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Contest Trouble

von

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Ein neuer Tag

Lange war es her, seit Maike die Gruppe verlassen hatte. Viele Jahre waren vergangen, in denen sie sich zu einer großartigen Koordinatorin und Pokémon-Trainerin entwickelt hatte. Sie hatte unzählige Wettbewerbe in den verschiedensten Regionen bestritten und davon auch so einige gewonnen. Immer wieder war sie dabei auf alte Freunde und Rivalen und somit auch auf Drew getroffen.

Mit den Jahren hatte sich ihre Freundschaft immer mehr gefestigt. Vor Wettbewerben trainierten sie oft gemeinsam und verbrachten Zeit miteinander. Ihre Rivalität half ihnen gleichzeitig, sich auf ihre Ziele zu konzentrieren.

Auch jetzt waren sie und Drew wieder einmal in der selben Stadt, um an einem Wettbewerb teilzunehmen. Ranovia City war riesig und doch natürlich und wunderschön. Überall gab es große, grüne Parks, die alten Fachwerkhäuser muteten romantisch an und ein Industrieviertel gab es hier zum Glück auch nicht. Diese Stadt war wie dafür geschaffen, um einen Pokémon-Wettbewerb zu veranstalten.

Seit nunmehr zwei Tagen war Maike bereits in Ranovia City und hatte sich neben dem Training verschiedene Orte und Sehenswürdigkeiten der Stadt angesehen. Drew war - natürlich - bereits vor ihr da gewesen und es war ihr beinahe so vorgekommen, als hätte er sie bei ihrer Ankunft im Pokémon Center bereits erwartet.

Auch nach all den Jahren ärgerte er sie noch mit seinen Sprüchen und Sticheleien, doch sie nahm es mehr und mehr mit Humor. Er war seinerseits eine richtige Berühmtheit geworden und hatte noch mehr Fans als früher. Dann und wann ertappte Maike sich dabei, wie sie die ganzen jungen Mädchen und Frauen mit einem Anflug von Eifersucht betrachtete, wenn sie Drew umzingelten und dieser sich natürlich äußerst charmant um seine Fans kümmerte. Doch das gehörte zum Leben eines Star-Koordinators dazu und er machte seinen Job hervorragend. Sie konnte ihm das schlecht übel nehmen. Warum sollte sie auch, sie waren schließlich bloß Freunde.

Im Augenblick saß Maike auf einer Parkbank in der Nähe des Pokémon-Centers, genoss das angenehme Wetter und den kühlen Wind und wunderte sich, warum ihre Gedanken so sehr um Drew schwirrten. Sie waren für später zum Abendessen verabredet. Seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte waren einige Monate vergangen, weshalb sie sehr gespannt darauf war, was er ihr alles an Neuigkeiten zu erzählen hatte.

Eine vertraute Stimme erklang hinter ihr.

"Maike, wie schön dich zu sehen!"

Sie wandte sich um. Dort stand Aiden, ein weiterer Koordinator und Freund, mit dem sie in den vergangenen Jahren so einiges erlebt hatte. Eine Zeit lang waren sie sogar gemeinsam umhergereist, bis sich ihre Wege schließlich wieder getrennt hatten. Doch ähnlich wie Drew traf sie auch ihn regelmäßig bei Wettbewerben wieder.

"Aiden, ich freue mich auch! Schön, dass du hier bist! Bist du heute erst angekommen?"

Lächelnd erhob sie sich von der Parkbank und umarmte ihren Freund, welcher die Umarmung seinserseits gewohnt innig erwiderte. Aiden war einfach der herzliche Typ und das hatte sie an ihm auch schon immer sehr geschätzt. Mit seinem warmen, freundlichen Charakter war er quasi das genaue Gegenteil von Drew.

"Ja, ich habe eben erst ausgepackt und dachte, ich schaue mich noch etwas in der Gegend um. Es ist ja echt wunderschön hier! Aber genug von mir. Wo bist du überall gewesen in letzter Zeit?"

Maike setzte zu einer Antwort ein, doch da sprach der Koordinator auch schon weiter.

"Es kommt mir wirklich vor, als hätten wir uns seit Jahren nicht gesehen. Ach, meine liebe Maike, was hab' ich dich vermisst! Du musst mir unbedingt alles erzählen was du erlebt hast, und ich dann dir sicherlich auch ein paar spannende Geschichten erzählen. Bis zum Wettbewerb sind ja zum Glück noch zwei Tage Zeit. Trotzdem fürchte ich, dass das kaum ausreichen wird, um all die Zeit ohne dich aufzuholen."

Er endete mit einem Seufzer und Maike lachte, etwas überrumpelt von seinem Redeschwall.

"Ganz ruhig, Aiden", sagte sie, "ich renne doch nicht weg! Ich freue mich auch schon, mich in Ruhe mit dir zu unterhalten und von deinen Erlebnissen zu hören."

"Ach, ich bin zu ungeduldig. Was hältst du davon, wenn wir gleich heute Abend zusammen Essen gehen und quatschen?"

Maike überlegte einen Moment.

"Nun, eigentlich bin ich heute Abend schon mit Drew zum Essen verabredet, aber er hat bestimmt nichts dagegen wenn du mitkommst."

Aiden grinste begeistert.

"Toll! Ich freue mich! Bisher hatte ich wenig Gelegenheit, Drew besser kennen zu lernen. Er ist so abweisend."

"Nur weil er dich noch nicht kennt, glaub mir. Dich muss man ja mögen." Sie grinste ihn an. "Außerdem ist er meist nur zu Menschen so, die er noch nicht kennt."

Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten über Ranovia City und einige belanglose Dinge und machten sich schließlich gemeinsam auf den Weg zurück zum Pokémon Center.

Dort angekommen verabschiedeten sie sich für's Erste.

"Wir sehen uns dann heute Abend!", sprach Maike zu Aiden.

"Ja, ich freue mich schon! Bis dann!"

Vorbereitungen für den Wettbewerb

Als die Sonne langsam am Horizont verschwand verließ Maike ihr Zimmer im Pokémon Center. Einige Zeit hatte sie überlegt was sie anziehen sollte. Immerhin traf sie Drew und wollte ihren Rivalen ein wenig beeindrucken. Andererseits könnte es falsch rüber kommen, wenn sie sich zu sehr in Schale schmiss. Also entschied sie sich am Ende doch wieder für ihr normales Outfit.

Gewohnt überpünktlich wartete Drew schon an der Tür zum Pokémon Center. Als er sie sah, lächelte er sie freundlich an.

Maikes Herz schlug einen Takt schneller, doch beruhigte es sich sogleich auch wieder. Auch wenn sich sein Verhalten ihr gegenüber in den letzten Jahren deutlich gebessert hatte, so hatte sie sich immer noch nicht richtig daran gewöhnt und rechnete stets jeden Augenblick mit irgendeinem Spruch.

"Hey Drew!", begrüßte sie ihn mit einem strahlenden Lächeln.

"Ich hoffe es stört dich nicht, ich habe noch..."

"Oh Drew, wie schön dich wiederzusehen!", ertönte es aus dem Gang zu den Zimmern, von wo aus Aiden auf sie zugeeilt kam.

"... Aiden eingeladen", beendete sie ihren letzten Satz und lächelte hilflos. Ihr Lächeln erstarrte, als sie Drews Gesichtsausdruck sah. Einen kurzen Moment hätte sie meinen können, dass sein warmes Lächeln sich um gefühlte 50 Grad abgekühlt hatte. Doch entweder hatte sie sich das eingebildet oder er hatte seine Gefühle erstaunlich schnell wieder in den Griff bekommen.

"Grüß' dich, Aiden", meinte er nur höflich zu dem überaus fröhlichen Neuankömmling.

Maike war ihrerseits einen Moment etwas überfordert mit der Situation, sie wusste Drews Verhalten nicht richtig einzuordnen. Doch sie redete sich schließlich einfach ein, dass sie sich das eingebildet haben musste.

Gemeinsam machten sich die drei Koordinatoren auf den Weg zu einem nahegelegenen Restaurant. Maike war etwas überrascht, Drew war bei seiner Wahl dieses Mal von seinem ihr bekannten Muster abgewichen. Dieses Lokal war viel nobler als die vielen davor. Sofort ärgerte sie sich, dass sie nicht doch das schickere Outfit gewählt hatte, doch gleichzeitig beruhigte es sie, dass Drew und Aiden auch völlig normal gekleidet waren.

Auf dem Weg hatte Aiden ohne Unterlass geredet. Er erzählte viel und gern und hatte ein Talent dafür, die Leute mitzureißen. Nun, normalerweise zumindest. Drew reagierte, wenn überhaupt, bloß auf die Fragen die Aiden ihm direkt stellte. Und auch das schien er nur aus Höflichkeit zu tun.

Maike kam einfach nicht umhin zu bemerken, dass Drew Aiden nicht wirklich mochte. Wenn sie bloß wüsste warum. Aiden war ein sehr netter Mensch. Manchmal etwas aufgedreht und laut, aber er tat niemals jemandem etwas zu Leide, im Gegenteil. Er half immer wo er konnte und war zu jedem freundlich.

Nun plagte sie ihr schlechtes Gewissen, da sie ihn einfach eingeladen hatte, ohne Drew vorher zu fragen ob das in Ordnung geht. Aber es nützte nichts. Sie musste jetzt das Beste daraus machen.

Auch während dem Essen zeigte sich Drew ungewohnt reserviert. Aiden bemerkte das entweder nicht oder hatte eine erstaunliche Gabe, es sich nicht anmerken zu lassen. So oft es ging und Aiden sie ließ, beteiligte sich Maike fröhlich an dem Ein-Mann-Gespräch und versuchte die Stimmung aufzulockern.

Irgendwann hatte Aiden Drew dann aus der Reserve gelockt. Sie besaßen beide ein Libelldra und unterhielten sich angeregt über Trainingsmethoden und Attackenkombinationen.

Somit ging Maike dann doch noch mit einem guten Gefühl zurück. Ein Glück. Sie hatte beinahe befürchtet, dass dieser Abend ein absoluter Reinfall würde.
 

Der nächste Morgen brach an, und Maike reckte sich, als sie spürte wie die Sonne ihr Gesicht kitzelte. Schlaftrunken blickte sie auf ihren Wecker, nur um im nächsten Moment völlig panisch aus dem Bett zu springen.

"Verdammt, ich habe schon wieder verschlafen!"

In Windeseile machte sie sich fertig und eilte hinaus in den Park. Dort wartete bereits Drew.

"Zu spät. Wie erwartet."

Sie grinste entschuldigend. "Manche Dinge ändern sich wohl nie. Es tut mir Leid."

Er erwiderte ihr Grinsen. "Nun, was soll man von einer zweitklassigen Koordinatorin schon anderes erwarten", neckte er sie.

"Du Idiot, ich hör wohl nicht richtig", schimpfte sie, wobei sie um ein Lächeln nicht umhin kam, und boxte ihm freundschaftlich gegen die Schulter.

"Na na, wer wird denn wohl gleich handgreiflich werden. Wie unprofessionell."

"Du, Drew", überging sie seinen Kommentar, "das mit gestern tut mir Leid. Ich hätte dich vorher fragen sollen ob das okay ist."

Er winkte ab. "Dich trifft keine Schuld. Er ist ja ganz in Ordnung. Ich habe nur etwas gebraucht, um das auch einzusehen. Jetzt lass uns endlich mit dem Training beginnen!"

Sie grinste. "Nichts lieber als das!" Sie war absolut kampfbereit und brannte schon darauf, Drew mit einigen neuen Attacken und Kombinationen zu beeindrucken. "Glaziola, ich wähle dich!"

"Los, Absol!"

Die beiden Pokémon lieferten sich einen hitzigen Kampf, beide waren absolut beeindruckend und hervorragend trainiert.

Am Ende des Trainings waren sowohl Pokémon als auch Koordinatoren erschöpft. Sie ließen Absol und Glaziola etwas im Park herumtollen, während sie das ganze von einer Bank aus beobachteten.

"Weißt du, Maike...", begann Drew zögerlich.

Neugierig blickte sie ihn an. "Ja, was ist denn?"

"... Nun, ich habe das Trainieren mit dir wirklich vermisst."

Sie lächelte herzlich. "Ach, Drew, ich habe dich auch vermisst", neckte sie ihn.

Zu ihrer Überraschung sah er sie nur ernst an. "Weißt du, das habe ich wi-"

"MAIKE, DREW!", erschallte es laut von hinten und zerstörte den Moment, was auch immer das gewesen sein mochte. Aiden lief winkend auf sie zu.

"So ein Zufall, dass ich euch hier treffe!"

"Ja, natürlich", murmelte Drew mit ironischem Unterton und beobachtete kühl, wie Aiden Maike in den Arm nahm. Wie immer umarmte er sie sehr innig zur Begrüßung, doch mit Drew neben sich war das Maike irgendwie sogar unangenehm. Verlegen erwiderte sie die Umarmung trotzdem. "Hallo Aiden."

"Ja, hallo Aiden", meinte Drew. "Wir haben dich schmerzlich vermisst."

"Ach, mein kühler grünhaariger Freund, du willst mich nur wieder ärgern, was?" Aiden lachte und hakte sich bei Maike ein. "Wie toll, ich wollte auch gerade spazieren gehen."

"Naja, eigentlich saßen wir ger-", versuchte Maike einzuwerfen, doch wurde sie sogleich wieder von Aiden unterbrochen.

"Komm, ich habe gestern vor dem Abendessen einen tollen Ort hier entdeckt, den will ich dir zeigen!"

Drew seufzte. Das war offensichtlich. Er wollte ihn IHR zeigen. Da war kein Platz für ihn. Er rief Absol zurück in seinen Pokeball.

"Viel Spaß ihr zwei", verabschiedete er sich und machte sich auf den Weg zurück.

Perplex sah Maike ihm nach. "Aber Drew..."

Aiden ließ ihr keine Zeit ihn umzustimmen und zog sie einfach mit sich. Warum verhielten Männer sich bloß manchmal so merkwürdig?
 

Eins musste man Aiden lassen. Der Ort war wirklich fantastisch. Versteckt hinter Bäumen und Sträuchern verbarg sich eine kleine Lichtung, in der Nähe einer Felswand, wo ein Bächlein einen kleinen Wasserfall verursachte. Im Licht der Sonne zeigten sich ein paar kleine wunderschöne Regenbögen.

"Wow", war das einzige, was Maike herausbrachte, als sie sich voller Entzücken umsah. Hier war alles noch unberührt, nirgendwo eine Parkbank, kein Weg, kein Müll. Ihr Glaziola tollte begeistert umher, während die beiden Koordinatoren bloß still nebeneinander standen und den Augenblick genossen. Wer hätte gedacht, dass das möglich wäre. Still sein mit Aiden. Ein Lächeln umspielte bei diesem Gedanken ihre Lippen. Aiden schien das aus dem Augenwinkel zu bemerken und sah sie nun an.

Merkwürdig. So hatte er sie noch nie angesehen. Sie warf ihm einen irritierten Blick zu. "Ist alles in Ordnung?"

"Oh, natürlich", antwortete er. "Es macht mich bloß glücklich, dich so zu sehen."

Sie spürte, wie sie errötete. "Oh, das... Das ist lieb von dir!"

"Maike." Er kam näher. "Ich will dir schon lange etwas sagen."

In Erwartung dessen was er ihr zu sagen hatte schlug ihr Herz bis zum Hals. Was würde nun kommen? In Sekundenbruchteilen schossen ihr tausend Gedanken durch den Kopf. Bildete sie sich das gerade alles nur ein? Was sah sie in Aiden? Er war doch bloß ein guter Freund und immerhin trotz allem noch ein Rivale. Aber viel wichtiger war ja: Was sah er in ihr?

"Ich glaube, dass ich mich in dich verliebt habe."

So. Nun war es raus und Maike sah ihn fassungslos an. Darüber hatte sie sich vorher nie Gedanken gemacht und somit wusste sie nicht, wie sie auf diese Offenbarung richtig reagieren sollte.

"Ich... äh... wow, Aiden, das ist... überraschend", stotterte sie.

Aiden bemerkte dass sie dezent überfordert war und lächelte mitfühlend.

"Tut mir Leid. Das wird dir zu viel, ich sehe schon. Vielleicht ist das der falsche Augenblick. Lass uns einfach hier stehen und den Anblick genießen."

Verdammt, seit wann war Aiden so vernünftig, besonnen und ruhig? Irgendwas stimmte hier doch nicht. Aber nachdem sie einmal tief Luft geholt und sich etwas beruhigt hatte, kam sie seinem Vorschlag nach.

In all den Jahren hatte es natürlich mal jemanden gegeben. Doch das war nicht von Dauer gewesen. Mittlerweile war sie 20 Jahre alt, und trotzdem stellte sie sich in solchen Situationen noch so naiv an wie ein kleines Mädchen.

Aiden überraschte sie immer mehr. Auf dem Rückweg verlor er eine Weile kein Wort, sondern lächelte einfach zufrieden vor sich hin. Er schien glücklich. Und das steckte an. Maike ertappte sich dabei, wie sie selbst dümmlich grinste, ohne wirklich zu wissen warum. Sie hatte bisher noch immer nicht auf sein Geständnis reagiert und hoffte, dass er sie nicht allzu bald wieder darauf ansprechen würde. Irgendwann unterhielten sie sich wieder fröhlich und als sie so in das Pokémon Center zurück kehrten, sahen sie Drew auf einer Couch sitzen. Er hatte die beiden sofort gesehen.

Maikes fröhliche Stimmung erstarb. Aiden verabschiedete sich und zog sich in sein Zimmer zurück, doch die Koordinatorin setzte sich zu ihrem Rivalen.

"Wie ich sehe hattet ihr viel Spaß", bemerkte er trocken.

Sie lächelte ihn hilflos an. "Du hättest mitkommen sollen. Der Ort war wirklich fantastisch!"

Ein müdes Lächeln umspielte seine Lippen. "Hauptsache du warst glücklich."

Es schmerzte in ihrem Magen, so sehr fuhren ihre Gefühle gerade Achterbahn. Ja, sie war in dem Moment glücklich gewesen, doch das hatte nicht an Aiden gelegen. Oder doch? Immerhin hatte er sie dort hin gebracht. Aber Drews Verhalten versetzte ihr einen Stich ins Herz. Ohne vorwurfsvoll zu sein gab er ihr das Gefühl, etwas Schlimmes getan zu haben.

Er schien sich wieder zu fangen. "Morgen früh können wir noch mal trainieren, wenn du möchtest. Und danach ist Schluss mit lustig. Dann sind wir wieder Rivalen."

Sie lächelte. "Wir hören doch niemals auf Rivalen zu sein, oder?"

"Ich fürchte nicht, nein." Er strich sich mit einer eleganten Bewegung eine seiner grünen Strähnen aus dem Gesicht und stand auf. "Ich hoffe wir sehen uns zum Abendessen." Dann reichte er ihr eine Rose und verschwand. Ratlos blickte sie ihm hinterher und drückte die Rose an sich, ganz ungeachtet der Dornen.

Auch der nächste Tag verlief sehr merkwürdig. Aiden schien überall dort aufzutauchen, wo Maike gerade war, und Drew zog sich dann stets wortlos zurück. Die Blicke der Beiden untereinander waren furchteinflößend. Aiden zeigte sich von einer ganz neuen Seite.

Die Koordinatorin versuchte einfach das Beste aus der Situation zu machen, doch die Beiden machten es ihr nicht gerade leicht. Am Ende beschloss sie, allein zu Abend zu essen, was sowohl Drew als auch Aiden enttäuschen zu schien. Doch das war ihr lieber und vor allem viel entspannter so kurz vor dem morgigen Tag.

Möge der Bessere gewinnen!

Schließlich war der Tag der ersten Wettbewerbsrunde angebrochen. Maike war ungewohnt früh auf den Beinen, sogar vor dem Wecker. Sie seufzte und ging nach draußen an die frische Luft. Sie musste ihren Kopf frei bekommen, sonst hatte sie beim Wettbewerb schlechte Karten.

Draußen fand sie auch Drew. "Guten Morgen!", grüßte sie ihn.

"Guten Morgen."

"Puh, ich bin schon ziemlich aufgeregt."

"Nach all den Jahren bist du vor der ersten Runde immer noch nervös?", fragte er mit hochgezogener Augenbraue.

Sie grinste hilflos. "Da hätten wir es wieder. Einige Dinge ändern sich wohl nie."

"Tja, das unterscheidet halt einen erstklassigen von einem zweitklassigen Koordinator."

"Ha, wir werden ja noch sehen, wer von uns Beiden zweitklassig ist!", entgegnete sie mit einem kämpferischen Lächeln.

Drew seinerseits strahlte sie an. "Na also, so gefällst du mir schon viel besser!"

Sie bemerkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg und senkte den Kopf, in der Hoffnung, er würde es nicht sehen. Natürlich sah sie ihn aus dem Augenwinkel grinsen und ärgerte sich innerlich über sich selbst. Dass sie dieses bescheuerte Rot Werden einfach nicht im Griff hatte!

"Naja, Rivale, auf einen guten, fairen Wettkampf!", lenkte sie ungeschickt vom Thema ab und hielt ihm die Hand hin.

"Auf einen guten, fairen Wettkampf!", stimmte er zu und schlug ein.
 

Die erste Runde lief für alle der drei Koordinatoren gut. Aiden, Drew und Maike hatten es in die zweite Runde geschafft, welche am nächsten Tag stattfinden würde. Aiden meinte, dass dies doch ein Grund zum Feiern sei und lud zu ihrer Überraschung sie UND Drew zum Abendessen ein. Und Drew schlug nicht einmal aus.

Da sag noch mal einer Frauen seien wankelmütig, dachte sich Maike, doch gleichzeitig freute sie sich auch, dass die Beiden über ihren Schatten zu springen schienen.

Diesmal machte Maike sich sogar schick. Sie zog ein schönes, grünes Kleid an, das ihre mittlerweile erwachsene Figur gut betonte. Nun, sie war kein Kind mehr, und das konnte auch ruhig jeder sehen. Ihre Haare trug sie offen an diesem Abend.

Als sie so vor die beiden anderen Koordinatoren trat, erntete sie bewundernde Blicke. Während Drew wie immer zurückhaltend war nutzte Aiden jede Gelegenheit ihr ein Kompliment zu machen. "Du siehst wunderschön aus, Maike", sagte er gerade laut genug, dass sie es hören konnten. Sie errötete. "Danke... Nun lasst uns gehen!"

Der Abend war wider Maikes Befürchtungen richtig lustig. Selbst Drew war gut drauf und nahm an den Gesprächen teil.

Irgendwann kam eine junge, schöne Frau an ihren Tisch. Sie trat verlegen von einem Fuß auf den Andern, bis sie sich zu fragen traute: "Du bist doch Drew, richtig?"

Der grünhaarige Koordinator nickte zustimmend. "Der bin ich wohl", meinte er mit einem charmanten Lächeln. "Und wer bist du?"

"Oh, äh, also... Ich bin Alicia, und ich wollte dir eigentlich auch nur sagen dass du ein großartiger Koordinator bist! Du warst wieder wahnsinnig toll heute!"

Er lächelte sie dankend an. "Das zu hören bedeutet mir viel, Alicia."

Er schien einen Augenblick nachzudenken, dann sagte er: "Setz dich doch zu uns! Ich würde dich gerne kennenlernen, und ich bin mir sicher, die anderen Beiden wollen das auch."

Maike zwang sich zu einem überzeugenden Lächeln und nickte.

"Oh, wow!", entfuhr es Alicia. "Du bist doch Maike, oder? Man, das ist so toll, gleich zwei Top Koordinatoren an einem Tisch." Mit diesen Worten setzte sie sich. Aiden schien sich Gott sei Dank nicht auf den Schlips getreten zu fühlen, dass er und seine Leistungen mit keiner Silbe erwähnt wurden. Ganz im Gegenteil, ihm schien die Entwicklung sehr zu gefallen. Alicia unterhielt sich den Rest des Abends mit Drew, während Aiden Maike in ein Gespräch verwickelte. Diese jedoch konnte das drückende Gefühl in ihrem Bauch einfach nicht ignorieren. Das Gefühl, welches ihr sagte, dass Alicias Anwesenheit ihr insgeheim ganz und gar nicht passte. Irgendwann entschuldigte sie sich, mit der Ausrede dass ihr schlecht sei, und machte sich auf den Weg zurück. Natürlich begleitete Aiden sie, ganz der Gentleman. Drew und Alicia blieben noch im Restaurant.

"Was ist los mit dir, Maike?", fragte Aiden mit aufrichtiger Sorge.

"Ach, ich hab' bestimmt nur was falsches gegessen", winkte sie mit gequältem Lächeln ab. "Morgen geht es mir sicher schon wieder besser."

"Das hoffe ich sehr. Du brauchst all deine Konzentration und Kraft morgen."

Es war beinahe rührend, wie sehr er sich um sie sorgte. Er schickte sie auch gleich in ihr Zimmer, mit dem Befehl sich sofort hinzulegen und auszuruhen. Maike hatte nicht ansatzweise vor sich dem zu widersetzen und fiel bald in einen traumlosen Schlaf.

Entsprechend früh wachte sie wieder auf. Sie vertrieb sich im Pokémon Center die Zeit, in der Hoffnung, dass die anderen auch bald aufwachen würden. Und ihre Hoffnungen wurden nicht enttäuscht - zu ihrem Bedauern.

Ein jähes Ende

Sie beobachtete, wie Alicia aus der Tür zu Drews Zimmer schlüpfte. Als sie Maike sah, winkte sie ihr fröhlich zu. Sie hatte ja keine Ahnung, was in der Koordinatorin vor sich ging, das konnte sie ihr nicht mal übel nehmen. Also zwang sie sich zu einem Lächeln und winkte zurück. Wenigstens gesellte sie sich nicht zu ihr sondern ging in ihr eigenes Zimmer. Ein Gespräch wäre jetzt noch das Letzte gewesen, das sie mit ihr hätte haben wollen.

Ein paar Minuten später ging Drews Tür wieder auf und er schritt hinaus. Als er sie sah wirkte er etwas überrascht und verlegen. Offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, dass sie das Ganze mitbekommen würde. Doch er fing sich schnell wieder und ging gewohnt selbstbewusst zu seiner Rivalin.

"Hey Maike. Ich hoffe, es geht dir wieder besser?"

"Naja, ehrlich gesagt ist mir gerade ziemlich schlecht", presste sie aus zusammengebissenen Zähnen hervor. Und das war nicht einmal gelogen. Ihr war tatsächlich übel, so sehr nahm sie das mit, was sie gesehen hatte. Damit hatte sie selbst nicht gerechnet.

Nun war Drew doch wieder verlegen. "Ich hoffe du siehst mich jetzt in keinem anderen Licht. Naja, das mit dir und Aiden ist ja mehr als offensichtlich, und... Tja, ich war ganz froh nicht alleine zu sein, weißt du..."

"Aiden und ich?" Sie lachte freudlos.

Er runzelte die Stirn. "Aber seine Absichten sind mehr als offensichtlich und du scheinst nicht abgeneigt zu sein."

Maike schwirrte der Kopf. Das Gespräch war ihr gerade zu viel, und sie musste schwer schlucken, um die Tränen zu unterdrücken.

"Ach, es spielt keine Rolle. Ich freue mich sehr für dich - oder für euch. Sie scheint ein nettes Mädchen zu sein." Mit diesen Worten stand sie auf und ließ ihn allein auf der Couch zurück. Sie verließ das Pokémon Center und ging in den Park. Die kühle Morgenluft half ihr, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Verbissen unterdrückte sie das Bedürfnis zu weinen. Sie musste stark sein, zumindest diesen einen Tag noch. Sie musste alles geben im Wettbewerb. Und danach würden sich ihre Wege sowieso erstmal wieder trennen. Das redete sie sich so lange ein bis es Wirkung zeigte. Nun bemerkte sie auch wie kalt es draußen war. Sie hatte keine Jacke an und in ihrer Aufregung die Kälte gar nicht gespürt. Ein Zittern durchfuhr sie und sie schlang die Arme um sich.

"Ich sollte wohl besser zurück gehen", murmelte sie zu sich selbst und drehte sich um. Just in diesem Augenblick stieß sie mit Drew zusammen.

"Autsch!", entfuhr es ihr. Als sie realisierte wer da vor ihr stand sah sie ihn mit großen Augen an.

"Oh, tut mir Leid, ich hab dich gesucht..." Er seufzte. "Du musst dich doch zu Tode frieren! Sehr unvernünftig." Ohne auf eine Reaktion ihrerseits zu warten hatte er ihr seine Jacke über die Schultern gelegt.

"Warum hast du mich gesucht?", fragte sie ihn leise und genoss die Wärme seiner Jacke.

"Ich habe bemerkt dass du keine Jacke an hast und habe mir Sorgen gemacht. Und ich hatte das Gefühl dass du verletzt bist."

Nun, zumindest redete er nicht um den heißen Brei herum.

Sie lächelte ihn dankbar an. "Das ist lieb von dir. Und mach dir keinen Kopf. Du schuldest mir keinerlei Rechenschaft."

Er sah ihr direkt in die Augen.

"Maike, natürlich mach ich mir einen Kopf. Ich sorge mich um dich, Rivalin hin oder her, wann kapierst du das nur?"

"Vielleicht wenn du erwachsen geworden bist und nicht mehr mit der Erstbesten rummachst", antwortete sie schnippisch.

Er seufzte ergeben. "Ich hätte nicht erwartet dass dich das stört. Aber ich habe dir gerade gesagt dass ich mich um dich sorge. Und das ist das Einzige, was dir dazu einfällt?"

Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. "Du hast es erfasst. Leider fällt mir momentan nichts anderes ein."

Nun wirkte er verletzt. Einen Moment lang schien er zu überlegen was er sagen sollte. Schließlich seufzte er erneut.

"Wir sehen uns dann wohl beim Wettkampf."

Mit diesen Worten drehte er sich um und ging. Maike stand bloß da und sah ihm hinterher. Sie bereute es, dass sie ihn so angefahren hatte, denn es stimmte was sie am Anfang gesagt hatte. Er war ihr keinerlei Rechenschaft schuldig und sie dürfte noch nicht einmal sauer sein. Warum nur war sie so verletzt? Sie mochte diesen grünhaarigen, arroganten Kerl wohl mehr als sie sich all die Jahre hatte eingestehen wollen.

Während sie darüber nachdachte wurde ihr klar, dass sie Drew in all der Zeit niemals mit einer festen Freundin gesehen hatte. Doch da hatte es gewiss mehr als genug gegeben. Bei den vielen weiblichen Fans musste die Auswahl ja riesig sein. Sie starrte unvermindert auf den Boden und bemühte sich, nicht in Tränen auszubrechen. Dann realisierte sie, dass Drew seine Jacke nicht wieder angezogen hatte.

Sie zog diese fester an sich und atmete tief ein. Sie roch nach Rosen. Nach Drew.

Vielleicht kein typisch männlicher Duft, doch sie liebte ihn. Der arme Kerl würde auf dem Rückweg nun sicher frieren.

Sie seufzte. Auch für sie war es Zeit zurückzukehren, bald würde die zweite Runde beginnen und sie durfte sich nicht weiter ablenken lassen. Nach dem Wettbewerb würde sie mehr als genug Zeit haben sich den Kopf zu zerbrechen.
 

Die zweite Runde startete. Als erstes war Drew an der Reihe, und Maike verfolgte seine Darbietung gespannt mit all den anderen Koordinatoren. Aiden wich ihr dabei nicht von der Seite, jedoch ganz ohne aufdringlich zu sein. Er war einfach nur da.

Drew gewann mit scheinbarer Leichtigkeit gegen den anderen Koordinator und versetzte das Publikum in Jubelschreie. Alle waren absolut begeistert von ihm und seinen Pokémon.

Auch Aiden schaffte es in die nächste Runde, wenn auch sehr viel knapper als Drew.

Als schließlich Maike an der Reihe war, holte sie tief Luft. Nun war es an der Zeit, der Jury zu zeigen was sie drauf hatte.

Drew hatte zwischen den Runden nicht mit ihr geredet, doch sie selbst hatte auch keinen Versuch unternommen das zu ändern. Stattdessen hatte sie jeglichen Gedanken daran beiseite geschoben um sich voll und ganz auf das Kommende konzentrieren zu können. Es hatte geholfen.

Der Koordinator, gegen den sie antrat, war großartig. Ein Junge aus Sinnoh, ungefähr in dem Alter wie sie damals als sie mit Ash unterwegs gewesen war, und er hatte mit seinen Pokémon einige interessante Kombinationen drauf. Dennoch war er ihr nicht gewachsen. Zusammen mit Schillok und Lohgock begeisterte sie Publikum und Jury und trug schließlich den Sieg davon.

Aiden gratulierte ihr gewohnt herzlich und umarmte sie. Sie lachte, froh darüber dass jemand sie beglückwünschte. Doch selbst Drew ließ sich zu einem anerkennenden Nicken bewegen, woraufhin sie leicht rot wurde und lächelte.

"Was in aller Welt ist überhaupt zwischen euch vorgefallen?", wagte Aiden es zu fragen.

Maike schüttelte nur den Kopf. "Das ist schwer zu erklären und im Moment muss ich mich auf andere Dinge konzentrieren. Du auch, Aiden. Schau, die Auslosung der nächsten Paare steht fest!" Sie betrachteten den Bildschirm. Maike grinste. Ihr nächster Gegner war Aiden. Das würde ein harter Kampf werden, doch sie freute sich darauf.

"Ach, Maike!", schwärmte Aiden seinerseits. "Ich wusste doch, dass wir noch ein Paar werden!"

Maike lachte. "Du Idiot. Nimm mich lieber Ernst, ich habe nicht vor, es dir leicht zu machen!"

Er nickte mit einem Grinsen. "Dann sind wir uns einig. Ich werde dich nicht mit Samthandschuhen anfassen, egal wie gern ich dich habe."

Der Kampf der Beiden war ein stetiges Kopf an Kopf Rennen. Aiden kämpfte mit Libelldra und Azumarill, während sie Lohgock und Glaziola wählte. Azumarill machte ihrem Lohgock ziemlich zu schaffen, und gemeinsam mit Libelldra hatte es einige beeindruckende Attackenkombinationen vorzuweisen. Doch Maike gab nicht auf und konnte in den letzten Sekunden noch ihren Sieg sichern. Somit war sie im Finale. Aiden beglückwünschte sie aus ganzem Herzen. Er gönnte es ihr wirklich.

Doch als ihr Gegner für das Finale feststand, setzte ihr Herz für einen Schlag aus. Sie hatte bereits damit gerechnet, dass sie gegen Drew würde kämpfen müssen, falls sie es so weit schaffte. Doch jetzt schwarz auf weiß zu sehen, dass der Fall tatsächlich eintrat, nun, das war noch mal eine andere Hausnummer.

Zu ihrem Bedauern war seine Aufführung einfach perfekt, sie hatte keinerlei Chance. Sein Libelldra vollführte gemeinsam mit seinem Absol so eine elegante, mitreißende Kombination aus Attacken, dass sie selbst nur staunen konnte. Seit dem letzten Wettbewerb hatte er sich eine großartige neue Strategie zurecht gelegt, bei der sie nicht mithalten konnte. Glaziola und Lohgock gaben zwar ihr Bestes, mussten ob der Kraft und Eleganz von Drews Pokémon am Ende aber trotzdem resignieren.

Sie nahm die Niederlage mit einem Lächeln und reichte Drew zur Gratulation die Hand.

"Das hast du dir verdient. Du warst wie immer fantastisch."

Er nickte, ein freundliches Lächeln auf den Lippen. "Danke, Maike. Du hättest es allerdings auch verdient."

"Tja, du warst halt einfach besser. Dieses Mal." Sie zwinkerte ihm zu und verließ die Bühne, damit er seinen Preis in Empfang nehmen konnte.

Aiden erwartete sie bereits. "Mensch, Maike, du warst toll! Schade, dass du es nicht geschafft hast, aber nächstes Mal wird es besser." Sie nickte und lächelte dankbar.

"Bestimmt", meinte sie. "Sei mir nicht böse, aber ich bin kaputt. Ich gehe jetzt ins Pokémon Center und ruhe mich etwas aus."

"Ich kann dich begleiten, wenn du möchtest?" Mit großen, braunen Augen sah er sie hoffnungsvoll an. Es tat ihr richtig Leid ihm nein zu sagen.

"Danke, Aiden, aber ich möchte lieber alleine sein. Sei mir bitte nicht böse."

Er nickte wissend. In diesem Moment schien er verstanden zu haben, dass Maikes Entscheidung gefallen war, und das nicht zu seinen Gunsten. Doch falls er deswegen sauer oder verletzt war, so ließ er es sich nicht anmerken. Stattdessen gab es wieder eine lange, innige Umarmung zur Verabschiedung, und überraschend dazu noch einen Kuss auf ihre Stirn. Sie blickte irritiert zu ihm auf.

"Was denn?", fragte er grinsend. "Wenn ich sonst schon niemals einen Kuss von dir bekommen werde, dann war das doch das Mindeste."

Sie lächelte verlegen und nickte, dann verschwand sie und ließ ihn stehen.
 

Als sie später ihr Zimmer wieder verließ sah sie Drew und Alicia lachend und Arm in Arm auf dem Sofa sitzen. Die brünette, junge und wunderschöne Frau lächelte sie glücklich an und winkte sie zu sich. Als Drew das realisierte, blickte er sie etwas gequält an. Maike unterdrückte einen tiefen Seufzer und gab sich einen Ruck. So selbstbewusst es ihr möglich war und mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen schritt sie auf die Beiden zu und setzte sich ihnen gegenüber auf die Couch.

"Maike, wow, du warst großartig heute! Gegen meinen Drew hattest du zwar keine Chance, aber wer weiß, bei deinem Talent sieht das beim nächsten Wettbewerb ja schon wieder anders aus." Sie zwinkerte der Koordinatorin zu, welche sich zu einem Lachen zwang.

"Ich habe ihn ja sowieso nur gewinnen lassen", log sie und streckte dem grünhaarigen Koordinator die Zunge raus.

"Wer's glaubt", erwiderte dieser lachend.

Kurze Zeit unterhielten sie sich noch, dann beschloss Maike dass es ihr reichte. Sie verabschiedete sich freundlich und unter dem Vorwand, sich für die Party am Abend zurecht machen zu müssen, und ließ die Beiden allein.

Sie hatte allerdings ganz und gar nicht vor, besagte Party am Abend zu besuchen. Stattdessen wollte sie Ranovia City noch vor der Dämmerung verlassen. Sie glaubte kaum, dass sie den Anblick von Drew und Alicia einen ganzen Abend ertragen würde und wollte sich das lieber ersparen.

In ihrem Zimmer fiel ihr Blick auf Drews Jacke. Noch immer hatte sie sie ihm nicht wiedergegeben. Einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, sie einfach als Erinnerung zu behalten, doch dann entschied sie sich dagegen. Die Jacke gehörte ihr nicht und es war das Mindeste, dass sie sie ihm wiedergab.

Also packte sie alles zusammen, verließ mit Drews Jacke in der Hand ihr Zimmer und klopfte bei ihm.

Die Tür öffnete sich einen Spalt breit und zwei smaragdgrüne Augen blickten sie verwundert an.

"Maike? Was ist denn los?"

Verlegen trat sie von einem Fuß auf den Anderen, in der Annahme, dass sicherlich Alicia mit im Zimmer war. "Ich wollte dir bloß deine Jacke wiedergeben und mich noch mal dafür bedanken", sagte sie kleinlaut und hielt ihm sein Kleidungsstück entgegen.

Sein Blick flog ein paar Mal zwischen seiner Jacke und seiner Rivalin hin und her, dann seufzte er und öffnete die Tür ganz.

Maike schnappte nach Luft und spürte, wie sie in Sekundenbruchteilen rot anlief. Offensichtlich war Drew gerade erst duschen gewesen. Da stand er nun vor ihr, nur mit einem Handtuch um die Hüften, und kleine Tropfen fielen von seinen Haaren auf seine Brust. Es war lange her, seit sie Drew auch nur in Badeklamotten gesehen hatte, und damals, als Kind, hatte sie dem Ganzen natürlich keinerlei Beachtung geschenkt. Es war ihr schlicht egal gewesen. Aber es ließ sich einfach nicht leugnen dass Drew erwachsen geworden war.

Ihm war das - natürlich - in keiner Weise unangenehm, selbstbewusst wie er war.

"Was soll das, Maike?", fragte er sie mit einem tadelnden Unterton.

Die Koordinatorin hatte total den Faden verloren und wusste überhaupt nicht, was er meinte. "Wie? Was?"

"Du hast gepackt." Er deutete auf ihre Tasche. "Du willst gehen. Und hättest du nicht meine Jacke noch, dann wärst du wahrscheinlich sogar gegangen ohne dich zu verabschieden."

Seine Worte halfen ihr, sich wieder zu fangen, und sie nickte. Sie konnte es einfach nicht leugnen, er hatte Recht.

"Du hast doch vorhin noch gesagt du möchtest dich für heute Abend fertig machen." Sein Blick war ziemlich anklagend, was sie überraschte.

"Ich habe es mir halt anders überlegt", erwiderte sie etwas trotzig. Sie hatte keine Lust auf eine Diskussion.

Er seufzte ergeben. "Na gut, ich kann dich nicht abhalten." Er griff nach seiner Jacke und legte sie sich über die Schulter. "Schade, ich hätte mich gefreut."

"Du wirst auch ohne mich viel Spaß haben, da bin ich mir sicher."

Er warf ihr einen finsteren Blick zu. Maike befürchtete, dass der Abschied in einen Streit ausarten würde, und das wollte sie vermeiden. Also brachte sie ein entschuldigendes Lächeln zustande.

"Bitte sei mir nicht böse. Wir sehen uns doch beim nächsten Wettbewerb wieder."

Er nickte und ging dann einen Schritt auf sie zu, um sie zu umarmen.

Völlig perplex und mit hochrotem Kopf ließ sie es über sich ergehen. Das war das erste Mal, dass Drew sie umarmte, und sie wusste mit der Situation überhaupt nicht umzugehen. Als sie gerade feststellte dass sie das Ganze sehr genoss, ließ er sie auch schon wieder gehen.

"Mach's gut, meine kleine Lieblings-Rivalin", flüsterte er ihr noch ins Ohr und hielt ihr dann eine Rose hin. Wo auch immer er die hergezaubert hatte. Dieser Kerl war manchmal echt wunderlich. Sie lächelte glücklich und nahm ihm die Rose ab.

"Danke, Drew."

Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging.

Sie verließ das Pokémon Center und Ranovia City. Ein bisschen wehmütig schaute sie noch einmal zurück, wagte einen letzten einprägsamen Blick auf diese wunderschöne Stadt. Dann blickte sie nur noch nach vorn. Vor ihr lag ein langer Weg bis zum nächsten Wettbewerb.

Gefahr im Verzug

Auf ihrer Reise ließ sie ihre Pokémon oft außerhalb ihrer Pokebälle mitlaufen. Sie war froh über ihre Gesellschaft und gleichzeitig taten ihnen Bewegung und frische Luft natürlich auch gut. Ihr Schiggy war ja bereits ein Schillok - und das schon seit geraumer Zeit. Eine Weile hatte sie sich gefragt, ob es sich denn niemals entwickeln würde, bis sie herausgefunden hatte, dass es einen Ewigstein in seinem Panzer versteckte. Doch sie akzeptierte seine Entscheidung, dass es sich nicht weiterentwickeln wollte. Sie mochte es genau so wie es war.

Mampfaxo hatte sich zu Relaxo entwickelt und war daheim bei ihren Eltern. Stattdessen hatte sie seit neuestem ein Sheinux in ihrem Team, das sie jedoch erst noch trainieren musste. Deswegen hatte sie es im letzten Wettbewerb auch nicht eingesetzt. Lohgock und Glaziola hatten sich kaum verändert, in Wettbewerben waren sie ein absolutes Dreamteam. Auch ihr Enekoro, zu dem sich ihr Eneco entwickelt hatte, begleitete sie. Papinella hatte sie bei ihrer Mutter gelassen, wo es sich üblicherweise um den Garten kümmerte und damit auch sehr glücklich war. Zusätzlich hatte sie nun noch ein Vivillon im Dürremuster.

Sie war sehr glücklich mit diesem Team und besonders froh darüber, dass sie sich allesamt überaus gut verstanden.

Während sie auf dem Weg nach Deranus City war, wo der nächste Wettbewerb auf sie wartete, begegnete sie vielen Trainern und nutzte jede Gelegenheit, um ihr Sheinux zu trainieren. Es dauerte nicht lange, bis es sich zu einem Luxio entwickelte.

Maike war völlig begeistert. Sheinux war bereits einfach nur total niedlich gewesen, doch mit seiner Entwicklung war es richtig cool geworden. Sicher würde es so einige Pluspunkte bei der Jury sammeln, und zu allem Überfluss wusste das Kleine sich auch noch ziemlich gut in Szene zu setzen.

"Beim Wettbewerb in Deranus City wirst du dein Debüt haben!", beschloss sie. "Na, was hältst du davon?" Luxio gab einen erfreuten Laut von sich und tollte um sie herum. Sie lachte, spielte Fangen mit ihm, und als sie es geschnappt hatte umarmte sie es. "Du wirst das toll machen, davon bin ich überzeugt!" Wie ein Mauzi schmiegte es seinen Kopf an sie und gab ein Geräusch von sich, das einem Schnurren ähnelte.

Nach zwei Wochen war Deranus City in greifbarer Nähe, nur noch wenige Tagesmärsche entfernt. Dort würde sie vermutlich alle Wiedersehen. Aiden, Drew, und sicherlich auch Alicia. In der Zeit allein hatte sie sich mit der Gesamtsituation endlich angefreundet. Sie konnte es sowieso nicht ändern und würde das Beste daraus machen, das hatte sie sich fest vorgenommen.

Vor ihr lag eine weite, grüne Ebene. Das Wetter war herrlich, um die 25°C, warmer Sonnenschein mit einer leichten Brise. Sie genoss den Anblick, schloss kurz die Augen und ließ sich schließlich ins Gras fallen. Lohgock kam zu ihr und sah sie fragend an.

"Was ist?", fragte sie lachend. "Wir machen hier Pause, es ist so schön hier, lasst uns das ein paar Minuten genießen."

Erneut schloss sie die Augen und horchte in die vermeintliche Stille. Irgendwo hörte sie ein paar Schwalbini trällern, ein Peppeck gegen einen Baumstamm klopfen und irgendein Pokémon durch das Dickicht des neben ihr liegenden Waldes streifen. Dazu ihre eigenen Pokémon, die auf der grünen Wiese umhertollten und scheinbar eine Menge Spaß hatten. So sah für sie ein perfekter Moment aus.

Doch schließlich zerriss ein lautes Krachen den friedlichen Moment. Erschrocken sprang sie auf und sah aus dem Wald eine große Maschine aufsteigen.

"Was in aller Welt....", begann sie misstrauisch und rief dann ihre Pokémon zu sich. Lohgock warf der riesigen Maschine einen feindseligen Blick zu. Dann rannte eine Gestalt aus dem Wald. Ein junges Mädchen, sicher ein paar Jahre jünger als sie selbst, mit schulterlangen roten Haaren und grünen Augen. Direkt hinter ihr ein Fiffyen. Beide machten einen zutiefst entsetzten Eindruck und schienen um ihr Leben zu rennen. Kein Wunder, die merkwürdige Maschine war ihnen dicht auf den Fersen.

Luxio knurrte und ging bereits in Kampfstellung. Doch Maike rief alle ihre Pokémon zurück, bis auf ihr Lohgock.

"Komm, Lohgock", meinte sie voller Entschlossenheit, "das müssen wir uns näher ansehen."

Als sie auf das Mädchen zuliefen und dieses sie bemerkte, gestikulierte es wild mit den Armen und schien ihnen zu bedeuten, bloß woanders hin zu laufen. Maike ignorierte ihre Warnungen und konnte nun einen besseren Blick auf die Maschine werfen. Sie erinnerte entfernt an einen Panzer, sie lief auf Ketten und hatte nur ein einziges Fenster, wenn man es so nennen wollte. Dieses Ding war ungefähr drei Mal so groß wie Maike selbst und besaß zudem noch zwei Greifarme, mit denen es immer wieder nach Fiffyen und dem Mädchen langte. Die Beiden wichen stets geschickt aus, doch das Ding kam ihnen immer Näher.

Und auch Maike kam es näher, wie sie etwas entsetzt feststellte. Sie stand nun mitten im Fluchtweg der jungen Frau.

"Verschwinde!", schrie diese sie an. "Solange du noch kannst!"

Perplex sah Maike sie an, dann tat sie wie ihr gehießen und ging schnell aus dem Weg. Unbeeindruckt rasten sowohl das Mädchen und ihr Fiffyen als auch die Maschine an ihr vorbei. Aber dann kam das Mädchen ins Straucheln und fiel. Ihr Fiffyen drehte sich augenblicklich um, stellte sich schützend über sie und knurrte die Maschine an. Doch es nützte nichts, die beiden Greifarme schnappten einen nach dem Anderen und ehe Maike sich versah, waren sie in dem Ungetüm verschwunden.

Mit offenen Mund hatte sie das Geschehen beobachtet und nahm nun entsetzt wahr, wie dieses Ding sich langsam in ihre Richtung drehte. Lohgock stieß einen warnenden Ruf aus und stellte sich schützend vor sie, ganz ähnlich wie das Fiffyen zuvor bei seiner Trainerin. Nur hatte Lohgock etwas mehr Erfahrung und Kraft. Noch bevor die Maschine sich wirklich vorwärts bewegen konnte hatte Lohgock schon einen Feuerball in seine Richtung geschossen. Dieser zeigte sogar kurz Wirkung, das Ding blieb stehen, doch es dauerte nicht lange und es setzte seinen Weg unbeirrt fort.

Maike sah fassungslos von Lohgock zu der Maschine und zurück, dann schüttelte sie den Kopf. Wegrennen würde keinen Sinn machen, das hatte sie eben gesehen. Sie hatte keine Chance. Schnell schickte sie Luxio aus seinem Ball und band ihm ihr Tuch um. Dann drückte sie ihm einen Kuss auf die Stirn.

"Lauf schnell weg, Luxio. Wir können hier allein nichts ausrichten. Bitte, hol Hilfe!"

Luxio war von der Idee gar nicht angetan, doch als es den flehenden und entschiedenen Blick seiner Trainerin sah nickte es und lief davon. Luxio war am kleinsten und wendigsten und würde sicher über alle Berge sein, bis die Maschine sie und Lohgock geschnappt hatte.

Die Beiden sahen noch einen Moment Luxio hinterher, dann warfen sie einander einen entschlossenen Blick zu. Die Maschine war nur noch einige Meter entfernt, aber auch wenn sie wussten dass sie nicht gewinnen konnten würden sie nicht kampflos aufgeben.

"Lohgock, Hitzekoller!", rief Maike und ihr Pokémon setzte all seine Kraft in seinen Angriff, nur um im nächsten Moment den Greifarmen auszuweichen. Auch Maike tat ihr Bestes und konnte ihnen nur knapp entkommen. Doch das Spiel dauerte nicht lange an. Nach ein paar weiteren Sekunden, die gefühlt Minuten andauerten, hatte sie ein Greifer geschnappt. Lohgock schrie wütend und hieb auf den Greifer ein, wurde kurz darauf jedoch vom zweiten geschnappt. Eine Klappe öffnete sich und die Beiden wurden ins Innere der Maschine geworfen, wo sie mit einem dumpfen Aufprall landeten.

"Autsch, verdammt", fluchte Maike und hielt sich den Kopf. Das würde sicher eine nette Beule geben.

"Ich hab dir doch gesagt du sollst verschwinden!", hörte sie vorwurfsvoll jemanden in der Dunkelheit sagen. Lohgock ließ eine kleine Flamme erscheinen und brachte somit Licht ins Dunkel. Dort saß an der Wand das rothaarige Mädchen mit ihrem Fiffyen.

"Was ist das für ein Ding und warum hat es dich verfolgt? Was will es mit uns?" Maike überging ihren Vorwurf, es gab gerade wichtigeres zu besprechen.

Das Mädchen zuckte mit den Schultern.

"Ich habe keinen blassen Schimmer. Fiffyen und ich haben Pause an einem See im Wald gemacht, als diese Maschine ohne Vorwarnung auftauchte und uns verfolgte."

Maike nickte nachdenklich. Irgendwie erinnerte sie diese ganze Konstruktion an Team Rocket, doch die kündigten sich zumindest immer an, also fiel das raus. Schade eigentlich, bei ihnen hätte sie keinerlei Sorgen gehabt sie los zu werden. Aber es musste doch einen Grund geben, warum man sie gejagt hatte.

"Wir haben wohl keine Wahl als abzuwarten was passiert", stellte sie fest. "Also, ich bin Maike." Sie hielt der Trainerin die Hand hin und lächelte.

Misstrauisch ergriff diese sie. "Ich bin Kainu." Doch zu einem Lächeln konnte sie sich nicht durchringen. Ihr Fiffyen hingegen bellte freudig und wedelte mit dem Schwanz, als Lohgock sich zu ihm herunterbeugte.

Eine gefühlte Stunde waren sie noch in dem Gefährt unterwegs, bis es schließlich zum Stehen kam und die Klappe geöffnet wurde. Von oben drang grelles Licht herein und Maike kniff die Augen zusammen, während sie versuchte dort etwas zu erkennen. Fiffyen knurrte.

Eine Gestalt ließ eine Treppe herunter. "Raus mit euch", befahl eine barsche Stimme. Maike rief ihr Lohgock zurück und machte sich daran, die Treppe heraufzuklettern. Was hatte sie schon für eine Wahl. Hinter ihr folgte Kainu.

Sie befanden sich in einer Art Labor, soweit Maike das erkennen konnte, und waren umgeben von einer Menge Menschen, die allesamt weiße Anzüge und Masken trugen. Eine stach hervor, da ihre Maske auffällig geformt war, sie erinnerte irgendwie an ein Firnontor. Die Augen waren ausgespart, während die restlichen Öffnungen schwarz gefüllt waren. Offenbar hatte diese Person hier gerade die höchste Stellung inne. Aufmerksam musterte sie die Augen. Grau-blau und ziemlich kalt.

"Mein Name ist Leonas. Werte Damen, bitte verzeiht, dass wir euch so grob aufgefangen haben. Wenn ihr mir bitte folgen möchtet?" Er drehte sich um und ging auf eine Tür zu. Kainu und Maike sahen sich irritiert an, keiner von ihnen sagte ein Wort. Maike drückte schließlich ihren Rücken gerade und folgte diesem Leonas so selbstbewusst es ihr möglich war. Sie konnten sowieso nicht fliehen und mussten sich vorerst fügen. Aus dem Augenwinkel saugte sie allerdings jedes Detail auf, in der Hoffnung, dass es ihnen später von Nutzen sein konnte. Kainu folgte der älteren Trainerin. Sie hatte Fiffyen auch zurückgerufen und schien sich ohne ihr Pokémon gleich viel unsicherer zu fühlen. Doch wer konnte ihr das in Anbetracht der Situation schon verübeln.
 

Hinter der Tür befand sich ein langer Flur mit noch viel mehr Türen. Maike konnte das Ende dieses Ganges gar nicht sehen.

"Was geht hier vor sich?", fragte sie an Leonas gerichtet.

Dieser drehte sich nicht einmal um, als er antwortete, sondern lief einfach stetig weiter.

"Werte Dame, ich bin nicht befugt, Ihnen alles zu erklären, bitte haben Sie Geduld. Unser Meister wird Sie bald empfangen."

Unzufrieden murmelte Maike ein paar nicht sehr freundliche Dinge vor sich hin. Das Ganze schmeckte ihr gar nicht. Sie warf einen Blick auf Kainu, die sich ängstlich umsah, und legte eine Hand auf ihre Schulter. Als diese sie irritiert ansah nickte sie bloß zuversichtlich und die Jüngere rang sich nun tatsächlich ein Lächeln ab.

Maike würde sie hier Beide rausholen, dazu war sie fest entschlossen.

Gefährliches Spiel

Leonas hatte sie bis an das Ende des Flures geführt und blieb vor einer großen Tür stehen.

"Der Meister wird Sie nun empfangen. Bitte seien Sie höflich, meine Damen. Solange Sie tun, was von Ihnen verlangt wird, haben Sie nichts zu befürchten."

Maike schluckte ihre Anspannung herunter. Das klang alles nicht sehr vielversprechend.

Die Tür öffnete sich mit einem leisen Surren und gab den Blick auf einen großen, fensterlosen Saal frei. Alles war weiß, von den Kronleuchtern an der Decke bis zu den Teppichen auf dem Boden. Ganz am Ende stand eine Art Thron - natürlich auch weiß - und darauf saß ein beeindruckender Mann. Maike schätze ihn auf Mitte Dreißig und er war der Erste hier, der keine Maske trug. Sein langes, schwarzes Haar bildete einen starken Kontrast zu all dem Weiß um ihn herum und ein charmantes Lächeln umspielte sein Gesicht.

"Oh, meine neuen Gäste, wie schön!", sprach er und erhob sich, um mit einladender Geste auf sie zuzukommen. "Ich heiße euch herzlich Willkommen in meinen Hallen! Ich bin Meister Tormund, mir gehört diese bescheidene Einrichtung."

Maike schob ihre Verwirrung beiseite und beschloss, mitzuspielen. Theatralisch verneigte sie sich.

"Ich grüße Sie, Tormund. Danke für Ihre Gastfreundschaft." Einen gewissen ironischen Unterton konnte sie sich leider nicht verkneifen. Sie hoffte, er würde ihn nicht bemerken. "Meine Freundin und ich wüssten gerne, warum Sie uns in Ihre Hallen haben bringen lassen?"

Er sah sie wohlwollend an. "Ah, so eine höfliche junge Dame, das passiert mir hier selten, warum auch immer. Kommt, setzt euch, und verratet mir zu aller Erst eure Namen." Er deutete auf den langen Tisch zu ihrer Rechten und gehorsam nahmen die beiden Trainerinnen Platz.

"Mein Name ist Maike", begann die Brünette, "und das ist Kainu. Doch bitte, Meister Tormund, wir haben so viele Fragen. Lassen Sie uns nicht länger im Dunkeln."

"Maike und Kainu, was für schöne Namen! Nun, dann will ich es euch erklären." Er gestikulierte gekonnt, während er sprach, um nahezu jedes seiner Worte zu unterstreichen. "Allerdings muss ich sehr weit ausholen. Ich hoffe, Sie haben Zeit mitgebracht, werte Damen." Maike sah ihn bloß mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Nun, vor vielen Generationen gründete einer meiner Urururgroßväter diesen Orden. Wir nennen uns die Bewahrer. Schon damals war es der Traum meines Urururgroßvaters, eine neue Welt zu erschaffen, in welcher Pokémon und Menschen glücklich und ohne Kämpfe, Krieg und Gewalt miteinander leben können. Der Traum, Frieden zu schaffen und auch zu bewahren. Doch seit jeher weigern sich Trainer aller Art, ihren Pokémon die Freiheit zu schenken und sie ein Leben ohne unnötige Kämpfe führen zu lassen. Jeden Tag stürzen sich abertausende armer Pokémon für ihre Trainer in den Kampf und nehmen dabei schlimmste Schmerzen und Verletzungen in Kauf. Während ihr Mensch, ihre Vertrauensperson, bloß hinter ihnen steht und zusieht wie sie zu Boden gehen." Er schüttelte den Kopf und seufzte theatralisch. "Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Trainer davon zu überzeugen, dass das der falsche Weg ist. Manche konnten wir bereits bekehren. Aber es gibt diese eine Gruppierung um einen jungen Trainer die sich einfach nicht zur Vernunft bringen lässt. Sie ist uns schon lange ein Dorn im Auge und wir setzen nun alles daran, diesen Trainer zu finden und unschädlich zu machen."

Maike schnappte nach Luft. "Unschädlich machen? Wie stellen Sie sich das vor?"

"Das lass mal unsere Sorge sein, meine liebe Maike." Er lächelte sie an. "Und nun kommt ihr zwei werten Damen ins Spiel. In unserer Datenbank sind alle Personen erfasst, die bisher engeren Kontakt zur Zielperson hatten, und unsere Maschine ist darauf ausgelegt sie zu finden und hier her zu bringen."

Maike und Kainu sahen sich irritiert an.

"Die Rede ist von Ash Ketchum."

"Was? Ash?" Maike drehte sich zu der Trainerin. "Du kennst Ash auch? Mensch, die Welt ist klein!" Sie schenkte ihr ein Grinsen, doch die Rothaarige sah sie nur irritiert an. Dann drehte sich die Koordinatorin wieder zu Tormund.

"Aber ich habe ihn seit Ewigkeiten nicht gesehen. Es tut mir Leid, ich kann Ihnen nicht helfen. Also, wenn das schon Alles war, dann mache ich mich jetzt wieder auf den Weg und-"

"Oh, Maike, Liebes", unterbrach Tormund sie und sah sie mit einem verschlagenen Lächeln an. "Du glaubst doch nicht, dass ich dich einfach gehen lasse."

Sie starrte ihn an. So schnell war es vorbei mit der gespielten Höflichkeit.

"Du wirst uns alles über ihn erzählen, was du weißt", fuhr er unbeirrt fort. "Außerdem wirst du unser Gast sein. Wir wissen, dass Ash dich sehr gut kennt, und sind uns ziemlich sicher dass er versuchen wird dich zu retten." Er warf einen missbilligenden Blick auf Kainu. "Du, Liebes, kannst meinetwegen gehen. Von irgendwem muss er ja erfahren, dass Maike hier ist." Die junge Trainerin schnappte nach Luft, als zwei der maskierten Männer sie schnappten und nach draußen brachten. "Aber ich habe auch keinen Kontakt mehr zu ihm", rief sie und versuchte, sich aus dem Griff der Männer zu winden.

"Dann sieh zu, dass du den Kontakt irgendwie wieder aufnimmst."

Er überlegte einen Moment.

"Ach, weißt du was? Ich habe mir etwas überlegt. Um etwas Druck aufzubauen und die Sache noch spaßiger zu machen. Deine Freundin wird es hier nicht gut haben. Richte das Ash aus. Und besser so schnell wie möglich. Wir wollen doch nicht, dass sie länger leidet als nötig."

Die beiden Trainerinnen warfen sich einen letzten geschockten Blick zu, bevor sie die Jüngere aus dem Raum gezerrt hatten.

Maike drehte sich mit einem wütenden Schnauben wieder zu Tormund.

"Du bist nicht der erste Irre, der auf so eine bescheuerte Idee kommt. Und du wirst auch nicht der erste sein, der damit durchkommt, das kann ich dir versichern! Wir sind schon mit viel Schlimmeren von deiner Sorte klar gekommen!"

Ein leichtes, boshaftes Grinsen huschte über sein Gesicht. "Das werden wir ja noch sehen. Du da, schaff sie mir aus den Augen."

Leonas fasste sie grob am Arm und führte sie aus der Halle.

"Was soll diese blöde Schauspielerei?", fauchte sie den maskierten Mann an. "Warum tut ihr erst auf nett, wenn sowieso klar ist, wie es endet? Und ihr wusstet schon ganz genau wie wir heißen!"

Er warf ihr einen Blick von der Seite zu. "Das macht sie zumindest am Anfang alle gefügiger." Sie konnte es nicht erkennen, doch war sie sich ziemlich sicher dass er grinste. "Außerdem spielt unser Meister gern."

"Ihr seid keinen Deut besser, ehrlich. Frieden lässt sich nicht mit Gewalt erzwingen!"

Doch er beachtete sie nicht weiter und stieß sie in eine kleine Zelle. Hier drin war ebenfalls alles weiß und gleißend hell beleuchtet. Eine kleine Bank stand an der Seite, darunter ein Eimer. Das war alles.

Sie raufte sich die Haare und lief auf und ab. Warum bedeutete alles, was mit Ash in Verbindung stand, Ärger? Aber er konnte ja nichts dafür. Er und seine Pokémon waren ein super Team. Dieser Tormund sah das alles falsch. Klar kämpften ihre Pokémon für sie. Doch andersrum sah es genauso aus. Ash würde für seine Pokémon sterben, das wusste Maike. Und ihr ging es nicht anders. Sie würde alles riskieren um sie zu schützen. Sie seufzte und setzte sich auf die kleine weiße Bank. Nachdenklich stützte sie den Kopf in ihre Hände. Wie lange es wohl dauern würde, bis Ash sie retten kam? Wer wusste überhaupt, wo er gerade steckte? Er konnte Kontinente entfernt sein. Und von wem sonst konnte sie Hilfe erwarten? Und überhaupt, wo war sie eigentlich? Sie hatte keinen blassen Schimmer wo sich dieses Gebäude befand. Resigniert ließ sie den Kopf hängen.

"Bitte, Luxio... Hol Hilfe...!"
 

Einen Tag nach den Ereignissen auf der großen Wiese gelangte Luxio völlig erschöpft nach Deranus City. Es war die ganze Nacht durchgerannt und nun völlig entkräftet. Doch es weigerte sich, sich auszuruhen, solange es wusste dass Maike in Gefahr schwebte. Um den Hals trug es ihr grünes Tuch mit dem Pokeball-Muster. Etwas unsicher, was es überhaupt tun sollte, lief es in Richtung des erstbesten Pokémon Centers. Niemand würde es verstehen, und niemand brachte es mit Maike in Verbindung. Wie nur konnte es seiner Trainerin am besten helfen?
 

Derweil befand sich auch Drew im Pokémon Center. Er war bereits vor einigen Tagen per Poké Mobil angereist und kümmerte sich aktuell darum, dass es seinen Pokémon an nichts fehlte und sie bestens auf den nächsten Wettbewerb vorbereitet waren. Er würde hier versuchen sein viertes Band zu gewinnen, was ihn dem großen Festival wieder einen Schritt näher bringen würde. Er rechnete schon damit, relativ zeitnah wieder auf Maike zu treffen. Immerhin hatte sie es versprochen.

Alicia umarmte ihn von hinten und kicherte. "Hey, Drew, wollen wir heute was essen gehen?"

Die Beiden waren nun mehr oder minder offiziell ein Paar. Nachdem Drew sich bewusst gemacht hatte, dass er nicht zwischen Maike und Aiden stehen wollte, war Alicia genau im richtigen Moment aufgetaucht. Er wollte in Ranovia City eigentlich seiner Rivalin seine Gefühle gestehen, doch es war nie dazu gekommen. Ihre Reaktion auf die Sache mit Alicia hatte ihn zwar etwas irritiert, aber sie hatte auch keine Anstalten gemacht ihn abzuhalten. Vermutlich war es besser wenn er seine Gefühle für sie einfach vergaß. Alicia würde ihm dabei sicherlich helfen können. Das war eine ziemlich selbstsüchtige Einstellung, aber er hatte keine bessere Lösung für dieses Dilemma und war fest überzeugt, dass er für das Mädchen tiefe Gefühle würde entwickeln können. Alles was er brauchte war Zeit.

"Ja, ich würde mich freuen." Er lächelte sie herzlich an. "Aber jetzt muss ich mich erst mal weiter um Absol kümmern."

Alicia nickte verständnisvoll und ließ ihn wieder allein. "Ich freue mich schon auf dich, mein Star-Koordinator", trällerte sie noch von weitem und Drew sah sich etwas verlegen um, weil alle Anwesenden ihn anstarrten. Das musste er ihr unbedingt noch abgewöhnen.

Durch die Tür des Pokémon Centers schritt nun ein anderer Koordinator. Es war Aiden. Drew hatte beim letzten Wettbewerb sehr mit sich gehadert, was diesen Kerl anging. Er hatte ihn gehasst, einfach nur aufgrund der Tatsache dass er sich offensichtlich sehr für Maike interessierte. Aber das war unfair gewesen und ihm war das bald bewusst geworden. Er wollte, dass Maike glücklich war, und wenn Aiden dafür der Richtige war, dann sollte es eben so sein. Im Grunde war er ja ein netter Kerl.

Er stand auf und begrüßte den anderen Koordinatoren.

"Hallo Aiden, so schnell sieht man sich wieder!"

Aiden grinste ihn an. "Drew, toll dich zu sehen! Also nehmen wir auch beide hier teil. Lass uns unbedingt mal zusammen trainieren!"

Der Grünhaarige nickte und legte fragend den Kopf schief. "Du kommst gar nicht mit Maike her?"

Aiden sah ihn irritiert an. "Mit Maike? Nein, wieso das denn?"

"Oh, naja, ich dachte, jetzt wo ihr euch so... Nahe steht, reist ihr sicher auch wieder zusammen. Bei der Feier in Ranovia City habe ich dich auch nicht gesehen, da dachte ich ihr seid zusammen abgereist."

Aiden legte nun den Kopf schief und sah ihn etwas fassungslos an. "Du glaubst dass wir uns 'nahe stehen'? Ach Drew, mein Freund."

Drew warf ihm einen völlig verwirrten Blick zu.

"Du liegst falsch", sprach sein Rivale, "Maike hat mir klar gemacht, dass sie kein Interesse hat."

Einen Moment lang sah Drew ihn nur ungläubig an. Er war so fest davon überzeugt gewesen, dass ihn diese Information jetzt etwas aus der Bahn warf.

"Tut mir Leid, Aiden, das hätte ich nicht gedacht."

