Kreidekreis sicher schon ein paar Dutzend Male abgewandert und entdeckte in den fiesen Schnörkeln immer wieder neue Zeichen und Faktoren, die all seine Überlegungen annullierten.

Josh und Danny saßen daneben, unterhielten sich lediglich in Flüsterlautstärke, und versuchten, ihn möglichst nicht zu stören.

„Ich durchschaue das nicht“, meinte Josh leise. „Wenn dieser Victor doch eigentlich ein Freund der Familie ist, wie Urnue sagt, warum tut er dann sowas hier?“

„Irgendeinen Grund wird es schon haben.“

„Aber haben wir diesen Victor denn nicht auf unserer Seite, wenn ich das richtig verstanden habe?“

Danny grinste zynisch. „Nein“, erwiderte er voller Überzeugung. „URNUE hat Victor auf seiner Seite. WIR haben gar nichts.“

„Aber Urnue sagte doch, Vater hätte diesen Kerl wochenlang versteckt und geschützt. Da müsste er doch eigentlich in Vaters Schuld stehen, oder nicht?“, diskutierte Josh weiter. Er konnte sich keinen Reim auf das machen, was Urnue ihnen erzählt hatte. „Sind Russen nicht normalerweise loyale Typen? Die wissen doch genau, wem sie verpflichtet sind!“

„Keine Ahnung. Wir wissen ja gar nicht, was los ist. Wer weiß, was dieser Victor zu Hause gerade mit Vater macht. Vielleicht klärt sich die Sache ja und es war gar nichts Schlimmes.“

„Du bist echt blauäugig ...“

„Ich frag mich, warum er von einigen 'Victor' und von anderen 'Dragomir' genannt wird. Wenn es heißt, anhand dieser Namenswahl würde er seine Freunde von seinen Feinden unterscheiden, dann könnte man ihn doch täuschen, indem man ihn mit 'Dragomir' anspricht und sich dadurch als sein Freund ausgibt.“

„Der Kerl wird schon clever genug sein, seine Freunde zu kennen. Ist auch egal. Sein echter Name ist das sowieso nicht.“

Danny schaute seinen großen Bruder mit riesigen Augen an. „Woher weißt du das?“

„Weil der Name nicht dem russischen Namens-Schema entspricht. Der Typ hat keinen Vaters-Namen. Russen haben doch immer so einen Beinamen mit drin, der vom Vornamen des Vaters abgeleitet ist und auf -witsch endet. Wenn sein Vater zum Beispiel Dragomir geheißen hätte, müsste er Victor Dragomirewitsch heißen, oder sowas in der Art. Das fehlt bei ihm völlig.“

Danny grinste. „Dann wärst du also ein Josh Ruppertowitsch Edelig! Das klingt witzig.“

Als Urnue plötzlich stehen blieb und verstummte, wurden sie wieder hellhörig. Der Wiesel-Tiergeist massierte sich mit geschlossenen Augen den toten Punkt über der Nasenwurzel und atmete betont gleichmäßig.

„U.?“

„Ich glaube, ich hab endlich verstanden, worauf der Bannkreis basiert. Das ist einfach nur astronomisch. Habt ihr was zu schreiben dabei?“

„Äh ... mein Kalender hat einen Notizteil, reicht das?“, meinte Danny unsicher.

„Ja, schon okay. Und dein Handy, bitte. Mein Akku ist alle.“

„Wir haben hier drin keinen Empfang. Die Wände sind aus Blei und Asbest.“

„Egal, ich brauch nur die Taschenrechner-Funktion. Das kann ich niemals im Kopf rechnen. ... So ein Mist, daß Handys nicht mit Variablen rechnen. Ich bräuchte einen graphikfähigen Taschenrechner, oder so. Aber es muss irgendwie gehen“, murmelte Urnue, während er das Handymenü nach der Rechnerfunktion durchforstete. Er begann seitenweise mathematische Aufgaben niederzukritzeln und diese unter Verwendung seltsamer Symbole miteinander zu verbinden.
 

„Okay, Danny du musst mir helfen. Ich hab hier einen Zauberspruch für dich. Den musst du aufsagen, während ich an dem Bannkreis die Änderungen einzeichne“, erklärte Urnue und drückte ihm einen herausgerissenen Zettel in die Hand. In der anderen hielt er das Stück Wachskreide, das man ihnen freundlicherweise hier hatte liegen lassen.

„Ich bin kein Wort-Magier“, gab der verunsichert zurück.

„Das ist auch keine Wort-Magie. Das ist Bann-Magie, die auf Klang basiert.“

Josh warf von der Seite einen Blick auf den Zettel. „frange ostium? Die Tür zerstören? Müsste es nicht frange circulus heißen? Den Kreis zerstören? Das Ding ist ein Kreis, und keine Tür.“

„Danny hat nicht die Kraft, den ganzen Bannkreis zum Einsturz zu bringen. Er wird sich mit einem Durchbruch begnügen müssen.“

Der jüngere der beiden Jungen nickte. „Okay. frange ostium.“

„Sag es dem Bannkreis, nicht mir! Und vergiss nicht: das bloße Aufsagen von solchen Worten reicht nicht. Man muss sie auch wirklich so meinen, damit sie Wirkung entfalten. Versuch es!“

„Ähm ... fra ... frange ostium?“, fragte Danny schüchtern die Kreidelinien am Boden. Er kam sich unglaublich dämlich vor, mit einem Bannkreis zu reden.

Urnue schlug die Hände vor´s Gesicht. „Boar. Ich wusste ja, daß ihr mit Zaubersprüchen noch nichts zu tun hattet, aber so ein Mangel an Talent ist echt ...“

„Hier, nimm! Ich helf dir anders!“, verlangte Danny und hielt Urnue seinen Zettel auffordernd wieder hin. Er ging etwas keuchend in die Knie, da die Wunden ihn immer noch stark beeinträchtigten, und setzte sich vor den Kreis. „Ich will Nyu wiederhaben! Ich werde den Kreis mit meiner eigenen, magischen Fähigkeit unterdrücken, und wenn mir dabei der Schädel platzt!“ Entschlossen konzentrierte er sich, visualisierte den Bannkreis vor seinem geistigen Auge, bis er ihn trotz geschlossener Augen bildlich vor sich sehen konnte, und wischte ihn knallhart weg. Wie erwartet regenerierte sich das elende Ding innerhalb von 2 Sekunden neu.

