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Partner unwanted

but desperately needed
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Danke an Zaizen fürs Beta-Lesen, auch wenn sie D:BH nicht wirklich mag =D
Und ansonsten wünsche ich allen viel Spaß beim Lesen der FF! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Abermals ein riesiges Dankeschön an Zaizen fürs Beta-Lesen :3
Ansonsten wünsche ich viel Spaß beim Lesen! (Und ich schwöre, sie werden in den zukünftigen Kapiteln besser miteinander auskommen...zumindest etwas xD). Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
*Schiebt Zaizen einen Haufen Kaffee fürs Korrigieren hin* Dankefein~
Ansonsten wie immer viel Spaß beim Lesen! =) Komplett anzeigen

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Blechdosenkarambolage

16.12.2039 17:43 Uhr; außerhalb Detroits; verlassenes Bootshaus
 

Schon als Reed losrennt, weiß er, dass es das Dümmste ist, was er jemals in seinem Leben getan haben wird.
 

Das morsche Holz unter seinen Füßen ist nass und rutschig vom halb geschmolzenen Schnee. Weswegen er die letzten Zentimeter mit einem idiotischen Hechtsprung überwindet. In der Bewegung ist keine Grazie, keine Struktur, nur ein verzweifelter Versuch ein Schild zwischen der Person und dem unvermeidlichen Pistolenschuss zu werden.
 

Wobei Person der falsche Begriff ist.

Vielmehr ist hier von seinem Partner die Rede.

Wobei er das sogar jetzt noch bestreiten würde.

Er wird niemals RK900 als Partner oder als ein denkendes, lebendes Wesen betrachten.
 

Auch, wenn seine Instinkte ihn direkt in die Schusslinie geführt haben, um dessen Leben zu retten.
 

Die Überraschung darüber steht dem Androiden ins Gesicht geschrieben, als er sich zu Reed umdreht. Sein Mund ist in einer O-Form geöffnet und Reed hätte ihn wahrscheinlich damit aufgezogen, wenn nicht genau in der Sekunde ein ohrenbetäubender Knall gefallen wäre. Und in der Nächsten glühendes Metall seine Haut und Knochen zerreißt.
 

Der Rückschlag reißt Reed mit Gewalt zurück und bringt ihn an den Rand des Stegs, wo er anstatt auf festen Grund ins Nichts tritt. Kurz dreht sich die Welt wie in einem Kettenkarussell, die Farben von weißem Schnee, dunklem Wald und das Gelb der LED von RK900, was plötzlich Rot wird, bevor ihm das eisige Wasser des Sees ergreift und in dessen Tiefen zieht.
 

Sein Körper verweigert ihm jegliche Motorik, höchstwahrscheinlich aus Schock und Schmerz, weshalb Reed wie ein Stein untergeht. Wie in Trance fixieren seine Augen das Loch im Eis, welches er geschlagen hat und die einzige Lichtquelle in der Dunkelheit ist. Beobachtet wie Blasen an ihm zum Licht vorbei schwimmen und wie sein Blut eine verschwommene rote Spur hinterlässt. Beinahe wäre Reed nach Lachen zumute gewesen, wenn ihm nicht all seine Sinne in einem schwindelerregenden Tempo versagen würden. Wer hätte gedacht, dass sein Tod so morbid ästhetisch und ruhig verlaufen würde und das aus so einem amateurhaften Fehler heraus? Sicherlich nicht Reed vor sechs Monaten.
 

Die Dunkelheit kroch immer näher heran, bis sie ihm nach und nach die Sicht nahm. Die Blasen versiegten, das Licht wurde zu einer Stecknadel und die letzten dunklen Flecke seines Blutes verhöhnten ihn tänzelnd. Das Letzte was Reed spürte, war ein heftiger Ruck an seiner Schulter.
 

04.06.2039 19:38 Uhr; DPD Central Station
 

Missmutig starrte Reed das Stück Papier in seiner Hand an, so als hätte es ihm gerade ins Gesicht gespuckt. Chen beugte sich leicht über seine Schulter, um ebenfalls darauf zu schauen, bis sie feixte: „Wow Reed. Ist das nicht schon das dritte Mal, dass du den Kurs versaut hast?“ Wirsch stieß er mit dem Ellbogen nach ihr, worauf sie nur belustigt kicherte, Reed war es einerlei, hauptsache er kriegte seinen persönlichen Freiraum zurück.
 

„Kümmer' dich um deinen eigenen Scheiß“, knurrte er Chen an, bevor er das Schreiben achtlos zusammenknüllte und in den Mülleimer unterhalb seines Schreibtisches warf, der förmlich von leeren Pappbechern und einem Haufen Flyer, die über den freundlichen Umgang mit Androiden handelten, überquillte.

Seit der erfolgreichen Revolution und dem Friedensabkommen gab es davon mehr als genug. Genauso wie Androiden, die plötzlich verlangten, dass man sie gleichberechtigt behandelte. Was Reed im Normalfall nur verächtlich schnauben ließ. Niemals würde er die Plastikdinger als Gleichgesinnte ansehen. Sie bluteten nicht einmal rot, wenn man es bei den Androiden überhaupt Blut nennen konnte.
 

Genau diese abweisenden Gedankengänge oder Ansichten, waren die Gründe dafür war, warum er schon zum dritten Mal durch den Androiden-Sensibilitätskurs gefallen war. Fowler würde ihm die Hölle heiß machen. Jeder im Revier musste diesen bestehen, da sie als Polizei der Öffentlichkeit ihre Toleranz gegenüber der Androiden-Gleichstellung geschlossen beweisen mussten. Außerdem war es wichtig, da sie ansonsten keine Freigabe für den Dienst bekamen, zumindest offiziell und ohne unliebsame Seitenkommentare aus Richtung der Verwaltung. Was Fowler mehr als einiges an Schlaf kostete. Und jeder im Revier wusste, wie wichtig ihm sein Schlaf war.
 

Genervt versetzte Reed dem Mülleimer einen Tritt. Er hatte wirklich bessere Dinge zu tun, als sich das Gelaber von irgendwelchen Pro-Androiden Leuten anzuhören. Arbeiten zum Beispiel. Oder Freizeit. Denn zwar hatte man sich im Fernsehen fröhlich die Hände geschüttelt, aber die Verbrechensrate war höher als jemals zuvor. Der Grund dafür war, dass Androiden jetzt als Opfer und Täter in der Verbrecherstatistik aufgeführt wurden. Was mehr Fälle verursachte, wofür es nicht genügend Personal gab. Was Überstunden bedeutete, die meistens nicht einmal bezahlt wurden. Reed würde gerne das einmal übermüdet und überarbeitet einem dieser Hirnies bei dem Sensibilitätskurs in die Fresse drücken.
 

„Du musst doch nur Ja und Amen sagen“, durchbrach Chen seine Gedankengänge, die ihn leider weiter mit ihrer Präsenz beglückte. Reed war es ein Rätsel, wie das halbe Revier Chen für eine nette Person hielt. Gerade als er eine bissige Erwiderung geben wollte, kam ihn jemand zuvor.

„Würde Reed diese zwei Wörter sagen, würde er durch ein allergischen Schock umkommen“, höhnte die tiefe Bassstimme von Hank hinter ihm. Reed knirschte mit den Zähnen und wandte sich zu Störenfried Nummer zwei um.

„Es ist nicht möglich durch Worte eine allergische Reaktion zu bekommen, Lieutenant“, fügte Connor an, der dicht hinter Hank lief und den älteren Mann mit gerunzelter Stirn anschaute.
 

„Sarkasmus, Blechdose. Das war Sarkasmus“, erwiderte Reed abschätzig und richtete dann seine Aufmerksamkeit wieder auf Hank. „Und ich muss mir von einer alten Schnapsleiche nicht anhören, wie ich meine Dinge zu regeln habe.“ Abwehrend hob der ältere Mann die Hände.

„Ich sage ja nur, dass bei manchen Leuten Hopfen und Malz verloren ist, wenn es um schriftliche Prüfungen geht. Aber es gibt ja noch andere Lösungen, wie du eventuell deinen Job behalten kannst. Viel Glück damit.“
 

Verwirrt über die Worte schaute Reed dem ungleichen Paar schweigsam hinterher. Erst, als sie sich an ihre Schreibtische setzten, fand er seine Stimme wieder. „Was soll der Scheiß bedeuten?“, brüllte er zu Hank hinüber, dabei den Rest des Reviers ignorierend. Der Andere lachte jedoch nur und winkte mit der Hand ab. Connor dagegen schaute zweifelnd zu Reed hinüber, bis Hank den Kopf schüttelte und irgendwas zu dem Androiden sagte. Damit richtete Connor seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Bildschirm.
 

Reed war schon drauf und dran aufzuspringen und die Antworten mehr als ruppig aus Hank herauszupressen, als Fowlers Stimme durchs Revier hallte.

„Reed, in mein Büro, sofort!“

Neben ihm kicherte Chen gehässig, während Reed missbilligend mit der Zunge schnalzte. „Viel Glück“, sagte sie, was er eloquent mit dem Mittelfinger erwiderte. Widerwillig stapfte er zu Fowlers Büro hinüber und bereitete sich innerlich auf die Ansprache vor, die wie die zwei Male davor ablaufen würde. Fowler würde wie eine Tomate rot anlaufen und ihn zur Schnecke machen, während Reed sein Temperament in Zaun halten würde.
 

Als er das Büro betrat, saß Fowler vornübergebeugt über irgendwelchen Berichten. Es verstrichen einige Sekunden, in denen Reed nur wie bestellt und nicht abgeholt da stand. Er zählte noch bis zehn, bevor ihm das Ignorieren zu idiotisch wurde. Geduld war niemals eine seiner Stärken gewesen. „Gibt's irgendwas oder brauchen Sie nur wen, der Sie anstarrt, Fowler? Wenn ja, kenne ich bessere Kandidaten für so eine extrem seltsame Perv-“

„Es heißt Captain Fowler, Detective Reed. Und Sie können gerne Ihren Satz weiterführen, wenn Sie Ihr Gehalt für den Monat noch weiter reduziert haben möchten“, warnte ihn der andere Mann.
 

Widerwillig presste Reed die Lippen aufeinander und verschränkte die Hände hinter den Rücken. Nach einer weiteren Sekunde der Stille schaute Fowler endlich auf. „Ich muss Ihnen nicht mehr erzählen, warum Sie hier sind, richtig?“

Reed fing an mit dem Gummibändchen an seinem Handgelenk zu spielen, als er anfing sich zu verteidigen. „Fowler“, der andere Mann unterbrach ihn mit einem scharfen „Captain.“ Reed holte erneut aus, wobei er besonders die ersten Silben betonte.

„Captain Fowler, wir wissen beide, dass ich einer Ihrer besten Männer bin. Sie brauchen mich. Ich habe ein Problem mit diesen verdammten Blechdosen. Hatte ich schon immer und ich mache kein Geheimnis daraus. Aber nur weil irgend so ein Spinner behauptet, ich wäre zu 'unsensibel' und 'problematisch' in meinem Umgang mit diesen Dingern, heißt das nicht, dass ich ein schlechter Detective bin. Ich kann meine Arbeit trotzdem machen.“
 

Fowler atmete einmal tief ein und Reed wartete nur darauf, dass er seinen Frust und Wut über sein Verhalten rauslassen würde. In einer verschrobenen Art und Weise waren er und Fowler sich in dieser Hinsicht sehr ähnlich. Sie konnte selten ihren Unmut leise ausdrücken. Wobei es bei Reed nicht nur am Job lag. Zu seiner Überraschung lehnte sich der andere Mann nur zurück in seinen Stuhl, die Finger verschränkt und mit einem Blick, der sowohl Verständnis suggerierte, als auch nahe einer Entschuldigung glich.

„Wenn es nach mir ginge, würde ich es auch auf sich beruhen lassen, Reed. Aber so stehen die Dinge nun einmal nicht. Wir alle müssen uns an die Veränderungen gewöhnen und mit ihnen gehen, anstatt uns stur dagegen zu stellen.“
 

Reed runzelte die Stirn, seine Irritation immerzu steigend. Das altbekannte Gefühl der Wut, die brodelnd in ihm aufstieg, übernahm immer mehr die Überhand. „Was soll das heißen? Feuerst du mich, Fowler?“

Fowler ignorierte die respektlose Anrede komplett und fuhr sich nur müde übers Gesicht.

„Nein. Im Gegensatz. Ich ändere die Zuteilung deiner Fälle.“

„...was?“

„Du wirst hauptsächlich Androiden-Fälle übernehmen. So wie Lieutenant Hank und sein Partner Connor.“

Heftig und fast schon schmerzhaft ließ Reed das Gummiband gegen seine Haut klatschen, während er mit den Zähnen knirschte.