Aiden zuckte mit den Schultern und grinste. "Kein Drama. Es schwimmen ja viele Mamolida im Meer."

Drew musste sehr mit sich kämpfen um ihm diesen Kommentar nicht krumm zu nehmen, doch er atmete tief durch und beruhigte sich wieder. Das war halt die lockere und fröhliche Art dieses Koordinators, und am Ende war es besser für ihn wenn er es mit Humor nahm und sich deswegen nicht fertig machte.

"Hm, na gut... Also dann, Aiden, wir trainieren demnächst mal."

Mit diesen Worten ging er in sein Zimmer. Dort setzte er sich erstmal auf sein Bett und stützte nachdenklich den Kopf auf die Hände. Zu wissen, dass doch nichts zwischen Maike und Aiden lief, ließ ihn gerade stark zweifeln. Wie sollte er auf sie reagieren wenn sie ankam? Eigentlich war das ja jetzt klar, wo er Alicia doch so nah stand. Doch sein Herz kam nicht zur Ruhe, es schlug ihm bis zum Hals vom bloßen Gedanken daran, dass doch noch irgendwie Hoffnung bestand. War das denn nicht unfair, sich selbst und auch Alicia gegenüber? Er raufte sich die Haare. Was für eine verfahrene Situation.

Er würde erstmal einfach abwarten müssen.

Eiserne Wut

Am nächsten Morgen stand Drew wieder früh auf um zu trainieren. Auf dem Weg nach draußen sah er ein Luxio mit einem Halstuch ins Pokémon Center rennen. Er schenkte ihm erst kaum Beachtung, doch dann drehte er sich noch mal um und erhaschte erneut einen Blick auf das Tuch. So eines hatte Maike doch auch! Er ging wieder hinein und folgte dem Pokémon. "Hey, Kleines, warte mal!"

Das Luxio blieb stehen und sah ihn fragend an. Er kniete sich hin und lächelte. "Ich wusste gar nicht, dass Maike ein Luxio hat. Du gehörst doch zu Maike, nicht?" Das Luxio gab einen Laut von sich und nickte, es wirkte jedoch völlig verzweifelt und erschöpft. "Wo ist denn deine Trainerin?", fragte Drew irritiert und sah sich um. Das sah Maike nicht ähnlich. "Bist du ihr etwa weggerannt?" Das Luxio schüttelte mit dem Kopf und sah ihn flehend an. Dann rannte es einmal um ihn herum und schaute schließlich aus dem Pokémon Center heraus. Er folgte seinem Blick und sah dann wieder auf es herab. "Irgendwas stimmt hier doch nicht...", murmelte er.

Er nahm das Luxio hoch und machte sich auf den Weg zu Schwester Joy. Das Pokémon protestierte lautstark und wehrte sich mit allen Pfoten, doch Drew hielt es fest.

"Du musst dich kurz untersuchen lassen, es dauert nicht lang. Was auch immer los ist, ich bin sicher, Maike möchte nicht dass du vor Erschöpfung umkippst." Es gab schließlich klein bei, vielleicht hatten es auch einfach die letzten Kräfte verlassen, und Schwester Joy nahm sich seiner an.

"Du meine Güte", rief sie entsetzt aus. "Was ist denn mit deinem Luxio passiert?"

"Es gehört nicht mir... Bitte, helfen Sie ihm."

"Aber natürlich! Du armes kleines Ding..." Mit diesen Worten verschwanden die Beiden im Behandlungszimmer.

Bei Drew klingelten derweil alle Alarmglocken. Sobald das Luxio wieder auf den Beinen war musste er herausfinden, warum es nicht bei Maike war und was los war.

Während er wartete betrat eine junge rothaarige Trainerin das Pokémon Center. Mit hochgezogener Augenbraue bemerkte er, dass sie auch völlig außer Atem schien. Ohne Umwege eilte die Trainerin zu den Telefonen. Vorsichtig schielte er um die Ecke. Sie schien mit Officer Rocky zu telefonieren, soweit Drew das aus der Entfernung beurteilen konnte.

Ehe er sich weiter darüber Gedanken machen konnte kam Schwester Joy mit dem Luxio zurück.

"Hier, Drew, es geht ihm schon viel besser. Aber es braucht dringend etwas Schlaf. Wo ist sein Trainer?"

Drew seufzte und nahm das Pokémon an sich. "Ich weiß es leider nicht. So lange wird es wohl bei mir bleiben." Er streichelte dem Luxio den Kopf. "Keine Sorge, ich werde mich gut um es kümmern."

Schwester Joy nickte und lächelte gewohnt freundlich, dann machte sie sich zurück an die Arbeit um ihren anderen Patienten Aufmerksamkeit zu widmen.

Luxio sah ihn mit großen Augen an. Es wirkte nach wie vor verzweifelt, aber ebenso sehr müde. Es schien irgendetwas von ihm zu erwarten.

"Hmmm..." Nachdenklich legte er den Kopf schief. "Eigentlich kann das ja alles bloß bedeuten, dass Maike in Schwierigkeiten steckt." Luxio gab einen zustimmenden Laut von sich und schien sich zu freuen, dass der Koordinator endlich zu verstehen begann. Dann wurde es plötzlich still und schien genau auf etwas zu horchen. Mit einem Satz sprang es von Drews Arm herunter und rannte um die Ecke. "Hey!" Irritiert lief Drew ihm hinterher und sah es dann vor der rothaarigen Trainerin stehen. Diese hatte es auch gerade bemerkt. Nachdenklich sah sie das völlig aufgebrachte Pokémon an, bis sich plötzlich vor Erkenntnis ihre Augen weiteten.

"Entschuldige", sagte Drew und ging auf sie zu. "Das Kleine ist völlig durch den Wind. Seine Trainerin ist nicht da."

Die Rothaarige sah ihn an. "Kennst du sie denn?"

"Ja", antwortete er. "Zumindest glaube ich das. Dieses Tuch kenne ich von Maike."

"Oh, wusste ich es doch!" Sie ging energisch auf ihn zu und sah ihm dann direkt in die Augen. "Maike braucht dringend Hilfe!" Ihre eigenen Augen schienen sich mit Tränen zu füllen, doch schaffte sie es, sie zu unterdrücken. "Er... Er sagte, dass sie... Verdammt, wie hat er es ausgedrückt? Dass sie es nicht gut haben wird..."

Drew starrte sie entsetzt an. "Wovon in aller Welt sprichst du? Wer sagt das?"

"Tormund. Irgend so ein Irrer von den Bewahrern, wie sich diese Verrückten selbst nennen."

"Aber was will er denn mit Maike? Sie hat doch mit solchen Typen nichts am Hut." Zumindest dachte er das. Im Grunde wusste er ja nicht, was sie zwischen den Wettbewerben machte und vor allem mit wem.

"Er will durch sie erreichen, dass Ash bei ihnen auftaucht."

Ash. Irgendwie bedeutete dieser Name immer Ärger.

"Okay, ganz langsam", versuchte Drew sie und auch sich selbst zu beruhigen. "Am Besten setzen wir uns hin und du erzählst mir erst mal alles."

Die nächsten Minuten war er damit beschäftigt, sich ihre Story anzuhören. Sie meinte sich zu erinnern, dass Maike so ein Tuch um den Hals hatte, daher hatte sie geahnt dass Luxio zu ihr gehörte. Und Luxio hatte sich die Trainerin offenbar ebenfalls eingeprägt. Zum Glück. Officer Rocky leitete bereits alles ihr Mögliche in die Wege, doch Ash ausfindig zu machen war bisher weder ihr noch Kainu gelungen. Niemand wusste so genau wo er gerade steckte.

In Drew tobte eine eisige Wut, die er nur schwer verbergen konnte. Er hoffte, dass dieser Kerl bloß geblufft hatte und es Maike gut ging.

Während Kainu weiter umher telefonierte, lief er ruhelos im Pokémon Center auf und ab. Das Luxio schlief, er hatte seine Jacke zu gemacht und das Pokémon lag darin. Nur der Kopf schaute hinaus. Es war vorerst beruhigt, da es nun wusste dass sich jemand darum kümmerte seiner Trainerin zu helfen. Verglichen mit einem Sheinux war es schon ziemlich groß und Drew musste feststellen, dass es mit der Zeit auch recht schwer wurde.

Irgendjemand umarmte ihn von hinten. Natürlich, das konnte nur Alicia sein. "Drew, ich dachte, du trainierst?", fragte sie gespielt vorwurfsvoll. Dann fiel ihr Blick auf das Luxio in Drews Jacke. "Was ist denn das?"

Der grünhaarige Koordinator seufzte. "Das Luxio gehört Maike. Sie scheint in Schwierigkeiten zu stecken."

"Wie, in Schwierigkeiten?" Seine Freundin sah ihn irritiert an.

Natürlich kam genau in diesem Augenblick auch Aiden um die Ecke. "Habe ich das richtig gehört? Maike steckt in Schwierigkeiten?"

Drew gab ein unverständliches Grummeln von sich. Er hatte eigentlich gerade nicht die Nerven, es den Beiden zu erklären, aber sie meinten es am Ende ja nur gut. Also erzählte er wie er dem Luxio begegnet war und was Kainu ihm erzählt hatte.

Aidens Miene hatte sich zunehmend verfinstert, je mehr er gehört hatte. Offensichtlich war er doch nicht so stark an irgendwelchen anderen Mamolida im Meer interessiert. Oder zumindest war ihm dieses eine spezielle Mamolida ganz und gar nicht egal.

Auf Alicias Gesicht hingegen zeichnete sich bloß Sorge ab. "Das klingt ja alles gar nicht gut", meinte sie. "Aber ich halte es für besser, wenn du dich da nicht einmischst, Drew."

Er sah sie vorwurfsvoll an. "Das kann nicht dein Ernst sein. Ich kenne Maike seit so vielen Jahren. Natürlich mische ich mich da ein." Aiden nickte bloß stumm, er war da offensichtlich seiner Meinung.

Alicia sah die Beiden an. "Versteht mich bitte nicht falsch. Aber ich glaube nicht, dass ihr mehr tun könnt als Officer Rocky. Und solche zwielichtigen Typen können mitunter echt gefährlich werden... Ich mache mir bloß Sorgen um dich."

Das stimmte Drew milde. Er lächelte sie dankbar an. "Das verstehe ich, Alicia. Und ich danke dir dafür. Aber ich kann hier nicht tatenlos rumsitzen. Ich muss mir bloß noch überlegen was ich tun kann."

"Was wir tun können", berichtigte Aiden ihn.

Drew sah ihn an und nickte. Jegliche Eifersucht war jetzt fehl am Platze.

"Aber der Wettbewerb beginnt bald...", begann Alicia einen letzten verzweifelten Versuch. Die Beiden gingen gar nicht erst darauf ein, sondern fingen an sich zu besprechen wie sie vorgehen sollten.

"Ich bin sicher dass Luxio uns zu der Wiese führen kann. Wenn die Maschine so groß war, dann muss sie einfach irgendwelche Spuren hinterlassen haben."

"Und Kainu weiß wirklich nicht wo es ist?", fragte Aiden.

Der grünhaarige Koordinator schüttelte den Kopf. "Nein, sie haben ihr die Augen verbunden als sie sie zurück gebracht haben."

Nun gesellte sich die rothaarige Trainerin zu ihnen.

"Hallo", grüßte sie Aiden. "Ich bin Kainu."

Aiden grinste sie fröhlich an. "Weiß ich doch längst. Ich bin Aiden, nett dich kennenzulernen." Dann wurde er wieder ernst. "Drew und ich werden zu der großen Wiese gehen und sehen, ob wir irgendwelche Spuren entdecken. Wir sind jederzeit über unsere Holo Logs erreichbar, falls du Neuigkeiten hast."

Sie tauschten noch schnell ihre Nummern aus, dann machten sich die beiden Koordinatoren auf den Weg.

Zum Abschied hatte Alicia Drew noch einen Kuss gegeben und ihn gebeten, dass sie auf sich aufpassen sollten. Aiden schüttelte den Kopf, als die junge Frau wieder im Pokémon Center verschwunden war.

"Was ist?", fragte der Grünhaarige.

"Ach", winkte Aiden ab, "gar nichts." Innerlich stellte er sich jedoch die Frage, ob Drew sich bewusst für Alicia entschieden hatte. Ob er wusste, wie sehr Maike an ihm hing.

Doch das ging ihn nichts an und es gab für ihn gerade Wichtigeres als sich da einzumischen.

Die Beiden riefen via Poké Mobil Tauros zu sich, damit sie schnellstmöglich am Ort des Geschehens ankamen. Und so dauerte der Weg dort hin nur knapp über zwei Stunden statt einen ganzen Tag, auch Luxios Hilfe sei Dank. Dort angekommen untersuchten sie sogleich die Umgebung. Es gab ein paar Spuren, wo die Maschine den Boden aufgewühlt hatte, und an einer Stelle verbranntes Gras. Das musste Lohgocks Werk gewesen sein. Die Spuren führten weiter Richtung Nordosten, wo sie irgendwann plötzlich einfach aufhörten.

"Das kann doch nicht wahr sein", beschwerte sich Aiden lautstark. "So eine große Maschine kann sich doch nicht einfach in Luft auflösen."

"Vielleicht ist Luft ja das Stichwort", überlegte Drew.

"Na ich weiß nicht. So ein großes schweres Ding ist sicher nicht leicht zum Fliegen zu bewegen."

Drew nickte. Da hatte er Recht. Aber irgendwo musste es doch hin sein.

Als am Nachmittag die Sonne hoch über ihren Köpfen stand, beschlossen sie eine Pause zu machen. Luxio legte sich auf Drews Schoß und sah ihn traurig an.

"Tut mir echt Leid, Kleines", sprach Drew. "Bisher sind wir wohl keinen Schritt weiter."

Aiden grummelte wütend vor sich hin. "Ich kann das nicht hinnehmen. Wir müssen doch irgendetwas tun können."

"Ich fürchte, wir werden die Nacht erst mal hier verbringen müssen. Morgen machen wir dann einen neuen Plan und bis zum Abend versuchen wir, noch irgendwelche Hinweise zu finden."

Der braunhaarige Koordinator nickte zur Zustimmung.

Das Ergebnis des Tages war frustrierend. Am Abend telefonierten sie mit Kainu.

"Ihr habt also gar nichts gefunden?", fragte sie resigniert.

Aiden seufzte. "Nein, absolut gar nichts. Wie sieht es bei euch aus? Hat Officer Rocky irgendwelche Neuigkeiten?"

"Leider nicht. Wir wissen immer noch nicht wo Ash gerade steckt. Wir glauben aber, dass er wissen muss wo sie sich verstecken. Sonst hätte Tormund gewiss irgendwelche Spuren gelegt. So scheint er aber sicher zu sein, dass Ash ihn auch wirklich finden wird."

"Das klingt einleuchtend", mischte Drew sich ein. "Umso wichtiger, dass wir ihn endlich erreichen. Seine Mutter weiß auch nichts? Oder irgendeiner der Professoren?"

"Niemand... Seine Mutter hat ihn zuletzt zu ihrem Geburtstag gesprochen, und das ist nun schon einige Wochen her. Zu der Zeit war er gerade wieder in Johto unterwegs."

Drew und Aiden fluchten. Da brauchte man diesen Kerl einmal im Leben und er war nicht zu finden. Sie verabschiedeten sich von Kainu und beschlossen irgendwann, sich einfach hinzulegen und am nächsten Tag weiter zu machen. Doch auch wenn sie es nicht zugaben, so machte keiner von Beiden wirklich ein Auge zu in dieser Nacht. Zu groß war die Sorge um ihre gemeinsame Rivalin und Freundin.
 

Maike erwachte zitternd. Es war fürchterlich kalt in ihrer Zelle, so kalt, dass sie sich ihr Lohgock herwünschte. Doch Leonas hatte ihr ihre Tasche mit all ihren Pokebällen abgenommen. Sie schlang sich die Arme um die Knie, während sie auf ihrer Bank hockte. Hoffentlich behandelten sie ihre Pokémon gut. Sie könnte es sich niemals verzeihen wenn sie ihretwegen leiden mussten.

Die Koordinatorin hatte keinen blassen Schimmer wie lange sie geschlafen hatte geschweige denn wie spät es war. Es gab hier kein Fenster und alles war permanent gleißend hell. Sie war erstaunt dass sie es überhaupt geschafft hatte einzuschlafen, doch das war möglicherweise auch nur der Erschöpfung zuzuschreiben. Ob bereits ein neuer Tag angebrochen war? Ob Luxio oder Kainu Hilfe holen konnten? Vielleicht war Ash ja schon auf dem Weg hier her. Sie hoffte es. Bisher hatten sie ihr nichts getan, doch sie war sich nicht sicher was dieser Tormund im Schilde führte. Er schien ihr unberechenbar.

Ein Klicken ertönte von der Tür und sie öffnete sich mit einem leisen Surren. Leonas trat herein und hatte ein Tablett mit einer Tasse und einem kleinen Teller bei sich.

"Dieses Festmahl lässt Meister Tormund dir zukommen", meinte er tonlos und stellte es auf den Boden. "Du solltest es zeitnah essen. Er wird bald kommen um dich zu befragen."

Maike reagierte bloß mit einem eisigen Blick und rührte sich nicht vom Fleck, bis Leonas wieder aus der Zelle verschwunden war.

Neugierig stand sie auf und begutachtete ihre Mahlzeit. Irgendeine Suppe und ein Früchtetee, der nicht lange genug gezogen hatte. Sie seufzte ergeben und nahm die Mahlzeit trotzdem zu sich. Es nützte nichts zu hungern, egal wie trotzig und unwillig sie war. Sollte sie irgendwann irgendeine Möglichkeit zur Flucht kriegen musste sie halbwegs bei Kräften sein.

Wie Leonas es ihr schon vorausgesagt hatte kam kaum später Tormund in ihre Zelle. Sie kauerte an der Wand auf ihrer Bank, doch ihrem Blick war zu entnehmen, dass sie noch längst nicht eingeschüchtert genug war um zu kooperieren. Tormund grinste sie süffisant an.

"Ich vermute, du wirst es mir nicht leicht machen wollen", begann er, "Daher ist es wohl besser, wenn ich dir gleich erkläre wie das hier für dich läuft."

Die Zelle war nicht groß, vielleicht vier mal vier Meter, trotzdem schaffte er es imposant zu wirken, während er darin umherschritt.

"Du warst lange mit diesem Trainer unterwegs. Was ich von dir will sind Informationen über ihn. Absolut alles betreffend. Was sind seine Angewonheiten, wie kämpft er, was mag er und wovor hat er Angst. Wie weit würde er für seine Freunde gehen... Ach nein, warte, das wird er uns schon selbst beantworten." Er zwinkerte ihr zu, woraufhin sie bloß mit den Augen rollte. "Und, was kannst du mir sagen?"

Sie überlegte. Was nützten ihm diese Infos? Es war Jahre her, seit sie Ash zuletzt gesehen hatte. So viele Dinge hatten sich wahrscheinlich geändert.

"Nun, er war damals immer sehr naiv und blauäugig. Erst handeln, dann denken. Aber er ist ein großartiger Trainer. Und weißt du auch, wieso?"

Tormund sah sie mit hochgezogener Augenbraue an, darauf wartend, dass sie fortfuhr.

"Weil er seine Pokémon liebt und sie ihn. Weil er sie zu nichts zwingt und alles für sie aufs Spiel setzen würde. Das kann nicht falsch sein."

Tormund schüttelte energisch den Kopf. "Nur, weil einige Leute etwas für Gut heißen, muss es noch lange nicht gut sein, meine liebe Maike. Er quält seine Pokémon, und bloß weil sie sich nicht dagegen wehren heißt das nicht, dass sie es toll finden."

"Das ist doch Blödsinn", setzte sie an, wurde jedoch gleich wieder von ihm unterbrochen.

"Sag mir mal, warum er kämpft? Um irgendwann der größte Trainer aller Zeiten zu werden. Was für ein egoistischer Grund, meinst du nicht? Was genau haben seine Pokémon davon, dass sie immer und immer wieder ihre Gesundheit für ihn riskieren? Denk doch mal an deine Pokémon. Sie lieben dich als ihren Trainer, gewiss, aber ist es wirklich fair von Ihnen zu erwarten, dass sie für dich leiden?"

Maike schwieg. Das war eine Sichtweise, der sie tatsächlich etwas Wahrheit zugestehen musste.

"Und genau diese Ausbeutung wollen - nein, müssen wir verhindern! Dieser Ash rekrutiert ständig neue Trainer und dient ihnen als Vorbild. Das ist einfach nur falsch."

Die Koordinatorin schüttelte den Kopf. "Es ist trotzdem nicht richtig, wie ihr vorgeht. Es wäre vernünftig, das Gespräch mit ihm zu suchen. Seine Freunde zu kidnappen ist nicht gerade... Erwachsen."

Tormund lachte freudlos. "Meinst du, ich hätte nicht bereits versucht mit ihm zu reden? Er ist zu stur um irgendwas einzusehen. Uns bleibt keine Wahl als ihn auszuschalten."

"Da, du hast es schon wieder gesagt. Ihn ausschalten. Du kannst sowas von vergessen, dass ich euch dabei auch nur ansatzweise helfen werde!"

Er sah sie traurig an. "Das habe ich befürchtet. Ich hatte gehofft, meine kleine Ansage in der Halle würde dir genug Angst machen, damit du uns hilfst. Aber so bin ich gezwungen, härtere Geschütze aufzufahren. Leonas!"

Der maskierte Mann kam herein. "Ja, Meister?"

"Diese Trainerin weigert sich zu kooperieren. Du weißt, was zu tun ist."

"Ja, Meister."

Leonas packte Maike am Arm und zerrte sie aus der Zelle heraus.

"Hey, was soll das, verdammt? Lass mich gefälligst los!"

"Schweig!", zischte der Maskierte sie an.

"Einen Teufel werde ich tun! Ich kann euch keine Infos geben, die euch etwas nützen werden, selbst wenn ich wollte!"

"Vielleicht fällt dir ja doch noch etwas ein", trällerte Tormund und verschwand dann in Richtung seiner Halle. Leonas zog sie unterdessen weiter hinter sich her bis zu einem anderen hell beleuchteten Raum. Als Maike sah was sich darin befand weiteten sich ihre Augen vor Entsetzen. Einen Moment war sie regungslos vor Schock, dann fing sie an sich mit all ihrer Kraft zu wehren.

"Du Monster! Lass mich los! Ihr seid doch völlig durchgeknallt!"

An einer Wand des Raumes hing in Ketten ihr absolut erschöpftes Lohgock. Seine Arme und Beine waren so festgekettet, dass es sich kaum bewegen konnte und auch nicht in der Lage war, eine Attacke einzusetzen. Zusätzlich war eine Art stählerner Maulkorb an seinem Kopf angebracht. Es machte einen erbärmlichen Eindruck. Maike zerriss es das Herz.

Leonas zeigte sich ziemlich unbeeindruckt von ihren Versuchen sich zu wehren. Er zog sie einfach mit sich und legte auch an Ihre Hände und Füße schwere Ketten. Dann ging er ohne ein weiteres Wort wieder hinaus.

Maike sackte in sich zusammen, soweit es die Ketten zuließen. Am Ende bedeutete das bloß, dass sie an ihren Armen hing und mit den Knien noch nicht einmal den Boden berührte. Tränen traten ihr in die Augen.

"Lohgock, es tut mir so Leid... Ich hätte dich beschützen müssen..." Sie schluchzte. Ihr Pokémon bewegte sich und schien seine Trainerin endlich wahrzunehmen. Seine Ketten rasselten, als es versuchte sich zu bewegen. Offensichtlich hatte es sich bei seinen vorherigen Versuchen sich zu befreien schon völlig verausgabt. Müde blickte es zu Maike.

"Ich werde alles geben um dich da raus zu holen", sagte diese entschlossen. Was auch immer es kosten würde, und auch wenn sie wusste dass sie im Grunde gar nichts tun konnte. In ihr manifestierte sich eine eiserne Wut. Dieser Tormund sprach davon, die Pokémon zu beschützen, doch was er ihr hier zeigte bewies bloß das Gegenteil.

"Komm schon, Ash... Ich fürchte, ich schaffe das nicht allein..."

Alte Freunde

Drew und Aiden erwachten früh am nächsten Tag. Beide hatten nicht sonderlich viel geschlafen, und auch Maikes Luxio tigerte rastlos umher. Die Trainer schickten ihre Libelldras los, in der Hoffnung, dass sie von oben irgendetwas auffälliges entdecken würden. Aber die Drachenpokemon kamen ohne Neuigkeiten zurück. Nichts war ihnen aufgefallen. Aiden raufte sich die Haare.

"Das kann doch alles nicht wahr sein", fluchte er. "Wie sollen wir jetzt weiter machen? Wir finden hier ja doch nichts."

Drew nickte. "Da hast du wohl Recht."

Aidens Holo Log ertönte und Kainu meldete sich zu Wort.

"Leute, wir haben Ash endlich erreicht!"

Die beiden Koordinatoren freuten sich sehr über diese überraschende Neuigkeit. Sie kam genau im richtigen Moment.

"Das ist großartig", sagte Drew, "wann ist er hier? Oder kann er uns sagen wo wir suchen müssen?"

"Er hat sich gleich mit seinem Glurak auf den Weg gemacht, aber er wird wohl noch ungefähr zwei Stunden brauchen. Zum Glück war er gerade relativ in der Nähe. Dazu hat er mir eine Beschreibung gegeben, wo sich seiner Meinung nach das Versteck befindet."

Kainu gab ihnen eine grobe Beschreibung, nach der sich das Versteck unterirdisch nahe der Berge befand. Die Maschine müsste demnach einen geheimen Tunnel genutzt haben, der sich jedoch nur von ihr oder Mitgliedern der Bewahrer öffnen ließ. Weit im Norden gab es wohl einen alten kaputten Zugang, der zwar gut versteckt war, dafür aber von jedem zu betreten.

"Den müsst ihr finden. Ich schätze, ihr werdet ungefähr ein bis zwei Stunden brauchen. Bis dahin dürfte Ash vielleicht auch schon dort sein. Tut nichts unüberlegtes!". Das war Officer Rocky, die dort sprach. "Ich stelle gerade ein Team zusammen, wir sind auch bald auf dem Weg zu euch."

Sie beendeten das Gespräch und machten sich sogleich auf den Weg. Wie Officer Rocky schon vermutet hatte brauchten sie über eine Stunde, fast zwei, um den Zugang im Norden zu finden. Aiden grinste. "Na endlich. Wird Zeit, dass wir unsere kleine Maike retten."

Drew nickte und sie betraten den unterirdischen Gang. Es war stockdunkel dort, sodass Drew sein Absol rief, welches Blitz einsetzte. Nun konnten sie wenigstens etwas sehen. Sie waren gerade erst ein paar Sekunden drin, als es hinter ihnen in der Nähe des Ausganges rumpelte. Dann hörten sie ein Glurak brüllen.

"Das muss Ash sein", bemerkte Drew und ging die paar Schritte wieder zurück. Dort stand er, sein alter Bekannter, den er seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte, und wirkte ungewohnt ernst und erwachsen. Neben ihm stand sein Glurak, welches mit seinen Flügelschlägen die trockene Erde um sie herum aufgewirbelt hatte.

"Drew, gut, dass ihr schon hier seid", begrüßte der Trainer ihn. "Und du musst Aiden sein, Maike hatte mir vor einiger Zeit mal von dir erzählt."

Aiden nickte. "Wie schön, den berühmten Ash Ketchum endlich mal kennen zu lernen. Von dir hat Maike auch viel erzählt. Du warst erstaunlich schnell hier."

"Ja, Glurak und ich haben uns extra beeilt. Dieser Tormund ist unberechenbar und ich mache mir ernsthafte Sorgen. Machen wir uns auf den Weg, der Tunnel ist lang und wir sollten keine Zeit verlieren."

Das Glurak flog wieder davon. Drew schätzte, dass es dennoch in der Nähe bleiben würde, um auf den Eingang und somit auch auf seinen Trainer aufzupassen.

Sie legten den Weg überwiegend in angespanntem Schweigen zurück. Nur ab und zu unterhielten sie sich leise, dann zumeist darüber, wie sie vorgehen würden wenn sie ankamen.

"Wir dürften unter einer Art Labor herauskommen, alle Gänge führen dort hin. Oben müsste sich dann eine Luke befinden. Dort müssen wir irgendwie rauf kommen, es ist recht hoch, aber wir haben ja unsere Pokémon. Garantiert wird der Eingang bewacht, also macht euch schon einmal auf einen Kampf gefasst."

"Woher weißt du überhaupt so wahnsinnig viel über diesen Ort?", fragte Aiden ihn.

"Oh, ich war schon oft hier. Zu oft für meinen Geschmack." Ash lächelte leicht gequält. "Tormund und ich haben oft versucht, den jeweils Anderen zu überzeugen. Aber er ist zu stur. Vermutlich wird er das selbe über mich sagen." Sein Pikachu gab ein leises Grummeln von sich. Er lachte. "Ja, er hat auch schon versucht, Pikachu von mir zu 'befreien'. Das hat er bitter bereut."

Drew grinste. Das konnte er sich lebhaft vorstellen.

"Wisst ihr... Ich war nicht zufällig in der Nähe."

Die beiden Koordinatoren sahen den Trainer irritiert an.

"Naja", fuhr er fort, "ich war bereits auf dem Weg hier her als ich den Anruf von Kainu erhalten habe. Sie halten nicht nur Maike hier fest."

"Wen denn noch?", fragte Aiden.

"Misty...", entgegnete Ash und blickte finster drein. "Schon seit einigen Tagen. Ich war noch in Sinnoh, als ich davon erfahren habe."

"Es ist echt gefährlich, mit dir befreundet zu sein", bemerkte Drew trocken.

Ash seufzte. "So sieht es wohl aus. Ich hätte nie geglaubt, dass sie so weit gehen würden. Meine jüngeren Freunde scheinen sie stets nur einzuschüchtern. Doch die älteren, wie Misty und Maike... Nun, da scheinen sie jetzt ihre Hemmungen zu verlieren."

Sie schwiegen alle drei betreten. Ash schien es sehr mitzunehmen, dass seine Freunde seinetwegen in Gefahr schwebten, und er war offensichtlich fest entschlossen die Beiden so schnell wie nur irgend möglich zu befreien.

Nach einer Weile kamen sie in dem großen, kuppelartigen Raum an, dessen Luke in das Labor führen musste.

"Gut, Freunde", sagte Ash, "Jetzt beginnt der Spaß. Holt am besten schon alle eure Pokémon raus, damit sie gleich kampfbereit sind. Die Typen werden sicher nicht lange fackeln."

Die drei Trainer schickten alle ihre Pokémon heraus. Insgesamt betrachtet wirkten diese achtzehn Pokémon schon beeindruckend, doch wer wusste mit was die Bewahrer dagegen halten würden.

Ashs UHaFnir öffnete mit einer starken Drachenklaue die Luke nach oben in das Labor.
 

Maike hatte aufgegeben. Sie musste einsehen, dass sie alleine nicht hier raus kommen würde, egal was sie versuchte. Und auch, dass sie Lohgock nicht helfen konnte. Das zu realisieren war für sie der schwerste Part gewesen. Und egal wie sehr sie sie teilweise quälten, so setzte es ihr immer noch am meisten zu, wenn sie Lohgock wehtaten.

In regelmäßigen Abständen bekamen sie Besuch von unterschiedlichen maskierten Mitgliedern. Gelegentlich kamen auch Leonas oder Tormund vorbei. Mittlerweile war Maike sich sicher, dass sie eigentlich gar keine Informationen von ihr haben wollten. Dass sie wussten, dass die Koordinatorin ihnen nichts Wichtiges über Ash erzählen konnte. Tormund schien wirklich einfach ein großer Fan vom Schauspielern zu sein und sah diese ganze Fragerei als Vorwand, Maike immer wieder erneut einen Besuch abzustatten. Gelegentlich brachten sie ein Magnetilo mit, das sie und ihr Lohgock mit Elektroschocks bearbeitete. Teilweise hatten sie auch ein Rasaff dabei, und sowohl Maike als auch Lohgock hatten einige Blessuren und blaue Flecke vorzuweisen. Die Trainerin war überzeugt, dass diese Bande einfach Spaß daran hatte sie zu quälen.

"Wie kann es überhaupt sein, dass ihr Pokémon habt?", fragte Maike einmal mit vor Schmerzen zusammengebissenen Zähnen, nachdem sie einen Schlag von Rasaff einstecken musste. "Ich denke, ihr wollt sie alle befreien?"

Der Maskierte lachte bloß und verschwand, ohne diese Frage zu beantworten. Als sie sie später Tormund selbst stellte, lächelte er und erklärte, dass es bloß das Ziel sei. Und man müsse Opfer auf seinem Weg bringen, um irgendwann sein Ziel zu erreichen. Maike allerdings glaubte, dass das Wohl der Pokémon diese Mistkerle einen Dreck interessierte und sie insgeheim ganz andere Pläne verfolgten.

Irgendwann bekam sie nebenbei mit, dass noch jemand von Ashs Freunden hier war. Und das schon einige Tage länger als sie. Wer auch immer das sein mochte, er hatte ihr tiefstes Mitleid. Sie war schon nach so kurzer Zeit einem Zusammenbruch nahe, nicht auszudenken wie es ihr in ein paar Tagen gehen würde.

Gerade als Leonas ihr wieder einen Besuch abstattete hörten sie einen lauten Knall. Leonas schien erfreut. "Scheint so, als wäre dein Freund endlich da", sagte er und verschwand sogleich wieder. Maike sah hoffnungsvoll zu Lohgock.

"Wenn er das ist, dann wird er uns hier rausholen", sprach sie voller Überzeugung zu ihrem geschwächten Pokémon. "Keine Sorge, bald ist das alles vorbei."
 

Die Minuten zogen sich wie Stunden, es kam ihr vor wie eine halbe Ewigkeit, bis endlich die Tür zu ihrer Zelle geöffnet wurde. Dort stand Ash und blickte entsetzt zwischen ihr und Lohgock hin und her. Doch dann fing er sich wieder und sein Silvarro zerstörte mit beeindruckender Geschwindigkeit und Präzision ihre Ketten. Maike sackte in sich zusammen, woraufhin Ash sofort zu ihr eilte und sie stützte.

"Es tut mir so Leid, dass du das meinetwegen durchmachen musstest", sagte er, und sein gequälter Gesichtsausdruck ließ erahnen, wie sehr ihn das Ganze mitnahm. Er betrachtete ihre Handgelenke, die von den Ketten ganz wund waren, dann umarmte er sie kurz und innig. "Es tut mir so Leid...", wiederholte er leise.

Maike legte den Kopf auf seine Schulter. "Es ist nicht deine Schuld", sprach sie sanft. "Ich bin froh dass du da bist."

Dann rappelte sie sich auf und ging zu Lohgock. Silvarro hatte es bereits befreit und stand neben dem Feuer-Pokémon, das sich nicht mehr bewegte. Neben ihm ging Maike auf die Knie und betrachtete ihr Pokémon, das sie seit der ersten Sekunde ihres Abenteuers bei sich hatte. Ashs Pikachu gesellte sich zu ihnen und sah traurig auf seinen alten Freund. Das war der Moment, in dem Maike es einfach nicht mehr schaffte sich zurückzuhalten und anfing zu weinen. Dabei beugte sie sich zu Lohgock herunter.

"Es tut mir so Leid, dass ich dich nicht beschützen konnte", schluchzte sie.

Ash stand nun ebenfalls bei ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Es kommt wieder auf die Beine, da bin ich mir sicher." Dann zögerte er kurz. "Entschuldige, aber ich muss euch alleine lassen... Ich muss noch nach Misty suchen. Aber keine Sorge, Aiden und Drew haben die Lage unter Kontrolle. Jetzt wird alles gut."

Maike sah zu ihm auf. Also war es Misty, die sie noch gefangen hatten. Ihre arme Freundin. Sie mochte sich gar nicht vorstellen wie es ihr ging. Entschlossen nickte sie Ash zu. "Beeil dich", forderte sie ihn auf. Das ließ er sich natürlich nicht zwei mal sagen und machte sich sofort auf den Weg, mit Pikachu auf der Schulter und dicht gefolgt von Silvarro.
 

Maike war wieder allein in ihrer Zelle. Allein schon diese Tatsache beängstigte sie so sehr, dass sie zu zittern anfing. Lohgock war nicht ansprechbar, doch sie hatte seinen Pokeball auch nicht hier. Also beschloss sie, sich auf die Suche danach zu machen. Sie ließ Lohgock nur sehr ungern so allein zurück, aber sie konnte auch nicht länger untätig rumsitzen. Sie folgte dem langen Gang, bis sie in der Nähe des Labors war. Die Koordinatorin blieb stehen und horchte.

"Los, Roserade, Blättertanz!"

Das war eindeutig Drew! Sie ging die letzten paar Schritte bis zum Labor, und als sie die Tür passierte und ihre zwei Freunde sah, wie sie die verbliebenen Mitglieder dieser irren Sekte bekämpften, wäre sie ihnen vor Freude am liebsten um den Hals gefallen.

Doch das musste warten. Schnell suchte sie den Raum mit ihren Augen nach den Pokebällen ab, die sie ihr abgenommen hatten, und zu ihrer Erleichterung fand sie sie direkt in der Nähe der Tür. Sie griff danach und lief ohne Umwege wieder zurück zu Lohgock.

"Jetzt kannst du dich endlich etwas ausruhen", sagte sie und rief ihr Pokémon zurück. Dann vergewisserte sie sich, dass bis auf Luxio alle andern Pokémon noch in ihren Bällen und wohlauf waren. Zum Glück war dies der Fall. Ihr Glaziola ließ sie gleich draußen und machte sich wieder auf den Weg zu ihren Rivalen, um Ihnen zu helfen.

Dort angekommen stellte sie jedoch fest, dass sie gerade den letzten Trainer mit seinen Pokémon besiegt hatten. Umso besser. Die beiden Trainer waren so in ihren Kampf vertieft gewesen, dass sie Maike weder vorhin noch jetzt bemerkt hatten. Doch Luxio hatte sie nun entdeckt und lief freudig auf sie zu.

"Oh, mein Luxio, du hast es geschafft!", flüsterte Maike und drückte ihr Pokémon an sich. "Danke!"

Jetzt hatten auch Aiden und Drew ihre Anwesenheit realisiert. Sofort liefen sie zu ihrer Freundin.

"Geht es dir gut, Maike?", fragte Aiden voller Sorge. Sie nickte und lächelte ihn an.

"Jetzt schon. Danke, dass ihr mich gerettet habt."

Drew betrachtete sie nur finster. Dann trat er noch einen Schritt näher an sie heran und nahm ihre Hände in seine, um ihre blutigen Handgelenke zu begutachten. Die ganzen blauen Flecken und Schrammen bedachte er ebenfalls mit einem Blick. Maike zog ihre Hände weg, da es ihr irgendwie unangenehm war, so von ihm angesehen zu werden. Sie wollte nicht, dass er sich aufregte. Aber es war schon zu spät. Sie konnte förmlich sehen, wie seine Wut mit jeder Sekunde größer wurde.

"Drew...", begann sie leise. "Bitte. Es ist alles gut."

"So sieht es aber nicht aus", kommentierte Aiden unerwünschterweise. Sie warf ihm einen flehentlichen Blick zu, doch er schien genauso wütend zu sein wie sein grünhaariger Kollege. Die beiden Männer sahen sich kurz an und einigten sich wortlos. Sie waren hier fertig und wollten den zur Rechenschaft ziehen, der für das, was ihrer Freundin passiert war, verantwortlich war.

Maike, die das sofort realisiert hatte, schüttelte energisch den Kopf. "Ich gehe da nicht wieder hin, und ihr könnt mich doch jetzt nicht hier alleine lassen." Dieses Argument schien zu wirken. Nun sahen sich ihre Freunde verunsichert an.

"Da hast du wohl Recht", meinte Aiden nachdenklich. "Na gut. Dann bleibe ich mit dir hier."

Drew nickte ihm dankbar zu und machte sich ohne ein weiteres Wort sogleich auf den Weg. Maike und Aiden sahen ihm hinterher, bis er in dem langen Gang nicht mehr zu sehen war. Dann kümmerten sie sich gemeinsam um ihr Lohgock. Aiden hatte zum Glück einige Tränke mit und so kriegten sie es zumindest wieder halbwegs auf die Beine. Erschöpft sah es seine Trainerin an, die es glücklich umarmte. "Ich bin so froh, dass es dir schon etwas besser geht", murmelte sie. Lohgock gab einen bejahenden Laut von sich und erwiderte die Umarmung. Es war wundervoll warm. Die Koordinatorin war froh, dass es ihr keine Vorwürfe zu machen schien. Mit all den Blessuren, die es hatte, würde es sicher noch eine Weile dauern bis es wieder ganz auf den Beinen war. Maike rief es zurück, damit es sich im Pokeball weiter ausruhen konnte.

Nach einer Weile kam Ash mit Misty durch die Tür. Die Arenaleiterin von Azuria City machte einen noch viel schlimmeren Eindruck als Maike und musste fortwährend von Ash gestützt werden. Sofort eilten Aiden und Maike zu ihnen. Die beiden Trainerinnen warfen sich einen Blick zu. "Oh Misty", flüsterte Maike und setzte sich neben sie, nachdem sie sich auf den Boden gekauert hatte. Ash ging vor ihr auf die Knie und betrachtete sorgsam und vorsichtig alle Wunden und Verletzungen. Fast schon liebevoll, wie Maike feststellen musste. Die Rothaarige lächelte gequält. "Ich bin froh, dass es jetzt vorbei ist."

Ash warf Maike und Aiden einen kurzen Blick zu. "Drew kam eben an uns vorbei. Er kümmert sich um Tormund. Doch ich fürchte, dass er das allein nicht schafft." Er schien mit sich zu ringen und sah Misty dann wieder an. "Es tut mir Leid, Misty. Aber ich muss ihm helfen."

Die Arenaleiterin nickte verständnisvoll. "Natürlich. Ich bin doch hier in den besten Händen."

Ash sah verlegen zu Boden, woraufhin er bloß irritierte Blicke von den Anderen erntete. Auf was wartete er? Dann schien er sich einen Ruck zu geben, beugte sich vor zu Misty und küsste sie sanft. Es war ein kurzer Kuss, und danach machte er sich ohne ein weiteres Wort sofort auf den Weg.

Maike und Aiden sahen sich mit offenen Mündern an. Damit hätten sie nicht gerechnet. Auch Misty schien absolut sprachlos zu sein. Mit leicht geröteten Wangen starrte sie an die Stelle, wo gerade eben noch Ash vor ihr gehockt hatte. Dann fasste sie sich mit zwei Fingern leicht an ihre Lippen. "Was in aller Welt...", murmelte sie. Doch schließlich lächelte sie zufrieden. Dieser Dummkopf. So viele Jahre hatte es gedauert. Man musste sich also erst kidnappen und quälen lassen, damit er in der Lage war Gefühle zu zeigen. Aber sie wollte sich darüber nicht ärgern und war einfach froh, dass er es endlich auf die Reihe bekommen hatte. Endlich war er erwachsen geworden.

Maikes Verwunderung legte sich und sie grinste ihre Freundin an. "Wer hätte das gedacht", meinte sie fröhlich, und Misty lachte.

"Niemand", antwortete sie. "Aber gehofft habe ich es schon lange."

Das hatte Maike gar nicht gewusst. Aber es war schön, dass sie und Ash offenbar beide Gefühle für den jeweils anderen hatten. Auch wenn es lange gedauert hatte, so war es die Sache ja doch wert.

Misty lachte leider nicht lange und fasste sich mit einem schmerzerfüllten Keuchen an die Seite. Aiden und Maike kümmerten sich um sie, während sie auf die Rückkehr von Ash und Drew warteten. Nach einer Weile, als alle Wunden von Misty zumindest oberflächlich versorgt waren, lehnte sie sich an Maike und schlief erschöpft ein. Die beiden Koordinatoren unterhielten sich flüsternd.

"Ich kann es kaum erwarten hier endlich raus zu kommen", meinte Maike.

Aiden nickte. "Sie haben dir und Lohgock wirklich schwer zugesetzt."

"Ja, aber das ist gar nichts, wenn ich mir im Vergleich die arme Misty ansehe."

"Trotzdem", sprach der Koordinator. Dann seufzte er. "Du hättest Drew erleben sollen. Er war echt außer sich vor Sorge. Alicia schien das nicht so sehr gefallen zu haben."

Maike errötete leicht und blickte zu Boden. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Aber es machte sie glücklich zu hören, dass ihr Rivale sich so um sie gesorgt hatte.

"Ich denke nicht, dass er zu ihr passt", fuhr Aiden unbeschwert fort. "Und ich glaube auch nicht, dass sie mit eurer Verbindung auf Dauer wird umgehen können."

Die braunhaarige Koordinatorin sah ihn fragend an. "Welche Verbindung denn?"

"Naja", begann er, "auch wenn ihr zwei es irgendwie nicht auf die Reihe kriegt. Es ist ganz klar, dass ihr Gefühle füreinander habt. Ich denke, es wird nicht lange dauern bis auch Alicia das realisiert."

Maike schüttelte den Kopf. "Du redest Blödsinn. Wie kommst du auf die Idee dass er Gefühle für mich hat?"

"Du blindes Huhn, merkst du nicht, wie er dich ansieht? Und ich habe mehr als deutlich gespürt wie sehr dich die Sache mit Alicia belastet, und das wird ja wohl kaum an deinen rein freundschaftlichen Gefühlen liegen."

Sie blickte wieder auf den Boden und schmollte. "Das kann nicht stimmen. Dann wäre er nicht mit Alicia zusammen."

Ihr Freund seufzte. "Das war sicherlich meine Schuld. Als ich in Deranus City ankam hat er mich nach dir gefragt. Er schien zu denken, dass wir ein Paar sind."

Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. "Ich dachte auch kurzzeitig, dass das dein Plan war", neckte sie ihn.

"War es ja auch", erwiderte er und streckte ihr die Zunge raus. "Aber ich weiß, wann ich einen Kampf verloren habe."

"Tut mir Leid, Aiden." Und das meinte sie auch aufrichtig. Doch er nahm es ihr offensichtlich nicht übel. Immerhin war er ja auch hier her gekommen um sie zu retten. Aiden bestätigte das noch zusätzlich.

"Kein Drama, Liebes. Das mit uns hätte sowieso nicht funktioniert." Er zwinkerte ihr zu und sie lachten beide, wenn auch leise, um Misty nicht aufzuwecken.

Maike war so froh solche Freunde zu haben. Sie konnte sich echt glücklich schätzen. Ihr Blick fiel auf die Uhr an der Wand. "Sie sind jetzt schon eine Weile weg", murmelte sie besorgt. "Hoffentlich gibt es keine Probleme."

"Sicher nicht", versuchte ihr Freund sie zu beruhigen. "Nach allem was ich gehört habe, hat es dieser Ash doch wirklich drauf. Und dass Drew es drauf hat, das wissen wir ja beide."

Sie nickte. Da hatte er Recht. Trotzdem hatte sie Angst um die Beiden, auch weil sie wusste, zu was Tormund fähig war. Luxio hatte sich an sie geschmiegt und gab wieder eine Art Schnurren von sich, während es vor sich hin döste. Das hatte eine ungeheuer beruhigende Wirkung. Sie streichelte dem Pokémon über den Kopf. Noch immer hatte es ihr Halstuch um, und sie beschloss, dass es dieses auch behalten würde. Es passte wirklich gut zu ihm und würde sie auch immer daran erinnern, was es für sie getan hatte. Nicht, dass sie es überhaupt jemals vergessen könnte.

Noch einige Minuten vergingen, die sich wie Stunden anfühlten, bis endlich Ash und Drew zurückkamen. Misty wachte von den Schritten und dem Surren der sich öffnenden Tür auf und sah zu Ash. "Ist alles gut gelaufen?", fragte sie den Pokémon Trainer müde.

Dieser nickte. "Der macht in nächster Zeit niemandem mehr Probleme", meinte er grimmig. Dann ging er zu Misty und hob sie hoch. Während sie so von seinen Armen gehalten wurde sah sie ihn mit großen Augen an.

"Wir bringen dich jetzt erst mal zu einem Arzt", murmelte er und errötete leicht. Dann blickte er zu Maike. "Genauso wie dich. Kannst du laufen?"

Sie nickte und stand auf. "Ja. Lasst uns hier verschwinden."

Dagegen hatte keiner der Anwesenden etwas einzuwenden. Ihre Pokémon halfen ihnen, durch die Luke wieder nach unten zu gelangen. Drews Absol erhellte mit seinem Blitz den alten Gang, durch den die Trainer bereits herein gelangt waren. Auf dem Weg humpelte Maike ab und an, wenn ihr ein stechender Schmerz durch das Fußgelenk fuhr. Drew betrachtete sie aufmerksam und mit Besorgnis.

"Bist du sicher, dass du laufen kannst?", fragte er sie.

"Ja, mach dir keine Sorgen. Es tut nur ab und an ein wenig weh." Sie grinste gequält. "Aber das ist nichts, was mich davon abhalten könnte, hier so schnell wie möglich weg zu kommen."

Sein Blick zeugte weiterhin von großer Sorge, aber er nahm es hin. Doch als er sah wie sie etwas zitterte, legte er ihr wieder seine Jacke um die Schultern.

"Das kennen wir ja schon", neckte sie ihn.

Er errötete etwas und sah zur Seite. "Wird Zeit, dass du dir mal eine Jacke zulegst", murmelte er und sie lächelte. Sein Roserade betrachtete die Beiden aufmerksam und schien sich zu freuen.

Auf halber Strecke kamen ihnen Officer Rocky und ihr Team mit ihren Arkanis entgegen. Ash erklärte ihnen, dass Tormund besiegt und verschwunden sei. Officer Rocky schien etwas verärgert, dass sie alle umsonst hergekommen waren, doch gleichzeitig war sie auch froh, dass es ihnen soweit gut ging. Nur bei Mistys und Maikes Anblick runzelte sie wütend die Stirn.

"Eine Schande, dass sie schon weg sind. Die gehören eigentlich allesamt ins Gefängnis." Sie erntete durchweg Zustimmung, doch ändern ließ es sich nun mal nicht mehr. Also begleiteten sie die jungen Trainer einfach wieder mit nach draußen, nur ein paar Einzelne gingen weiter hinein um Beweise zu sichern.

Nachdem sie den Tunnel verlassen hatte, hob Ash Misty auf sein Glurak und setzte sich hinter sie. Er sah zu Maike. "Mit einem Arkani bist du genauso schnell bei einem Arzt wie wir."

Officer Rocky nickte und eines der Arkani legte sich sogleich vor sie, damit Sie aufsteigen konnte. Sie rief ihr Luxio zurück und setzte sich auf den Rücken des Feuerpokemon. Es war wunderbar weich und warm.

"Arkani weiß schon, wo es dich hinbringen muss", sagte Officer Rocky zu ihr, während Ash und Misty bereits mit Glurak auf dem Weg waren. "Meine Kollegen sind dicht hinter dir. Dir passiert jetzt nichts mehr."

Sie fühlte sich etwas unwohl mit all der Aufmerksamkeit, aber sie lächelte Officer Rocky dankbar an. Dann sah sie Drew und Aiden an.

"Danke noch mal, Jungs. Ich werde mich noch gebührend revanchieren, versprochen!"

Die beiden Koordinatoren nickten ihrer Freundin zu, und sie machte sich gemeinsam mit Officer Rockys Team auf den Weg. Die Polizistin selbst rief ein weiteres Arkani, verabschiedete sich von den Jungs und verschwand auch.

Aiden seufzte. "Nun, das ging jetzt alles erstaunlich schnell."

Sein Rivale nickte. "Mag sein. Aber sie müssen sich wirklich untersuchen lassen."

"Ja, ja, natürlich", meinte der Braunhaarige. "Trotzdem... Aber egal, wir werden sie sowieso bald wiedersehen, nicht? Los, machen wir uns auch auf den Weg."

Gesagt, getan. Kaum später waren Beide via Poké Mobil wieder auf dem Weg nach Deranus City.

Wenn das Ende nicht das Ende ist

Als Maike beim Arzt ankam, war Misty bereits im Behandlungszimmer. Ash saß draußen im Wartezimmer und blickte auf, als seine alte Freundin den Raum betrat.

Er lächelte, etwas müde vor Erschöpfung. "Hey. Wie erwartet, fast genauso schnell wie wir."

Mit einem Ächzen ließ sie sich neben ihn auf den Stuhl fallen.

"Ach, eigentlich müsste ich gar nicht hier sein", gab sie zu bedenken. "Das sind nur ein paar Schrammen und Kratzer. Das kommt von allein wieder in Ordnung."

"Mag sein, aber sicher ist sicher. Außerdem hat Misty etwas von Elektroschocks gesagt. Da ist es nicht verkehrt, wenn du dich mal durchchecken lässt."

Bei dem Gedanken an die Schocks wurde es Maike ganz flau im Magen. Daher schob sie diese Erinnerung schnell wieder beiseite und wechselte hastig das Thema.

"Also, Ash", begann sie, "du und Misty, ja?"

Der schwarzhaarige Trainer errötete leicht und grinste. "Tja, ich schätze es nützt nichts mehr, das zu leugnen."

Maike lachte. "Nein, definitiv nicht. Aber warum solltest du auch?"

"Ach, ich habe es ihr echt nicht leicht gemacht", entgegnete er seufzend. "Ich bin mir nicht sicher, ob sie das überhaupt noch will. Früher, ja, da hätte sie gewollt. Das weiß ich. Aber es ist viel Zeit vergangen."

Freundschaftlich boxte die Koordinatorin ihm gegen die Schulter. "Glaub mir, sie will."

Er sah sie prüfend an. "So? Hat sie das gesagt?"

"Verrate ich dir nicht", erwiderte sie und streckte ihm die Zunge raus. "Nennen wir es einfach weibliche Intuition."

Sein Blick schien in die Ferne zu schweifen. Fragend sah sie ihn an.

"Manchmal lasse ich all die Jahre Revue passieren", erzählte er ihr. "Von Anfang an. Wie ich Pikachu und Misty kennengelernt habe."

Sein Pikachu sah ihn voller Zuneigung an.

"Und natürlich Rocko. Und dich, Maike. Und Max, Lucia, Citro. Ach, ich habe so unglaublich viele Menschen auf meiner Reise kennengelernt, so viele Freunde gefunden. Du glaubst nicht, was für Vorwürfe ich mir mache, weil ihr das wegen mir durchmachen musstet."

"Ash, jetzt mach dich nicht selbst fertig. Du kannst nichts dafür, dass solche Verrückten wie Tormund existieren."

"Trotzdem." Er ballte seine Hände zu Fäusten. "Ich hätte es ahnen, es verhindern müssen."

Maike seufzte. "Hör auf damit, Ash. Ich bitte dich."

Es dauerte noch einen kurzen Moment, bis sich der Trainer wieder zu fangen schien. Dann lächelte er sie an. "Du hast Recht. Ich mache es in Zukunft einfach besser."

"Gute Einstellung", lobte sie ihn und klopfte ihm auf die Schulter.

Schließlich öffnete sich die Tür zum Behandlungsraum und der Arzt kam hinaus. Er sah Ash zufrieden an und ging auf ihn zu.

"Deiner Freundin geht es soweit gut, es ist nichts Ernstes. Allerdings muss sie ein paar Tage hier bleiben und sich ausruhen."

Ash wirkte sehr erleichtert und nickte. "Danke, Herr Doktor. Dann bleibe ich auch hier."

"Das wird sie gewiss freuen. Nun zu dir, dich habe ich bereits erwartet. Du bist Maike, richtig?"

Die Koordinatorin nickte und stand auf.

"Gut", fuhr er fort, "Dann folge mir doch bitte in das andere Behandlungszimmer."

Er checkte sie durch und konnte sie auch gleich wieder entlassen. Es ging ihr so weit wirklich ganz gut. Das Einzige was sie brauchte war Ruhe, ebenso wie Misty, damit sie schnell wieder topfit war. Der Rest würde mit der Zeit von ganz alleine heilen. Einzig eine Salbe für die Wunden gab er ihr mit.

Sie bedankte sich höflich und spähte noch einmal durch die Tür von Mistys Zimmer. Sie schien zu schlafen, und Ash hielt ihre Hand. Er hatte Maike noch nicht bemerkt, also schloss sie ganz leise wieder die Tür und verließ das Gebäude. Ihre beiden Freunde hatten sich etwas Zeit zu zweit verdient.

Nun würde sie sich auf schnellstem Wege zu einem Pokémon Center begeben. Lohgock ging es dank ihrer oberflächlichen Behandlung zwar schon etwas besser, aber Schwester Joy musste es trotzdem unbedingt untersuchen. Es hatte wesentlich mehr einstecken müssen als sie selbst.

Als sie das Pokémon Center betrat wurde sie sogleich von Kainu entdeckt. Die junge Trainerin stieß einen freudigen Jubelschrei aus und fiel der Koordinatorin um den Hals.

"Huch", meinte diese lachend, "ich hätte nicht gedacht, dass du dich so sehr freust mich zu sehen."

Etwas verlegen ließ die Rothaarige sie wieder los. "Tut mir Leid", stammelte sie, "ich bin bloß fast verrückt geworden vor Sorge. Bist du in Ordnung? Ich hoffe, er hat dir nichts schlimmes angetan."

Maike winkte ab. "Ach, nein, es ist alles in Ordnung."

Gemeinsam brachten sie ihre Pokémon zu Schwester Joy. Diese verschwand sofort mit ihnen im Behandlungsraum, und in dem Moment kam Alicia um die Ecke.

"Maike! Wie schön, dich zu sehen! Bist du in Ordnung?"

Sie lächelte die junge Frau freundlich an. "Es geht mir gut, danke. Lieb dass du fragst."

"Oh", begann sie verwundert, "ist das nicht Drews Jacke?"

Maike sah an sich herab. In der Tat, sie hatte schon wieder vergessen sie ihm zurückzugeben. "Äh, ja, er hat sie mir vorhin gegeben."

"Geht es ihm auch gut?" Die Augen seiner Freundin waren voller Sorge.

"Ja, er sollte auch gleich mit Aiden kommen", sprach die Koordinatorin. "Mach dir keine Gedanken. Er war großartig."

"Das kann ich mir gut vorstellen." Sie ging einen Schritt auf Maike zu. "Du willst dich sicher gleich ausruhen. Wenn du magst kannst du mir seine Jacke geben. Dann gebe ich sie ihm zurück."

Maike sah sie an und zog Drews Jacke kaum merklich fester an sich. "Danke, nett von dir, aber ich möchte sowieso noch auf Schwester Joy warten."

Kainu sah zwischen den beiden Frauen hin und her. Wenn sie es nicht besser wüsste, dann hätte sie meinen können, dass sie dort eine gewisse Anspannung spüren konnte. Aber immerhin lächelten sich die Beiden gegenseitig äußerst freundlich an.

Alicia nahm es hin und gemeinsam setzten sie sich auf eine Couch.

"Du solltest vielleicht deine Familie anrufen", bemerkte Kainu. "Sie sind sicher außer sich vor Sorge."

"Oh, verdammt, du hast Recht!", stellte Maike entsetzt fest und sprang auf, nur um im nächsten Moment zu fluchen, weil ihr Fuß noch immer ziemlich schmerzte.

Ihre Eltern waren überglücklich von ihr zu hören. Sie hatten sich sehr um ihre Tochter gesorgt, ihr Vater war schon drauf und dran gewesen, selbst nach Deranus City zu reisen. Auch Max war da. "Du meine Güte", murmelte Maike. "Bist du riesig." Sie hatte ihren kleinen Bruder seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gesehen, da sie nun beide unterwegs waren.

Max grinste. "Jep. Sicher schon einen guten Kopf größer als du." Dann wurde er wieder ernst. "Ich bin froh, dass es dir gut geht."

Sie beendeten ein paar Minuten später das Gespräch, nachdem sie sich noch eine Menge Genesungswünsche und Tipps zur Selbstverteidigung von ihrem Vater angehört hatte.

Zufrieden kehrte sie zu Alicia und Kainu zurück und ließ sich mit einem Seufzen wieder auf die Couch fallen. Als es schließlich anfing zu dämmern brachte Schwester Joy ihr ihre Pokémon zurück.

"Lohgock muss sich noch ein paar Tage schonen, dann steht einer schnellen Genesung nichts im Wege."

"Danke, Schwester Joy!" Glücklich nahm sie ihre Pokebälle entgegen.

Die Tür vom Pokémon Center öffnete sich in diesem Moment, und Drew und Aiden betraten den Raum.

Alicia sprang sofort auf und fiel Drew um den Hals, um ihn kurz danach noch äußerst leidenschaftlich zu küssen. "Ich bin so froh dass du wieder da bist", flüsterte sie ihm ins Ohr. Der grünhaarige Koordinator schien von dieser stürmischen Begrüßung etwas überrumpelt, doch er musste grinsen als er sah, wie Maike die ganze Szene mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete. Sie schnaufte. Jetzt erfreute er sich also auch noch an ihrer Reaktion. Klasse.

Aiden ging auf sie zu und umarmte sie, um sie kurz darauf hochzuheben und überschwänglich durch die Luft zu wirbeln. Maike protestierte lachend und er ließ sie wieder herunter. Dann widmete sich der Koordinator Kainu. Maike, die das natürlich genau im Auge hatte, zog lächelnd eine Augenbraue in die Höhe. Offenbar hatte hier in diesem Raum gerade jeder mehr Glück in der Liebe als sie selbst. Doch das kümmerte sie im Moment wenig. Eigentlich war sie bloß froh, dass sie es alle in einem Stück aus Tormunds Versteck raus geschafft hatten.

Sie unterdrückte einen tiefen Seufzer und ging zu Alicia und Drew.

"Was sagt der Arzt?", fragte ihr Rivale sie.

"Alles in Ordnung, ich brauche bloß etwas Ruhe." Dann zog sie Drews Jacke aus und reichte sie ihm. Alicia, die jetzt erst die große Menge an Blessuren an ihren Armen sah, sog scharf die Luft ein. "Danke noch mal für die Jacke. Keine Sorge. Demnächst kaufe ich mir selbst eine."

Drew nahm ihr die Jacke ab und lächelte etwas wehmütig. "Schade irgendwie. Dann hast du ja gar keinen Grund mehr, dich zu verabschieden, wenn du wieder überstürzt die Stadt verlässt."

Alicia runzelte die Stirn und sah zwischen den Beiden hin und her. Offenbar hörte sie davon gerade das erste Mal etwas.

Maike lachte, um die unangenehme Situation etwas zu entschärfen. "Naja, wie auch immer. Ich lege mich mal hin. Wir sehen uns morgen."
 

In ihrem Zimmer angekommen konnte sie jedoch einfach nicht schlafen. Ihre Gedanken kreisten unentwegt um die letzten Tage. Wenn sie ehrlich war, so hatte sie einfach Angst. Das Allein sein gefiel ihr im Moment gar nicht.

Eine Weile war sie hin und her gerissen gewesen, ob sie bei einem ihrer Freunde klopfte. Aber Drew fiel da schon mal raus - was würde Alicia denken? Und Aiden, den wollte sie eigentlich auch nicht nerven. Sie seufzte und raufte sich die Haare.

Irgendwann beschloss sie doch, bei Aiden zu klopfen. Es war bereits nach Mitternacht und sie hoffte, dass er mit etwas Glück noch wach war und sie ihn nicht aus dem Schlaf riss.

Die Tür öffnete sich und ein schlaftrunkener Aiden sah sie irritiert an. "Maike?", fragte er verwirrt und unterdrückte ein Gähnen. "Was ist denn los? Geht es dir nicht gut?"

DIe Koordinatorin schüttelte leicht den Kopf. "Ich... Ich kann einfach nicht schlafen, und ich habe irgendwie... Angst. Tut mir Leid dass ich dich geweckt habe."

"Hey, Blödsinn, du kannst mich jederzeit wecken wenn irgendetwas ist", beruhigte er sie und umarmte sie. "So, jetzt komm erst mal rein."

Sie war so dankbar, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Ein Schluchzen unterdrückend folgte sie ihm und schloss die Tür hinter sich. Maike setzte sich auf sein Bett und wickelte sich in seine Decke, während er ihr einen Tee machte. Sie war vorher noch nie in einem seiner Zimmer gewesen und war etwas überrascht wie aufgeräumt und ordentlich es war. Bei Aiden hätte sie etwas ganz anderes erwartet, warum auch immer.

"Wir haben heute Donnerstag, richtig?", fragte sie ihn, um die Stille zu durchbrechen.

"Naja, genau genommen ist seit ein paar Minuten Freitag", antwortete er grinsend.

Sie lächelte. Da hatte er Recht, es war ja schon nach zwölf. "Also fängt morgen der Wettbewerb an."

"Richtig", meinte er mit einem Nicken. "Du wirst sicher nicht teilnehmen, oder?"

"Nein, wir müssen uns erst mal alle von den Ereignissen erholen. Aber ich schaue euch natürlich zu und feuer euch an."

"Uns?" Er grinste.

"Ja, natürlich. Dich und deine Pokémon, ebenso wie Drew und seine Pokémon."

Mit dem Tee in der Hand setzte er sich neben seine Rivalin und reichte ihr die Tasse. Dankbar nahm sie diese entgegen.

"Du bist echt der Beste, Aiden, weißt du das?"

"Selbstverständlich." Er zwinkerte ihr zu.

So unterhielten sie sich noch eine ganze Weile, bis Maike schließlich einnickte, in Aidens Decke eingewickelt und mit dem Kopf gegen die Wand gelehnt.

Der Koordinator sah seine Freundin an und lächelte. Endlich konnte sie sich etwas ausruhen. Das war es wert, auch wenn er selbst wohl die ganze Nacht nicht würde schlafen können. Wo auch, das Bett war schließlich besetzt.

Obwohl er sich mittlerweile keinerlei Hoffnungen mehr machte, was sie betraf, so musste er dennoch feststellen, dass ihm ganz warm ums Herz wurde wenn er sie so sah. Aber das war keine Verliebtheit mehr. Sie war ihm einfach nur unheimlich wichtig als Freundin.

Einige Stunden lang beschäftigte er sich mit einem Buch, bis Maike schließlich aus einem Alptraum aufwachte. Sofort eilte er hinüber zu ihr. Sie keuchte, hatte die Augen weit aufgerissen und schien nicht zu wissen wo sie war.

"Hey, Maike, ganz ruhig, es ist alles gut!", redete Aiden beruhigend auf sie ein. "Das war bloß ein Traum. Du bist bei mir. In Sicherheit."

Ihr Blick wurde langsam klarer und sie sah ihn verwirrt an. "Oh Gott. Das war so real." Tränen traten ihr in die Augen und sie ließ den Kopf hängen. Aiden setzte sich neben sie und legte beruhigend einen Arm um ihre Schultern. Es war ungewohnt, sie so verletzlich zu sehen. Was Maike immer ausgezeichnet hatte war ihr fröhlicher und energischer Charakter. Doch nach dem was sie durchgemacht hatte würde es sicher eine Weile dauern, bis sie wieder ganz sie selbst war.

Müde lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter und schlief so schließlich irgendwann wieder ein.

Rückkehr in den Alltag

Am nächsten Morgen erwachte Aiden mit schmerzendem Rücken neben Maike sitzend. Das war eine ganz schön unbequeme Nacht gewesen. Vorsichtig schob er seine Freundin von seiner Schulter weg, damit er aufstehen konnte, und legte sie schließlich behutsam hin. Die Decke war noch immer um sie gewickelt und sie schien tief zu schlafen. Er nahm einfach mal an, dass er sie kurz allein lassen und sich etwas zu Essen gönnen konnte.

Beim Frühstück traf er auf die Anderen.

"Mensch, Aiden, du siehst aber müde aus", bemerkte Kainu.

Der Koordinator reckte sich und gähnte. "Das bin ich auch. Maike hatte Alpträume und hat bei mir übernachtet."

"Oh, so ist das also", erwiderte Alicia mit vielsagendem Blick. Offenbar hatte Drew ihr nichts erzählt, was die Beiden betraf, und er hatte auch nicht vor sie diesbezüglich jetzt aufzuklären. Das war ihm zu anstrengend.

Zu seiner Belustigung wirkte sein grünhaariger Rivale dezent eifersüchtig.

"Hättest du das gedacht, Drew?", fragte Alicia ihn.

Er schüttelte den Kopf. "Äh, nein, aber... Es geht ihr echt schlecht. Interpretier da nicht gleich so viel rein, Alicia."

Aiden hatte den Eindruck, dass er das auch sagte um sich selbst ein bisschen zu beruhigen. Seine Freundin bemerkte das offenbar nicht und nickte.

"Da hast du wahrscheinlich recht." Dennoch beobachtete sie Aiden ziemlich genau und versuchte seine Reaktionen abzuschätzen. Zu ihrem Ärger wechselte der Koordinator einfach das Thema.

"Und, nimmst du nach den Strapazen der letzten Tage teil, Drew?"

"Am Wettbewerb? Natürlich. Die Kämpfe waren ein gutes Training und meine Pokémon sind voller Tatendrang. Und selbst?"