Der schwarzhaarige Genius zog überrascht eine Augenbraue hoch. „Nicht übel. Aber so wirst du das nicht lange durchhalten. Konzentriere dich immer nur auf das kleine Stück direkt vor mir, damit ich die Änderungen einzeichnen kann. Und bleib dabei immer direkt hinter mir. Ich kann nur an dem Stück des Bannkreises Änderungen vornehmen, das du gerade zum Einsturz gebracht hast. An intakten Stellen schützt er sich selbst“, erklärte er und verfluchte dabei die meisterhafte Komplexität des Bannkreises. Dragomir war wahrlich nicht grundlos die rechte Hand des Motus-Bosses gewesen. Er sagte den Jungs lieber gar nicht, wie viel hier jetzt schiefgehen konnte. Und zwar nicht nur mit den Genii im Inneren des Bannkreises.

Danny nickte energisch. Genauso wie den magischen Kreis konnte er mit geschlossenen Augen auch die Genii um sich herum als gelb leuchtende Schemen sehen. Es sollte ihm also nicht schwer fallen, immer hinter Urnue zu bleiben, wenn der sich nach und nach um den Kreis herum arbeitete.
 

In Rupperts Haus herrschte unterdessen mächtig böse Stimmung. Victor war nach einer ganzen Weile wieder im Wohnzimmer erschienen, um zu schauen, was Ruppert inzwischen trieb. Der lag immer noch auf dem Teppich, machtlos zappelnd wie ein Fisch an Land, und rollte sich gelegentlich auf den Rücken und wieder auf den Bauch.

Victor lehnte sich in den Türrahmen, beide Hände selbstgefällig in die Hosentaschen geschoben, und sah ihm belustigt bei seinen Entfesselungsversuchen zu. Es war zwecklos. Das Seil bestand aus Bann-Magie. Man konnte es nicht lösen, wenn man nicht selbst ein Bann-Magier war. Und Ruppert war keiner.

Der in die Jahre gekommene Bankenbesitzer in seinem inzwischen sehr zerknitterten, grauen Anzug grollte, als er Victor allein zurückkehren sah. „Was hast du mit June gemacht, du Schwein!? Lebt sie noch?“

Victor ließ das Grinsen fallen und seufzte stattdessen resignierend. Das war die falsche Frage gewesen. „Was hast du denn dagegen? Die Motus hat das jahrelang in großem Stil getan. Und jetzt hast du plötzlich ein Problem damit, wenn sich jemand an einem Genius vergreift?“

„Mein Haus ist nicht die Motus! Und mein Personal ist nicht ...“

„Dein Personal!“, unterbrach Victor ihn verächtlich. „Du hast wirklich gar nichts verstanden. Immer noch nicht.“

„Was denn verstanden!?“, zeterte Ruppert. „Verdammt, rede doch endlich mal mit mir! Was zur Hölle willst du denn?“

Mit einem unterschwelligen Kopfschütteln drehte der Vize in der Tür um und verschwand wieder in den Flur. Er konnte Ruppert nicht sagen, was das alles hier sollte. Solange der nicht von selber darauf kam, war alle Mühe fruchtlos. „Vy? Du bist doch eine Bann-Magierin“, überlegte er laut, als ihm just in diesem Moment die Genia Intima des Zwillinge-Duos vor die Nase lief. „Ich muss die magischen Schutzwälle niederreißen, die das Haus sichern. Kannst du mir mal eben dabei helfen?“

„Klar. Sag mir, was ich tun soll.“

„Was? Victor! Lass das!!! Das wagst du nicht!!!“, konnten sie Ruppert aus dem Wohnzimmer schreien hören, der das noch mitbekommen hatte.

Der Russe rollte mit den Augen. „Ich hab einen Fehler gemacht. Ich hätte mich Ruppert nicht zeigen sollen“, erzählte er leise, während er mit Vy geruhsam das Haus verließ.

„Er vertraut dir immer noch viel zu sehr“, stimmte die zu. „Dir und eurer Freundschaft. Er glaubt offenbar nicht, daß du ihm wirklich was tun würdest.“

„Ich werde ihn mal ne Weile mit Ybi alleine lassen“, entschied er.

„Du bist gemein! Wieso darf ich keinen Spaß haben?“

„Du bist nicht halb so sadistisch wie dein Schützling. Ich bin sicher, sie macht den Job wesentlich besser.“

„Genug gepennt!“

Fünf Minuten später ließ Urnue den Kreidestift sinken. Fünf Minuten harter Arbeit. Fünf Minuten, die ihnen allen wie Stunden vorgekommen waren. Die letzte Überbrückung war gezeichnet. Es war ein wenig wie Schaltkreise umstecken. Der Bannkreis flackerte kurz und sank dann kraftlos in sich zusammen.

Danny gab seine Mühen auf und ließ sich haltlos zu Boden fallen, um sich erstmal auszuruhen. Da er diesmal nicht immer wieder den kompletten Bannkreis unterdrückt hatte, sondern immer nur ein kleines Teilstück davon, hatten sich seine Kopfschmerzen im Rahmen gehalten und seine Energie hatte sich nicht so schnell erschöpft. Aber trotzdem war er jetzt echt fertig mit der Welt. Er musste dringend lernen, mit seiner magischen Begabung umzugehen, damit diese elenden, körperlichen Nebenwirkungen verschwanden.

„Gott sei Dank, ich hab mich nicht verkalkuliert“, hauchte Urnue glücklich.

„Kalkuliert? Was wäre denn passiert, wenn du dich verschätzt hättest?“, wollte Josh argwöhnisch wissen.

„Holt eure Genii da raus, macht schon“, umging er die Frage und wuselte selbst schnell hinein, um Nyu, die gerade wieder zu sich kam, aus dem Kreidekreis zu ziehen. „Ich weiß nicht, wie lange die Überbrückungen halten. Der Bannkreis kann vielleicht wieder anspringen.“

„Wieder anspringen?“, wollte Danny verwirrt wissen und hob den Kopf wieder. „Hast du das Ding nicht tot gemacht?“

„Nein. Ich hab genau genommen deine magische Begabung, Magie zu unterbinden, manuell erzeugt. Das ist nicht ganz einfach, es gibt einige Zufallsfaktoren und Variablen dabei. ... Aber es ist ja nichts passiert!“, grinste er. „Nyu! Nyu, wach auf. Komm schon. Wir brauchen deine Hilfe.“

„Ja, Mann, du auch, Dicker. Genug gepennt!“, stimmte Josh zu und befreite seinen Steinbeißer von dem Knebel und den Fesseln, die Ybi und Vy ihm verpasst hatten.
 