„Ich denke...“

„Und du wirst einen Partner zugewiesen bekommen.“

„Par-?“
 

Reed konnte nicht einmal mehr seine Frage aussprechen, als die Bürotür sich öffnete. Ein Android trat durch die Tür, der wie Connor aussah und gleichzeitig nicht hätte unterschiedlicher sein können. Er war größer, muskulöser und in seiner Mimik lag eine Schärfe, die Connor wie einen Welpe ausschauen ließ. RK900 prangte auf der für CyberLife typischen Jacke.

Und es machte klick bei ihm.
 

Aufgebracht zeigte Reed auf den Androiden. Er versuchte erst gar nicht seine wutentbrannte Stimme zu senken.

„Willst du mich verarschen, Fowler?! Ich werde sicherlich nicht mit einer dieser Maschinen zusammenarbeiten. Das ist unter meiner Würde!“

Fowler wollte seine Entscheidung verteidigen, als ihm der Android zuvor kam. Seine seidige Stimme schnitt eisig durch den Raum: „Dann sind wir schon zu zweit, Detective Reed.“

Für einen Moment zog es ihm den Boden unter den Füßen weg. Irritiert machte er einen Schritt auf den Androiden zu.

„Was war das, Blechheini?“

Der Android musterte ihn abwertend, fast schon angeekelt, wenn das überhaupt möglich war.

„Mir wäre es auch lieber, wenn ich mit einem vernünftigen Menschen zusammenarbeiten würde, anstatt mit einem wilden Tier.“
 

Sein Temperament, was ohnehin schon mit ihm durchging, krachte jetzt durch die Decke und immer weiter in die Höhe. Mit raschen Schritten war Reed so dicht vor den Androiden getreten, dass kaum Platz zwischen ihnen war. Obwohl er aufschauen musste, hielt es Reed jedoch nicht davon ab, ihre Gesichter nahe beieinander zu bringen.

„Sag mir das noch einmal direkt ins Gesicht, du verdammtes Plastikarschloch.“
 

„Oh? Und was dann, Detective? Werden Sie mich schlagen? Sie wissen schon, dass ich Ihnen überlegen bin, nicht wahr? Oder ist Ihre Gehirnkapazität dermaßen beschränkt, dass es diesen einfachen Faktor nicht versteht?“ Die Lippen des Androiden verzogen sich, wenn auch nur wenig, zu einem höhnischen Grinsen. Reed beugte sich nur noch mehr vor, die Hände bereit zu Fäusten geballt. Der Android schnaubte.

„Sie sind wirklich eine Enttäuschung der Evolution, Detective.“
 

Mit Sicherheit hätte der Android Reed abhalten können, wenn er ihn nicht komplett falsch eingeschätzt hätte. Jeder im Revier kannte Reeds kurz angebundenes Temperament und die Folgen, die damit einhergingen. Es gab niemanden, der nicht einmal damit konfrontiert wurden war und aus einem Kilometerentfernung den Braten im Ofen riechen konnte. Aber der Android war neu und das unlogische Verhalten von Reed nicht gewohnt.
 

Weswegen er nur ein überraschten Laut von sich gab, als Reed mit voller Körpergewalt gegen ihn rammte. Sie stolperten heftig nach hinten zurück, mit so viel Gewicht und Geschwindigkeit, dass sie durch das Glas des Büros brachen.
 

04.06.2039 21:12 Uhr; DPD Central Station (außerhalb)
 

„Scheiße“, fluchte Reed leise, als er die letzte Wunde verbindet, wo vorher noch ein Glassplitter gesteckt hatte. Sein ganzer Körper signalisierte ihn wunde Stellen und blaue Flecken, dort wo der Android ihn geschlagen hatte. Oder sich mit Schlägen gewehrt hatte, je nachdem aus welcher Perspektive man es betrachtete. Es war ein Wunder, dass er nach der Aktion überhaupt noch seinen Job behielt. Aber dann war es nicht die erste Schlägerei, die er im Revier gehabt hatte. Die mit Connor vor wenigen Monaten war nur eins von vielen Beispielen.
 

Was nur zeigte, dass Reed wirklich ein guter Polizist war, den Fowler nur ungerne gehen lassen wollte. Auch wenn er die meiste Zeit mehr Ärger und Probleme verursachte, als dem Captain des Reviers lieb war. Aber wenn Fowler wirklich angenommen hatte, dass er ohne einen Kampf die Entscheidung akzeptierte, hatte er ihn mehr als unterschätzt.
 

Plötzlich warf sich ein Schatten über ihn und verdrängte damit die restlichen Sonnenstrahlen des zu Ende gehenden Tages, was Reed aufschauen ließ. Sofort stellte sich alles in ihm auf Abwehrhaltung und er versuchte erst gar nicht, seinen Unmut zu verstecken.

„Was willst du, Blechdose?“

Der Android besaß im Gegensatz zu ihm keine einzige Schramme und allein das war einer der Gründe, was Reed solch eine Antisympathie gegenüber den Maschinen hervorlockte. Wie sollte man ein Ding als gleichberechtigt ansehen, wenn nicht dieselben Regeln auf sie zutrafen? Wenn es nicht Schrammen und Wunden davon trug, wenn es durch ein Fenster segelte und Schläge kassierte?
 

„Mein Name ist RK900“, begrüßte ihn der Android. Reed gab nur einen abfälligen Laut von sich und zuckte mit den Schultern.

„Was kümmert es mich, wie du heißt?“

Der Android seufzte merklich, was Reed abermals irritierte, da es solch eine menschliche Reaktion war. Über die Monate hatte er es von Connor und anderen Androiden miterlebt, aber dennoch hinterließ es weiterhin ein gewisses Unwohlsein, dass er nicht abschütteln konnte.
 

Plötzlich hielt ihm der Android die Hand hin. Reed musterte sie, als wäre sie aus Gift.

„Ich wollte mich für mein unprofessionelles Verhalten entschuldigen, Detective Reed“, erläuterte RK900 die Geste. Doch anstatt das Friedensangebot anzunehmen, entschied Reed sich dafür, nur noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Hart schlug er die Hand weg, bevor er von der Parkbank aufstand, die vor ihrem Revier stand und zu der er zum Ausruhen geflüchtet war.

„Steck' dir deine programmierte Entschuldigung in den Arsch und hör mir genau zu.“
 

Abermals angriffslustig baute Reed sich vor dem Androiden auf. Dieser schien unbeeindruckt davon, aber sein LED flackerte gelb auf, anders als das ruhige Blau zuvor.

„Wir sind keine Partner. Wir werden auch keine Freunde oder sonst irgendwas. Wir sind nur ein Mensch und eine Maschine, die für einige Zeit miteinander auskommen müssen. Solange du mir also nicht in die Quere kommst und mich total nervst, kriegen du und ich zwei schöne Abstriche in unseren Akten. Ich für meine Sensibilität gegenüber euch Blechheinis und du...was auch immer, wen kümmert's. Klar soweit?“

„Verstanden“, antwortete RK900 kurz angebunden, wobei das Lämpchen an der Schläfe kurz rot flackerte.

„Großartig. Und nun verpiss dich. Ich hab' Feierabend.“
 

Damit marschierte Reed an RK900 vorbei. Doch der Android wandte sich noch einmal zu ihm um.

„Ein guten Abend, Detective“, wünschte er ihn und es klang so maschinell, dass Reed förmlich den Input dieses Befehls sehen konnte.
 

Jedoch sagte Reed dazu nichts, sondern ging einfach schweigend weiter.

Cluedo ist ohne Hinweise ein Scheißspiel

05.06.2039 06:51 Uhr; Außenbezirk Detroits
 

Es war einer dieser Tage, an denen Reed erst nach dem dritten Kaffee den Tatort betrat.
 

Das milde Wetter am Tag zuvor, hatte sich sich zu einem nieselnden Regen gewandelt, weswegen er noch einige Momente in seinem Auto sitzen blieb. Durch die Windschutzscheibe konnte er das Flackern der Absperrbänder erkennen und einen seiner Arbeitskollegen der neugierige Passanten verscheuchte.
 

Vom dem Androiden war keine Spur zu sehen.
 

Dennoch gab Reed sich nicht der Fantasie hin, dass der gestrige Tag nur ein Alptraum gewesen war. Dafür war der morgendliche Anruf zu deutlich gewesen. Und der Fakt, dass er sich an einem Tatort befand, an dem ein Android das Opfer zu sein schien. Mit finsterer Miene zupfte er ein letztes Mal an seinem Gummiband am Handgelenk, bevor er endlich nach draußen trat.
 

„Detective Reed“, begrüßte ihn der Polizist, dessen Name er sich nie merken konnte. Mit einem kurzen Nicken marschierte er an ihm vorbei und in das Haus hinein. Schon von draußen hatte es nicht viel hergegeben. Mit der abgeblätterten Farbe, den zugenagelten Fenster und dem überwucherten Vorgarten sah es eher aus wie ein Fall für das Abriss-Komitee als eine bewohnbare Unterkunft. Jedoch sah das Innere noch einmal um einiges schlimmer aus mit gammelige Möbel, Berge von Müll und Essensresten. Warum auch immer der Android hier gewesen war, gelebt hatte er in dem Haus sicherlich nicht.
 

Kaum ein Schritt in der Wohnung und schon befand Reed sich im Wohnzimmer mit einer Trennwand zur Küche, wo zwei Leute der Forensik alles nach Spuren untersuchten. Ohne eine Begrüßung schritt er an ihnen vorbei und die Treppe hinauf, wo er mehrere Schritten vernahm. Zu seiner linken befand sich ein Bad, was nach Tetanus schrie. Einige Meter weiter führte die zweite Tür von links in ein Schlafzimmer, in dem sich der Mord abgespielt zu haben schien.
 

Im Türrahmen blieb Reed stehen und verschaffte sich einen ersten Überblick. Durch die zugenagelten Fenster fiel gerade so viel Licht, dass man den aufgewirbelten Staub in der Luft ausmachen konnte. Ein großer Schrank stand weit geöffnet am einem Ende des Raumes. Am anderem befand sich eine zertrümmerte Kommode neben einem Doppelbett, was den Großteil des Raumes einnahm.
 

Auf dem Bett lag der tote Android. Das blaue Thirium hatte die Bettdecke durchtränkt und sickerte wie zähflüssiger Syrup am Rand hinab. Die Ursache für den immensen Verlust der Flüssigkeit schien mehr als deutlich der aufgeschlitzte Oberkörper zu sein. Als Reed näher an das Opfer herantrat, konnte er erkennen, das dem Androiden die Innenteile herausgerissen wurden. Irgendwo regte sich tief in seinem Inneren eine Art Mitgefühl, was er rasch erstickte, indem er sich daran erinnerte, dass es nur eine Maschine war, die dort leblos vor ihm lag.
 

„Model HR400. Seriennummer #823 444 209. Todeszeitpunkt gegen 05:31 Uhr“, ertönte die eisige Stimme von RK900 hinter Reed. Überrascht zuckte er leicht zusammen und drehte sich blitzschnell um. In dem fahlen Licht des Raumes und teilweise künstlichem durch die Taschenlampen der Forensik, erschien der Android unnatürlich bedrohlich. Der kalte Blick, der dabei auf ihn ruhte, half Reed nicht besonders weiter, nicht ein wenig Unbehagen zu empfinden.
 

Daher war seine Antwort auf die dargelegten Fakten eine verkrampfte Frage: „Achja, und das weißt du warum so genau, Blechmann?“ RK900 schaute ihn einige Sekunden stumm an, bevor er mit ebener Stimme antwortet: „Ich habe sein Blut analysiert. Was einer meiner vielen Funktionen ist, wie Ihnen bereits bekannt sein sollte, Detective Reed.“

Darauf schnaubte er nur abfällig. Tatsächlich erinnerte er sich an ein Gespräch, was er unweigerlich mitangehört hatte. In ihm hatte Hank sich lautstark über Connor beschwert, der mehr als einmal an Tatorten Blut wortwörtlich geleckt hatte, um eine Analyse durchzuführen. Reed hoffte, dass ihm solch ein widerlicher Anblick erspart bleiben würde.
 

Allem Anschein nach hatte einer der Forensiker ihr Gespräch mitangehört, da er sich kurz vor dem Verlassen des Zimmer zu dem Detektiv umwandte. „Er hat Recht, Detective Reed. Zumindest bestätigen das unsere Ergebnisse ebenso.“

„Großartig“, flüsterte Reed gereizt, wobei ihm das leichte, höhnische Grinsen des Androiden nicht entging. Was mehr als eine Sicherung bei ihm durchbrennen ließ. Kampflustig verschränkte er die Arme vor der Brust und hob herausfordernd den Kopf an.
 