"Ja, auf jeden Fall. Vorausgesetzt ich kriege heute Nacht mal etwas Schlaf." Er grinste seinen Rivalen an. "Wie wär's wenn du dich heut Nacht um sie kümmerst?", zog er ihn auf.

Drew sah ihn mit großen Augen an und fand keine richtige Erwiderung. Alicia hingegen reagierte recht aufbrausend.

"Du bist witzig. Das wäre etwas unangemessen, meinst du nicht?", meinte sie grimmig.

"Da hast du wohl recht. Aber sie sind so gute Freunde. Und Freunde müssen füreinander da sein."

"Du treibst es zu weit", ging Drew dazwischen, bevor Alicia noch etwas entgegnen konnte. "Spar dir solche Kommentare."

Aiden hob beschwichtigend die Hände. "Ja ja, du hast ja Recht, entschuldigt. Ich wollte euch doch nur ein wenig ärgern."

"Hat geklappt", murmelte Alicia säuerlich und machte sich dann aus dem Staub, um sich etwas vom Frühstücksbüffet zu holen. Kainu war erst noch etwas perplex, folgte ihr dann jedoch eilig.

Drew seufzte und sah flehentlich zu Aiden. "Das scheint dir Spaß zu machen, aber es ist echt nicht witzig."

Aiden nickte. "Es tut mir Leid. War unüberlegt von mir."

"Ich würde ihr wirklich gerne helfen und für sie da sein", fuhr der grünhaarige Koordinator fort, "aber dass Alicia das nur bis zu einem gewissen Punkt akzeptiert kann ich auch verstehen."

Aiden sah ihn an. Es machte den Eindruck als sei sein Rivale froh sich das mal von der Seele zu reden. Also schwieg er nur und hörte zu.

"Ich habe sowieso schon das Gefühl zu wenig zu tun. Und ganz unter uns, es ist mir auch nicht einerlei, dass sie die ganze Nacht bei dir war. Also, versteh mich nicht falsch, ich mag dich und bin froh dass du für sie da bist, wirklich, aber..." Er brach ab und sah zu Boden. "Egal. Ich möchte dich damit nicht nerven."

Aiden schüttelte energisch den Kopf. "Das tust du nicht", entgegnete er. "Ich habe nicht gewusst, dass dir das so sehr zusetzt, sonst hätte ich von Anfang an nichts dazu gesagt."

Dann klopfte er ihm freundschaftlich auf die Schulter. "Ich verstehe, dass das blöd für dich ist, wenn sie zu mir kommt. Aber ich kann dir versichern, dass du dir da keinerlei Sorgen machen musst. Trotzdem solltest du darüber nachdenken, wie das weitergehen soll."

Drew wusste nichts dazu zu sagen, was ihn nicht noch mehr verraten würde. Gut, Aiden wusste nun offensichtlich sowieso von seinen Gefühlen, doch es ihm gegenüber direkt zuzugeben während er mit Alicia zusammen war, das war einfach eine Nummer zu viel. Er seufzte bloß und nickte seinem Rivalen dann dankbar zu. Damit es nicht gar zu auffällig wurde dass sie so lange auf sich warten ließen gingen sie nun auch zum Büffet und frühstückten alle gemeinsam.

Alicia war zum Glück nicht nachtragend und hatte das alles schon wieder abgehakt, und so verbrachten sie das Frühstück fröhlich plaudernd. Aiden schenkte Kainu viel Aufmerksamkeit, diese schien damit jedoch etwas überfordert. In regelmäßigen Abständen errötete sie verlegen und stammelte vor sich hin. Als die beiden Mädchen sich Nachschlag holten, sah Drew Aiden mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Wie alt ist das Mädchen überhaupt?", fragte er seinen Rivalen.

Dieser lachte. "Keine Ahnung, 17 vielleicht? Aber ich mag sie."

"Ach, tatsächlich?", fragte Drew mit dezent sarkastischem Unterton. "Das fällt ja gar nicht auf."

Tatsache war jedoch, dass Drew das ziemlich beruhigte. Besonders in Anbetracht von Maikes nächtlichem Besuch bei ihm.

Nachdem sie alle ihr Frühstück beendet hatten, gingen sie zurück in ihre Zimmer.

Als Aiden in seinem ankam, schien Maike gerade aufgewacht zu sein. Verschlafen sah sie ihn an.

"Wie spät haben wir es denn?", fragte sie.

"Um neun, Schlafmütze", antwortete er lächelnd. "Wie geht es dir?"

"Schon viel besser. Ein bisschen Schlaf macht eine Menge aus. Danke, Aiden."

"Ach, nicht dafür", winkte er ab und setzte sich neben ihr auf die Bettkante.

In dem Moment klopfte es an der Tür. Aiden erhob sich wieder und öffnete sie. Kainu stand da und spähte an ihm vorbei zu Maike.

"Entschuldige, ich hoffe es macht dir nichts aus, aber da Maike nicht aufgemacht hat dachte ich dass sie noch bei dir ist."

Die Koordinatorin lächelte ihre neue Freundin an und Aiden bat sie herein.

"Ich wollte sehen wie es dir geht", meinte die Jüngere, setzte sich neben sie und blickte sie besorgt an.

"Das ist so lieb von dir", meinte Maike gerührt. "Es ist schon viel besser, wirklich. Dank Aiden. Er ist ein toller Kerl." Sie sah Kainu vielsagend an und stupste sie mit dem Ellenbogen, woraufhin sie dezent rot wurde. Aiden grinste. Das war typisch Maike.

"Äh, ja, also, natürlich", stotterte Kainu. "Aber egal, äh, ich wollte dich fragen, ob wir heute zusammen was machen wollen? Vielleicht tut dir etwas Ablenkung ganz gut. Shoppen oder Essen gehen oder so."

Ein Glitzern trat in Maikes Augen. "Fantastische Idee! Wie wäre es mit beidem?"

Aiden lachte. "Da hast du ja genau ihren Geschmack getroffen."

"Lass mich nur schnell in mein Zimmer, damit ich mich fertig machen kann", fügte Maike noch hinzu und ehe sich Kainu versah war sie aus dem Raum gelaufen.

Mit großen Augen starrte die junge Trainerin ihr hinterher. "Wow, so viel Energie, wer hätte das gedacht", murmelte sie in sich hinein.

"So ist sie halt, unsere Maike. Besonders wenn es um Essen und Einkaufen geht." Aiden sah die rothaarige Trainerin an. "Das ist übrigens echt toll von dir. Ich bin sicher das wird ihr helfen."

Kainu wurde erneut rot und lächelte. "Ist doch selbstverständlich."

Kaum später machten sich die beiden Trainerinnen auf den Weg ins Einkaufsviertel von Deranus City. Jede von ihnen kaufte sich ein paar neue Klamotten - für Maike zum Beispiel gab es eine grüne Jacke - doch das Essen war das persönliche Highlight für die Koordinatorin. Aber das war nicht weiter verwunderlich, nachdem sie das Frühstück verschlafen und die letzten Mahlzeiten davor nur aus Suppe bestanden hatten.

Es war bereits Nachmittag, als die Beiden ins Pokémon Center zurückkehrten. Vor dem Gebäude trainierten eine Menge Koordinatoren für den morgigen Tag. Auch Drew und Aiden waren darunter. Doch die Trainerinnen wollten sie nicht stören.

"Und du willst wirklich nicht teilnehmen?", fragte Kainu sie, als sie das Pokémon Center betraten.

"Nein", entgegnete Maike lächelnd. "Meine Pokémon haben sich etwas Ruhe verdient. Besonders Lohgock und Luxio. Und da ich mit Luxio antreten wollte hat sich das für mich erledigt."

"Schade. Ich hätte dich gerne mal live bei einem Wettbewerb gesehen."

"Dafür können wir gemeinsam Aiden anfeuern", neckte die Koordinatorin sie und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als Kainu wieder einmal errötete.

"Ja, und natürlich Drew", konterte sie, was Maike etwas aus der Bahn warf. Nun war es an ihr, rot zu werden, und ihre Freundin fing an zu lachen.

Maike fragte sich einen Moment, wie sie auf diese Idee überhaupt gekommen war. War es denn wirklich so offensichtlich?

Sie stimmte schließlich in Kainus Lachen ein. Es war schön, sich einen Moment so unbeschwert und glücklich zu fühlen. Nicht weil alles perfekt war oder weil sie alles vergessen hatte. Einfach, weil sie zusammen mit einer Freundin, einer vertrauten Person, die sie doch eigentlich noch gar nicht lange kannte, sorglos lachen konnte. Kainu hatte ihr wirklich sehr geholfen.

Maike beschloss, ihre Freunde zum Abendessen einzuladen. Es war ein mickriger Versuch, sich bei ihnen für ihre Hilfe zu bedanken, doch es war ein Anfang und besser als nichts. Zwar versicherten sie ihr alle immer wieder dass das absolut nicht nötig war, doch Maike bestand darauf und schließlich sagten sie alle zu.

Kainu und sie machten sich gemeinsam dafür fertig. Natürlich wollten sie etwas von den Sachen anziehen, die sie zuvor in der Stadt gekauft hatten. Nach kurzer Zeit gesellte sich auch Alicia zu ihnen. Sie schien sich wirklich zu bemühen, sich mit ihr anzufreunden, und das rechnete Maike ihr hoch an. Das war ein feiner Zug, denn sie wusste ganz genau dass die junge Frau sehr wohl ahnte, dass sie Gefühle für ihren Freund hatte. Aber irgendwie schien das ja sowieso schon jeder zu wissen. Außer Drew selbst vielleicht.

Sie musste sich bemühen nicht neidisch zu sein, als sie Alicia in ihrem Abendkleid sah. Sie sah genauso hinreißend aus wie an dem Abend, als sie sie das erste Mal gesehen hatten. Doch sie gab sich einen Ruck und brachte ihre Bewunderung zum Ausdruck.

"Dieses Kleid sieht fantastisch aus. Du siehst fantastisch aus."

"Oh, das ist so lieb von dir", bedankte sie sich bei Maike. "Aber wir stehen uns heute alle in nichts nach, würde ich sagen."

Sie standen zu dritt vor einem Spiegel und betrachteten ihr Werk. Ja, sie konnten sich in der Tat sehen lassen.

Kainu trug ein grünes kurzes Kleid, das super zu ihren Haaren passte. Sie sah irgendwie einfach niedlich aus.

Maike ihrerseits hatte ein rotes Kleid an, das ihr bis knapp über die Knie reichte, und dazu einen schwarzen, breiten Gürtel um die Taille. Das Haar trug sie wieder offen.

Und Alicia hatte ein schwarzes, bodenlanges Kleid angezogen, das ihre unverschämt langen Beine durch einen seitlichen Schlitz betonte. Sie hatte wirklich den perfekten Körper. Es war zum verrückt werden. Und natürlich hatte dieses Kleid auch einen recht tiefen Ausschnitt, der zwar einiges erahnen ließ, aber trotzdem nicht zu viel zeigte. Die junge Frau trug dieses grandiose Kleid mit genau dem richtigen Maß an Selbstbewusstsein. Dagegen kamen weder sie noch Kainu an.

Verbissen schob Maike ihre Selbstzweifel beiseite und setzte ein glückliches Lächeln auf. Sie musste niemanden beeindrucken. Wofür auch. Sie konnte einfach sie selbst sein und versuchen Spaß zu haben.

Und genau das tat sie auch an diesem Abend. Gemeinsam besuchten sie vorher noch Ash und Misty, welche Maike natürlich später auch noch einladen wollte, verbrachten dort etwas Zeit und begaben sich dann in das Restaurant.

Die kleine Gruppe hatte wirklich eine Menge Spaß an diesem Abend, sie lachten viel und herzlich und dank Aiden gab es auch immer irgendetwas zu reden. Maike hätte nicht geglaubt, dass sie so kurz nach den Ereignissen der vergangenen Tage schon wieder ausgelassen und ohne Angst sein könnte. Doch ihre Freunde waren wirklich wie Balsam für ihre Seele.

Die Anderen waren wiederum glücklich, dass Maike so fröhlich war. Es kratzte nicht mal an ihr, wenn Alicia Drew küsste und sich an ihn lehnte. Nicht heute. Nicht jetzt. Sich davon die Laune verderben zu lassen wäre unsinnig gewesen.

Nach einer Weile gingen die Freunde wieder zurück ins Pokémon Center und in ihre Räume. Kainu übernachtete mit bei Maike. Die Koordinatorin hatte anfangs protestiert da sie keine Umstände machen wollte, doch Kainu blieb eisern.

"Zu Aiden oder Drew solltest du heute Nacht jedenfalls nicht gehen", bemerkte sie spitz.

Maike seufzte und nickte schließlich. "Du hast ja Recht. Danke. Ich möchte dir nur wirklich keine Umstände machen."

Während die beiden jungen Frauen fröhlich in Maikes Zimmer plauderten, fand in einem anderen Zimmer eine ziemlich ernste Unterhaltung statt.
 

"Du hast Gefühle für Maike, oder?", fragte Alicia ihren Freund.

Drew, der mit so einer Frage in dem Moment gar nicht gerechnet hatte, sah sie perplex über die Schulter an. "Äh, was? Wie kommst du darauf?"

Sie blickte ihn traurig an. "Ich kenne dich mittlerweile auch schon ein bisschen, weißt du? Du musst es mir bitte sagen, wenn es so ist." Er stand vor ihr, wollte sich eigentlich gerade umziehen, als sie sich hinter ihn gestellt und ihn das gefragt hatte. Er drehte sich nun zu ihr um und sie lehnte ihren Kopf an seine Brust.

"Ich habe Angst, dass du es mir bloß aus Mitleid nicht sagst", flüsterte sie.

Drew war einen Moment sehr unsicher, was er ihr sagen sollte, doch dann beschloss er, dass die Wahrheit wirklich am Besten sein würde.

"Ich kann nicht leugnen dass ich lange, sehr lange in sie verliebt war", gab er zu. Im Grunde genommen seit er sie kennengelernt hatte. Alicia war damit der erste Mensch, dem gegenüber er das wirklich zugegeben hatte. Nicht einmal Solidad hatte dieses Geständnis je aus ihm rauskitzeln können, und sie hatte sich teilweise echt bemüht. "Du kannst dir aber gewiss sein, dass ich niemals etwas mit dir angefangen hätte, wenn ich mir nicht sicher wäre dass ich dich lieben kann."

Sie sah zu ihm auf und runzelte die Stirn. "Wow, danke. Aber das beantwortet meine Frage nicht", bemerkte sie misstrauisch. Insgeheim war sie nicht einmal sicher, ob sie eine Antwort wollte. Sie hatte mit dem Gespräch bis nach dem Wettbewerb warten wollen, doch es fing an ihr wirklich auf der Seele zu brennen. Ständig musste sie daran denken. Schließlich hatte sie es nicht länger ausgehalten.

Er zögerte kurz und wandte sich dann seufzend ab. "Ich... Ich fürchte ja. Ja, die habe ich."

Alicia ließ die Schultern sinken. Sie hätte geschockt oder enttäuscht sein sollen, doch da sie es bereits erwartet hatte traf es sie weniger schlimm als gedacht. Sie lächelte gequält.

"Danke, dass du ehrlich bist", sagte sie und verließ ohne ein weiteres Wort sein Zimmer. Er sah ihr hinterher, unsicher, was nun überhaupt Sache war. Was das für sie beide bedeutete. Er war drauf und dran ihr hinterherzugehen, doch dann entschied er sich dagegen. Sicher brauchte sie jetzt erst mal etwas Zeit für sich, um darüber nachzudenken.

Und da ging es ihm nicht anders. Warum hatte er diese Chance nicht genutzt, um endlich einen Schlussstrich unter die Sache zu ziehen? War das wirklich Mitleid, weil er wusste wie sehr Alicia schon nach der kurzen Zeit an ihm hing? Oder war er einfach nur ein Feigling geworden? Aber die junge Frau war ihm ja auch ganz und gar nicht egal. Er mochte sie nach wie vor wirklich unheimlich gern. Doch das war einfach nicht genug. Das würde ihnen Beiden auf Dauer nicht reichen.

"Verdammt nochmal", fluchte er und trat gegen sein Bett, nur um im nächsten Moment erneut zu fluchen, weil ihm nun sein Fuß wehtat. Er ließ sich auf die Matratze fallen und seufzte. So konnte das Alles doch nicht weitergehen. Er würde sich entscheiden müssen. Sich selbst und auch Alicia zu liebe. Keine halben Sachen mehr.

"Nach dem Wettbewerb kläre ich das", sagte er entschlossen zu sich selbst. Sofern Alicia ihm diese Entscheidung bis dahin nicht bereits abgenommen hatte.

Alte Verhaltensmuster

Am nächsten Morgen traf Drew seine Freunde wieder beim Frühstück. Nun, zumindest die meisten.

"Wo ist denn Alicia?", fragte Kainu ihn, während sie sich beim Büffet anstellten.

Drew versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, und lächelte. "Hat bestimmt verschlafen. Sie kommt sicher bald."

Die Rothaarige sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an, doch zu seiner Erleichterung fragte sie nicht weiter nach.

Allerdings musste er feststellen, dass Alicia gar nicht kam. Alle schienen das zu bemerken, doch bis auf ein paar irritierte Blicke ersparten sie ihm jegliche Frage. Vielleicht auch weil sie ihn so kurz vor dem Wettbewerb nicht damit belasten wollten.

Maike wich während der ganzen Zeit Drews Blicken aus. Irgendwie fühlte sie sich schuldig, denn sie ahnte bereits, dass es ihretwegen Ärger gegeben hatte. Das war eigentlich das Letzte gewesen, was sie gewollt hatte. Dennoch traute sie sich nicht ihn direkt darauf anzusprechen, besonders nicht vor den Anderen.

"So, gleich beginnt der Wettbewerb", bemerkte Aiden gewohnt fröhlich nachdem sie ihr Frühstück beendet hatten.

"Ja", stimmte Maike zu. "Ich wünsche euch beiden viel Spaß und Erfolg."

Kainu nickte. "Möge der Bessere von euch gewinnen", sprach sie grinsend.

Drew und Aiden bedankten sich und damit trennten sich vorerst ihre Wege.

Kainu und Maike machten sich auf zu den Zuschauerplätzen. Zu ihrer Überraschung trafen sie dort bereits Alicia. Die junge Frau lächelte sie an, doch man konnte deutlich in ihren Augen lesen dass sie unglücklich war.

"Hey ihr Lieben. Tut mir Leid, dass ich das Frühstück verpasst habe. Mir ging es nicht so gut."

"Macht doch nichts", beruhigte Kainu sie. "Wir haben uns bloß schon Sorgen gemacht."

Alicias Blick richtete sich wieder auf die Bühne, ohne dass sie weiter auf die Beiden einging.

Die rothaarige Trainerin warf ihrer Freundin einen kurzen, fragenden Blick zu, und diese zuckte nur hilflos mit den Schultern. Wortlos setzten sie sich neben Drews Freundin und warteten darauf, dass der Wettbewerb begann.

Wie abgemacht feuerten sie sowohl Aiden als auch Drew tatkräftig an. Selbst Alicia ließ sich zu ein paar Jubelrufen hinreißen, als Drew dran war. Sie sahen eine Menge verschiedener, mitunter sehr talentierter Trainer. Wie immer in der ersten Runde wurde hier die Spreu vom Weizen getrennt. Und wie immer eigentlich schafften Aiden und Drew es in die zweite Runde. Das war vorhersehbar gewesen, trotzdem freuten sich die jungen Frauen sehr für die Beiden. Drew war diesmal mit Roserade angetreten, das Pokémon, das ihn einfach am besten vertrat. Es passte zu Drew wie sonst kein anderes Pokémon, das sie kannten. Aiden hatte Voltenso gewählt. Bisher hatte er dieses nur selten bei Wettbewerben eingesetzt, doch es war mindestens genauso gut trainiert wie seine anderen Pokémon.

Nachdem also feststand, dass beide Koordinatoren es in die nächste Runde am Folgetag geschafft hatten, und die erste Wettbewerbsrunde somit beendet war, standen Kainu und Maike auf, um ihnen gratulieren zu gehen.

Fragend blickten sie zu Alicia, die keine Anstalten machte sich von ihrem Platz wegzubewegen.

"Willst du nicht mitkommen?", fragte Maike vorsichtig.

Die junge Frau schüttelte mit dem Kopf.

"Ich gratuliere den Beiden später", entgegnete sie bloß.

Kainu schnaubte gereizt.

"Jetzt gib dir gefälligst 'nen Ruck. Keine Ahnung was passiert ist, aber das hat er nicht verdient."

Maike sah ihre Freundin verwundert an. Diese Seite von ihr hatte sie bisher noch nicht kennengelernt.

Alicia warf der Rothaarigen einen wütenden Blick zu, der jedoch kurz darauf wieder weicher wurde. Sie seufzte. "Du hast wahrscheinlich Recht."

Also gingen sie nun doch zu dritt zu den beiden Koordinatoren. Maike hielt sich bewusst von Drew fern und gratulierte ihm nur knapp. Aiden umarmte sie hingegen wieder. Er drückte sie fest an sich. "Ach, ich freu mich jedes Mal aufs Neue, wenn ich weiterkomme", schwärmte er glücklich.

Maike lachte. "Also für mich war eigentlich von Anfang an klar, dass ihr zwei es locker in die nächste Runde schafft."

Kainu wollte Aiden zur Gratulation schüchtern die Hand reichen, aber wie Aiden nun einmal war gab er sich damit nicht zufrieden und umarmte auch sie überschwänglich. Die junge Trainerin lief rot an und wurde stocksteif. Maike musste sich ein Grinsen verkneifen. Die Beiden waren irgendwie einfach zu niedlich.

Alicia rang sich für beide ein Lächeln ab. Doch mehr kam nicht. Drew sah sie unglücklich an, aber sie mied seinen Blick. Unangenehmes Schweigen legte sich über die kleine Gruppe.

"Ähm, ja, das war's dann also für heute", meinte Aiden um das Schweigen zu brechen und klatschte in die Hände. "Zeit unseren kleinen Sieg schon mal zu feiern, oder was meint ihr?"

"Klingt gut", stimmte Kainu ihm zu. "Wie wär's wenn wir in die Stadt gehen? Maike und ich haben dort einige vielversprechende Cafés gesehen."

"Oh ja", erwiderte Maike mit einem Glitzern in den Augen. "Mit super leckeren Sachen."

Alle sahen sie an und fingen dann an zu lachen. Selbst Alicia konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Maike wurde etwas rot und tippte verlegen ihre Fingerspitzen aneinander.

"Ihr seid gemein. Ich bin doch sicher nicht die Einzige die Hunger hat."

Aiden hakte sich grinsend bei ihr ein. "Nö, aber es war trotzdem lustig. Immer das Selbe mit unserer Maike."

Sie verabredeten sich für später und Maike beschloss, noch einmal Misty und Ash zu besuchen, bis es soweit war.
 

Vorsichtig klopfte sie an die Tür zu dem Zimmer, in dem die Arenaleiterin von Azuria City lag.

"Herein", hörte sie ihre Stimme.

Ash schien gerade nicht dort zu sein. Aber der junge Mann musste ja auch mal essen und duschen. Vermutlich war er gerade im Pokémon Center.

Die Koordinatorin setzte sich auf den Bettrand zu ihrer Freundin.

"Na, wie geht es dir heute?"

"Eigentlich echt gut", meinte sie und lächelte. "Ich warte bloß drauf dass ich hier endlich weg darf. Der Arzt sagt, dass ich morgen wieder raus kann."

"Das sind ja super Neuigkeiten", freute sich Maike. "Ein Glück. Wenn du Lust hast und nicht zu erschöpft bist, kannst du ja mit uns Drew und Aiden beim Wettbewerb zusehen."

Der Rotschopf lächelte. "Das klingt nach einer guten Idee. Mal schauen. Aber danach werde ich definitiv wieder nach Hause gehen. Meine Schwestern sorgen sich schon."

Maike nickte. Das konnte sie natürlich nachvollziehen.

"Wann kommt Ash wieder?", fragte sie beiläufig.

Misty schwieg und schaute aus dem Fenster. Verwirrt sah Maike sie an. "Was ist denn los?"

Sie seufzte. "Er ist gegangen. Zurück nach Alabastia. Seiner Mutter geht es nicht so gut."

"Was?", fragte Maike empört, aber auch mit einer Spur von Sorge. "Warum sagt er uns da nicht Bescheid? Er kann dich doch nicht einfach hier alleine lassen und ohne ein Wort verschwinden."

Sie lächelte traurig. "Du kennst ihn doch. Er meint es nicht böse. Er macht sich nur einfach nie Gedanken. Und als er den Anruf von seiner Mutter bekommen hat war er keine Sekunde aufzuhalten. Das kann ich ja verstehen."

Maike seufzte. Da hatte sie Recht. So war er nunmal, und dass er sich sofort auf den Weg machte wenn zu Hause was nicht stimmte ließ sich verzeihen. "Und... Was ist nun mit euch beiden?", wagte sie vorsichtig zu fragen.

Misty lachte. "Keine Ahnung. Wir haben nicht noch mal darüber gesprochen. Aber ich bin ja bald zurück in Kanto, vielleicht..." Sie sprach es nicht aus. Doch Maike nickte verständnisvoll.

"Ich werde auch bald zurück nach Hause gehen", erzählte die Koordinatorin. "Das habe ich die Nacht beschlossen. Wenigstens für eine Weile."

"Weiß Drew das denn?"

"Hm? Nein, noch nicht. Ich hab's noch niemandem erzählt. Aber es spielt ja keine Rolle, ich reise doch sowieso allein."

Misty legte den Kopf schief, doch sie ging nicht weiter darauf ein. "Hey, wir könnten zumindest ein Stück zusammen mit dem Schiff fahren", schlug sie vor und sah ihre Freundin fragend an.

"Super Idee", stimmte diese begeistert zu. "Ich bin nach der ganzen Sache ehrlich gesagt eh nicht so gern allein."

"Geht mir nicht anders", sagte Misty mit einem Seufzen.

Sie unterhielten sich noch eine Weile über belanglose Kleinigkeiten, dann ging Maike zurück um sich für den Abend fertig zu machen.

Während sie darauf wartete, dass es Zeit war loszugehen, rief sie Ash an. Er ging überraschenderweise sogar dran.

"Hey Maike! Was gibt's denn?" Er grinste sie durch sein holographisches Abbild an.

"Du Vollidiot", schimpfte seine Freundin gleich los und er sah perplex in die Kamera.

"Hä? Was ist denn?"

"Du kannst doch nicht einfach abhauen. Wenigstens Bescheid sagen hättest du müssen, damit wir uns um Misty kümmern."

Nun, das schien zu fruchten. Er sah sie etwas entgeistert an. "Oh man, du hast Recht, das war voll daneben von mir. Verdammt."

Dass er es gleich einsah stimmte seine Freundin milde.

"Meld dich lieber mal bei ihr. Nur weil du es nach 10 Jahren mal geschafft hast sie zu küssen heißt das nicht, dass du dir alles erlauben kannst."

"Hey!", beschwerte er sich und wurde rot. "Das eine hat mit dem anderen jetzt gar nichts zu tun!"

Sie schmunzelte. "Weiß ich doch. Aber ich mein's ernst. Tu ihr und dir selbst den Gefallen." Dann wurde sie wieder ernst. "Was ist eigentlich mit deiner Mutter? Ich hoffe nichts schlimmes."

Er schüttelte den Kopf. "Ich erzähle es dir wenn wir uns das nächste Mal sehen."

Sie zog eine Augenbraue in die Höhe. "Ah, in 5 Jahren also?"

"Blödsinn", erwiderte er und kratzte sich verlegen grinsend am Kopf. "Ich hab vor, euch alle im Oktober einzuladen. Aber zuerst muss ich sehen wie es mit meiner Mutter weitergeht, deswegen habe ich euch noch nicht gefragt."

Maike strahlte vor Begeisterung. "Das ist ja eine tolle Idee, ich würde mich sehr freuen! Gibt es dazu einen Anlass?"

Er schüttelte erneut den Kopf. "Nicht so direkt. Erinnerst du dich, was ich im Wartezimmer beim Arzt zu dir gesagt habe?"

Sie bestätigte das mit einem Nicken.

"Ja, naja, kurz später kam mir die Idee. Ich würde so gern mal alle wiedersehen, mit denen ich gereist bin. Und mit denen ich so viel erlebt habe. Das wäre sicher fantastisch."

"Habt ihr überhaupt so viel Platz daheim?", fragte Maike lachend. Das würden ja unzählige Menschen werden.

"Nein, aber da fällt mir schon was ein. Das plane ich, sobald feststeht dass es wirklich klappt." Er blickte auf die Uhr. "So, ich muss Schluss machen. Wird Zeit dass ich weiter Richtung Alabastia fliege. Danke, dass du mir den Kopf gewaschen hast. Ich verspreche dir, dass ich Misty bald anrufe."

Sie nickte zufrieden. "Mach's gut, pass auf dich auf. Und grüß deine Mum von mir!"

"Wird erledigt!"

Dann legte er auf. Sie seufzte und blickte auf die Uhr. Langsam konnte sie sich auf den Weg machen.

Freundschaft heilt alle Wunden

Ungewöhnlicherweise war Maike die Erste, die vor der Tür des Pokémon Centers stand und auf die Anderen wartete. Die Sonne würde schon bald untergehen und so hatte sie ihre neue, grüne Jacke angezogen. Diesmal würde sie nicht in die Verlegenheit kommen Drews Jacke anzunehmen, falls es kühl werden sollte am Abend.

Drew gesellte sich als nächstes zu ihr. Allein.

Fragend blickte sie ihn an. "Alicia kommt nicht mit...?", versuchte sie vorsichtig in Erfahrung zu bringen. Sie wusste dass dieses Thema momentan nicht unbedingt für gute Laune sorgte, aber sie wollte es trotzdem gerne wissen.

Der Koordinator zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Sie weiß, dass wir uns hier treffen. Entweder kommt sie oder eben nicht."

Maike sah ihn traurig an. Das klang viel zu unterkühlt. Bis zu einem gewissen Grad war sie das ja von ihm gewohnt, doch im Moment gefiel er ihr gar nicht. Um die Situation nicht noch mehr anzuspannen wechselte sie das Thema.

"Und, weißt du schon, welche Pokémon du morgen im Wettbewerb einsetzt?"

"Ich habe an Mantidea und Libelldra gedacht", offenbarte er ihr.

Maikes Augen weiteten sich vor Begeisterung. Sie war insgeheim ein großer Fan von Drews Mantidea. "Klingt nach einer guten Wahl", sprach sie. "Ich freu mich darauf, Mantidea mal wieder in Aktion zu sehen."

Drew lächelte selbstbewusst. "Zu Recht. Wir haben viel trainiert in letzter Zeit."

"Das kann ich mir vorstellen", meinte Maike amüsiert. Er trainierte ja quasi immer.

"Beim nächsten Wettbewerb kannst du dich ja mal persönlich davon überzeugen."

"Oh, ich fürchte, das könnte etwas dauern", gab sie zu bedenken. "Ich werde morgen erst mal nach Hause reisen und dort auch eine Weile bleiben."

Damit hatte der grünhaarige Koordinator offensichtlich nicht gerechnet. Einen kurzen Augenblick wirkte er traurig darüber, doch dann trat wieder der gewohnt selbstbewusste Ausdruck auf sein Gesicht. "Das hätte ich ahnen können. Es wird dir sicher gut tun etwas Zeit mit deiner Familie zu verbringen."

Maike nickte zur Zustimmung. In dem Moment kamen Kainu und Aiden aus der Tür.

"Hey Freunde", grüßte Aiden sie fröhlich. "Oh, Maike, schöne Jacke. Grün passt zu dir."

Ihr fiel die Anspielung des Koordinators durchaus auf. "Danke, Aiden, wirklich", entgegnete sie ein wenig gereizt.

Er lachte. Dann sah er sich prüfend um. "Alicia kommt heute nicht mit?"

Drew, sichtlich genervt von der Tatsache dass er diese Frage schon wieder gestellt bekam, zuckte erneut mit den Schultern. "Sieht wohl nicht so aus", bemerkte er trocken.

"Na gut, dann mal los", meldete sich Kainu zu Wort.

Die beiden jungen Frauen gingen gemeinsam voran, plauderten fröhlich und ließen die Männer links liegen.

"Frauen", meinte Aiden kopfschüttelnd. "Absolute Rudeltiere. Das kann schon manchmal anstrengend sein."

Drew stimmte ihm mit einem stummen Lächeln zu.

Vor einem kleinen, süßen Café machten die beiden Trainerinnen Halt.

"Was haltet ihr hiervon?", fragte Kainu. Die beiden nickten. Im Grunde war es den Männern ziemlich egal wo sie aßen. Sie waren da recht anspruchslos und überließen diese Entscheidung den beiden Frauen.

"Super!", freute sich Maike und ging nach drinnen, um nach einem Tisch zu fragen. Ihre Freunde folgten ihr hinein und sahen sich um. Es war wirklich klein, richtig niedlich sogar, und es mutete sehr heimelig an.

"Ahhh, endlich sitzen", freute sich Maike und ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Kainu und Aiden nahmen gegenüber auf der Bank an der Wand Platz, sodass Drew nichts übrig blieb als sich neben seine Rivalin zu setzen. Sie lächelte ihn gewinnend an, als er es sich neben ihr bequem gemacht hatte.

"Mal sehen, wie viele deiner Fans sich diesmal zu uns setzen", meinte sie spitz.

Drew sah sie entnervt an. "Na hoffentlich muss ich mir das jetzt nicht mein Leben lang von dir anhören."

"Kann passieren", entgegnete sie und streckte ihm die Zunge raus.

"Wie ein altes Ehepaar", bemerkte Aiden schmunzelnd, nur um sich kurz darauf den Protest der Beiden anzuhören.

So sehr Drew auch den Genervten mimte, so glücklich machte es ihn doch, dass er sich wie früher mit seiner Rivalin unterhalten konnte. Sie schien gleich viel offener, wenn Alicia nicht dabei war. Während sie in ihrer Anwesenheit schon seinen Blick mied sah sie ihm jetzt herausfordernd in die Augen.

Er bewunderte sie wirklich. Für ihre Leichtigkeit, ihre Lebensfreude und ihren starken Willen. Dafür, dass sie nicht aufgab und dass sie sich auch nach dem was ihr passiert war nicht unterkriegen ließ. Noch immer waren die Blutergüsse und Wunden deutlich zu erkennen.

Drew versuchte jedoch, diesen Blessuren nicht gar zu oft Beachtung zu schenken. Er wurde sehr wütend sobald er nur daran dachte, was dieser Mistkerl ihr angetan hatte. Es war wirklich unglaublich wie schnell sie wieder die Alte geworden war. Oder vielleicht tat sie auch nur so, überlegte er und sah sie aufmerksam an, während sie mit den Anderen plauderte. Vielleicht. Nein, sogar sehr wahrscheinlich, stellte er schließlich für sich selbst fest. Immerhin hatte sie ja auch mit Alpträumen zu kämpfen.

Aus dem Augenwinkel sah er, dass Aiden ihn aufmerksam beobachtete. Schnell wandte er den Blick von Maike ab und beteiligte sich nun an der Unterhaltung. Zu spät, Aiden grinste bereits bescheuert. Doch immerhin kommentierte er es nicht.

"Morgen feiern wir dann richtig, wenn ich gewonnen habe", schlug Aiden vor.

Sein Rivale sah ihn nur mit hochgezogenen Augenbrauen an und Kainu lachte.

"Gerne. Falls du gewinnst", gab die Rothaarige zu bedenken.

Aiden mimte den Verletzten. "Was denn, glaubst du etwa nicht, dass ich es schaffe?"

"Aber natürlich", entgegnete Kainu, "bloß leicht wirst du es nicht haben. Drew hat's halt einfach auch total drauf."

"Da hat sie nicht ganz Unrecht", meinte Maike grinsend. "Und wehe euch, wenn es keiner von euch beiden wird!"

Aiden grinste voller Überzeugung und Drew nickte bloß mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

"Oh, Misty wird euch morgen übrigens auch zuschauen. Falls sie rechtzeitig raus darf."

Maike erntete ein paar fragende Blicke. "Naja", begann sie, "Ash ist schon wieder auf dem Weg nach Alabastia, da habe ich ihr das vorgeschlagen."

"Was?", fragte Aiden verwirrt. "Ohne sie?"

Maike nickte. "Eine familiäre Angelegenheit."

"Aber wenn Misty morgen raus kommt hätte er den einen Tag doch auch noch warten können, oder nicht?", gab Aiden zu bedenken.

Sie zuckte bloß mit den Schultern. "Offenbar war es zu dringend als dass er es hätte aufschieben können. Ich weiß es nicht."

Die Bedienung kam und nahm ihre Bestellungen auf. Das Essen schmeckte hier in der Tat köstlich, wie sie feststellten. Mit vollem Magen und fröhlich plaudernd verließen sie irgendwann das kleine Café.

Aiden nahm auf dem Rückweg Kainu in Beschlag, also liefen Drew und Maike gemeinsam hinter ihnen her. Zwischen den Beiden herrschte eine ganze Weile Schweigen.

"Was meinst du, wann du wieder an Wettbewerben teilnehmen wirst?", fragte Drew schließlich, um das Schweigen zu brechen.

Seine Rivalin sah zu ihm hoch. "Ich weiß es nicht genau. Sicher bald in Hoenn, sofern es sich anbietet."

Der Koordinator nickte. Das ergab natürlich Sinn.

"Und wie geht es für dich weiter?", fragte sie ihn.

"Kommt ganz darauf an ob ich morgen gewinne. Falls ja fehlt bloß noch ein Band und dann habe ich Zeit, bis das große Festival in Destorus stattfindet."

"Dann drücke ich dir natürlich die Daumen für Morgen. Für mich hat sich das wohl erledigt. Ich habe erst zwei Bänder und komme bis zum großen Wettbewerb ohnehin nicht zurück." Sie blickte hinauf zum Himmel. Die Sterne und der Vollmond leuchteten auf sie herab.

Drew sah sie aus dem Augenwinkel an und unterdrückte ein Seufzen. Er wollte nicht, dass sie ging. Aber er hatte auch nicht das Recht sie zu bitten zu bleiben. Und sie brauchte die Ruhe und die Zeit mit ihrer Familie sicher dringend.

Die Koordinatorin warf ihrem Rivalen einen Blick zu. "Verabschiedest du Misty und mich morgen?", wollte sie wissen.

"Natürlich."

"Das ist schön." Sie lächelte. "Und Luxio wird sich sicher auch verabschieden wollen. Es hat dich echt ins Herz geschlossen."

Den Rest des Weges schwiegen sie wieder, doch diesmal war es keine unangenehme Stille. Sie genossen bloß die kühle Nachtluft und den friedlichen Moment. Vor ihnen plauderten Aiden und Kainu fröhlich miteinander, und dann und wann hörten sie die junge Trainerin wegen irgendetwas verlegen Stottern. Das lockte den beiden Koordinatoren stets ein amüsiertes Grinsen aufs Gesicht.
 

Zurück im Pokémon Center wünschten die Freunde sich gegenseitig eine gute Nacht, wobei Kainu wieder bei Maike übernachtete.

Die rothaarige Trainerin ließ sich zufrieden seufzend auf das Bett ihrer Freundin fallen. "Ach, Maike, ich glaube, ich bin ein bisschen verliebt", schwärmte sie mit verträumten Blick.

Die Koordinatorin sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Ach, tatsächlich? Das wäre mir jetzt gar nicht aufgefallen", meinte sie, und Kainu warf ein Kissen nach ihr.

Das Ganze entwickelte sich zu einer kurzen Kissenschlacht, bis beide völlig außer Atem und herzlich lachend auf dem Bett lagen.

"Man hätte meinen sollen dass wir zu alt für so etwas sind", bemerkte Kainu kichernd.

Doch Maike verneinte das grinsend. "Man ist nie zu alt für eine Kissenschlacht, glaub mir."

"Meinst du, dass Aiden mich auch mag?", fragte die junge Trainerin ihre ältere Freundin.

Diese richtete sich auf und sah sie verdutzt an. "Das fragst du mich ernsthaft? Und wie er dich mag. Das sieht doch ein Blinder!"

Kainu errötete. "Ich weiß nicht. Hoffentlich."

"Mach dir da mal keinen Kopf", versuchte Maike sie weiter zu beruhigen und sah sie vielsagend an. "Ich bin mir fast sicher, dass er morgen nach dem Wettbewerb mit dir darüber wird reden wollen."

"Aber wir kennen uns doch erst ein paar Tage!"

"Na und? Wenn man jemanden mag, dann mag man ihn. Klar, ob das am Ende wirklich passt mit euch kann nur die Zeit zeigen. Aber er wird dich sicherlich nicht einfach ziehen lassen und in Kauf nehmen dich nie wieder zu sehen."

Nachdenklich blickte Kainu aus dem Fenster, hinaus in die sternenklare Nacht.

"Ach, ich weiß nicht. Ich fühle mich einfach so wohl in seiner Nähe." Dann sah sie mit einem Lächeln wieder zu der Koordinatorin. "Aber so geht es mir irgendwie mit euch allen. Auch wenn ich euch erst seit kurzem kenne seid ihr mir unheimlich als Herz gewachsen."

"Ach Kainu", entgegnete Maike gerührt, "da geht es uns mit dir nicht anders. Du bist ein echt tolles Mädchen."

Dann stand sie auf und reckte sich. "Aber wir sollten jetzt echt schlafen. Ich muss morgen früh noch packen, das schaffe ich nach dem Wettbewerb sicher nicht, wenn ich das Schiff kriegen will."

Kainu blickte sie mit großen Augen an. "Packen? Das Schiff?"

Das hatte die Koordinatorin ganz vergessen. Bisher hatte sie ja bloß Drew und Misty von ihren Plänen erzählt. Sie fasste sich verlegen an den Kopf.

"Ja, ich möchte morgen nach Hoenn reisen. Nach Hause. Ich brauche mal eine Auszeit."

"Oh nein, wie schade!" Traurig sah ihre Freundin sie an. "Aber du versprichst mir, dass wir uns wiedersehen?"

"Aber natürlich! Du kannst mich auch gerne mal in Blütenburg City besuchen kommen."

"Ja, sehr gerne!" Kainu schien sich über dieses Angebot sehr zu freuen. "Dann lass uns jetzt wirklich schlafen. Wir wollen ja morgen fit sein."

Maike nickte zustimmend. Und so ging auch dieser Tag zu Ende.

Abschiede können wehtun

Am frühen Morgen stand Maike auf und begann, ihre Sachen zu packen. Kainu ging derweil in ihr Zimmer zurück, um noch ein wenig zu schlafen bis sie sich alle wieder zum Frühstück treffen würden.

Zur Überraschung der Anderen gesellte sich Alicia diesmal wieder zu ihnen. Allerdings war sie während des ganzen Frühstücks sehr schweigsam und beteiligte sich nicht an den Gesprächen der Anderen. Drew schien das gekonnt zu ignorieren, und Maike fühlte sich schon wieder schlecht, da sie immer noch meinte der Auslöser für dieses Dilemma zu sein. Sie war richtig froh, als das Essen beendet war und die Koordinatoren sich für ihren Wettbewerb bereit machten.

Die drei Frauen begaben sich wieder in die Wettbewerbshalle und warteten auf den Beginn der Veranstaltung. Während Kainu und Maike sich angeregt unterhielten, hielt Alicia sich noch immer aus jedem Gespräch raus und reagierte auf ihre Fragen stets nur knapp. Irgendwann gaben es die beiden Trainerinnen auf.

Zu Maikes Freude schaffte es Misty gerade noch rechtzeitig zu ihnen, bevor der Wettbewerb begann. Fröhlich setzte sich die rothaarige Arenaleiterin zu ihnen, doch ihr war immer noch deutlich anzusehen was sie durchgemacht hatte. Wie bei Maike sprachen die blauen Flecken und Wunden für sich.

Sowohl Drew als auch Aiden setzten sich gegen eine Vielzahl von Gegnern durch und standen sich im Finale schließlich gegenüber.

Gebannt warteten ihre Freunde auf den Beginn ihres Kampfes.

Es war ein erstaunlich ausgeglichener Kampf. Maike hatte immer geglaubt, dass Drew Aiden um einiges überlegen war, doch das Schauspiel belehrte sie eines Besseren.

Aidens Voltenso trat gemeinsam mit Azumarill gegen Drews Mantidea und Libelldra an. Sie schenkten einander keinerlei Verschnaufpause, und schließlich ging Drews Libelldra zu Boden. Azumarill hatte es mit einem starken und gezielten Eisstrahl besiegt und das Publikum jubelte.

Drew sah seinen Gegner grimmig an und ließ Mantidea mit Laubklinge angreifen.

"Wow, das war ein Volltreffer!", bemerkte die Kommentatorin des Wettbewerbs begeistert. "Mantidea hat Azumarill mit einer wunderschönen Laubklinge außer Gefecht gesetzt! Nun wird es spannend! Beide Koordinatoren sind im völligen Einklang mit ihren Pokémon!"

"Voltenso, Funkensprung!", befahl Aiden seinem Pokémon.

"Mantidea, ausweichen und Solarklinge!" Drew sah entschlossen aus. Er hatte noch längst nicht aufgegeben.

Doch Solarklinge brauchte eine gewisse Zeit, um sich aufzuladen. Aiden sah seine Chance und ließ Voltenso mit Stromstoß angreifen. Mantidea bekam die volle Kraft der Attacke ab, konnte in diesem Moment jedoch auch seine Attacke einsetzen. Die Wucht des Angriffs schleuderte Voltenso einige Meter weit durch die Luft, bis es in der Nähe seines Trainers landete.

"Voltenso!", rief Aiden besorgt. "Alles in Ordnung?"

Das Elektro-Pokémon rappelte sich mühselig auf und knurrte in Mantideas Richtung.

Doch auch Drews Pokémon war schwer angeschlagen.

"Wahnsinn", kommentierte Maike das Geschehen. "Sie machen es echt spannend!" Kainu nickte zustimmend und sah gebannt auf die Bühne.

Der Punktestand der Beiden war gleich, und so wie es aussah würde die nächste Attacke über Sieg und Niederlage entscheiden, bevor die Zeit abgelaufen war.

"Na gut, Voltenso, bring es zu Ende! Feuerzahn!" Der braunhaarige Koordinator schien siegessicher.

Drew seinerseits war überrascht. Mit einer Feuerattacke hatte er nicht gerechnet. Damit durfte Voltenso Mantidea nicht treffen.

"Ausweichen, Mantidea, mach schnell!" Doch sein Pokémon war bereits so erschöpft, dass es nicht schnell genug war um der Attacke zu entgehen. Der Feuerzahn traf es mit voller Härte und machte es kampfunfähig, noch bevor die letzte Sekunde verstrichen war.

"Und damit hat Aiden aus Roshan City gewonnen! Er bekommt somit das begehrte Band von Deranus City überreicht!", rief die Kommentatorin begeistert und das Publikum jubelte für den Gewinner.

Drew ging zu seinem Rivalen und reichte ihm die Hand. "Glückwunsch, Aiden. Es war ein guter Kampf."

Der Koordinator schlug grinsend ein. "Danke, das kann ich nur zurückgeben."

Drew verließ die Bühne und Aiden nahm unter großem Applaus das Band von Deranus City entgegen.

Später musste er sich natürlich auch noch von seinen anderen Freunden beglückwünschen lassen. "Du warst toll!", lobte Maike ihn, was er ihr wie gewohnt mit einer überschwänglichen Umarmung dankte, und Kainu stammelte ein paar Worte der Bewunderung vor sich hin. Alicia nickte ihm anerkennend zu. Auch Misty beglückwünschte ihn zu seinem Sieg. "Das war echt super! Toll, dass ich mir das mal ansehen konnte."

"Danke, Leute", meinte der frischgebackene Sieger und grinste erfreut. "Und ich bin froh, dass du wieder auf den Beinen bist, Misty. Denkt dran, dass wir das feiern wollten!" Drew und Kainu nickten lächelnd.

"Tut mir Leid, Aiden, aber wir werden nicht dabei sein", meinte Maike und deutete auf sich selbst und Misty. Der Koordinator sah sie überrascht an. Auch ihm hatte sie noch nichts von ihrer Abreise erzählt.

"Wir müssen unser Schiff kriegen", fuhr Misty an ihrer Stelle fort. "Wir wollen beide für eine Weile nach Hause gehen."

Aiden sah etwas enttäuscht aus. "Oh man, das ist echt schade. Wann müsst ihr denn los?"

Maike warf einen Blick auf die Uhr. "In etwa einer halben Stunde sollten wir uns langsam auf den Weg machen."

Alicia warf ihr einen merkwürdigen, undefinierbaren Blick zu, doch sie sagte nichts. Auch Drew schwieg.

Stattdessen sprach Kainu weiter. "Und ihr müsst noch eure Sachen holen. Ich komme auf jeden Fall mit, um euch zu verabschieden."

"Ich auch", stimmte Aiden zu.

Alicia sah Drew erwartungsvoll an. Sie schien von seiner Reaktion abhängig zu machen, was sie selbst sagen würde. Der grünhaarige Koordinator blickte seine Freundin direkt an, bis er wieder zu Maike und Misty sah.

"Selbstverständlich werde ich auch mitkommen."

Maike war erleichtert. Einen kurzen Moment hatte sie daran gezweifelt, obwohl er ihr gestern versprochen hatte sich von ihr und Luxio zu verabschieden. Doch er stand zu seinem Wort.

Alicia verzog keine Miene als er das sagte. "Ich werde mich hier schon von euch verabschieden", verkündete sie schließlich nach ein paar Sekunden. Nachdem sie Drew noch einen kurzen, enttäuschten Blick zugeworfen hatte wandte sie sich an Misty und Maike. Ihr Gesichtsausdruck wurde weicher, wenngleich Maike überzeugt war darin trotzdem etwas vorwurfsvolles zu erkennen.

"Macht es gut, ihr Beiden. Es war schön, euch kennenzulernen. Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann mal wieder."

Sie umarmte beide flüchtig, drehte sich um und ging. Die Anderen sahen ihr kurz hinterher. Niemand wusste so richtig etwas dazu zu sagen, und um den unangenehmen Moment abzuschließen klatschte Aiden in die Hände. "Also gut, los mit euch, ihr müsst eure Sachen holen!"

Sie ließen sich das nicht zweimal sagen, und Maike war froh dort schnellstmöglich wegzukommen.

Misty hatte bereits all ihre Sachen dabei und begleitete sie bloß in ihr Zimmer.
 

"Puh, das war ganz schön... merkwürdig", murmelte sie und Maike nickte, während sie sich ihren Rucksack über die Schulter warf. Sie hatte keine Ahnung ob die Arenaleiterin irgendetwas von der Geschichte wusste oder ahnte, doch es war ja für absolut Jeden klar zu erkennen, dass zwischen Drew und Alicia etwas nicht stimmte.

Gemeinsam verließen sie Maikes Zimmer und gaben den Schlüssel bei Schwester Joy ab. "Danke für euren Besuch, ich hoffe wir sehen uns bald wieder", verabschiedete sich die Krankenschwester freundlich lächelnd.

An der Tür warteten bereits ihre Freunde. "Dann mal los zum Hafen", meinte Aiden fröhlich und griff nach Mistys Rucksack. "Lass mich den so lange für dich tragen."

"Oh, dankeschön!", sagte der Rotschopf überrascht.

"Gerne doch."

Aiden war wirklich ein Schatz. Er wusste ganz genau, dass die Arenaleiterin von Azuria City noch recht schwach war und sich nicht übernehmen sollte.

Drew schien einen Augenblick zu überlegen, ob er das Gleiche für Maike tun sollte, doch entschied sich dann offensichtlich dagegen.

Maike schmollte. "Na, wenigstens einen Gentleman haben wir hier bei uns", beschwerte sie sich und entlockte Drew damit ein genervtes Seufzen.

"Ja ja, ist ja schon gut, gib' das Ding her", grummelte er und mit einem siegesfreudigen Lächeln hielt sie ihm den Rucksack hin. Kainu kicherte.

"Du weißt ja genau wie du ihn rumkriegst", meinte die junge Trainerin. Im selben Moment bemerkte sie, wie zweideutig das klang und errötete. "Also, äh, ihr wisst wie ich das meine."

Maike lachte. "Natürlich, keine Sorge."

Drew hingegen schien einfach nur genervt zu sein und verkniff sich jeglichen Kommentar.

Kainu und Aiden verwickelten Misty auf dem Weg zum Hafen in ein Gespräch über ihre Familie und die Arena, sodass Drew und Maike wieder einmal nebeneinander her liefen. "Das machen die doch mit Absicht", sagte Maike leise zu sich selbst und runzelte die Stirn.

Ihr Rivale sah sie fragend an. "Was hast du gesagt?"

"Was, wer, ich? Gar nichts!" Verlegen grinste sie ihn an. Sie war froh, dass er mitkam. Doch sie machte sich auch Sorgen.

"Ich möchte nicht, dass du und Alicia wegen mir streitet", sagte sie zu dem Koordinator. Dieser zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe.

"Wegen dir? Wie kommst du darauf?", fragte er mit gespielter Ahnungslosigkeit.

Maike boxte ihm freundschaftlich gegen die Schulter. "Komm schon, du weißt genau was ich meine!" Dann sah sie betreten zu Boden. "Irgendwie ist es komisch zwischen uns. Seit Ranovia City. Ich vermisse die unbeschwerten Zeiten ein wenig."

Nun sah auch der grünhaarige Koordinator zu Boden, doch er schwieg.

"Ich... Ich möchte nicht der Grund für irgendwelche unnötigen Eifersüchteleien sein", fuhr die Trainerin fort.

"Sind sie denn tatsächlich so unnötig?", fragte ihr Rivale sie ganz direkt. Überrascht blickte sie zu ihm.

"Natürlich. Ich würde euch doch niemals bewusst Probleme bereiten."

Eine sehr diplomatische Antwort, wie er feststellen musste. Damit gab sie keinerlei Gefühle ihrerseits zu, leugnete aber gleichzeitig auch nicht, welche zu haben. Somit war er genauso weit wie vorher.

Offensichtlich führte dieses Gespräch im Moment zu nichts, also lächelte er sie freundlich an. "Mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung."

Unsicher ob sie ihm das glauben konnte sah sie ihm in die Augen. Doch er schien es so zu meinen. Ein erleichtertes Lächeln umspielte ihre Lippen.

"Versprichst du mir, dass wir uns bald wiedersehen?", fragte Drew zu ihrer Überraschung.

"Ja", antwortete sie etwas überrumpelt, "versprochen."

"Gut. Ich nehme dich beim Wort." Er zwinkerte ihr zu und sie grinste.

"Das kannst du auch!"

Wenig später hatten sie den Hafen erreicht. Ihr Schiff lag bereits vor Anker und schweren Herzens verabschiedeten Maike und Misty sich von ihren Freunden.

"Es war so toll, euch alle kennenzulernen, auch wenn die Umstände unglücklich waren", sagte die Arenaleiterin und umarmte Kainu. Drew und Aiden reichte sie die Hand.

"Das fand ich auch", sprach die jüngere Trainerin und umarmte danach Maike. "Mach's gut, bis bald! Ich komme dich bestimmt einmal besuchen."

Maike erwiderte die Umarmung und sah sie dann fröhlich an. "Ich verlasse mich drauf", sagte sie zu ihrer Freundin. Dann wurde sie wieder äußerst überschwänglich von Aiden umarmt und lachte, als er sie nicht wieder los lassen wollte.

"Hey, ich bin doch nicht aus der Welt!"

"Ja, aber zig Kontinente entfernt", beklagte sich der Koordinator traurig.

Maike lächelte ihn verschmitzt an. "Du kannst mich doch gemeinsam mit Kainu besuchen kommen", schlug sie vor und erntete einen verlegenen, vorwurfsvollen Blick von ihrer Freundin. Aiden hingegen grinste begeistert.

"Das klingt nach einer tollen Idee!", stimmte er zu.

Schließlich stand sie vor Drew. Ihr Rivale schenkte ihr ein warmes Lächeln. "Komm gut nach Hause", sprach er. "Und trainiere ordentlich. Du willst doch sicher nicht für immer eine zweitklassige Koordinatorin bleiben."

"Ich hör wohl nicht richtig!", schimpfte Maike los und die Anderen lachten. Drew grinste selbstbewusst und strich sich eine grüne Strähne aus dem Gesicht.

"Du hörst sehr wohl richtig, glaub mir."

Sie schmollte noch einen Augenblick, dann streckte sie ihm die Zunge raus. "Bei unserem nächsten Wettbewerb mache ich dich fertig!"

"Aber natürlich", spottete er und sah dann zum Schiff. "Ich fürchte, ihr müsst jetzt an Bord gehen."

Misty nickte zustimmend und ging schon voraus. Aiden und Kainu winkten ihr noch zu, entfernten sich aber ein paar Schritte von Maike und Drew. Die Koordinatorin warf ihnen einen genervten Blick zu, doch sie beachteten sie gar nicht.

"Hey", lenkte Drew sie ab und sie sah wieder zu ihm. "Denk an dein Versprechen."

"Das tue ich." Sie lächelte und er reichte ihr eine Rose.

Glücklich nahm sie sie an sich. "Für mein Vivillon?"

"Für dein Vivillon", stimmte der Koordinator leise zu.

"Danke."

Damit wandte sie sich um und betrat das Schiff. Sie musste sich richtig zwingen nicht auf halbem Weg umzudrehen, doch zum Glück war sie stur genug und hatte sich unter Kontrolle.

Misty blickte auf die Rose und sah sie fragend an.

"Ach", meinte Maike mit einem nervösen Lachen, "das ist typisch für ihn. Das hat keinerlei Bedeutung."

Nachdem alle Passagiere an Bord waren begann das Schiff langsam sich zu bewegen.

Maike riss sie entsetzt die Augen auf. Sie hatte ganz vergessen, dass Luxio sich auch noch von Drew verabschieden wollte. Schnell rief sie das Pokémon aus seinem Pokeball. "Hey, Luxio, sag noch schnell auf Wiedersehen!"

Sie nahm das Elektropokemon auf ihre Arme und hielt es so, dass es über die Reeling nach unten zu den Anderen schauen konnte. Drew lächelte und winkte dem Pokémon zu. Luxio gab einen Laut von sich und fing an zu strampeln.

"Hey, Vorsicht!", rief Maike, doch das Pokémon befreite sich aus ihrem Griff und machte einen Satz über das Geländer. Völlig überrascht fing der grünhaarige Koordinator das Pokémon auf, das sich sogleich an ihn schmiegte.

Entsetzt sah Maike hinunter zu den Beiden. Sie konnte nicht mehr runter vom Schiff, jetzt, wo es schon abgelegt hatte. "Luxio!", rief sie panisch.

Das Pokémon hingegen schien sich richtig zu freuen und Drew war einfach überfordert. Misty legte ihr eine Hand auf die Schulter.

"Bei ihm ist es doch in guten Händen", meinte sie beschwichtigend, auch wenn ihr Blick ihr zu verstehen gab, dass sie ihre ängstliche Reaktion durchaus verstand.

Maike sah verzweifelt zwischen der Arenaleiterin und Luxio hin und her.

"Ja, aber..."

Sie brach ab und zog die Mundwinkel nach unten. Sie konnte es hier doch nicht für unbestimmte Zeit zurücklassen. Aiden rief in guter Absicht sein Staraptor damit es Luxio zurückbrachte, doch das Elektropokemon machte mit einem Donnerschock klar, dass es daran kein Interesse hatte. Er zuckte hilflos mit den Schultern und Drew sah zu ihr hinauf. Mittlerweile hatte sich das Schiff schon ein gutes Stück entfernt.

"Mach dir keine Sorgen", rief ihr Rivale. "Ich passe auf es auf bis wir uns wiedersehen!"

Maike kämpfte einen Moment mit ihren Gefühlen, dann rang sie sich ein gequältes Lächeln ab. "In Ordnung, ich verlasse mich auf dich! Und wehe ihm passiert irgendwas!"

Ihre Freunde winkten ihnen zum Abschied noch einmal zu, bis das Schiff schließlich so weit entfernt war, dass sie einander nur noch als kleine verschwommene Punkte erkennen konnten.

Mit einem enttäuschten Schnaufen wandte sich Maike ab. "So eine treulose Tomate", ärgerte sie sich und Misty lächelte mitfühlend.

"Na, vielleicht hat es sich dabei ja etwas ganz Bestimmtes gedacht", gab die Rothaarige zu bedenken. Ihrem Eindruck nach liebte das Luxio seine Trainerin nämlich abgöttisch, und auch wenn es für den grünhaarigen Koordinatoren große Sympathien hegte, so war es doch garantiert nicht das Selbe wie mit Maike.

Die Koordinatorin sah sie irritiert an. "Das glaube ich kaum. Aber egal. Jetzt ist es sowieso zu spät." Sie seufzte resigniert. Jetzt waren schon ihre Pokémon ihrem Rivalen verfallen. Wie sollte das Alles bloß weitergehen?

Immer die selbe Leier

Ein paar Tage verbrachten die beiden Freundinnen gemeinsam auf dem Schiff. Maike erfuhr dabei so einiges über Misty, ihre Familie und auch ihre Beziehung zu Ash. Er habe sich wohl seit nunmehr zwei Jahren merkwürdig benommen, sobald es irgendwie um Misty ging, und war sie auch erstaunlich oft besuchen gekommen. Natürlich immer nur unter irgendeinem Vorwand. Es war ihm nicht gelungen, Misty auch nur ein einziges Mal auf seine Gefühle anzusprechen, doch die Arenaleiterin hatte es dennoch gespürt. Es waren die kleinen Momente. Die Blicke, die Gesten, die Antworten. Ursprünglich hatte die Trainerin dieses Thema für sich bereits vor Jahren abgeschlossen gehabt, und dennoch hatte sie niemals jemand anderen gefunden, der ihr Interesse geweckt hätte.

Sowohl Ash als auch Misty hatten nach wie vor regelmäßigen Kontakt zu Rocko. Beim bloßen Gedanken an die Kochkünste des Arenaleiters von Marmoria City lief Maike das Wasser im Mund zusammen. Mittlerweile war er endlich unter der Haube und hatte selbst Kinder, zwei Stück an der Zahl, um genau zu sein.

"Ash hat sich übrigens auch bei mir gemeldet", erzählte die Rothaarige beiläufig.

Maike klatschte begeistert in die Hände. "Sehr gut! Das ist auch sein Glück!"

Misty lachte. "Definitiv. Tausendmal entschuldigt hat er sich. Echt lieb von dir dass du ihm da den Kopf gewaschen hast. Er hat mir auch erzählt dass er uns eventuell alle einladen möchte. Dann siehst du Rocko ja wieder, und bestimmt auch seine Frau und Kinder."

Die Koordinatorin nickte. Das wäre echt super, und sie hoffte sehr, dass es klappen würde.

Außerdem erzählte Misty ihr viel über die Arena, ihre Schwestern und sonstige Kleinigkeiten. Wie es schien lag ihr die Arena ganz enorm am Herzen und sie gab alles, um ihren Ruf entsprechend zu verteidigen.

In der Region war sie im Übrigen bloß wegen eines Kurzurlaubes gewesen und hatte daher auch wenig dabei gehabt. Selbst ihre Pokémon hatte sie daheim in der Arena gelassen. Maike konnte nun umso besser verstehen dass ihr das Reisen allein Angst machte. Sie selbst hätte wenigstens noch ihre Pokémon gehabt.

Als das Schiff einige Tage später schließlich den Hafen von Graphitport City erreichte, verließ Maike ihre Freundin. Diese hatte beim Abschied Tränen in den Augen. "Es war schön, dich wiederzusehen. Und schön, ein Stück mit dir zu reisen." Dass sie beide das selbe durchgemacht hatten hatte sie ganz unbemerkt noch enger zusammengeschweißt. Sie hatten sich bereits früher gemocht, doch ihre Beziehung zueinander war nun eine ganz andere.

Sie umarmten sich zum Abschied und schweren Herzens verließ Maike das Schiff. Sie wartete noch, bis es weiterfuhr und winkte ihrer Freundin zum Abschied hinterher. Dann verließ sie den Hafen.

Am Pokémon Center von Graphitport City wartete bereits ihre Mutter auf sie.

"Hallo Schatz!", begrüßte Caroline ihre Tochter glücklich. "Ich bin so froh, dass du wieder hier bist!"

Maike lächelte und ohne zu wissen warum traten ihr nun auch Tränen in die Augen. Mit einem Schluchzen fiel sie ihrer Mutter in die Arme. Seit dem Vorfall mit den Bewahrern hatte sie stets versucht fröhlich zu sein und die negativen Gedanken beiseite zu schieben, aber jetzt, wo sie ihre Mutter sah, brachen die Gefühle einfach durch ihre imaginäre Wand. Sie wusste, dass sie sich gegenüber ihrer Mutter nicht verstellen musste, sie würde das sowieso bemerken.

Caroline nahm ihre Tochter fest in den Arm und strich ihr liebevoll über das Haar.

"Meine Kleine. Jetzt bist du Zuhause. Alles wird gut."

So standen sie dort für einige Sekunden, bis Maike sich schließlich schluchzend von ihr löste und sich eine Träne wegwischte. "Danke, Mama. Ich bin so froh hier zu sein!"

Gemeinsam stiegen sie in das Auto der Familie und machten sich auf den Weg nach Blütenburg City. Im Auto erzählte Maike ihr von den Erlebnissen der letzten Zeit, auch mehr von den Bewahrern als im Pokémon Center am Telefon, doch ließ sie genaue Beschreibungen der Qualen aus. Sie wusste genau, dass ihre Mutter das extrem mitnehmen würde. Sie war zwar ebenso sehr eine Frohnatur wie ihre Tochter, doch wenn es um ihre Kinder ging wurde sie zu einem Pyroar. Ganz bewusst hatte die Koordinatorin auch ihre Jacke angezogen, damit die Ärmel zumindest ein paar der Blessuren verdeckten.

Als sie nach einer Weile in Blütenburg City ankamen, erwartete Max sie bereits vor ihrem Haus. Er lief auf seine ältere Schwester zu, als diese gerade aus dem Auto gestiegen war, und umarmte sie begeistert. "Maike, endlich bist du da!"

Sie lachte, überwältigt von seiner stürmischen Begrüßung. "Hallo Max! Du bist ja wirklich schon einen Kopf größer als ich."

"Natürlich", erwiderte er grinsend. Er hatte noch immer eine Brille auf, wenngleich es jetzt auch ein modischeres Exemplar war, und seine Haare standen wild zu allen Seiten ab. Er sah ein wenig aus wie ein verrückter Wissenschaftler, wie Maike schmunzelnd feststellen musste. Fehlten nur noch der weiße Kittel und die gefährlichen Chemikalien.

"Wo ist Papa?", fragte sie ihren Bruder, während ihre Mutter noch ein paar kleinere Einkäufe aus dem Auto trug.

"In der Arena", antwortete er. "Heute ist viel los. Warte, Mama, ich helfe dir!"

Gemeinsam betraten sie das Haus, in dem sie aufgewachsen war. Alte Erinnerungen durchfluteten die junge Frau, und sie ging in den Garten. Dort erwartete sie bereits ihr Papinella und begrüßte sie freudig.

"Oh, Papinella, ich habe dich so vermisst!", rief Maike aus und lief freudig auf ihr Pokémon zu. Dieses setzte sich auf ihren Kopf und schlug begeistert mit seinen Flügeln, wobei es einiges von seinem glitzerndem Staub auf seiner Trainerin verteilte. Maike lachte.

Dann sah sie in einer anderen Ecke des Gartens ihr Bisaflor, das in der Sonne ein Nickerchen machte und seine Trainerin noch nicht bemerkt hatte. Zufrieden lächelnd schlenderte sie zu dem großen Pflanzenpokemon herüber. Es bemerkte nun die Schritte und öffnete verschlafen ein Auge. Als es Maike erkannte, war es jedoch sofort hellwach und freute sich ebenso wie Papinella.

Max kam zu ihnen hinaus.

"Wo ist denn Relaxo?", fragte sie ihren kleinen Bruder.

"Es ist bei Vater drüben in der Arena", antwortete er und hockte sich neben sie und Bisaflor. "So faul es auch ist - Relaxo liebt es bei den Kämpfen zu helfen."

Das konnte Maike sich ziemlich gut vorstellen.

Die zwei Geschwister hockten eine Weile schweigsam nebeneinander und genossen die Wärme der Sonne. Dann wandte Max sich zu ihr.

"Maike, ich..." Er stockte. "Ich... Ich habe mir solche Sorgen gemacht!"

Entsetzt beobachtete seine Schwester, wie dem jungen Mann die Tränen in die Augen traten. Mit so einer heftigen Reaktion hatte sie gar nicht gerechnet.

"Ach Max...", murmelte sie und nahm ihren Bruder in den Arm. "Es ist doch alles gut gegangen."

"Ja ich weiß, aber es hätte auch... Vielleicht hätten sie dich... Ich war einfach außer mir, als Mama mir davon erzählte, und bin sofort nach Hause gekommen. Papa war auch drauf und dran dich selbst zu suchen."

"Ich weiß", meinte Maike nickend, "das hat er mir schon am Telefon erzählt. Aber es hätte allein schon mehrere Tage gedauert bis er überhaupt dort gewesen wäre. Es war gut dass er hier geblieben ist. Er hat ja schließlich auch eine Verantwortung."