Victor vertrieb sich die Zeit damit, Urnues Zimmer zu beaugenscheinigen. Hier gab es erschreckend wenig zu sehen. Da war ein Kleiderschrank voller Klamotten, die meisten davon schwarz. Immerhin. Victor wusste, daß der Wiesel-Tiergeist einen Faible für schwarze Sachen hatte. Der Rest waren gebügelte, sauteure Marken-Anzüge, wohl für die offiziellen Anlässe, zu denen Urnue seinen Schützling unmöglich in Gothic-Klamotten begleiten konnte. Dann wären da noch ein paar Sportgeräte in der Ecke, die früher im Keller gestanden hatten. Den Trainingskeller hatte Ruppert offenbar irgendwann wieder aufgelöst. Aber hier im Zimmer nahmen die sperrigen Dinger einfach nur furchtbar viel Platz weg und standen im Weg. Und daneben fanden sich noch ein paar durchweg praktische Dinge: ein Russisch-Lehrbuch, Lehrbücher für Bann-Magie, ein Tischkalender der durch irgendeinen Firmen-Schriftzug als Werbegeschenk ausgewiesen wurde, Schreibsachen. Es hingen keinerlei Bilder an der Wand. Es stand keine Deko auf den Möbeln. Der Raum hatte kein bisschen persönliches Flair. Es wirkte wie ein steriles Hotelzimmer, wenn man die Sportgeräte ignorierte. Urnue schien so gut wie keine eigene Habe zu besitzen.

Victor entdeckte einen alten Walkman mit einer handvoll Magnetband-Musikkassetten, alles ganz hinten in einer Schreibtisch-Schublade versteckt, als ob Ruppert es nicht versehentlich finden sollte. Unglaublich. Ruppert war so ein stinkreicher Sack, ein Banken-Besitzer mit Millionen auf dem Konto. Und sein Schutzgeist hatte ... nichts??? War das zu fassen? Nichtmal ein paar Belletristik-Bücher? Nichtmal einen eigenen Computer? Oder einen Fernseher? Oder sei es nur ein kitschiges Plüschtier auf dem Bett? Hatte Urnue denn in Rupperts Augen überhaupt kein Recht darauf, ein Individuum zu sein oder eigene Interessen zu haben? Durfte er nichtmal in seinem Zimmer die Musik hören, die er wollte? Nach einigem Suchen stieß Victor tatsächlich noch auf ein altes, abgegriffenes, zerfleddertes Foto, ebenfalls gut versteckt in irgendeiner Schublade. Es zeigte eine italienische Familie; Mutter, Vater und drei Kinder. Mit etwas Fantasie glaubte Victor in einem der Kinder Urnue in jungen Jahren zu erkennen. Wenn das alles war, was Urnue als Erinnerung an seine Familie hier hatte, dann war er echt nicht besser dran als ein verkaufter Sklave. Jeder andere hätte das Foto zumindest gerahmt auf den Tisch gestellt, aber selbst das sah Ruppert offenbar nicht gern. Alles was Victor in diesem Zimmer sah – und noch viel mehr das, was er nicht sah – bestärkte ihn in seinem Wissen, daß er hier gerade das Richtige tat.

Bevor der Russe sich weiter der vermutlich sinnlosen Suche nach persönlichen Gegenständen in Urnues Zimmer widmen konnte, ließ ein wehleidiges „June!“ ihn aufhorchen. Ruppert rief unten im Wohnzimmer um Hilfe. Vielleicht sollte er doch besser mal schauen gehen, was Ybi mit ihrem ehemaligen Finanz-Chef anstellte. Geruhsam räumte er die Schublade wieder ein, damit sein Herumgeschnüffel hier nicht so auffiel, und machte sich auf den Weg nach unten.

„June! come here! help me!“, rief Ruppert wieder durch das halbe Haus.

Victor lehnte sich in den Türrahmen des Wohnzimmers. „Dein Hausmädchen kann dir nicht mehr helfen. June hat jetzt andere Probleme“, stellte er klar und ließ das Bild auf sich wirken, die sich ihm hier gerade bot. Der grauhaarige Hausherr lag immer noch so da, wie Victor ihn zurückgelassen hatte. Wehrlos auf dem Boden, eingeschnürt in eine magische Fessel. Ybi hatte sich derb in seinen Haaren verkrallt, damit er sie ansah, und eine Bann-Marke leuchtete auf seiner Stirn. Wenn Victor das Zeichen richtig deutete, erzeugte es körperliche Schmerzen bei Ungehorsam.

„Victor! ... Dragomir!“, jammerte der Hellseher wehleidig und korrigierte sich dabei schnell nochmal auf den Namen, den er als Freund für Victor benutzen sollte. „Ruf deine Leute zurück! Sag ihnen, daß sie aufhören sollen! Bitte!“

Hoppla. Ein 'Bitte' aus Rupperts Mund? Victor musste schmunzeln. Sah so aus, als würde der Banken-Besitzer endlich einbrechen. „Ybi, was hast du mit ihm gemacht?“, wollte er spürbar belustigt wissen.

Die Bann-Magierin feixte. „Ich nehme ihm gerade die PIN-Codes für alle seine Konten ab. Er verrät sie mir zwar nur schleppend, aber ich komme voran. Nachher geh ich zur Bank und räum die alle leer bis zum Dispo-Limit.“

„Dragomir! Hab doch endlich ein Einsehen, bitte!“, heulte Ruppert dazwischen. „Mein ganzes Vermögen. Alles, was ich habe. Bitte hör jetzt auf.“

„Dann verrate ihr deine PIN´s doch einfach nicht“, schlug der Russe schulterzuckend vor. Völlig gelassen und sorglos. Als wäre die Bann-Marke auf Rupperts Stirn nur eine Lappalie, an der man sich nicht weiter stören brauchte.

Ein Schniefen. Ein einzelnes Tränchen, das eine Spur auf Rupperts Wange zog. Der Hellseher knickte weiter ein.