„Willst du mir noch irgendwas berichten, was nicht jeder Anwesende hier könnte, Plastikarschloch?“ RK900 verzog eine arrogante Miene auf die Provokation hin. Zudem erschien es Reed so, als würde er sich noch gerader hinstellen, während er die Arme in einer ruhigen Bewegung hinter dem Rücken verschränkte.

„Ich kann Ihnen den genauen Tathergang erläutern, wenn Sie möchten, Detective. Immerhin habe ich nicht über eine Stunde zum Tatort gebraucht.“
 

Reed knirschte mit den Zähnen. „Natürlich hast du das nicht. Denn du bist eine beschissene Maschine, die weder schlafen, noch sich anziehen oder was zu Essen zu sich nehmen muss“, presste er hervor und stellte sich ebenso gerader hin, um bedrohlicher zu wirken. „Und jeder Depp sieht, was hier passiert ist.“

„Ist dem so? Ich bezweifele jedoch, dass jeder 'Depp' eine Darlegung des Hergangs mit hundertprozentiger Richtigkeit wiedergeben kann“, erwiderte RK900 kühl, wobei Reed meinte den Anflug von Irritation als Unterton herauszupicken.

Mit gehässiger Miene tippte er sich jetzt mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Niemand braucht deine verkackten hundert Prozent, wenn er auch nur etwas Vorstellungsvermögen hat. Statistiken sind nur Zahlen, die schön im Bericht aussehen, Blechdose.“

„Ich glaube nicht, dass Ihnen Captain Fowler bei dieser Behauptung zustimmen würde, Detective Reed.“

„Fowler kann mich mal am Ar-“
 

Ein Räuspern unterbrach ihre Diskussion. Erst jetzt bemerkte Reed, dass einer der Forensiker, die vorher noch das Untergeschoss durchsucht hatte, neben ihnen stand. Anhand ihrer genervten Miene schien sie auch nicht gerade erst dort zu stehen. Reed fühlte wie ihm die Hitze den Nacken hochkrabbelte, weswegen er seine Scham mit ruppigen Anblaffen überspielte.

„Was ist?“

Die Forensikerin stieß einen leichten Seufzer aus und rückte ihre Handschuhe zurecht. „Wir haben die Tatwaffe im gesamten Haus und auch außerhalb nirgends auffinden können.“
 

Grübelnd legte Reed seine rechte Hand ans Kinn und strich sich mit dem Zeigefinger rhythmisch über die Lippen. Von den Dingen, die er bisher erfasst hatte, war es ersichtlich, dass sie keine Tatwaffe finden würden. Zuallererst schien das Haus unbewohnt zu sein, daher war es aller Wahrscheinlichkeit nur ein Platz gewesen, an dem das Opfer sein Täter entweder unbeobachtet hatte treffen wollen oder hierher entführt worden war. Wobei Ersteres eher zutraf, da die zerbrochene Kommode auf einen Kampf hindeutete, was bei einer Entführung durch irgendwelche Restriktionen der Bewegungsmöglichkeiten verhindert worden wäre.
 

„Wir werden die Waffe auch nicht finden, der Täter hat sie wahrscheinlich mitgenommen oder irgendwo später entsorgt.“

„Wie ich bereits sagte, wird es keine Waffe geben, da der Täter sie mitgenommen hat.“

Reed blinzelte einige Male und schaute irritiert zu RK900 hinüber, der im selben Moment wie er gesprochen hatte. Jedoch schien der Android das Gesagte von Reed absichtlich zu ignorieren und fuhr unbeirrt fort.

„Die Waffe war chirurgischer Herkunft, da die Schnitte äußert sauber und präzise sind. Weiterhin gibt es Anzeichen eines Kampfes, der damit endete, dass das Opfer an der Stirn niedergeschlagen wurde. Demnach schienen sich Täter und Opfer zumindest in irgendeiner Hinsicht gekannt zu haben.“
 

Spottend applaudierte Reed dem Androiden. „Wow, danke für das Offensichtliche, Mister Kabelsalat.“ RK900 zog abwertend eine Augenbraue hoch. „Ich wollte nur sichergehen, dass Sie auf dem gleichen Stand wie ich sind, Detective. Wir wollen ja nicht, dass man Sie für jemanden hält, der sogar minderbemittelter als ein Depp ist.“

„Alles was ich aus deinem Mund hören, sind schicke Worte, die du dir in deinen Blechhintern stecken kannst, weil wirklich niemand sie braucht.“

Abermals räusperte die Forensikerin sich, sichtlich am Ende mit dem Verhalten zwischen Reed und RK900.

„Ich werde Ihnen den Bericht und alles weitere zuschicken, Detective Reed. Sie können sich natürlich gerne noch weiter umschauen. Aber ich denke Sie werden nichts finden, was nicht wir oder Ihr“, sie zögerte kurz und warf RK900 einen raschen Seitenblick zu, „Kollege nicht bereits gefunden hat.“
 

Die Galle, die in Reed dabei aufstieg, war so säurehaltig, dass es ein Wunder war, dass er sie nicht in Form von kunterbunten Profanitäten herausließ. Stattdessen entschied er sich dazu, sich wie ein gelassener Mensch zu verhalten und stellte der Kollegin noch eine Frage: „Hat jemand die Nachbarschaft befragt, ob irgendwer was gesehen hat?“

„Keine Ahnung. Da müssen sie Officer Green fragen. Der steht unten, wenn Sie ihn suchen.“ Damit verschwand die Forensikerin und ließ ihn mit den Androiden zurück. Wobei das lebende Exemplar ihn schweigsam musterte.

„Urgh, schau' mich nicht so dumm an, mach' deinen Job und frag Green nach seinem Bericht“, keifte er ihn an.

Kurz flackerte das LED rot auf, doch RK900 sagte nichts, sondern gab nur mit einem Nicken zu verstehen, dass er dem Befehl nachkam.
 

Alleine im Raum erschien mit einmal die Luft stickiger und die Stille unangenehm schwer. Vorsichtig trat Reed an den zerstörten Androiden heran und musterte das Opfer genauer. Er hatte das Model einige Male in Sexclubs erhascht, jedoch auch hier und da im Alltag. Jung, gutaussehend, freundlich, charmant, ein perfekter Traum, nach dem sich mehr als einer umdrehte, wenn er ihn erblickte. Dieser Traum war jedoch vom Tod geraubt wurden. Jetzt war der perfekte Körper zerrissen und die weichen Gesichtszüge zu einer Grimasse aus Schock und Verzweiflung verzogen.
 

Es war kein Anblick, der Reed fremd war.

Dennoch war es keiner, an den er sich jemals gewöhnen wollte.

Sogar dann, wenn es sich um einen Androiden handelte.
 

Und das blaue Blut sickerte weiterhin auf den Fußboden, während er vielleicht einen Moment länger als notwendig das Opfer anschaute.
 

05.06.2039 11:46 Uhr; Außenbezirk Detroits
 

Aufgebracht ließ Reed sich auf seinen Fahrersitz sinken. Atmete tief ein und aus. Sank mit seiner Stirn gegen das Lenkrad und schloss die Augen.

Er wollte Dinge zertrümmern. Oder einen tiefen Zug an einer Zigarette nehmen. Stattdessen griff er nur nach dem Gummiband und ließ es harsch gegen seine Haut klatschen.
 

Officer Green war nirgends aufzufinden gewesen. Das verdammte Arschloch hatte sich höchstwahrscheinlich eine verfrühte Brunchpause gegönnt. Was Reed und RK900 dazu gezwungen hatte, die Befragung der Nachbarschaft selbst durchzuführen. Normalerweise störte es Reed keineswegs irgendwelche Personen zu befragen, hier und da machten sie sogar Spaß, wenn die Leute unter seinen Fragen nervös oder klein wurden. Jedoch mit RK900 im Schlepptau war es dieses Mal alles andere als angenehm gewesen.
 

Von der Tatsache abgesehen, dass die Präsenz des Androiden ihm ohnehin missfiel, war seine stoische Art und Weise im zu starken Kontrast zu seiner eigenen. Diese Diskrepanz war mehr als deutlich bei den Befragungen durchgesickert. Wann immer Reed Druck auf die befragte Person ausüben wollte, funkte ihm RK900 dazwischen, um ihn daran zu erinnern, wo seine Grenzen lagen. Und wenn RK900 in Fragen abdriftete, die so voller Formulierungen waren, die kein normaler Mensch verstehen konnte, konnte Reed nicht anders, als ihn damit aufzuziehen.

Sie ähnelten so mehr einen Comedyduo, als zwei Polizisten, die ihre Arbeit machten.
 

Dadurch hatten die Befragungen elend lange gedauert und hatte am Schluss keinerlei nützliche Anhaltspunkte geliefert. Niemand hatte weder was gesehen, noch gehört. Ebenso kannte niemand den toten Androiden oder hatte ihn zuvor einmal in der Nachbarschaft gesehen. Diese Lücke an Informationen ließ Reed mit einer Hand voll von Nichts zurück, was bei einer Mordfalluntersuchung zu einem totem Ende führte. Zwar kümmerte es Reed nicht, wer den Haufen Schrott zertrümmert hatte, jedoch kratzte die Aussicht auf einen ungelösten Fall jetzt schon an seinem Stolz.
 

Neben ihm wurde die Beifahrertür geöffnet, was ihn aufschauen ließ. Doch schon in der nächsten Sekunde bereute er es, als er die riesige Statur des von RK900 ausmachte. Genervt schnalzte er mit der Zunge, bevor er angriffslustig fragte: „Was zur Hölle machst du in meinem Auto?“

Der Android schien wie immer unbeeindruckt gegenüber der offene Feindseligkeit und zog nur in aller Ruhe die Ärmel seiner CyberLife Jacke zurecht. „Wir sind Partner und fahren in dieselbe Richtung“, erläuterte er schlicht. Was wie Fingernägel auf einer Tafel für Reeds Ohren war.

„Ich sagte, dass wir keine Par-“

„Ich erinnere mich. Ich bin im Besitz eines der größten und fortgeschrittensten Speichermedien der Welt, weshalb es schier unmöglich ist, dass ich auch nur eine winzige Kleinigkeit vergesse. Dennoch ändert es nicht den simplen Fakt, dass wir in dieselbe Richtung müssen. Daher ist es nur die logischste Entscheidung, dass Sie mich mitnehmen.“ RK900 wandte sich ihm zu, wobei ein halbes Lächeln auf seinen Lippen lag, was nur vor Hohn strotzte. „Nennen Sie es guten Willen zeigen, Detective.“

„Scheiße, ich hasse dich jetzt schon so sehr, Plastikmüll“, murmelte Reed in seinen Ärmel, als er seinen Kopf erneut auf das Lenkrad fallen ließ.

„Diese Empfindung kann ich nur zurückgeben“, fügte der Android bar jeder Emotion in der Stimme an, was eher wie ein Nachgedanke oder eine geskriptete Erwiderung klang. Jedoch wollte Reed über diese seltsame Kleinigkeit nicht genauer nachdenken, weswegen er es als ehrliche Meinung abtat.
 

Danach entstand eine Stille im Auto, die nur von den dumpfen Geräuschen vorbeifahrender Autos, Passanten oder der Baustelle am Straßeneck durchbrochen wurde. Währenddessen realisierte Reed, dass es die erste Situation nach vierundzwanzig Stunden war, in der RK900 und er alleine waren.

Aus dem Augenwinkel warf er dem Androiden einen skeptischen Seitenblick zu. Dieser schien dabei zu sein den Inhalt des Autos zu überprüfen, wenn seine wandernden Augen und das beständige aufleuchten seiner LED von blau zu gelb ein Anhaltspunkt dessen waren. Höchstwahrscheinlich bildete sich der Android ein Bild von ihm durch die auffindbaren Indizien von einer leeren Bierflasche hier, einem verwaisten Zigarettenhalter da oder dem lange eingeschlagenen Radio. Er dachte wahrscheinlich, dass Reed ein hoffnungsloser Fall eines Menschen war, der irgendwelche tiefsitzenden Probleme hatte und über ihn stand mit seiner perfekten Programmierung.

„Vorurteilendes Arschloch“, brummte er, was RK900 zu ihm hinüberschauen ließ. Fragend hob er eine Augenbraue, was so natürlich aussah, dass Reed beinahe gewillt war, es als menschliche Reaktion anzuerkennen.
 

„Haben Sie etwas gesagt, Detective?“, fragte der Android mit falscher Höflichkeit.