"Ja, und die größte Verantwortung hat er seiner Familie gegenüber", ertönte es plötzlich von der Tür, in der nun ihre Mutter aufgetaucht war. Sie lächelte. "Glaub mir, Arenaleiter hin oder her, wenn er nicht gewusst hätte, dass dort bereits Drew und Aiden mit Officer Rocky nach dir suchten, hätten ihn hier keine zehn Pampross gehalten."

Maike lächelte etwas verlegen. Sie wollte das Thema gerne abhaken, konnte aber auch verstehen dass ihre Familie das Bedürfnis hatte darüber zu sprechen.

"Ja, Drew und Aiden waren wirklich klasse. Ash natürlich auch. Wer weiß, ohne sie wäre ich vermutlich immer noch dort gefangen."

Max schüttelte energisch den Kopf. "Niemals, dann hätten Papa und ich dich längst befreit", meinte er mit grimmiger Entschlossenheit.

Maike grinste und wuschelte ihm durch die Haare. "Und ihr hättet es ihnen so richtig gezeigt", stimmte sie fröhlich zu, in der Hoffnung, so die Stimmung etwas aufzulockern. Dann hörte sie ihren eigenen Magen grummeln. Hilflos lächelnd sah sie zu ihrer Mutter. "Was ist heut eigentlich essenstechnisch geplant?", fragte sie und Max musste ein Lachen unterdrücken.

Caroline war natürlich auf alles vorbereitet und hatte bereits die Zutaten für Maikes Lieblingsessen besorgt. Es würde allerdings noch ein kleines Weilchen dauern bis es zubereitet war, also ging Maike in ihr altes Zimmer und packte ihre Sachen aus. Als sie sich in dem Raum umsah wurde sie ganz verträumt und dachte an früher zurück. Bäuchlings ließ die Koordinatorin sich auf ihr altes Bett fallen und vergrub ihr Gesicht in den Kissen. Es war so lange her, seit sie zuletzt auf diesem Bett gelegen hatte. Die letzten Jahre war sie gar nicht nach Hause gekommen, nicht einmal zu den Feier- oder Geburtstagen, weil der Weg meistens einfach viel zu lang gewesen war und in der Zeit irgendwelche Wettbewerbe anstanden. Doch sie musste sich eingestehen dass sie es vermisst hatte. So sehr sie das Reisen auch liebte, Zuhause ist und bleibt etwas Besonderes.

Sie kramte ihren Holo Log heraus und rief kurz entschlossen ihren Rivalen an.

Nach einem Moment erschien Drews Bild vor ihr. Der grünhaarige Koordinator sah sie fragend an.

"Hey, was gibt's?"

"Wow, was für eine überwältigende Begrüßung. Ja, ich bin gut angekommen und es ist alles in Ordnung, danke der Nachfrage."

"Tut mir Leid, ich bin Anrufe von zweitklassigen Koordinatorinnen wohl nicht gewohnt."

Sie setzte zu einer bissigen Erwiderung an, grinste am Ende aber bloß. "Unverbesserlich. Wenigstens habe ich mich an mein Versprechen gehalten."

"Wie?"

"Na, dass wir uns bald wiedersehen."

Drew sah sie mit einem umwerfenden Lächeln durch den Holo Log an und ihr Herz schlug einen Takt schneller.

"So hatte ich das eigentlich nicht gemeint", sprach er mit leicht tadelndem Unterton.

Sie grinste. "Ja ich weiß."

"Naja, es ist wohl besser als nichts", gab der grünhaarige Koordinator zu bedenken.

Verlegen wechselte sie das Thema.

"Aber egal. Wie geht es Luxio?"

"Prächtig. Jetzt, wo es endlich mal bei einem richtig fähigen Trainer unter ist."

Eine ihrer Augenbrauen zuckte verdächtig. Ein deutliches Indiz dafür, dass er sich zusammenreißen musste, wenn er sich nicht wieder eine Schimpftirade von seiner Rivalin anhören wollte.

"Aber es vermisst dich natürlich sehr", fügte er deswegen hastig, wenn auch wenig überzeugend hinzu.

"Ja, natürlich", seufzte Maike. "Kannst du es herholen?"

Die Wahrheit war, dass sie es fürchterlich vermisste. Schon die Tage auf dem Schiff hatte sie sich fast rund um die Uhr um es gesorgt. Selbstverständlich wusste sie, dass Drew auf es aufpassen und es gut behandeln würde, doch sie mochte es nicht sich dermaßen machtlos zu fühlen. Wenn es krank wurde könnte sie gar nicht bei ihm sein. Nicht auszudenken.

Ihr Rivale seufzte und holte das Luxio. Es sah sie verwirrt an. Die Funktionsweise eines Holo Logs verstand es selbstverständlich nicht und wunderte sich, warum dort ein kleines flimmerndes Abbild seiner Trainerin war.

"Hey", begrüßte Maike es wehmütig. "Mein Luxio! Schön, dich zu sehen!" Ohne dass sie etwas dagegen tun konnte wurden ihre Augen feucht. Drew sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Du meine Güte, Maike, ich hätte nicht gedacht, dass du so eine Übermutter bist."

"Na besser so als wenn es mir egal wäre, oder?", entgegnete sie eingeschnappt und sah dann gleich wieder liebevoll auf ihr Luxio. "Tut mir ja Leid, Drew, aber in Zukunft wirst du wohl öfters mit meinen Anrufen rechnen müssen. Hoffentlich hat Alicia da nichts dagegen."

"Oh, sicher nicht, das ist vorbei", antwortete er beiläufig und fuhr gleich fort, bevor sie darauf eingehen konnte. "Nächste Woche werde ich zusehen, dass ich mein viertes Band gewinne. Darauf den Monat das fünfte. Wenn du es so schmerzlich vermisst kann ich es dir danach vorbei bringen, wenn alles klappt. Der große Wettbewerb ist dann ja erst im September."

Maike hatte die ganzen Informationen gar nicht aufgenommen, sie war lediglich bis zu dem "das ist vorbei" mitgekommen.

"Wie jetzt?", fragte sie entgeistert.

"Jetzt bist du auch noch schwerhörig? Ich kann es dir in zwei Monaten vorbei bringen wenn nichts schief läuft."

"Idiot, das meinte ich gar nicht... Oh, aber danke, ja, das wär super!"

Drew grinste amüsiert. Er schien seine Rivalin gerade etwas überfordert zu haben.

"Kein Problem", meinte er bloß.

Doch Maike gab sich damit noch nicht zufrieden. Etwas verunsichert blickte sie ihn an. "Das tut mir sehr Leid, Drew."

"Ach", meinte er mit einer wegwerfenden Handbewegung, "so eine große Schande ist das gar nicht, dass ich noch zwei Bänder brauche."

Da war sie wieder. Die wütend zuckende Augenbraue.

Im Grunde genommen wollte er einfach nicht darüber reden. Und ganz besonders nicht mit Maike. Nachdem der grünhaarige Koordinator an dem Tag von Maikes und Mistys Abreise wieder im Pokémon Center gewesen war, hatte er das Gespräch mit Alicia gesucht und das Ganze endgültig beendet. Und sie waren sich einig gewesen dass es so besser war. Alicia hatte zwar geweint, aber sie wollte nicht die zweite Wahl sein und Drew wollte ihr das ebenso wenig weiter antun. Natürlich war sie ihm auch ziemlich sauer gewesen. Sie verstand nicht, wieso er es überhaupt jemals so weit hatte kommen lassen, und um ehrlich zu sein verstand er das selbst nicht. Seine Ausrede, dass er dachte Maike und Aiden wären ein Paar, kam ihm nun selbst ziemlich fade und geschmacklos vor. Er konnte ihr darauf also keine zufriedenstellende Antwort geben. Alicia war dann ziemlich schnell wieder zurück nach Ranovia City gereist und für Beide war das ganze Thema abgeschlossen.

Doch Maike schien mit ihm darüber reden zu wollen, dabei war ihm das gerade ihr gegenüber mehr als nur unangenehm. Er konnte ihr ja schlecht sagen, dass er ein totaler Vollidiot gewesen war und eigentlich immer nur sie geliebt hatte. Also versuchte er es mit seiner gewohnten selbstbewussten Art und seinen Sprüchen irgendwie zu überspielen.

"Du bist manchmal so furchtbar", stöhnte Maike und fasste sich an die Stirn. "Und so anstrengend."

"Dann hast du dich selbst noch nicht erlebt", konterte er gelassen und hatte es damit endgültig zu weit getrieben.

Mit einer wüsten Beleidigung verabschiedete sich die Koordinatorin und legte auf.

Sie starrte wütend auf den Holo Log und wurde nur noch wütender als sie spürte, wie ihr eine einsame Träne die Wange herunterlief. Mit einem missmutigen Grummeln wischte sie sie weg. Merkwürdig, eigentlich hatte sie sich mit den Jahren an seine Sprüche gewöhnt und wusste auch, dass sie sie nicht allzu ernst nehmen brauchte. Doch im Moment gelang ihr das nicht. Vielleicht lag es einfach daran, dass sie nervlich noch nicht ganz auf der Höhe war. Sie musste noch immer einiges verarbeiten. Und zu allem Überfluss dann noch diese blöden Gefühle für diesen blöden Vollidioten.

Sie seufzte und legte den Holo Log weg. Das würde auch vergehen. Ein bisschen Zeit und die ganze Sache käme ganz von selbst in Ordnung, davon war sie überzeugt. Und irgendwann konnten sie und Drew wieder so locker miteinander umgehen, wie sie es von den letzten paar Jahren gewohnt war. Hoffentlich.

Von unten rief ihre Mutter nach den beiden Geschwistern, da das Essen fertig war. Sofort hellte sich Maikes Laune auf und sie schoss aus dem Zimmer, die Treppe hinunter. Max, der gerade aus seinem eigenen Zimmer kam, spürte nur noch den Luftzug von seiner vorbeihuschenden Schwester. Etwas verwundert richtete er seine Brille gerade. "Frauen sind echt wankelmütig", murmelte er zu sich selbst, "eben hab ich sie noch lautstark schimpfen hören."
 

Drew saß wie versteinert da und starrte auf seinen Holo Log. Das Luxio auf seinem Schoß stupste ihn besorgt an, da er nun schon einige Sekunden so regungslos war. Der Koordinator fing sich und sah hinunter zu Maikes Pokémon.

"Ich glaube, sie findet mich super", meinte er und das Elektropokemon sah ihn wenig überzeugt an. Aber er glaubte das ja selbst nicht. Sie schien sehr verletzt gewesen zu sein. Zum tausendsten Mal in seinem Leben fragte er sich, warum er es nicht schaffte einfach nur nett zu ihr zu sein. Gerade zu ihr.

Nun, besonders in den letzten Jahren hatte er sich schon deutlich gebessert, aber ganz offensichtlich war das bei Weitem noch nicht genug. Er wollte nicht dass sie ihm sauer war, doch die Sticheleien waren mittlerweile zu einer Art Ritual geworden. Er meinte die meisten sogar auf seine eigene verkorkste Art sehr liebevoll. Doch das konnte die Koordinatorin natürlich nicht wissen.

Sie hatte sein Verhalten seit geraumer Zeit eigentlich immer mehr mit Humor genommen, doch heute hatte er es zu weit getrieben. Spätestens bei der bedrohlich zuckenden Augenbraue hätte er sich zusammenreißen müssen. Er war heute aber auch wieder besonders großzügig mit seinen Sticheleien gewesen, und das obwohl er sich ja gefreut hatte sie zu sehen.

Er seufzte ergeben. Nun war es zu spät.

Der Koordinator setzte das Elektropokemon wieder zurück auf den Boden, wo es sich sogleich zu dem ihm angedachten Platz aufmachte und sich zufrieden schnurrend einrollte. Nachdenklich betrachtete Drew es. Sein Leben war so einfach und unkompliziert. Das musste traumhaft sein.

Er stand auf und sah aus dem Fenster. Das Wetter draußen war schön, doch es kümmerte den jungen Mann wenig. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass sein Roserade ihn besorgt ansah. Tja, es kannte ihn von allen Lebewesen so ziemlich am Besten und wusste recht genau, wie es seinem Trainer gerade ging. Er rang sich dem Pokémon zuliebe ein Lächeln ab.

"Keine Sorge. Ich kriege das schon wieder in Ordnung."

Und das musste er wirklich. Maike hatte ihm zwar gesagt, dass sie in Zukunft öfter anrufen würde, doch nach dem negativen Ende des Gespräches war er nicht mehr sicher ob sie sich so schnell wieder melden würde.

Es war eigentlich ganz und gar nicht sein Stil, irgendeinem Mädchen hinterher zu telefonieren, aber er konnte ja mal eine Ausnahme machen. Die machte er doch sowieso ständig für seine Rivalin.

Erst Mal würde sie jedoch sicher Zeit zum Beruhigen brauchen. Er nahm sich für den nächsten Tag vor, sie anzurufen.

"Nagut, dann wollen wir mal trainieren, damit wir Luxio wirklich bald zurückbringen können", sprach er und seine Pokémon stimmten allesamt freudig zu. Selbst Luxio freute sich. Er hatte noch immer nicht verstanden, warum das Pokémon vom Schiff gesprungen war. Es hätte zumindest offensichtlich nichts dagegen, bald von ihm nach Hause gebracht zu werden.

Familie

Vor dem Pokémon Center tummelten sich wieder einmal eine Menge von Drews Fans. Der grünhaarige Koordinator kümmerte sich kurz auf charmante Weise um sie, bis er schließlich weiterging um mit dem Training zu beginnen. Er ließ sich auch nicht davon stören, dass eine Gruppe junger Mädchen ihn dabei nervös kichernd beobachtete. Das war er ja gewohnt.

Plötzlich erklang eine bekannte Stimme hinter ihm.

"Drew, Schätzchen, wie schön dich zu sehen!"

Er drehte sich um und vor ihm stand Harley. Direkt daneben befand sich Solidad. Sie schenkte dem grünhaarigen Koordinator ein warmes Lächeln.

"Solidad, Harley, was für eine Überraschung!", meinte Drew. "Wir haben uns ja ewig nicht gesehen."

Harley war natürlich wie immer total überdreht und fragte ihn nach allen möglichen Dingen. Ein kleines bisschen erinnerte er Drew an Aiden, wie er feststellen musste, mit dem Unterschied, dass dem braunhaarigen Koordinator aus Roshan City jedwede Hinterlist zu fehlen schien. Harley hingegen genoss er noch immer mit Vorsicht. Die Erlebnisse mit ihm von damals hatten sich eingebrannt. Doch offenbar hatte er auch wirklich seine gute Seite, denn Solidad hielt stets große Stücke auf ihn. Man durfte es sich wohl bloß nicht mit ihm verscherzen.

"Wie läuft es mit Maike?", fragte der überdrehte Koordinator schließlich.

Drew schwieg und strich sich eine grüne Strähne aus dem Gesicht.

"Oho, offenbar nicht so gut?"

"Ich weiß nicht was dich das angeht", gab er gereizt zurück. "Aber wir sind nach wie vor Rivalen, also alles beim Alten."

"Nein, wirklich?", fragte er übertrieben traurig nach. "Dabei war ich schon damals überzeugt, dass ihr zwei das perfekte Paar seid!"

"Harley, hör auf", mischte sich Solidad mit ruhiger Stimme ein. "Er macht das schon."

"Er braucht dafür aber mittlerweile schon zehn Jahre!", gab Harley zu bedenken.

Drew wandte sich entnervt ab und trainierte weiter mit seinen Pokémon. Doch sein alter Rivale tänzelte fortwährend um ihn herum. Nun, damit hätte er eigentlich rechnen müssen.

"Wir haben in den Nachrichten gesehen, dass sie gekidnappt wurde. Und du warst ihr Prinz auf dem weißen Galoppa. Wie romantisch! Ich verstehe gar nicht, was euch zweien im Weg steht."

"Harley, bitte, ich möchte trainieren", wagte der Koordinator einen letzten Versuch, mit dem Rest an Selbstbeherrschung welche er aufbringen konnte. Solidad, die schon immer sehr feinfühlig gewesen war, zog den Koordinator mit den lilanen Haaren von ihrem alten Freund weg.

"Komm, Harley, wir essen erst einmal etwas."

Irritiert beobachtete Drew, wie der ältere Koordinator die Frau ganz verliebt ansah und ihr dann folgte.

Konnte das sein? Solidad und Harley? Um Himmels Willen, niemals, das waren ja die Gegensätze schlechthin. Das musste er sich eingebildet haben. Andererseits waren beide nun schon recht alt und reisten offenbar gemeinsam umher. Nun, wenn es so war würde er das sicher bald in Erfahrung bringen. Erst mal musste er die Beiden jedoch fragen, warum sie hier waren. Wenn sie auch am nächsten Wettbewerb teilnehmen wollten würde das Drews Chancen ziemlich verringern, Solidad war ein echt harter Gegner. Doch eigentlich hatte sie ihre Karriere als Top-Koordinatorin schon vor einigen Jahren an den Nagel gehängt.

Er beschloss, dieser ganzen Geschichte nach dem Training auf den Grund zu gehen.
 

In Blütenburg City hatte Maike unterdessen ihren Vater in der Arena besucht. Kurz zuvor hatte er noch einen Trainer ohne Orden hinaus schicken müssen, da er den Kampf gegen ihn verloren hatte. Doch der Junge hatte Mumm und Ehrgeiz, wie er seiner Tochter erzählte, und würde sicher bald wieder vor den Türen der Arena stehen.

Norman war unendlich froh, Maike wohlauf zu sehen und zu wissen, dass sie in nächster Zeit bei ihnen daheim bleiben würde. Zwar hatte er sich mit den Jahren immer mehr mit dem Gedanken angefreundet, dass sein kleines Mädchen überwiegend allein umherreiste, doch die väterliche Sorge hatte stets überwogen. Caroline musste ihn gar oft überreden, Maike nicht ständig anzurufen und zu fragen wie es ihr geht. Er hatte sich wesentlich besser gefühlt, als sie noch mit Ash und Rocko unterwegs gewesen war. Da war seine Kleine zwar noch viel jünger gewesen, aber durch Rocko war ein vernünftiger Mensch an ihrer Seite gewesen der mit auf sie achten konnte.

Zurück in ihrem Elternhaus ging sie wieder in den Garten, wo all ihre Pokémon umhertollten. Sie hatte sie zuvor aus ihren Pokebällen heraus gelassen, damit sie bei dem guten Wetter etwas entspannen und spielen konnten. Traurig bemerkte sie einmal wieder, dass Luxio fehlte. Sie seufzte.

Sie hätte Drew nicht so anblaffen dürfen. Immerhin kümmerte er sich um ihr Pokémon, und sie war sich ziemlich sicher dass er das auch sehr akribisch tat. So war er nun mal. Ein kleiner Perfektionist.

Und ein riesiger Trampel, wenn es um ihre Gefühle ging, wie sie mit einem müden Lächeln feststellte. Dabei hatte er eine Weile eine ziemlich nette Seite von sich gezeigt, wenn sie im Nachhinein so darüber nachdachte. Nach der Sache bei den Bewahrern hatte er sich auch die meiste Zeit über seine Sprüche verkniffen. Wahrscheinlich war er jetzt der Ansicht, dass ihre Schonfrist vorbei war.

Sie seufzte erneut und vertrieb die Gedanken an ihren Rivalen aus ihrem Kopf. Ihr Lohgock saß im Garten und genoss die warme Nachmittagssonne, und Maike setzte sich zu ihm.

Es sah sie voller Zuneigung an. Noch immer hatte es mit den Nachwirkungen der Gefangenschaft zu kämpfen, das merkte sie ganz genau. Jedem Anderen wäre das vermutlich gar nicht aufgefallen, doch für sie war jede noch so kleine Änderung offensichtlich. Schließlich war es ihr erstes Pokémon gewesen und hatte sie nun schon seit 10 Jahren durchweg treu begleitet.

So fiel ihr auf, dass es noch immer ziemlich müde wirkte und es ein bisschen stiller und zurückhaltender war als üblich. Nun, der Vorfall hatte eben bei Beiden auch seine psychischen Wunden hinterlassen, und bis diese heilten würde es weit länger dauern als das Verschwinden ihrer blauen Flecken oder das Abheilen der Wunden an ihren Handgelenken.

Maike lehnte den Kopf an die Schulter ihres Pokémon und gemeinsam beobachteten sie Enekoro und Glaziola beim Spielen.

Als sich irgendwann die Sonne dem Horizont näherte, erschien wieder ihre Mutter in der Tür zum Garten.

"Maike, es gibt bald Abendessen. Außerdem wird es langsam kühl draußen, kommt doch lieber alle rein."

Beim Abendessen saß nun endlich die ganze Familie beisammen und gemeinsam unterhielten sie sich fröhlich. Sie schienen zu spüren dass Maike einfach nur vergessen wollte und sprachen sie nicht mehr auf ihre Erlebnisse bei den Bewahrern an.

"Sag mal, Maike, wann bringst du Drew eigentlich mal mit nach Hause?", erkundigte sich Max bei seiner Schwester, welche hochrot anlief.

"Oh, der junge Mann mit den grünen Haaren, ich erinnere mich noch genau, wie ihr zwei in Graphitport City gemeinsam am Strand wart", schwärmte Caroline und trieb ihrer Tochter damit noch mehr Röte ins Gesicht.

"Ich hab dir doch damals schon gesagt dass wir nur Freunde sind", protestierte die Koordinatorin kleinlaut, doch sie erntete bloß vielsagende Blicke.

Max rückte seine Brille gerade. "Du kannst uns nichts vormachen, wir sind deine Familie."

"Und du bist mal wieder Mister Oberschlau", grummelte sie leise vor sich hin.

Das Thema war nicht gerade gut dazu geeignet, ihre Laune zu verbessern.

"Ich kombiniere einfach nur die Fakten und ziehe daraus logische Schlüsse", meinte ihr kleiner Bruder stolz, der ihren Kommentar wohl fälschlicherweise als Kompliment gewertet hatte.

Ihr Vater sah sie bloß an. Im Gegensatz zu Caroline hatte er diesen Drew noch nie in Wirklichkeit gesehen, immer bloß im Fernsehen bei den Wettbewerben. Ihm gefiel die Vorstellung gar nicht, dass sein kleines Mädchen irgendeine Beziehung mit einem Mann haben könnte. Doch es war offensichtlich, dass das Thema an ihrer Laune kratzte, also konnte Max nicht allzu falsch liegen. Nun, zumindest hatte dieser Drew geholfen seine Tochter zu befreien, also war er vermutlich gar nicht so verkehrt. Doch wenn er es wagte Maike das Herz zu brechen, dann würde er ihn kennenlernen!

Caroline, die die Mimik ihres Mannes nach so vielen gemeinsamen Jahren sehr gut lesen konnte, lachte amüsiert.

"Ach Schatz, sie ist immerhin schon 20! In dem Alter waren wir schon verheiratet."

Liebevoll betrachtete er seine Frau. "Da hast du Recht. Aber, Maike, lass dir trotzdem ruhig noch Zeit damit! Heutzutage ist ja schließlich alles etwas anders."

Maike musste nun ein Lachen unterdrücken. "Mensch Papa, es ist doch nicht so als ob ich noch nie einen Freund gehabt hätte."

"Ja, aber kennenlernen durften wir bisher noch keinen", gab Max seinen Senf dazu.

"Komm du doch erst mal mit einer Freundin heim, bevor du so tust als ob du wüsstest wovon du redest", entgegnete Maike und streckte ihm die Zunge raus.

"Oh, das werde ich sicher bald, ich habe nämlich zufällig eine!"

Nun schwiegen sie alle und sahen Max sprachlos an.

"Ist das jetzt echt so verwunderlich?", fragte er etwas verletzt.

"Was? Aber nein! Schatz, das ist doch toll! Wir waren nur überrascht, warum hast du uns das nicht längst erzählt?", wollte Caroline wissen.

Max kratzte sich verlegen am Kopf. "Naja, erst war da die Sache mit Maike, und dann hab ich nie den richtigen Augenblick gefunden."

Seine Schwester grinste freudig und stupste ihn mit dem Ellenbogen an. "Max, du kleiner Aufreißer, freut mich für dich! Wie heißt sie denn und wie alt ist sie und wann lernen wir sie kennen?" Nach der anfänglichen Überraschung hatte sie sich schnell wieder gefangen. Irgendwie war es zwar komisch für sie, da sie in ihm noch immer bloß ihren kleinen besserwisserischen Bruder sah, aber andererseits freute sie sich auch sehr für ihn und hoffte dass er glücklich war mit seiner ominösen Freundin.

"Ihr Name ist Alea, ich stelle sie euch bestimmt demnächst mal vor. Sie ist so alt wie ich." Nun war ihm der Stolz richtig anzusehen.

Sie plauderten noch eine Weile, bis sich irgendwann alle schlafen legten. In ihrem alten Bett betrachtete Maike die Zimmerdecke. Sie fühlte sich wohl hier daheim. Es war immer jemand da, sie war nicht allein und dazu waren es auch noch die Menschen, die sie am meisten liebte. Das war einfach dieses Gefühl von Geborgenheit, welches man nur Zuhause hatte.

Ihre Gedanken schweiften zu Ash. Er hatte ihres Wissens nach seinen Vater nie kennengelernt und seine Mutter war völlig allein, wenn er auf Reisen war. Nun, abgesehen von dem Pantimos natürlich. Trotzdem musste das unfassbar einsam sein für sie. Maike hoffte sehr, dass es ihr gut ging und wirklich nichts Schlimmes war.

Irgendwann schloss sie die Augen und fiel in einen traumlosen Schlaf.

Versöhnen kann so leicht sein

Der nächste Morgen begann zunächst völlig ereignislos. Maike ließ sich von ihrem Bruder wecken, frühstückte mit ihrer Familie und ließ ihre Pokémon im Garten toben. Irgendwann begann sie, sich zu langweilen. Fröhlich pfeifend schlenderte sie ins Haus, die Treppen hoch und in Max' Zimmer. Ihr Bruder sah sie fragend an.

"Du bist aber fröhlich. Was gibt's denn?"

Er saß vor seinem PC und schien wieder einmal irgendwelche Dinge zu recherchieren. Nun, sein Wissen über alle möglichen Themen kam schließlich nicht von ungefähr.

"Ach, ich langweile mich ein wenig", erzählte sie und setzte sich auf seine Bettkante. "Da dachte ich mir: Maike, du könntest dich ja mal wieder richtig mit deinem kleinen Bruder unterhalten. Schließlich haben wir das seit einer halben Ewigkeit nicht mehr getan." Sie lächelte ihn an. "Wie lang hast du denn vor zu bleiben, bis du wieder weiterreist?"

"Ha, gute Idee. Es ist echt ewig her." Ohne sich zu beschweren unterbrach er seine Arbeit am Computer und drehte sich auf seinem Schreibtischstuhl zu ihr herum. "Ich weiß nicht genau, ich denke mal, dass ich noch ein bis zwei Wochen bleibe und dann gemeinsam mit Alea weiterziehe."

Überrascht sah seine Schwester ihn an. "Ach, ihr reist zusammen? Das ist aber schön! Sie ist also auch Pokémon-Trainerin?"

Er bejahte das mit einem zufriedenen Nicken.

"Und sie ist echt gut", fügte er stolz hinzu.

Das hatte Maike schon erwartet. Eine Trainerin, die nicht in irgendeiner Form beeindruckend war, passte nicht zu seinem Bruder. Vermutlich war sie auch ähnlich wissbegierig wie er selbst, das wäre gut vorstellbar.

"Und du? Wann machst du mit deiner Karriere weiter?", fragte er vorsichtig nach.

Sie zuckte mit den Schultern. "Ich bin mir noch unsicher... Ich habe ein Plakat zum Wettbewerb in Wiesenflur in drei Wochen gesehen, mal schauen, vielleicht nehme ich dort teil."

"Das halte ich für eine gute Idee!", meinte Max mit einem eifrigen Nicken. "Es ist sicher vernünftig, wenn du es nicht allzu lang schleifen lässt."

"Da hast du wahrscheinlich Recht. Ich bin trotzdem noch unschlüssig... Ich möchte nur ungern alleine hin."

"Alea und ich könnten dich doch begleiten", schlug ihr Bruder vor.

Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu. "Liegt das auch auf eurem Weg? Ich will euch keine Umstände machen!" Dann legte sie den Kopf schief. "Außerdem wolltest du doch schon in ein bis zwei Wochen weiter."

Ihr Bruder lachte. "Als ob die eine Woche mehr etwas ausmachen würde! Und am Ende würdest du doch sowieso schon ein paar Tage früher dort hin, nicht? Glaub mir, das macht keine Umstände, und es liegt auf unserem Weg."

Sie fragte sich, was das für ein Weg sein sollte. Bis auf den dort stattfindenden Wettbewerb war Wiesenflur ziemlich nichtssagend. Aber Maike war ihrem Bruder natürlich sehr dankbar für das Angebot und nickte schließlich. "Du bist der beste kleine Bruder den man haben kann, Max", meinte sie und lehnte sich nach vorn, um ihm einmal mehr unter Protest durch die Haare zu wuscheln.

"Maike! Muss das immer sein?"

Sie lachte. "Ja. Muss es."

In dem Moment klingelte ihr Holo Log. Überrascht realisierte sie, dass Drew sie anrief. Ein wenig irritiert starrte sie auf den Bildschirm, unschlüssig, was sie davon halten sollte.

"Wer ist es denn? Willst du nicht rangehen?" Max sah seine Schwester prüfend an und sie bemühte sich, normal zu wirken, als sie abwinkte.

"Oh, nein, das ist gerade nicht so wichtig. Das ist nur... Hey, gib es wieder her!"

Während sie versucht hatte sich rauszureden hatte er ihren Holo Log geschnappt und sah sie nun mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Ist doch nur Drew", kommentierte er und nahm ab, bevor Maike noch irgendetwas dagegen tun konnte.

"Hallo Drew, ich bin mal für Maike dr-... Was in aller Welt?"

Entgeistert sprang Maike auf und sah ihm über die Schulter, da er sich mit dem Schreibtischstuhl wieder umgedreht hatte. Wenn er so geschockt klang war da doch irgendwas faul.

Die Koordinatorin lief hochrot an. Dort war nicht wie erwartet ihr Rivale zu sehen, sondern ihr Luxio, das eine Rose im Mund hatte und völlig begeistert auf das Abbild seiner Trainerin schaute.

Max schmunzelte. "Nur Freunde also, ja?"

"Du kennst ihn doch!", protestierte sie wütend. "Das macht er doch immer, und wahrscheinlich bei jeder..."

"Also DAS habe ich ihn bisher noch nicht machen sehen, nein", gab ihr kleiner Bruder zu bedenken und sah sie vielsagend an.

Nun erschien endlich Drew hinter Luxio.

"Hey Max. Hallo Maike." Es schien ihm in keiner Weise unangenehm zu sein, dass ihr kleiner Bruder das Alles mitbekam. "Als kleines Friedensangebot. Ich war nicht sehr... nett gestern."

"Ach, deswegen hast du so geschimpft?", fragte Max und Maike hätte ihm am liebsten eine ordentliche Kopfnuss gegeben.

"Du...!", knurrte sie wütend und riss ihm nun den Holo Log aus den Händen.

Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus und sah dann ihren Rivalen an, der ihr Luxio jetzt auf dem Schoß hatte. Das Elektropokemon hielt immer noch begeistert die Rose und schien sich wahnsinnig zu freuen. Im Laufe des gestrigen Telefonates hatte es wohl verstanden, dass dieses kleine Abbild von ihr tatsächlich seine Trainerin war, auf irgendeine Art und Weise zumindest.

"Warum zur Hölle sollte mich das friedlich stimmen?", fragte sie ein wenig gereizt. "Rosen von dir sind doch mittlerweile Standard, und diese kriege ich ja nicht mal wirklich."

Etwas enttäuscht legte er den Kopf schief. "Schade, ich hatte gehofft du findest das niedlich. Es sollte nur eine nette Geste sein. Aber sei's drum. Es tut mir wirklich Leid."

Dann strich er sich mal wieder eine seiner grünen Strähnen aus der Stirn.

"Übrigens mache ich das nicht bei jeder." Genau genommen war sie sogar die Einzige, der er Rosen schenkte. Doch so genau musste sie das ja nun auch wieder nicht wissen.

"Also, verzeihst du mir?", hakte er schließlich nach.

Die Koordinatorin sah ihren Rivalen völlig sprachlos an. Das Ganze sah ihm irgendwie so gar nicht ähnlich. Er dachte sich etwas aus, wovon er glaubte es könne ihr gefallen, er bat sie um Verzeihung und machte ihr ein (gut verstecktes) Kompliment? Viel zu viele Nettigkeiten auf einmal.

"Äh, also, ja... Natürlich", entgegnete sie, noch immer etwas überrumpelt. Max blickte sie grinsend an, und sie schmiss kommentarlos sein Kopfkissen nach ihm.

Drew grinste nun ebenfalls. "Quäl deinen Bruder nicht so."

"Mach ich nicht", protestierte sie lautstark, doch Max rief sofort hinterher dass sie das sehr wohl tue.

Maike war die ganze Situation noch immer sehr unangenehm. Ganz besonders, da ihr kleiner Bruder das alles mitbekam, und ab sofort sicher nicht mehr davon zu überzeugen war, dass Drew und sie nur Freunde waren. Ihren Rivalen selbst schien das Ganze nach wie vor nicht zu stören, er wirkte gewohnt selbstbewusst und war die Ruhe in Person.

Noch immer mit leicht erröteten Wangen stand sie auf und ging mit dem Holo Log in ihr eigenes Zimmer. Max rief ihr noch irgendetwas hinterher, doch sie achtete nicht darauf.

"Du willst wohl mit mir alleine sein?", kommentierte der Koordinator das ganze Geschehen mit einem Schmunzeln.

"Das hättest du wohl gerne", entgegnete sie wütend. Hoffentlich verriet ihre Gesichtsfarbe sie nicht. "Ich möchte mir bloß nicht mehr die Kommentare von meinem kleinen Bruder anhören."

Das hatte sie extra laut gesagt, damit Max es auch hörte, und dann mit Nachdruck ihre Zimmertür geschlossen.

"Ich sehe schon, du genießt die Zeit mit deiner Familie", zog Drew sie auf, noch bevor sie sich beruhigt hatte. Sie schnaufte und ließ sich auf ihr Bett fallen. Den Holo Log hielt sie nach oben, während sie auf dem Rücken lag, und sah ihren Rivalen ernst an.

Drew betrachtete dieses Bild. Ihre langen braunen Haare ausgebreitet auf dem Bett, der ernste Blick in ihren saphirblauen Augen, die leicht geröteten Wangen. Er gab sich selbst eine Sekunde Zeit, sich diesen Anblick einzuprägen, bevor er womöglich schnell wieder vorbei war.

"Ja, das tue ich", murmelte sie. "Wirklich."

Er lächelte sie an. "Natürlich tust du das. Nimm mich nicht so ernst."

"Wie könnte ich. Aber egal. Nett, dass du anrufst, Drew. Ehrlich."

Da war es endlich wieder - ihr einnehmendes Lächeln. Also hatte sie sich am Ende doch gefreut und diese zugegeben etwas peinliche Aktion hatte sich gelohnt.

"Oh, Solidad und Harley sind übrigens auch hier", erzählte er seiner Rivalin, welche ihn daraufhin verwundert ansah.

"Ach ehrlich? Wer hätte das gedacht. Ich dachte, Solidad wollte nicht mehr an Wettbewerben teilnehmen?"

"Das tut sie auch nicht. Ich habe mich gestern Abend ein wenig mit den Beiden unterhalten. Sie wollen nur zusehen - als eine Art Date, da sie gerade sowieso in der Gegend waren."

"... Was? Als eine Art Date?"

Amüsiert stellte er fest, dass Maike mindestens genauso verwundert war wie er selbst.

"Ja", antwortete er, "sie sind seit einiger Zeit verlobt."

"Unglaublich", murmelte die Koordinatorin und ihr Blick schien irgendwo in die Ferne zu schweifen. Im Grunde sah sie aber nur die Decke ihres Zimmers an.

Damit hatte sie wirklich nicht gerechnet. Solidad war immer so ruhig und besonnen gewesen. So erwachsen. Harley hingegen war eine sehr, nunja, schwierige Persönlichkeit, zumindest wenn man es sich einmal mit ihm verscherzt hatte. Dazu war er noch ziemlich kindisch, aufgedreht, laut, hinterlistig, anstrengend... Maike könnte diese Liste endlos fortführen. Doch irgendetwas musste er wohl an sich haben, wenn ausgerechnet so ein herzensguter Mensch wie Solidad sich mit ihm verlobte. Sie erinnerte sich daran, dass die ältere Koordinatorin ja schon immer viel von Harley gehalten hatte.

"Ich war auch überrascht", erzählte Drew ihr. "Aber nachdem ich sie gestern gemeinsam beim Abendessen erlebt habe bin ich überzeugt, dass das passt mit den Beiden."

Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte Maike ihn an. "Was ist denn mit dir los? Seit wann kümmern dich die Liebesangelegenheiten von Anderen?" Das fand sie wirklich äußerst ungewöhnlich.

Nun war Drew etwas verlegen. Sie hatte Recht. Das war eigentlich gar nicht seine Art, normalerweise juckte ihn sowas rein gar nicht.

"Naja, Solidad liegt mir sehr am Herzen. Ich kenne sie schon ewig. Da ist es mir zumindest nicht egal."

Maike grinste. "Und gleich noch eine Premiere. Drew gibt zu, dass ihm jemand am Herzen liegt. Der Wahnsinn. Ich mache nachher ein dickes fettes Kreuz in meinen Kalender."

Er seufzte und sah sie genervt an. "Jetzt weiß ich wieder, warum ich eigentlich nicht über solche Dinge rede."

"Ach Drew, es tut mir Leid." Sie sah ihn milde lächelnd an. Es war wirklich unfair von ihr, ihn jetzt damit aufzuziehen, und im Grunde war sie ja auch mehr als froh darüber dass er mal derartige Gefühle preisgab.

"Ich freue mich wirklich für die Beiden. Sie müssen glücklich miteinander sein, da ist der Rest der Welt dann egal."

Ihr Rivale nickte stumm und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Luxio hatte sich auf seinem Schoß zusammengerollt und döste vor sich hin.

"Und, bist du schon gut auf den Wettbewerb vorbereitet?", wechselte Maike das Thema.

"Natürlich", antwortete Drew und lächelte. "Keine Sorge. Ich werde gewinnen und du hast bald dein Luxio wieder."

"Danke, Drew. Es ist wirklich sehr nett, dass du extra vorbeikommen willst um es mir zu bringen. Und... Also... Es tut mir Leid, dass ich dich gestern so angeblafft habe." Verlegen spielte sie mit einer Haarsträhne und vermied es, ihn anzusehen. "Immerhin kümmerst du dich um Luxio. Und es geht ihm sicher gut bei dir. Ich habe etwas überreagiert."

"Maike, du musst dich für nichts entschuldigen. Ich hätte auch einfach etwas weniger gemein sein können. Und das mit Luxio mache ich doch gerne."

Als sie ihn wieder ansah lächelte er, und sie spürte wie ihr erneut die Röte ins Gesicht stieg. "Trotzdem entschuldigung", meinte sie kleinlaut.

Es tat gut, das Ganze auszusprechen. Nun hatte sie den Eindruck das Gespräch von Gestern hinter sich lassen zu können.

Verzweifelt suchte sie nach einem neuen Gesprächsthema, bevor noch unangenehmes Schwiegen herrschte.

"Ähm, also, wenn du es zurückbringst ist bei uns in Blütenburg gerade ein Fest. Vielleicht möchtest du ja so lange hier bleiben?"

Was erzählte sie da? In dem Zeitraum, wenn Drew ankommen sollte, fand tatsächlich ein Fest in Blütenburg statt, aber warum sollte ihr Rivale dafür extra bleiben und Zeit mit ihr verbringen? Das hatte sie nun davon, dass sie sich eilig irgendetwas hatte einfallen lassen.

"Also, ich meine... Wahrscheinlich willst du das gar nicht. Vergiss das. Das war nur so dahergesagt. Du musst dich ja auf das große Festival konzentrieren und trainieren und-"

"Maike, hey, was redest du da?", unterbrach der Grünhaarige sie. "Ich würde gerne bleiben und mir das Fest ansehen." Da war es wieder, dieses umwerfende Lächeln. Maike hoffte bloß, dass sie nicht so knallrot war wie es sich anfühlte.

"Cool, super, dann ist das also abgemacht", sprach sie hastig.

"Ist es", meinte er mit einem Grinsen. Natürlich war ihm die gesunde Gesichtsfarbe seiner Rivalin aufgefallen. Da hatte sie sich wohl selbst in eine etwas unangenehme Situation gebracht, auch wenn er nicht ganz verstand was genau daran sie so verlegen machte. Aber er hielt das Ganze wirklich für eine gute Idee. Etwas Ablenkung und Spaß vor dem großen Festival konnte nicht schaden, außerdem bedeutete das, viel Zeit mit Maike zu verbringen. Insgesamt klang das nach einem perfekten Plan.

Von unten rief Caroline nach ihrer Tochter, und Maike seufzte.

"Also dann, danke noch mal für den Anruf. Ich muss jetzt Schluss machen. Bis später!"

"Bis später, Maike."

Nachdem sie aufgelegt hatten sah sie noch ein paar Sekunden auf ihren Holo Log und drückte ihn schließlich mit einem Seufzen an sich. Sie schloss die Augen und ließ das Gespräch noch kurz etwas wirken. Das war wesentlich besser gelaufen als sie befürchtet hatte. Er würde also sogar ein bisschen bleiben, wenn er sie besuchen kam.

Caroline rief erneut nach ihr und riss sie somit aus ihren Gedanken. Mit einem leisen Grummeln legte sie ihren Holo Log beiseite und stand auf. "Ja doch, ich komme ja schon!"

Wiedersehen macht Freude!

Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug. Maike lernte Alea kennen und ging zusammen mit ihr und ihrem Bruder nach Wiesenflur, um am dortigen Wettbewerb teilzunehmen. Leider schaffte sie es nicht weiter als in die zweite Runde. Doch sie nahm diese Niederlage sehr gefasst, da sie schon damit gerechnet hatte. Es würde wohl noch ein wenig dauern bis sie wieder richtig in Form war.

Alea war ein wirklich nettes Mädchen und passte gut zu ihrem Bruder. Sie war ab und an ein wenig herrisch und hatte den kleinen Besserwisser sehr gut im Griff, wie seine Schwester dann und wann schmunzelnd feststellen musste. Die Beiden begleiteten sie auch zurück nach Blütenburg, von wo aus sie sich wieder auf den Weg machten. Doch sie versprachen, spätestens zum Fest wieder vorbeizukommen.

Drew hatte in der Zeit bereits einen Wettbewerb gewonnen und bereitete sich nun konzentriert auf den Nächsten vor. Er schien fest entschlossen zu sein auch diesen zu gewinnen, damit er es rechtzeitig zum Fest schaffen würde. Allerdings wartete nun wieder Aiden als starker Rivale auf ihn, welcher beim letzten Wettbewerb nicht teilgenommen hatte, um sich und seinen Pokémon eine Pause zu gönnen. Und vor allem auch um mit Kainu Zeit zu verbringen. Es kam öfters vor, dass sie mit allen Dreien gleichzeitig telefonierte und schon bald hatte sie ihre beiden Freunde auch überzeugt, sie während des Festes in Blütenburg zu besuchen.

Harley und Solidad hatten sich zwischenzeitlich auch bei ihr gemeldet und sie zu ihrer Hochzeit im nächsten Sommer eingeladen. Maike hatte den Beiden natürlich alles Gute zu ihrer Verlobung gewünscht und die Einladung gerne angenommen. Sie konnte sich Harley nur schwer als Bräutigam vorstellen, doch Solidad würde sicher eine wunderschöne Braut sein.

Daheim half die junge Frau die meiste Zeit über ihren Eltern. Mal unterstützte sie ihren Vater in der Arena, ein anderes Mal half sie ihrer Mutter im Haushalt. Es gab auf alle Fälle genug zu tun, sodass sie nur selten Langeweile bekam. Und wenn das doch einmal vorkam trainierte sie mit ihren Pokémon.

Einen Tag vor dem Wettbewerb ihrer Freunde telefonierten sie erneut. Wie immer drängten sie sich um Drew, der davon allgemein nicht sehr angetan war.

"Hey Maike", riefen Aiden und Kainu im Chor, und Drew nickte ihr mit einem gequälten Lächeln zu.

"Hallo Leute", antwortete die Koordinatorin lachend. "Lasst dem armen Drew aber noch genug Platz zum Atmen, ja?"

"Ach, der muss nicht atmen", meinte Aiden und klopfte seinem Rivalen auf die Schulter. "Das macht es mir morgen beim Wettbewerb leichter."

Drew grummelte etwas Unverständliches vor sich hin und die beiden Mädchen lachten.

"Ich bin sicher, dass das wieder ein spannender Wettkampf wird. Es ist wirklich schade, dass ich nicht live dabei sein kann um ihn mir anzusehen." Maike zog einen leichten Schmollmund. Ihre Freunde waren dort beisammen und sie hockte in Hoenn. Das störte sie in der Tat ein wenig, auch wenn sie wusste dass diese Auszeit für sie sehr wichtig war.

"Mach dir nichts draus", meinte Kainu, "es ist ja bestimmt nur dieses eine Mal."

Sie nickte. "Ach, und Aiden, nimm es mir bitte nicht übel, aber in diesem Fall darf ich nur Drew die Daumen drücken. Wenn er nicht gewinnt kommt er schließlich nicht zum Fest und ich sehe mein Luxio nicht wieder."

Aiden grinste und streckte sich. "Keine Sorge, das verstehe ich. Drew war ja schon immer sehr übereifrig." Der junge Mann aus Roshan City klopfte seinem Rivalen erneut auf die Schulter, welcher genervt schnaubte. "War ja klar dass er sich keinen Urlaub gönnt, bevor er nicht alle fünf Bänder hat. Ich sehe das nicht ganz so verbissen."

"Tja, und das unterscheidet uns eben voneinander", meinte Drew mit einem Anflug von Arroganz.

Maike lächelte die Beiden an. Das war typisch. Sie freute sich schon sehr darauf, dass sie sie alle bald wiedersehen würde.

"Also dann, Jungs, ich wünsche euch viel Erfolg! Ich erwarte, dass einer von euch beiden gewinnt, sonst gibt's Ärger." Sie zwinkerte den Beiden zu und wandte sich dann an Kainu. "Und dir viel Spaß, Kainu. Ich freue mich wirklich so sehr, dass ihr mich bald besuchen kommt!"

Darin waren sie sich alle einig und kurz darauf beendeten sie ihr Gespräch. Maike reckte sich und legte den Holo Log beiseite. Früher hatte sie ihn sehr selten benutzt, ein bisschen hatte sie ihn auch gehasst, nachdem er ihr in der Maschine der Bewahrer den Dienst verweigert hatte (Max hatte ihr erklärt dass das am Metallgehäuse gelegen haben musste, welches die Signale störte), aber in den letzten Wochen hatte sie ihn ständig in der Hand. Wie schnell sich die Dinge doch ändern konnten.

Sie konnte es kaum erwarten am nächsten Tag den Wettbewerb im Fernsehen zu verfolgen. Als es endlich so weit war, saß sie gemeinsam mit ihrer Mutter im Wohnzimmer und fieberte mit. Caroline war natürlich auch stark dafür dass Drew gewann, und so drückten die beiden Frauen ihm gemeinsam die Daumen.

Es schien zu helfen. Er setzte sich souverän gegen alle Gegner durch, während Aiden leider nicht so in Form war und schnell ausschied. Auch das Finale verfolgten sie im Fernsehen und waren umso begeisterter, als Drew als Gewinner hervorging. Damit stand Maikes Wiedersehen mit ihrem Luxio nichts mehr im Wege! Und auch ihre Freunde würde sie alle bald wiedersehen. Auch wenn es sicher schade für Aiden war, so war für sie persönlich der Ausgang des Ganzen schlichtweg perfekt.
 

Nur eine Woche später holte Maike ihre Freunde in Graphitport City ab. In Blütenburg liefen bereits die Vorbereitungen für das kommende Fest und in wenigen Tagen würde es losgehen. Doch nichts begeisterte sie mehr als das Wiedersehen mit ihrem Luxio. Noch bevor das Schiff überhaupt angekommen war stand sie am Hafen und hibbelte aufgeregt herum. Schließlich legte es an und zwischen all den Menschen entdeckte sie ihre Freunde und ihr Pokémon.

Luxio stieß einen erfreuten Laut aus und rannte auf seine Trainerin zu, um es schließlich voller Begeisterung anzuspringen. Maike fing das Elektropokemon lachend auf und schloss es in ihre Arme.

"Hallo du treulose Tomate", flüsterte sie in die vom Wind zerzauste Mähne ihres Luxios. "Schön, dich endlich wieder zu haben."

Es schnurrte und schmiegte sich an sie, doch Maike wurde schließlich von ihren Freunden abgelenkt. Zuerst fiel Kainu ihr um den Hals, und schließlich Aiden.

"Hallo ihr Beiden, schön dass ihr hier seid!"

"Ja, wir freuen uns auch riesig", stimmte die junge rothaarige Trainerin zu.

Endlich kam auch Drew zwischen den anderen Leuten zum Vorschein und lächelte sie an. Ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen und sie musste sich zusammenreißen, vor lauter Freude nicht gar zu sehr zu strahlen.

Gewohnt selbstbewusst ging ihr Rivale auf sie zu.

"Hey Maike, lange nicht gesehen." Schmunzelnd warf er einen Blick auf Luxio. "Es war nicht mehr zu halten, es hat wohl irgendwie gewusst dass du hier schon warten würdest."

"Tja, nun ist es wieder bei einem wirklich erstklassigen Trainer", meinte die Koordinatorin und streckte ihm die Zunge raus.

"Keine fünf Minuten hat es gedauert und schon ärgern sie sich wieder", stellte Aiden lachend fest.

"Ich sage nur die Wahrheit", behauptete Maike mit gespielter Überzeugung und hakte sich bei Kainu ein. "Nun kommt, ich bringe euch nach Blütenburg. Ihr habt eine lange Reise hinter euch."

Es dauert nicht mehr lang

Auf dem Weg erzählten ihr ihre Freunde, wie es ihnen auf der Reise ergangen war und plauderten über alle möglichen Belanglosigkeiten. Maike genoss das sehr. Mittlerweile ging es ihr schon viel besser, die Zeit mit ihrer Familie hatte ihr wirklich geholfen, dennoch hatten ihr in Blütenburg ihre Freunde sehr gefehlt. Es war einfach ein Unterschied, ob man mit seiner Mutter oder mit seinen Freunden über manche Dinge redete.

Am Haus ihrer Familie angekommen bat sie ihre Freunde hinein. Caroline begrüßte sie sogleich alle herzlich und zeigte ihnen die Zimmer. Der Plan war, dass Kainu mit bei Maike schlief und sich Drew und Aiden das Gästezimmer teilten. Maike war sich zwar sicher, dass Kainu sich lieber mit Aiden einen Raum geteilt hätte, aber dann hätte sie nicht gewusst wohin mit Drew. Doch die rothaarige Trainerin ließ es sich nicht ansatzweise anmerken, falls es sie tatsächlich störte. Auch die beiden Männer schienen mit der Aufteilung zufrieden zu sein.

Nachdem sie alle ausgepackt hatten machten sie es sich zu viert in Maikes Zimmer bequem.

"Also, Leute", begann Maike voller Vorfreude, "in zwei Tagen geht das Fest los! Bis dahin müssen wir uns noch ein bisschen vorbereiten."

"Vorbereiten?" Irritiert sah Aiden sie an. "Worauf denn?"

Kainu lachte und zwickte ihm sanft in die Seite. "Natürlich bist du wieder komplett ahnungslos. Hast du dich denn gar nicht informiert was das für ein Fest ist?"

Verwirrt lächelnd schüttelte der Koordinator seinen Kopf, und auch Drew war anzusehen dass er sich bisher keine Gedanken darum gemacht hatte. Die beiden Frauen sahen sich an und Kainu seufzte. "Das hätte ich mir denken können."

"Das Fest findet zu Ehren der Pokémon statt, welche Blütenburgs Einwohner in alten Zeiten verehrt haben. Wir brauchen also Festgewänder und Masken", fuhr Maike fort.

"Masken?", fragte Aiden mit großen Augen. "Wofür das denn?"

"Sie symbolisieren die Pokemon", erklärte Kainu.

"Stimmt", sprach Maike, "die Masken ähneln den verschiedenen verehrten Pokémon, sehen dabei jedoch meistens etwas abstrakt aus. Mittlerweile kann man sich aber von fast jedem Pokémon eine Maske kaufen, das sehen die Leute hier nach all den Jahren nicht mehr so eng."

Drew warf Maike einen undefinierbaren Blick zu, doch sie wusste sofort was ihm durch den Kopf ging. Er machte sich Sorgen, was so eine riesige Menge an Menschen mit Masken bei ihr auslösen konnte, und ehrlich gesagt war sie selbst auch ein wenig besorgt. Doch sie ließ es sich nicht anmerken und plauderte fröhlich weiter. Sie wollte sich dieses schöne Fest, das sie seit Kindertagen kannte und liebte, nicht durch ihre Erfahrungen mit den Bewahrern verderben lassen.

Am Abend waren schließlich auch Max und Alea in Blütenburg angekommen und Caroline hatte ein tolles Essen für alle gezaubert. Gerade pünktlich kam auch Norman aus seiner Arena.

Höflich begrüßten alle den hiesigen Arenaleiter und schienen ziemlich viel Respekt zu haben. Drew zeigte sich natürlich wie immer von seiner besten Seite und kam gleich mit Maikes Vater ins Gespräch. Die Koordinatorin beobachtete das Ganze beim Essen mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Es war schön zu sehen, dass ihr Vater ihren grünhaarigen Rivalen gleich zu mögen schien. Aber immerhin wusste er ja auch, dass Drew dabei geholfen hatte sie zu retten, dadurch hatte er bei ihm sowieso schon einen Stein im Brett.

Gemeinsam ließen sie den Abend noch mit Tee und ein wenig Plauderei ausklingen, bevor sie sich allesamt hinlegten, um für den nächsten Tag ausgeruht zu sein.
 

Der Morgen begann ziemlich hektisch. Maike hatte wie so oft verschlafen und Kainu weckte sie, als ihre Mutter bereits zum Frühstück rief.

"Verdammt, verdammt, verdammt!", fluchte Maike und machte sich in Windeseile halbwegs fertig. Kainu und die Anderen saßen schon am Tisch, als sie die Treppe heruntergerast kam.

"Entschuldigt, Leute", keuchte sie außer Atem, und ihre Freunde lachten.

"Macht doch nichts", beruhigte Aiden sie, "wir kennen dich doch!"

Gemeinsam aßen sie ihr Frühstück und machten sich auch sogleich auf den Weg in die kleine aber feine Stadt. Im Grunde waren es nur ein paar Straßen mit süßen lokalen Läden, doch in Vorbereitung auf das Fest herrschte dort eine Menge Trubel und viele Händler von Außerhalb hatten ihre Stände aufgebaut, wo sie bereits Masken und Klamotten und alle möglichen Souvenirs verkauften.

Maike blieb ein wenig zurück und beobachtete, wie ihre Freunde begeistert nach Masken und Gewändern suchten. Max und Alea waren auch dabei, und irgendwie fühlte sie sich ein wenig merkwürdig. Sie und Drew waren nun mit zwei Pärchen unterwegs. Aus irgendeinem Grund machte dieser Gedanke sie etwas nervös, und sie konnte sich wirklich nicht erklären warum. Was war schon so schlimm dabei?

Etwas nachdenklich schlenderte sie zu einem anderen Stand und betrachtete die Masken. Es waren wirklich einige wunderschöne dabei, doch keine sprach sie direkt an. Ganz im Gegenteil, so hübsch sie auch anzusehen waren, es widerstrebte ihr sie auch nur zu berühren.

"Junger Herr, wollen Sie ihrer Freundin nicht eine dieser hochwertigen Masken schenken?", fragte der Verkäufer und Maike drehte sich irritiert um, um zu sehen wen der Verkäufer ansprach. Dort stand Drew hinter ihr - natürlich, wie konnte es auch anders sein. Mit hochrotem Kopf drehte sie sich wieder zu dem Verkäufer, doch dieser redete schon weiter bevor sie protestieren konnte.

"Diese Flamara-Maske zum Beispiel würde ihr sehr gut stehen, meinen Sie nicht? Junge Dame, probieren Sie sie ruhig! Und Ihnen würde diese Arkani-Maske bestens zu Gesicht stehen, eine perfekte Kombination für ein junges Paar!"

Maike war sich nicht sicher, ob sie noch in der Lage war einen sinnvollen Satz hervorzubringen und stammelte völlig überfordert vor sich hin. "Aber... Das ist nicht... Wir sind nicht..."

Das war so typisch, das konnte ja wieder einmal nur ihr passieren! Während die Gedanken sich in ihrem Kopf überschlugen spürte sie plötzlich, wie Drews Schulter leicht die ihre streifte als er sich vorbeugte und lächelnd nach der Arkani-Maske griff. Sie hielt die Luft an und beobachtete mit großen Augen, wie er fröhlich die Maske aufprobierte und sie fragend ansah.

"Na was meinst du, passt die zu mir?", fragte er seine Rivalin gelassen.

Wie schaffte er es bloß immer, in derartigen Situationen so unglaublich ruhig zu bleiben, während sie hier einen halben Herzinfarkt bekam? Das war schon wirklich unfair!

Resigniert kam sie sogleich auf den Gedanken, dass es möglicherweise einfach daran lag, dass es ihm schlichtweg wirklich nichts ausmachte. Wenn er nicht in sie verliebt war gab es auch keinen Grund für ihn, warum ihm das peinlich sein musste.

Diese Erkenntnis dämpfte ihre eigene Aufregung sogleich und sie betrachtete ihren Rivalen, sich ein trauriges Lächeln verkneifend.

"Sie steht dir ziemlich gut", brachte sie schließlich heraus, nachdem sie noch einmal tief Luft geholt hatte. Und es stimmte, das Rot der Maske gab einen interessanten Kontrast zu Drews grünen Haaren.

Maike war gerade drauf und dran sich umzudrehen und diese unangenehme Situation einfach hinter sich zu lassen, doch Drew kam ihr zuvor und griff nach der Flamara-Maske.

"Möchtest du sie probieren?", fragte er und wollte sie ihr reichen, doch sie wich unwillkürlich ein paar Zentimeter zurück.

Der grünhaarige Koordinator hielt mitten in der Bewegung inne. Es war offensichtlich dass ihr das zu viel war, also legte er die Maske wieder zurück, ebenso wie seine eigene.

"Tut mir Leid", sagte er lächelnd zu dem Verkäufer. "Für uns ist nichts dabei. Einen schönen Tag Ihnen noch!"

Der Verkäufer verabschiedete sich und war auch schon mit den nächsten potenziellen Kunden beschäftigt. Mit einem Nicken bedeutete Drew seiner Rivalin, ihm zu folgen, und schlenderte langsam wieder in Richtung der Anderen. Resigniert ließ sie den Kopf hängen, während sie hinter ihm hertrottete. Sie hatte nicht erwartet, dass die Sache mit den Masken tatsächlich so schwer für sie sein würde. Verärgert fasste sie den Entschluss, dass sie das nächste Mal mutiger sein würde. Schließlich hatte sie sich so fest vorgenommen, sich dieses Fest nicht verderben zu lassen.

Drew blieb plötzlich stehen und Maike machte verwundert neben ihm Halt. Er sah herab zu ihr und musterte sie aufmerksam.

"Ist alles in Ordnung?", fragte er und in seinen Augen lag aufrichtige Besorgnis.

"Ach, na klar", winkte sie nervös lachend ab. "Ich war nur irgendwie etwas..." Sie rang nach dem richtigen Wort, doch es wollte ihr nicht einfallen.

"Erschrocken?", versuchte er ihr zu helfen.

"Ja", sprach sie leise, "so kann man es vielleicht ausdrücken."

Sanft legte er ihr eine Hand auf die Schulter.

"Es tut mir Leid. Ich hätte es mir denken müssen."

Energisch schüttelte die junge Frau den Kopf und sah ihn mit großen Augen an. "Ach was, das war doch nicht deine Schuld!" Das Letzte was sie jetzt wollte war, dass Drew sich die Schuld daran gab oder sich unnötige Sorgen machte. Also setzte sie ihr strahlendstes Lächeln auf.

"Es war einfach nicht die Richtige dabei. Komm, lass uns weitersuchen!"

Sie griff nach seiner Hand und zog ihn hinter sich her, ohne weiter darüber nachzudenken. Sie wollte sich selbst und auch ihm beweisen dass sie das hinkriegen würde. Sie wollte, dass sie alle eine schöne Zeit zusammen hatten, ohne dass irgendetwas seinen langen Schatten über sie warf.

Drew ließ sich einfach von ihr mitziehen und während sie von Stand zu Stand gingen fiel sein Blick immer wieder auf ihre Hand, die die seine fest umschlossen hielt. Die ganze Zeit spielte er mit dem Gedanken, diese Berührung zu erwidern, statt sich einfach nur mitziehen zu lassen, doch er fürchtete dass sie es dann realisieren und ihn sofort loslassen würde. Im Moment schien sie bloß von ihrer eigenen Sturheit und Entschlossenheit beflügelt und machte sich keinerlei Gedanken über diese Nähe, die sie damit schaffte. Also riss er sich zusammen, in der Hoffnung, dass er das noch eine Weile würde genießen können.

Zu seinem Bedauern ließ sie ihn am nächsten Stand schon los und griff mit beiden Händen vorsichtig nach einer blauen, fein ausgearbeiteten Maske. Gelbe, fast golden wirkende Verschnörkelungen und rote Edelsteine (selbstverständlich nicht echt) verzierten die filigrane Maske und riefen unwillkürlich Erinnerungen in der Trainerin wach.

"Oh, eine sehr gute Wahl! Diese Maske ist dem legendären Pokémon Manaphy nachempfunden. Probieren Sie sie auf!" Die etwas beleibtere Verkäuferin strahlte Maike an und sie gab sich einen Ruck. Zaghaft lächelnd drehte sie sich zu Drew um, nachdem sie die Maske aufgesetzt hatte.

"Na, was sagst du?"

Er sah sie einen Moment lang an und hob vorsichtig die Hand, um ihr eine braune Strähne aus dem Gesicht zu streichen.

"Du bist wunderschön", sagte er frei heraus und sie errötete.

"D...Danke!" Verlegen nahm die Koordinatorin die Maske wieder ab und wollte sie der Verkäuferin reichen, doch bevor es so weit war hielt Drew sie zurück.

"Lass mich das machen", meinte er und nahm ihr die Maske aus der Hand. Irritiert blickte sie ihn an.

"Ach Quatsch, warum das denn?"

"Naja, ich bin dir was schuldig. Wir dürfen schließlich allesamt bei dir Zuhause übernachten und mitessen - da ist das doch gar nichts."

"Du bist mir gar nichts schuldig", meinte sie lachend. "Ich wollte euch doch hier haben! Da ist es wohl selbstverständlich dass ihr bei uns unterkommt."

Er zwinkerte ihr zu. "Widerstand ist zwecklos, ich bezahle die Maske."

Es war Maike etwas unangenehm, doch schließlich nickte sie lächelnd. "Nagut, du lässt ja sowieso nicht mit dir reden. Danke, Drew!" Dann fiel ihr Blick auf eine andere Maske und sie reichte sie ihm. "Hier, probier diese mal auf!"

Es war eine schwarze Maske mit roten Verzierungen.

Überrascht sah der Koordinator seine Rivalin an. "Habe ich dir jemals erzählt, dass ich ein Zorua habe?", fragte er sie mit hochgezogener Augenbraue.

Nun war es an ihr, erstaunt zu sein. "Was? Nein, noch nicht!" Dann lachte sie begeistert. "Na, das nenne ich mal weibliche Intuition! Los jetzt, probier sie auf!"

Die Maske war ganz offensichtlich an ein Zoroark angelehnt und passte hervorragend zu Drew. Sie verlieh ihm etwas geheimnisvolles, fast schon düsteres, und Maike war hin und weg.

Drew lachte ob ihrer riesigen Begeisterung. "Okay, ich habe verstanden, die werde ich wohl nehmen."

Also reichte er der Verkäuferin die beiden Masken und bezahlte sie. Glücklich hakte sich Maike bei ihrem Rivalen ein und gemeinsam schlenderten sie weiter. Sie war ein wenig stolz, dass sie sich tatsächlich dazu überwunden hatte die Masken zu berühren und sogar aufzusetzen, und das Ganze hatte ihre Laune immens gehoben. Dazu noch das Kompliment von Drew, das hatte ihr definitiv den Tag versüßt. Die Sorgen von vorher waren wie verschwunden.

Mit einem warmen Lächeln auf den Lippen sah Drew zu der Koordinatorin herunter. Das Ganze lief überraschend gut, auch wenn sie offensichtlich noch mit den Erinnerungen an die Bewahrer zu kämpfen hatte. Doch wer konnte ihr das schon verübeln? Auf alle Fälle war er richtig froh sie jetzt wieder so glücklich und aufgeweckt zu sehen.

"Maike, Drew, da seid ihr ja!", erklang es von hinten und die beiden erblickten Kainu.

"Wir haben euch schon gesucht", sagte die junge Frau und grinste, als sie sah dass Maike sich bei ihrem Rivalen eingehakt hatte. Die Koordinatorin errötete und zog ihren Arm weg, um nervös an der Tüte mit den beiden Masken zu spielen.

"Entschuldige", sagte sie lächelnd, "wir haben aber zwei Masken gefunden. Seid ihr auch schon fündig geworden?"

Kainu nickte eifrig. "Ja, nur Max sucht noch eine. Kommt mit, Alea und ich haben einen Stand mit tollen Gewändern gefunden!"

Die beiden liefen hinter der rothaarigen Trainerin her und bald darauf waren sie wieder bei den Anderen.

"Ich hab eine gefunden", sagte Max triumphierend und wedelte mit einer silbrig glänzenden Maske herum.

Maike lachte. "Eine Magneton-Maske, sowas in die Richtung hätte ich mir denken können."

Ihr Bruder grinste sie an und gemeinsam machten die sechs Freunde sich daran, Gewänder auszusuchen.

Das machte natürlich den Frauen am meisten Spaß und die Männer hielten sich größtenteils zurück. Während Max, Drew und Aiden sehr schnell ihre Gewänder gefunden hatten, so zog es sich bei Maike, Alea und Kainu noch etwas hin.

Schließlich hatten sie aber alle etwas gefunden was ihnen gefiel und mit vollen Einkaufstaschen machten sie sich auf den Weg zurück.

Die restliche Zeit bis zum Fest war eher unspektakulär, sie gingen mal allesamt in die Stadt und etwas essen, verbrachten aber auch viel Zeit bei Maikes Eltern im Haus und im Garten. Max und Alea waren auch öfters allein unterwegs, und den Abend vor dem Fest taten es ihnen Kainu und Aiden gleich. Als ihre Mutter noch zu Norman in die Arena ging waren Drew und Maike die Einzigen, die noch im Haus waren.

Maike hatte gerade ihr Festgewand anprobiert und die Manaphy-Maske aufgesetzt und drehte sich prüfend vor dem Spiegel, als es an ihre Zimmertür klopfte.

"Komm rein", sagte sie, wissend, dass es nur Drew sein konnte.

Der grünhaarige Koordinator öffnete die Tür und blieb wie vom Donner gerührt stehen, als er sie sah.

Sie lächelte verlegen. "Was denn, sehe ich so schlimm aus?", fragte sie und sah noch einmal auf ihr Spiegelbild.

"Aber nein!", versicherte Drew ihr hastig. "Ganz im Gegenteil."

Sie grinste ihn an und nahm die Maske ab. "Dein Glück, jede andere Antwort hätte ich nicht akzeptiert!" Natürlich war sie nicht halb so selbstsicher wie sie den Anschein erwecken wollte, doch das musste er ja nicht wissen.

Sie setzte sich auf ihr Bett und er nahm gegenüber auf ihrem Schreibtischstuhl Platz.

"Freust du dich schon auf morgen?", fragte er sie und lächelte dabei gewohnt einnehmend.

"Ja, auf jeden Fall! Ich bin wirklich froh dass ihr hier seid. Ich hatte lange nicht mehr so viel Spaß."

Der grünhaarige Koordinator nickte zufrieden. "Das ist alles, was zählt."

Luxio hatte bis eben auf einem kleinen Sitzkissen geschlafen, stand nun gähnend auf, streckte sich und trottete verschlafen blinzelnd zu Drew. Dort hüpfte es auf seinen Schoß, machte es sich bequem und schlief innerhalb weniger Sekunden erneut ein.

"Luxio liebt dich mehr als mich", meinte Maike scherzhaft, und Drew schüttelte den Kopf.

"Da wäre es ganz schön dumm, und das ist es nicht."

Maike sah ihn verwundert an. "Pass bloß auf", sagte sie mit einem Schmunzeln, "ich gewöhne mich noch daran dass du so nett zu mir bist!"