„Den Kerl braucht man nicht zu foltern. Geld tut ihm viel mehr weh“, merkte Ybi an. Auf diese Erkenntnis war sie stolz. Schon zu Motus-Zeiten hatte sie sich darauf verstanden, Gefangene möglichst schnell und effektiv klein zu kriegen, indem sie heraus fand, was ihnen am meisten zusetzte. Das war quasi ihre Spezialität. Und sie war sadistisch genug, das in vollen Zügen zu genießen. Sie liebte das.

„Ich brauche mein Geld noch. Echt, ich habe Zahlungsverpflichtungen. Ihr werdet mich ruinieren.“

Victor kam näher und ging vor Ruppert in die Hocke, um ihm eindringlich und selbstgefällig ins Gesicht sehen zu können. „Dir ist nicht mehr zu helfen, Kumpel“, meinte er ruhig. „Wenn Geld wirklich alles ist, was du hast, dann BIST schon ruiniert. Schon längst.“

Der Banker heulte endgültig los und schaute sich flehend nach der Tür um. Obwohl Victor sich nichtmal sonderlich Mühe gab, bedrohlich auszusehen, hatte Ruppert in diesem Moment Angst vor ihm, einfach weil er so nah war und so eine gnadenlos überlegene Ruhe ausstrahlte. So endgültig. So unabänderlich.

„June wird nicht kommen“, kommentierte Victor diesen Blick zur Tür. „Deine Söhne werden auch nicht kommen, um dir zu helfen. Und auch dein ganzes schönes Geld wird dir nicht helfen. Du hast verspielt.“

„Urnue ...“, wimmerte Ruppert geschlagen.

„Nein, der schon gar nicht.“

„Aber, er ... er ist doch ...“

„Ja? Was ist er denn?“, hakte Victor ernst nach, als Ruppert den Satz zu lange hängen ließ. Das erste Mal, daß überhaupt der Name 'Urnue' fiel. Das erste Mal, daß Ruppert bemerkte, daß es ja noch einen Schutzgeist in seinem Leben gab. Das war schonmal ein gewaltiger Fortschritt.

„Ist Urnue in Ordnung?“, würgte der Banker tränenerstickt hervor. „Sag mir, daß es ihm gut geht! Ich flehe dich an! Ich brauche ihn noch!“

„Ach, auf einmal!? Ich dachte, der ist dir nichts wert. Woher der Sinneswandel?“

„Bitte! Wo ist er, Dragomir? Du hast ihm doch nichts getan, oder?“

„Keine Ahnung, was aus ihm geworden ist. Ich müsste mal wieder nachgucken gehen, was meine Leute gerade mit ihm anstellen“, blöffte er. Der Tür-Gong lenkte Victor ab und ließ ihn den Kopf Richtung Flur wegdrehen.

„Dragomir, gib mir Urnue wieder ... bitte ...“

„Lass uns später weiter diskutieren.“ Der Russe stand aus seiner Hocke auf und stiefelte davon, um erstmal zu schauen, wer da geklingelt hatte.

„Dragomir!“, rief Ruppert ihm verzweifelt nach, aber erfolglos. Er bekam seine Antwort vorläufig nicht mehr. Er versuchte sich einzureden, daß Victor dem Wiesel-Tiergeist unmöglich was angetan haben konnte. Victor und Urnue waren doch Freunde, oder nicht? Andererseits war er selbst ein Freund von Victor. Und hatte es ihm irgendwas genützt? Er lag trotzdem gefesselt hier in seinem eigenen Haus und wurde von ungebetenen Gästen nach Strich und Faden fertig gemacht. Mit Victor befreundet zu sein, war noch keine Lebensversicherung.

„Ah, da seid ihr ja.“

Danny und sein Rettungskommando saßen noch fast zwei weitere Stunden in der alten, baufälligen Lagerhalle fest, weil sie partu keinen Ausgang aus dem Fallen-Bannkreis fanden, der die Tür blockierte. Hilfe rufen konnten sie mangels Handyempfang ebenfalls nicht und Josh´s Genius Intimus konnte auch trotz seiner Röntgen-Augen die Quelle nicht ausfindig machen. Er sah lediglich, daß die magischen Wände einen geschlossenen Käfig bildeten. Es war nicht nur die Tür, die verbarrikadiert war, sondern sie konnten auch nicht durch die Fenster entkommen oder durch die Außenmauern gehen, sofern einer von ihnen die Fähigkeit gehabt hätte, durch Wände zu gehen oder sie einzureißen. Urnue, der auf die Astralebene wechseln konnte, musste bei einem entsprechenden Versuch feststellen, daß man nichtmal auf diesem Wege entkam.

Es war Nyu, die letztlich die rettende Idee hatte. Danach ging alles verhältnismäßig schnell. Ihre Hoffnung, daß die Falle, die sie in der Lagerhalle einsperrte, nur aus Wänden bestand und kein Dach hatte, wurde erfüllt. Nyu und der Steinbeißer, der sich als ein steingrauer, ebenfalls flugfähiger Gargoyl entpuppte, brachen einfach durch die marode Decke der Lagerhalle und trugen ihre Schützlinge und Urnue dann hinaus. Dabei war das Schwierigste an der ganzen Sache eigentlich, die Harpyie und den Gargoyl davon abzuhalten, sich gegenseitig in der Luft zu zerfetzen. Obwohl sie beide Geschöpfe der Nacht waren, konnten sie sich nicht ausstehen. Das war wohl eine uralte, traditionsreiche Fehde zwischen diesen beiden Rassen. Das konnte wirklich noch heiter werden. Danny war jetzt schon ein wenig froh, daß sein Bruder demnächst ausziehen würde, um zu studieren, und seinen Genius mitnahm.
 

Victor zog die Tür auf und ließ Vy herein, die draußen für ihn Späer gespielt hatte. Sie sollte nachsehen, was in der Lagerhalle inzwischen vor sich ging. Wenn sie jetzt schon unangekündigt zurück kam, musste irgendwas passiert sein.

chto?“ [Was ist?], wollte er wissen.