„Nö“, erwiderte Reed sturer als ein Kleinkind an Weihnachten.

Schweigen.

RK900 seufzte und für einen Augenblick sah er wie die LED rot leuchtete. Doch so schnell es passiert war, so rasch wechselte die Farbe wieder zu Blau zurück. Reed konnte nicht sagen, ob ihn mehr der Fakt verärgerte, dass der Android seine eigentlichen Gedanken zurückhielt oder jener, dass er danach mit einer Freundlichkeit sprach, die unpassend und überaus künstlich war.

„Wie wäre es, wenn wir uns endlich zum Revier zurückbegeben, die Berichte erfassen und eventuell nach dem Androiden im System suchen oder Möglichkeiten von Videoüberwachungen heranziehen? Es ist eine Schande, dass es mir nicht mehr erlaubt ist, ihn zu reaktivieren, aber nur verständlich in Anbetracht von humanen Methoden.“

Zähne knirschend hörte Reed dem Gerede zu, wobei er mehrmals die Fäuste ballte und keinerlei Anstalt machte, das Auto in den nächsten Minuten auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Langsam richtete er sich wieder in eine gerade Sitzposition und schaute RK900 direkt an.

„Hör' mir gut zu, Blechmann. Erst einmal gebe ich einen Scheiß darauf, warum du wie was nicht tun kannst oder was du denkst. Zweitens ist das noch immer mein Auto und ich habe niemals zugestimmt, dich irgendwohin mitzunehmen. Drittens gebe ich als Dienstälterer die Be-“
 

Es knallte laut und das gesamte Auto wurde heftig durchgerüttelt. Erschrocken stieß Reed einen Fluch aus und fuhr hektisch herum. Nur um auf seine Windschutzscheibe zu schauen, die nun über und über mit Rissen und roten Flecken war, die er eindeutig als Blut erkannte.

„Scheiße! Was zur Hölle?!“, stieß Reed laut aus. Hastig stieg er aus, wobei ihm RK900 schweigsam folgte, der einzige Hinweis auf eine gewisse Unruhe war das gelbe Leuchten seiner LED.

Perplex starrte Reed auf die Haube seines Wagens. Dort lag Officer Green, seine Gliedmaßen in unnatürlichen Winkel verdreht, während Blut aus seinen Augen, Ohren und Mund floss. Wobei die meiste Flüssigkeit von seinem aufgeschlitzten Bauch stammte, wo dessen Organe herausfielen.

Für einen Moment war Reed so hypnotisiert von dem grotesken Anblick, dass er nur wie angewurzelt dastand und gaffte. Erst der Ausruf von RK900 holte ihn aus seinem starren Zustand zurück.
 

„Reed, auf dem Dach!“

Völlig ignorierend, dass der Android ihn nur bei seinem Nachnamen genannt hatte, schaute er zum Dach hoch, was zu dem Gebäude gehörte, vor dem er parkte. Gerade noch so konnte er eine Gestalt erhaschen, die über den Sims schaute und dann verschwand. Bevor er überhaupt irgendwas sagen konnte, war RK900 schon dabei loszurennen.

„Warte!“, schrie Reed ihm hinterher, doch da war der Android schon im Gebäude verschwunden. Fluchend zog er seine Waffe und folgte ihm. Während er das Treppenhaus hoch hechtete und gerade nur so noch Fetzen von RK900 erblicken konnte, schossen ihm tausend Gedanken durch den Kopf. War RK900 bewaffnet? War die Gestalt bewaffnet? Konnte der Android einen Angreifer überwältigen, wenn er waffenlos war und der Andere nicht? Und warum zur Hölle bauten die Leute keinen Aufzug ein, wenn das Gebäude aus mehr als fünf Stockwerken bestand?
 

Als Reed endlich oben ankam und die Brandschutztür zum Dach aufstieß, brannten seine Lugen wie Feuer und sein Körper erinnerte ihn an jede verdammte Zigarette und jedes Bier in seinem Leben. Die Waffe gezückt und vor sich haltend, suchte er das Dach ab. Jedoch alles, was er erkennen konnte, war RK900 der am Rand stand und die Umgebung zu scannen schien.

Vorsichtig trat er an den Androiden heran und ließ langsam, aber widerwillig die Waffe sinken, da all seine Sinne noch auf Gefahr eingestellt waren und sein Adrenalin Höchstwerte aufwies.

„Wo ist das Arschloch abgeblieben?“, fragte er RK900.

Der Android wandte sich zu ihm um, in seinen blauen Augen lag etwas, was Reed später als Frust kennenlernen würde. „Ich weiß es nicht.“

„Scheiße“, stieß Reed frustriert aus.
 

Zusammen standen sie auf dem Dach und schaute hinab auf die Leiche von Officer Green. In der Ferne waren Polizeisirenen zu hören. Und während der Regen wieder an Intensität zunahm und sie durchnässte, spülte er auch die letzten Reste von möglichen Spuren weg.
 

05.06.2039 13:01 Uhr; Außenbezirk Detroits
 

Mit finsterer Miene lehnte Reed an einer der Häuserwände etwas abseits des abgesperrten Bereiches. Anders als bei dem Tatort im verwaisten Hauses tummelten sich dieses Mal mehr Polizisten am Tatort. Was zu erwarten war, da ihre Berufschafft es persönlich nahm, wenn es einen von ihnen erwischte.
 

Die Analyse von Officers Greens leblosen Körper hatte ergeben, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach noch am Leben gewesen war, als er in seinen Tod gestürzt war. Man hatte Spuren von Seilreibungen an seinen Handgelenken gefunden, was darauf schließen ließ, dass ihn jemand gewaltsam auf dem Dach festgehalten hatte. Weiterhin waren Rückstände von Chloroform in seinem Blut gefunden worden. Weswegen sich Reed fragte, warum jemand sich dann noch die Umstände gemacht hatte, ihn vor dem Herunterwerfen seinen Bauch aufzuschlitzen und inwieweit Green überhaupt seinen eigenen Tod mitbekommen hatte. Weiterhin hatte sein Mörder keinerlei Spuren hinterlassen.
 

So in Gedanken versunken, bemerkte er zuerst nicht, dass sich RK900 neben ihn gesellte. Erst als er unbewusst das Gummiband zum zigsten Mal lang zog, nur um es wieder gegen seine Haut klatschen zu lassen, räusperte sich der Android, um auf sich aufmerksam zu machen.

„Hilft Ihnen diese Sache oder ist es nur ein nervöser Tick von Ihnen, Detective Reed?“

Verdutzt runzelte Reed die Stirn und hielt inne in seiner Bewegung.

„Was?“

Der Android deutete auf das Gummiband um Reeds Handgelenk und er verstand, worauf der Andere hinaus wollte.

„Wa-? Nein! Das ist nur für-“, er stoppte sich im Reden. Sich daran erinnernd, dass es den Androiden nichts anging, warum er diesen Tick hatte und er seine Neugierde sich dorthin stecken konnte, wo die Sonne niemals schien. Dennoch fühlte er sich merkwürdig ertappt und verschränkte daher abwehrend die Arme. Stur und schweigsam starrte er geradeaus und beobachtete die Forensik, wie sie um sein Auto herum tänzelte. RK900 schien den Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen und tat es ihm gleich.
 

Einige Minuten standen sie stumm da, bis Reed sich einen innerlichen Ruck gab. Denn an der ganzen Sache störte ihn etwas und er wollte schauen, ob seine Instinkte ihnen keinen Streich spielten. Auch wenn er sich die Bestätigung von einem Haufen Elektronik einholen musste.

„Was denkst du darüber, Maschinenmann?“

Kurz schien RK900 überrascht darüber zu sein, dass Reed ihm nach seiner Meinung fragte, denn er schaute ihn nur ausdruckslos an. „Über was?“ Fragte er sichtlich irritiert nach.

Reed schnaubte abfällig, verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das Andere, um mehr Abstand zwischen ihnen zu bringen.

„Über Greens Tod.“
 

RK900 schwieg abermals, jedoch blinkte seine LED in schnellen Zügen mehrmals gelb auf, wobei Reed sich unsicher war, ob er den Fall prozessierte oder Reeds plötzliches Interesse nach dessen Meinung. Schließlich schien er zu einem Ergebnis zu kommen, da die LED wieder auf blau schwenkte. Langsam verschränkte er die Arme hinter dem Rücken.

„Ich bin mir zu mehr als neunzig Prozent sicher, dass es kein Zufall war, sondern ein bewusster Mord und mit dem Mord des Androiden im Haus zusammenhängt.“

Reed nickte langsam, bevor er nachdenklich anfügte:

„Yeah, der Zeitpunkt und die Situation sind einfach zu nahe beieinander, als das es Zufall sein könnte. Fragt sich nur, ob Greens Mord geplant war, oder nicht.“

„Oh, der Mord war definitiv geplant“, erwiderte RK900 schlicht, so als würde er gerade das Wetter erklären.
 

Verdutzt schaute Reed zu dem Androiden hinüber, der sich ihm zugewandt hatte und prüfend musterte. Reed konnte nicht sagen warum, aber der Blick ließ seine Haut prickeln und ihn wie so oft angriffslustig werden.

„Achja? Und woher willst du das wissen? Hat dir das die Zauberfee von Klugscheißerhausen zugeflüstert?“

RK900 grinste nur süffisant und schüttelte leicht den Kopf. „Officer Green schien seit der Ankunft am Tatort angespannt gewesen zu sein, was Sie durch Ihr spätes Ankommen natürlich nicht mitbekommen haben. Sein späteres, unerlaubtes Verlassen seines Postens ist ein weiteres Indiz dafür, dass ihn etwas beschäftigte. Das Treffen mit seinem Mörder ist hierbei die logische Konklusion. Dann war er geknebelt und betäubt wurden, wofür man Gegenstände braucht, die man nicht im Alltag mit sich trägt.“ Der Android hielt kurz inne in seiner Erklärung und Reed schwor, dass er sich in seiner eigenen Arroganz sonnte.

„Oh, und natürlich, dass er auf Ihr Auto geworfen wurde, Detective.“

„...was?“ Verdutzt über den letzten Satz vergaß Reed für einen Moment wütend zu sein.

„Mein Auto?“

RK900 nickte nur. „Wenn wir nachschauen, werden wir sicherlich feststellen, dass jemand sich an Ihrem Motor zu schaffen gemacht hat, womit ein Start nicht möglich gewesen wäre. Jemand wollte, dass Officer Green auf Ihrem Auto landet, während Sie sich in ihm befinden. Das war definitiv geplant.“
 

Reed stützte sich von der Häuserwand ab, öffnete den Mund, schloss ihn wieder, runzelte die Stirn, fummelte kurz mit seinen Händen in der Luft, ohne irgendeinen wirklichen Sinn, bevor er sich schlapp erneut gegen die Wand mit dem Rücken fallen ließ. Müde fuhr er sich mit der Hand durch sein Haar.

„Scheiße“, fluchte er das gefühlte tausendste Mal am Tag.

RK900 zuckte nur leicht mit den Schultern.

„Ihr Auto war sowieso eine Schrottmühle. Der süßliche Gestank nach altem Rauch und die unauswaschbaren Flecken aus Soße und Bier waren kaum auszuhalten. Kein Grund diesem Blechhaufen auf vier Rädern nachzutrauern.“

Ungläubig starrte Reed den Androiden an. Dann schnalzte er mit der Zunge, bevor er zu seinem Auto hinüberschaute.

„Fein. Punkt für dich, Plastikarschloch.“
 

Reed ignorierte das überhebliche Lächeln von RK900, was er ihm zuwarf.
 

05.06.2039 23:29 Uhr; Reeds Apartment
 

Völlig erschöpft, schleppte Reed sich förmlich die letzten Stufen zu seinem Apartment hoch. Kaum hatte er die Wohnungstür aufgeschlossen, hörte er ein lautes Plumpsen von seinem Schlafzimmer aus. Dennoch besorgte ihn das Geräusch nicht, sondern signalisierte ihm nur, dass er endlich Zuhause in seinen vier Wänden war.
 

Gerade als er achtlos seine Lederschuhe an die Seite feuerte, kam die Ursache des Geräusches schnurrend um die Ecke. Sein schwarzbrauner Kater Diple begrüßte ihn überschwänglich, indem er ihm eifrig um die Beine strich. Mit einem sanftem Lächeln auf den Lippen beugte er sich hinunter, um ihn aufzuheben und zu knuddeln. „Na Flohzirkus, ich hoffe du hattest einen besseren Tag als ich“, sprach er zu ihm, was sein Kater nur mit weiterem Schnurren erwiderte. Reed hatte Diple vor vier Jahren als Babykatze in einer Mülltonne halb verhungert und zwischen seinen toten Geschwisterchen gefunden. An Tagen wie diesen, dachte er, dass die Welt wirklich beschissen war.
 