Er lachte. "Wär doch gar nicht so tragisch, oder etwa doch?"

"Nein", entgegnete sie leise. "Nein, natürlich nicht." Dann legte sie den Kopf schief. "Aber ungewohnt, und ich glaube ich würde deine Sprüche fast schon vermissen."

"Ich kann ja versuchen beides zu sein", schlug er vor und sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Beides? Nett und ein Idiot?"

"Na wenn du es so ausdrücken möchtest", meinte er lachend und sie stimmte ein.

"Ich hoffe du nimmst bald wieder an Wettbewerben teil", wechselte der Koordinator das Thema.

"Ja", entgegnete sie nachdenklich, "ich denke schon. Ich habe mich lange genug erholt. Es wird Zeit, wieder loszuziehen."

"Das höre ich gerne", meinte er mit aufrichtiger Freude in der Stimme. "Auch wenn du nur eine zweitklassige Koordinatorin bist, es hat trotzdem immer Spaß gemacht gegen dich zu gewinnen." Er zwinkerte ihr zu und sie schnappte betont übertrieben nach Luft.

"Du bist ganz schön gemein! Tschüss netter Drew, hallo Idiot."

Sie unterhielten sich beide noch eine Weile, bis Drew schließlich wieder ins Gästezimmer ging und sich schlafen legte. Auch Maike legte sich schon hin und bekam gar nicht mehr mit, wann Kainu in ihr Zimmer kam.

Das Fest beginnt

Am späten Nachmittag des nächsten Tages machten sich die Freunde gemeinsam auf den Weg zum Fest. Auf dem kleinen Marktplatz waren einige Sachen aufgebaut worden, man konnte dort Lose ziehen, Dosen werfen, Kettenkarussell fahren und natürlich gab es auch viele Stände mit haufenweise leckeren Sachen.

Maike fühlte sich zu Beginn etwas mulmig zwischen all den maskierten Menschen, doch sie schob dieses Gefühl verbissen beiseite und konzentrierte sich auf ihre Freunde. Alea hatte eine hübsche Suicune-Maske auf, die bei ihren hellblonden langen Haaren richtig toll wirkte, und Kainu hatte sich eine Blubella-Maske ausgesucht. Aidens Wahl war auf eine Fuegro-Maske gefallen, die er selbst ziemlich cool fand. Bei seiner Freundin hingegen stieß sie auf wenig Begeisterung.

Die kleine Gruppe hatte eine Menge Spaß und die Zeit verging wie im Fluge. Die Sonne verschwand bald hinter dem Horizont und überall um sie herum leuchteten die Stände in bunten Lichtern. Es würde nicht mehr lange dauern, bis das Feuerwerk losgehen würde.

"Ich hole mir noch ein paar Schokoladen-Beeren", sagte Maike fröhlich und kämpfte sich durch die Menschen bis zu dem Stand. Sie hatte kaum bezahlt, da ging das Feuerwerk los und bewundernd blickte sie in den Himmel. Doch sie wollte es gerne mit ihren Freunden erleben und machte sich daran, zu ihnen zurückzufinden.

Von einem Moment auf den anderen bekam sie Angst. Zuerst nur ganz leicht, über sich das laute Feuerwerk, das alle anderen Geräusche verschluckte, und um sie herum all die Menschen mit ihren Masken. Unvermittelt wurde die Angst schlimmer. Panisch sah sie sich um, konnte aber die Masken ihrer Freunde in dem Getümmel nicht gleich entdecken. Hier und da erhaschte sie einen Blick auf ein paar weiße Masken. Alola-Vulpix-Masken, Coiffwaff- und Togetic-Masken. Und da - war das eine Firnontor-Maske?

Die Schokoladen-Beeren glitten ihr aus der Hand und sie drehte sich schlagartig um, versuchte sich panisch einen Weg aus der Masse zu bahnen. Ohne Rücksicht auf die Leute zu nehmen, mit denen sie zusammenstieß, kämpfte sie sich weiter, bis sie es schließlich schaffte und am Rand der Menschenmenge angekommen war. Sie lief noch ein paar Meter weiter bis zu einer kleinen Gasse, wo niemand zu sehen war, lehnte sich an die Hauswand und ließ sich schließlich mit klopfendem Herzen und weit aufgerissenen Augen zu Boden sinken. Ihre Beine machten einfach nicht mehr mit. Trotzdem suchten ihre Augen unruhig die Umgebung ab, fast schon als erwarte sie dass gleich einer von den Bewahrern vorbei kommen und sie schnappen würde.

In ihrer Panik versuchte sie ein paar vernünftige klare Gedanken zu fassen. Wie sinnlos das war, wie abwegig und wie paranoid, doch die Gedanken wollten nicht bleiben, waren nicht richtig greifbar.

Zitternd saß sie in der kleinen Gasse und wartete darauf, dass der Lärm des Feuerwerks aufhörte. Vielleicht könnte sie dann wieder klar denken.

Aus dem Augenwinkel nahm sie verschwommen eine maskierte Gestalt wahr welche auf sie zukam und zuckte zusammen. Mit wild pochendem Herzen stand sie auf und wollte weglaufen, stolperte jedoch, denn ihre Beine gehorchten ihr noch nicht wieder richtig. Mittlerweile hatte sie alle Geräusche um sich ausgeblendet und hörte nur noch ihren eigenen Herzschlag. Dann spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter, zuckte erneut zusammen und wimmerte. Instinktiv kauerte sie sich zusammen und schlug die Hände über ihrem Hinterkopf zusammen, um sich vor eventuellen Schlägen oder Tritten zu schützen.

Nach ein paar Sekunden realisierte sie, dass niemand ihr wehtat, niemand an ihr zerrte oder sie wegbringen würde, und langsam drangen wieder Umgebungsgeräusche bis zu ihr heran.

"... ist alles gut, beruhige dich, ich bin's doch bloß", hörte sie wie aus weiter Ferne eine Stimme. Vorsichtig wagte sie es, den Kopf ein wenig zu drehen um einen Blick auf die Person zu erhaschen, die mit ihr zu sprechen schien.

Es dauerte ein paar Sekunden bis das Bild klar wurde und auch wirklich bei ihr ankam, doch dann erkannte sie ihn endlich. Er hatte seine Maske abgenommen, und sein besorgtes Gesicht war von unverkennbaren grünen Haaren eingerahmt.

"T...t...tut mir Leid", stotterte sie mit erstickter Stimme. "Ich... Ich habe gedacht..." Sie brach ab und schluchzte. Nebenbei nahm sie wahr, dass das Feuerwerk vorbei war, doch zu ihrer Erleichterung konnte sie sonst niemanden hier entdecken. Die Anderen schienen von dieser ganzen Sache nichts mitbekommen zu haben - zum Glück. Ganz langsam wich ihre Panik und machte nun einem anderen unschönen Gefühl Platz. Es war ihr furchtbar peinlich, dass Drew sie so völlig außer sich erlebte. Das war ihr noch nie passiert, warum musste ausgerechnet er das mitkriegen?

"Hey, es ist alles in Ordnung", murmelte ihr Rivale und half ihr, sich aufzurappeln. Prüfend betrachtete er sie, ob sie sich irgendwo verletzt hatte, doch bis auf ein paar Schrammen und ihr verweintes Gesicht war sie in Ordnung. Ihr Festgewand war allerdings dreckig vom Staub in der Gasse und auch an ein paar Stellen kaputt. Aber das war nebensächlich. Er seufzte und sah, dass sie seinem Blick auswich.

"Ach Maike, du machst mir vielleicht Sorgen", sprach er und sie senkte den Kopf.

"Tut mir sehr Leid", murmelte sie und er schüttelte den Kopf.

"Blödsinn. Mir tut es Leid. Ich hätte dich gar nicht erst allein lassen sollen, auch nicht für ein paar Sekunden..." Er brach ab und seufzte erneut, dann legte er seine Arme um sie und drückte sie an sich. "Ich hätte wissen müssen dass das zu viel des Guten ist", flüsterte er in ihre Haare und sie konnte förmlich hören, dass er sich selbst Vorwürfe machte. Das war ihrer Meinung nach völliger Blödsinn, aber sie schwieg und genoss die Nähe, die Wärme, das Gefühl der Geborgenheit und seinen beruhigenden Herzschlag, während sie den Kopf an seine Brust lehnte.

Nun hatte sie ihm den Abend versaut. Sie hatte sich doch so fest vorgenommen heute Spaß zu haben, und war auch überzeugt gewesen dass ihr das gelingen würde. Mit so einer heftigen Reaktion hatte sie selbst nicht gerechnet.

Nach einer Weile hatte sich ihr Zittern etwas gelegt und er löste seine Umarmung, um sie erneut anzusehen.

"Geht es dir besser?", fragte er und blickte sie aufmerksam an. Sie nickte stumm und rang sich ein halbherziges Lächeln ab.

"Sehr gut. Soll ich dich nach Hause bringen oder möchtest du noch mal zu den Anderen?"

Sie schüttelte energisch den Kopf. "Nein, nicht... Ich will nicht dass sie mich so sehen... Es reicht, dass ich dir den Abend verdorben habe."

Wieder senkte sie den Kopf und mied seinen Blick. Sanft fasste er sie unter dem Kinn und zwang sie so, ihm in die Augen zu schauen.

"Keiner meiner Abende könnte jemals verdorben sein, wenn du dabei bist", sagte er mit Nachdruck. Sein Blick wirkte liebevoll, doch den Gedanken schlug sie sich sofort wieder aus dem Kopf. Sie wusste gar nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte und errötete.

Schließlich schaute sich der grünhaarige Koordinator um. "Ich kann sie gerade nicht entdecken. Dann sollten wir uns gleich auf den Weg machen, bevor sie uns suchen. Ich rufe später an und lass mir eine Entschuldigung einfallen." Er sagte das mehr zu sich selbst, doch sie nickte zustimmend. Als er sich wieder zu ihr umdrehte hielt er ihr seine Hand entgegen.

Irritiert betrachtete die Koordinatorin sie und sah ihn dann fragend an.

"Komm, ich bring dich nach Hause", sagte er mit einem warmen Lächeln. "Vertrau mir."

Sie war sich noch einen kurzen Augenblick unschlüssig, doch dann blickte sie ihn voller Dankbarkeit an und nahm seine Hand.

In den Straßen war es ruhig, fast alle Leute waren beim Fest und die wenigen, denen sie begegneten, schenkten ihnen keinerlei Beachtung. Nach einer Weile waren sie am Haus angekommen. Dort war alles dunkel und still, denn auch Maikes Eltern waren beim Fest.

Die junge Frau kramte mit zittrigen Händen den Schlüssel aus ihrer Tasche, doch Drew nahm ihn ihr wie selbstverständlich ab. Das war auch gut so, so wie sie zitterte hätte es wahrscheinlich ewig gedauert, bis sie den Schlüssel im Schloss gehabt hätte.

Drew schaltete das Licht im Flur an und Maike blickte an sich herab. Ihr Festgewand war wirklich völlig hinüber. Sehr ärgerlich. Sie streifte die Schuhe ab und legte ihre Tasche beiseite, dann sah sie ihren Rivalen an.

"Danke", flüsterte sie. "Wer weiß was ich ohne dich gemacht hätte."

"Ist doch selbstverständlich", winkte er ab.

"Woher hast du eigentlich gewusst...?" Sie sprach die Frage nicht aus. Sie wollte ihren Zusammenbruch nicht in Worte fassen.

"Ich hatte mir schon ein wenig Sorgen gemacht, als du allein zu dem Stand bist. Also bin ich kurz darauf hinterher und als du dort nicht mehr warst habe ich dich gesucht. Ich habe wohl irgendwie geahnt, dass dir das zu viel sein würde."

Sie seufzte, und wieder bekam sie fürchterliche Gewissensbisse.

"Du kannst natürlich wieder zurück", begann sie. "Du musst meinetwegen nicht hier bleiben. Macht euch noch einen schönen Abend, und ich rufe gleich einfach Max an und sage dass mir schlecht war und-"

"Nein, Maike", unterbrach er sie ernst. "Ich lasse dich jetzt nicht alleine." Dann zuckte er mit den Schultern. "Außerdem war ich eh noch nie der Typ für irgendwelche Feste." Er grinste und sie erwiderte es zaghaft.

"Ehrlich nicht?", fragte sie.

"Ehrlich nicht."

"Danke."

Er nickte bloß als sei alles ganz selbstverständlich und streckte sich dann.

"So, ich schlage vor du ziehst dich um, oder gehst duschen, oder was auch immer du möchtest. Ich bin hier unten und passe auf, und rufe dann fix Max an."

"Und was sagst du ihm?", fragte sie zweifelnd.

"Keine Ahnung", gab ihr Rivale zu und zuckte mit den Schultern. "Da fällt mir schon etwas ein. Ich kann deinen Vorschlag ja aufgreifen und sagen dass dir schlecht war. Oder dass du umgeknickt bist und dir den Knöchel verstaucht hast. Ach nein, schlechte Idee, dann müsstest du die nächsten Tage noch humpeln."

Sie lachte zaghaft. "Stimmt, wirklich eine schlechte Idee. Nagut, dann überlasse ich das dir. Danke."

Er nickte lächelnd und sie ging nach oben.

In ihrem Zimmer streifte sie erst einmal ihr kaputtes dreckiges Gewand ab und betrachtete ihre Schrammen und Kratzer. Die müsste sie in den nächsten Tagen irgendwie verstecken, soweit das möglich war.

Anschließend ging sie ins Bad und stieg in die Dusche. Das heiße Wasser spülte den Staub der Gasse aus ihren Haaren und zeitgleich auch alle Gedanken aus ihrem Kopf. Ein paar Minuten genoss sie das Gefühl, doch sie wollte Drew nicht gar zu lange allein unten sitzen lassen. Also trocknete sie sich ab, wickelte das Handtuch um ihre Haare, schlüpfte in ihr Zimmer um sich ein Nachthemd drüberzuziehen und das Festgewand in ihren Kleiderschrank zu werfen, damit Kainu es nachher nicht sah und sich wunderte. Schnell föhnte sie sich noch ein wenig die Haare, damit sie zumindest nicht mehr gar zu nass waren, und ging dann wieder hinunter zu Drew, welcher es sich auf der Couch bequem gemacht hatte.

"Ja, ihr war wirklich übel von den Schoko-Beeren", hörte sie ihn sagen und hielt inne, damit sie das Gespräch nicht unterbrach.

"Ohje, alles klar, da wissen wir Bescheid. Und ihr kommt zurecht? Sollen wir wirklich nicht heim kommen?"

Das war Max' Stimme und Maike konnte ganz klar aus ihr heraushören, dass er an der Story zweifelte. Doch er vertraute Drew und würde es nicht in Frage stellen, zumindest vorerst.

"Keine Sorge, wir kommen zurecht. Ihr tut ihr den größten Gefallen wenn ihr noch bleibt und Spaß habt."

Max gab ein Geräusch der Zustimmung von sich. "Nagut. Dann sehen wir uns später oder morgen, falls ihr nachher schon schlaft."

"Richtig. Viel Spaß und bis später!"

Damit war das Gespräch beendet und Maike hörte, wie Drew den Holo Log auf den Tisch legte.

Sie ging die letzten paar Treppenstufen hinunter und schaute um die Ecke. Drew sah sie schon grinsend an.

"Na, hast du spioniert?", fragte er scherzhaft und sie wurde rot.

"Ach Blödsinn!", protestierte sie und lief zu ihm. "Ich wollte bloß euer Gespräch nicht stören!"

Zu ihrer Überraschung beobachtete sie wie er nun leicht rot wurde und den Blick verlegen abwandte. Sie schmunzelte. Es war doch bloß ein ganz normales Nachthemd, das sie anhatte, doch es schien ihm nicht ganz einerlei zu sein.

Mit einem Seufzer ließ sie sich neben ihm auf die Couch fallen. Nach der heißen Dusche fühlte sie sich wie ein neuer Mensch. Der Zusammenbruch von vorhin nagte zwar noch an ihr, aber sie zitterte nicht mehr und fühlte sich wieder wohl und sicher. Das hatte sie nicht zuletzt Drew zu verdanken.

Der Koordinator räusperte sich und drehte sich wieder zu ihr, penibel darauf bedacht, ihr ausschließlich ins Gesicht zu schauen.

"Wie geht es dir?", fragte er.

Sie lächelte glücklich. "Viel, viel besser! So eine heiße Dusche wirkt manchmal echt Wunder."

Er nickte zufrieden und betrachtete dann kritisch ihre Haare. "Die sind ja noch nass. Nicht dass du dich erkältest."

"Du meine Güte, Drew, und mich als Übermutter darstellen", lachte Maike und ihr Rivale wurde erneut leicht rot.

"Da macht man sich einmal Sorgen und das ist der Dank", murmelte er leicht eingeschnappt und strich sich eine grüne Strähne aus dem Gesicht.

Sie streckte ihm die Zunge raus. "Du solltest doch langsam wissen, dass du mich nicht immer so ernst nehmen musst."

Er sah sie erst noch mit hochgezogenen Augenbrauen an, grinste schließlich aber und nickte. "Natürlich. Genauso wenig wie du mich."

"Außerdem", begann sie, "sind sie doch gar nicht mehr so nass." Um das zu unterstreichen schüttelte sie ihre Haare und Drew hielt sich schützend die Hände vors Gesicht. Er lachte erschrocken.

"Das fühlt sich aber mehr wie ein Regenschauer an", protestierte er und versuchte, sie festzuhalten.

Die Beiden kampelten kurz lachend und ehe sich Maike versah lag sie nach Luft schnappend auf der Couch, Drew über ihr.

"Das ist so unfair, du bist viel stärker als ich!", beschwerte sie sich und machte einen auf beleidigt. Drew grinste sie bloß triumphierend an.

"Das hast du halt davon, wenn du dich mit dem Falschen anlegst!", stellte er fest, doch plötzlich hielt er inne und blickte sie mit großen Augen an.

Auch Maike wurde jetzt bewusst, in was für einer Situation sie sich befanden und ihr Herz setzte einen Takt aus.

Sie erwiderte seinen Blick und ein paar Sekunden sahen sie sich einfach nur an.

In Drews Kopf arbeitete es auf Hochtouren. Das war die perfekte Gelegenheit ihr zu zeigen, was er empfand. Andererseits war es noch gar nicht so lang her, dass er sie mitten in einer Panikattacke in dieser Gasse gefunden hatte. Was, wenn das der völlig falsche Augenblick war? Wenn ihr das wieder zu viel wurde und sie ihn von sich stieß... Aber das könnte ja auch so passieren. Es war ja gar nicht so sicher, dass sie seine Gefühle erwiderte. Nun schlug auch sein Herz ihm bis zum Hals.

Maike machte sich unterdessen ähnliche Gedanken. War das gerade einfach nur ein blöder Zufall und sah er sie vielleicht nur so an, weil er erschrocken war und das alles gar nicht wollte? Er hatte sie eben in einem fürchterlichen Zustand gesehen. In so ein Mädchen konnte doch keiner verliebt sein, nicht wahr?

Die Sekunden verstrichen quälend langsam und keiner der Beiden wagte es, etwas zu sagen oder zu tun. Doch schließlich fasste sich Drew ein Herz.

"Maike, ich..." Er brach ab und presste die Lippen zusammen.

"Was ist denn?", fragte sie leise, zögerlich, mit bebender Stimme.

Er setzte erneut dazu an etwas zu sagen, doch entschied sich dann dagegen. Stattdessen beugte er sich vorsichtig zu ihr herunter, abwägend, wie sie darauf reagierte, kam ihrem Gesicht mit dem seinen immer näher. Zuerst sah sie ihn noch mit weit aufgerissenen Augen an und er hatte kurzzeitig mit dem Gedanken gespielt, sich zurückzuziehen, doch als sie dann die Augen schloss verflogen seine Zweifel. Sein Herz hämmerte in seiner Brust und nur noch wenige Millimeter trennten seine Lippen von ihren.

Plötzlich vernahmen Beide, wie sich ein Schlüssel im Schloss der Haustür drehte und alles zerstörte. Erschrocken fuhr Maike auf und die Beiden stießen mit dem Kopf aneinander, doch hatten sie keine Zeit sich um die Schmerzen zu kümmern. Hastig setzten sie sich wie zwei brave Teenager auf die Couch, mit einem manierlichen Abstand zwischen sich, und blickten angespannt in Richtung Eingang. Norman und Caroline betraten gerade lachend das Haus und hielten inne, als sie ihre Tochter und Drew wie versteinert auf der Couch sitzen sahen. Norman brummelte irgendetwas Unverständliches und ging weiter, während Carolines Blick aufmerksam zwischen Drew und Maike hin und her wanderte. Dann schlich sich ein Grinsen auf ihr Gesicht und sie legte den Kopf schief.

"Hallo Tochter", begrüßte sie die Koordinatorin fröhlich, "Ich dachte ihr seid noch beim Fest?"

"Äh, nein, mir war... Übel. Deswegen sind wir schon zu Hause."

Ihre Mutter sah sie belustigt an und erntete dafür einen vernichtenden Blick von ihrer Tochter.

"Du Arme, soll ich dir einen Tee machen?", fragte sie gespielt besorgt.

"Nein danke", sprach Maike gereizt. "Lieb von dir, aber ich bin jetzt schon ein großes Mädchen, ich komme schon klar."

"Natürlich bist du das. Und im Notfall ist ja Drew bei dir." Sie zwinkerte ihr zu und Maike schloss mit einem genervten Seufzer die Augen. Das war nun schon das zweite peinliche Erlebnis an einem Abend und sie betete inständig, dass es einfach nur schnell vorbei sein würde.

"Also dann", trällerte Caroline, "wir wollten eigentlich nur schnell etwas holen. Viel Spaß euch noch!"

In dem Moment kam Norman zurück - offensichtlich hatten sie noch etwas Geld gebraucht -, warf Drew noch einen strengen Blick zu und verließ anschließend mit Caroline wieder das Haus.

Ein paar Sekunden herrschte peinliches Schweigen und Maike befürchtete schon, dass für Drew der Abend endgültig gelaufen war. Doch zu ihrer Überraschung prustete er unvermittelt los und brach dann in schallendes Gelächter aus. Einen Moment sah sie ihn noch verwirrt an, kam dann aber nicht umhin, mit in sein Lachen einzustimmen.

"Das ist ja der mit Abstand schlimmste Abend den ich je erlebt habe", sagte er mit Tränen in den Augen.

Maike boxte ihn beleidigt gegen die Schulter, nur um gleich wieder zu kichern. "Wenn ich ehrlich sein muss hast du wahrscheinlich recht."

Sie amüsierten sich noch etwas über die Blicke von Maikes Eltern, bis sie sich irgendwann beide wieder beruhigt hatten.

Der Moment von vorhin war auf alle Fälle unwiderruflich zerstört und keiner von Beiden traute sich so wirklich, darüber zu sprechen.

Drew beugte sich zu Maike und besah sich ihre Stirn. "Das gibt eine ordentliche Beule", stellte er trocken fest und sie grinste.

"Ja, aber nicht nur bei mir", meinte sie amüsiert und tippte auf die Stelle auf seiner Stirn, wo sie gegeneinander gestoßen waren.

"Au, hey!", beschwerte er sich und wich zurück, lächelte dann aber.

"Mir wäre es lieber wenn du keine Beule hättest", überlegte er laut. "So wie dein Vater mich eben angeschaut hat bringt er mich um, wenn morgen irgendetwas komisch ist an dir." Dann legte er den Kopf schief. "Und so ein Horn wie bei einem Galoppa könnte man durchaus als komisch bezeichnen."

"Idiot!", schimpfte sie lachend und warf ein Kissen nach ihm.

Sie unterhielten sich noch eine Weile über dieses und jenes, doch irgendwann übermannte Maike die Müdigkeit. Die Ereignisse des Abends hatten sie sehr erschöpft und daher beschloss sie, sich zeitnah hinzulegen. Zumindest war das ihr Plan gewesen. Allerdings wollte sie auch noch etwas mit Drew plaudern und am Ende ließ sie einfach ihren Kopf an Drews Schulter sinken und schlief ein, während er gerade etwas erzählte.

Schmunzelnd sah er die junge Frau an und lauschte ihrem ruhigen Atem. Die Ruhe hatte sie sich verdient. Nach einer Weile, als er überzeugt war dass sie fest genug schlief, nahm er sie vorsichtig auf seine Arme und trug sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Sachte legte er sie auf ihr Bett und deckte sie zu.

"Schlaf gut, mein kleines Galoppa", murmelte er, strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und gab ihr noch einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, bevor er in sein Gästezimmer ging.

Ein ruhiger Vormittag

Maike erwachte am nächsten Morgen überraschend früh und mit dröhnenden Kopfschmerzen. Ihr Zusammenstoß mit Drew war wohl doch etwas heftiger gewesen als sie gedacht hatte, und als sie vorsichtig nach der Beule tastete und sie schließlich fand zuckte sie sogleich vor Schmerzen wieder zurück.

Neben ihr lag Kainu und schlief tief und fest. Maike hatte gar nicht mitbekommen wann sie heim gekommen war, aber sie sah sehr friedlich aus. Sie hoffte inständig dass sie einen schönen Abend gehabt hatten, auch ohne sie und Drew.

Da fiel ihr auf dass sie auch gar nicht wusste wie sie selbst in ihr Bett gekommen war. Sie konnte sich noch daran erinnern mit Drew geredet zu haben. Irgendwann musste sie wohl eingenickt sein, sodass er sie hoch getragen hatte. Bei dem Gedanken wurde ihr ganz warm ums Herz.

Vorsichtig kletterte sie über ihre jüngere Freundin und suchte sich ein paar Klamotten aus. Im dämmrigen Licht betrachtete sie sich im Spiegel. Sie hatte in der Tat eine ordentliche Beule. Kurz entschlossen kramte sie ihr altes rotes Tuch heraus und band es sich wie früher um die Stirn. Damit war dieses Überbleibsel des gestrigen Abends zumindest verdeckt. Zufrieden verließ sie ihr Zimmer, ging noch kurz ins Bad und begann schließlich schon, das Frühstück für alle zuzubereiten.

Caroline schien kurz nach ihr wach geworden zu sein und blickte ihre Tochter verwirrt an, als sie in die Küche kam.

"Maike, so früh schon auf? Das sieht dir ja gar nicht ähnlich."

Die Koordinatorin lächelte. "Guten Morgen. Ich konnte nicht mehr schlafen und dachte du freust dich, wenn du nicht immer alles alleine machen musst."

Ihre Mutter lächelte dankbar und gab ihr einen Kuss auf die Wange. "Ich wusste doch dass ich dich gut erzogen habe", lobte sie Maike.

Natürlich konnte es sich ihre Mutter nicht verkneifen, ihr ein paar Fragen zu stellen, während sie gemeinsam das Frühstück vorbereiteten.

"Na, wie war es gestern Abend noch?", fragte sie und grinste sie vielsagend an. "Ging es dann wieder mit deiner Übelkeit?"

"Oh ja, danke der Nachfrage, mir ging es dann bald wieder besser", antwortete Maike gelassen und versuchte ihrer Mutter wenig Angriffsfläche für irgendwelche Kommentare zu geben.

"Das freut mich, Schatz", antwortete diese, gab sich aber noch lange nicht geschlagen. "Und, wie ist das nun mit dir und Drew? Seid ihr jetzt ein Paar?"

Nun, zumindest redete sie nicht um den heißen Brei herum, das musste man ihr lassen. Zuerst sah Maike sie nur mit großen Augen an, dann seufzte sie genervt. "Ach Mama, ich hab es dir doch schon so oft erklärt, wir sind nur Freunde!"

"Blödsinn", sagte Caroline entschieden. "Keine Ahnung was ihr gestern gemacht habt bevor wir heim gekommen sind, aber sicher nicht so brav und langweilig auf der Couch gesessen."

"Wir haben uns unterhalten", murmelte die Koordinatorin. "Und waren verwundert als die Tür auf ging. Nicht mehr und nicht weniger."

Caroline grinste schon wieder und stupste ihre Tochter mit dem Ellenbogen an. "Nagut, ich kann verstehen wenn du mit mir nicht darüber reden willst, aber glaub mir, ich habe dich längst durchschaut."

"Jaja, natürlich hast du das", seufzte ihre Tochter während sie das Besteck auf den Tisch legte. Sie wusste selbst nicht genau warum sie mit ihrer Mutter nicht über ihre Gefühle zu Drew reden wollte. Vielleicht lag es daran dass dieser gerade mit im Haus war und jeden Moment die Treppen herunterkommen und sie hören könnte. Schwer zu sagen.

"Na wie dem auch sei, auf alle Fälle ist es sehr nett von ihm, dass er sich um dich gekümmert hat", bemerkte Caroline und Maike nickte zustimmend.

"Ja, da hast du wohl Recht."

Zum Glück ließ Caroline sie schließlich mit diesem Thema in Ruhe und sie plauderten nur noch über irgendwelche unwichtigen Dinge, bis der Rest aufwachte und sich zu ihnen an den Tisch gesellte.

Zuerst kam Norman, da er zeitnah in die Arena musste. Dann folgten Max und Alea und schließlich ihre drei Freunde im Gänsemarsch. Drew warf einen Blick auf ihr Kopftuch und lächelte anerkennend, was sie zum Grinsen brachte. Er selbst hatte die Beule recht gut unter seinen grünen Haaren versteckt, aber wenn man es wusste war es trotzdem offensichtlich und jedem aufmerksamen Beobachter würde es garantiert auffallen.

Zum Glück war an diesem Morgen keiner der Anwesenden besonders aufmerksam. Alle waren ziemlich müde, nachdem sie bis tief in die Nacht beim Fest gewesen waren, und kriegten kaum die Augen auf.

Nach ein paar Minuten wurden sie langsam etwas munterer und unterhielten sich angeregt über den gestrigen Abend.

"Es ist so schade dass es dir nicht gut ging!", bemerkte Alea. "Es war so lustig, aber wir haben dich vermisst."

"Und Drew natürlich auch", fügte Aiden hinzu.

Maike lächelte gerührt. Es war wirklich schön zu wissen dass die Freundin ihres kleinen Bruders sie schon so ins Herz geschlossen hatte.

"Ja es ist wirklich schade", stimmte die Koordinatorin zu, "aber wir haben ja noch heute. Und vielleicht kommt ihr nächstes Jahr noch mal alle her und dann wird alles etwas anders."

Diesem Vorschlag stimmten alle begeistert zu, nur Max sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Vorausgesetzt du bist daheim, Schwesterlein. Die letzten Jahre warst du zum Fest immer unterwegs."

"Da hast du Recht, du kleiner Schlaumeier", sagte sie und streckte ihm die Zunge raus. "Aber wenn ich weiß dass wir uns hier alle einmal im Jahr wiedersehen würden lasse ich mir das nicht entgehen."

Drew verwickelte derweil Maikes Vater in ein Gespräch über Trainingsmethoden. Am Anfang schien Norman den grünhaarigen Koordinator noch genauestens zu mustern, doch bald hatte er seine väterlichen Sorgen über den vorigen Abend beiseite geschoben. Immerhin saß dieser Drew noch mit hier am Tisch und Maike ging es scheinbar gut.

Bald darauf machte Norman sich jedoch auf den Weg zu seiner Arena.

"So, was machen wir nun?", fragte Aiden ungeduldig und voller Tatendrang.

"Heute ist der Festumzug, habe ich Recht?", wollte Kainu wissen.

Maike nickte. "Ja, aber erst am Nachmittag. Bis dahin können wir noch irgendetwas anderes machen."

"Muss ich meine Maske eigentlich während des ganzen Festes tragen?", fragte Aiden mit gequältem Gesichtsausdruck. Kainu knuffte ihn sanft in die Seite.

"Ich denk du findest sie so super", zog sie ihn auf und er seufzte genervt.

"Ja, ihr müsst zugeben dass sie echt cool ist. Aber sie permanent zu tragen ist doch blöd."

Maike schmunzelte. "Die Masken sind ein elementarer Bestandteil des Festes - also ja, theoretisch solltest du sie draußen auf dem Fest die ganze Zeit tragen", erklärte sie dem braunhaarigen Koordinator. "Aber es wird dich schon niemand umbringen wenn du sie ab und zu abnimmst, da bist du nicht der Einzige."

Erleichterung legte sich über Aidens Gesicht und er lehnte sich zufrieden auf seinem Stuhl zurück. "Gut, dann können wir sehr gerne raus gehen."

Doch zuerst ließen sie ihre Pokémon im Garten spielen. Dieser war ganz schön überfüllt, nun, da die Pokémon von insgesamt sechs Trainern darin umhertollten. Maike machte es sich wie so oft bei ihrem Bisaflor bequem, das sich nicht an den Spielen beteiligte und stattdessen lieber Sonne tankte. Luxio spielte derweil mit einigen der anderen Pokémon, wie Kainus Fiffyen und Drews Absol. Wo auch immer der grünhaarige Koordinator sein Zorua haben mochte, es versteckte sich erstaunlich gut. Maike hatte es noch kein einziges Mal zu Gesicht bekommen.

Schließlich gesellte sich Drew zu ihr und sah sie fragend an.

"Bist du dir sicher, dass du mit zum Festumzug möchtest?", fragte er und sie nickte entschlossen.

"Ja. Ich schaffe das. Du... also, ihr, dürft mich nach Möglichkeit nur nicht allein lassen." Sie lächelte zaghaft. "Solang ich bei euch bin ist alles in Ordnung."

Er nickte bedächtig und sah ihr ernst in die Augen. "Ich werde dich sicher nicht wieder allein lassen, vertrau mir." Dann legte er den Kopf schief. "Aber ich mache mir trotzdem Sorgen."

"Musst du nicht, ehrlich", entgegnete sie und rappelte sich auf. Er nahm es hin, wissend, dass er sie ja sowieso nicht würde umstimmen können.

"Wo gehst du hin?", fragte er irritiert, als sie ihm den Rücken kehrte. Er hatte sich doch gerade erst zu ihr gesetzt.

Sie grinste ihn über die Schulter hinweg an. "Retten, was noch zu retten ist", erklärte sie und ließ ihren Rivalen verwirrt zurück.

Am Morgen hatte sie ihr Festgewand gewaschen und es war nun so gut wie trocken. Bis auf die Risse sah es wieder fast aus wie neu. Doch diese fielen auf und würden so einfach nicht zu beheben sein.

Während sie überlegte was sie tun sollte gesellte sich Caroline zu ihr. Erschrocken fuhr Maike zusammen. Mit ihrer Mutter hatte sie in dem Moment nicht gerechnet. Einen Augenblick überlegte sie noch, ob sie das Kleidungsstück verstecken sollte, aber es war zu spät. Caroline hatte es längst gesehen.

"Was ist denn damit passiert?", fragte sie verwundert und betrachtete die Risse.

"Ach, du kennst mich doch, ich bin total ungeschickt und gestern auf dem Weg nach Hause hingefallen", versuchte die Koordinatorin ihr Glück.

"Mehrmals, wie es aussieht." Der Tonfall ihrer Mutter war zweifelnd, doch sie fragte nicht weiter nach.

"Der ist hinüber", stellte sie schließlich fest und Maike seufzte enttäuscht.

"Schade, dann muss ich mir wohl doch noch einen Neuen besorgen."

"Vielleicht habe ich auch noch einen von früher", überlegte Caroline laut. "Ich hatte nicht so einen Verschleiß wie du." Sie zwinkerte ihrer Tochter zu, welche ihr als Antwort die Zunge rausstreckte.

Tatsächlich fand sie noch einen der Maike gut passen dürfte - und der glücklicherweise farblich auch noch zu ihrer Maske passte.

"Danke, Mama", freute sich die Koordinatorin und umarmte sie glücklich. "Du bist meine Rettung!"

Fröhlich ging die Koordinatorin wieder in den Garten zu ihren Freunden und wurde sogleich von Kainu abgepasst.

"Du sag mal, Maike", begann sie und sah sich verstohlen um. "War dir gestern wirklich schlecht?"

"... was? Äh. Ja. Warum fragst du?"

Ihre rothaarige Freundin lächelte verschmitzt. "Naja, ich dachte, dass das vielleicht nur ein Vorwand von euch Beiden war, damit ihr mal ein bisschen allein sein könnt." Sie zwinkerte der Koordinatorin zu und diese lief hochrot an.

"Quatsch, so ein Blödsinn! So war das ganz sicher nicht!"

Die Jüngere grinste und amüsierte sich offenbar prächtig. "Also Aiden hat erzählt, dass Drew heute morgen ungewöhnlich gut drauf war", plauderte sie aus dem Nähkästchen. "Wollte ihm nicht sagen warum, der Gute, doch Aiden ist sich sicher dass es mit dir zu tun hat."

"Schön dass Aiden sich da so sicher ist", murrte Maike. Gerne hätte sie ihrer Freundin einfach die ganze Geschichte erzählt, doch ihr war ihre Panikattacke nach wie vor sehr peinlich, daher hielt sie lieber stur an der Übelkeit-Geschichte fest. "Ich kann dir versichern dass da nichts passiert ist." Ihren Eltern sei dank, dachte sie resigniert, und für einen Augenblick kribbelte es wieder in ihrem Bauch, als sie sich erinnerte. Sie konnte noch immer nicht recht glauben was da beinahe passiert war und war fast überzeugt, dass sie sich das eingebildet haben musste. Vielleicht hatte sie sich ja gestern irgendwo den Kopf angeschlagen, während sie voller Panik in der Gasse herum gekrochen war. Das wäre auch die ideale Erklärung für die dicke Beule auf ihrer Stirn.

Es erklärte allerdings keineswegs die Beule auf Drews Stirn. Vielleicht war es ja doch tatsächlich passiert. Ganz bestimmt würde sie das in den nächsten Tagen herausfinden.

Kainu wirkte derweil nicht sehr überzeugt, aber sie gab sich vorerst geschlagen.

"Wenn ihr zwei es nicht bald auf die Reihe bekommt helfe ich höchstpersönlich nach", schimpfte sie zum Abschluss bloß noch und Maike lachte.

"Na das will ich sehen. Kainu, die Kupplerin."

"Wen soll Kainu verkuppeln?", fragte Aiden, der gerade wie aus dem Nichts hinter Maike aufgetaucht war. Sie zuckte zusammen und fluchte lautstark.

"Verdammt, Aiden! Erst meine Mutter und jetzt du! Schleicht euch doch nicht alle so an, irgendwann kriege ich euretwegen noch einen Herzinfarkt!"

Der Koordinator hob beschwichtigend die Hände. "Sorry, Liebes, aber was können wir schon dafür dass du so schwerhörig bist?"

Maike sah ihn noch einen Augenblick böse an, lachte dann aber. Immerhin hatte ihn das von seiner ursprünglichen Frage abgelenkt.

"So Leute, was meint ihr, wollen wir vor dem Umzug noch ein wenig durch die Stadt schlendern?", schlug sie vor, da sie Aiden die Langeweile richtig ansehen kommte. Dieser nickte begeistert und auch Kainu stimmte zu.

"Ich sag den Anderen Bescheid", meinte sie und war schon weg.

Mit einem Lächeln blickte Maike hinter ihrer Freundin her. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass sie alle bereits morgen wieder abreisen würden - bisher hatte sie die Gedanken daran gut beiseite schieben können. Es würde wieder sehr still werden in ihrem Elternhaus, und noch viel stiller wenn sie selbst bald wieder auf die Reise ging.

Aber das war nicht der passende Zeitpunkt, um bereits an den bevorstehenden Abschied zu denken.

Ärger ist vorprogrammiert

Eine knappe halbe Stunde später waren sie allesamt in der Stadt. Maike hatte sich ein paar Fragen anhören müssen, da sie ja nun ein neues Festgewand anhatte, doch sie beantwortete es ihren Freunden genauso wie zuvor ihrer Mutter. Natürlich fiel nun auch ihre Beule auf - das Tuch passte so gar nicht zu ihrem Festgewand und ihr Versuch das Ganze mit Schminke zu überdecken war kläglich gescheitert -, doch zu ihrer Erleichterung kauften ihre Freunde ihr die Story ab. Bis auf Kainu, die als aufmerksame Beobachterin auch Drews Beule entdeckt hatte. Sie sagte nichts dazu, sah Maike jedoch mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Die Freunde machten es sich in einem kleinen Café bequem und plauderten ein wenig vor sich hin. Maike merkte immer wieder, wie Drew ihr kurze Blicke zuwarf, sobald er sich unbeobachtet fühlte. Sie musste sich dann jedes Mal ein dümmliches Lächeln verkneifen.

Leider gab es schon bald Besuch an ihrem Tisch. Ein paar Fans hatten Drew entdeckt, allesamt junge hübsche Frauen, und drängten sich um den grünhaarigen Koordinator. Dieser war natürlich wie immer äußerst charmant.

Maike beobachtete das ganze Geschehen von ihrem Platz gegenüber und bemühte sich nach Kräften, ein halbwegs überzeugendes Lächeln zustande zu kriegen. Kainu bemerkte den Ärger ihrer Freundin natürlich trotzdem und tätschelte ihr beruhigend und unauffällig den Arm.

"Dürfen wir uns zu dir setzen?", fragte eine junge grünäugige Blondine mit Modelmaßen und ihre Freundinnen quietschten aufgeregt wie kaputte Quietscheentons. Maike konnte sich nicht weiter beherrschen und verdrehte genervt die Augen, doch es merkte sowieso keine der Grazien, da sie alle nur Augen für Drew hatten. Drew hingegen hatte es ganz genau gesehen und grinste seine Rivalin kurz an.

Wirklich, da war ihr Alicia tausend Mal lieber gewesen. Sie war zumindest nicht so furchtbar laut und schrill und aufdringlich gewesen.

"Tut mir Leid, die Damen, aber heute nicht. Vielleicht ein anderes Mal."

Die jungen Frauen waren sichtlich enttäuscht, auf der anderen Seite aber auch überglücklich den berühmten Drew getroffen zu haben, und machten sich bald brav vom Acker.

"Passiert dir sowas immer noch ständig?", fragte Max und rückte seine Brille zurecht.

Der Koordinator zuckte mit den Achseln. "Ab und an würde ich sagen."

"Ist das nicht mächtig anstrengend?", warf Alea ein und Drew nickte.

"Ja, schon", gestand er zu Maikes Überraschung. Bisher hatte sie immer gedacht dass er die Aufmerksamkeit größtenteils genießen würde.

"Aber das gehört nun mal zum Job, ohne unsere Fans wären wir Koordinatoren nichts."

Alea nickte verständnisvoll und nippte an ihrem Getränk.

In dem Augenblick kam ein junger Mann an den Tisch und sah Maike ganz verliebt an.

"Maike, die Prinzessin von Hoenn? Bist du das wirklich?"

Perplex blickte sie zu ihm hoch. Sie war bei weitem nicht so beliebt wie Drew und vor allem gab es unter ihren Fans nur wenig Männer - der Großteil des Publikums bestand einfach aus Frauen, das ließ sich nicht bestreiten. Da überraschte es sie schon sehr, dass so kurz nachdem Drews Fans abgehauen waren einer ihrer Fans aufzukreuzen schien.

"Ja, schätze die bin ich", bestätigte sie mit einem verlegenen Grinsen.

Nun, immerhin war das ihre Heimatstadt und zumindest hier war sie bekannt wie ein buntes Wuffels. Aber trotzdem erschien es ihr wie ein sehr merkwürdiger Zufall.

"Und du bist...?", fragte sie freundlich.

Der junge Mann verbeugte sich äußerst höflich. "Mein Name ist Keith. Ich habe eben die jungen Damen beobachtet und da fielst du mir ins Auge. Ich warte schon ewig darauf, dir einmal zu begegnen."

"Du wartest darauf? Warum?"

"Um meine tiefe Bewunderung und Verehrung zum Ausdruck zu bringen", antwortete er und zauberte eine Blume hervor. Maike errötete. Dieser Keith war ohne Frage ziemlich charmant und er sah auch keineswegs schlecht aus. Er hatte kurze braune Haare und strahlend blaue Augen, dazu war er groß und athletisch. Schätzungsweise ein paar Jahre älter als sie, doch da war sie nicht sicher.

Die Koordinatorin nahm die Blume - eine Lilie - und lächelte.

"Danke, Keith, das ist echt lieb von dir."

"Nicht der Rede wert. Keine Blume dieser Welt käme jemals deiner Schönheit nahe, doch ich dachte, du könntest dich trotzdem darüber freuen."

"Ich glaube Maike steht mehr auf Rosen", mischte Kainu sich in das Gespräch ein und lächelte übertrieben freundlich. "Nicht wahr?"

"Was? Ich..." Maike suchte nach den richtigen Worten und wäre ihrer Freundin für diesen Einwurf am liebsten an die Gurgel gegangen. Doch Keith sprach erneut und nahm ihr damit dieses Problem.

"So, Rosen also? Dann sollen es das nächste Mal Rosen sein", schloss er und nickte Kainu dankbar zu.

"Ich weiß, ihr habt eben schon diese Frauen weggeschickt, aber ich wollte trotzdem fragen ob ich mich zu euch gesellen darf? Ich bin so ein großer Fan von dir und warte schon seit Jahren auf eine Gelegenheit, mich mit dir zu unterhalten!"

Perplex sah die Koordinatorin ihn an und spürte die Blicke der Anderen in ihrem Rücken.

"Wow, Keith, das ist sehr..." Wieder einmal suchte sie nach den richtigen Worten.

"Aufdringlich?", schlug Kainu lächelnd vor, doch Keith überhörte es gekonnt.

"... Aufmerksam von dir", beendete Maike ihren Satz stattdessen. "Sei mir bitte nicht böse, aber dieses Mal nicht, okay?"

Keith sah ein wenig enttäuscht aus, lächelte aber verständnisvoll. "Niemals könnte ich dir böse sein. Ich hoffe wir laufen uns noch einmal über den Weg." Damit verabschiedete er sich und kehrte an seinen eigenen Tisch zurück.

Mit einem tiefen Seufzer drehte Maike sich wieder zu ihren Freunden und stellte fest, dass sie sie allesamt anstarrten.

"Was denn?", beschwerte sie sich. "Bei Drew ist das normal und wenn ich mal einen Fan habe geht die Welt unter?"

Aiden klopfte ihr auf die Schulter. "Natürlich nicht. Aber ich glaube der wollte nicht bloß irgendein Fan sein."

Maike grummelte etwas Unverständliches und verkniff sich einen Kommentar dazu, dass die jungen Damen vorhin sicher auch nichts dagegen einzuwenden gehabt hätten, Drew näher kennenzulernen. Es brachte ja doch nichts.

"Die Frage die ich mir stelle", warf Max grinsend ein, "ist eher, ob ihm deine riesige Beule nicht aufgefallen ist oder ob er einfach eine sehr fragwürdige Vorstellung von Schönheit hat."

"Bitte was?", japste Maike und stand auf, um ihrem Bruder eine ordentliche Kopfnuss zu verpassen, dieser jedoch hatte damit schon gerechnet und rannte lachend weg, bevor sie ihn zu fassen bekam.

Alea schüttelte lächelnd den Kopf und die Anderen beobachteten die Geschwister, wie sie einander aus dem kleinen Café jagten.

"Und das in dem Alter!", amüsierte sie sich.

Drew hatte das gesamte Schauspiel nur stumm beobachtet und sich seinen Teil gedacht. Einerseits hätte er diesen aufgeblasenen Schnösel am liebsten persönlich nach draußen befördert, andererseits hatte er keinerlei Recht sich zu beschweren. Am meisten ärgerte ihn aber, dass dieser Typ ihr eine Blume geschenkt hatte. Blumen irgendwo herzuzaubern war sein Fachgebiet, das konnte dieser Keith ihm doch nicht einfach so nachmachen!

Nachdem sich die beiden Geschwister wieder beruhigt hatten, bezahlten sie und machten sich auf den Weg an einen Ort, von wo aus sie den Festumzug gut beobachten konnten. Wie erwartet waren überall extrem viele Menschen, und Maike hielt sich nervös an ihre Freunde.

Wenig später begann der Umzug. Ein paar selbstgebaute Wagen fuhren den Weg entlang, begleitet von Musik und Tänzern und allen möglichen weiteren Darstellern in farbenfrohen Kostümen. Alea und Kainu beobachteten das Schauspiel verzückt, während Max und Aiden relativ gelangweilt hinter ihnen standen.

Maike wollte sich gerade näher zu ihnen stellen, als Drew sie sanft beiseite zog. Fragend sah sie ihn durch ihre Manaphy-Maske an.

"Bist du okay?", wollte er besorgt wissen und musterte sie mit seinen smaragdgrünen Augen genau.

Sie nickte. "Jetzt hör endlich auf dir Sorgen zu machen", bat sie ihn mit tadelnder Stimme. "Es geht mir bestens."

Er wirkte sehr erleichtert und sein Lächeln war wie immer absolut umwerfend. Sie spürte, wie ihr unwillkürlich wieder einmal die Röte ins Gesicht stieg und wandte daher den Blick ab. Es war wirklich rührend dass er sich so sehr sorgte, aber am liebsten wäre es ihr gewesen wenn er einfach gar nichts davon wüsste. Wenn sie irgendwie allein damit klargekommen wäre und niemandem deshalb Sorgen bereitete. Sie wollte Spaß haben. Fröhlich sein. Wie früher. Das würde ihr jedoch sicher nicht gelingen wenn er sie immer wieder darauf ansprach, so gut er es auch meinen mochte.

Schweigend beobachteten die beiden Koordinatoren den Festumzug. Drew spielte mit dem Gedanken, einen Arm um sie zu legen, doch das kam ihm zu aufdringlich vor. Ihre Hand nehmen? Nein, auch eine schlechte Idee, viel zu unvermittelt.

Amüsiert fragte er sich, seit wann er so verdammt unsicher war. Das war wirklich nur bei Maike so. Bei Alicia hatte er mit all diesen Dingen keinerlei Probleme gehabt, aber da war die gesamte Situation ja auch nicht vergleichbar gewesen. Maike und er hatten schon so viel zusammen erlebt, so viel miteinander durchgemacht, dass es schwierig für ihn war diesen Schritt zu gehen. Die Beiden verband mittlerweile eine ziemlich feste Freundschaft und er hatte Angst sie zu zerstören, wenn er auf irgendeine Weise zu weit ging.

Nachdenklich dachte er an den letzten Abend zurück. Sie hatte die Augen geschlossen, als er kurz davor gewesen war sie zu küssen. Das musste doch ein gutes Zeichen sein. Er musste es noch einmal probieren, irgendwann, irgendwie. Sicherlich würde sich nicht noch einmal so eine günstige Gelegenheit ergeben, also blieb ihm nichts anderes übrig als einfach irgendwann in einem halbwegs passenden Moment die Initiative zu ergreifen.

"Möchtest du auch etwas?", riss sie ihn aus seinen Gedanken und hielt ihm eine Tüte mit Süßigkeiten hin. Er schüttelte den Kopf.

"Nein, danke. Iss du nur."

Ein paar Leute drängten sich an ihnen vorbei und Maike musste etwas zurückweichen. Dabei lehnte sie sich halb an Drew, und dieser genoss die unvermittelte Nähe.

Plötzlich erklang hinter ihnen eine bekannte Stimme.

"Maike, hallo! Ich wusste doch, dass wir uns noch einmal sehen!"

Drew seufzte genervt und drehte sich zu Keith um. Auch Maike blickte den jungen Mann an.

"Oh, hallo Keith", sagte sie freundlich lächelnd. Er ging auf sie zu und reichte ihr eine Rose. Eine rote Rose! In Drew brodelte es, doch nach außen wirkte er absolut tiefenentspannt. Diese Blöße würde er sich im Leben nicht geben.

"Danke", stammelte die Koordinatorin und nahm die Blume entgegen.

"Nicht dafür! Ich habe irgendwie schon gespürt, dass das vorhin nicht unsere letzte Begegnung war." Keith hatte seine Entei-Maske abgenommen und strahlte sie begeistert an. "Darf ich dich auf ein Getränk einladen?"

"Ich weiß nicht recht", sagte sie verunsichert und warf Drew einen kurzen Blick zu. "Eigentlich..."

"Ach komm schon, nur eines!", unterbrach er sie. "Wir sind auch gleich wieder da!"

Maike war es beim besten Willen nicht gewohnt, dass ihre Fans so hartnäckig um ihre Aufmerksamkeit buhlten, und war dezent überfordert mit der Situation.

"Also... Nagut... Aber nur eines!", gab sie schließlich widerwillig nach.

"Super, komm mit!", sagte er und hielt ihr seine Hand hin. "Damit wir einander nicht verlieren", erklärte er lächelnd, nachdem sie ihn fragend angeblickt hatte.

Zu Drews Erleichterung machte sie trotzdem keine Anstalten, seine Hand zu nehmen, und trottete einfach hinter ihm her, während er sich einen Weg zum nächsten Getränkestand bahnte.

Drew ließ die Beiden keinen Augenblick aus den Augen. Sie hatten den Umzug von einem etwas erhöhten Platz aus beobachtet und somit hatte er sie gut im Blick.

Als die Beiden gerade beim Getränkestand angekommen waren stellte sich Aiden neben ihn und folgte seinem Blick.

"Na, hat er sie dir geklaut?", fragte er grinsend und Drew seufzte.

"Kann man so sagen."

"Wer hätte das gedacht. Nach dem, was ich in den letzten Tagen beobachten konnte, ist sie dir doch absolut verfallen."

"Wie kommst du denn darauf?", fragte er verwundert. Er selbst hatte davon nicht viel bemerkt. Ganz und gar nicht. Klar, es hatte Momente gegeben - wie am Abend zuvor auf der Couch. Aber da war keiner der Anderen anwesend gewesen. Wie konnte es also sein, dass Aiden irgendetwas davon gesehen haben wollte?

"Du kriegst aber auch gar nichts mit, was?", fragte Aiden amüsiert. "Sie schaut dich ständig an, mit diesem Blick, na du weißt schon. Ach egal, früher oder später wirst du das schon auch noch merken. Willst du mir eigentlich immer noch nicht erzählen, warum du heute Morgen so gut gelaunt warst?"

Der Grünhaarige schüttelte mit dem Kopf. "Nein. Außerdem bin ich immer gut drauf."

"Ja, eine richtige Frohnatur", bestätigte Aiden ihn, doch seine Stimme troff nur so vor Sarkasmus. Dann klopfte er ihm auf die Schulter - eine fürchterliche Angewohnheit - und blickte noch einmal zu Keith und Maike.

"Sieh zu dass du aus dem Knick kommst, Kumpel. Sonst schnappt sie sich doch noch ein Anderer, auch wenn sie dich wahnsinnig gern hat."

"Danke für den Tipp", meinte Drew trocken und sein Rivale gesellte sich wieder zu den Anderen.

Es ärgerte Drew, dass Aiden über seine Gefühle Bescheid wusste. Wäre er damals doch nicht so blöd gewesen. Auch wenn er es sicherlich nur gut meinte, doch er setzte sich selbst auch so schon genug unter Druck, ganz ohne dass andere Leute ihn auf das Dilemma aufmerksam machen mussten.

Er hatte Keith und Maike bei seinem Gespräch mit Aiden bloß für ein paar Sekunden aus den Augen gelassen, doch als er jetzt wieder nach den Beiden suchte konnte er sie beim besten Willen nicht mehr entdecken. Er fluchte ungehalten.

Ohne weiter darüber nachzudenken machte er sich auf den Weg, um sie zu suchen. In seinem Kopf spielten sich alle möglichen Szenarien ab. Was, wenn dieser arrogante Mistkerl nur darauf gewartet hatte, sie von ihren Freunden zu trennen, damit er sonst was mit ihr anstellen konnte? Oder wenn er sie einfach stehen ließ und sie wieder Panik bekam? Der bloße Gedanke an ihr angsterfülltes Gesicht, als sie ihn am Tag zuvor vor lauter Panik gar nicht erkannt hatte, versetzte ihm einen Stich ins Herz. Er musste sie finden, und zwar schleunigst, sonst würde er durchdrehen.

Sein erster Weg führte ihn zu dem Getränkewagen. Er betrachtete all die Menschen, die um diesen herum standen, sich unterhielten oder den Festumzug beobachteten, doch Maike und Keith sah er nicht. Da er nicht wusste, was der nächste Anhaltspunkt sein könnte, lief er einfach spontan in irgendeine Richtung weiter. Im selben Moment rief er sein Libelldra herbei und bat es, nach Maike Ausschau zu halten.

Ein paar der Menschen um ihn herum warfen einen irritierten Blick nach oben, als plötzlich das Drachenpokemon über ihren Köpfen schwebte, doch am Ende kümmerten sie sich nicht mehr darum.

Ohne Umschweife flog Libelldra los und machte sich auf die Suche.

Drew war noch eine Weile ziellos umhergelaufen, in der Hoffnung, seiner Rivalin einfach zufällig über den Weg zu laufen, als sein Libelldra zurückkam und aufgeregt über ihm Kreise zog.

"Ah, du hast sie gefunden!", schloss Drew und folgte dem Pokémon mühselig. Während Libelldra keinerlei Probleme hatte voranzukommen musste er sich irgendwie durch die Menschenmassen drängeln.

Schließlich sah er von weitem Maikes braune Haare und ihr blaues Festgewand. Sie hatte ihm den Rücken zugedreht und unterhielt sich mit Keith.

"Danke, Libelldra", sagte er und rief sein Pokémon zurück, dann holte er tief Luft. Einen Augenblick lang war er versucht zu den Beiden zu gehen und Maike anzublaffen, doch im letzten Moment hatte er sich wieder unter Kontrolle. Wenn er sich jetzt wieder von seiner schlechtesten Seite zeigte würde er sie womöglich verlieren. Aber er konnte nichts dagegen machen, er war unglaublich wütend.

Aus sicherer Entfernung behielt er die Beiden unauffällig im Blick und wartete darauf, dass sie sich wieder auf den Weg zurück machten. Keith schien alle Register zu ziehen und flirtete mit der Koordinatorin was das Zeug hielt. Diese jedoch zeigte sich nicht besonders interessiert und war höchstens überfordert mit der Gesamtsituation.

Schließlich fasste der junge Mann sie am Handgelenk und schien sie zu sich ziehen zu wollen, und Maike war offenkundig nicht begeistert. Zwar lächelte sie noch, aber es war ein gequältes unsicheres Lächeln, und zeitgleich versuchte sie vergeblich ihre Hand wegzuziehen.

Das war zu viel für Drew. Er brauchte nur ein paar Sekunden, um zu den Beiden zu gelangen, und stellte sich zu ihnen, jeden Muskel angespannt.

"Siehst du nicht, dass sie das nicht möchte?", fragte er betont gelassen, doch der eisige Unterton ließ keinen Zweifel daran, dass er alles andere als ruhig war.

"Drew?", sagte Maike erstaunt und zog ihre Hand an sich, welche Keith vor Überraschung unvermittelt losgelassen hatte.

"Was ist denn dein Problem?", fragte der junge Mann ungehalten und sah ihn verärgert an.

"Mein Problem ist, dass du sie nicht in Ruhe lässt", meinte Drew gelangweilt.

Einen Moment sah es so aus, als würde die Situation eskalieren. Keith ballte seine Hände zu Fäusten und rang sichtlich nach Beherrschung. Doch schließlich entspannte er sich wieder und atmete tief durch.

"Ich schätze ich sollte gehen", bemerkte er tonlos, warf dem grünhaarigen Koordinator aber noch einen vernichtenden Blick zu. "Ich bin sicher, wir sehen uns noch mal."

"Hoffentlich", meinte Drew nur und beobachtete, wie Keith sich umdrehte und seinen Worten Taten folgen ließ.

"Was sollte das denn?", fragte Maike gereizt, als ihr Fan außer Sichtweite war.

Drew sah sie an. War das ihr Ernst? Die Frage traf ihn so unvermittelt, dass er sie nur sprachlos anblickte.

"Warum läufst du mir hinterher? Und warum warst du so unfreundlich? Wir haben uns nur unterhalten!"

Sie schien wirklich wütend zu sein, und allein schon diese Tatsache überstieg Drews Verständnis.

"Das fragst du mich ernsthaft?", wollte er verärgert wissen. "Darf ich dich an gestern Abend erinnern? Du haust einfach mit diesem Typen ab ohne etwas zu sagen, und jetzt bist du sauer weil ich mir Sorgen gemacht und nach dir gesucht habe?"

"Es war alles in Ordnung", rechtfertigte sie sich kleinlaut. "Er wollte bloß etwas vom Getränkewagen weg, damit er sich in Ruhe mit mir über Wettbewerbe unterhalten kann."

"Und warum hat er dich am Handgelenk gepackt?", wollte der Koordinator tonlos wissen. Sie schwieg.

Sie hätte ihm erzählen können, dass sie gesagt hatte sie wolle zurück. Und dass Keith sie daraufhin davon hatte abhalten wollen, einfach nur, weil er weiter mit ihr reden wollte. Dass ihr das freilich nicht gefallen hatte, aber auch kein Weltuntergang gewesen war. Aber sie wusste dass, egal wie sie es auch drehte und wendete, er es trotzdem für schlimmer halten würde als es am Ende war. Also starrte sie ihn nur stumm an.

Drew seufzte. "Verstehe." Er wandte sich ab und wollte zu den Anderen zurück.

"Drew!", rief Maike, nachdem er sich schon ein paar Meter entfernt hatte. Im ersten Moment achtete er nicht darauf, doch als sie kurz später noch einmal mit schwacher Stimme nach ihm rief, drehte er sich doch um.

Da stand sie, zitternd, mit feuchten Augen, und bewegte sich keinen Millimeter.

Widerwillig ging er zu ihr zurück. "Was ist denn nun los?", fragte er ungehalten.

"Du kannst mich doch hier nicht alleine lassen", flüsterte sie mit erstickter Stimme.

"Dann komm doch mit, ich halte dich nicht ab", bemerkte er kühl.

Sie sah ihn mit großen Augen an. Was hatte sie nur getan, dass er nun so zu ihr war? "Ich verstehe nicht, warum du mich jetzt so behandelst", beschwerte sie sich leise, noch immer zitternd, weil sie Angst hatte dass er sie stehen lassen würde.

"Weil du so unglaublich unvernünftig und dumm bist", fuhr er sie an. "Und weil du mir dafür, dass ich dir helfen will, auch noch sauer bist!"

Sie zuckte zusammen, als er sie so anblaffte, und er bereute es schon eine Sekunde später. Doch er war zu stolz um sich jetzt zu entschuldigen. Er fühlte sich so ungerecht behandelt und erinnerte sich zu genau an die Angst, die er um sie gehabt hatte. Es wollte einfach nicht in seinen Kopf dass sie das nicht zu verstehen schien.

Aber Maike hatte natürlich Recht, er konnte nicht Keith zum Teufel schicken und sie dann alleine hier stehen lassen. Er gab sich einen Ruck und hielt ihr mit grimmigem Blick die Hand hin.

"Komm", sagte er barsch, "wir gehen zurück."

Wortlos griff sie nach seiner Hand und ließ sich von ihm durch die Menge führen.

Auf dem ganzen Weg sagte keiner der Beiden ein Wort, und auch als sie wieder bei den Anderen waren schwiegen sie. Ihre Freunde hatten ihre kurze Abwesenheit gar nicht bemerkt, doch langsam neigte sich der Festumzug dem Ende zu und die Zuschauerreihen lichteten sich.

"Wow, das war echt toll!", freute sich Alea und Kainu stimmte ihr mit einem begeisterten Nicken zu. Die Beiden drehten sich zu ihrer Freundin, doch waren sie bei ihrem Anblick etwas irritiert. Sie sah so merkwürdig traurig aus. Und was war mit Drew los? Er wirkte richtig wütend. Hatten die Beiden etwa gestritten?

Alea und Kainu tauschten einen Blick, dann gingen sie zu Maike und zogen sie mit sich.

"Komm, lass uns ein paar Lose ziehen!", meinte Kainu fröhlich und kurz darauf waren die jungen Frauen verschwunden.

Aiden gesellte sich wieder zu Drew und auch Max stellte sich zu ihnen.

Skeptisch blickte der junge Trainer Drew an.

"Was ist denn los? Hast du dich mit meiner Schwester gestritten?"

Der Koordinator seufzte und schüttelte den Kopf. "Es ist nichts", murmelte er und gab sich gar nicht erst Mühe überzeugend zu wirken.

"Nagut", meinte Max und zuckte mit den Schultern. Wenn er nichts dazu sagen wollte konnte er ihn auch nicht zwingen. "Dann gehe ich mal hinterher."

Aiden warf Drew noch einen fragenden Blick zu, sah aber ein dass er nichts erreichen würde. Er schüttelte den Kopf.

"Ihr zwei macht es euch echt unnötig kompliziert", beschwerte er sich und als Drew nicht darauf reagierte, gingen die beiden Koordinatoren ebenfalls zu den Anderen.

Der Klügere gibt nach?

Es wurde langsam Abend und die Sonne tauchte den Himmel in ein rot-orangenes Licht. Die letzten Stunden hatten Maikes Freunde damit zugebracht, sie aufzuheitern und abzulenken. Es hatte geholfen und niemand hatte nachgehakt was überhaupt los war. Gut, während Drew dabei war wäre das auch sehr unpassend gewesen, aber egal. Dafür war sie ihnen trotzdem überaus dankbar.

Sie hatte auch Zeit gehabt über die gesamte Situation nachzudenken. Drew hatte Recht - es war sehr unvernünftig von ihr gewesen, einfach so mit Keith woanders hin zu gehen ohne Bescheid zu sagen. Nein, nicht nur unvernünftig, sondern auch dumm. Sie kannte diesen jungen Mann schließlich gar nicht. Und ja, es war auch richtig dass sie Drew für sein Verhalten nicht hätte anmeckern dürfen.

Doch war es wirklich fair von ihm gewesen, sie deswegen so zu behandeln? Ihrer Meinung nach nicht. Sicher, seine Angst und sein Ärger mochten durchaus begründet gewesen sein, doch er hätte es ihr auch anders sagen können. Andererseits, was erwartete sie? Es war immerhin Drew. Er war nicht unbedingt dafür bekannt besonders feinfühlig zu sein, und Maike hatte sich in den letzten Tagen wohl viel zu sehr an seine überraschende Freundlichkeit gewöhnt.

Gerne hätte sie Alea oder Kainu nach ihrer Meinung gefragt, doch sie konnte es nicht. Sie hätte ihnen dann alles erzählen müssen, auch von ihrem Zusammenbruch, denn ohne diese Informationen hätten sie Drews Verhalten ja gar nicht nachvollziehen können. Aber sie war dazu nicht in der Lage.

Sie stand gerade mit Kainu am Rand des Marktplatzes, während die Anderen an einer Bude in der Nähe nach Dosen warfen und versuchten, ein großes Plüsch-Evoli zu gewinnen.

"Ich glaube ich sollte das mit Drew klären", überlegte Maike laut und ihre Freundin sah sie überrascht an.

"Bist du dir sicher?", fragte sie vorsichtig und die Koordinatorin nickte. Sicher konnte sie auch einfach versuchen es totzuschweigen, aber wenn nicht irgendjemand den Anfang machte... Nun, sie wusste schlicht nicht wie es dann weitergehen würde. Und es war doch eigentlich so gut gelaufen!

Sie ging zu dem Koordinator, der ihr den Rücken zugewandt hatte, und zog leicht an seinem Ärmel, um ihn auf sich aufmerksam zu machen.

Schließlich drehte sich ihr Rivale um. "Was gibt es?", fragte er und die Kälte in seiner Stimme versetzte ihr einen Stich ins Herz.

"Drew", begann sie mit flehender Stimme, "können wir darüber reden?"

Der Koordinator sah sie ein paar Sekunden schweigend an, bis er schließlich nickte. Maike betrachtete das schonmal als ein gutes Zeichen und lächelte.

"Lass uns zum See gehen", schlug sie vor und er nickte. Der See war nicht weit von ihrem Haus entfernt und ebenso nur ein paar Minuten von ihrem jetzigen Standpunkt, wenn auch in eine andere Richtung. Schweigend liefen die Beiden nebeneinander her und wurden dabei von ihren Freunden beobachtet, bis sie nicht mehr zu sehen waren.
 

Über ihnen zogen langsam Wolken auf und verdeckten die untergehende Sonne. Es sah nach Regen aus.

"Na klasse", murmelte Drew genervt und lief einen Schritt schneller. Das passte ja mal wieder perfekt. Maike gab ihr Bestes um mit ihm mitzuhalten.

Schließlich erreichten sie den See und der Grünhaarige setzte sich auf eine Bank, während er Maike einen erwartungsvollen und gleichzeitig grimmigen Blick zuwarf.

Die Koordinatorin setzte sich neben ihn, seufzte tief und mied seinen Blick.

Sie hielt ihre Maske in den Händen und spielte nervös daran herum.

"Ist zwischen uns alles in Ordnung?", fragte sie schließlich zaghaft und sah ihn flehend an.

Am liebsten hätte er sie einfach in den Arm genommen und seinen Stolz vergessen, aber dazu war er nach wie vor nicht in der Lage.

"Natürlich", antwortete er deshalb nur und sie warf ihm einen unglücklichen Blick zu. Bei diesem Tonfall konnte sie ihm schlecht glauben.

Ihr Blick richtete sich wieder auf die Erde zu ihren Füßen und sie schien hin und her zu überlegen was sie sagen sollte.