„Dein Komparse hat sich befreit“, erzählte sie, wohlweislich so leise, daß Ruppert im Wohnzimmer es nicht hörte. „Sie sind auf dem Weg hier her.“

„Oh“, meinte der russische Vize zwischen erschrocken und anerkennend. „Das ging schneller als ich dachte“

„Wie weit ist dein Plan gediehen?“

„Es wird reichen, hoffe ich.“ Er winkte der Minotaurin, ihm ins Haus zu folgen. „Komm, lassen wir Ruppert wieder frei. Urnue bringt uns um, wenn er seinen Schützling so findet. Wieviel Zeit haben wir?“

Vy legte beim Nachdenken den Kopf schief. Normalerweise brauchte man für den Weg etwa 15 Minuten im Spaziergang. Urnue hatte es extrem eilig, was angesichts der Situation nachvollziehbar war. Und als Wiesel konnte er verflucht schnell sein. Aber einer der Jungen schien nicht so richtig fit zu sein, darum kam die ganze Gruppe langsamer voran als sie unter anderen Umständen gewesen wären. Nun war die Frage, ob Urnue voraus eilte und sie nachkommen ließ, oder ob er bei den Jungen blieb. „Ich denke, 10 Minuten, wenn sie sich beeilen“, prognostizierte Vy schließlich voller Überzeugung.

Victor enterte abermals das Wohnzimmer und baute sich mit verschränkten Armen vor Ruppert auf, der von Ybi derweile gut bei Laune gehalten worden war, so daß er von der Rückkehr des anderen 'Zwillings' gar nichts mitbekommen hatte. „Okay, nochmal von vorn, towarisch ...“, hob Victor drohend an.
 

Die Haustür öffnete sich ganz von selbst, als Urnue eilig quer über das Grundstück hetzte. Sie mussten nicht erst klingeln, sie waren offensichtlich schon erwartet worden.

„Ah, da seid ihr ja“, meinte der fremde Mann freundlich, der ihnen die Tür öffnete. „Ihr seid spät dran. Kommt rein.“ Er zog die Tür ganz auf und machte eine einladende Geste in den Hausflur hinein. Er war jung, rein von seiner Optik her konnte er kaum 25 Jahre alt sein. In seinem hübschen, harmlosen Gesicht machte sich ein ehrliches Lächeln breit. Er war etwas kleingeraten und von schmächtiger Statur, die er unter einem bodenlangen Ledermantel zu kaschieren versuchte. Lange, schwarze Haare rahmten wie Vorhänge sein jugendliches Gesicht. Er machte einen durch und durch sympatischen, niedlichen Eindruck. Urnue murrte leise, als er an der nett wirkenden, halben Portion vorbei eintrat. Er wusste, daß dieses Milchbubi-Aussehen täuschte. Erheblich täuschte! Er grüßte auch nicht, sondern begnügte sich nur mit einem bitterbösen Blick und ging weiter.

Victor schmunzelte ihm nur amüsiert hinterher. Er konnte Urnues Wut verstehen. Dann wandte er sich Danny und Josh zu, die als nächstes herein kamen. „Hi. Ich bin Victor Dragomir Raspochenko Akomowarov“, stellte er sich den beiden Jungen langsam und betont vor, als wolle er, daß man sich diesen Namen gut merkte. „Aber nennt mich doch Victor, das tun sowieso alle“, fügte er lächelnd an und deutete einladend auf das Wohnzimmer zur linken Seite.

Urnue, der schon voraus geeilt war, sah sich schnell um. Hier war alles so auffallend normal und geordnet, abgesehen von ein paar Sachen, die sich willkürlich auf dem Schreibtisch stapelten. Er hatte erwartet, das Haus in chaotischen Kämpfen verwüstet vorzufinden. Aber nichts deutete auch nur ansatzweise darauf hin. Das einzige was störte, waren Ybi und Vy, die wie Securitys mitten im Raum herumstanden. Das die mit Victor zusammenarbeiteten, hätte Urnue bis gestern beim besten Willen nicht gedacht. Er hatte die zwei seit dem Ende der Motus für freischaffende Gauner gehalten. „Ruppert!“, brachte er erleichtert hervor, als er seinen Schützling missmutig auf dem Sofa sitzen sah. „Gott sei Dank, du bist okay! ... Bist du doch, oder?“

Ruppert grummelte etwas unverständliches in sich hinein.

„Nehmt ruhig Platz!“, lud Victor die anderen ein, während er sich selbst äußerst geschmeidig und wohlbeherrscht in einen Sessel sinken ließ und die Unterarme lose links und rechts auf den Lehnen parkte. Überhaupt wirkte jede seiner Bewegungen bis zur psychologischen Vollendung ausgereift.

„Warum hast du mich weggesperrt?“, platzte es sauer aus Urnue heraus.

„Weil ich dich nicht verletzen wollte“, entgegnete der Vize mild. „Ruppert hätte dich nur in sinnlose Kämpfe mit mir verwickelt. Nimm es nicht persönlich. Ich wollte weder dir noch deinem Schützling etwas tun, ich wollte lediglich in Ruhe mit Ruppert reden können.“

Ruppert zischte leise. 'Reden' nannte der das also. Deshalb gaukelte man seinem Gegenüber auch vor, sämtliche Wertgegenstände zu beschlagnahmen, die Bibliothek niederzubrennen, die Hausangestellten zu missbrauchen und das gesamte Haus zu entsichern. Inzwischen wusste Ruppert, daß Victor nichts davon wirklich getan hatte, sondern alles nur ein einziger, großer Bluff gewesen war. Er hatte in der Bibliothek nachgesehen. Die stand noch. June war unversehrt wieder aufgetaucht. Und ihm war auch versichert worden, daß die magischen Schutzwälle, die das Haus gegen eindringende Wesen auf der Astralebene und gegen magische Übergriffe abschirmten, ebenfalls noch intakt waren. Letzteres konnte Ruppert im Moment selber nicht nachprüfen, weil er kein Bann-Magier war und daher entsprechende Schwingungen nicht wahrnehmen konnte. Dafür hätte er auf die Astralebene wechseln müssen. Dort konnte er solche Energiefelder sehen. Aber seit Victors Erziehungsmaßnahme würde er einen Teufel tun, sich nochmal ohne Urnue dort hin zu wagen und sich von Harpyien angreifen zu lassen. Also glaubte er Victor das einfach mal. Wie auch immer, seine Wirkung hatte es bei Ruppert jedenfalls nicht verfehlt.