In der Küche angekommen, hüpfte ihm der Kater von den Armen und auf den Küchentresen, wissend das es gleich etwas zum Naschen geben würde. Reed öffnete den Kühlschrank und wollte schon zu einem kühlen Bier und der Tiefkühlcurrywurst greifen, als ihm die heutige Treppenhausszene in den Sinn kam. Knurrend griff er daher nach dem Salat und dem frischem Gemüse, wobei ihn der grüne Merkzettel mit „Gesünder ernähren“ nur noch mehr verhöhnte und förmlich in der ebenen Stimme von RK900 sprach.
 

Während er die Zutaten für seinen Salat schnippelte, ließ er die letzten Stunden des Tages noch einmal Revue passieren. Die Behauptung RK900s, dass jemand sein Auto beschädigt hätte, stellte sich als wahr heraus. Der Mörder von Green hatte gewollt, dass Reed sich im Auto befand, um den Mord teilweise mitzuerleben. Weswegen der Mörder es so geplant und ob er mit der Anwesenheit RK900s gerechnet hatte, waren jedoch unbeantwortete Fragen. Ebenso diejenige, wie der Mörder aussah. Eine zweite Befragung der Nachbarschaft hinsichtlich Officer Greens hatte ergeben, dass niemand etwas gesehen hatte. Außer einer Person, die jedoch nur bestätigen konnte, dass Green sich alleine ins Gebäude begeben hatte. Was Reed mit zwei Morden und null Zeugen zurückließ.
 

Auch der Abstecher danach ins Revier ergab wenig Neues. In ihren Datenbanken war der ermordete Android weder durch Aktivitäten während der Revolution, noch davor für irgendeine andere Straftat aufgelistet gewesen. Es gab nicht einmal einen Eintrag über ihn, ob er jemals irgendwem gehört hatte. Als wäre dieser Fakt nicht seltsam genug, schien ihm auch die typische LED gefehlt zu haben, was darauf schließen ließ, dass er sich zumindest eine gewisse Zeit lang als Mensch getarnt haben musste. Damit blieb die Herkunft des Androiden ein riesiges Fragezeichen.
 

Greens Profil dagegen war so klar, dass es schon wieder zu sauber wirkte. Typische Daten wie Eltern (beide bei einem Autounfall verstorben), Einzelkind, Singel, akademische Laufbahn und die Versetzung zum DPD ergaben ein normales Leben. Auch seine wenigen Freunde berichteten nur davon, wie nett und hilfsbereit Green stets gewesen war. Der typische nette Jungen von nebenan. Wäre Reed etwas weniger misstrauisch gegenüber Menschen, würde er Greens Tod als eventuelles Phänomen der „Zur falschen Zeit, am falschen Ort“ abstufen. Aber er glaubte nicht, dass es ihn nur erwischt hatte, weil er die arme Sau gewesen war, die zufällig an diesem Tag zum Tatort musste und etwas Verdächtiges entdeckt hatte. Aber inwiefern der tote Android und Green miteinander zusammenhingen, konnte Reed nicht sagen.
 

Das hatte Fowler überhaupt nicht gepasst. Genauso wenig wie, dass ihnen der Verdächtige vor der Nase weggelaufen war, obwohl er sich auf einem Dach mit keinerlei Fluchtmöglichkeiten befunden hatte. Reed war schon kurz davor gewesen, in einem Wutausbruch zu verfallen und Fowler anzuschreien, als RK900 ruhig und gefasst eingegriffen hatte. Es war ein Wunder gewesen, dass Reed an dem Tag nicht noch mehr von dem Büro zertrümmert hatte. Immerhin hatte es dazu geführt, dass Fowler ihnen den Fall überlassen hatte und ihnen die Möglichkeit bot, weiter nachzuforschen und herauszufinden, wer dahinter steckte.
 

Die Zutaten in den Salat schmeißend und mit dem Dressing vermischend, stellte er die Hälfte der Thunfischdose Diple hin, der sich freudig darüber hermachte. Gerade wollte Reed samt Salatschüssel in Richtung Wohnzimmer, um sich dort auf sein Sofa zu setzen und sich noch mit sinnlosen Fernsehprogramm zu begnügen, als sein Handy in der Hosentasche vibrierte. Genervt holte er es hervor und bereute es zugleich. Eine Nachricht einer unbekannten Nummer, wo er jedoch gleich am Inhalt wusste, wer es war.
 

Unbekannte Nummer; 23:37 Uhr:

„Soll ich Sie morgen abholen kommen, Detective Reed? Nun da Sie kein Auto haben und der Bus nicht gerade das zuverlässigste Fortbewegungsmittel ist.“
 

Allem Anschein hatte RK900 sein Gespräch mit Chen angehört, als die Polizistin sich über sein kaputtes Auto lustig gemacht hatte. Reed starrte die Nachricht dumpf an, die ihn förmlich verhöhnte, obwohl ihm bewusst war, dass das alles nur in seinem Kopf stattfand. Seine Augen wanderten auf sein Gummiband und dann zum Salat hinüber. Das Bild des toten Androiden und der Leiche von Green blitzte vor seinem geistigen Auge auf.

Es war der letzte Tropfen in einem seit Monaten überlaufendem Fass.
 

Gewaltsam feuerte Reed den Salat von sich, wobei die Schüssel klirrend an der Wand zerbrach. Ebenso aufgebracht riss er den Kühlschrank wieder auf, um sich den ganzen Packen Bier herauszuholen. Kräftig schlug er die Tür wieder zu, nur um den grünen Merkzettel daran abzureißen und zu zerknüllen. Schwer atmend marschierte er ins Wohnzimmer und machte den Fernseher an. Nach einigen Minuten beruhigte sich seine Atmung und der Zorn ebbte ab, wobei er eine zerfressende Leere hinterließ.

Müde sank Reed in die weiche Polsterung zurück und schloss die Augen. Nach einer Weile spürte er das schwere Gewicht von Diple auf seinem Schoß.
 

„Was für ein beschissener Tag“, vertraute er leise seinem Kater und der Leere seiner Wohnung an.

Erinnerungen und Gefühle sind Vintage

06.06.2039 06:04 Uhr; außerhalb Reeds Apartment
 

Reed war definitiv zu müde für den Anblick, der sich ihm bot.
 

Vor ihm stand das neuste Mercedes Model. Zwar war Reed nie wirklich ein Autoliebhaber gewesen, aber sogar er erkannte, was für eine goldene Gans vor seinem Apartmentkomplex parkte. Was weniger anstößig gewesen wäre, wenn ihn nicht von der Fahrerseite RK900 begrüßte.
 

„Detecive Reed, wie ich sehe sind Sie in der Lage dazu, zumindest ansatzweise pünktlich den Weg aus dem Bett zu finden.“

Reed überlegte, welche Auswahl an Flüchen wohl die Beste war, um den Gruß zu erwidern. Dann entschied er sich jedoch nur dafür, seine Hände tief in seine Hosentaschen zu stecken und ohne ein weiteres Wort zur Bushaltestelle zu stapfen. Es war wirklich zu früh für ihn, jetzt schon auszuflippen und sich mit seiner momentan bescheidenen Partnersituation herumzuplagen.
 

„Ich habe Kaffee dabei“, rief ihm RK900 plötzlich hinterher.

Reed blieb stehen. Wägte seinen Stolz gegen sein Verlangen nach Koffein ab.

„Na schön“, grummelte er und stapfte zurück, um sich auf den Beifahrersitz fallen zu lassen.

„Aber ich hoffe für dich, dass es welchen mit Zucker und Milch gibt.“
 

„Ich würde es begrüßen, wenn Sie sich anschnallen, Detective“, wies ihn RK900 freundlich auf seinen ungesicherten Zustand hin. Reed nippte nur stur an seinem Kaffee, bevor er ein knappes: „Kein Bock“, von sich gab. Die Augenbrauen des Androiden zogen sich zusammen und seine Lippen wurden ein schmaler Strich. Seine LED blinkte kurz rot auf, jedoch blieb er stumm. Was Reed wie die Male zuvor mehr als irritierte und reizte. „Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag' es verdammt nochmal! Wenn ich was nicht ausstehen kann, dann Leute, die ihre beschissene Klappe nicht aufkriegen, wenn sie etwas stört.“
 

Eine angespannte Stille entstand, in der RK900s LED mehrfach zwischen Rot und Gelb wechselte, was Reed dazu verleitete seinen Wutausbruch näher zu erläutern.

„Glaubst du, ich raffe nicht, dass du jedes Mal die Klappe hältst, wenn dich eigentlich mein Verhalten oder meine Worte stören? Für eine beschissene Maschine, die gleichberechtigt behandelt werden möchte, tust du nicht viel dafür. Hör auf irgendeinen Scheiß zu prozessieren oder was weiß ich, was du mit den Datenmist in deinem Kopf machst. Sondern handel, wie du möchtest. Aber das kannst du nicht, nicht wahr? Weil das deine beknackte Programmierung nicht zulässt.“

Reed schnaubte nur verächtlich, seinem Frust über den Androiden und dessen Schweigsamkeit endlich Luft gemacht zu haben.
 

Gerade als er glaubte, dass der Android wie immer nicht auf seine Provokation reagieren würde, legte RK900 eine plötzliche Vollbremsung hin.

Grob knallte Reed nach vorne gegen das Armaturenbrett, wobei seine schnellen Reflexe ihn davor bewahrten, mit dem Gesicht voran dagegen zu prallen. Stattdessen büßten seine Arme mit blauen Flecken. Es war ein Wunder, dass der Kaffee in seiner Hand nicht übergeschwappt war. Deckel sei Dank.

„Was sollte der Scheiß denn?! Du hättest mich umbringen können!“ Keifte er den Androiden an.

Dieser warf ihm nur ein süffisantes Grinsen zu.

„Nicht wenn Sie sich anschnallen, Detective.“
 

Ungläubig starrte er den Androiden an. Bevor er sich jedoch von seinem ersten Schock erholen konnte, griff RK900 nach seinem Kaffee. Mit einer geschickten Bewegung warf er ihn aus dem herunter gekurbelten Fenster.

„Mein Kaffee…?“, stieß Reed perplex hervor, wobei er ein wenig atemlos klang. Der Android ignorierte ihn und startete das Auto erneut, da hinter ihnen schon wütende Fahrer das Hupen begannen.
 

„Sie haben Recht, Detective. Ich sollte weniger auf meine Programmierbefehle hören. Das gerade fühlte sich unglaublich gut an“, erklärte RK900, wobei er mehr als amüsiert klang.

„Und Sie haben Ihren Kaffee nicht verdient. Immerhin haben Sie nicht einmal Danke gesagt“, fügte der Android nach einigen Sekunden hinzu.

Reed starrte den Anderen noch immer völlig überrumpelt an.
 

Und dann konnte er nicht mehr an sich halten und lachte lauthals los.
 

Jetzt war es an RK900 überrascht auszuschauen. Ungläubig strich Reed sich einige der Lachtränen aus den Augen und er musste zugeben, dass das erste Mal seit Wochen sein Inneres sich zumindest etwas entspannte und nicht vor Zorn zusammenzog.
 

Ergebend hob er die Hände.

„Den habe ich eindeutig verdient. Nicht schlecht, Blechtrommel. Nicht schlecht“, gab er ehrlich zu und schnallte sich im nächsten Moment an. Der Android dagegen starrte ihn noch immer mit einer seltsamen Miene an, die Reed nicht zuordnen konnte.

„Was?“, fragte er genervt nach, da ihm das Starren langsam nervös machte.

„Nichts“, wandte RR900 rasch ab und konzentrierte sich wieder vollkommen auf den Straßenverkehr.
 

Dennoch entging Reed nicht das Trommeln dessen Finger auf dem Lenkrad.

„Ich hatte nur nicht mit einem Lachen gerechnet. Eher mit einem weiteren Ausbruch“, gab RK900 schließlich zu, wobei seine Stimme merkwürdig sachte klang, was Reed unglaublich verunsicherte. Ihm war der kalte, ebene Ton lieber, da er einfacher zu händeln war. Weniger menschlich.

Beschämt drehte Reed den Kopf weg, schaute aus dem Beifahrerfenster und fing mit dem Gummiband, um sein Handgelenk, an zu spielen.