"Ich weiß, ich hätte nicht weg gehen dürfen... Du hast recht, das war sehr dumm von mir. Ich wollte dir keine Angst machen. Ich habe bloß nicht darüber nachgedacht."

Betreten senkte sie die Stimme.

"Und ich hätte dich nicht so anfahren dürfen", fügte sie leise hinzu. "Du hast es ja nur gut gemeint."

Noch immer blickte sie zu Boden und er seufzte.

"Ich glaube wir haben beide etwas überreagiert", brachte er schließlich heraus und sah sie an. Es fiel ihm nicht leicht das zuzugeben, doch auch er wollte die Sache gerne so schnell wie möglich hinter sich bringen. Die Koordinatorin wirkte überrascht.

"Ja, das glaube ich auch", sagte sie schließlich und lächelte. "Wir sind halt beide manchmal Idioten."

"Aber auch darin übertreffe ich dich um Längen. So wie in Allem."

Sie schubste ihn sanft und tat beleidigt, konnte sich aber ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen.

Plötzlich fielen die ersten Tropfen auf die Beiden herab. Prüfend sah Maike in den Himmel. Bei den Wolken war das sicherlich nicht bloß ein kurzer Schauer.

"Wir sollten wohl besser nach Hause", schlug Drew vor und sie nickte. Ein wenig ärgerte er sich, dass er sein Festgewand anhatte - er hatte dadurch keine Jacke mit welche er Maike zum Schutz gegen den Regen hätte anbieten können.

Doch zu seiner Überraschung schien sie den Regen sogar zu genießen. Sie waren aufgestanden und innerhalb von Sekunden schüttete es wie aus Eimern.

Die Koordinatorin streckte die Hände aus, hob den Kopf mit geschlossenen Augen gen Himmel und lächelte zufrieden. Ein paar Sekunden sah er sie an, ein perfektes Bild, so schön und natürlich und echt, dass er sie am liebsten sofort geküsst hätte. Dann öffnete sie die Augen wieder und blickte ihn an.

"Du siehst aus wie ein begossener Pudel", stellte er mit hochgezogener Augenbraue und entgegen seinen Gefühlen fest und entlockte ihr damit ein Grinsen.

"Du siehst auch nicht besser aus", konterte sie und strich sich eine nasse Strähne aus dem Gesicht. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und zerzauste seine tropfenden Haare.

"Jetzt sitzt die Frisur nicht mehr so perfekt!"

"Hey!", beschwerte er sich und wollte ihre Hand festhalten, doch sie war zu schnell und hatte sich mit einem Schritt zurück in Sicherheit gebracht. Herausfordernd grinste sie ihn an.

"Wetten, dass ich schneller zu Hause bin?", meinte sie mit einem Zwinkern und er sah sie skeptisch an.

"Komm schon, für sowas sind wir zu alt!"

Sie zuckte mit den Schultern und rannte plötzlich los, und sofort war der Ehrgeiz in Drew geweckt, sodass er ihr etwas verspätet hinterherlief.

"Das ist unfair", rief er ihr hinterher, doch sie lachte bloß und machte keine Anstalten langsamer zu werden. Das war allerdings sowieso egal, er war schneller als sie und bald dicht hinter ihr.

Was war nur mit ihm los? Er war 20 Jahre alt. Selbst als Kind hatte er sich fast nie zu derartigen Dingen hinreißen lassen, er war immer sehr erwachsen und vernünftig für sein Alter gewesen. So war er einfach, das war sein Charakter. Trotzdem konnte er nicht leugnen dass ihm dieses kleine Wettrennen im Regen tatsächlich eine Menge Spaß machte.

"Ha!", stieß er triumphierend aus als er an Maike vorbeizog. Diese lachte völlig außer Atem und gab ihr bestes, um irgendwie mitzuhalten. Dieser kleine Sturkopf hatte noch längst nicht aufgegeben, und das würde sie wahrscheinlich auch bis zum Schluss nicht, egal wie viel Vorsprung er haben würde.

"Um was wetten wir überhaupt?", fragte sie keuchend und er warf kurz einen Blick über die Schulter.

"Mir egal", sagte er, und das entsprach vollkommen der Wahrheit. Er brauchte nicht dringend einen Einsatz, keinen Gewinn, das kümmerte ihn nicht.

"Gut", meinte sie und lächelte verschmitzt. "Wenn ich gewinne..." Sie musste kurz innehalten um Luft zu holen. "... Dann nimmst du mich morgen mit wenn du gehst."

Beinahe wäre Drew gestolpert und blickte sie nun sprachlos an, wodurch er unvermittelt langsamer wurde. Sie lachte amüsiert.

"Na, du musst mich jetzt aber nicht extra gewinnen lassen!", bemerkte sie spitzfindig. Sie hatte schon geahnt oder eher gehofft dass ihn das etwas aus der Bahn werfen würde. Die Beiden waren in all der Zeit die sie einander kannten noch nie gemeinsam gereist. Und je öfter Maike in letzter Zeit darüber nachgedacht hatte, desto öfter hatte sie sich auch gefragt warum.

Schließlich lächelte er. "In Ordnung. Und wenn ich zuerst da bin..." Er überlegte kurz, während sie direkt nebeneinander liefen. Was könnte noch besser sein als ihr Wetteinsatz, oder zumindest gleichwertig?

"Wenn ich zuerst da bin bleiben wir noch eine Minute draußen."

Maike sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Was für ein merkwürdiger Wetteinsatz. Scheinbar mochte er es im Regen zu stehen. Doch sie nickte zur Zustimmung und zog an ihm vorbei. Sie wusste genau dass es nicht mehr weit war und musste versuchen, ihren kurzen Vorteil zu nutzen.

Drew ließ sie in dem Glauben dass sie noch gewinnen könnte, doch kurz vorm Ziel überholte er sie noch mal knapp. Außer Atem erreichte er Maikes Elternhaus und nur ein paar Millisekunden später machte sie keuchend neben ihm halt.

"Du... Hast gewonnen", stieß sie atemlos hervor. Ärgerlich, sie hatte ein wenig darauf gehofft dass er sie tatsächlich bewusst gewinnen lassen würde, einfach des Einsatzes wegen. Eigentlich hätte sie sogar darauf schwören können. Hatte sie sich so sehr getäuscht? Oder war er doch immer noch sauer auf sie?

Sie kam schnell wieder zu Atem und sah ihn an. "Also, was machen wir jetzt die eine Minute hier draußen?", wollte sie wissen und schnappte überrascht nach Luft, als er sie plötzlich mit beiden Händen an der Hüfte packte und leicht, aber bestimmt gegen die Hauswand drückte.

"Was? Warum-"

"Still", unterbrach Drew sie und blickte ihr tief in ihre saphirblauen Augen. "Wir haben nur noch 50 Sekunden."

Der letzte Abend

Er wartete gar nicht erst auf eine weitere Reaktion ihrerseits, beugte sich zu ihr herab und küsste sie. Einen Moment schien die Welt um ihn herum stehen zu bleiben, und er fragte sich, ob sie sich genauso fühlte.

Es war ein vorsichtiger, kurzer Kuss, nicht wissend, ob sie das denn auch wollte - hier, jetzt, in diesem Augenblick und mit ihm. Schon nach kurzer Zeit löste er seine Lippen von den ihren und sah sie forschend an. Doch als sie die Augen öffnete und sich ihre Blicke trafen, lieferte sie ihm stumm alle Antworten die er brauchte. Er zog sie an sich, umfasste mit beiden Händen sanft ihr Gesicht, sodass sie sich diesmal auf die Zehenspitzen stellen musste, um sie diesmal länger, leidenschaftlicher, inniger zu küssen. Wenn es nach ihm ginge gäbe es keinen Zentimeter Luft mehr zwischen ihnen.

Als sie sich irgendwann atemlos voneinander lösten lächelte er.

"Meine Minute ist um", stellte er fest und trat einen Schritt zurück.

"Schade", murmelte Maike und schlug die Augen nieder. In ihrem Magen schienen hunderte Smettbos ihr Unwesen zu treiben, es kribbelte und machte sie fast wahnsinnig. Er hatte sie tatsächlich geküsst. Sie konnte es noch gar nicht so richtig glauben.

"Komm", hörte sie ihn sagen. "Lass uns rein gehen."

Maike öffnete die Tür und die beiden traten ein, von Kopf bis Fuß durchnässt, aber jeder mit einem Lächeln auf den Lippen.

"Ich bin froh dass du mir nicht mehr böse bist", bemerkte sie nebenbei und er nickte.

"Wie könnte ich. Trotzdem, mach mir bitte nicht noch mal solche Sorgen."

Sie schüttelte energisch den Kopf. "Versprochen."

Sie öffnete den Mund um noch etwas zu sagen, entschied sich aber doch noch dagegen. Denn sie wusste nicht recht, wie sie das, was ihr auf dem Herzen lag, in Worte fassen sollte. Sie fragte sich, wie es jetzt weitergehen würde. Morgen würde er abreisen. Vielleicht würde sie ja trotzdem mit ihm mitgehen? Warum auch nicht, gerade jetzt, nachdem das passiert war, machte das doch irgendwie Sinn, oder nicht?

Drew hatte seine Schuhe bereits ausgezogen und sah sie nun fragend an, da sie nur dort stand und ihn unschlüssig anstarrte.

"Ist alles in Ordnung?", wollte er wissen und ging einen Schritt auf sie zu, als sie nicht reagierte. "Erde an Maike! Ist da oben noch jemand zu Hause?" Er tippte ihr gegen die Stirn und traf dabei ihre Beule. Das riss sie schließlich aus ihren Gedanken und sie zuckte zurück.

"Aua!", beschwerte sie sich und realisierte nun, dass sie wohl ein paar Sekunden nicht ganz anwesend gewesen war. Hastig bückte sie sich und zog ihre Schuhe aus, damit Drew nicht sah wie sie errötete. "Ja, alles in Ordnung", nuschelte sie als verspätete Antwort auf seine Frage.

Wortlos ging sie ins Bad und holte ein paar Handtücher. Eines reichte sie Drew.

"Du kannst unten das Bad nehmen", sagte sie und machte sich daran, in das obere Bad zu gehen. Drew sah ihr noch einen Augenblick nach, als sie die Treppen hochging und ihr blaues Festgewand überall Tropfen auf den Stufen hinterließ. Dann fiel ihm ein, dass er ja sowieso erst mal trockene Klamotten zum Wechseln brauchte und er somit auch kurz nach oben musste. Er hatte fast die letzten Stufen geschafft und sah warmes Licht aus dem Spalt von Maikes angelehnter Zimmertür scheinen. Er lächelte und wollte gerade daran vorbeigehen, als er plötzlich Maike schimpfen hörte.

"Luxio, bleib hier! Hey, was soll das, nicht jetzt!"

Doch das Elektropokemon scherte sich wenig um die Rufe seiner Trainerin und schob mit dem Kopf die Tür auf. Fröhlich lief es auf Drew zu und schmiegte sich an sein nasses Gewand.

Dieser jedoch war nicht in der Lage, sich um das Pokémon zu kümmern. Mit großen Augen starrte er seine Rivalin an, welche dort halbnackt vor ihm stand und unbeholfen versuchte sich mit ihrem Handtuch zu bedecken. Ihr nasses Festgewand lag auf dem Boden, doch zumindest ihre (sicherlich auch nasse) Unterwäsche hatte sie noch an.

Sie erwiderte seinen Blick mit hochrotem Kopf und ein paar Sekunden starrten sie einander einfach nur an, bis Drew verlegen den Kopf abwandte.

"Entschuldige", murmelte er und ging dann mit schnellen Schritten ins Gästezimmer, wobei er beinahe über Luxio gestolpert wäre.

Maike blickte noch einen Moment auf die Stelle, wo ihr Rivale bis vor ein paar Sekunden noch gestanden hatte, dann ging sie mit großen Schritten zur Tür und schloss sie - aber diesmal richtig. Mit schwerem Atem und klopfendem Herzen lehnte sie sich an die Zimmertür und ließ sich dann daran herabsinken.

"Oh man, war das peinlich!", fluchte sie leise und raufte sich die Haare. Warum hatte sie die Tür nur angelehnt? Sie hätte wissen müssen, dass Luxio wieder irgendwas im Schilde führen würde. Und da war sie sich sicher, ihr Pokémon hatte ganz genau gewusst was es in diesem Moment tat.

"Dieses kleine...!" Wütend richtete sie sich wieder auf und versuchte sich zu beruhigen. So schlimm war es doch gar nicht. Sie erinnerte sich daran zurück wie Drew sie sogar das eine Mal halbnackt umarmt hatte, damals, im Pokémon Center von Ranovia City. Und ihre Unterwäsche war ja so ziemlich gleichzusetzen mit einem Bikini. Und er hatte sie vorhin geküsst. Wo also lag ihr Problem?

Sie wusste es nicht, aber es war nun einmal einfach so. Mürrisch entledigte sie sich noch ihrer letzten Kleidung und wickelte sich in ein großes Handtuch. Anschließend stolzierte sie hoch erhobenen Hauptes in das obere Badezimmer, sich einredend dass sie absolut selbstsicher war, und war insgeheim froh, Drew auf den paar Metern nicht noch einmal zu begegnen. Dann wäre ihre selbstsichere Fassade garantiert wieder gebröckelt, egal wie sehr sie sich bemüht hätte.

Nachdem sie sich selbst und ihre Haare abgetrocknet und ein paar kuschelige Klamotten angezogen hatte ging sie hinunter. Wie erwartet hatte Drew nicht so lange gebraucht und saß bereits auf der Couch. Unwillkürlich fühlte sie sich an den letzten Abend erinnert und lächelte. Diesmal hatte sie jedoch weder ein Nachthemd an noch dermaßen nasse Haare.

Neben ihm auf der Couch lag Luxio und döste. Es hob nicht mal den Kopf als seine Trainerin sich zu ihnen gesellte.

"Die Anderen sind bestimmt auch bald daheim", versuchte Maike ein Gespräch anzufangen.

Drew nickte. "Ja, vermutlich, bei dem Wetter."

Der Regen prasselte unaufhörlich gegen die Fensterscheiben und erzeugte damit ein wunderbar beruhigendes, monotones Geräusch. Maike hatte Regen schon immer gern gemocht.

"Wie spät haben wir es?", fragte sie und Drew blickte auf seine Uhr.

"Kurz vor Acht", antwortete er. Noch nicht gar zu spät.

"Wann fährt denn morgen noch gleich dein Schiff? Um 12, richtig?"

Er nickte. "Ja, und Kainu und Aiden fahren gegen 10 nach Kalos, um ihre Eltern zu besuchen."

Maike legte nachdenklich den Kopf schief. Sie hatte morgen also noch ganze zwei Stunden mit Drew alleine. Ob sie daraus etwas würde machen können?

Von der Seite betrachtete sie ihn. Er war im Moment in irgendetwas auf seinem Holo Log vertieft und verengte konzentriert die Augen. Seine grünen, mittlerweile trockenen Haare fielen ihm locker ins Gesicht. Sie hatten ohne Frage die perfekte Länge, weder zu kurz, noch zu lang, und aus irgendeinem Grund lagen sie einfach immer so wie sie sollten.

Seine Nase war gerade, schön geformt. Sein Kinn ausgeprägt genug um ihn erwachsen wirken zu lassen, aber bei weitem nicht zu ausgeprägt. Um seine perfekten Lippen hatten sich mit den Jahren zwei kaum zu erkennende Fältchen gebildet - kein Wunder, so oft wie er die Mundwinkel nach unten zog, dachte sich die Koordinatorin amüsiert. Doch das stimmte so nicht ganz. Es war tatsächlich so, dass er mittlerweile auch viel lachen konnte. Seine Ernsthaftigkeit hatte sich immerhin ein wenig gelöst.

Noch ein paar Sekunden betrachtete sie ihn, bewunderte, wie perfekt er war, bis sie erschrocken feststellte, dass er sie mittlerweile genau im Auge hatte. Ein amüsiertes Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

"Und, gefällt dir was du siehst?", fragte er und sie wurde augenblicklich rot.

"Das hättest du gerne!", schimpfte sie und wandte den Blick ab. "Arroganter Idiot."

Er lachte und zuckte mit den Schultern. "Vielleicht."

Maike wollte gerade etwas erwidern, als sie Stimmen von draußen hörten und die Haustür sich öffnete. Herein kamen ihre Freunde, nass bis auf die Haut, aber trotzdem mit bester Laune, und dicht hinter ihnen folgten ihre Eltern.

Fröhlich stand Maike auf, begrüßte sie allesamt, ignorierte gekonnt Kainus fragenden Blick und kümmerte sich darum, dass alle Handtücher bekamen. Nun wurde es eng mit den zwei Bädern, aber immerhin konnten die Anderen alle paarweise gehen, das vereinfachte das ganze Unterfangen enorm.

Nachdem alle wieder halbwegs trocken waren machten sie es sich allesamt im Wohnzimmer bequem. Caroline und Maike bereiteten etwas Tee zu und gemeinsam erzählten sie einander alle möglichen Geschichten, während draußen weiter der Regen gegen die Fensterscheiben prasselte. Niemand sprach Maike und Drew auf ihren Streit an, denn alle schienen zu sehen, dass sie sich wieder vertragen hatten. Oh, und wie sie sich vertragen hatten!

"Weißt du noch, wie wir damals Manaphy gerettet haben?", fragte Max seine Schwester, welche glückselig lächelte. Sie vermisste Manaphy sehr, auch nach all den Jahren noch, und hoffte inständig, dass es ihm gut ging.

"Ja. Und an Jirachi kann ich mich auch erinnern, als wäre es gestern gewesen", sprach Maike und die beiden Geschwister mussten natürlich nun die entsprechenden Geschichten dazu erzählen. Kainu, Aiden, Alea und selbst Drew hatten von alledem noch nichts gehört und lauschten mehr als gespannt. Es kam immerhin nicht oft vor, dass jemandem legendäre Pokémon begegneten.

"Ah, und ich sage euch, ich vermisse Rockos Essen", schwärmte Max nach einer Weile, als es um die gemeinsamen Reisen mit Ash und den Anderen ging. Sofort bemerkte er das Fettnäpfchen, in welches er mit Anlauf getreten war, und fasste sich verlegen an den Kopf.

"Natürlich ist es lange nicht so gut wie deines", fügte er schnell an seine Mutter gewandt zu und diese lachte. Sie nahm es ihrem Sohn natürlich nicht übel.

"Wir haben alle schon so unglaublich viel gemeinsam erlebt", schloss Maike schließlich und sah glücklich in die Runde.

Drew nickte mit einem ernsten Ausdruck.

"Du hast mir sogar schon einmal das Leben gerettet", erinnerte er sie an ihr gemeinsames Erlebnis in einem reißenden Fluss. Alle sahen ihn nun mit großen Augen an - bis auf Max, der wusste darüber natürlich längst Bescheid.

"Schaut nicht mich an", bemerkte Drew. "Da war ausnahmsweise mal Maike der Held."

"Ach was!", winkte sie lächelnd und mit erröteten Wangen ab. "Eigentlich haben dich die Isso gerettet, weißt du nicht mehr?"

"Später, mag sein", meinte Drew und zuckte mit den Schultern. "Aber ich glaube, ich wäre heute trotzdem nicht hier, wenn du mich nicht über Wasser gehalten hättest."

Das Ganze war nun schon gut zehn Jahre her. Erstaunlich, wie schnell die Zeit verging, und vor allem, wie gut er sich noch an diesen Tag erinnern konnte. An Maikes besorgtes Gesicht, und schließlich die Erleichterung, als sie sicher war dass es ihm gut ging.

"Aber du hast mich danach auch gerettet", erinnerte sie ihn und lächelte. "Vor Team Rocket, du erinnerst dich doch bestimmt."

Natürlich erinnerte er sich, also bestätigte er ihre Aussage mit einem Nicken, auch wenn es seiner Meinung nach nicht vergleichbar war. Team Rocket war ein Haufen Idioten, aber sie hätten ihr niemals ernsthaft wehgetan, da war er sich fast sicher. Doch er schwieg dazu.

"Drew hat uns schon mehrmals gerettet", überlegte Max und schob seine Brille gerade. "Darüber habe ich noch nie so nachgedacht."

Der Koordinator winkte ab. "Das waren keine großen Sachen. Aiden, ihr seid doch auch mal zusammen gereist", versuchte er das Gespräch von sich abzulenken und sein fröhlicher Rivale ging nur zu gern darauf ein.

"Oh ja, wir haben auch so einiges erlebt", erzählte er grinsend. "Wir sind erstaunlich oft in Schwierigkeiten geraten und mussten einander helfen. Aber es war auch eine sehr lustige, spannende Reise, nicht wahr?"

Die Koordinatorin nickte lächelnd. "Das war es! Erinnerst du dich an Gustavson, den alten Koordinator?"

So unterhielten sie sich noch eine ganze Weile, bis sich die kleine Gruppe schließlich auflöste und sie alle in ihre Zimmer gingen.

Dort angekommen konnte Kainu ihre Neugierde nicht länger an sich halten und durchlöcherte Maike mit Fragen.

"Und, habt ihr euch wieder vertragen? Und was war überhaupt los? Hast du's ihm endlich gesagt? Wie hat er reagiert? Du hast es ihm doch gesagt, oder? Bitte sag' mir, dass du es ihm gesagt hast!"

Maike lachte ob der Aufregung ihrer Freundin. "Beruhige dich erst mal!", sagte sie. "Wir haben uns wieder vertragen. Es ist alles in Ordnung, eigentlich war es nicht der Rede wert."

Das stimmte so zwar nicht, denn sie wusste, dass Drew ihr ernsthaft sauer gewesen war und das auch zu Recht. Aber sie wollte einfach nach wie vor nicht über alles reden, auch wenn sie Kainu sehr mochte.

"Ah, sehr gut", entgegnete Kainu mit einem erleichterten Lächeln. "Und weiter? Hast du's ihm nun gesagt?"

"Äh, naja, nicht wirklich, nein", murmelte die Koordinatorin verlegen und erntete einen skeptischen Blick.

"Wie, nicht wirklich?" Dann stahl sich ein breites Grinsen auf das Gesicht der jungen Trainerin. "Da ist doch was passiert!", schloss sie aus Maikes Verhalten.

Diese errötete und betrachtete konzentriert den Boden zu ihren Füßen.

"Er hat mich... also... wir haben uns geküsst", murmelte sie kaum hörbar, aber laut genug für Kainu.

Die Rothaarige sprang begeistert auf und musste sich zusammenreißen, um nicht laut "na endlich!" zu rufen. Maike kicherte. Sie hatte es selbst noch immer nicht richtig realisiert und nach wie vor tobten Smettbos in ihrem Bauch, sobald sie daran dachte.

"Oh, Maike, ich freue mich ja so! Und wie geht's jetzt weiter?"

"Das ist eine gute Frage", meinte Maike mit einem Seufzer. "Wir haben nicht darüber geredet. Oder über irgendetwas. Keine Ahnung."

"Dann solltet ihr das morgen unbedingt noch tun."

Die Koordinatorin nickte. So war der Plan. Sie wusste zwar beim besten Willen nicht, wie sie so ein Gespräch anfangen sollte, aber da würde ihr schon etwas einfallen. Sie war immerhin 20 Jahre alt, wenn sie das nicht hinbekam wäre das ja sehr traurig! Es half zumindest sich das einzureden.

Die beiden Freundinnen unterhielten sich noch eine Weile, bis sie schließlich ins Bett gingen. Doch nur eine von ihnen war bald eingeschlafen, während die Andere noch eine Weile wach lag und sich den Kopf zerbrach.

Wiedersehen macht keine Freude

Der nächste Morgen brach an, und draußen war die Sonne von schweren Regenwolken verdeckt. Das war schon das zweite Mal direkt hintereinander, dass Maike so früh aufwachte. Doch diesmal lag es nicht an Kopfschmerzen. Sie war aufgeregt, traurig, durcheinander, verunsichert. Nicht wissend, was dieser Tag für sie bringen würde, abgesehen von Abschieden. Trotzdem war sie auch voller Hoffnung. Bevor sie am Abend zuvor eingeschlafen war hatte sie sich geschworen, Drew auf diese Sache zwischen ihnen anzusprechen. Sie wusste nur noch nicht wann oder wie.

Als die Anderen aufwachten frühstückten sie wieder gemeinsam und dann mussten sie schon ihre Sachen zusammenpacken.

Aiden, Kainu und Drew verabschiedeten sich schließlich von Maikes Familie.

Caroline umarmte jeden Einzelnen von ihnen.

"Es war so schön, euch hier zu haben", sagte sie. "Hoffentlich sehen wir uns bald wieder!"

Maike lächelte. Ihre Mutter war so warmherzig. Manchmal vielleicht etwas aufgedreht und anstrengend, aber das lag womöglich einfach in der Familie, und es machte sie nicht minder liebenswert.

Max und Alea winkten noch zum Abschied, als Maike ihre Freunde schließlich nach Graphitport City brachte. Das war auch der Moment, in dem der Regen durch die Wolken brach. Maike fragte sich ob das wohl ein schlechtes Omen war.

Die Fahrt über war die Koordinatorin sehr still. Nur Aiden und Kainu unterhielten sich fröhlich, bis sie schließlich am Hafen angekommen waren. Maike und Drew halfen ihren beiden Freunden beim Gepäck und gingen zur Anlegestelle des Schiffs.

"Ach, so ein furchtbares Wetter", beschwerte Kainu sich und hielt sich eine Tasche über den Kopf, um sich einigermaßen vor dem Regen zu schützen.

"Stimmt", brummelte Aiden. Sie waren etwas überpünktlich und warteten noch eine Weile, doch das Schiff kam trotzdem viel zu schnell. Als es angelegt hatte drehte sich die Rothaarige zu Maike um.

In ihrem Blick lagen sowohl Freude als auch Trauer. Doch sie musste nichts sagen, Maike wusste ganz genau wie es ihr ging.

Also setzte sie ein aufmunterndes Grinsen auf und umarmte die junge Trainerin.

"Ich bin sehr froh, dass ihr hier wart!", meinte sie und Kainu nickte, ohne sie loszulassen.

"Ich hoffe doch, dass wir uns bald wiedersehen, Maike!"

"Selbstverständlich."

Die Beiden ließen einander widerwillig los und gleich darauf umarmte Aiden sie gewohnt stürmisch und fröhlich, wirbelte sie kurz herum. Maike beschwerte sich lachend.

"Du wirst das immer machen, oder?", fragte sie ihn und er nickte grinsend.

"Na klar. Warum auch nicht? Ich verlass mich auf dein Versprechen. Wir sehen uns bald wieder!"

Maike nickte, und die Beiden verabschiedeten sich noch von Drew. Dieser machte eigentlich keine Anstalten, einen von Beiden zu umarmen, aber da hatte er die Rechnung ganz klar ohne Kainu und Aiden gemacht.

Zuerst umarmte die Rothaarige ihn kurz und lächelte noch zum Abschied, dann nahm Aiden ihn recht fest in die Arme.

Drew errötete etwas und stand nur steif da, was Maike ein Schmunzeln entlockte. Es war mehr als offensichtlich, dass ihm das Ganze sehr unangenehm war, aber zumindest beschwerte er sich nicht und ließ es über sich ergehen. Drew war halt noch nie der Typ für so etwas gewesen.

Gemeinsam beobachteten sie, wie ihre Freunde das Schiff betraten, und winkten ihnen noch zum Abschied, bis das Schiff langsam aus ihrem Sichtfeld verschwand.

Maike drehte sich mit einem traurigen Lächeln zu ihrem Rivalen.

"Jetzt sind sie weg. Die Zeit ging viel zu schnell vorbei."

Er sah sie aus dem Augenwinkel an und nickte.

"Ihr werdet euch bald wiedersehen, wenn du wieder an Wettbewerben teilnimmst", bemerkte er und sie seufzte.

"Ja, schon, aber..." Sie brach ab. Wie so oft fehlten ihr die richtigen Worte. Sie wusste nicht wie sie es erklären sollte, doch es war einfach etwas Anderes, wenn sie wieder den Druck der Wettbewerbe spüren würde. Hier war alles so leicht und sorglos gewesen - wenn man von ihrem Zusammenbruch absah.

"Komm", unterbrach Drew ihre Gedanken, "wir stellen uns irgendwo unter."

Sie folgte dem grünhaarigen Koordinator und gemeinsam stellten sie sich unter das Vordach eines Geschäftes. Zwar hatte Maike ihre grüne Jacke an, doch sie fror trotzdem. Immerhin hatte der Regen sie vollkommen durchnässt und es hatte sich seit dem letzten Abend ziemlich abgekühlt.

Drew sah zu ihr herunter.

"Du frierst", stellte er trocken fest und sie warf ihm einen amüsierten Blick zu.

"Hundert Punkte für den Kandidaten", meinte sie bloß und zuckte dann mit den Schultern. "So schlimm ist es nicht."

Drew sah sie noch einen Moment an, dann ging er wortlos in das Geschäft, vor welchem sie sich untergestellt hatten.

Verwirrt blickte die Koordinatorin ihm nach. Was sollte das denn jetzt wieder?

Ein paar Sekunden stand sie noch unentschlossen davor, dann folgte sie ihm doch.

Es dauerte eine Weile, bis sie ihn fand. Scheinbar war sie durch einen anderen Gang an ihm vorbeigelaufen, als er gerade zurück zur Kasse wollte, und dort erblickte sie ihn auch schließlich.

"Was ist denn los? Du kannst mir ruhig Bescheid sagen wenn du einkaufen möchtest!", beschwerte sie sich.

"Klappe", meinte Drew nur und nahm sein Wechselgeld entgegen. Sprachlos blickte sie ihn an, bis er ungerührt wieder zum Eingang lief.

"Klappe?", wiederholte sie schließlich ungläubig. "Geht's noch?" Was war denn mit diesem Idioten nun schon wieder los?

Mit großen Schritten eilte sie ihm hinterher, eigentlich um ihm eine Standpauke zu halten, doch sie kam nicht dazu. Bevor sie etwas sagen konnte erteilte er ihr bereits Befehle.

"Zieh die Jacke aus", forderte er und sie sah ihn mit großen Augen an.

"Ich soll... Was? Spinnst du?"

"Mach einfach."

"Ich denk nicht dran!"

Der Koordinator fasste sich seufzend an die Stirn und ließ sich schließlich zu einem "bitte" herab.

Maike war über alle Maßen verwirrt und auch verärgert, aber schließlich tat sie doch was er wollte. Zögerlich öffnete sie den Reißverschluss und hielt kaum später das nasse, grüne, tropfende Kleidungsstück in der Hand.

"So, und nun?", fragte sie und zitterte vor Kälte.

Ihr Rivale nahm etwas aus seiner Einkaufstüte und reichte es ihr. Verwundert griff Maike danach und begutachtete es.

Er hatte ihr eine neue Jacke gekauft.

"Warum?", fragte sie, einerseits gerührt, andererseits immer noch etwas säuerlich.

"Weil du gefroren hast", antwortete er schlicht und sie lachte.

"Du bist unmöglich, Drew, ehrlich! Das hättest du doch nicht tun müssen." Dann zog sie ihre neue, schwarze Jacke an. Sie war schön trocken und innerhalb von Sekunden wurde ihr etwas wärmer. "Danke", sagte sie mit einem breiten Lächeln.

Er nickte bloß und erwiderte ihr Lächeln leicht.

"Ich möchte doch nicht, dass meine Lieblings-Rivalin sich erkältet", erklärte er.

"Aber dir selbst hast du nichts Trockenes geholt?", fragte Maike und er schüttelte den Kopf.

"Ich bin sowieso bald auf dem Schiff und ich habe Wechselklamotten im Rucksack."

"Achso."

Doch sie bemerkte sehr wohl, dass auch er fror, auch wenn er sein Bestes gab um es sich nicht anmerken zu lassen.

Maike sah sich um und entdeckte ein kleines Café. Dort könnten sie sich aufwärmen, bis Drews Schiff kam. Doch dann müssten sie wieder durch den Regen laufen und Maikes neue Jacke wäre nass.

Sie wollte Drew gerade fragen was er davon hielt, aber er war ihrem Blick gefolgt und holte lächelnd noch einen kleinen Schirm aus der Einkaufstasche.

"Du denkst doch nicht, dass ich zulasse, dass du sofort wieder klatschnass bist, oder?", fragte er und sie lachte.

"Natürlich nicht. Wie konnte ich das vergessen. Drew ist ja immer auf alles bestens vorbereitet."

"Mich wundert es ja eher, dass du keinen Schirm mitgenommen hast, Dummkopf", stichelte er.

"Ich dachte, Mama hätte einen im Auto", verteidigte sie sich schmollend, und er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie war so leicht aus der Fassung zu bringen.

Gemeinsam gingen sie zu dem Café, geschützt von Drews Schirm, und machten es sich an einem kleinen Tisch im Inneren gemütlich. Hier war es angenehm warm und außerdem duftete es nach allen möglichen Leckereien.

"Gut, was auch immer du dir bestellst, das geht diesmal auf mich", sagte Maike entschieden. Drew hatte ihr bereits ihre Maske gekauft, und jetzt auch noch eine Jacke, und den Schirm eigentlich auch bloß ihretwegen. Sie hatte schon ein dezent schlechtes Gewissen.

Er setzte dazu an zu widersprechen, doch als er ihren fest entschlossenen Blick sah schwieg er und nickte lächelnd. Maike war ein Sturkopf - wenn sie sich das jetzt in den Kopf gesetzt hatte, dann konnte er nicht an ihrer Entscheidung rütteln, das wusste er genau.

Das war einer der Punkte, die er so an seiner Rivalin schätzte. Ihr Sturkopf konnte manchmal nervig sein, doch er machte sie auch stark. Sie kämpfte für das, woran sie glaubte, und gab niemals klein bei. Es war wirklich bewundernswert, wie beharrlich und zielstrebig sie ihre Ziele verfolgte.

Die beiden bestellten ein warmes Getränk und eine Kleinigkeit zu essen.

"Du, Drew", begann Maike zögerlich. "Ich habe dich bisher nie gefragt, aber was ist eigentlich bei den Bewahrern passiert? Hinten, bei Tormund?"

Der Grünhaarige sah sie überrascht an. Er hatte nicht erwartet, dass sie ihn noch mal darauf ansprechen würde.

"Nun, ich habe gegen ihn gekämpft", berichtete er und Maike sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Ja, schon klar, und weiter? Ash kam doch auch dazu. Und wie ist er geflohen?"

Der Koordinator nickte. "Ja, Ash hat mir sehr geholfen. Ich gebe es nicht gerne zu, aber Tormund war echt stark. Gemeinsam haben wir ihn jedoch in die Ecke gedrängt. Gerade als wir dachten wir hätten ihn, kam einer seiner Handlanger, der mit der Firnontor-Maske, und hat einen Rauchball geworfen. Ehe Ash und ich reagieren konnten waren sie beide verschwunden."

"Einfach so?", fragte Maike mit großen Augen.

"Einfach so", stimmte er zu. "Ash und ich vermuteten, dass dort irgendwo ein Geheimgang war, doch wir konnten keinen finden. Also sind wir wieder zu euch zurück."

Sie nickte nachdenklich. "Danke, Drew."

"Nicht dafür", sagte er und aß sein letztes Stück Kuchen.

Die Koordinatorin stocherte derweil in ihrem letzten Stück herum. Theoretisch war das der perfekte Moment, um mit ihm über diese eine Sache zu reden, aber sie traute sich nicht so recht. Wo war nur ihr Selbstbewusstsein hin? Sie unterdrückte einen tiefen Seufzer und beschloss, es ihm beim Abschied zu sagen. Sie fragte sich insgeheim auch, warum sie das unbedingt machen musste. Er hatte sie immerhin geküsst! Und machte nun keinerlei Anstalten, mit ihr über die Angelegenheit zu sprechen. Warum nicht?

Maike wollte gerade die Bedienung rufen um zu zahlen, als es draußen einen lauten, markerschütternden Knall gab. Durch die Fenster sahen sie aufgewirbelten Staub, welcher jedoch bald vom Regen verdrängt wurde, und die Beiden warfen einander einen alarmierten Blick zu.

Maike legte etwas Geld auf den Tisch und folgte Drew, welcher bereits aufgesprungen und auf dem Weg nach draußen war.

Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals, doch sie wollte wissen, was dort vor sich ging. Unter Umständen brauchte jemand ihre Hilfe. Doch die Angst nagte an ihr. Konnte es denn sein, so kurz nachdem sie Drew danach gefragt hatte...? Nein. Niemals.

Sie sah ihren Rivalen kampfbereit im Regen stehen, er hatte bereits sein Roserade und sein Libelldra gerufen. Seine beiden erfahrensten Pokémon, es musste ernst sein.

Nicht stark genug

Maike brauchte zwei Sekunden, um zu erkennen was dort vor sich ging, dann schnappte sie nach Luft. Der Pokémon-Fanclub war in die Luft gesprengt worden und trotz des Regens war noch eine riesige Staubwolke zu sehen. Davor stand jemand, den sie kannte. Und zwar besser, als ihr lieb war.

Ihre Knie wurden weich und ihre Beinen waren kurz davor, nachzugeben, doch die Angst lähmte sie dermaßen, dass sie nicht einmal zu Boden gehen konnte.

"Wen haben wir denn da?", fragte Tormund mit einem triumphierenden Lachen. "Meine beiden Lieblings-Koordinatoren! So schnell sieht man sich wieder!"

Maike blendete seine Worte und die Geräusche um sich herum vollkommen aus. Sie starrte den hoch gewachsenen schwarzhaarigen Mann bloß an. Es überstieg ihr Verständnis. Sie hatte gerade noch mit Drew über ihn geredet und nun stand er dort, diese Ausgeburt der Hölle, und grinste sie süffisant an.

Sie wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, doch aus dem Augenwinkel realisierte sie, dass Drew sie ansah und irgendetwas zu rufen schien.

"Maike, verdammt, pass auf!", drang es endlich an ihre Ohren und geschockt drehte sie sich um. Leider zu spät - Leonas hatte sie bereits erreicht und packte sie grob an den Handgelenken, bevor sie sich wehren konnte.

"Nein", hauchte sie kraftlos, doch es hielt ihr Gegenüber nicht davon ab, sie zu Boden zu stoßen.

"So, Kleine", sprach Leonas, "Sieh zu und lerne!"

Mit Gewalt drehte er sie so, dass sie Drew und Tormund durch den Regen hindurch sah.

Ihr Rivale hatte sich so sehr auf Maike konzentriert, ebenso wie seine Pokémon, dass sie den erneuten Angriff von Tormund nicht hatten kommen sehen. Der Meister der Bewahrer hatte sein Stolloss auf den Koordinator und seine Pokémon losgelassen, und die Kraft des riesigen Pokémon traf alle drei mit voller Wucht. Mit aufgerissenen Augen sah Maike, wie der Aufprall sie einige Meter durch die Luft schleuderte, bis sie irgendwann auf dem Boden aufkamen. Die ganze Szene schockte sie zutiefst.

"Drew!", schrie sie panisch und atmete erleichtert auf, als der Angesprochene sich mühsam aufrappelte. Roserade und Libelldra taten es ihm gleich, doch sie waren stark angeschlagen.

Das war der Punkt, an dem Maikes Angst einer rasenden Wut Platz machte. Tormund hatte einfach so in Kauf genommen, ihren Freund ernsthaft zu verletzen. Nein, nicht bloß in Kauf genommen, vermutlich hatte er es sogar genau so gewollt.

Sie wehrte sich nach allen Kräften, um sich aus Leonas' Griff zu befreien, doch es war aussichtslos. Er war ihr von der Kraft her eindeutig überlegen.

Krampfhaft suchte die Koordinatorin nach einer Lösung, während Drew seine restlichen Pokémon herausließ. Er wusste, dass Roserade und Libelldra zu stark getroffen worden waren, um den Kampf noch alleine für sich zu entscheiden.

"Ich... Ich kann das nicht sehen", murmelte Maike, doch als sie den Kopf wegdrehen wollte, richtete Leonas ihn gewaltsam wieder nach vorn.

"Oh doch, du siehst dir das genau an!", flüsterte er ihr bedrohlich ins Ohr. "Wir hätten bis vor ein paar Tagen nicht gedacht, euch so schnell wiederzusehen, aber wir sind sehr froh, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können. Ihr werdet den nächsten Tag nicht erleben."

Maike hatte einen Kloß im Hals. Sie wusste, dass er es todernst meinte. Früher hatten sie immer bloß mit dem im Grunde harmlosen Team Rocket zu kämpfen gehabt und sie hatte nie geglaubt, dass es auf ihrer Welt so brutal zugehen könnte. Oh, wie sie sich doch getäuscht hatte.

Maike fügte sich vorerst und beobachtete, wie Tormund und Drew kämpften. Der Koordinator hatte von seinem vorherigen Aufprall einige Wunden, Maike konnte die roten Verfärbungen an seiner Kleidung selbst aus der Ferne sehen.

"Blut", murmelte sie. "Kann kein... Blut sehen..."

Dann ließ sie all ihre Muskeln erschlaffen und schloss die Augen, als sei sie ohnmächtig geworden. Überrascht ließ Leonas sie los und sah sie dann angewidert an - zumindest ließen seine Augen darauf schließen.

"Was für ein Schwächling", spottete er und trat ihr in die Seite. Es kostete Maike alles an Kraft und Selbstbeherrschung, um auf diese Schmerzen nicht irgendwie zu reagieren und somit ihre Tarnung auffliegen zu lassen. Doch wie erwartet ließ Leonas bald von ihr ab und schenkte dem Kampf größere Aufmerksamkeit als der vermeintlich bewusstlosen Koordinatorin.

Das war ihre Chance. Sie brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um auf die Beine zu kommen und ihre eigenen Pokémon zu rufen, und bis Leonas seinen Fehler erkannt hatte war er bereits umzingelt. Maikes Lohgock funkelte ihn hasserfüllt an - die Beiden hatten noch eine Rechnung zu begleichen. Das Feuerpokemon packte ihn am Kragen und hob ihn ohne große Anstrengung hoch, wobei die Maske von seinem Gesicht rutschte. Darunter zu sehen war ein ganz normaler, unscheinbarer Mann mit bleichem Gesicht. Es hätte durchaus der Bäcker von nebenan sein können.

Maike legte ihrem Pokémon eine Hand auf die Schulter und bedeutete ihm mit einem Blick, sich zu gedulden. Lohgock fügte sich, wenn auch widerwillig, hielt Leonas allerdings fortwährend hoch.

"Glaziola, Enekoro, helft Drew!", befahl sie ihren Pokémon und diese stürzten sich sofort mit in den Kampf. Mittlerweile hatte auch Tormund alle Register gezogen, neben Stolloss waren nun noch Gengar, Rasaff, Pampross, Shnurgarst und ein Turtok am Kampf beteiligt und setzten Drew und seinen Pokémon schwer zu. Er konnte etwas Unterstützung ohne Frage gut gebrauchen.

Maike wandte sich wieder Leonas zu. "Was zur Hölle tut ihr hier, und wie habt ihr uns gefunden?", fauchte sie den bleichen Mann an.

Dieser grinste überheblich.

"Wir haben überall unsere Spitzel", antwortete er, "da war es uns ein Leichtes, euch zu finden. Ihr versteckt euch nicht halb so gut wie dieser Ash. Jedenfalls wurde uns zugetragen, dass ihr hier seid. Und der Pokemon Fanclub stand schon länger auf unserer Liste." Sein Grinsen wurde breiter. "Eigentlich seid ihr die Mühe nicht wert, aber Meister Tormund hat einen Narren an deinem grünhaarigen Freund gefressen."

Das Sprechen war ihm schwer gefallen, während Lohgock ihn am Schlafittchen hielt, aber er war dennoch überraschend bereitwillig mit einer Erklärung herausgerückt.

Maike knurrte ein paar unverständliche Worte als Antwort und überlegte kurz was sie tun sollte. Sicherlich hatten Anwohner schon Officer Rocky informiert. Darum müsste sie sich nicht kümmern. Ihr Blick wanderte zurück zu Drew, der sich einen erbitterten Kampf mit Tormund lieferte. Es sah nicht gut aus.

Hinter den Beiden befand sich der Berg aus Trümmern, der eins der Pokemon Fanclub gewesen war.

In Maike kam eine dunkle Vorahnung auf. Es war helllichter Tag, was also, wenn in dem Gebäude noch Menschen waren? Sie wären jetzt verschüttet - und im schlimmsten Fall sogar tot.

Einen kurzen Augenblick kehrte die Angst zurück, kroch wie eisige Kälte in ihre Knochen und lähmte jeden Muskel. Eine leise Stimme in ihrem Inneren befahl ihr, einfach wegzurennen. Sich selbst in Sicherheit zu bringen. "Das hältst du nicht noch mal aus", flüsterte die Stimme. "Die bringen dich um! Lauf weg. Weit, weit weg."

Ein kleiner Teil von ihr hätte am liebsten auf diese Stimme gehört, und dafür schämte sie sich. Mit aller Kraft die sie aufwenden konnte schob sie ihre Angst beiseite und schaffte damit ihrer Wut und ihrer Entschlossenheit Platz. Sie schaffte es zwar nicht, ihre Angst komplett zu verbannen, aber sie war nun wieder in der Lage sich zu bewegen und klare Gedanken zu fassen. Sie war in der Lage zu handeln.

Maike drehte sich zu Lohgock.

"Pass auf Leonas auf", befahl sie ihrem Pokemon, welches grimmig nickte.

"Danke. Ich schaue nach, ob ich jemanden in den Trümmern finde. Vivillon, Luxio, unterstützt Drew! Schillok, du musst mir helfen."

Mit schnellen Schritten eilte die Koordinatorin zu den Trümmern und zusammen mit ihrem Pokemon begann sie zu suchen. Sie wich erschrocken zurück, als plötzlich ein Coiffwaff neben ihr auftauchte.

"Keine Angst!", sagte ein älterer Mann, der etwas hinter dem Pokemon stand. "Wir helfen beim Suchen. Coiffwaff ist für so etwas ausgebildet worden."

Maike nickte. Was für ein glücklicher Zufall, dass dieser Mann gerade vor Ort war. Doch bevor Coiffwaff wirklich mit Suchen anfangen konnte hörte Maike ihr Schillok aufgeregt rufen. Zusammen mit dem älteren Mann und seinem Pokemon eilte sie zu ihm.

"Schillok, Schillok!", rief es aufgeregt und deutete auf die Trümmer.

Dort ragte eine Hand heraus und Maike musste gegen ihre aufkommende Übelkeit ankämpfen.

"All das Blut", murmelte sie und schwankte. Diesmal war es nicht gespielt - denn diesmal hatte sie Angst, dass dieses Blut zu einem Toten gehören könnte. Der Mann schob sie sanft beiseite und gebot ihr, sich hinzusetzen.

"Überlass das uns", meinte er brummelnd und sie nickte benommen.

Während er mit einem Meganie beschäftigt war, behutsam Trümmerbrocken um Trümmerbrocken zu entfernen, versuchte Maike wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Da war möglicherweise ein Mensch gestorben. Oder mehr als einer. Wie grausam waren die Bewahrer bloß, dass sie ohne ein Wimpernzucken, ohne Gewissensbisse, einfach so einen Menschen aus dem Leben rissen? Nachdem das Bild ihrer friedlichen Welt vorher schon einige Risse bekommen hatte, brach es nun endgültig in sich zusammen.

Plötzlich presste ihr von hinten jemand die Hand auf den Mund und zog sie mit sich. Panisch versuchte sie zu schreien und die Anderen auf sich aufmerksam zu machen, doch selbst ihr Schillok war zu sehr mit dem Verschütteten beschäftigt und bemerkte nicht, wie seine Trainerin fortgezerrt wurde. Alles Treten und Strampeln half nichts, und je mehr sie sich wehrte, desto fester wurde der Griff, der sie festhielt. Schließlich ergab sie sich erschöpft der Situation und blickte sich stattdessen um.

Lohgock war nirgends mehr zu sehen, und Leonas kämpfte nun an Tormunds Seite, gemeinsam mit ein paar weiteren Handlangern. Drew würde nicht mehr lange standhalten können.

Aus den Fenstern einiger Gebäude schauten Menschen, aber nur einige wenige hatten sich aus ihren Häusern getraut und lieferten sich Kämpfe mit den Bewahrern.

Den Mann bei den Trümmern ließen sie völlig unbehelligt, er schien bei den Bewahrern kein Interesse zu wecken. Womöglich war es ihnen egal, da sie ihr Ziel ohnehin erreicht hatten.

Plötzlich löste sich die Hand von ihrem Mund und sie wollte losschreien, doch da spürte sie schon kaltes Metall an ihrer Kehle.

"Versuch gar nicht erst zu schreien", flüsterte ihr jemand mit einem irren Kichern ins Ohr. "Du würdest es bereuen!"

Dann stieß er sie zu Boden, wie es zuvor Leonas schon getan hatte, und zog sie an den Haaren, zwang sie, in Richtung des Kampfes zu sehen.

Drew konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, von den Pokemon ganz zu schweigen. Luxio war bereits kampfunfähig und sah furchtbar zugerichtet aus, ebenso wie Absol und Libelldra. Roserade stand schützend vor seinem Trainer, doch es war dem Zusammenbruch nahe.

Tränen flossen über Maikes Gesicht. Es war noch keinen Tag her, da hatte sie sich für den glücklichsten Menschen der Welt gehalten. Da hatte sie gedacht, dass von nun an alles perfekt werden würde. Sie würde Drew heute noch vor seiner Abreise ihre Liebe gestehen, und er würde ihr seine Liebe gestehen. Sie würden glücklich sein bis an ihr Lebensende. Gemeinsam reisen, gemeinsam an Wettbewerben teilnehmen, und irgendwann auch gemeinsam alt werden. Was für eine romantische, kindische, unrealistische Vorstellung. Die bittere Realität hatte diesen Traum unbarmherzig zerschmettert. Wenn sie nicht irgendetwas tun würde... wer weiß, ob sie Drew dann je wieder sehen würde? Oder ob sie selbst den nächsten Tag noch erleben würde?

Warum nur musste Glück so dermaßen zerbrechlich sein?

Ein paar Sekunden ergab sie sich noch ihrem Selbstmitleid, dann atmete sie tief ein und fasste einen Entschluss.

Sie hatte nicht viel Zeit, und sie hatte nur eine Chance. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass der Bewahrer der sie festhielt ein Messer am Gürtel hatte. Sie war sich nicht ganz sicher, ob es das war welches er ihr zuvor an die Kehle gehalten hatte oder ein Zusätzliches, doch das spielte keine Rolle.

Sie richtete sich ein wenig auf, rammte ihm den Ellenbogen zwischen die Beine, und während er sich fluchend krümmte griff sie nach dem Messer.

Sie hatte ihn damit bedrohen wollen, doch wider Erwarten ließ er ihre Haare nicht los, trotz der Schmerzen die er haben musste.

Kurz entschlossen fuhr sie mit der Klinge durch ihre Haare und der Bewahrer jaulte auf. Offenbar hatte sie auch seine Hand getroffen, doch es war ihr egal, sie hatte ihr Ziel erreicht - sie war frei.

Als sie sich umdrehte krümmte der Mann sich auf dem Boden, die blutende Hand mit ihren Haaren an den Körper gepresst, die andere zwischen die Beine.

Der konnte erst mal liegen bleiben.

Maike wandte sich um und schnappte entsetzt nach Luft. Gerade in diesem Moment sah sie Drew zu Boden gehen.

Ohne großartig darüber nachzudenken rannte sie los, auf die Gruppe Bewahrer zu. Zu Leonas und Tormund. Doch wurde sie jäh gestoppt. Wieder ergriff sie jemand von hinten und bevor sie sich mit dem Messer wehren konnte hatte sich eine Hand eisern um ihren Arm gelegt.

Warum konnte nicht einmal etwas nach Plan laufen?

Ein paar Sekunden wehrte sie sich noch, doch dann wich aller Widerstand aus ihr. Sie hatte ihre letzte Chance vertan. Es war vorbei.

Mit vor Tränen getrübtem Blick beobachtete sie, wie die Bewahrer einer nach dem Anderen verschwanden. Sie nahmen Drew und alle Pokemon mit sich. Lohgock war verschwunden, also war es wahrscheinlich auch den Bewahrern in die Hände gefallen.

"Was ist mit der?", hörte sie eine Stimme hinter sich.

"Die bringe ich ins Hauptquartier. Keine Sorge, mit der werde ich schon alleine fertig."

Das war die Stimme des Mannes, der sie festhielt, und sie war seltsam vertraut.

"Alles klar. Wir sehen uns dort."

Der Andere entfernte sich, und sie wurde in eine dunkle Seitengasse gezogen. Sie versuchte nicht einmal sich dagegen zu wehren.

"Sei bitte ruhig und hör mir erst mal zu", flüsterte der Mann und ließ die verwirrte Maike schließlich vorsichtig los.

Langsam drehte sie sich um und sog scharf die Luft ein, als sie realisierte wen sie vor sich hatte.

"Keith", zischte sie wütend und schüttelte den Kopf, verärgert über ihn und auch über sich selbst, weil sie im Leben nie darauf gekommen wäre, dass er mit den Bewahrern zu tun hätte.

"Hör mir zu", sagte er noch einmal eindringlich und sah sich verstohlen um.

"Es tut mir Leid. Ich habe euch gesehen, damals in der Menge beim Fest schon, und habe es Tormund gemeldet. Das war ein Fehler. Ich weiß nicht was mit ihm los ist, aber er hat sich verändert. Seine Taten gehen nicht mehr mit meinen Ansichten konform."

Maike trat einen Schritt zurück, während sie ihm misstrauisch zuhörte. Also hatte er sie die ganze Zeit bespitzelt.

"Moment... du hast uns in der Menge gesehen? Warst... warst du beim Feuerwerk etwa auch...?"

"Ja, ganz Recht", sagte er mit einem Nicken. Dann hatte sie es sich nicht eingebildet, als sie dachte eine Firnontor-Maske gesehen zu haben. Das musste er gewesen sein. Und später hatte er sie gegen eine Entei-Maske ausgetauscht, um ihr keine Angst zu machen und näher an sie ran zu kommen. Das ergab Sinn.

"Ich bin bei den Bewahrern, weil ich die Pokemon liebe", erklärte er, und in seiner Stimme lag aufrichtiges Bedauern. "Ich wollte, dass ihre Ausbeutung gestoppt wird. Aber ich wollte nie, dass dabei Menschen verletzt werden. Oder Schlimmeres..."

Er blickte zu Boden und ballte die Hände zu Fäusten.

Maike hätte beinahe Mitleid mit ihm haben können, wenn sie nicht nahezu blind vor Hass wäre.

"Und was willst du jetzt von mir?", zischte sie wütend.

"Ich will dir helfen."

Sprachlos blickte sie ihn an. Ein paar Sekunden vergingen, ohne dass einer der Beiden etwas sagte, doch dann wurde Keith nervös.

"Wir müssen uns aber beeilen. Wenn Officer Rocky mich hat war es das. Ich kann dich dort rein bringen. Wir befreien deinen Freund und eure Pokemon und ihr könnt gehen. Aber dafür müssen wir den Schein wahren, dass du eine Gefangene bist."

Maike verengte misstrauisch die Augen.

"Nenn mir einen Grund, warum ich ausgerechnet dir jetzt vertrauen sollte", forderte sie aufgebracht. "Das kann ein Trick sein damit ich ohne Widerstand mitkomme und-"

"Maike", fiel er ihr ins Wort, "jetzt denk doch mal nach! Du hast dich eben schon nicht mehr gewehrt. Ich hatte dich. Und ich hätte dich ohne Probleme einfach dort ausliefern können. Warum sollte ich es mir selbst so kompliziert machen wenn ich dir nicht helfen möchte?"

Das machte irgendwie Sinn in den Augen der Koordinatorin, doch sie traute ihm einfach nicht über den Weg.

Aus der Ferne hörte sie Polizeisirenen und das Bellen aufgebrachter Arkani. Keith sah sie ungeduldig an. "Jetzt oder nie", zischte er.

"Warum soll Officer Rocky es nicht erfahren?", fragte Maike zweifelnd. "Wir wären stärker wenn sie dabei wären!"

"Wir kämen nicht mal bis zu Tormund mit so vielen Leuten", erklärte Keith. "Er wäre mit deinem Freund über alle Berge bevor wir ihn erreicht haben. Mit dir als Gefangene haben wir die beste Tarnung um bis zu ihm zu kommen. Und er wird dich da haben wollen, bevor er irgendetwas mit Drew macht. Allein des Schauspieles wegen." Er sah verlegen zu Boden. "Außerdem möchte ich nicht geschnappt werden. Ich will mein Gewissen etwas bereinigen indem ich dir helfe, aber ich habe nicht vor den Rest meines Lebens hinter Gittern zu verbringen."

Einleuchtend.

"Aber ich habe keine Pokemon", stellte Maike verzweifelt fest.

"Ich besorge dir deine Pokebälle", versprach er, "und wenn ich die Chance dazu kriege werde ich sie vorher noch heilen."

Nervös trat er von einem Fuß auf den Anderen.

"Letzte Chance, Maike."

Maikes Gedanken überschlugen sich, Zweifel und Ängste standen Hoffnung gegenüber. Doch es schien ihr wie ein letzter rettender Strohhalm zu sein, und sie entschied sich entgegen all ihrer Vernunft mit ihm zu gehen.

"Na gut", sagte sie und blickte Keith entschlossen in die Augen.

"Lass uns Drew retten!"

Leider keine Teenie-Romanze

Seit einigen Minuten saß Maike auf dem Rücken eines Gluraks, Keith hinter sich.

Für sie fühlte es sich an, als würden sie schon seit Stunden fliegen, und ihre Gedanken überschlugen sich unentwegt.

Sie hätte sich selbst in regelmäßigen Abständen eine verpassen können, weil sie tatsächlich freiwillig mitgekommen war. Sie hätte jemandem Bescheid sagen müssen. Irgendjemandem. Darauf hätte sie bestehen müssen, auch wenn es Keith nicht gefallen hätte.

Doch es hatte einfach zu viel auf dem Spiel gestanden, und die Zeit hatte nicht gereicht, um länger darüber nachzudenken und sich logischer und besonnener zu verhalten. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen, nun musste sie damit zurecht kommen.

Die ganze Zeit über hatte sie kein Wort mit Keith gewechselt. Es war ihr unangenehm, so nah bei ihm zu sitzen, seine Wärme an ihrem Rücken zu spüren. Zu tief war die Abscheu, die sie ihm gegenüber empfand. Dennoch wollte er ihr helfen. Wenn sie Erfolg hätten, dann würde sie eventuell noch einmal darüber nachdenken, ihre Meinung über ihn zu ändern.

Wenn...

Der Gedanke daran was passieren würde, wenn sie es nicht schaffen sollten, schnürte ihr die Kehle zu. Hin und wieder stahlen sich Tränen in ihre Augen, welche sie jedoch stets verbissen herunterschluckte.

Ihr Schillok war in Graphitport City geblieben. Sie hatte sich nicht verabschiedet, ihm nicht Bescheid gesagt. Zu groß war die Gefahr, dass Officer Rocky in der Zeit den Ort des Geschehens erreicht hätte.

Sicher war es schon ganz krank vor Sorge - doch immerhin war es in Sicherheit. Ganz im Gegensatz zum Rest ihrer Pokemon.

Keith räusperte sich verlegen.

"Es ist nicht mehr weit", informierte er sie, und sie reagierte mit einem stummen Nicken.

"Dort vorne", fuhr er fort und zeigte auf ein paar Berggipfel, welche in der Ferne aus den Wolken ragten.

Die Koordinatorin verengte die Augen. Sie war nicht sicher, wo in Hoenn sich solch ein Berg befand. Vielleicht war es aber auch eine Insel irgendwo im Meer.

Nach kurzer Zeit landete Glurak schließlich auf einer kleinen Ebene des zerklüfteten Berges. Es sah alles ziemlich trostlos aus, hier wuchs bis auf ein paar magere, trockene Sträucher nichts. Überall waren nur graue Felswände.

Hinter ihr stieg Keith von seinem Glurak hinab und hielt ihr dann die Hand hin, um ihr herunter zu helfen. Widerwillig griff sie danach. Sie merkte, dass sie kaum noch Kraft hatte, und ihre Beine zitterten gefährlich, als ihre Füße schließlich den Erdboden berührten.

Der junge Mann sah sich aufmerksam um und zog sie dann hinter sich her zu einer Art Höhle.

"Tut mir Leid", murmelte er, während ein paar Tropfen von seinen nassen Haaren fielen. "Du musst dich zu Tode frieren, nachdem wir so lange durch den Regen geflogen sind. Aber wir haben jetzt keine Zeit uns um dich zu kümmern."

Sie nickte grimmig. "So schlimm ist es nicht. Wir haben Wichtigeres zu besprechen. Wie geht es jetzt weiter?"

"Wir fliegen gleich noch ein kurzes Stück zum Eingang. Ab da bist du offiziell meine Gefangene - und musst dich auch so verhalten. Ich werde nicht nett zu dir sein können. Wir müssen die Anderen überzeugen."

Maike senkte zustimmend den Kopf.

"Sie werden dich wegsperren", fuhr er fort, "aber Tormund wird dich zeitnah sehen wollen. Spätestens Morgen, denke ich. Da ich ihm den Tipp mit euch gegeben habe, wird mir sicher die Aufgabe zufallen, dich zu holen. Also werde ich vorher versuchen, deine Pokemon unbemerkt in die Finger zu kriegen. Mein Kecleon wird mir dabei helfen."

"Verstanden. Und dann?"

"Dann kommt der schwierige Part. Wir werden nicht allein mit Tormund sein. Hier ist das Hauptquartier, er ist von Unmengen an Handlangern umgeben. Aber wir kommen nicht drum herum, gegen ihn zu kämpfen. Das wird richtig hart und unser einziger Vorteil ist, dass er nicht damit rechnet, dass wir ihn gemeinsam angreifen. Er wird sich sicher fühlen und wir haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Das heißt, du musst mit deinen Pokemon von der ersten Sekunde an alles geben! Konzentriere du dich dabei auf Tormund, ich versuche, dir währenddessen seine Handlanger vom Hals zu halten."

Maike seufzte. "Das klingt alles nicht sehr ausgeklügelt."

"Ist es auch nicht", gab Keith leise zu. "Aber ich hatte auch keine Zeit, etwas Besseres zu planen. Für Vorschläge bin ich offen."

Nachdenklich legte die Koordinatorin den Kopf schief. Drew hatte es nicht geschafft, mit all seinen Pokemon gegen Tormund anzukommen. Doch gemeinsam mit Ash hätte er ihn besiegt. Beide waren aber auch enorm starke Trainer. Sie selbst war zwar nicht schwach, konnte sich, die Stärke betreffend, aber bei Weitem nicht mit ihnen messen. Mit anderen Worten war dieser Plan im Grunde genommen zum Scheitern verurteilt. Aber welche Alternativen gab es?

"Wenn ich... Ash anrufe", überlegte sie laut, doch Keith schnitt ihr sogleich das Wort ab.

"Ash ist nicht in der Nähe. Und selbst wenn er es wäre, würde er etwas brauchen, bis er das Versteck findet. Und wenn er es dann gefunden hätte wäre Tormund verschwunden, sobald er auch nur die ersten Wachen angegriffen hätte."

Die Koordinatorin fluchte ungehalten. Damit wäre auch jeder weitere Mensch, den sie hätte vorschlagen können, aus dem Rennen. "Dann haben wir offensichtlich keine Wahl. Aber was passiert mit uns, wenn es nicht funktioniert?"

"Das weißt du", erwiderte Keith mit einem gequälten Grinsen. "Dich wollten sie eh los werden und ich bin ein Verräter."

"Und du bist bereit so viel für uns zu riskieren?", fragte sie erstaunt.

"Ich tue das eher für mich selbst", antwortete er mit einem Schulterzucken. "Die Frage ist: Bist du bereit es zu riskieren?"

"Natürlich!", rief sie augenblicklich aus und er lächelte zufrieden.

"Gut, dann lass uns endlich los legen, sonst wird meine lange Abwesenheit auffallen."
 

Keith und Maike kamen problemlos an den ersten Wachen vorbei. Sie betraten eine Art Höhlensystem, welches überwiegend von merkwürdig lumineszierenden Pilzen beleuchtet wurde. Diese tauchten alles in ein bläuliches, kaltes Licht.

Man durchsuchte sie auf weitere Pokebälle und ihr wurde das Messer abgenommen, welches sie noch in ihrem Gürtel stecken hatte. Dann führte ein fremder Bewahrer sie in eine Zelle.

Keith war damit ihrem Blick entschwunden und sie konnte lediglich hoffen, dass sie sich auf ihn verlassen konnte.

Im Vergleich zu ihrer letzten Zelle gefiel ihr die jetzige wesentlich besser. Sie war nicht bequemer, nicht einladender, aber sie war bei Weitem nicht so grell beleuchtet und hatte einen leicht erdigen Geruch.

Eine Weile lief sie noch ruhelos durch den kleinen Raum, machte sich über alle möglichen Szenarien den Kopf, bis sie sich schließlich seufzend auf die Pritsche fallen ließ.

"Ich muss mich ausruhen", murmelte sie an sich selbst gerichtet. Das wäre das Sinnvollste.

Sie brauchte jedoch noch eine ganze Weile, bis sie schließlich in einen traumlosen, unruhigen Schlaf fiel.
 

Ein unsanfter Ruck riss sie jäh aus dem Schlaf.

Jemand hatte sie am Kragen gepackt und zerrte sie nach oben, und vor ihren Augen erschien die Maske eines Bewahrers.

Er kniete auf der Pritsche über ihr und ihre Gedanken überschlugen sich.

War es Keith?

"Na, kleines Miststück, erkennst du mich?", fragte der Mann amüsiert und Maike gefror bei dem Tonfall das Blut in den Adern. Das war nicht Keiths Stimme.

"N-Nein", brachte sie erstickt hervor und versuchte vergeblich, sich aus seinem Griff zu befreien.

"Dann will ich dir mal auf die Sprünge helfen", sagte er und zog sich die Maske vom Gesicht.

Die Koordinatorin kannte dieses Gesicht nicht, noch nie zuvor hatte sie es gesehen. Doch sie wusste trotzdem sofort, wer er war. Die Hand, mit der er sich zuvor auf der Pritsche abgestützt hatte, und welche er dann genutzt hatte, um seine Maske abzuziehen, war verbunden. Es fehlte offenbar ein Finger, und ein weiterer schien zur Hälfte weg zu sein.

Panik schnürte der jungen Frau die Kehle zu und der Mann leckte sich über die Lippen.

"An deiner Stelle würde ich jetzt ganz still sein und mich nicht wehren", säuselte er und beugte sich weiter über sie, bis sein Gesicht ganz knapp vor ihrem war. Die Koordinatorin riss die Augen auf und versuchte den Kopf abzuwenden, bis er ihren Kragen schließlich losließ und sie mit seiner verletzten Hand nach unten drückte.

Mit der gesunden werkelte er nun an den Knöpfen ihres Kleides herum und sie konnte den Irrsinn in seinen Augen aufblitzen sehen. Die Panik hatte sie kurz gelähmt, doch in dem Moment, als sie fühlte wie die Knöpfe geöffnet wurden, gehorchten ihre Gliedmaßen ihr wieder und sie begann, sich bis aufs Äußerste zu verteidigen. Sie brauchte nicht ansatzweise darüber nachdenken um zu wissen, was er mit ihr vor hatte, und sie würde nicht einfach liegen bleiben und es über sich ergehen lassen. Reflexartig packte sie nach seiner verletzten Hand, die ihre Schulter nach unten drückte, und presste mit aller Kraft auf die zwei fehlenden Finger.

Der Bewahrer jaulte vor Schmerzen auf und ließ kurz von ihr ab, woraufhin sie versuchte, ihn von sich runter zu stoßen. Doch er war zu schwer - oder sie noch immer zu geschwächt. Vezweifelt hämmerte sie mit ihren Fäusten auf ihn ein, doch er gab sich davon unbeeindruckt.

Der Mann knurrte wütend, holte mit der gesunden Hand aus und schlug ihr ins Gesicht.

Maike nahm für einen Moment alles bloß noch verschwommen war und schmeckte Blut.

"Ich habe dir gesagt, dass du dich nicht wehren sollst!", brüllte er sie an. "Du kleine Schl-"

"Theodor!", erklang es plötzlich barsch von der Tür.

Maike atmete auf. Das war Keith! Sie hätte nicht gedacht, dass sie sich mal darüber freuen würde, seine Stimme zu hören.

"Lass das Mädchen los", fuhr ihr heimlicher Komplize mit tadelnder Stimme fort. "Tormund wird nicht erfreut sein, wenn er erfährt, was du hier tust."

Theodor schnaubte kurz verächtlich. "Als ob das einen Unterschied machen würde. Sie wird's doch eh nicht mehr lange machen. Und das kleine Miststück hat mich zwei meiner Finger gekostet!"

Keith zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. "Anderthalb. Mir kann es im Grunde ja egal sein. Aber wir wissen Beide, dass wir nicht ohne ausdrücklichen Befehl Hand an die Gefangenen legen sollen. Dein Risiko. Du wirst schon genug Ärger kriegen, wenn er ihr Gesicht sieht."