Urnue sah weiter mit großen Augen Victor an. Auch wenn er immer noch ein bisschen sauer war, überwog doch langsam die Freude, ihn endlich mal wieder persönlich zu sehen. Alles an ihm war so sanft und ruhig, daß man ihn sich nur schwerlich als mächtigen Kämpfer geschweige denn als Motus-Stammhalter vorstellen konnte. Langsam verstand Urnue den Spruch, daß Victor ein verkappter Führer war. Aufgrund seiner Fähigkeiten hätte er die Motus damals komplett übernehmen und anführen können, wenn er gewollt hätte. Nur sein viel zu sanftes, antiautoritäres Auftreten passte beim besten Willen nicht dazu. Als Befehlshaber nahm man ihn meistens nicht ernst, wenn er nicht gerade vorsätzlich den Bad Guy raushängen ließ. Und das tat er nur im Notfall. Wohl darum war er bis zum Ende immer nur die rechte Hand des Bosses geblieben. Aber die Motus gab es nicht mehr, das war Geschichte. Heute war er sein eigener Boss und ging einem höchst zwielichtigen Gewerbe nach. Ihm wurde immer wieder nachgesagt, magisch begabte Menschen anzugreifen. Victor selbst war ein Genius ohne Schützling. Es kursierten die tollsten Gerüchte, warum er keinen Schützling hatte. Es hieß, der sei bereits tot, teilweise sagte man sogar, Victor selbst habe ihn getötet. Wahrscheinlicher war aber, daß er nie einen Schützling gehabt hatte. Die wenigsten Genii waren zum Genius Intimus geboren, der überwiegende Teil war dann doch ungebunden.
 

Victor sah seinerseits einen Moment verwundert auf Nyu. „Hast du etwa deinen Genius Intimus gefunden, Danny?“, wollte er im Plauderton wissen. Natürlich hatte er sich die Namen der Jungen damals gut gemerkt. Wissen war Macht, vor allem in dem Gewerbe, in dem er unterwegs war. „Ausgerechnet eine Harpyie?“ Das hatte Vy ihm verraten. Er konnte nicht hinter die Maske eines Genius in seiner menschlichen Tarngestalt sehen. Aber das mussten die anderen ja nicht wissen. Er war ein Magister Artificiosus Magicae. Sollten die ihm mal schön eine Menge Fähigkeiten andichten! „Harpyien sind aufbrausend und neigen zu vorschneller Gewaltanwendung. Sie passt gar nicht zu dir.“

„Du erlebst gleich, wie aufbrausend ich sein kann! Urnue zu entführen war dein Todesurteil!“, kreischte Nyu, ihre Stimme schon auf Harpyien-Frequenz umgestellt, und stürzte sich auf den jungen Magister Magicae.

„Nyu, nein!“, keuchte Urnue. Sie durfte nicht einfach kopflos irgendwelche Leute verprügeln, egal wie sauer oder aufbrausend sie war. Das war strafbar! Es war die eine Sache, daß sie Danny in ihrer Panik verletzt hatte. Das konnte man als Unfall deklarieren. Aber Victor anzugreifen, war auf jeden Fall ein Vergehen. Und obendrein noch der pure Selbstmord! Urnue wusste ja nur zu gut, was der Russe drauf hatte. Er wollte sie am Arm zurückhalten, bekam sie aber nicht mehr zu fassen.

Auf den nur knapp 5 Schritten bis zu ihm vollzog sie die Verwandlung in ihre wahre Gestalt komplett. Victor hob mit einem milden Lächeln ruhig eine Hand und Nyu prallte mit einem dumpfen 'Klong' von seiner Schutzbarriere ab wie von einer Glasscheibe. Verwirrt taumelte sie einen Schritt zurück, ehe sie sich wieder fing. Sofort stürzte sich von der anderen Seite Urnue auf den Magier, unvermittelt in seine Wiesel-Gestalt hinüber wechselnd, um einzugreifen bevor Victor Nyu ungespitzt in den Boden rammte. Er wurde aber von einem Feuergebilde zurückgetrieben, das Victor mit seiner anderen Hand wie eine Peitsche um sich herumwirbelte, ohne die schützende Barriere aufzugeben. Victor wollte das ohne Einmischung klären.

Die meisten gafften ihn perplex an. Victor konnte zwei grundverschiedene Zauber zur gleichen Zeit wirken, wobei er sich auf keinen von beiden sonderlich konzentrieren zu müssen schien. Welches Niveau hatte dieser Kerl? Gab es überhaupt noch jemanden, der ihn schlagen konnte?

Nur Nyu war egal, wer oder was dieser Victor war. Wild kreischend warf sie sich immer wieder gegen seinen Schutzzauber, der wie ein Schild vor ihm stand, in der Hoffnung, ihn irgendwie gewaltsam durchbrechen zu können. Dann schleuderte sie ihre Klauen-Angriffe aus zwei Schritten Entfernung auf ihn, wobei sie ihre Fähigkeit der Distanzüberbrückung nutzte.

Victor rollte gespielt genervt mit den Augen, als die auf Distanz übertragenen Energiesalven wie Donner auf seinen Schutzschild krachten, aber natürlich nichts ausrichteten. Er erhob sich aus seinem Sessel zumindest in eine stehende Position.

Vy wollte dazwischen gehen und dem ein Ende bereiten. Aber so wie sie ihre wahre Gestalt eines Minotaurus annahm, stürzten sich schon June, Urnue und Josh´s Dicker auf die Zwillinge, um sie aufzuhalten.

Victor stemmte missmutig eine Hand in die Hüften, die andere hatte er noch gegen Nyu zur Abwehr erhoben. Es war eine Geste, hart an der Grenze, überheblich zu wirken, weil sie so gar nicht zu seinem bisherigen, weichen Auftreten passte.

Nyu deckte ihn wie eine Furie immer weiter mit Schlägen und krachenden Energiesalven ein, ohne dessen müde oder überdrüssig zu werden.

Urnue balgte sich inzwischen mit Ybi herum, die ebenfalls hatte einschreiten wollen, und die für eine menschliche Frau erstaunlich viel Kraft hatte. Josh´s Gargoyl hatte seine wahre Gestalt angenommen und prügelte sich gemeinsam mit ihrem Feen-Hausmädchen June mit ihrem Schutzgeist Vy. Es stoben Funken bei jedem von Junes Flügelschlägen. Kurzum, es war ein unbeschreiblicher Krieg der unterschiedlichsten Fabelwesen, und das Wohnzimmer war binnen weniger Augenblicke ein einziger Trümmerhaufen. Gellende Schreie erfüllten das Chaos, Danny und Josh wollten aus dem Zimmer hasten und sich vor den tieffliegenden Zaubern in Sicherheit bringen, leise untermalt vom verängstigten Wimmern ihres Vaters, der mit einer kostbaren Vase in den Armen hinter einem Sessel kauerte.