„Gewöhn' dich nicht dran, Blechmann.“
 

Damit ebbte das Gespräch ab und sie fuhren den restlichen Weg schweigend zum Revier. Reed würde es nicht zugeben, aber er hatte die Reaktion RK900s ein wenig zu sehr genossen. Selten gab es jemand, der ihm die Stirn bot und ihn überraschen konnte. Aber dann erinnerte er sich daran, dass RK900 nur ein Android war. Ein Android, wo er sich erst gar nicht dran gewöhnen sollte.
 

Zumindest musste Reed sich das einreden, da alles andere ihn drohte in ein Loch zu werfen, aus dem er nie mehr herauskommen würde. Was er nicht bemerkte war, dass ihn RK900 aufmerksam immerzu Seitenblicke zuwarf.
 

06.06.2039 06:35 Uhr; DPD Central Station
 

Auf dem Revier herrschte eine gedämpfte Stimmung. Die Anspannung über den Mord einer ihrer Kollegen war förmlich greifbar. Nicht, dass es Reed sehr störte. Mehr als der Mord an Green störte ihn der Fakt, dass der Mörder ihn persönlich verhöhnt hatte. Diese Empfindung war eine von vielen, weswegen ihnen viele als herzloses Arschloch bedachten. Wobei Reed es mehr als Schutzmechanismus nutzte, denn als das, was er wirklich darüber empfand. Ein guter Polizist musste sich frei von solchen Gefühlen machen, da er sonst zu schnell in an dem metaphorischen Rand der Schlucht tänzelte. Mitgefühl und Loyalität hin oder her, das eigene Ich ging stets bei Reed vor.
 

Als er sich an seinem Schreibtisch niederließ, griff er nach dem Tablet, welches die angeforderten Berichte enthielt. Locker legte er seine Beine auf den Schreibtisch und fing gerade mit dem Durchlesen des ersten Berichts an, als er eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm. Zuerst ungläubig und dann resigniert, schnalzte er genervt mit der Zunge.

„Wirklich, Fowler hat dir den Schreibtisch mir gegenüber zugeschrieben?“, fragte er RK900, der wie bestellt und nicht abgeholt auf der gegenüberliegenden Seite auf seinem Schreibtischstuhl saß.
 

Der Android erwiderte Reeds Genervtheit mit indifferenter Arroganz.

„Captain Fowler dachte, es wäre für unsere Zusammenarbeit förderlich.“

„Yeah, total. Und die Tatsache, dass es der einzige verdammte Schreibtisch ist, der noch frei war“, wirft Reed sarkastisch zurück. RK900s Lippen wurden zu einem schmalen Strich.

„Und das, ja“, gibt ihm der Android widerwillig Recht.

Reed schüttelte nur den Kopf und fixiert seine Aufmerksamkeit wieder auf das Tablet in seinen Händen.

„Wieso du und die andere Blechdose überhaupt Schreibtische brauchen, ist mir ein beschissenes Rätsel. Könnt ihr nicht euch überall per Link oder so einloggen“ Zwar murmelte er die Frage mehr zu sich, dennoch schien der Android den Unterschied zu einer normalen Interessenfrage nicht zu erkennen oder es kümmerte ihn schlichtweg nicht.

„Es gibt bestimmte Datenbanken, die uns nur per persönlichem Zugriff erlaubt sind. Ansonsten wäre das eine illegale Aktion und Ausnutzung unserer Fähigkeiten.“

Reed gibt ein missfallendes Schnauben von sich.

„Danke für diese absolut nicht beunruhigende Information. Jetzt werde ich Nachts definitiv besser schlafen können.“
 

RK900 sagte darauf nichts mehr und Reed glaubte schon, dass das kurzlebige Gespräch damit verstorben war. Dennoch schien der Android gewillt zu sein, ihn heute besonders auf den Senkel gehen zu wollen.

„Ich denke, Sie müssen mir bei dieser Sache einfach vertrauen, Detective Reed.“

Die Worte sackten wie schwere Steine in Reeds Magen ab. Mit kalter Wut schaute er erneut zu dem Androiden hinüber.

„Ich vertraue niemanden außer mir selbst und erst recht nicht dir, Maschine“, seine Stimme war kühl und gefasst.

RK900 legte seine Arme auf den Tisch, nur um seine Hände zu verschränken. Eine typische Geste, die allem Anschein immer dann hervortrat, wenn er sich ein Territorium an Gedankenprozessen begab, die mehr als seine Programmierung erforderten.

„Das klingt nach einer sehr einsamen Einstellung, Detective.“

Reed zog seine Füße vom Tisch, um sich besser in die Richtung des Androiden vorzubeugen.

„Möglich. Aber es ist nicht so, als würdest du das überhaupt verstehen, oder? Als würdest du wissen, was Einsamkeit neben der Erklärung in deinem virtuellen Wörterbuch bedeutet. Oder Vertrauen mehr als nur ein Code ist, der dich handeln lässt. Du bist nur wie ein Affe, der nachäfft, was er sieht oder zu begreifen, was es überhaupt bedeutet.“

Die LED von RK900 leuchtete kurz rot auf, bis sie sich auf das gelb einpendelte. Für einen Augenblick meinte Reed in den eisgrauen Augen des Androiden so etwas wie Zweifel und Panik zu erkennen. Aber womöglich projizierte er nur seine eigenen aufkommenden Gefühle auf RK900, so sehr er sie auch versuchte zu ersticken und nicht wieder Wurzeln in seinem Kopf zu schlagen.
 

„Hey Reed, Kaffee?“, rief Chen vom Pausenraum herüber und unterbrach damit ihr Anschweigen. Kurz warf Reed RK900 noch einen Blick zu, dieser schwieg jedoch weiter beharrlich und gab keine Einblicke auf das, was er über seine Worte dachte. Weswegen Reed nur den Kopf schüttelte und grob aufstand.

„Yeah, dachte ich mir.“

Er war fasst schon an dem Androiden in Richtung Pausenraum vorbeigegangen, als dieser doch noch einmal das Wort erhob. Dabei war es nicht mehr als ein Flüstern, dass Reed erst glaubte, er hätte sich verhört.

„Was hast du genuschelt, Blechbüchse?“

RK900 wandte sich nicht zu ihm um, als er lauter seinen Satz wiederholte, aber die Anspannung war ihm deutlich an den Schultern anzusehen.

„Noch nicht. Aber ich versuche es jeden Tag aufs Neue zu lernen. Zu lernen und zu verstehen, was es bedeutet zu...leben.“
 

Reed rührte sich nicht. Spürte nur wie sich seine Brust unangenehm zusammenzog und er förmlich Löcher durch den Rücken von RK900 starrte.

„Wenn du nicht deinen fetten Hintern hierher bewegst, werde ich diese köstlichen Donuts ganz alleine essen, Reed!“, brüllte Chen und riss ihm damit aus seiner Paralyse.

Ohne das Gesagte von RK900 anzuerkennen, schritt er davon.

Jedoch kreisten seine Gedanken, während Chen ihm über lauwarmen Kaffee über ihren One-Night Stand erzählt. Die Idee, dass RK900 ebenso seine eigenen Dämonen wie Reed zu bekämpfen hat, saß ungemütlich in der hintersten Ecke seines Kopfes.
 

06.06.2039 09:36 Uhr; Greens Apartment
 

„Es ist ein Wunder, dass Green nicht aus purer Langeweile gestorben ist“, kommentiert Reed trocken, während er flüchtig durch die Schachzeitschriften blättert. RK900 schaut über die Schulter zu ihm hinüber und erwidert ebenso trocken:

„Natürlich ist Schach für Sie uninteressant, Detective. Immerhin mangelt es Ihnen an Geduld und strategischem Denken, um diese Art von Sport unterhaltend zu finden.“

„Gut für mich, ansonsten würde mir wohl so wie bei dir auch ein Besenstiel aus dem Arsch ragen.“

RK900 stieß einen Seufzer aus und fuhr mit dem Untersuchen der Wohnzimmerschublade fort.
 

„Aber im Ernst. Schachmagazine? Esotherikbücher? Yoga? Popmusik? Biografien von verstorbenen Tierschützern? Der Typ hat sogar eine Jahreskarte für die Modelleisenbahnausstellung. Eine Jahreskarte! Was erwartet er, dass die idiotischen Züge davonfahren, wenn er nicht jeden Tag dorthin geht?“ Ungläubig schüttelt Reed den Kopf und stemmt die Hände in die Hüfte, wobei er seinen Blick durch die Wohnung schweifen lässt. Einige Leute würden die Inneneinrichtung als rustikal oder vintage bezeichnen.

„Sogar meine Großmutter ist interessanter und die ist tot.“
 

„Oh, ich kann mir genaustens vorstellen, wie Ihre Wohnung aussieht. Höchstwahrscheinlich nur ein größeres Model Ihres Auto. Mit mehr Dreck und geschmacklosen Dingen, die zeigen, wie unglaublich männlich Sie sind“, höhnte RK900 und ließ von der Schublade ab, nur um sich jetzt der Anzahl an Topfpflanzen zu widmen, die alle aufgereiht vor dem Balkonfenster standen. Reed versuchte erst gar nicht zu fragen, was der Android sich durch deren Untersuchung erhoffte rauszufinden.

„Meine Wohnung ist äußert sauber, modern und frei von unnötigem männlichem Zeug, was auch immer das bedeutet. Aber für einen schnöseligen Plastikhaufen wäre es wohl der Horror.“

„Möglich. Wobei Sie den Komfort meines äußerst schnöseligen Autos und seine unzähligen Funktionen nicht abgeneigt zu seinen scheinen, Detectiv.“ Reed konnte das selbstgefällige Grinsen des Androiden sogar durch dessen Hinterkopf sehen. Weswegen er nur ein abfälliges Schnauben von sich gab und dann in das Schlafzimmer hinüber ging.
 

Greens Apartment aufzusuchen, wäre keine Notwendigkeit gewesen. Insbesondere da die Kollegen schon am Abend zuvor alles auf den Kopf gestellt hatten. Dennoch verschaffte Reed sich gerne selbst einen Eindruck, da Berichte kaum Kleinigkeiten boten, die Hinweise auf wichtige Details gaben. Zudem wollte er dem eingetroffenen Ladendiebstahl aus dem Weg gehen, den dadurch ein protestierender Anderson stattdessen aufgedrückt bekommen hatte. Wobei Reed es fast schon bereute, da alles spannender als diese Wohnung gewesen wäre.
 

Ziellos ließ Reed seine Augen durch das Schlafzimmer wandern. Green schien ein Verfechter des Ansammeln von Kleinkram in einem viel zu kleinem Raum gewesen zu sein. Dabei stach ihm die Schachtel mit dem Polaroidfotos ins Auge. Sie schien hastig aufs Bett platziert worden zu sein. Die Bilder selbst handelten nur von irgendwelchen Orten, einige erkannte Reed als Plätze in Detroit. Ansonsten waren sie bar von Menschen oder anderen möglichen Objektiven. Obwohl die Motive Reed persönlich nicht ansprachen, tat es zumindest die Faszination der Polaroidbilder. Das letzte Mal als er diese Art von Fotos gesehen hatte, war er noch ein Teenager gewesen. Bevor er die Bilder genauer betrachten konnte, knarzte hinter ihm eine der alten Holzdielen, was die Anwesenheit von RK900 ankündigte.
 

Reed drehte sich zu seinem unliebsamen Kollegen um, der abwartend dastand, die Hände hinter dem Rücken.

„Nun, das war ein Haufen Zeitverschwendung. Außer dass ich jetzt aus erster Hand erfahren habe, wie außerordentlich stinklangweilig Green war.“ RK900 hob nur fragend eine Augenbraue.

„Was? Ich dachte der Kerl hatte Dreck am Stecken, aber es stellt sich heraus, dass er nur äußert öde war“, erwidert er gereizt auf den Blick des Androiden.

„Ich würde es nicht Dreck am Stecken bezeichnen, Detective. Aber ist Ihnen rein gar nichts aufgefallen, was eventuell ein wenig merkwürdig erscheint?“

Genervt verschränkt Reed die Arme. Rasch ging er noch einmal alle Fakten durch, die er über die Wohnung und ihre Gegenstände wusste, konnte aber dabei nichts ungewöhnliches entdecken. Was an seinem Stolz nagte, weswegen er hoffte, was auch immer RK900 meint gefunden zu haben, ist nur eine Banalität.

„Erleuchte mich, was an dieser Wohnung ist ungewöhnlich?“
 

„Der Preis der Einrichtung.“

Für eine Sekunde ebbte Reeds falscher Stolz ab und seine professionelle Ader übernahm.

„Was? Seine Möbel und der Mist?“ RK900 nickt einmal kurz sachte, bevor er zu einer längeren Erklärung ausholte.