Er verließ die Zelle und Maike blickte ihm mit weit aufgerissenen Augen hinterher.

Das war es schon? Wollte er ihr nicht etwas mehr helfen? Ließ er sie jetzt echt wieder allein?

Seine Worte hatten offenbar trotzdem Wirkung gezeigt und mit einem wütenden Knurren stieg der Bewahrer von der Pritsche.

"Sei froh, dass der Idiot so ein gutes Timing hatte", sprach er und sah sie feindselig an. "Du wirst deinen Preis trotzdem noch bezahlen, so oder so."

Es war offensichtlich, dass er schwer enttäuscht war. Sein Plan war nicht aufgegangen und Keith hatte ihm gerade noch rechtzeitig etwas Vernunft eingebläut. Sein Respekt vor Tormund war eindeutig größer als sein Verlangen nach Rache.

Maike schlang die Arme um sich, kauerte sich in die Ecke, in der die Pritsche stand, und wartete, bis Theodor kurz darauf den Raum verließ.

Erst da konnte sie wieder richtig atmen. Sie begann am gesamten Körper zu zittern und hatte enorme Schwierigkeiten, ihre Knöpfe mit bebenden Händen wieder zu schließen.

Es dauerte noch einige Minuten, bis sie sich soweit beruhigt hatte, dass sie sich traute aufzustehen. Beinahe wäre ihr schlimmster Alptraum wahr geworden - doch sie musste mit aller Macht versuchen, jetzt einen kühlen Kopf zu bewahren. Keith war bestimmt nicht umsonst in der Nähe gewesen. Hatte er die Gelegenheit möglicherweise genutzt und ihre Pokemon vorbei gebracht?

Noch immer am ganzen Leib zitternd tastete sie die Wand an der Tür nach irgendwelchen Einkerbungen oder möglichen Verstecken ab. Damit beschäftigte sie sich eine ganze Weile, bis sie kurz davor war enttäuscht aufzugeben.

In dem Moment ertastete sie in der unebenen Höhlenwand einen kleinen runden Gegenstand. Sie stieß einen erfreuten Laut aus und fischte ihn vorsichtig mit ihren Händen heraus. Wie erwartet, ein Pokeball.

Darin befand sich ihr Luxio, das offensichtlich von Keith geheilt worden war. Sie erinnerte sich daran, wie sie es zuletzt kampfunfähig in Graphitport City hatte liegen sehen. Mit Tränen in den Augen schloss sie ihr Pokemon in die Arme.

"Luxio, geht es dir gut?", fragte sie mit erstickter Stimme, und das Pokemon nickte müde, nachdem seine Trainerin es losgelassen hatte.

Aber warum war es bloß eines? Wie sollte das funktionieren? Sie könnte nicht nur mit Luxio gegen Tormund kämpfen. Damit wäre das ganze Unterfangen noch mehr zum Scheitern verurteilt als sowieso schon.

"Luxio, hilf mir suchen, ob noch weitere Pokebälle hier versteckt sind", bat sie das Elektropokemon, und gemeinsam suchten sie erneut die Wand am Eingang ab.

Vergeblich. Luxio blieb allein.

Vor der Tür hörte sie Schritte und rief das Elektropokemon daher schnell wieder zurück. Ihre leere Gürteltasche hatten sie ihr gelassen, daher steckte sie den Pokeball dort hinein, in der Hoffnung, dass sie sie nicht erneut durchsuchen würden.

Die Tür öffnete sich und ein fremdes Mitglied der Bewahrer betrat die Zelle.

"Mitkommen", befahl er monoton und zerrte sie unsanft aus dem Raum.

Doch Maike wehrte sich nicht dagegen und ließ sich einfach mitziehen. Innerlich schossen ihr wieder tausend Gedanken durch den Kopf.

Eigentlich hatte Keith doch gesagt, dass er sie holen würde. Wo war er also? Wie würden sie ihren kläglichen Plan jetzt ausführen?

Zumindest kontrollierte der Typ nicht noch einmal ihre Gürteltasche.

Sie liefen durch eine Menge verzweigter Gänge, während ihnen das blaue Licht der Pilze den Weg leuchtete. Schon nach kürzester Zeit hatte Maike komplett die Orientierung verloren. Alleine würde sie hier nie wieder heraus finden.

Schließlich kamen sie zu einer größeren Tür, welche geöffnet wurde.

Eine schier unendlich wirkende Anzahl an Augenpaaren blickte ihr aus weißen Masken entgegen.

Maikes Herz setzte einen Schlag aus, am liebsten hätte sie sich auf dem Absatz umgedreht und hätte irgendwie versucht wegzurennen. Doch ihr war bewusst, dass das keinen Zweck hätte.

Sie drückte ihren Rücken gerade und lief zwischen all den Gestalten hindurch, bis sie vor Tormund ankam, der auf einem steinernen Thron saß. Noch immer hielt der Bewahrer, der sie aus der Zelle geholt hatte, ihren Arm fest. So fest, dass es wehtat, doch es kümmerte sie kaum.

Hasserfüllt blickte sie in die eisblauen Augen des Mannes vor ihr. Die schwarzen langen Haare umspielten sein kantiges, maskulines Gesicht und er grinste sie wie üblich süffisant an.

Schon damals im Versteck bei Deranus City hatte er sehr eindrucksvoll gewirkt. Die Halle dort, komplett in Weiß, hatte einen starken Kontrast zu ihm selbst gegeben. Doch auch hier, umgeben von all den erdigen Tönen und bläulich leuchtenden Pilzen, wirkte er nicht minder beeindruckend.

"Meine liebe Maike, wie schön, dass ich dich hier begrüßen darf", sprach er sie schließlich an.

"Ich bin wirklich, wirklich froh, dass du da bist. Ohne dich würde ich bei den kommenden Ereignissen nur halb so viel Spaß haben. Holt bitte jemand unseren grünhaarigen Freund herein?"

Maike schwieg und beobachtete angespannt, wie sich hinter Tormunds Thron eine weitere Tür öffnete. Drew würde die Halle somit quasi vom anderen Ende betreten. Nicht, dass das von Belang wäre, doch aus irgendwelchen Gründen bemerkte sie es einfach.

Es war Keith, der Drew hereinführte, doch bedachte der Bewahrer sie keines Blickes.

Auch Drew beachtete sie anfänglich nicht, hatte den Blick nur auf den Boden gesenkt. Doch als er ihn schließlich hob und sie somit direkt im Blickfeld stand, blieb er abrupt stehen.

Bloßes Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Offensichtlich hatte er bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, dass Maike auch hier war. Sicher hatte er gehofft, dass sie den Bewahrern in Graphitport City irgendwie hatte entkommen können.

"Maike...", flüsterte er fassungslos, bis Keith ihn schließlich weiter vorwärts schob und somit aus seiner Starre riss.

Mit einem Ruck riss er sich aus Keiths Griff und überwand die letzten paar Meter bis zu ihr. Seine Hände waren zusammengebunden, doch er griff sanft nach ihrem Arm.

"Geht es dir gut?", wollte er wissen, auch wenn es eine unnötige Frage war. Die Koordinatorin lächelte gequält und nickte.

"Alles in Ordnung", log sie und kämpfte mit den Tränen. "Und bei dir?"

"Alles gut", murmelte er und lehnte seine Stirn an ihre. "Verdammt..."

Maike genoss diesen kurzen Moment. Seine Wärme, seine Nähe, seine bloße Anwesenheit spendete ihr Trost - und nicht zuletzt Mut.

Für ihn war sie hier. Sie wollte ihn retten. Sie musste. Auch wenn mittlerweile viel mehr auf dem Spiel stand, so war das doch ihre oberste Priorität.

Keith riss ihn von ihr weg und nun sahen sie sich Beide wieder mit Tormund konfrontiert.

"Wie rührend", schwärmte der schwarzhaarige Mann, "und so herzerwärmend! Besser als jeder Kinofilm, wenn man so etwas live erleben kann! Schade nur, dass das ein Drama wird, und kein romantischer Teenie-Film mit Happy End."

Die Koordinatorin verkniff es sich, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass sie mit ihren zwanzig Jahren nicht mehr wirklich Teenager waren.

Er beugte sich vor und sah Maike aufmerksam an.

"Sag, Mädchen, was ist mit deinem Gesicht passiert? Und mit deinen schönen Haaren?", wollte er wissen. Sie schwieg, und ein paar Sekunden starrten sie einander nur an.

"Nagut. Wer von euch ist dafür verantwortlich?", knurrte er nach einer Weile und im gesamten Raum herrschte betretenes Schweigen.

Schließlich trat jemand hervor.

"Ich fürchte das war mein Fehler", sprach Theodor und nahm seine Maske ab.

Tormund winkte ihn zu sich heran und der Bewahrer zögerte keine Sekunde. Offenbar war er bereit sich seine Strafe abzuholen, worin auch immer sie bestehen mochte.

"Theo, mein Freund, du weißt doch ganz genau, dass du so etwas nicht tun sollst", tadelte Tormund ihn. Es klang beinahe scherzhaft, doch entging keinem der eisige Unterton. Offenkundig war er wirklich mehr als verärgert darüber, auch wenn Maike keinerlei Verständnis dafür hatte.

"Es tut mir wirklich Leid, Herr. Ihre Haare hat sie sich selbst abgeschnitten, als ich sie daran fest gehalten habe."

"Nun gut", brummelte Tormund, "dann werde ich dir das verzeihen. Und ihr Gesicht?"

"Da habe ich mich bloß verteidigt", berichtete er. "Als ich in ihre Zelle ging, um ihr etwas zu Essen zu bringen, hat sie mich angegriffen. Ich wollte nicht so hart zuschlagen. Es war ein Reflex."

Maike stieß ein freudloses Lachen aus.

Mit hochgezogener Augenbraue sah Tormund sie an.

"Du hast etwas einzuwenden, wie mir scheint?", wollte er wissen.

Die Koordinatorin warf Theodor einen vernichtenden Blick zu, während sie antwortete. "Würdest du mir denn glauben? Ich schätze nicht."

"Versuch es doch."

"Er hat sich nicht gewehrt. Ich habe mich gewehrt."

"Blödsinn!", brauste Theodor auf.

Tormund seufzte und fragte: "Wogegen hast du dich denn gewehrt? Dagegen, dass er dir Essen gebracht hat?"

"Nein!", protestierte sie. "Er hatte nicht einmal Essen dabei! Er wollte... er..."

Sie stockte. Aus irgendwelchen Gründen konnte sie es nicht in Worte fassen. Es wollte ihr einfach nicht über die Lippen gehen.

"Lügnerin!", beschuldigte Theodor sie nun und warf ihr noch einige Schimpfwörter an den Kopf, bis schließlich Keith sich einmischte.

"Meister Tormund, ich möchte ungern Partei für einen Gefangenen ergreifen, aber ich finde, Ihr solltet es wissen, wenn ein Lügner unter euren Mitgliedern ist."

Theodor stockte und sah den jungen Mann entsetzt an. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er sich gegen ihn wenden würde.

"Dann erzähl mir bitte, was du weißt", forderte Tormund sichtlich genervt. Ihm war diese ganze Situation lästig.

Keith nickte. "Als ich an ihrer Zelle vorbei ging habe ich merkwürdige Geräusche gehört. Also bin ich hinein um nachzusehen. Er war gerade im Begriff, sie mit Gewalt zu entkleiden. Meiner Einschätzung nach war er nicht in der Position, sich verteidigen zu müssen."

Es dauerte nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde - es ging so schnell, dass Maike es fast nicht gesehen hätte - und Drew hatte sich wieder losgerissen und stürzte sich auf Theodor. Auch der war im ersten Moment so überrascht, dass er nicht auf die Schläge des Koordinators reagieren konnte, doch kam er früh genug wieder zur Besinnung um sich zu wehren. Immerhin war es ein mehr oder weniger ausgeglichener Kampf - Drew mit zusammengebundenen Händen und Theodor einhändig.

Tormund erhob sich von seinem Thron und trennte die Beiden, ohne dass es ihn auch nur ansatzweise anzustrengen schien. Drew stieß er zurück zu Keith, welcher ordentlich zu tun hatte um den rasenden Koordinator festzuhalten.

Seinen Untergebenen packte er so am Kragen, dass er mit den Füßen ein paar Milimeter über dem Boden strampelte.

"Stimmt das?", knurrte er und Theodor schüttelte wehement den Kopf.

"Nein, er lügt! Sie lügen Beide! Die haben sich verschworen! Sowas würde ich nie tun!"

"Bist du dir da ganz sicher? Das ist die letzte Chance, deine Meinung zu ändern."

Theodor schnappte sichtlich nach Luft und blickte seinen Meister mit großen Augen an. Er rang noch kurz mit sich, bis er schließlich doch klein beigab.

"Ich... ich... es tut mir Leid, ich... ich wollte doch nur... sie hat mich zwei meiner Finger gekostet! Da ist es doch nur fair wenn-"

Er kam mit seinem Geständnis nicht weiter. Prompt befand er sich mit seinen Füßen wieder auf dem Boden, doch nicht lange, denn keinen Augenblick später durfte er Tormunds Faust in seinem Gesicht begrüßen. Er fiel um wie ein Brett.

"Schafft ihn mir aus den Augen", befahl Tormund erbost und sofort machten sich zwei Bewahrer daran, den bewusstlosen Theodor aus dem Raum zu hieven.

Offensichtlich hatte der riesige schwarzhaarige Kerl auch noch einen ganz schön harten Schlag drauf.

Maike hatte die ganze Szene nur mit großen Augen beobachtet und war sich unsicher, was sie davon halten sollte.

"Versteh mich nicht falsch", sagte Tormund nun zu ihr, nachdem ihm ihr irritierter Gesichtsausdruck aufgefallen war, "im Grunde ist es mir egal, was sie mit dir machen, nur möchte ich davon vorher in Kenntnis gesetzt werden. Hier hat niemand etwas derartiges einfach auf eigene Faust zu entscheiden. Und sie sollten dich diesmal bloß nicht verunstalten. Ich meine, sieh dich doch mal an! Das gibt diesem schönen Drama hier einen ganz bitteren Beigeschmack, wenn ausgerechnet der weibliche Hauptdarsteller so furchtbar herumläuft."

Dann ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen.

"Und was noch schlimmer ist: Theodor hat mir mitten ins Gesicht gelogen. So etwas dulde ich nicht von meinen Mitgliedern."

Er ließ sich mit einem tiefen Seufzen wieder auf seinen Thron sinken. "So, hätten wir das endlich auch geklärt."

Er nickte Keith anerkennend zu. "Danke, dass du die Wahrheit ans Licht gebracht hast. Und nun lasst uns fortfahren."

Maike sah zu Drew, welcher den Blick auf den Boden gewandt hatte. Es hatte ihn sehr mitgenommen, was er soeben gehört hatte, und er fühlte sich schuldig. Auch wenn er wusste, dass er nichts hätte tun können in diesem Moment, so wusste er doch auch, dass Maike nur seinetwegen hier war.

"Ich habe eine Weile überlegt, was ein gebührender Abgang für euch wäre", plauderte Tormund währenddessen. "Spektakulär soll es sein, ich finde, das habt ihr verdient!" Er erhob sich und lief rastlos hin und her. "Aber ich kann mich einfach nicht entscheiden. Also lasse ich euch die Wahl! Ich bin ja ein gnädiger Mensch!"

Er rief Leonas zu sich, welcher ihm dann zwei Gegenstände überreichte. Es waren ein Wasserstein und ein Finsterstein.

"Ihr könnt wählen. Wer sich für den Wasserstein entscheidet, hat den etwas gnädigeren Tod - er stürzt sich dann von der Klippe ins Meer. Oder wird gestürzt. Je nachdem. Der Finsterstein steht symbolisch für den etwas... nunja, finstereren Tod. Wer ihn wählt, wird die Ehre haben, bis zum bitteren Ende gegen mein Gengar zu kämpfen." Er grinste die Koordinatoren begeistert an. "Beides wird richtig super werden! Einer kämpft bis zum Tod, und der, der Übrig bleibt, stürzt sich von einer Klippe, weil er ohne den Anderen nicht leben kann. Echt romantisch, oder nicht?"

Entscheidungen

Drew und Maike warfen einander einen schockierten Blick zu.

"Du bist doch völlig übergeschnappt", flüsterte Maike schließlich wieder an Tormund gewandt.

Dieser zuckte bloß mit den Schultern. "Nein, ich denke nicht. Na los, stellt euch nebeneinander!"

Keith und Maikes Bewacher schoben ihre Gefangenen in die entsprechende Position und Tormund stellte sich vor sie, in beiden geschlossenen Händen einen Stein.

"Also dann, los! Wählt!", befahl Tormund und öffnete die Hände. Augenblicklich versuchte Maike nach dem Finsterstein zu greifen, doch Drew kam ihr zuvor.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an und schüttelte den Kopf. "Nein", murmelte sie. Im Grunde war keine der beiden Optionen wirklich die Bessere - doch hatte sie vorgehabt, Drew den langen Kampf zu ersparen. Nun, nicht weiter verwunderlich, dass es ihm damit genauso ging.

Drew schenkte ihr ein halbherziges Lächeln. "Tut mir Leid, Maike."

Die Koordinatorin warf Keith einen kurzen, verzweifelten Blick zu. Was war mit ihrem Plan? Wie lang wollte er es noch herauszögern? Oder wollte er doch kneifen? Sie hatte bloß ihr Luxio, was sollte sie nur ausrichten?

Keith beachtete sie jedoch gar nicht. Er sah nur auf seinen Gefangenen und gab Acht, ihn nicht loszulassen. Nicht, dass er sich überhaupt noch wehren würde.

Tormund lachte begeistert. "Sehr schön, genauso habe ich mir das gedacht! Unser Freund Drew ist ein wahrer Gentleman!", rief er und die Bewahrer in der Halle murmelten und nickten zustimmend.

Er klopfte dem Grünhaarigen auf die Schulter.

"Guter Junge! Dann wollen wir mal los legen, was?"

Die Bewahrer in der Halle drängten sich an den Rand des Raumes, sodass in der Mitte eine große freie Fläche entstand. Keith führte Drew zur anderen Seite der Fläche, während der ihr unbekannte Bewahrer Maike weiterhin fest hielt.

Die Koordinatorin war bis auf's Äußerste angespannt. Und ja, auch ihr Geduldsfaden war dem Zerreißen nahe. Wenn Keith nicht bald irgendetwas tat, dann würde sie...

Ja, was würde sie dann tun? Zusammen mit Luxio alle Anderen hier besiegen?

Tormund schickte ein paar Sekunden später auch schon sein Gengar aus seinem Pokeball. Das Geist-Pokemon grinste Drew bedrohlich, oder eher beinahe begeistert an, als würde es sich schon auf die ihm zugedachte Rolle freuen.

"Das reicht jetzt", murmelte Maike und Tormund wandte sich ihr wieder zu.

"Ist das so?", wollte er mit hochgezogener Augenbraue wissen und stützte gelangweilt sein Kinn ab.

"Ja", erwiderte die Koordinatorin und blickte ihm fest in die Augen. "Das ist so."

Als wäre diese Unterhaltung ein geheimes Zeichen gewesen passierte endlich etwas. Aus Drews Richtung erklangen plötzlich aufgeregte Stimmen, die immer lauter wurden und schließlich in Kampfgeräusche übergingen.

Ein Bewahrer, der in Maikes Nähe stand, rief ihren Namen. Irritiert blickte sie in seine Richtung und sah, wie er ihr eine Tasche zuwarf. Zeitgleich bekam der Bewahrer, der sie bis dahin festgehalten hatte, von einem Weiteren eine übergebraten und ließ seine Gefangene dadurch los.

Maike fing die Tasche auf und wusste instinktiv, dass sich darin ihre Pokebälle befinden mussten.

Sie griff hinein und stieß erleichtert die Luft aus. Keiner schien zu fehlen.

Ohne weiter zu zögern rief sie ihre Pokemon hervor.

Nur ein paar Sekunden waren vergangen, doch hatten diese natürlich gereicht, damit Tormund erkannte, was hier vor sich ging und seinerseits auch seine restlichen Pokemon rief.

"Gengar, deine Aufgabe bleibt!", rief er dem Geistpokemon zu und wandte sich dann wieder an Maike. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen und mit ein paar großen Schritten überwand er die Distanz zu ihr. Bedrohlich baute er sich vor ihr auf, die Hände zu Fäusten geballt.

"So einfach kommt ihr aus dieser Sache nicht heraus", knurrte er und Maike wich unwillkürlich einen Schritt zurück.

Keinen Augenblick später stand ihr Lohgock schützend vor ihr und funkelte Tormund an. Dieser grinste nun wieder gewohnt überheblich.

"Ja, es ist natürlich sehr leicht, sich hinter seinen Pokemon zu verstecken", spottete er, "aber auch das wird dir nichts nützen."

"Wir werden ja sehen", erwiderte Maike und versuchte, selbstsicher zu klingen, doch ihre Stimme zitterte.

Tormunds Rasaff griff derweil ihr Lohgock an und das Feuerpokemon musste sich auf seinen neuen Gegner konzentrieren.

Doch zu Maikes Glück wurde die Aufmerksamkeit ihres Widersachers von einem lauten Geräusch abgelenkt und sie nutzte die Gelegenheit, um sofort in Drews Richtung zu eilen.

In der Halle herrschte pures Chaos. Sie wusste nicht genau, was hier nun eigentlich Sache war und wer auf welcher Seite stand. Und genauso erging es den Bewahrern. Offensichtlich hatte Keith einige Mitglieder von seiner Sache überzeugen können und wurde nun tatkräftig unterstützt.

Während sie sich durch die Menge aus maskierten Männern drängte und aufpasste, in niemandes Schussfeld zu gelangen, nahm sie wahr wie Gengar zu einem Angriff ansetzte.

Ihr Blick flog zu Drew, welcher gerade dabei war, seine eigenen Pokemon zu rufen, nachdem Keith ihm seine Pokebälle zurück gegeben hatte. Er sah den Angriff nicht kommen - und noch bevor sie seinen Namen rufen konnte wurde er getroffen.

"Verdammt", fluchte sie und kümmerte sich nun gar nicht mehr darum, ob sie noch in irgendjemandes Schussfeld kam. Ohne Rücksicht auf Verluste bahnte sie sich einen Weg zu ihrem Rivalen.

Als sie völlig außer Atem dort angekommen war fand sie Drew nach Atem ringend und auf dem Boden kniend vor sich. Keith stand neben ihm und hielt mit seinem Glurak und Drews Absol gegen Gengar an.

"Drew! Was ist mit dir? Was war das für eine Attacke?" Sie musste sich gar nicht erst bemühen gefasst zu klingen - es wäre ihr sowieso nicht gelungen.

Der Angesprochene reagierte nicht, und es war Keith, der an seiner Stelle antwortete.

"Das war Gengars Gifthieb. Ich fürchte, es hat Drew vergiftet."

Maike kniete sich neben Drew, doch er schien sie gar nicht wahr zu nehmen.

"Was machen wir jetzt?", japste sie und ihre Stimme überschlug sich fast.

Keith dachte einen Moment angestrengt nach.

"Ich... ich bin mir nicht sicher. Aber er braucht schnell Hilfe."

Sein Blick schweifte durch die große Halle und blieb schließlich an einem Tor hängen.

"Schaffst du es, ihn hier raus zu bringen? Das Tor an der linken Seite führt durch einen kurzen Gang direkt nach draußen. Ich gebe euch Glurak, und es bringt euch hier weg."

Maike folgte seinem Blick und schätzte die Entfernung ab. Sie würde Drew stützen müssen, so wie es aussah, und um sie herum waren überall Feinde. Aber es würde funktionieren müssen.

Sie blickte wieder zu Keith und nickte entschlossen. "Und was wird aus dir, beziehungsweise euch?"

"Mach dir darüber keinen Kopf." Er grinste sie aufmunternd an. "Wir kommen klar. Jetzt beeil dich. Glurak wird sich noch um Gengar kümmern, bis ihr das Tor erreicht habt."

Sie nickte erneut und machte sich daran, Drew aufzuhelfen. Perplex sah dieser sie an.

"Maike?" Offensichtlich hatte er sie jetzt erst bemerkt.

"Ja, ich bin es. Komm, wir müssen dich hier raus bringen."

Er legte den Kopf schief und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

"Du siehst aus wie früher."

Sie biss sich ungeduldig auf die Lippe. Dafür war nun wirklich keine Zeit.

"Komm schon, wir müssen los!", befahl sie und zu ihrer Überraschung war er plötzlich voll bei der Sache.

Er hatte etwas Schwierigkeiten beim Laufen, doch gemeinsam kamen sie gut voran, während ihre Pokemon alle Angreifer von ihnen abschirmten.

Sie hörte, wie Glurak und Gengar sich hinter ihnen einen erbitterten Kampf lieferten, doch sie blickte nicht zurück. Auch Tormunds Stimme konnte sie zwischenzeitlich in dem Chaos ausmachen, aber die blendete sie bewusst schnell wieder aus.

Sicher kämpfte ihr Lohgock noch immer mit seinem Rasaff. Aber sie musste Vertrauen haben. Etwas anderes blieb ihr im Moment gar nicht übrig. Lohgock würde es schaffen.

Als sie das Tor endlich erreichten musste die Koordinatorin frustriert feststellen, dass es verschlossen war. Wütend trat sie dagegen.

"Mantidea!", rief Drew und das Pflanzen-Pokemon eilte zu ihm, nachdem es noch ein gegnerisches Pokemon besiegt hatte.

"Wir brauchen deine Hilfe, um das Tor zu öffnen. Setz Durchbruch ein!"

Mantidea ließ sich nicht zweimal bitten und öffnete mit einem gezielten Schlag das Tor.

"Danke!", rief Maike begeistert und schob sich sogleich mit Drew hindurch. Ein kalter Wind wehte ihnen entgegen und am Ende des vor ihnen liegenden Ganges konnten sie den wolkenverhangen Nachthimmel erkennen.

Der Koordinatorin lief ein Schauer über den Rücken. Hoffentlich würde alles irgendwie gut gehen. Drew musste zum Arzt. Dort würde er ein Gegengift bekommen, sich schnell wieder erholen und in ein paar Tagen wäre die ganze Sache vergessen. Schnee von Gestern. Bloß noch eine vage Erinnerung.

Ob es so weit gekommen wäre, wenn Maike nicht mitgegangen und stattdessen Officer Rocky um Hilfe gebeten hätte? Womöglich wären sie dann alle längst in Sicherheit. Vielleicht aber auch nicht. Das ließ sich nicht klar beantworten und das wusste sie auch, dennoch plagte sie ihr schlechtes Gewissen. Aus irgendwelchen Gründen fühlte sie sich verantwortlich für die gesamte Situation. Schon in Graphitport City hätte sie besser aufpassen müssen. Sie hätte Drew besser unterstützen müssen, dafür sorgen müssen, dass Tormund ihn nicht besiegte und mitnahm.

Aber es spielte nun auch keine Rolle mehr. Es war zu spät. Nun galt es, das Beste aus der verfahrenen Situation zu machen.

Gerade als sie hinaus unter den Nachthimmel traten, erklang hinter ihnen ein lautes Krachen, als Glurak sich durch das etwas zu enge Tor kämpfte und es dabei fast zerstörte. Mühsam zwängte es sich durch den schmalen Gang und löste Staub und kleine Steine von der Decke, wann immer es dort hängen blieb.

Doch schließlich hatte es den Ausgang erreicht. Erleichtert lief Maike zu ihm und wollte gerade Drew auf Gluraks Rücken helfen, als sie aus dem Augenwinkel einen Schatten wahrnahm.

Schon im nächsten Moment schleuderte Gengar einen Spukball auf Glurak. Das Feuerpokemon brüllte verärgert und griff seinerseits mit einem Flammenwurf an.

Drew und Maike waren durch die Wucht des Spukballs zurückgestoßen worden und entfernten sich ein paar Schritte von den beiden kämpfenden Pokemon.

Mantidea war derweil mit ein paar Bewahrern und ihren Pokemon beschäftigt, welche Gengar durch das zerstörte Tor gefolgt waren.

Maike fluchte ungehalten und erschrak, als Drew neben ihr plötzlich wieder auf die Knie sank. Er konnte sich offensichtlich nicht mehr aufrecht halten, das Gift musste ihm sehr zusetzen.

Besorgt hockte sie sich neben ihn.

"Wie geht es dir?"

Er lachte trocken. "Den Umständen entsprechend, würde ich sagen. Mach dir keine Sorgen. Unkraut vergeht nicht."

Sein schmerzverzerrtes Gesicht sprach Bände und konnte seine eigenen Worte ganz und gar nicht unterstreichen.

Aus Mantideas Richtung erklangen mehrere Stimmen und eine gehörte definitiv zu Keith. Zusammen mit ein paar anderen Bewahrern eilte er zu ihnen.

"Das sieht nicht gut aus", stellte er nach einem kurzen prüfenden Blick auf Drew fest und warf einen weiteren Blick auf sein Glurak, welches noch immer gegen Gengar kämpfte.

Nun trat auch Tormund nach draußen und sein siegessicheres Grinsen versetzte der Koordinatorin einen Stich.

Keith hatte Recht. Es sah wirklich ganz und gar nicht gut aus, in keinerlei Hinsicht.

"Womit habe ich bloß so einen schwerwiegenden Verrat verdient?", wollte Tormund mit lauter Stimme wissen, während er auf sie zuschritt.

Einer von Keiths Begleitern trat einen Schritt vor.

"Meister, Ihr habt Euch verändert. Stets habe ich Euch respektiert und bewundert, aber in letzter Zeit... nein, ich kann Eure Vorgehensweise einfach nicht mehr gut heißen."

Die Anderen nickten zustimmend.

"Es geht wirklich zu weit, dass für Eure Vorhaben jetzt schon Menschen ihr Leben lassen sollen", meldete sich ein weiterer zu Wort und appellierte offensichtlich an Tormunds Vernunft.

Dieser jedoch lachte bloß und machte eine wegwerfende Handbewegung.

"Man muss bereit sein Opfer zu bringen. Ihr seid alle schwach." Er warf einen Pokeball und hervor kam sein Stolloss. Maike hatte gar nicht bemerkt, dass er es vorher noch nicht in den Kampf geschickt hatte - oder er hatte es nur zurückgerufen, da es wie Glurak Schwierigkeiten gehabt hätte, durch den engen Gang zu kommen. Völlig egal.

"Dann trennen wir also die Spreu vom Weizen, was? Stolloss, Lichtkanone!"

Das riesige Stahl-Pokemon sammelte für einen Moment Energie, welche es dann in einem verheerenden Strahl auf die Kontrahenten seines Besitzers entfesselte.

Drew schnappte erschrocken nach Luft und warf sich und Maike zur Seite - keinen Augenblick zu spät, Maike spürte noch die Hitze, die von der Energie der Lichtkanone knapp über ihnen ausging. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn sie getroffen worden wären.

Augenscheinlich hatten sich auch Keith und die Anderen im letzten Moment aus der Schussbahn bringen können.

Stolloss' Kräfte mochten noch so beeindruckend sein, durch sein Gewicht und die Stahlplatten auf seinem Körper war es recht langsam. Zum Glück für seine Gegner.

Die Ebene füllte sich langsam mehr und mehr mit Bewahrern, sowohl mit feindlichen als auch mit verbündeten. Auch Maikes Lohgock und ihre anderen Pokemon waren dazwischen und bahnten sich einen Weg zu ihrer Trainerin. Drews Pokemon taten es ihnen gleich.

"Absol!", rief Drew erfreut und strich dem Unlichtpokemon liebevoll über den Kopf.

"Kannst du dich um Gengar kümmern? Es dürfte für dich kein Problem sein."

Er hatte natürlich Recht, Absol war definitiv im Vorteil. Seine Unlicht-Attacken würden Gengar sehr zu schaffen machen und es von Glurak ablenken.

Das Pokemon nickte und stürzte sich sogleich in den Kampf.

Maike beschloss, ihr Lohgock gegen Stolloss in den Kampf zu schicken. Es war zwar bereits sehr angeschlagen, doch seine Typen-Kombination war einfach perfekt für den Kampf gegen ein Stahl-Pokemon. Ihre anderen Pokemon waren derweil mit genug Gegnern beschäftigt.

Drews Plan ging auf, Absol besiegte das bereits angeschlagene Gengar innerhalb weniger Sekunden. Während es schon wieder auf der Suche nach einem neuen Gegner war, flog Glurak zurück zu Maike und Drew.

"Okay, neuer Versuch", murmelte die Koordinatorin und half Drew auf den Rücken des Pokemon.

Ihr Rivale schien kaum noch bei Bewusstsein zu sein. Immer wieder schlossen sich kurz seine Augen und er schwankte bedrohlich auf Gluraks Rücken. Es würde ein enorm anstrengender Flug werden, wenn Maike ihn und sich selbst festhalten musste.

Ein paar Meter entfernt stand Keith. Ihre Blicke trafen sich und der Bewahrer nickte ihr ernst zu. Es war an der Zeit.

Als sie endlich hinter Drew saß hob das Feuerpokemon augenblicklich mit ein paar starken Flügelschlägen vom Boden ab. Staub wirbelte um sie herum und trübte den Blick auf das Geschehen.

"Ich komme zurück!", rief Maike, ohne zu wissen, ob Keith sie noch hören konnte. Und dann ließen sie die zerklüfteten Berge und das Kampffeld hinter sich.

Getrennt

Keine halbe Stunde hatte es gedauert, bis Glurak sie in Graphitport City abgesetzt und Maike Drew zu einem Arzt gebracht hatte.

Es blieb keine Zeit für großartige Erklärungen, und der Arzt musste sich mit der Information begnügen, dass sein grünhaariger Patient von einem Gengar vergiftet worden war.

"Sie haben ihn noch rechtzeitig hergebracht", beruhigte der ältere Mann sie. Die Sorge musste ihr ins Gesicht geschrieben stehen. "Ein paar Tage, und er wird sich wieder gut genug fühlen um zu laufen. Zwei Wochen etwa, bis alle Symptome abgeklungen sind und er wieder ganz der Alte ist."

Maikes Blick fiel auf ihren Rivalen. Wie erwartet hatte er auf dem Flug das Bewusstsein verloren und die Koordinatorin war beinahe am Ende ihrer Kräfte. Doch das war es wert gewesen. Nun würde er sich schnell wieder erholen. Und er war hier sicher, wenn sie zurückging um ihrer beider Pokemon zu holen. Egal, was noch passieren würde, zumindest um ihn musste sie sich jetzt erstmal keine Sorgen mehr machen.

"Darf ich mir Ihr Gesicht auch mal ansehen?", wollte der Arzt wissen und riss sie aus ihren Gedanken.

Sie lächelte ihn dankbar an, schüttelte jedoch den Kopf.

"Danke, aber ich muss dringend wieder los! Später sehr gerne."

Sie hatte ihr Spiegelbild kurz gesehen, als sie das Krankenhaus betreten hatte, und sie war froh, dass es bei einem flüchtigen Blick geblieben war. Sie sah einfach furchtbar aus.

Sie blickte noch ein letztes Mal zu Drew, dann machte sie sich auf den Weg. Vor dem Gebäude wartete Glurak wie abgemacht auf sie. Es sah ungeduldig aus - verständlich, wusste es doch, dass sein Trainer seine Hilfe brauchte. Flugs schwang Maike sich auf seinen Rücken und ehe sie sich versah befanden sie sich schon wieder auf dem Weg zu den Bewahrern.

Die gesamte kurze Zeit, die sie in Graphitport verbracht hatte, hatte sie mit dem Gedanken gespielt, Officer Rocky anzurufen. Doch Keith hatte so viel für sie auf's Spiel gesetzt - jetzt Officer Rocky hinzuzuziehen kam einem Verrat gleich. Nein, sie hatte es ihm versprochen, und daran musste sie sich auch halten.
 

Als Drew aufwachte, befand er sich in einem ihm völlig unbekannten Zimmer. In einem unbekannten Bett. Mit einem unbekannten Mann in weißem Kittel vor sich. Natürlich war er im ersten Moment vollkommen irritiert.

"Wo bin ich, und wer sind Sie?", wollte er misstrauisch wissen und versuchte dabei, die Schmerzen zu ignorieren, welche seinen gesamten Körper in Beschlag nahmen. Es fühlte sich an, als würde Feuer durch seine Adern fließen. Und es fraß all seine Energie auf, nährte sich von ihr.

"Ich bin der Arzt hier. Ihre Freundin hat Sie vor etwa einer Stunde hergebracht."

Der Arzt bemerkte seine Versuche, sich aufzurichten, und legte ihm sanft aber bestimmt eine Hand auf die Schulter.

"Bleiben Sie liegen. Sie waren schwer vergiftet. Ihr Körper braucht jetzt Zeit und Ruhe, um sich davon zu erholen und auch das letzte bisschen Gift in Ihren Adern zu neutralisieren."

Drew blickte den Mann vor ihm aufmerksam an.

"Meine... Freundin? Sie hatte langes... ich meine: kurzes braunes Haar und blaue Augen?"

Der Arzt nickte lächelnd.

"Sie ist noch mal fort gegangen, schien wichtig zu sein, aber bestimmt kommt sie Sie bald besuchen. Sie war wirklich sehr besorgt. Außerdem muss ich mir das Gesicht der jungen Dame mal genauer ansehen." Seine freundlichen braunen Augen musterten den Koordinator. "Aber nun zu Ihnen. Sie haben die nächsten Tage noch absolute Bettruhe. Es war wirklich knapp, wären Sie später hier angekommen, so hätte Ihr Körper wahrscheinlich bleibende Schäden davongetragen."

"Ich kann nicht einfach hier rumliegen und mich ausruhen! Ich muss Maike helfen!", widersprach Drew und versuchte erneut, sich aufzurichten - vergeblich. Es lag nicht an den Händen des Doktors, welche dieser noch immer mit sanftem Druck auf seinen Patienten gelegt hatte. Nein, auch ohne dieses kaum nennenswerte Hindernis wäre es Drew nicht gelungen. Er hatte einfach keine Kraft.

Der Arzt lächelte mitfühlend.

"Seien Sie vernünftig. So können Sie niemandem helfen."

Dann sah er sich verstohlen um und kam etwas näher.

"Ich habe Officer Rocky noch nicht Bescheid gegeben, aber... ihr zwei wart bei dem Anschlag auf den Pokemon-Fanclub dabei, oder?"

Drew sah ihn mit großen Augen an. Er hatte die Geschehnisse dieses Tages schon fast ausgeblendet, nach allem, was danach passiert war.

Langsam nickte er.

"Wusste ich es doch!", murmelte der Arzt. "Ihr passt auf die Beschreibung eines anderen Patienten." Ein herzliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

"Danke! Danke, dass ihr den Mut hattet, euch den Bewahrern entgegenzustellen. Meine Enkelin..." Er stockte und plötzlich erkannte Drew die Schmerzen und Sorgen hinter den freundlichen braunen Augen, welche sich nun mit Tränen füllten.

"Entschuldige. Meine... meine Enkelin war gerade im Pokemon Fanclub, als es passierte."

Drew stockte der Atem. Er selbst hatte gar nicht mitbekommen, was genau bei den Trümmern passiert war. Im Gegensatz zu Maike hatte er die leblose Hand, die daraus hervorgeragt hatte, nicht gesehen. Er hatte nicht wahrgenommen, wie schlimm das Gebäude tatsächlich zerstört worden war, da er zu beschäftigt damit gewesen war, gegen Tormund zu kämpfen. Doch entgegen seiner Hoffnung war das Gebäude nicht leer gewesen.

"Ist sie...?" Er konnte die Frage nicht aussprechen, doch zu seiner Erleichterung schüttelte der Mann den Kopf.

"Sie lebt, zum Glück. Und sie wird auch wieder auf die Beine kommen. Das wird allerdings noch eine ganze Weile dauern... aber worauf ich hinaus wollte: Wenn ihr irgendetwas braucht, egal was, so lasst es mich wissen! Die Bergung wäre nie so schnell gelungen, wenn ihr die Bewahrer nicht in Schach gehalten hättet.“

Drew nickte, auf den Lippen ein angedeutetes Lächeln. „Das war doch selbstverständlich. Ich danke Ihnen für das Angebot. Wie viele Verletzte gab es?“

„Vier aus dem Gebäude“, zählte der Arzt auf, „davon zwei schwer verletzt. Es sah am Anfang nicht gut für den Einen aus, aber mittlerweile ist er stabil. Ansonsten noch drei Weitere, die sich bei ihren Auseinandersetzungen mit den Bewahrern kleinere Verletzungen zugezogen haben.“

Drew atmete erleichtert aus. Es hätte schlimmer kommen können. Zumindest war niemand ums Leben gekommen.

Seine Gedanken schweiften wieder zu Maike und zu den Geschehnissen im Hauptquartier der Bewahrer. Wie er sie kannte, hatte sie sich wieder kopflos in etwas richtig Blödes gestürzt, kaum, dass sie der verfahrenen Situation entkommen waren. Ihre Pokémon waren noch dort, deshalb hatte sie sich sicher wieder auf den Weg gemacht. Bestimmt fühlte sie sich außerdem Keith in irgendeiner Weise verpflichtet, weil er ihnen geholfen hatte. Und der Koordinator wusste mit ziemlich hoher Gewissheit, dass sie Officer Rocky nicht zu Rate gezogen hatte.

„Bitte, melden Sie es jetzt an Officer Rocky“, bat Drew den Arzt, und dieser nickte.

“Ich schicke Ihnen noch eine Schwester, die Ihnen ein paar Schmerzmittel geben wird.“

Mit diesen Worten verschwand der Mann aus dem Raum.

Innerhalb der nächsten halben Stunde passierte dann so viel, dass von Ausruhen keine wirkliche Rede sein konnte.

Kaum hatte die Schwester Drew mit Schmerzmitteln versorgt, da kam auch schon Officer Rocky in das Zimmer geeilt, gefolgt vom Doktor.

Dieser beschwerte sich noch, dass sein Patient eigentlich Ruhe benötigte, doch Officer Rocky achtete nicht auf ihn und stellte dem Koordinator trotzdem ein paar Fragen. Besonders seine Informationen bezüglich des Hauptquartieres interessierten sie selbstverständlich brennend.

Officer Rocky schien gerade fertig zu sein, da wurde die Tür unsanft aufgestoßen und mehrere Personen stürzten in den Raum.

Es war Maikes Familie.

Norman fackelte nicht lange und hielt sich nicht mit Höflichkeiten auf.

„Wo ist sie?“, wollte er barsch von Drew wissen.

„Ich vermute, sie ist ins Hauptquartier zurückgekehrt“, antwortete Drew so gefasst wie möglich.

„Bitte? Ist das dein Ernst? Und warum bist du hier?“ Der Arenaleiter betonte das letzte Wort ganz besonders und Drews Magen zog sich zusammen. Er sprach das aus, was auch der Koordinator selbst sich schon die ganze Zeit fragte.

Warum war er hier, und nicht im Hauptquartier bei ihr?

Warum hatte sie ihn retten müssen?

Warum war nicht er derjenige, der sie beschützte?

Stattdessen lag er hier, sicher in seinem Krankenbett, mit Medikamenten versorgt, während Maike womöglich in größter Gefahr war.

„Es tut mir Leid“, sagte er geradeheraus und sah Maikes Vater fest in die Augen.

„Nun hör aber auf“, mischte sich Caroline an Norman gewandt ein. „Gib ihm doch erst einmal die Chance, sich zu erklären.“

Aber Drew wollte gar nichts erklären. Er wollte sich nicht vor Maikes Eltern rechtfertigen müssen, denn er wusste, dass keine Erklärung diese gesamte Situation in irgendeiner Weise entschuldigen könnte.

„Der junge Mann war bewusstlos, als er hier ankam, und schwer vergiftet“, übernahm der Arzt ungefragt Drews Part und erntete einen grimmigen Blick von Norman. „Er hätte Ihre Tochter nicht aufhalten können, er war dazu schlicht nicht in der Lage.“

„Und warum haben Sie sie nicht aufgehalten?“, fragte Norman aufgebracht.

„Entschuldigen Sie, aber ich kann niemanden zwingen, sich behandeln zu lassen. Ich habe sie gebeten, wenigstens noch so lange hier zu bleiben, bis ich mir ihr Gesicht angesehen habe, aber-“

„Ihr Gesicht?“, meldete sich nun erstmals Max zu Wort. „Was ist mit ihrem Gesicht?“

Seine Stimme zitterte fast unmerklich, doch Drew entging es nicht.

„...aber sie wollte nicht bleiben. Und dann stand die Versorgung dieses schwer vergifteten Patienten an erster Stelle“, überging der Arzt Max‘ Einwurf und deutete auf Drew. „Ihre Tochter hat eigenmächtig gehandelt. Suchen Sie dafür nicht irgendeinen anderen Schuldigen.“

Norman ballte seine Hände zu Fäusten und hatte es offensichtlich sehr schwer, nicht die Beherrschung zu verlieren. Schließlich verließ er ohne ein weiteres Wort den Raum.

Caroline sah Drew mit einem entschuldigenden Lächeln an.

„Bitte nimm das nicht persönlich. Er ist bloß außer sich vor Sorge. Wir machen dir natürlich keinerlei Vorwurf.“

Max nickte zustimmend. „Wenn ich eines mit Sicherheit weiß, dann, dass du sie aufgehalten hättest, wenn du gekonnt hättest.“

Drew nickte den Beiden dankbar zu, auch wenn er insgeheim ganz Normans Meinung war.

In den nachfolgenden Minuten musste er erneut alles was geschehen war erzählen, doch er umriss das Meiste nur grob. Mit jedem Wort, das seinen Mund verließ, fühlte er sich geschwächter. Und nach einer Weile kostete ihn das Sprechen so viel Kraft, dass er immer wieder innehalten und kurz durchatmen musste.

„Das reicht jetzt“, meinte der Arzt entschieden, als Drew endlich geendet hatte. Dieser war froh, dass ihm weitere Fragen und Erklärungen erspart blieben.

Caroline verarbeitete das Gehörte noch und ließ sich von dem alten Mann schweigend aus dem Raum geleiten. Max hingegen hielt noch einmal inne und drehte sich zu Drew um.

„Ich hoffe, dass es dir schnell wieder besser geht“, sagte er und seine Stimme klang absolut aufrichtig. „Wir bleiben in der Nähe und warten auf Maike. Sag mir Bescheid wenn ich etwas für dich tun kann.“ Wenn er Drew in irgendeiner Weise hasste, so ließ er es sich zumindest nicht im Geringsten anmerken.

Danach verschwand auch er.

Drew atmete schwer aus und starrte an die Decke. Seine Augen brannten vor Müdigkeit und Erschöpfung und sein Kopf schien keinen klaren Gedanken mehr fassen zu können.

Die Vorstellung jetzt zu schlafen kam ihm allerdings so absurd vor, dass er sich mit allen Mitteln dagegen wehrte.

Immerhin konnte es jeden Augenblick sein, dass Maike zurückkehrte.

Er stellte sich vor, wie er ihr begegnen würde. Vor dem Krankenhaus, dort würde er warten. Maike würde von Keiths Glurak steigen, ihm mit einem triumphierenden Lächeln seine Pokémon überreichen und ihm aufgeregt erzählen, was noch geschehen war. Ihre Wangen wären beim Erzählen leicht gerötet vor lauter Anspannung, und in ihren saphirblauen Augen würde Abenteuerlust aufblitzen. Als könne sie es nicht erwarten, sich in die nächste große Gefahr zu begeben.

So zumindest wäre es wohl früher gewesen, als sie noch jünger waren. Sorgloser.

Als ihre größte Angst noch darin bestand, dass Team Rocket ihnen mal wieder gehörig auf die Nerven gehen würde. Oder dass sie den nächsten Wettbewerb nicht gewannen.

In was für Augen würde er wohl stattdessen blicken, wenn er ihr das nächste Mal begegnete? Wollte er ihr überhaupt je wieder unter die Augen treten?

Er lag noch eine Weile gedankenversunken da, starrte weiter stur an die Decke. Schließlich übermannte ihn die Müdigkeit doch und er fiel in einen unruhigen Schlaf.

Das endgültige Ende

Im Hauptquartier der Bewahrer tobte noch immer ein erbitterter Kampf, als Maike schließlich dorthin zurückkehrte. Nachdem sie Drew in Sicherheit und versorgt wusste fühlte sie sich unglaublich befreit. Befreit von den Sorgen um ihn und die Vergiftung und absolut bereit, sich ihrer hoffentlich letzten Aufgabe zu stellen: Der Rettung ihrer beider Pokémon.

Schwungvoll sprang sie von Gluraks Rücken und ließ den Blick über das Geschehen gleiten.

Auf den ersten Blick war nur schwer zu erkennen, wie die Lage war. Sie konnte nicht recht unterscheiden, wer auf wessen Seite stand. Die Bewahrer sahen immerhin alle gleich aus in ihren Uniformen und mit den weißen Masken.

Keith schien nach wie vor mit zwei anderen Bewahrern gegen Tormund selbst und Leonas zu kämpfen, doch beide Seiten sahen erschöpft aus. Zwischen den Kämpfenden sah sie immer mal wieder verletzte Pokémon und auch Menschen liegen - allesamt nicht mehr in der Lage, weiter zu kämpfen. Sie wäre geschockt gewesen, wenn sie die Zeit dazu gehabt hätte, doch unter den gegebenen Umständen musste sie diese Gedanken beiseite schieben. Vorerst zumindest.

Sie tastete nach der Tasche mit Drews Pokebällen, um zum unzähligsten Male sicher zu gehen, dass sie ihm diese auch wirklich abgenommen hatte. Dann machte sie sich auf den Weg, um seine Pokémon zu suchen. Sie musste es unbedingt ausnutzen, dass noch niemand auf sie achtete.

Schon nach den ersten paar Schritten gesellte sich ihr Luxio zu ihr. Scheinbar hatte es die Anwesenheit seiner Trainerin gespürt.

Maike lächelte ihm dankbar und voller Liebe zu, doch sein Anblick versetzte ihr einen Stich ins Herz. Nun, immerhin war es bei Bewusstsein, aber lange würde es nicht mehr durchhalten. Überall hatte es kleinere und größere Wunden, einen Kratzer über dem linken Auge und es fehlte ein Stück seines Ohres.

Sie suchte nach seinem Pokeball. Als sie diesen schließlich fand und Luxio zurückrufen wollte, schüttelte das Elektro-Pokémon entschieden mit dem Kopf.

„Tut mir Leid, Luxio. Du musst dich ausruhen“, erklärte Maike sanft und rief es trotzdem zurück. Bevor es im Pokeball verschwand, hörte die Koordinatorin es noch empört rufen.

Als nächstes fand sie Drews Mantidea und in unmittelbarer Nähe ihr Lohgock auf dem Schlachtfeld liegen. Beide waren übel zugerichtet und bewusstlos. Roserade, Zorua und Vivillon hatten sich etwas entfernt um Enekoro und Maskeregen versammelt, welche schwer verletzt waren, und schirmten sie vor Angriffen ab.

Um sie vor weiterem Schaden zu schützen rief Maike prompt alle Pokemon zurück - machte damit aber auch auf sich aufmerksam.

Doch bevor die Bewahrer sie angreifen konnten, eilten ihr schon Libelldra, Absol und Glaziola zur Hilfe. Auch sie waren angeschlagen, aber noch wesentlich fitter als ihre anderen Pokemon.

Glaziola warf seiner Trainerin einen kurzen fragenden Blick zu, und Maike blickte es an. Es machte sich Sorgen und wollte wissen, ob seine Trainerin in Ordnung war. Also nickte sie und Glaziola stürzte sich - sichtlich erleichtert - weiter in den Kampf.

Maike ließ den Blick weiter über das Schlachtfeld schweifen und machte erneut Keith und Tormund aus.

Keiths Kameraden waren mittlerweile nicht mehr in der Lage zu kämpfen. Er stand als Einziger noch seinem ehemaligen Meister entgegen, welcher nun auch nicht mehr von Leonas unterstützt wurde. Glurak brüllte und stieß einen Flammenwurf auf seine Gegner hinab.

Es sah schlecht aus für Keith. Maike warf einen Blick zurück und rief die restlichen ihrer und Drews Pokemon zu sich. Sie hatten ihre Gegner gerade besiegt.

Die Koordinatorin konnte Keith nicht im Stich lassen. Ursprünglich hatte sie nur ihre Pokemon retten wollen, aber er hatte so viel riskiert für sie. Sicher, auch für sich selbst, doch er tat das Richtige. Sie konnte ihn jetzt nicht einfach seinem Schicksal überlassen und abhauen. Außerdem hatte sie gar keine Möglichkeit, alleine wieder von hier zu verschwinden.

„Kommt, wir müssen ihm helfen!“, rief sie und rannte zu ihm, zwischen den Körpern von unzähligen am Boden liegenden Menschen und Pokemon hindurch. Mittlerweile standen nur noch wenige aufrecht, die Schlacht würde sich sicherlich innerhalb der nächsten Minuten entscheiden.

Sie wusste nicht, woher sie eigentlich noch die Kraft zum Rennen nahm, aber sie dachte nicht weiter darüber nach. Hauptsache sie schafften es hier in einem Stück wieder raus.

Dann stockten ihre Gedanken kurz. Was, wenn nicht? Ihre Pokemon und auch die von Drew wären dann auf Gedeih und Verderb Tormund ausgeliefert. Das war keine Option!

„Libelldra!“, rief sie nach Drews Drachenpokemon, das sich sofort zu ihr wandte und mit schnellen Flügelschlägen auf ihre Höhe kam.

Maike reichte ihm ihre und Drews Taschen, nachdem sie die Pokebälle für Glaziola und Absol herausgeholt hatte.

„Hier, bring sie zu Drew. Bitte. Das ist wichtig. Er ist in Graphitport City im Krankenhaus. Ich verlasse mich auf dich!“

Sie sah dem Pokemon tief in die roten Augen und hoffte inständig, dass es verstand worum sie es bat. Zu ihrer Erleichterung nickte Libelldra und flog davon. Nun hatte sie zwar einen Helfer weniger im Kampf gegen Tormund, doch wenigstens waren die übrigen Pokemon in Sicherheit.

Den Bruchteil einer Sekunde blickte sie Libelldra noch hinterher, hoffte, dass es auf Anhieb den Weg zu seinem Trainer finden würde, dann rannte sie weiter zu Keith.

Keuchend kam sie an seiner Seite zum Stehen, während sich Glaziola und Absol sofort mit in den Kampf stürzten.

„Keith“, sprach sie ihn an, „da bin ich wieder.“

In seinem Blick lagen sowohl Erstaunen als auch Bewunderung.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du mir sogar noch helfen würdest“, gab er offen und ehrlich zu.

Sie grinste ihn an. „Ich bin halt immer für eine Überraschung gut. Vorsicht!“

Gerade noch rechtzeitig stieß sie ihn zur Seite, als Stolloss sie mit Lichtkanone attackierte.

„Wieso ist dieses Ding überhaupt noch auf den Beinen, verdammt?“, wollte sie fluchend wissen und Keith schnaubte.

„Keine Ahnung. Dieses Stolloss ist ein Ungeheuer. Es geht einfach nicht zu Boden.“

„Tja, bis jetzt waren wir ja auch nicht da.“ Die Koordinatorin wischte sich den Schweiß von der Stirn und rappelte sich auf.

„Himmel, woher nimmst du deine Kraft?“, wollte ihr Mitstreiter wissen, doch sie zuckte bloß mit den Schultern. Das wüsste sie selbst nur zu gerne. Aber es spielte gerade keine Rolle. Sie wusste, dass sie in Panik ausbrechen würde, wenn sie jetzt anfing sich Gedanken zu machen.

Keith schwankte ein wenig, als er sich erhob, und Maike stützte ihn ab. Er war nahezu am Ende seiner Kräfte. Kein Wunder, während sie Drew weggebracht hatte, hatte er die ganze Zeit weitergekämpft. Drew auf Gluraks Rücken nach Graphitport City zu bringen war auch kein Zuckerschlecken gewesen, doch zumindest auf dem Weg zurück zum Hauptquartier hatte sie sich einigermaßen schonen können.

Gemeinsam gaben sie ihren Pokemon Befehle und bemühten sich nach Kräften darum, sich irgendwie durchzuschlagen.

Plötzlich riss es Keith neben ihr von den Beinen und er schlug ein paar Meter entfernt hart auf dem Boden auf. Maike keuchte erschrocken. Tormunds Rasaff hatte sich ihnen unbemerkt von der Seite genähert, und mit seinem Power-Punch hatte es sich nicht im Ansatz zurück gehalten.

„Keith!“, schrie Maike, doch als sie zu ihm rennen wollte stellte Rasaff sich ihr in den Weg.

„Sieh an, sieh an, das kleine Dusselgurr ist in seinen Käfig zurückgekehrt!“, hörte sie Tormund amüsiert sagen und zuckte unwillkürlich zusammen. Er klang so nah. Zu nah.

Himmel, Arceus und Zwirn, wie war er so schnell hier her gekommen?

Als sie sich zu ihm umdrehte, trennte ihr Gesicht nur ein paar Zentimeter von dem seinen.

Er grinste selbstgefällig und breitete die Arme aus, als wolle er sie willkommen heißen. Instinktiv wich sie ein paar Schritte zurück, bis sie gegen Rasaff stieß.

Ihr Blick suchte nach Glaziola und Absol - sie lagen beide kampfunfähig auf dem Boden. Glurak konnte sie auf den ersten Blick nirgends ausmachen. Stolloss brüllte aus der Ferne.

Zu Tormunds Überraschung - und auch zu ihrer eigenen - lächelte sie und sah ihm fest in die Augen.

„Dann war es das also“, schloss sie. „Du hast gewonnen.“

Er beugte sich zu ihr vor. „Ich gewinne immer“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Dann wurde alles schwarz.
 

Die Tür zu Drews Zimmer wurde aufgerissen und er schreckte aus seinem ruhelosen Schlaf auf. Seine grünen Augen machten Max im Türrahmen aus, und der Gesichtsausdruck des Jüngeren versetzte ihn in höchste Alarmbereitschaft.

„Was ist los?“, wollte er ohne Umschweife wissen.

Max zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, offenbar unsicher, wie er es sagen sollte. „Dein Libelldra ist zurückgekommen. Es hatte deine und Maikes Pokebälle bei sich.“

Drew blinzelte irritiert. „Und Maike?“

„Nicht da.“

Ein paar unschöne Flüche kamen über Drews Lippen.

„Weißt du, wie lange ich schon hier bin?“, wollte er wissen, doch der Jüngere schüttelte den Kopf.

„Keine Ahnung, ehrlich. Ich weiß nicht wie lange du schon hier drin gelegen hast, bevor wir erfahren haben dass du hier bist.“

Mühsam rappelte er sich auf. Dafür brauchte er jedes bisschen Kraft, was er nach seinem kurzen Schlaf gesammelt zu haben schien.

„Was hast du vor?“, fragte Max und sah ihn misstrauisch an. „Du sollst dich schonen.“

„Glaubst du allen Ernstes, ich könnte hier einfach so liegen bleiben?“, fragte Drew leise. „Ich will mit dem Arzt sprechen.“

„Ich hätte ihn auch holen können“, bemerkte Max kleinlaut, eilte ihm aber zu Hilfe, als er sah, dass Drew nicht aus eigener Kraft stehen geschweige denn laufen konnte.

Es widerstrebte dem Koordinator, sich von Maikes kleinem Bruder helfen zu lassen. Das lag natürlich nicht an ihm als Person - er mochte Max. Was er gar nicht mochte war das Gefühl der Hilflosigkeit. Das Gefühl, anderen Menschen eine Last zu sein. Es nicht alleine zu schaffen. Doch er schluckte seinen Stolz herunter. Ob es ihm gefiel oder nicht, gerade brauchte er die Hilfe einfach.

Gemeinsam verließen die beiden jungen Männer das Zimmer und sprachen eine Krankenschwester an. Diese war bei Drews Anblick natürlich sofort alarmiert und holte den Arzt.

„Um Himmels Willen, Sie sollen sich doch schonen!“, rief der ältere Mann schon von Weitem, als er den langen Gang betrat und die Beiden erblickte.

„Und Sie unterstützen meinen Patienten auch noch dabei, sich selbst zu schaden!“, schimpfte er mit Max, welcher errötete.

„Es ist nicht seine Schuld“, warf Drew ein. „Wie lange bin ich schon hier, Doktor? Wann hat mich meine Freundin gebracht?“

Er wollte wissen, wie lange er am Anfang ohnmächtig gewesen war. Wie lange er bis eben geschlafen hatte. Wie lange Maike schon bei den Bewahrern war.

Der Mann zog eine Augenbraue in die Höhe und warf einen Blick auf seine Uhr.

„Gerade mal anderthalb Stunden“, antwortete er. „Bemerkenswert, dass Sie sich aufrichten können. Bemerkenswert und dumm.“

Drew überging seine Bemerkung und sah neben sich zu Max. „Libelldra kam eben erst an?“

„Ja, vor etwa zehn Minuten.“

„Gut“, murmelte der Koordinator und rechnete in Gedanken. Also war Maike seit ungefähr einer Stunde dort - und hatte vor circa vierzig Minuten sein Libelldra mit den Pokebällen zurück geschickt, wenn sein Zeitgefühl ihn damals auf dem Weg zum Hauptquartier nicht getäuscht hatte.

Eigentlich konnte diese Aktion ihrerseits nur bedeuten, dass sie sich nicht sicher war, ob sie sie selbst zurückbringen konnte. Und das war verdammt noch mal eine extrem beunruhigende Erkenntnis.

Er keuchte auf, als ein stechender Schmerz durch seine Eingeweide fuhr. Das Blut in seinen Adern fühlte sich noch immer an wie flüssiges Feuer.

„Was ist los?“, wollte Max wissen, und seine Stimme klang ungewöhnlich hoch.

„Helfen Sie mir, ihn zurück in sein Zimmer zu bringen“, befahl der Arzt.

„Nein!“

Die Beiden sahen den Koordinator irritiert an.

„Nicht. Nicht in mein Zimmer.“

„Junger Mann, Sie bringen sich um!“

„Mir egal!“, knurrte er. „Bringt mich bitte raus! Ich will nach Draußen!“

Der Arzt zögerte noch eine Sekunde, dann gab er seufzend klein bei.

„Ich kann niemanden zur Vernunft zwingen. Leider. Aber lasst mich euch wenigstens schnell einen Rollstuhl und eine Decke holen.“ Mit diesen Worten verschwand er.

„Was ist denn nur los?“, fragte Max. „Du wirkst, als wäre dir etwas ganz Entsetzliches klar geworden, und ich finde, dass du es mir verdammt noch mal mitteilen solltest, wenn dem so ist.“

Drew sah den Jüngeren nicht an. „Im Endeffekt ist mir nur bewusst geworden, wie schlimm die Lage ist.“

Max seufzte. „Dein Ernst? Das war uns sofort klar, und du musst für diese Erkenntnis erst so einen riesigen Aufstand machen?“

„Ich hatte keinerlei Zeitgefühl. Das, was mich am meisten getroffen hat, ist die Erkenntnis, dass sie schon vor rund vierzig Minuten in ernsten Schwierigkeiten gesteckt hat“, murmelte er, ohne auf Max‘ Kritik einzugehen. In diesen vierzig Minuten konnte so viel passiert sein, und genau diese Tatsache jagte ihm so eine riesige Angst ein. Ihm schossen alle möglichen Bilder durch den Kopf, und Eines war furchtbarer als das Andere.

Der Arzt kam mit einem Rollstuhl und einer Decke zurück und beobachtete mit einem Seufzen, wie Drew und Max das Gebäude verließen. Kopfschüttelnd wandte er sich ab. Er hatte noch andere Patienten, um die er sich kümmern musste. Vernünftigere Patienten, die an ihrem Leben hingen.
 

Vor dem Gebäude gesellten Max und Drew sich zu Maikes Eltern. Norman lief unruhig auf und ab, schien kurz davor, die Fassung zu verlieren. Caroline versuchte ihn zu beruhigen, und das obwohl sie selbst vollkommen fertig war. Das stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.

Neben den Beiden befand sich Drews Libelldra. Es stieß einen erfreuten Laut aus, als es seinen Trainer sah, und überwand die paar Meter Abstand, um seinen Kopf an ihn zu schmiegen. Drew konnte es nicht verhindern, ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen.

„Schön, dass es dir gut geht“, murmelte er an das Drachenpokemon gewandt.

Er wünschte sich, er wäre noch jünger. Leichter. Damals hatte er auf Libelldra fliegen können. Er würde sich auf seinen Rücken schwingen, zu den Bewahrern fliegen und Maike retten. Das war jetzt keine Option mehr. Nicht zuletzt natürlich auch wegen seines allgemeinen Gesundheitszustandes.

Max unterhielt sich mit seinen Eltern und Drews Blick schweifte in die Ferne. Er fror ein wenig, trotz der Decke, doch er hätte es nicht ertragen können in sein Zimmer zurückzukehren. Wenn sie wiederkam, dann wollte er es sofort wissen.

Wenn sie wiederkam.

Er schüttelte den Kopf. Natürlich kam sie wieder! Eine andere Möglichkeit konnte es gar nicht geben.

„Wie lange ist Officer Rocky schon weg?“, fragte Drew an die Anderen gewandt. „Und woher wissen sie, wo sie hin müssen?“

„Sie sind gleich los, nachdem sie bei dir waren. Etwa eine Stunde.“ Es war Caroline, die sprach. „Angeblich gab es wohl mehrere Hinweise. Bei dieser komischen Sekte scheinen einige Mitglieder unzufrieden zu sein und haben den Aufenthaltsort verraten. Die Beschreibungen waren alle identisch, also sind sie dieser Spur gleich gefolgt.“

Drew nickte. Den leisen Zweifel, der in ihm aufkam, erstickte er gleich im Keim. Sicher bestand die Möglichkeit, dass gleich mehrere der Bewahrer Officer Rocky ganz bewusst eine falsche Beschreibung gegeben hatten. Doch wenn er an Keith dachte und daran, wie viele sich im Geheimversteck gegen ihren Meister gewandt hatten, so war die Wahrscheinlichkeit doch sehr hoch, dass die Spur stimmte. An diese Hoffnung klammerte er sich.

Aus seiner Tasche um Libelldras Hals ertönte sein Holo Log. Das Pokemon kam etwas näher, damit sein Trainer problemlos vom Rollstuhl aus hineingreifen konnte, und als Drew das Gerät in der Hand hielt runzelte er erstaunt die Stirn.

Er hatte nicht einmal gewusst, dass Ash seine Nummer hatte.

Schnell nahm er das Gespräch an und das holographische Abbild des schwarzhaarigen Trainers tauchte vor ihm auf. Ash schien auf seinem Glurak zu sitzen, den wehenden Haaren und den Nebengeräuschen nach zu urteilen.

„Drew, ich dachte, ich sage dir als erstes Bescheid. Ist Max bei dir?“

Der Koordinator war verwirrt. „Ja, ist er. Was ist los?“

Maikes kleiner Bruder gesellte sich neugierig zu ihm, und auch Norman und Caroline blickten ihm nun über die Schulter.

„Sehr schön“, meinte Ash zufrieden, „gleich alle da. Ich habe Maike. Es geht ihr soweit gut. Naja, sie ist ohnmächtig und verletzt, aber sie wird wieder. Ich bringe sie im Moment nach Graphitport City.“

„Was?“, fragten Max und Norman wie aus einem Mund, während Drew nur perplex auf das Abbild seines Freundes blickte.

„Ich erkläre es euch dann. Ich wollte nur, dass ihr Bescheid wisst und euch keine Sorgen mehr macht.“ Er nickte ihnen zu. „Ich mache jetzt Schluss. Bis gleich!“

„Warte!“, rief Max noch, doch Ash hatte das Gespräch bereits beendet.

„Oh Norman, er bringt sie zurück!“, meldete sich nun Caroline zu Wort und Tränen der Erleichterung glitzerten in ihren Augen. „Er bringt unsere Tochter zurück!“

Der Arenaleiter drückte seine Frau an sich. „Gott sei Dank“, flüsterte er ihr ins Haar.

Dann fiel sein Blick kurz auf Drew.

„Tut mir Leid wegen vorhin“, meinte er, und der Grünhaarige nickte verständnisvoll.

„Schon okay. Ich hätte an Ihrer Stelle nicht anders reagiert.“

Ganz im Gegenteil. Er war der festen Überzeugung, dass er komplett ausgerastet wäre an Stelle des Arenaleiters.

„Mann“, meckerte Max, „Ich wollte wenigstens wissen, wie lange er noch braucht!“

„Bestimmt nicht mehr all zu lang“, überlegte Caroline. „Und selbst wenn. Egal. Wir warten einfach hier, ganz gleich wie lang es dauert.“

Erwachen

Maike erwachte mit dröhnenden Kopfschmerzen.

Sie wollte sich an die Stirn fassen, stellte jedoch vor Schmerzen stöhnend fest, dass ihr Arm zu sehr weh tat als dass sie ihn hätte bewegen wollen.

Vorsichtig blinzelte sie, damit sich ihre saphirblauen Augen langsam an das kalte, grelle Licht gewöhnen konnten.

Sie war vollkommen desorientiert. Wo war sie? Wie lange war sie schon hier? Warum tat ihr Arm so weh und was war ihre letzte Erinnerung, bevor alles schwarz geworden war?