„Ich sage nicht, daß Gewalt immer zwecklos ist.“

Der einzige Ruhepol in der ganzen Schlachterei und Prügelei war Victor Akomowarov, der mit einer Hand seinen Schutzschild aufrecht hielt und das Spektakel nur kopfschüttelnd verfolgte. Was waren die nur alle so kampfwütig? Nur weil Nyu ihm an den Kragen gewollt hatte, war gleich eine vollversammelte Massenschlägerei unter allen Anwesenden ausgebrochen? Das war ja unglaublich. „Genug!“, gebot er schließlich und hob die andere Hand mit einer weichen Bewegung. Schlagartig kehrte Stille ein. Alle erstarrten. Man wusste nicht, ob er sie allesamt mit einem Paralysezauber belegt hatte, was eine reife Leistung wäre, oder ob sie einfach nur zu viel Angst vor ihm hatten, um seine Weisung zu ignorieren. „Ihr seid ja wie tollwütige Hunde. Was soll das?“, wollte er wissen. „Bringt Gewalt hier irgendjemanden weiter?“, fügte er genervt an.

„Das sagt einer, der Magier und ihre Genii angreift“, maulte Nyu. In den zwei Stunden in der Lagerhalle hatte Urnue ja genug Zeit gehabt, ihnen noch einiges über diesen Victor und die ehemalige Motus zu erzählen. Sie ließ die Hörner des Minotauren los, auf den sie sich inzwischen gestürzt hatte, weil sie an Victor nicht herankam. Sie verwandelte sich zurück in ihre menschliche Gestalt.

„Ich sage nicht, daß Gewalt immer zwecklos ist. Aber jetzt, in diesem Haus, ist es einfach nur Kraftverschwendung“, gab Victor lächelnd zurück. „Heute bin ich nur geschäftlich hier. Und ihr müsst in diesem Wohnzimmer nicht nachholen, was Ybi und Vy bisher an Sachschäden versäumt haben. Euer Vater und ich haben einen Deal. Na los, Ruppert, lass hören!“, verlangte er mit gleichmütiger Stimmlage.

Dannys Vater kam zögerlich, mit verstohlenem Blick hinter seinem Sessel hervorgekrochen und räusperte sich. Bedächtig stellte er seine Vase zur Seite, die er schützend an sich gepresst hatte, nur um Zeit zu gewinnen. Er war sichtlich verlegen, so hatten sie ihn noch nie in ihrem Leben gesehen. Er war immer der harte Kerl gewesen, der seinen Kopf rabiat durchsetzte. „Ich ... ähm ... also ...“ Er überlegte nochmal kurz, wie er am besten anfangen sollte, und strich sich die Anzugjacke glatt. Dann holte er vernehmlich Luft. „Urnue. Ich muss mich ...“

„Ich WILL mich ...“, korrigierte Victor von der Seite.

„Ich will! Ich will mich entschuldigen ... bei dir ...“

Urnue trat befremdet einen Schritt zurück, wandte sich sogar eine Winzigkeit von Ruppert ab, völlig verstört über so ungewohnte Worte, und musterte ihn mit skeptischen Augen. Entschuldigen??? Ausgerechnet Ruppert? War mit dem alles okay?

„... entschuldigen für alles, was ich dir ... ähm ... angetan habe, in gewisser Weise. ... Ich weiß, ich hatte nie den nötigen Respekt vor dir. Ich habe dich immer nur mit Verachtung gestraft, obwohl du mir mehr als einmal das Leben gerettet hast. ... also ... ich weiß nicht, wo Dragomir dich hingebracht hat, aber diese Stunden ohne deinen Schutz und ohne die Gewissheit über den Verbleib meiner Söhne haben mir endlich vor Augen geführt, wie sehr ich doch auf dich angewiesen bin.“

Urnue legte sich ungläubig alle zehn Finger links und rechts an die Wangen, weil er nicht mehr wusste, wohin sonst mit seinen Händen. Das war einfach zu viel, er war sprachlos. Ein leichtes Zittern ging durch seinen gesamten Körper, während er Ruppert mit großen Augen ungläubig angaffte.

„Und ...“, fuhr Ruppert nach kurzem Hadern fort. „ ... und ich will dir ab jetzt mehr Freiheiten lassen und dich nicht mehr so ... ähm ... abwertend behandeln.“ Das Wort kam ihm nur schwer über die Lippen.

„Schwöre!“, verlangte Victor von der Seite.

„Ich schwöre es!“, gab Ruppert dezent verzweifelt zurück und machte eine untertänige Verbeugung vor dem Magier.

„Nicht mir! Schwöre es deinem Genius Intimus!“, verlangte dieser aber fast wütend.

Der Banker drehte sich schnell wieder zu Urnue um. „Urnue, ich schwöre, ich werde dich ab jetzt besser behandeln. ... Verzeih mir. Bitte.“ Seine Stimmlage wechselte. Hatte sein Vortrag bisher geklungen wie ein auswändig gelernter Text, kam jetzt offenbar der Teil, den er ernst meinte und der aus dem Herzen sprach: „Ich gebe zu, es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, was Dragomir mir heute beweisen wollte. Bis ich es eingesehen habe. Aber es ist wahr, ohne dich bin ich aufgeschmissen. Ich bin hilflos. Machtlos. Ohne seinen Schutzgeist ist ein Magier nichts. Ich brauche dich, Urnue. Ich habe jetzt ein völlig anderes Bild von dir. Du bist mir wichtiger geworden. Und ich bin dankbar dafür, dich zu haben. Du bist nicht minderwertig, weil du ein Genius bist. Im Gegenteil. Du bist mächtig und ... und so unglaublich loyal ... und ... ja ...“

Der völlig in schwarz gekleidete Genius fuhr sich ratlos durch die Haare. Solche Töne hatte Ruppert noch nie gespuckt. Konnte er das ernst nehmen? Und was um Himmels Willen lief hier? Das Ruppert ihn besser behandelte, war der Preis ... wofür eigentlich? Er hatte mit Dragomir einen Deal? Hatte Dragomir das alles hier am Ende eigens für ihn, Urnue, aufgezogen? Sollte Dragomir ihm wirklich ein so guter Freund sein, daß er für ihn dermaßen radikale Wege ging? „Entschuldigung angenommen!“, meinte Urnue und ging zu seinem Schützling, um ihn in die Arme zu schließen. Ruppert sah fix und fertig aus. Das alles hatte den groben Haudegen wohl doch mehr mitgenommen als gedacht.
 