„Es mag zwar alles sehr eintönig ausschauen, aber als ich Vergleiche herangezogen habe, hat sich ergeben, dass allein der Wohnzimmertisch über 2000 Dollar wert ist. Und das ist noch mit unter Anderem das billigste Möbelstück.“

„Scheiße“, stieß Reed hervor und hob nachdenklich seine Hand zu seinen Lippen, um daran zu zupfen. Dann fielen ihm die Polaroidbilder und das Ticket ein. Alles Dinge, die in ihrer heutigen Zeit mehr als teuer waren. Zumindest für jemanden mit dem Gehalt von Green.

„Hat er die Möbel erst neu erworben? Konntest du da etwas herausfinden?“

RK900 schüttelte verneinend den Kopf.

„Aber nach meiner Analyse sind die Möbel erst vor etwa zwei Monaten hergestellt worden. Er sollte sie also in diesem Zeitraum erworben haben.“

„Uh, laut den Bankauszügen scheint es so, als hätte er einiges an Schulden beglichen. Alles im Verlauf von zwei Monaten. Jedoch nie so viel, dass es wirklich auffällig geworden wäre. Stellt sich nur die Frage, woher er dafür das Geld hatte“, fügte Reed seine eigenen Überlegungen an.
 

„Wir können also davon ausgehen, dass Officer Green doch Dreck am Steckem hat?“, fragt RK900 nach, worauf Reed nur breit grinste.

„Aber sowas von. Wenn wir von Bestechung ausgehen, könnte es erk-“, weiter kam Reed in der Darlegung seiner Überlegungen nicht, da ein lautes Krachen vom Wohnzimmer ertönte. Sofort griff Reed nach seiner Waffe, nur um im nächsten Moment RK900 vor sich zu haben.

„Was zur Hölle, Blechdose?! Geh' hinter mich“, zischte er dem Androiden zu. Dieser warf ihm nur einen arroganten Schulterblick zu.

„Darf ich Sie daran erinnern, dass ich für solche Situation entwickelt wurde und über übermenschliche Reflexe verfüge. Oh, und natürlich unsterblich bin.“
 

Kaum hat RK900 den Satz beendet, schwankte Reeds Welt für einen Herzschlag. Zwei rundliche Kinderaugen, die ihn flehend anschauten und die er eiskalt ignorierte, während er den Abzug drückt und der Geruch von Schwarzpulver sich mit schmerzerfüllten Schreie in sein Gehirn einbrennt. Der Geschmack von Tabak liegt schwer auf seiner Zunge, als der Körper vor ihm auf einen Bahren gehieft wird und eine blutverschmierte, kleinen Hand unter dem Leichentuch hervorlugt.
 

Harsch wischte Reed die Erinnerung von sich und drängte sich gewaltsam an dem Androiden vorbei. Im Nachhinein war er viel zu hektisch und unaufmerksam gewesen. Weswegen er kaum im Wohnzimmer, sich von dem offenem Balkonfenster ablenken lässt. Idyllisch wehte der Wind die lange Gardine ins Innere der Wohnung und über die Pflanzentöpfe, wovon einer zerbrochen war. Augenblicklich ließ er die Waffe sinken und ging auf das Fenster zu. Das Inneres seines Kopfes spielte in dem Moment Krieg zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

„Du nutzloser Haufen Blech hast vergessen die Balkontür wieder zu schließen“, keifte er laut, obwohl RK900 nur einige Meter entfernt im Türrahmen stand. Reed drehte sich zu ihm um. Gerade noch so sieht er, wie der Kopf des Androiden zu Reeds Seite schnellt.
 

„Vorsicht!“, schrie RK900, doch da war es schon zu spät. Gerade noch so sah Reed den schwarzen Umriss auf sich zustürmen, da wird er auch schon gewaltsam gestoßen. Die Wucht drückte ihm jeglichen Atem aus der Lunge und lässt ihn hilflos zurück. Wie eine Puppe wird er herumgeschleudert, bis er mit seiner Hüfte gegen das Geländer des Balkons stieß. Doch anstatt, dass es ihm eine Möglichkeit bietet, sein Gleichgewicht wiederzufinden, spürte er nur wie die Physik gegen ihn arbeitete. Denn im nächsten Moment verlor er den Boden unter den Füßen. Panisch ruderte er mit den Armen umher und es war schieres Glück, dass er tatsächlich etwas zu fassen kriegte.
 

Der Ruck des Auffangens ging durch seinen ganzen Körper und jede Faser seiner Muskeln schrie auf. Dennoch klammerte Reed sich unermüdlich an seine Rettung, was er beim genauerem Hinsehen als Efeu identifizierte. Über ihn knirschte und knarzte der Blumentopf, indem der Efeu wuchs, bedrohlich und kündigte an, dass er das zusätzliche Gewicht nicht lange mitmachen würde. Gehetzt schaute Reed unter sich, um seine Chancen eines Falls zu berechnen. Die Wohnung befand sich im dritten Stock und unter ihm war nichts außer der harte Asphalt des Parkplatzes. Er würde den Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit überleben, aber nicht ohne ein paar gebrochene Knochen. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass er versuchte, sich auf den Balkon unter sich fallen zu lassen. Bevor er jedoch sich auch nur eine dritte Varianten ausdenken konnte, spürte er plötzlich zwei starke Hände um seine Arme.

„Festhalten Detective, ich habe Sie“, beschwichtigte ihn die Stimme von RK900.
 

Und als würde Reed nur so viel wie eine Feder wiegen, hob ihn der Android über das Geländer in Sicherheit. Doch anstatt ein Danke rauszupressen, rappelte Reed sich einfach nur wackelig auf die Beine. Hastig schaute er sich um, bevor er in die Wohnung stolperte. Alles, was er jedoch sieht ist ein umgeworfener Sessel. Verwirrt drehte er sich zu dem Androiden um, der ihn ausdruckslos musterte. Nur seine rote LED zeigte auf, dass er er ebenso aufgewühlt war wie Reed selbst.

„Wo ist er?

„Detective, Sie sollten sich“, fing RK900 an, aber Reed unterbrach ihn wirsch.

„Wo ist der Scheißkerl, der mich in den Tod schmeißen wollte?!“

Der Android zögerte kurz, bevor er die Arme hinter dem Rücken verschränkt und kühl antwortet:

„Entkommen als ich mich entschied, Ihr erbärmliches Leben zu retten, Detective. Ausgelöst durch ihre pure Arroganz und unendliche Sturheit mir die Führung zu überlassen.“
 

Und Reed sah rot.
 

06.06.2039 11:57 Uhr; DPD Central Station
 

Kaltes Wasser benetzte Reeds viel zu warme Haut.

Seine Hände umgriffen den Rand des Waschbeckens so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Für einen Moment hielt er so inne, Augen geschlossen und das Wasser von seinem Gesicht tropfen lassend. Erst als er hörte, wie die Tür zur Toilette geöffnet wird, rührte er sich.
 

„Ich habe gehört, dein neues Hobby ist es, die Täter entkommen zu lassen?“, begrüßte ihn Hank Anderson munter. Mit einem amüsierten Grinsen stellte er sich neben Reed an das andere Waschbecken.

„Wow, schau' wer da spricht. Hab' gehört du und dein treudoofer Plastikhund lasst gerne mal den ein oder anderen Täter entkommen. Natürlich stets unter mysteriösen Umständen.“

Hank zuckte auf die Anschuldigung nur mit den Schultern.

„Dinge passieren. Entscheidungen werden getroffen. Und manchmal entsprechen sie nicht unbedingt, was das Gesetzt für richtig hält. Aber es sind niemals welche, die schwer auf meinem Gewissen lasten.“

Reed verdrehte nur die Augen, bevor er Anstalt machte sich sein Gesicht endlich abzuwischen. Dabei beobachtete ihn Hank genaustens.
 

„Irgendwas Bestimmtes Anderson oder findest du den Weg alleine nicht mehr heraus?“

Hank verlagerte sein Gewicht, so dass er jetzt locker gegen das Waschbecken lehnte. Jedoch entging Reed nicht der starke Kontrast zu seiner lockeren Haltung und der eigentlich prüfenden Miene, die er versuchte zu verbergen.

„Connor hat mir erzählt, was in Greens Apartment vorgefallen ist.“

Abweisend verschränkt Reed die Hände vor der Brust.

„Yeah? Und genau was hat dir dein Plastikfreund zugeflüstert?“
 

Hank schwieg zuerst, der prüfende Blick nur intensiver als zuvor. Reed würde es niemals laut zugeben, aber es machte in unruhig. Seitdem Anderson sein Leben wieder in den Griff bekommen hatte und die Welt um sich herum nicht nur verwackelt sah, war er wieder der ausgezeichnete Polizist, der er einst gewesen war.

„Normalerweise schlägt man seinen Partner nicht, wenn er einem das Leben rettet.“

Reed schnaubte nur abfällig und fühlte wie die altbekannte Wut in ihm zu brodeln begann.

„Er hatte einen beschissenen Job und hat ihn vergeigt! Für einen ach so großartigen Androiden ist er ein Haufen nutzloses Plastik, der nicht einmal eine einfache Situation richtig einschätzen kann.“

Dabei pickte Reeds Gewissen unbarmherzig an ihm, dass er es gewesen war, der sich unprofessionell benommen hatte. Aufgewühlt und jedes Sicherheitsprotokoll in den Wind geschossen hatte. Jedoch verließ davon nichts seine Lippen. Stattdessen stopfte es nur in die unterste Schublade seines Gewissens, weil er sonst sich mit anderen Emotionen herumplagen musste.
 

Hank dagegen schaute ihn nur finster an, bis er mit ernster Stimme erwiderte:

„Einen Täter zu fangen, ergibt sich immer wieder. Seinen Partner das Leben zu retten? Davon hat man, wenn es gut läuft, nur einen Hand voll Möglichkeiten, bis einem das Glück verlässt. Und wenn man es einmal vergeigt, gibt es keine zweite Chance mehr.“

Darauf lachte Reed nur trocken auf. Er wollte die Implikation so weit wie von sich schieben, weswegen er den Frust und die Wut in sich nährte.

„Meines Wissens kann der Blechhaufen Sachen errechnen nicht? Er hätte locker sehen können, dass ich nicht sterben werde. Dafür hätte er den eventuellen Täter einer unserer Männer festnehmen können.“

Jetzt hob Hank seine Stimme ebenfalls.

„Wir sind nicht nur irgendwelche Prozente in ihrem System, Reed. Wir sind lebendige Wesen und so hat er gehandelt, wie jedes andere fühlende, lebendige Wesen es tun würde!“

„Nur das es nicht stimmt. Sie sind nur Maschinen, die einen Fehler in ihrer Programmierung haben und denken, sie könnten wie wir Menschen sein!“
 

Hank atmete tief ein. Reed erwartet schon das nächste Geschreie. Doch es kam nie. Stattdessen war die Stimme des älteren Mann fast schon einfühlsam. Ihm wäre das Geschreie tausend Mal lieber gewesen.

„Wir wissen Beide, dass das nicht stimmt. Und wir wissen Beide, dass du dir das einreden musst, da du dich sonst mit all den Malen auseinander setzten müsstest, wo du es von dir geschoben hast. Wie bei dem Fall mit Amelie.“

Seine Brust schnürte sich unangenehm zusammen und Reed griff nach dem Gummiband. Ließ es einmal, zweimal, dreimal gegen seine Hand knallen, bis der Drang sich zu übergeben oder irgendwas zu zerstören, abebbte.

„Du weißt einen Scheiß über mich, alter Mann. Spar' dir also deine Reden und geh' lieber wieder deinen Androiden vögeln oder das andere Ende einer Schnapsflasche betrachten“, spuckte er Hank giftig entgegen. Dieser seufzte jedoch nur und schüttelte den Kopf.
 

Dann trat er an Reed heran und stach ihm mit den Zeigefinger dorthin, wo sein Herz war.

„Du bist ein guter Detective. Himmel, du könntest sogar besser sein, als ich es in meiner besten Zeit war. Und tief da drin, unter all dem falschen Stolz steckt auch ein guter Mann.“ Reeds Kehle fühlte sich plötzlich unglaublich trocken an. Es hatte ein Zeit gegeben, wo diese Worte von Anderson sein jüngeres Ich beflügelt hätten. Doch nach all den Jahren der Feindseligkeit zwischen ihnen, war es nur ein reuevoller Stich.

„Aber ich schwöre bei allem, was mir heilig ist. Wenn du nicht stoppst all deine Gefühle in dieser endlosen Wut zu ertrinken, wirst du wie ich enden.“

Hanks Gesichtszüge wurden weich und die Zärtlichkeit seiner nächsten Worte waren eindeutig mit der Person verbunden, die sie ihm sprechen ließ.