„Ybi, Vy, wir sind fertig, kommt“, ordnete Victor an und setzte sich in Bewegung. „Ich hab dich weiter im Auge, Ruppert“, fügte er noch drohend an und war dann zur Tür hinaus und auf dem Weg, das Haus zu verlassen.

„Das war eine harte Aktion“, quasselte Vy fröhlich, als sie den Magister Artificiosus Magicae hinaus begleitete.

„Ihr habt gute Arbeit geleistet.“

„Springt da vielleicht eine kleine Belohnung raus?“, wollte Ybi in ihrer quietschigen Stimme wissen.

„Mal sehen, ich verspreche euch nichts“, meinte der Russe noch amüsiert, dann fiel die Haustür hinter den dreien zu.

Ruppert, Danny, Josh und ihre drei Genii blieben schweigend im Wohnzimmer zurück. Sie alle hatten viel Stoff zum Nachdenken. Gespenstige Stille senkte sich über die ganze Szene. Alle schauten bedröppelt von einem zum anderen.

Urnue hatte den starken Drang, Victor nachzurennen. Der durfte doch jetzt nicht einfach so sang- und klanglos abhauen! Nicht, wenn er schonmal in London war und Urnue ihn nach zwei Jahre endlich wieder sah! Nicht, ohne sich wenigstens ordentlich zu verabschieden. Überhaupt hatte Victor diese lästige Angewohnheit, ohne Verabschiedung zu verschwinden. Aber Urnue konnte Ruppert ja jetzt in dieser Situation auch nicht einfach stehen lassen und wegrennen. Andererseits war das Versprechen, daß Victor weiter über Rupperts Haus wachen würde, ganz beruhigend.

„U., wolltest du nicht schon immer Gitarre spielen?“, warf Ruppert etwas kleinlaut ein, wohl um das peinliche Schweigen zu unterbrechen. „Sollen wir dich in einer Musikschule anmelden?“

Danny hätte sicher eingeworfen, daß er dann aber auch Schlagzeug lernen wolle. Aber er kam nicht mehr dazu, denn in diesem Moment nahmen ihm die schmerzenden, entzündeten Wunden auf seinem Oberkörper endgültig das Bewusstsein.
 

Als der Junge wieder zu sich kam, hatte ihn ein Gefühl der Betäubung vereinnahmt. Er wusste nicht wo er war, wer er war und warum alles so war wie es eben war. Mit verquollenen Augen sah er sich um. Um ihn herum war ein steril wirkender Raum, er lag in einem Bett mit chemisch riechender Bettwäsche. Gruselige Geräte, die er nach kurzem Überlegen für medizinischen Ursprungs hielt, blinkten ihn skeptisch und monoton an. War das hier ein Krankenhaus? Einen Moment lang fragte er sich ernsthaft, ob die ganzen Ereignisse der letzten Tage vielleicht nur Fieberträume gewesen waren und es weder seinen Genius Intimus noch Victor jemals gegeben hatte. Aber dann entdeckte er am Fußende seines Bettes Nyu. Sie war im Sitzen eingeschlafen und nach vorn auf sein Bett gesunken. Eigentlich erkannte er sie nur an dem üppigen, schwarzgrünen Haarschopf, der sich schwungvoll auf der Decke ausgebreitet hatte und den Rest ihres zierlichen Körpers halb begrub.

„Ach, bist du auch endlich wieder wach?“, wollte Urnue wissen, der lautlos in den Raum geschlüpft kam, ganz seiner wieseligen Art entsprechend. Ihm dicht auf den Fersen folgte Dannys Vater Ruppert.

„Was ist passiert?“, krächzte Danny und bemerkte erst jetzt, wie entsetzlich trocken sein Hals war. Nyu regte sich, geweckt von dem Gequatschte, und richtete sich stöhnend auf. Sehr bequem war ihre Schlafhaltung auch nicht gewesen.

„Was passiert ist? Du bist nach Dragomirs großem Auftritt umgekippt, ganz einfach. Die Krallenwunden waren böse entzündet, du glaubst ja nicht, wieviel Antibiotika die Ärzte dir in den Hintern gejagt haben“, grinste Urnue. „Aber jetzt solltest du über den Damm sein. Die Wunden werden verheilen und fertig. Mit etwas Glück bleiben nichtmal richtige Narben zurück, sagt die Oberschwester. ... Hier, trink was.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
* Zitate aus "Schutzbestie" von Salix > in ihren FF´s zu finden Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
* Die Befreiungs-Szene wurde im Wesentlichen von Salix kreiert (Nat und Seiji sind ihre Charas aus ihrer FF "Schutzbestie". Die beiden gehören nicht mir, ich verwende sie nur mit Genehmigung.). Ich durfte meine Amigos da netterweise mit reinbasteln. Vielen Dank an dieser Stelle nochmal an Salix. ^_^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, jetzt sehen wir Rupperts wahres Wesen. (Ich glaube, ich arbeite zuviel mit Rückblenden. Ich hätte die Story nicht in der Mitte anfangen sollen. XD)
* Zitate aus dem Codex Geniorum von Salix, zu finden in ihrer FF "Schutzbestie" Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Okay, den letzten Szenen-Schnippsel musste ich einfach einfügen, um euch kein falsches Bild von Victor zu zeichnen, auch wenn ich dadurch sicher schon etwas spoilere. Wenn ein Chara erstmal unsympathisch geworden ist, ist es verdammt schwer, ihn den Lesern wieder schmackhaft zu machen. ^^° Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wir hatten schon viel zu lange keine Rückblende mehr. XD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, nun hat der Herr seinen Willen. XD
Danke an alle meine Leser, die bis hier her mitgelesen haben. Ich hab euch genau gesehen. O_~ Komplett anzeigen

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