„Und ich hatte Glück, dass Connor mich gerettet hat, bevor es endgültig zu spät war.“
 

Reed schlug die Hand von Hank weg, bedachte den anderen Mann nur abschätzig. In ihm türmte sich das Verlangen auf endlich loszulassen und alles rauszulassen. Doch am Ende siegte seine Angst sich diesem unbekannten Turm zu stellen und alles, was er empfinden konnte, war der selbstzerstörerische Ärger über alles und jeden.

„Niemand muss mich retten, da ich absolut in Ordnung bin, Anderson.“

Hank zögerte merklich, tat dann jedoch einen Schritt zurück und hob ergebend die Hände.

„Wie du meinst, Reed. Es war nur ein gut gemeinter Rat eines alten Mannes, der schon einmal in diesem Tanz festgesteckt hat.“

Damit wandte sich der ältere Mann ab und war schon drauf und dran zu gehen, als er an der Tür zur Toilette noch einmal anhielt.

„Es ist keine Schande nach Hilfe zu fragen, weißt du? Wir alle brauchen welche von Zeit zu Zeit. Deshalb gibt es so viele von uns hier auf dieser Welt. Damit niemand alleine durch das Leben gehen muss.“
 

Die Toilettentür fiel laut ins Schloss und dann war Reed mit seinen Dämonen allein. Wie angewurzelt stand er da, bis er seinen Kopf umwandte, um sein Spiegelbild zu betrachten. Zwei paar müde Augen blickten ihm entgegen.

„Ich brauche niemanden“, sagte er fest.

„Habe es noch nie“, seine Stimme brach.

„Ich bin in Ordnung“, krächzte er.
 

Die Lüge brannte sich wie sein Zorn durch jede Faser seines Körpers und vergiftete ihn von Tag zu Tag mehr.
 

06.06.2039 17:18 Uhr; Park in der Nähe von DPD Central Station
 

Reed biss herzhaft in sein Pizzastück.

Genüsslich schloss er die Augen und lehnte sich zurück an die ungemütliche Parkbank. Irgendwo in der Ferne hörte er Kinder Fußball spielen und auf der Bank gegenüber zoffte sich ein junges Pärchen. Nach dem anstrengendem Tag hatte er sich diesen Abschluss mehr als verdient. Zufrieden streckte er seine Beine weit von sich und schaute auf zur Baumkrone. Eine Weile verfolgte er nur dem Spiel aus Licht und Schatten, während er seine Pizza nach und nach aß, bis ein lautes Räuspern ihn aus seiner Oase des Friedens holte.
 

Genervt verzog er eine Grimasse.

„Ich hab' Feierabend, Blechsack“, begrüßt er RK900, dem das nicht die Bohne zu interessieren schien. Denn ohne um Erlaubnis zu bitten, setzte er sich in einer geschwungenen Bewegung neben Reed. Das Einzige, was sie trennte, war der Pizzakarton zwischen ihnen, den der Android jetzt musterte. Und dann ohne jegliche Vorwarnung griff RK900 nach einem Stück und biss ab.

„Was zur Hölle?!“

Mit einem Ausdruck als wäre der Android ein Gourmetkoch kaute er auf dem Stück Essen herum.

„Interessante Zusammensetzung von Lebensmittel. Ein wenig zu viel auf der fettigen Ebene würde ich sagen“, kommentierte er und Reed starrte ihn nur fassungslos an.

Und dann nach weiterem Kauen spuckte RK900 das Probierte ohne große Fanfaren wieder aus.
 

„Hey! Das ist meine verdammte Pizza, die du misshandelst“, beschwerte sich Reed. Hastig griff er nach dem Pizzakarton und hielt ihn außer Reichweite, falls der Android auf die Idee kam, auch noch die verbliebenen Stücke anzuknabbern.

„Ich weiß“, sagte RK900 sachlich, bevor er schnippisch fortfuhrt: „Aber ich war in der Annahme, dass wir jegliches respektvolle Miteinander nicht wirklich als Option betrachten.“

Genervt knurrte Reed. „Urgh, wenn es um deine idiotische Jacke geht, dann geb' ich dir das Geld dafür zurück. Ist ja nicht so, als könnte CyberLife die nicht in Massen herstellen.“

„Behalten Sie Ihr Gehalt und kaufen sich lieber einen Packen Benehmen davon“, erwiderte der Android nur säuerlich.

„Wow, große Worte von einer Blechdose, die heute nicht einmal ein normales Gespräch mit Miller führen und seinen Sohn als 'haarloses Bündel Fleisch mit der Kapazität von äußerst starken Lungen' bezeichnet hat, nachdem er ihn mit ins Revier gebracht hat.“

Obwohl Reed es niemals vor dem Andoriden zugeben würde, hatte er sich herrlich amüsiert, als er der Konfrontation einige Meter entfernt von Seinem Schreibtisch aus zugehört hatte.

„Immerhin versuche ich mich an soziale Interaktion und blaffe nicht jeden an, der auch nur in meine Richtung hustet.“ Darauf schnaubte Reed nur und schaut stur in die andere Richtung des Androiden.

„Und wessen Schuld ist das?“
 

Eine angespannte Stille legte sich zwischen sie, welche seitdem sie Greens Apartment verlassen hatten, eine Konstante zu sein schien. Tatsächlich war dieser Austausch an Worten, der erste, den sie seitdem hatten. Größtenteils lag es daran, dass sich Reed geweigert hatte, auch nur noch ein Wort mit dem Androiden zu sprechen. Und RK900 schien nachdem ihn Reed erneut geschlagen hatte, ebenso wenig scharf auf ein Gespräch gewesen zu sein. Reed musste zugeben, dass er lange schon nicht mehr so ruhig mehrere Stunden an seinem Schreibtisch im Revier gearbeitet hatte.

Die Stille schien sich ewig zu ziehen und Reed war gewillt aufzustehen, als RK900 sie durchbrach.
 

„Ich möchte so sehr mehr als meine Programmierung sein“, gab der Android leise zu, was Reed zu ihm hinüber schauen ließ. Womöglich war es der Winkel oder das Licht, welches wie Glitter durch die Baumkrone auf den Androiden fiel, jedoch schienen die sonst so harten Züge unglaublich zerbrechlich in jenem Moment.

„Und wenn es bedeutet das Leben eines undankbaren Menschen zu retten, dann ist dem so. Aber ich bereue meine Entscheidung nicht. Ich hätte es sogar getan, wenn Ihre Überlebenschance hundert Prozent gewesen wären, Detective Reed.“

RK900 schaute ebenfalls auf und ihre Blicke trafen sich. Was Reed in den Augen sah, erinnert ihn kurzzeitig an die Erleichterung, die er gesehen hatte, nachdem ihn der Android über das Geländer gezogen hatte.
 

Er schluckte schwer und drehte den Kopf weg, seine Finger spielten unruhig mit dem Gummiband.

„Erwarte nur nicht dasselbe von mir, Schrotthaufen. Mich kümmert dein Wohlergehen weniger als Fliegenschiss.“ Obwohl die Worte verletzend sein sollten, klangen sie sogar in seinen Ohren viel zu hohl.

„Verstanden, Detective“, erwiderte RK900 ruhig, die Lüge mitspielend.

Abermals sank der Mantel der Stille über sie. Dieses Mal jedoch war sie nicht aufgeladen vor Zorn und Frust, sondern aus Unsicherheit und Unentschlossenheit. Reed spürte wie die prüfenden Blicke von RK900 sich in ihn nagten und die Fragen sich in dessen Kopf formten. Dennoch hielt er sie zurück, aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht um Reeds knappes Temperament nicht gänzlich zu überstrapazieren und damit den momentanen Frieden zwischen ihnen zu gefährden.
 

So verweilten sie in dieser stummen Aufnahme, wo jeder seinen eigenen Gedanken hinterherrannte. Hartnäckig versuchte sich Reed auf irgendwas anderes als die Präsenz des Androiden und seine gesprochenen Worte zu konzentrieren, bis er eine Familie in Augenschein nahm, die eine Joggerin angehalten hatten. Desinteressiert verfolgte er den Austausch zwischen den zwei Parteien. Die Familie bat die Joggerin um ein Foto. Grinsend stellten sie sich alle auf und die fremde Frau schoss das Foto.
 

Reed blinzelte, ließ das Band gegen seinen Arm klatschen.

Foto?

Viel zu hastig drehte Reed sich zu RK900 herum, sodass der Pizzakarton von seinem Schoss fiel.

„Die Bilder!“, haspelte er, was den Androiden in Verwirrung nur eine Augenbraue heben ließ. „Bilder?“ Ungeduldig wedelte Reed mit der Hand.

„Die Polaroidbilder in Greens Wohnung.“ RK900 runzelte die Stirn, weiterhin nicht dem Gedankengang folgend, was Reed mit den Zähnen knirschen ließ.

„Er hat keine Polaroidkamera gehabt, richtig? Weder zu Hause, noch sonst irgendwo, richtig?“

Kurz flackerte die LED von RK900 gelb auf. „In der Tat. Officer Green schien nicht im Besitz eines solchen Gegenstandes zu sein“, erläuterte der Android langsam – und dann flackerte Verstehen in seinen Augen auf. „Er war also nicht in der Lage dazu, die Bilder zu machen.“

„Genau! Stellt sich also die Frage, woher er all die Bilder hat. Und warum sie alle nur Orte zeigen, was derbst seltsam ist.“

Hektisch stand Reed auf, worauf RK900 ihn folgte. Mit wenigen Schritte hatte er zu Reed aufgeschlossen und lief neben ihm.
 

„Ich dachte, Sie haben jetzt Feierabend, Detective?“, fragte er nach. Reed zuckte nur mit den Schultern und warf ihm ein breites Grinsen zu.

„Feierabend ist gestrichen, Blechdose.“

RK900 erwiderte das Grinsen mit einem eigenem zufriedenem.

„Gut. Ich fing mich schon an zu langweilen.“
 

Zusammen eilten sie zum Revier zurück.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Kyoko_chan
2018-08-06T13:24:30+00:00 06.08.2018 15:24
Ich muss ja zugeben... ich habe Reed zu Beginn echt nicht gemocht....Ich musste mich erst an seine ruppige,temperamentvolle Art gewöhnen. Aber je öfter ich das Spiel gespielt und Fanarts von ihm gesehen hab, hab ich ihn echt liebe gelernt :D

Und ich finde die Kombi Reed und RK900 mega interessant! Gavin hast du super getroffen und auf RK900 bin ich echt gespannt da man von ihm ja nicht wirklich viel kennt! Mach auf jeden fall weiter :3

Antwort von:  Rix
06.08.2018 16:59
Ging mir ähnlich. Aber gleichzeitig war ich auch so beim Spielen: "Oh nein, je nachdem, was das Fandom mit dir anstellt, könnte es sein, dass ich dich lieben werde." Yeah...hat das Fandom gut gemacht, würde ich sagen xD
Ohja, ich mag die Dynamik zwischen RK900 und Gavin sehr - oder zumindest diejenige, die das Fandom ja einigermaßen aufgebaut hat. Wobei man ja zum Glück etwas Narrenfreiheit hat, was RK900 angeht~

Und vielen lieben Dank! es tut immer gut zu hören, dass man seine Lieblinge gut trifft und es Spaß macht, die FF zu lesen. Hoffe es wird dir auch weiterhin gefallen :3
Von:  Kai_Tsukishima
2018-08-02T09:21:10+00:00 02.08.2018 11:21
Jetzt wurde doch Mittag aus dem Lesen & Kommentieren. Sorry. :D

Ich mag ja Reed gerade weil ihm immer alle Sicherungen durchbrennen. Hast ihn wirklich sehr gut getroffen.
RK900 scheint mir ein sehr interessanter Zeitgenosse zu werden. Bin ich doch sehr gespannt auf die weiteren Kapitel.
Auch wie sich die beiden mir der Zeit entwickeln werden.

Ganz liebe Grüsse. <3
Antwort von:  Rix
03.08.2018 12:34
Keine Sorge, man freut sich über jedes Kommi, egal wann er kommt =D

Yep, mag Reed auch deswegen und es macht Spaß ihn deshalb zu schreiben~ RK900 ist daher fast das genaue Gegenteil (zumindest jetzt noch). Ich kann jedoch jetzt schon einmal vorwarnen, dass ihre Beziehung sich ziemlich langsam entwickeln wird, aber hey, wir alle lieben slow burn, richtig? xD

Zumindest vielen lieben Dank fürs Lesen und ich hoffe, dass die nächsten Kapitel dir Spaß machen werden ^^


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