Sie hörte Stimmen um sich herum, doch sie klangen gedämpft und leise in ihren Ohren, so als wären sie weit entfernt.

Dann spürte sie, wie etwas oder jemand ihren Arm berührte, und zuckte zusammen. Erinnerungen schossen durch ihre Gedanken. Eine weiße Maske. Ein blutiger Verband. Ein von Zorn und Hass verzerrtes Gesicht, das sie mit gierigen Blicken bedachte. Eine Hand mit langen dürren Fingern, die sie berührten und sich an den Knöpfen ihres Kleides zu schaffen machten.

Plötzlich war Maike hellwach. Sie schrie kurz vor Schmerzen auf, als sie sich in ihrer Panik mit den Armen abstützte und sich so weit nach hinten schob, bis ihr Rücken auf ein Hindernis stieß, was leider nur den Bruchteil einer Sekunde dauerte. Ihre Augen waren nun weit aufgerissen und langsam gewöhnten sie sich an die Helligkeit. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.

Es dauerte noch einen Moment, bis sie endlich erkannte wo sie sich befand.

Sie war in einem Krankenhaus. Um sie herum stand ihre Familie. Ash saß auf einem Stuhl neben ihrem Bett und daneben stand, wie vom Donner gerührt, Drew mit halb ausgestrecktem Arm.

Die Koordinatorin sah noch ein paar Augenblicke vom Einen zum Anderen, bis endlich die Anspannung und Angst von ihr abfielen und sie in sich zusammensackte.

„Scheiße“, murmelte sie, „tut mir Leid.“ Sie hatte ihnen allen gerade sicherlich einen riesigen Schrecken eingejagt.

Max war der Erste, der sich rührte, und kam vorsichtig näher an ihr Bett.

„Wie geht es dir, Schwesterherz?“

Die Brünette runzelte die Stirn und dachte über seine Frage nach. Zuerst musste sie alle Gefühle ordnen, bevor sie darauf wirklich antworten konnte.

„Ich habe höllische Kopfschmerzen“, meinte sie schließlich, „und meine Arme sind... keine Ahnung, verletzt? Aber ansonsten geht es mir gut.“

Ihr Blick flog zu Drew, der sich noch immer keinen Millimeter bewegt hatte und sie weiterhin mit weit geöffneten Augen anstarrte.

Er fing sich, als er sich ihres Blickes bewusst wurde, und quälte sich zu einem halbherzigen Lächeln, das seine Augen nicht erreichte.

„Ich habe dich wohl erschreckt, entschuldige.“

Maike schüttelte den Kopf und merkte dabei, dass auch ihr Nacken schmerzte.

„Nein, also... ja, irgendwie schon, aber das war nicht deine Schuld.“ Ihr Blick wanderte weiter. „Ash, was in aller Welt machst du hier? Und was in aller Welt mache ich hier?“

Ihre Erinnerungen kehrten eine nach der anderen zurück und sie war sich absolut sicher, dass sie gegen Tormund verloren hatten. Sie müsste jetzt... ja, was müsste sie jetzt eigentlich sein? Immer noch eine Gefangene? Oder gar tot?

Der schwarzhaarige Trainer sah seine Freundin ruhig an. „Ich bin hier, weil ich von dir und Drew gehört habe. Und du bist hier, weil ich Gott sei Dank noch rechtzeitig angekommen bin.“ Es lag Schuld in seinen Augen, doch gleichzeitig auch Ärger. Maike entschied, dass dies nicht der richtige Augenblick war, um ihn auch nur auf eines von Beiden anzusprechen. Das würde warten müssen.

Sie blinzelte noch ein paar Mal und sah sich dann in dem kleinen Zimmer um. Typisch für ein Krankenzimmer war es spärlich und in kaltem Weiß eingerichtet. Vor dem Fenster befand sich ein kleiner Tisch mit einem Stuhl. Den Zweiten hatte sich offensichtlich Ash unter den Nagel gerissen.

Auf dem Tisch standen unzählige Blumensträuße in verschiedensten Größen und Farben und brachten etwas Leben in den eintönigen Raum. Einige einzelne Blumen schienen allerdings zu welken und sofort fragte sie sich, wie lange sie schon hier war.

An der Wand hing noch ein abstraktes Gemälde und ein Schrank befand sich in einer Ecke des Raumes. Ansonsten war der Raum leer.

Sie sah ein paar Kabel an sich herabhängen und stellte fest, dass sie am Tropf hing.

Plötzlich wurden ihre Augenlider ganz schwer. Auf einmal war sie furchtbar müde und sie hätte auf der Stelle einschlafen können. Scheinbar ließ der Adrenalinschub von zuvor langsam nach.

„Wie lange liege ich schon hier?“, wollte sie leise wissen und zwang sich, wach zu bleiben.

„Vier Tage“, antwortete Caroline sanft und setzte sich auf den Bettrand zu ihrer Tochter.

Die Koordinatorin stellte nüchtern fest, dass Blumen zu schnell welkten. Was für eine Verschwendung.

Ihre Mutter folgte ihrem Blick und lächelte.

„Deine Freunde haben dir alle Blumen geschickt. Der große Strauß links ist von Aiden und Kainu. Harley und Solidad haben dir diesen hier geschickt, und kurz darauf...“

Ihre Mutter fuhr mit der Aufzählung fort, doch Maike hörte nicht mehr zu. Es fiel ihr einfach zu schwer, sich auf irgendetwas zu konzentrieren.

Drew und Ash sahen einander an und schienen stumm eine Übereinkunft zu treffen.

„Wir sagen dem Arzt Bescheid, dass Maike wach ist“, erklärte Ash und sie verließen den Raum.

Die Familie hatte ein paar Minuten alleine verdient.
 

Nachdem die zwei Trainer die Tür zum Krankenzimmer hinter sich geschlossen hatten, stießen beide einen tiefen Seufzer aus.

„Das wird sie noch lange verfolgen“, murmelte Ash und Drew nickte grimmig.

„Ich verstehe immer noch nicht, warum sie nicht Officer Rocky Bescheid gesagt hat“, fuhr Ash verärgert fort und ballte die Hände zu Fäusten. „Das hätte ihr einiges erspart.“

Der Koordinator sah ihn nur einen kurzen Moment an, dann machte er sich schweigend auf den Weg, um einer Schwester Bescheid zu sagen. Es nützte nichts, ihr Verhalten im Nachhinein auseinander zu nehmen. Ashs Kritik mochte berechtigt sein, doch bei Drew war sie an der falschen Stelle und ändern würde es jetzt ohnehin nichts mehr. Sie hatte nun einmal ihre Entscheidungen getroffen, ob sie nun nachvollziehbar waren oder ob nicht. Was zählte war, dass sie hier war - in einem Stück, endlich wach und auf dem Weg der Besserung.

Im Krankenhaus herrschte noch immer reges Chaos. Officer Rocky und ihr Team hatten im Hauptquartier ordentlich aufgeräumt und die Verletzten mussten natürlich versorgt werden. Und das waren nicht gerade wenige. Selbst nach vier Tagen war das Krankenhaus noch ziemlich überfüllt.

Die Meisten von ihnen waren natürlich, je nach ihrem Zustand, so gesichert, dass sie niemandem schaden konnten. Es würde sich später klären müssen, wer nun auf wessen Seite gestanden hatte und wer an dem Anschlag auf den Pokemon-Fanclub beteiligt gewesen war.

Überall liefen Polizisten umher und stellten sicher, dass keiner der Bewahrer auf irgendeine dumme Idee kam. Diejenigen, welche das Krankenhaus verlassen durften, nahmen sie in der Regel direkt mit auf ihr Revier, um sie noch einmal ausgiebig zu befragen.

Drew hielt eine Krankenschwester an, die gerade geschäftig durch den Gang eilte.

„Die Patientin aus Raum 206 ist wach“, erklärte er ohne Umschweife und die junge Frau warf einen gehetzten Blick auf ihr Klemmbrett. Eilig machte sie sich eine Notiz.

„Ich sage dem Doktor Bescheid, aber ihr müsst euch ein paar Minuten gedulden“, sprach sie und ließ sie stehen.

Die beiden jungen Männer blickten ihr noch kurz nach, dann stieß Ash seinen Freund leicht mit dem Ellenbogen an.

„Kaffee?“, wollte er wissen.

Drew nickte.

Eigentlich hasste er dieses Getränk, doch er war so dermaßen übermüdet und erschöpft, dass er den Vorschlag für eine gute Idee hielt.

„Setz dich, ich hole uns einen“, meinte Ash und deutete auf eine Stuhlreihe hinter ihnen an der Wand. „Du sollst dich immerhin eigentlich noch schonen.“

Drew ließ sich das nicht zwei Mal sagen, nahm Platz und beobachtete, wie der Schwarzhaarige zusammen mit seinem Pikachu auf der Schulter zum Kaffeeautomaten im nächsten Gang abbog.

Der Koordinator erinnerte sich, wie Ash auf seinem Glurak vor vier Tagen vor dem Krankenhaus gelandet war, Maike ohnmächtig vor ihm. Blut war aus einer Wunde an ihrem Kopf geflossen, einer ihrer Arme war unnatürlich verrenkt. Norman hatte seine Tochter von Gluraks Rücken gehoben, noch ehe Ash überhaupt hatte absteigen können, und sie sofort durch die Türen des Krankenhauses getragen. Caroline und Max waren ihnen natürlich auf dem Fuße gefolgt und Drew mühte sich vergeblich mit seinem Rollstuhl ab.

„Warte“, hatte Ash zu ihm gesagt, „ich helfe dir.“

Und während er ihn durch das Krankenhaus manövriert hatte, hatte er ihm alles erzählt was geschehen war.

„Ich bin dort angekommen, als der Kampf gerade zu Ende war. Scheinbar hatte Tormund Maike erst ein paar Sekunden zuvor bewusstlos geschlagen. Oder eines seiner Pokemon. Ich bin mir da nicht so sicher. Egal, ich habe ihn natürlich sofort in einen Kampf verwickelt. Es war großes Pech für ihn, dass er und seine Pokemon schon so geschwächt waren. Er konnte uns nicht lange standhalten.“ Sein Pikachu hatte zustimmend genickt. „Kurz bevor ich ihn besiegt hatte erschien auch Officer Rocky mit ihren Leuten. Wir wurden uns sofort einig, dass sie sich um die Bewahrer kümmern und ich Maike auf schnellstem Weg nach Graphitport City bringe. Und sobald ich weit genug aus dem Radius der Störsender geflogen war habe ich dich angerufen.“

„Woher hast du gewusst wo sich ihr Hauptquartier befindet?“, hatte der Koordinator wissen wollen.

„Sicher war ich mir da nicht, aber ich hatte schon seit einiger Zeit so eine grobe Ahnung. Als ich gerade auf der Suche war habe ich dein Libelldra fortfliegen sehen. Ich habe eins und eins zusammengezählt, bin für einige Minuten der Richtung gefolgt aus der es kam und habe tatsächlich das Versteck gefunden. Da war wohl auch einfach eine Menge Glück im Spiel.“

Die darauffolgenden Tage war der Trainer sehr wortkarg gewesen. Am dritten Abend hatte Drew sich in der Lage gefühlt, selbstständig ein paar Meter zu laufen, und war natürlich ohne Umwege auf Maikes Zimmer zugesteuert. Als er die Tür geöffnet hatte, hatte er den schwarzhaarigen Trainer an ihrem Bett sitzen sehen, den Kopf gesenkt und das Gesicht in den Händen vergraben. Immer und immer wieder hatte er gemurmelt, dass alles bloß seine Schuld sei und dass es ihm Leid täte. Drew hatte die Tür daraufhin leise wieder geschlossen und war in sein Zimmer zurückgegangen.

Ash kehrte mit zwei dampfenden Bechern zurück und reichte einen davon Drew.

Dieser verzog angewidert das Gesicht, als er daran nippte.

„Ich werde mich nie an diesen Geschmack gewöhnen.“

Ash lachte. „Du kannst diese Brühe hier eh nicht mit richtigem Kaffee vergleichen. Aber sie erfüllt ihren Zweck. Wohl bekomm‘s!“

Drew zuckte mit den Schultern und kippte einen großen Schluck des heißen Getränkes herunter. Aus dem Augenwinkel fiel sein Blick wieder und wieder auf Ash. Er sah müde aus, erschöpft und kraftlos. Zudem wirkte er älter und die dunklen Ringe unter seinen Augen waren nicht bloß das Ergebnis von ein, zwei kurzen Nächten. Selbst sein Pikachu wirkte fertig.

„Wie lange wirst du bleiben, jetzt, wo sie wieder wach ist?“, fragte der Grünhaarige, um die Stille zu durchbrechen.

„Keine Ahnung“, murmelte Ash und starrte in den Plastikbecher in seinen Händen. „Ein paar Tage bestimmt noch.“

Dann wandte er sich dem Koordinator zu und meinte grinsend: „Ich muss unserer Maike immerhin noch ordentlich den Kopf waschen! Und dafür sollte sie sich vorher noch ein bisschen ausruhen.“

Drew lächelte. „Da hast du Recht, das kannst du ihr jetzt noch nicht antun. Aber geh nicht zu hart mit ihr ins Gericht.“

Das Grinsen verschwand aus dem Gesicht des Schwarzhaarigen und er inspizierte erneut seinen Kaffeebecher. „Es hätte schlimm ausgehen können. Das muss ihr bewusst werden.“

„Es ist schon schlimm genug ausgegangen“, bemerkte Drew, „aber sie ist hier und wird wieder gesund. Versteh mich nicht falsch, du kannst ihr gerne deine Meinung sagen, aber denk einfach daran dass sie schon genug durchgemacht hat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sie sehr treffen würde, wenn du gar zu wütend auf sie bist.“

Ash seufzte und Pikachu legte besorgt den Kopf schief.

„Ja, du hast wohl Recht“, murmelte er. „Am Ende bin ich eh viel wütender auf mich selbst.“

„Das ist Unsinn. Du trägst keine Verantwortung - weder für Maike noch für das, was die Bewahrer getan haben.“

„Ach nein?“, wollte Ash mit einem freudlosen Grinsen wissen.

Drew schüttelte entschieden den Kopf. „Nein.“

Natürlich war Ash damit nicht überzeugt, und natürlich machte er sich weiterhin selbst Vorwürfe. Doch für die beiden jungen Männer war das Thema vorerst geklärt.

Und zumindest ein wenig hatte es dem Trainer geholfen, dass Drew ihm nicht ebenso die Schuld an allem gab wie er selbst.

Ein wenig später gesellten sich Norman, Max und Caroline zu ihnen.

„Alles in Ordnung?“, wollte Ash sofort besorgt wissen und Caroline tätschelte ihm beruhigend die Schulter.

„Alles gut, sie ist bloß müde. Sie muss ein wenig schlafen. Der Doktor hat uns gerade raus geschickt.“

Drew nickte und wunderte sich, dass er den Arzt gar nicht hatte vorbei kommen sehen. Aber bei den ganzen Wegen, die durch dieses Krankenhaus führten, war das eigentlich auch nicht weiter verwunderlich.

„Wir werden jetzt erst einmal nach Hause gehen und auch etwas Schlaf nachholen“, meinte Norman.

„Oh ja“, kam es von Max, „jetzt können wir immerhin endlich mal eine Nacht ohne Sorge durchschlafen!“

Sie verabschiedeten sich voneinander und Ash ging kurz darauf auch in das Pokemon Center, in welchem er übernachtete.
 

Drew warf einen unsicheren Blick auf die Uhr an der Wand. Es war noch recht früh am Abend, doch es war mehr als nachvollziehbar, dass die Anderen nach den Strapazen der letzten Tage etwas Schlaf nachholen mussten. Weder Ash noch Maikes Familie waren Maike wirklich von der Seite gewichen, bis sie aufgewacht war. Er selbst hatte es im Grunde genommen auch mehr als nötig, sich so viel wie möglich auszuruhen.

Aber wenigstens kurz bei Maike vorbeischauen konnte er noch. Das hatte er die letzten Tage auch stets gemacht, bevor er schlafen gegangen war.

Wenig später fand er sich vor der Tür zu ihrem Zimmer und öffnete sie leise. Die Lichter waren ausgeschaltet und seine Augen brauchten ein paar Sekunden, um sich an die dämmrigen Lichtverhältnisse zu gewöhnen.

Vorsichtig schloss er die Tür wieder hinter sich und ging zu ihrem Bett.

Sie lag auf der Seite, zusammengerollt wie ein Eneco und mit Blick zum Fenster. Ihre Augen waren geschlossen und ihr Atem ging ruhig. Sie sah friedlich aus.

Gerade wollte er ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht streichen, als er sich an ihre Reaktion von vorher erinnerte. Ihr entsetzter Blick, die Panik, als er sie bloß am Arm berührt hatte. Hastig zog er seine Hand wieder zurück. Er wollte sie nicht noch einmal so erschrecken.

Nachdem er auf dem Stuhl neben ihr Platz genommen hatte kreisten seine Gedanken um ihre Erlebnisse bei den Bewahrern. Er hatte Maikes Familie nichts von dem erzählt, was ihr nach Keiths Beschreibung dort passiert war - oder von dem, was beinahe passiert war. Er hatte zum einen nicht gewusst, wie er es hätte sagen sollen, zum Anderen wollte er Maike selbst entscheiden lassen, ob sie mit ihnen darüber sprechen wollte oder ob nicht. Es stand ihm seiner Ansicht nach nicht zu, diese Entscheidung für sie zu treffen.

In ihm selbst wechselten sich unterschiedlichste Gefühle ab. Wut auf diesen Theodor, in einer solchen Intensität, von der er nicht einmal geahnt hatte dass er sie empfinden konnte. Selbsthass, weil er sich zumindest eine große Teilschuld daran gab, dass Maike in dieser Situation gelandet war. Er hätte das irgendwie verhindern müssen. Irgendwie.

Und nicht zuletzt Angst, davor, wie sehr die Erlebnisse sie verändern würden - und ihn. Und ihre Beziehung zueinander.

Noch eine Weile saß er grübelnd neben ihrem Bett, bis er sich schließlich erhob um in sein eigenes Zimmer zurück zu kehren.

„Drew“, hörte er plötzlich eine leise Stimme und drehte sich wieder um. Er kehrte zu ihrem Bett zurück und sah, dass Maike nun mit offenen Augen da lag und aus dem Fenster starrte.

„Du bist ja wach“, bemerkte er und setzte sich doch wieder hin. „Tut mir Leid, falls ich dich geweckt habe.“

„Hast du nicht“, murmelte sie und schien sich noch ein wenig mehr zusammen zu kauern.

„Wie geht es dir?“, wollte er wissen. „Brauchst du irgendetwas? Hast du Schmerzen? Soll ich den Doktor holen?“

Sie drehte sich nun zu ihm, auch wenn es ihr offensichtlich einiges an Schmerzen bereitete, und schüttelte leicht den Kopf.

„Mir geht es gut“, versuchte sie ihn wenig überzeugend zu beruhigen. „Was ist mit dir? Bist du in Ordnung? Und unsere Pokémon?“

Drew nickte. „Dank dir bin ich in Ordnung, ja. In ein paar Tagen bin ich sicher wieder der Alte. Unseren Pokémon geht es auch gut. Sie sind bei deiner Familie und erholen sich dort. Hat der Arzt etwas zu dir gesagt, wann es dir besser gehen wird?“

„Angeblich dauert es noch etwas. Eine Weile werde ich mich hier noch wie zu Hause fühlen dürfen.“

Der Grünhaarige seufzte. „Das tut mir Leid.“ Dann beugte er sich ein wenig näher zu ihr. „Aber wir werden es dir hier so angenehm wie möglich machen. Egal was du brauchst oder haben willst, du musst es einfach nur sagen.“

Sie lächelte müde und betrachtete ihn aus halb geschlossenen Augen. „Das werde ich sowas von ausnutzen.“

Drew lachte kurz.

„Und, gibt es schon irgendeinen Wunsch, den ich dir erfüllen kann? Egal was - ich mach‘s, versprochen.“

Ihm war natürlich klar, dass das große Worte waren und er nun ein ziemlich großes Problem hätte, wenn sie von ihm ein echtes Alola-Vulpix zur Aufheiterung haben wollte oder wenn sie Heißhunger auf ein Yantara-Sablé hatte.

Doch der Wunsch, den sie letztlich äußerte, war zum Glück leicht zu erfüllen.

„Kannst du bei mir bleiben?“

Die Frage kam so leise, dass der Koordinator sie beinahe nicht verstanden hätte. Ihm war klar, dass sie damit diese Nacht meinte. Sicher war die Vorstellung, jetzt alleine zu sein, extrem unheimlich für sie.

Ohne zu Zögern nickte er. „Natürlich. Ich werde mich keinen Millimeter von hier weg bewegen.“

Maike lächelte dankbar und schloss die Augen. „Danke“, flüsterte sie und zog die Decke enger um sich.

Drew war sich nicht ganz sicher, ob sie bereits wieder eingeschlafen war, und ihm blieb nichts weiter übrig, als es sich so gut wie möglich auf dem Stuhl bequem zu machen. Eine Aufgabe, die in seinem Zustand eigentlich unlösbar war, doch irgendwie überstand er die Nacht.

Heilung

Auch in den folgenden Nächten wich Drew nicht von Maikes Seite. Der Arzt und die Krankenschwestern machten ihn zwar immer wieder darauf aufmerksam, dass er das eigentlich nicht durfte, aber sie hielten ihn am Ende auch nicht davon ab. Sie sahen selbst, dass es ihrer Patientin gut tat, Regeln hin oder her.

„Denken Sie bloß bitte auch ein bisschen an sich selbst“, hatte der Doktor Drew nach der ersten Nacht ermahnt. „Sie brauchen selbst noch dringend Schlaf und Erholung.“

Drew war das egal. Das hatte für ihn keine Priorität, und er war so weit wieder fit, dass er das schon irgendwie aushalten würde. Außerdem legte er sich meistens für eine Weile hin, wenn Maike Besuch von ihrer Familie bekam, und konnte so ein wenig Schlaf nachholen.

Nach drei Tagen verabschiedete sich Ash. Er hatte am Ende doch darauf verzichtet, seine Verärgerung Maike gegenüber zum Ausdruck zu bringen, doch er versprach, dass sie sich bald wieder sehen würden. Drew war sich sicher, dass er der Sache bloß einen Aufschub gewährte.

Zur Freude ihrer Familie ging es Maike von Tag zu Tag wirklich viel besser. Sie wurde noch immer schnell müde und ihre Konzentration ließ rasch nach, doch auch da zeigten sich deutliche Verbesserungen im Vergleich zum ersten Tag, nachdem sie aufgewacht war.

Die Prellungen heilten so langsam, während die Verstauchungen ihr noch eine Weile Ärger bereiten würden.

Ihre Arme ließen sich mittlerweile auch wieder belasten und weitestgehend schmerzfrei bewegen - Tormund hatte sie wohl irgendwie verdreht als sie bereits ohnmächtig gewesen war, anders konnte die Koordinatorin sich das nicht erklären. Zusätzlich kam wahrscheinlich noch Muskelkater hinzu von ihrem Flug auf Glurak, als sie den bewusstlosen Drew nach Graphitport City gebracht hatten. Sie hatte ihn fast die ganze Zeit festhalten müssen.

Ihr Auge war zum Glück mittlerweile auch abgeschwollen und der Bluterguss wechselte von rot zum berühmten blau. Damit würde sie wohl noch eine Weile umherlaufen müssen.

Ansonsten waren bloß noch einige Schrammen und Schürfwunden und weitere blaue Flecken Zeugen von ihren Erlebnissen. Nichts, was nicht heilen würde. Da hatte sie wieder einmal Glück gehabt.

„Blau ist echt nicht deine Farbe“, hatte Max einmal scherzhaft zu ihr gemeint, als er sich ihr blaues Auge näher ansah.

„Dir ist schon klar, dass meine Augenfarbe auch blau ist, oder?“, hatte sie ihren kleinen Bruder mit hochgezogenen Augenbrauen gefragt, und dieser hatte bloß gelacht.

„Du weißt schon, wie ich das meine!“

Am vierten Tag kam ihre Mutter mit einer Schere und versuchte, von ihren Haaren zu retten, was zu retten war. Am Ende fühlte sie sich wirklich wieder zehn Jahre in die Vergangenheit versetzt, als sie in den Spiegel sah. Die Ähnlichkeit war verblüffend, wenn man von ihrem sonstigen, eher bemitleidenswerten Auftreten einmal absah.
 

Die Tage vergingen nun wie im Fluge. Nachdem Drew das Krankenhaus verlassen durfte, kam er bei Maikes Familie unter. Caroline bestand darauf, dass er sich das Geld für ein Zimmer im Pokemon Center sparte, und er nahm das Angebot dankbar an. Trotzdem verbrachte er die Nächte stets im Krankenhaus an Maikes Bett. Nach ein paar Tagen hatte sie ihm zwar gesagt, dass es in Ordnung wäre und er das nicht mehr tun müsse, doch er hatte bloß gelächelt und war dennoch geblieben.

Alea kam öfter zu Besuch und lenkte Maike damit wunderbar ab. Drew zog sich dann stets zurück, um den Beiden etwas Zeit miteinander zu gönnen. Er wusste, dass das für Maike wichtig war, denn mit Alea konnte sie anders reden als mit ihm.

Und als sie einige Tage später endlich auch das Krankenhaus verlassen durfte war von der müden, erschöpften und mitgenommenen jungen Frau gar nicht mehr so viel übrig wie befürchtet. Das einzige Problem war, dass sie nicht redete. Darüber, wie es ihr ging. Stattdessen schien sie sich immer weiter in sich selbst zurück zu ziehen.

Einige unangenehme Wege standen noch an. So mussten sie zum Beispiel ihre Aussagen bei Officer Rocky machen und versuchen, ein paar der Bewahrer zu identifizieren - was ihnen jedoch schwer fiel, da sie die meisten nur maskiert gesehen hatten. Keith war nicht dabei und die Beiden fragten sich, was wohl mit ihm passiert war.

Theodor hingegen war an diesem Tag sehr wohl dabei und sein bloßer Anblick nahm Maike sehr mit. Drew musste ab da das Reden übernehmen und auch auf dem Heimweg verlor sie kein Wort mehr.

„Möchtest du darüber reden?“, hatte er gefragt, doch er erhielt keine Antwort.

Zurück in ihrem Elternhaus zog sie sich sofort in ihr Zimmer zurück und ließ Drew ratlos und alleine im Flur stehen.

Max spähte aus der Tür zum Wohnzimmer heraus und blickte den grünhaarigen Koordinator fragend an.

„Was ist los?“, wollte er wissen. „War es so schlimm?“

Drew zuckte mit den Schultern. „Sie braucht gerade bestimmt einfach Zeit für sich, um das zu verarbeiten.“

„Also habt ihr jemanden wiedererkannt?“

„Ein paar Wenige, ja.“

Zu seiner Erleichterung hakte Max nicht weiter nach und sie sahen sich gemeinsam eine Sendung im Fernsehen an. Außer den Dreien war niemand im Haus, da Norman in der Arena zu tun hatte und Caroline mit Alea einkaufen war.

Max seufzte, sichtlich gelangweilt vom Fernsehprogramm, und stand auf. Nachdem er sich einmal gestreckt und ausgiebig gegähnt hatte schlurfte er in Richtung Küche.

„Ich mache uns mal Tee“, meinte er. „Kannst du Maike bitte fragen, ob sie auch welchen möchte?“

„Na klar“, antwortete Drew und machte sich sogleich auf den Weg zu ihrem Zimmer.

Dort angekommen klopfte er zwei Mal vorsichtig an die bloß angelehnte Tür. Es kam zwar keine Antwort, doch Maikes Luxio schob die Tür mit der Nase auf und schmiegte sich an die Beine des Grünhaarigen. Vorsichtig spähte er hinein, in der Hoffnung, dass er nicht schon wieder in einem unpassenden Moment auftauchte.

Die Koordinatorin saß im Schneidersitz auf ihrem Bett und schien ins Leere zu starren.

„Maike?“, versuchte er sie auf sich aufmerksam zu machen. „Ich wollte dich fragen, ob du auch einen Tee möchtest?“

Sie blinzelte ein paar Mal, bevor sie sich zu ihm drehte. „Oh, hey Drew. Was hast du gesagt?“

Er runzelte die Stirn und betrat nun einfach ihr Zimmer. Vor ihrem Bett kniete er sich hin und sah ihr direkt in die Augen.

„Etwas stimmt doch nicht. Was ist los?“

Er hatte nicht vorgehabt, sie jetzt darauf anzusprechen, doch er machte sich Sorgen. Zu sehr, um es einfach auf sich beruhen zu lassen.

Maike ihrerseits wandte den Blick ab und schluckte schwer.

„Nichts ist los“, log sie. Als sie ihn schließlich wieder ansah rang sie sich ein Lächeln ab. „Alles in Ordnung. Ich bin nur ein wenig müde.“

In Drews Brust verkrampfte sich alles. Er öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, schloss ihn sogleich aber wieder. Warum dachte sie, dass sie das mit sich allein ausmachen musste? Das war nicht richtig so! Er wollte ihr helfen - genauso wie all die anderen Menschen um sie herum. Sie musste es bloß zulassen.

„Also, was hast du eben gesagt?“, hakte sie noch einmal nach und sah ihn fragend an.

Er seufzte. „Max macht Tee. Ich habe gefragt, ob du auch einen möchtest.“

„Oh.“ Sie lächelte. „Ja, vielen Dank!“

„Willst du dann zu uns runter kommen?“, wollte er wissen, doch sie schüttelte langsam den Kopf.

„Na gut“, meinte er, „dann bringe ich ihn dir gleich hoch, okay?“

„Danke, Drew.“

Er stand auf und verließ ihr Zimmer.

Unten bei Max in der Küche angekommen sah ihn der Jüngere fragend an.

„Sie nimmt einen. Ich bringe ihn ihr dann hoch.“

Max setzte dazu an, etwas zu sagen, überlegte es sich aber doch anders.

So viele ungesagte Worte hingen in letzter Zeit ständig in der Luft. So viele Worte, die eigentlich gesagt werden mussten. Der Koordinator hoffte inständig, dass sich die Stimmung bald etwas auflockern würde.

Einige Minuten später trat er erneut in Maikes Zimmer, eine Tasse dampfenden Kräutertee in den Händen. Er reichte ihn ihr und sie atmete mit geschlossenen Augen den Duft des Tees ein.

„Darf ich mich setzen?“, fragte der Grünhaarige mit Blick auf den Stuhl an ihrem Schreibtisch.

Sie nickte. „Na klar!“

Nachdem er es sich bequem gemacht hatte, suchte er noch ein paar Sekunden nach den richtigen Worten. Er war sich nicht sicher, wie er das kommende Gespräch am besten anfangen sollte. Luxio sprang auf seinen Schoß und rollte sich zufrieden schnurrend zusammen, während der Koordinator es geistesabwesend streichelte.

„Weißt du, Maike“, begann er schließlich, „du bist nicht alleine. Du musst das Alles nicht alleine tragen. Wir wollen und können dir dabei helfen, wenn du uns lässt.“

Sie presste die Lippen aufeinander und sah ihn wortlos an. Das ärgerte ihn. Wenigstens irgendetwas dazu sagen konnte sie doch!

„Komm schon, das ist nicht fair. Besonders nicht deiner Familie gegenüber.“

„Was genau ist denn nicht fair?“, wollte sie leise wissen und sah ihn mit zu Schlitzen verengten Augen an.

Eigentlich hätte er nun aufpassen müssen, was er als nächstes sagte, doch er ignorierte den vernünftigen Teil in ihm.

„Dass du uns nicht helfen lässt ist nicht fair. Dass du uns anlügst. Ich will ja gar nicht von dir, dass du uns alles bis ins kleinste Detail erzählst, aber versuch doch nicht uns weis zu machen, dass es dir gut geht, während du dich immer mehr zurückziehst.“

Die Augen der Koordinatorin füllten sich mit Tränen, doch Drew konnte nicht genau sagen, ob diese von Traurigkeit oder von Wut herrührten. Oder von Beidem.

„Na schön. Ja, Drew, es geht mir nicht gut! Ich bin gerade nicht glücklich! Nicht fröhlich! Nicht sorglos! Was für eine Überraschung.“

Sie stellte ihre Tasse mit zu viel Nachdruck auf ihren Nachttisch, sodass etwas heißer Tee auf ihre Hand schwappte und sie leise fluchte. Dann stand sie wutentbrannt auf und lief im Zimmer auf und ab.

„Was willst du denn bitteschön hören? Du warst doch dabei, verdammt! Glaub mir, ich habe mir das Alles ganz anders vorgestellt, selbst bei den Bewahrern noch. Wer konnte denn ahnen, dass sie uns gleich umbringen wollen? Dass mich dieser Mistkerl...“ Sie brach ab und wischte sich mit dem Handrücken zornig eine einsame Träne weg. „Auch egal. Ich hatte in meinem Leben noch nie so viel Angst wie in den letzten Wochen und ja, Drew, das zehrt an mir und meinen Nerven! Und ich habe immer noch Angst! Ständig! Ich möchte am liebsten das Haus nicht mehr verlassen.“

Ein freudloses Lachen verließ ihre Kehle.

„Ich möchte das Haus nicht mehr verlassen. Ich, ausgerechnet ich. Und dann sehe ich euch, wie ihr alle mit sorgenvollen Mienen um mich herum tänzelt und mich am liebsten in Watte packen würdet, aber das ist nicht hilfreich! Ich möchte, dass alles wieder normal wird. Ich möchte, dass alles wieder so wird wie früher, aber ich habe keine Ahnung, ob das überhaupt geht. Und davon mal ganz abgesehen, warum machst ausgerechnet du mir Vorwürfe? Du, der du selbst behauptest, dass es dir gut ginge! Das kann doch nicht die Wahrheit sein, oder?“

Drew wollte darauf antworten, doch sie ließ ihm keine Chance dazu, so sehr hatte sie sich in Rage geredet.

„Und mir ist klar, dass ich unvernünftig war, dass ich vorher nicht alles gut genug durchdacht habe. Das ist richtig, und verdammt, das tut mir Leid!“

Der Koordinator legte ein wenig den Kopf schief. Soweit er wusste, hatte sie noch niemand auch nur im Ansatz darauf angesprochen, dass die gesamte Aktion extrem unüberlegt gewesen war. Das zeigte bloß, wie viel sie darüber nachdachte und sich selbst die Schuld gab.

„Es lief alles von Anfang an einfach nur bescheiden, schon als ich aus dem verdammten Café in Graphitport City raus gegangen bin. Ach, eigentlich schon weit vorher, als ich das erste Mal das Vergnügen hatte, den Bewahrern zu begegnen. Aber ja, ich würde es wieder tun! Immer wieder, wenn ich irgendwem dadurch helfen kann. Und erst recht, wenn ich dir helfen kann!“

Als sie geendet hatte schluchzte sie und die Tränen, die sie vorher so verbissen zurückzuhalten versucht hatte, liefen ihr nun ungehindert über die Wangen.

Drew stand auf und ging auf sie zu, um sie in den Arm zu nehmen, doch er zögerte, als er realisierte, dass sie kaum merklich vor ihm zurück wich. Es tat ihm beinahe schon körperlich weh, zu sehen, dass sie offensichtlich Angst vor ihm hatte. Aber er wollte das nicht auf sich beruhen lassen. Nicht zulassen, dass Platz für diese Angst war.

In dem Wissen, dass er jetzt möglicherweise zurückgewiesen wurde, ging er noch einen letzten Schritt auf sie zu, sodass er unmittelbar vor ihr stand, und breitete die Arme aus.

Maike schluchzte und zitterte und sah verwirrt zwischen seiner einladenden Geste und seinem fragenden Blick hin und her. Offensichtlich überließ er es ihr, zu entscheiden, ob sie mit so viel Nähe gerade umgehen konnte oder nicht.

Sie presste unentschlossen die Lippen aufeinander. Eigentlich war sie doch wütend. Und eigentlich hatte sie gar nicht vorgehabt vor ihm zurückzuweichen, das war vollkommen unterbewusst passiert. Sie wollte nicht, dass er dachte, sie habe Angst vor ihm. Aber was ihr ohne Zweifel Angst machte war, diesen Schritt jetzt von sich aus zu gehen. Es war prinzipiell keine große Sache, doch bisher war alles von ihm ausgegangen, wie ihr plötzlich bewusst wurde. Jede Umarmung, jede Form von Nähe, auch der Kuss. Warum war ihr das zuvor nie aufgefallen?

Sie spürte, wie sie bei der Erinnerung an den Kuss knallrot wurde und ließ den Kopf an seine Brust sinken, in der Hoffnung, dass es ihm dadurch nicht zu sehr auffallen würde.

Drew musste einen erleichterten Seufzer unterdrücken. In den Sekunden, die sie gebraucht hatte um sich zu entscheiden, war er bis aufs Äußerste angespannt gewesen.

Ganz vorsichtig legte er seine Arme um sie, so, dass man eigentlich kaum von einer wirklichen Berührung sprechen konnte.

„Tut mir Leid“, sagte er zu ihr.

„Was denn?“, murmelte sie ohne den Blick zu heben in sein T-Shirt.

„Alles. Du hast Recht. Ich darf dir keine Vorwürfe machen, denn ich bin selbst nicht viel besser.“

Und es tat ihm unendlich Leid, dass sie seinetwegen überhaupt erst in diese Situation geraten war. Nur, um ihm zu helfen.

„Aber ich bin jetzt vollkommen ehrlich zu dir, okay?“

Sie schniefte und hob mit fragendem Blick den Kopf.

„Okay“, antwortete sie unsicher.

„Gut.“ Er atmete tief ein. „Wenn du nicht möchtest, dass deine Familie dich in Watte packt, dann musst du mit ihnen reden. Sie sind total verunsichert und wissen nicht, wie es dir wirklich geht, weil du sie nicht teilhaben lässt. Sie machen sich Sorgen und sehen wie du leidest, aber sie sprechen dich nicht darauf an, weil sie dir Zeit geben wollen. Weil sie dich nicht zusätzlich belasten wollen. Also machen sie das einzig Logische: Sie gehen mit dir so vorsichtig um, als wärest du so zerbrechlich wie Porzellan. Wenn du dir Normalität wünschst, dann erreichst du diese nicht, indem du die Menschen um dich herum ausschließt.“

Sie hatte den Blick wieder gesenkt während er geredet hatte und er spürte, wie sein T-Shirt immer nässer wurde.

Jetzt wagte er es auch, sie fester in die Arme zu schließen und gab ihr einfach etwas Zeit, sich auszuweinen.

Aus dem Augenwinkel bemerkte der Koordinator eine Bewegung.

Max kam gerade die Treppe hinauf, eine Tasse in der Hand. Doch als der Jüngere die Beiden sah, blieb er abrupt stehen und grinste Drew verlegen an. Er deutete auf die Tasse in seiner Hand - Drew hatte seinen eigenen Tee unten stehen lassen - und stellte diese lautlos auf eine Kommode im Flur. Drew lächelte zum Dank, und Max schlich auf leisen Sohlen wieder die Treppe hinunter. Maike schien davon nichts mitbekommen zu haben, noch immer hatte sie leise schluchzend ihr Gesicht in sein T-Shirt vergraben.

Nach einer Weile hatte sie sich beruhigt und löste sich aus der Umarmung.

„Du hast Recht“, murmelte sie und blickte dabei den Boden zu ihren Füßen an. „Danke. Und tut mir Leid, dass ich vorhin so wütend war.“

Der Grünhaarige lächelte milde. „Das muss dir nicht Leid tun. Ich bin froh, dass du mir gesagt hast, wie du dich fühlst.“

Er holte seine Tasse und nahm wieder auf dem Stuhl an ihrem Schreibtisch Platz, während sie sich auf die Bettkante setzte.

„Ich glaube, ich bin einfach selbst noch total überfordert mit allem“, gestand sie. „Ich weiß auch gar nicht, wie ich mit ihnen sprechen soll. Wie fängt man so ein Gespräch schon an? ‚Ach übrigens, Mama, Papa, so ein Typ bei den Bewahrern wollte mich...‘“ Sie brach erneut ab und Drew schluckte schwer. Insgeheim war er froh, dass sie es nicht aussprach. Es war alles andere als leicht für ihn, seine Wut über diesen Vorfall in Zaum zu halten.

Plötzlich grinste sie ihn etwas schadenfroh an und er zog verwundert die Augenbrauen in die Höhe.

„Danke übrigens“, meinte sie. „Du hast ihm glaube ich ordentlich weh getan.“

„Ich bin mir nicht sicher ob er überhaupt noch am Leben wäre, wenn meine Hände nicht zusammengebunden gewesen wären“, knurrte er und konnte das Lächeln, das sie ihm daraufhin schenkte, nur halbherzig erwidern.

„Du musst ihnen übrigens gar nichts darüber erzählen, solange du nicht magst“, griff Drew das Thema von vorher wieder auf. „Von mir haben sie nichts darüber gehört, also sollten sie auch nicht von selbst danach fragen. Aber sag ihnen einfach, wie du dich fühlst. Deine Angst ist auch so mehr als nachvollziehbar, mach dir da keine Sorgen.“

Sie nickte und trank einen Schluck von ihrem Tee.

„Wahrscheinlich hast du Recht“, meinte sie. „Ich übertreibe sicher auch total. Ich meine, es ist ja nicht so, als wäre wirklich etwas passiert.“

„Ich glaube nicht, dass du übertreibst. Ich weiß ja nicht, was genau er gemacht hat, aber er hat dich zumindest geschlagen und...“ Drew seufzte und fasste sich an die Stirn. „Naja, ich weiß eben nur, was Keith Tormund erzählt hat.“

Ein paar Sekunden herrschte unangenehmes Schweigen.

Der Grünhaarige räusperte sich. „Auf alle Fälle kannst du mit mir reden. Natürlich nur, wenn du das möchtest.“

Maike biss sich auf die Lippe und warf einen verunsicherten Blick auf ihre Zimmertür, die noch immer geöffnet war. Offenbar dachte sie darüber nach, sie zu schließen, also nahm Drew ihr die Entscheidung ab und schloss sie selbst.

Die Koordinatorin seufzte. Vielleicht sollte sie es einfach tun und los reden.

„Im Grunde genommen hat Keith alles erzählt, was auch passiert ist“, murmelte sie. „Mehr war da eigentlich nicht. Er hat mich überrascht, als ich gerade geschlafen habe. Zuerst wusste ich nicht, wer er ist oder warum er so einen Groll auf mich hegt, aber dann habe ich erkannt, dass er der Bewahrer ist, den ich in Graphitport City anderthalb Finger gekostet habe.“

„Ich wünschte, du hättest ihn alle Finger gekostet“, knurrte Drew, und Maike nickte zustimmend.

„Ich wusste auch gar nicht, was er vorhatte, bis er versucht hat, mein Kleid aufzumachen.“

Drew atmete schwer ein und aus, bemüht ruhig zu bleiben.

Sie hob den Blick und sah ihn an.

„Aber es ist ja wie gesagt nichts passiert. Keith kam ihm in die Quere. Ja, er hat mich geschlagen, vorher, als ich mich gewehrt habe.“ Ihre Finger tasteten nach der beinahe verheilten Platzwunde an ihrer Lippe. „Ich glaube, was mich an der ganzen Sache am meisten mitnimmt ist meine eigene Hilflosigkeit. Ich habe wirklich alles getan, meine gesamte Kraft aufgewendet, mich mit Händen und Füßen gewehrt, aber wenn Keith nicht vorbei gekommen wäre...“ Ihre Stimme brach ab und sie blickte wieder starr auf den Boden.

Sie war von sich selbst überrascht. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, mit jemandem darüber zu reden. Ganz besonders nicht mit Drew. Dabei war ihr gar nicht mal wirklich bewusst, was sie an der Vorstellung so schlimm fand. Aber jetzt, wo sie es einfach getan hatte, bemerkte sie, dass es gar nicht so schlimm war. Ganz im Gegenteil, auch wenn es schwer fiel es zu erzählen, so tat es gleichzeitig auch irgendwie gut es los zu werden.

Drew bedankte sich, dass sie es ihm anvertraut hatte. Sonst sagte er nichts weiter dazu - und sie war froh darüber. Er hätte am Ende eh nichts wirklich hilfreiches beisteuern können. Es war passiert, es war vorbei, und es war vor allem glimpflich ausgegangen. Jetzt musste sie nur noch selbst damit fertig werden und es irgendwie hinter sich lassen.

Die Beiden hörten, wie sich unten die Haustür öffnete. Kurz darauf erklangen die Stimmen von Caroline und Alea und das Rascheln von Einkaufstüten. Maike seufzte.

„Na gut“, meinte sie und erhob sich. „Dann will ich mich mal damit auseinander setzen, worüber wir gesprochen haben.“ Sie warf Drew noch ein zaghaftes Lächeln zu, dann verließ sie ihr Zimmer. Drew selbst ging ins Gästezimmer und beschäftigte sich ein wenig mit Roserade und Zorua. Er hatte nicht das Gefühl, dass er bei Maikes Gespräch mit ihrer Familie dabei sein sollte. Das mussten sie selbst klären - und das würden sie auch, davon war er überzeugt.

Alltag

In den folgenden Tagen entspannte sich die Situation mehr und mehr. Maike hatte das Gespräch mit ihrer Familie gesucht und sie hatten einander erzählen können, was ihnen auf der Seele brannte. Danach schien sich die Stimmung tatsächlich von Tag zu Tag mehr aufzulockern. Maike gewann ein wenig von ihrer Fröhlichkeit wieder und Caroline versuchte nicht mehr, sie zu sehr zu bemuttern und ihr jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Max und Alea machten wieder ihre gewohnten Späße und bekamen sich dann und wann in die Wolle, und Norman bekam immerhin überhaupt wieder ein paar Worte raus, ohne dabei grimmig zu schauen.

Drew fühlte sich langsam schlecht, dass er der Familie so lange auf der Tasche lag. Er war eigentlich längst wieder in der Lage, weiterzureisen. Das Einzige, was ihn aktuell hier hielt, war Maike. Aber irgendwann in den nächsten Tagen würde er sich auf den Weg machen.

Einen Abend saßen die beiden Koordinatoren in Maikes Zimmer, als diese einen Anruf von Aiden bekam. Sie nahm den Anruf an und blickte gemeinsam mit Drew auf ihr Holo Log, bis ein Abbild von Aiden und Kainu erschien.

Die beiden Trainerinnen begrüßten sich mit hohen Stimmen und voller Freude, während Aiden und Drew einander nur grinsend zunickten.

„Wie schön, dass ihr anruft!“, sagte Maike voller Begeisterung. „Wie geht es euch denn? Wo treibt ihr euch gerade rum?“

„Uns geht es gut. Wir sind gerade in einem kleinen Dorf nahe Destorus City und trainieren ein wenig“, berichtete Aiden. „Aber wie geht es euch?“

„Uns geht es auch gut“, antwortete Maike. „Es wird nur langsam ein wenig öde hier daheim.“

Als Aiden Destorus City erwähnt hatte wurde Maike erst bewusst, dass Drew bald würde gehen müssen. Das große Festöival würde dort immerhin in wenigen Wochen stattfinden, und er war noch in Hoenn. Dabei war sie sich gar nicht so sicher, wie seine Pläne waren und ob er überhaupt teilnehmen wollte. Schließlich hatte er die letzten Wochen nicht wirklich Zeit gehabt zu trainieren.

„Das glaube ich gerne“, meinte Kainu und warf ihrer Freundin einen mitleidigen Blick zu. „Sehen wir uns denn in Destorus City?“

„Du wirst doch sicher hingehen, oder, Drew?“, warf Aiden noch ein und der Grünhaarige nickte als Antwort.

„Ja, auf alle Fälle. Ich muss nur dringend noch mal richtig trainieren vorher. Hast du deine fünf Bänder beisammen?“

Aiden grinste und zeigte ihm seine Sammlung. „Klar doch!“

„Und du, Maike?“, hakte Kainu nochmal nach. „Gehst du mit Drew nach Destorus City?“

Ihre Freundin wusste von dem Kuss, und ebenso, dass Drew nun schon eine Weile bei ihnen daheim übernachtete. Sie war sich eigentlich beinahe sicher, dass die Beiden es mittlerweile endlich auf die Reihe bekommen hatten, aber noch hatte sie keine Gelegenheit gehabt, mit Maike darüber zu sprechen. Also versuchte sie, sich einigermaßen vorsichtig an das Thema heranzutasten.

Max, der gerade im Türrahmen zu Maikes Zimmer erschienen war, war weniger taktvoll.

„Würde mich wundern wenn nicht“, sagte er laut, damit Kainu und Aiden ihn hörten. „Jetzt, wo sie schon miteinander kuscheln.“

Im Bruchteil einer Sekunde wurde Maike knallrot und schnappte sich wütend ein Kissen von ihrem Bett, welches sie nach ihrem Bruder warf. Doch der war zu schnell und verschwand grinsend in sein eigenes Zimmer.

„Dich hat keiner gefragt!“, rief sie ihm noch hinterher und wandte sich dann wieder dem Holo Log zu. Kainu und Aiden sahen sie schief grinsend an, was ihr gleich noch mehr Farbe ins Gesicht trieb, und selbst Drew war ein wenig rot geworden.

Bisher hatte sich keine passende Gelegenheit mehr ergeben um darüber zu sprechen, wodurch keiner von Beiden wirklich wusste, was jetzt eigentlich Sache war. Drew empfand es als zu früh, wo doch die Sache mit den Bewahrern noch nicht lange her war. Er war sich sicher, dass sie aktuell andere Sorgen hatte. Umso unangenehmer war die jetzige Situation, weil sich weder Drew noch Maike trauten, etwas dazu zu sagen. Verlegen fuhr Drew sich durch das Haar und seine Rivalin musterte höchst interessiert den Boden.

Kainu räusperte sich und brach das Schweigen.

„Wie dem auch sei, ich würde mich freuen. Dann würden wir uns wiedersehen und ich werde dich nicht mehr los lassen, sobald ich dich einmal in den Armen habe.“

Maike grinste, noch immer etwas verlegen. „Das könnte sich als schwierig herausstellen. Aber es wäre echt schön euch wiederzusehen. Mal schauen.“

„Auf alle Fälle ist dir mit uns nicht mehr langweilig“, bemerkte Aiden mit einem zufriedenen Grinsen.

Wenig später beendeten sie das Gespräch und Maike legte ihren Holo Log beiseite.

Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Drew sie betrachtete. Sie traute sich nach der peinlichen Situation von vorher nicht, ihn direkt anzusehen.

„Kleine Brüder - ein Geschenk des Himmels“, meinte sie nervös lachend. „Aber was hat er überhaupt gemeint?“

Drew zog grinsend die Augenbrauen in die Höhe. Sie wusste also nicht mal, worauf ihr kleiner Bruder anspielte, und trotzdem trieb es ihr so sehr die Röte ins Gesicht?

„Ach, er kam nur den einen Tag, als wir unser kleines Gespräch wegen deiner Familie hatten, die Treppen hoch, um mir meinen Tee zu bringen“, berichtete der Koordinator ihr. „Er hat also maßlos übertrieben.“

Maike errötete erneut und presste die Lippen zusammen. Als maßlos übertrieben hätte sie das jetzt nicht bezeichnet - aber vielleicht war das auch nur ihr persönlicher Eindruck gewesen. Ja, sie umarmte auch Ash oder Aiden, oder eher umarmte letzterer sie, aber niemals so. Es war keine wirklich feste Umarmung gewesen, doch allein der Situation wegen hatte sie sie als sehr intim empfunden. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie sich in dem Augenblick von niemandem sonst hätte in den Arm nehmen lassen.

„Willst du denn mit?“, riss Drew sie aus ihren Gedanken.

Die Koordinatorin blinzelte ein paar Mal irritiert und sah ihn dann an.

„Ich weiß nicht“, gestand sie schließlich. Im Grunde genommen fand sie die Idee großartig. So konnte sie Zeit mit Drew verbringen. Mit ihm reisen, so, wie sie es sich eh gewünscht hatte, bevor alles den Bach runter gegangen war. Sie wäre dann außerdem nicht alleine und müsste keine Angst haben.

Allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie dazu im Allgemeinen wirklich schon bereit war. Oder ob sie noch etwas Zeit brauchte, um sich von Allem zu erholen.

Drew lächelte und ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken.

„Du hast ja noch ein paar Tage, um darüber nachzudenken.“

Nun warf sie ihm einen erschrockenen Blick zu.

„Ein paar Tage?“, fragte sie. „Willst du schon so bald aufbrechen?“

Drew lachte. „Das muss ich. Ich muss es rechtzeitig nach Destorus City schaffen und ein wenig Zeit zum Trainieren brauche ich auch noch. Außerdem habe ich euch jetzt lange genug Umstände bereitet.“

Maike schüttelte entschieden den Kopf.

„Du bereitest uns keine Umstände!“, berichtigte sie ihn mit Nachdruck, und er lächelte dankbar. Er wusste es zu schätzen, doch es änderte nichts an seinem schlechten Gewissen.

„Es wird trotzdem langsam Zeit für mich. Wenn ich es weiter so schleifen lasse werde ich noch so ein zweitklassiger Koordinator wie du, wo kämen wir denn da hin?“

Maike schnaubte und versuchte wenig überzeugend, ihn von der Bettkante zu schubsen. Doch dann lachte sie und er stimmte mit ein.

Innerlich setzte er sich ein Limit von drei Tagen. Dann würde er sich auf den Weg machen, ob mit oder ohne Maike - auch wenn er insgeheim auf Ersteres hoffte.

Eine neue Reise

Drew hatte die Familie natürlich darüber in Kenntnis gesetzt, dass er sich in drei Tagen wieder auf den Weg machen würde, und seitdem machte Maike irgendwie einen gehetzten Eindruck auf ihn. Sie schien permanent etwas zu tun zu haben, war dauernd beschäftigt und er bekam sie erstaunlich selten zu Gesicht.

Max und Alea verabschiedeten sich am zweiten Tag ebenfalls, sie zogen in eine andere Richtung weiter. Ohne die Beiden war es gleich viel stiller im Haus. Auch Maike bemerkte das und fragte sich, wie ihre Mutter sonst wohl mit der Stille klar kam, wenn ihr Vater den ganzen Tag in der Arena war. Plötzlich hatte sie Mitleid. Es musste sehr einsam sein.

So verbrachte sie am dritten Tag noch möglichst viel Zeit zusammen mit Caroline, bis sie Drew eröffnete, dass sie mit ihm mitkommen würde.

Der Koordinator freute sich darüber natürlich sehr und nachdem sie sich schließlich von Maikes Eltern verabschiedet hatten waren sie zum allerersten Mal nur zu zweit unterwegs. Immer, wenn Maike darüber nachdachte, wie viel Zeit sie jetzt mit Drew alleine verbringen würde, kribbelte es in ihrem Bauch und sie errötete leicht, ein zufriedenes Grinsen auf dem Gesicht.

Ihr erster Weg führte sie nach Graphitport City, von wo aus sie ein Schiff nehmen würden.

In der Hafenstadt selbst fühlten sich die Beiden nicht besonders wohl. Ihr Weg führte sie auch am ehemaligen Pokemon Fanclub vorbei, welcher nun in Trümmern lag und abgesperrt war.

Maike schluckte schwer, als die Erinnerungen sie überkamen, doch sie beruhigte sich schnell wieder, als Drew ihr sanft eine Hand auf die Schulter legte.

„Lass uns einfach direkt zur Anlegestelle gehen“, meinte er und sie nickte zustimmend. Das ließ sie sich nicht zweimal sagen.

Auf dem Schiff hatten die Koordinatoren ihre Schlafkabinen direkt nebeneinander. Die Reise würde einige Tage dauern, und zu aller erst kümmerten sich die beiden darum, ihr Gepäck zu verstauen. Anschließend trafen sie sich an Deck und schlugen die Zeit tot.

Das Essen auf dem Schiff war eher mittelmäßig, aber das schränkte Maikes Appetit nicht im Geringsten ein. Und ehe sie sich versahen ging am Horizont die Sonne unter.

Die beiden Koordinatoren standen an der Reling und betrachteten gemeinsam den glühenden, orange-roten Himmel. Verstohlen warf Maike ihrem Rivalen einen Blick zu. Sie konnte kaum fassen, wie schnell ihr erster gemeinsamer Tag sich dem Ende zuneigte.

Drew seinerseits wirkte richtiggehend zufrieden und entspannt auf sie, wie er da stand und die kühle Abendluft genoss. Eine etwas stärkere Brise zerzauste ihm sein Haar, so dass er sich nebenbei mit einer Hand hindurchfuhr. Dann schien er ihren Blick zu bemerken und sah sie fragend an.

Ertappt wandte sie sich ab und spürte, wie ihr Gesicht warm wurde.

„Es wird langsam spät - und kühl“, bemerkte Drew, ohne weiter auf ihr Verhalten einzugehen. „Wollen wir schlafen gehen?“

Maike nickte zaghaft. Er hatte recht, sie fing langsam an ein wenig zu frieren, und sie war ohnehin recht erschöpft. Nicht, dass sie heute wirklich viel gemacht hätte, aber anscheinend war sie eben doch noch nicht zu hundert Prozent fit.

Vor ihren Kabinen hielt Drew sie noch eine Sekunde auf.

„Kommst du klar?“, fragte er mit sorgenvoll zusammen gezogenen Brauen.

Maike schluckte. Sie war sich nicht sicher, was sie darauf sagen sollte, denn sie hatte keine Ahnung wie diese Nacht für sie werden würde. Immerhin war es die erste Nacht seit dem Vorfall bei den Bewahrern, die sie nicht im Schutz ihres Zuhauses verbrachte. Die erste Nacht ohne ihre Familie in ihrer unmittelbaren Nähe. Aber immerhin war Drew ja bloß eine Tür nebenan, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Außerdem, was sollte ihr hier an Bord dieses Schiffes schon groß geschehen?

Also nickte sie zögerlich und lächelte leicht. „Ja, ich denke schon.“

Ihr Rivale sah sie noch eine Sekunde prüfend an, dann erwiderte er ihr Lächeln.

„Gut. Aber wenn irgendetwas ist oder es dir nicht gut geht sagst du sofort Bescheid, in Ordnung?“

„In Ordnung“, antwortete sie.

Drew lag in dieser Nacht noch lange wach. Eigentlich hatte er stark damit gerechnet, dass er irgendetwas von Maike hören würde. Dass sie ihm vielleicht schrieb, dass sie sich unwohl fühlte, oder eventuell sogar bei ihm klopfte. So, wie sie es einmal bei Aiden getan hatte.

Doch nichts dergleichen geschah.

Am nächsten Morgen trafen sich Beide erst beim Frühstücksbüffet.

Der Koordinator musterte seine Rivalin argwöhnisch, während sie sich gerade etwas Brot und Marmelade holte und ihn noch nicht bemerkt hatte.

Rein nach ihrem Äußeren zu urteilen hatte sie überhaupt nicht geschlafen. Ihre blauen Augen waren von dunklen Ringen umgeben, ihre Haut wirkte unnatürlich blass und ihre Bewegungen waren auffällig langsam. Außerdem war sie offensichtlich vor ihm wach gewesen - und das war höchst ungewöhnlich.

„Na, gut geschlafen?“, fragte er sie betont beiläufig, und sie erschrak, weil er plötzlich neben ihr aufgetaucht war.

„Wie ein Stein“, grummelte sie und Drew lachte.

„Ja, das sieht man!“

Dann wurde sein Ausdruck wieder ernster. „Warum hast du nichts gesagt?“

Sie zuckte bloß mit den Schultern und marschierte mit ihrem Frühstück an einen noch freien Tisch.

Drew beeilte sich, damit er ihr folgen konnte.

„Eigentlich bin ich ziemlich schnell eingeschlafen“, berichtete sie ihm noch ehe er sich gesetzt hatte und überraschte ihn damit. Er hatte nicht geglaubt, dass sie von sich aus noch mehr zu dem Thema sagen würde.

„Aber dann hatte ich einen Alptraum. Und als ich dann auf die Uhr gesehen habe war es schon nach Mitternacht und ich wollte dich nicht wecken.“

„Also hast du das einzig Vernünftige getan und dich alleine damit rumgequält?“, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Richtig“, antwortete sie und reckte trotzig das Kinn vor.

Drew lachte. „Mensch, Maike, du bist schon echt... besonders.“

Sie errötete und biss missmutig in ihr Marmeladenbrot.

„Im Ernst. Weck mich bitte das nächste Mal, wenn so etwas ist, okay? Ich kann das ab.“

„Okay“, murmelte sie kleinlaut.

„Aber auch wirklich!“, forderte der Koordinator. „Wir waren uns immerhin schon gestern Abend einig, dass du mir Bescheid sagst, wenn etwas ist.“

„Ja ja!“, schnaubte sie, sichtlich genervt von ihm.

„Schön!“ Drew grinste zufrieden.

Um sie nicht weiter zur Weißglut zu treiben wechselte er das Thema und sprach mit ihr über seine Strategie für das große Festival.

Bei diesem Thema blühte Maike richtiggehend auf und ihre Augen schienen vor Aufregung zu glitzern.

„Bist du sicher, dass es eine gute Idee ist, mir das alles so im Detail zu erzählen?“, wollte sie irgendwann wissen. „Immerhin bin ich nach wie vor deine Rivalin.“

Er zuckte gleichmütig mit den Schultern. „Macht nichts. Das Wissen wird dir auch nicht helfen, gegen mich zu gewinnen, weil ich schlicht und ergreifend besser bin als du - Autsch!“ Ihr Schlag gegen seine Schulter hatte gesessen.

„Sobald wir uns mal wieder im Finale gegenüber stehen werde ich dir schon zeigen, wer von uns Beiden besser ist!“, meinte sie mit einem siegessicheren Grinsen auf den Lippen.

„Ich kann es kaum erwarten“, erwiderte er, ebenso grinsend wie sie.

Den übrigen Tag verbrachten sie damit, sich um ihre Pokemon zu kümmern und das herrliche Wetter zu genießen.

Während Drew seine Strategie weiter ausfeilte, verbrachte Maike besonders viel Zeit mit Lohgock. Überwiegend genossen sie dabei das schöne Wetter. Das Feuerpokemon brauchte eindeutig Urlaub - und seine Trainerin ebenso.

In der folgenden Nacht blieb Drew wieder recht lange wach, gespannt, ob seine Rivalin sich dieses Mal melden würde.

Und tatsächlich klopfte es irgendwann ein paar Mal zaghaft an die Tür zu seiner Kabine.

Als er diese öffnete stand Maike vor ihm, mit geröteten Wangen und ihre Decke um sich geschlungen. Sie sah irgendwie total süß aus mit ihren zerzausten Haaren und Drew kam um ein leichtes Lächeln nicht umhin.

„Komm rein“, sagte er und machte ihr Platz.

Das war im Übrigen gar nicht so einfach, da die Schlafkabinen wirklich nur für einen einzelnen Menschen ausgelegt waren und man alleine gerade so stehen konnte. Eigentlich bestanden sie nur aus einem schmalen Bett und einem Gang, der als solcher kaum zu bezeichnen war.

Irgendwie schaffte sie es an ihm vorbei und setzte sich auf die Kante seines Bettes.

„Tut mir Leid“, murmelte sie in ihre Decke.

„Ach was, muss es nicht.“

Er nahm neben ihr Platz und lehnte sich an die Wand zu seiner Seite. Auf ihn hatten die Bewegungen des Schiffes einen enorm beruhigenden Effekt und er wünschte sich in diesem Moment, dass er Maike etwas von seiner Ruhe und Entspannung abgeben könnte.

Andererseits gab sie ihm offensichtlich etwas von ihrer Unruhe ab. Er war plötzlich viel munterer als noch ein paar Minuten zuvor. Oder lag es einfach nur daran, dass sie so nah neben ihm saß - in seiner Schlafkabine, auf seinem Bett?

Unauffällig warf er ihr einen kurzen Blick von der Seite zu. Sie hatte leicht gerötete Wangen, ihre Augen betrachteten mit großem Interesse den Boden zu ihren Füßen und eine ihrer Schultern schaute aus dem Gewirr an Decke hervor, welches sie um sich gewickelt hatte.

„Kann ich hier bleiben?“, fragte sie, so leise, dass Drew daran zweifelte ob er sie richtig verstanden hatte.

„Du willst hier schlafen?“, ging er auf Nummer sicher und sie nickte kurz.

„Klar, kein Problem.“

„Danke“, sagte sie und errötete noch mehr.

Sie hatte in ihrer Kabine eine halbe Ewigkeit mit sich gehadert, ob sie wirklich zu ihm gehen und ihn das fragen sollte. Tausend Mal war sie das Gespräch in ihrem Kopf durchgegangen, und jedes einzelne Mal war ihr diese Frage schon in Gedanken total peinlich gewesen.

Sie nahm ihren Mut zusammen und blickte kurz zu ihm auf.

Ganz sicher war sich Maike im schwachen Licht der Lampe nicht, doch sie meinte, auch etwas Röte auf Drews Wangen zu entdecken.

Als er ihren Blick bemerkte lächelte er unsicher.

„Ich weiß, hier ist nicht viel Platz. Aber du kannst es dir ruhig so bequem wie möglich machen. Ich hoffe es stört dich nicht, dass ich hier sitzen bleibe und...“

„Ach Quatsch!“, unterbrach sie ihn hastig. „Das stört mich nicht! Wo sollst du auch sonst hin? Ich bin dir ehrlich dankbar. Und es tut mir Leid.“

Sie seufzte und er schüttelte den Kopf.

„Ich habe dich doch darum gebeten. Dir muss nichts Leid tun.“

Nun wirkte er nicht mehr unsicher, und sein Lächeln strahlte so viel Wärme aus, dass Maikes Herz sich prompt zu beruhigen begann.

Wenn auch nicht, ohne dass es vorher noch mal einen ordentlichen Sprung gemacht hätte.

„Versuch, ein bisschen zu schlafen“, fügte er hinzu. „Ich passe auf dich auf.“

Maike lächelte dankbar, und so plötzlich, wie die Angst von ihr abfiel, so plötzlich übermannte sie auch die Müdigkeit. Die vergangene schlaflose Nacht hatte sie wohl doch ein wenig mehr mitgenommen als sie sich hatte eingestehen wollen.

Müde kauerte sie sich zusammen, und nachdem sie noch einen Moment gezögert hatte legte sie schließlich ihren Kopf auf sein Bein.

Einige Sekunden klopfte ihr Herz wieder wie wild, doch es beruhigte sich bald und mit einem tiefen, zufriedenen Seufzer schloss sie die Augen.

Sie merkte kaum, wie sie immer weiter in den Schlaf glitt.

„Ich werde nie wieder zulassen, dass dir etwas passiert“, hörte sie noch Drews leise Stimme, nicht wissend, ob es real war oder ob sie schon träumte.

Doch das war egal. Glücklich über diese Worte, selbst wenn sie vielleicht nur erträumt waren, entglitt sie endgültig in den Schlaf.

Auf dem Schiff

Es war das Licht, das Maike am nächsten Morgen weckte. Durch das Bullauge in der Schlafkabine drang zwar nur wenig Tageslicht, dennoch reichte es aus, um ihre innere Uhr in Gang zu bringen.

Die Koordinatorin seufzte, zutiefst zufrieden mit sich und der Welt. Sie fühlte sich wahnsinnig erholt und war sich ziemlich sicher, dass sie seit Ewigkeiten nicht mehr so gut geschlafen hatte. Es war beinahe schon zu schön, um wahr zu sein, und noch weigerte sie sich, ihre Augen zu öffnen. Stattdessen wollte sie sich strecken, um ihre müden Gliedmaßen in Schwung zu bringen.

Mitten in der Bewegung hielt sie inne, als ihr wieder einfiel, wo sie sich befand. Nicht in ihrer eigenen Schlafkabine und nicht in ihrem eigenen Bett. Und sie lag auch nicht auf ihrem eigenen Kopfkissen - geschweige denn überhaupt auf einem Kissen.

Schlagartig war sie mehr als bereit, ihre Augen zu öffnen. Ganz langsam, fast wie in Zeitlupe, richtete sie sich auf und wandte den Kopf so weit, bis sie ihren Rivalen ansah.

Drew schien noch zu schlafen, und so wie er dort saß war es für ihn eine überaus unbequeme Nacht gewesen.

Plötzlich öffnete er ein Auge einen Spalt breit und erwiderte ihren Blick.

„Guten Morgen“, sagte er und Maike war endgültig hellwach.

Hastig setzte sie sich gerade und brachte mit hochrotem Kopf ebenfalls ein „Guten Morgen“ zustande.

„Hast du gut geschlafen?“, wollte der Grünhaarige, der sie nun mit beiden Augen betrachtete, wissen.

Maike nickte. „Ja, wie ein Stein. Aber deine Nacht war bestimmt weniger angenehm. Tut mir Leid.“

Drew schüttelte den Kopf und streckte sich.

„Nein nein, war alles bestens.“

Wieder einmal konnte Maike bloß bewundern, wie entspannt er mit Situationen umging, welche ihr selbst sofort einen knallroten Kopf bescherten.

„Ich bin froh, dass du heute Nacht schlafen konntest“, fügte er noch beiläufig hinzu und stand auf. Mit den Händen fuhr er kurz durch sein zerzaustes Haar und richtete es dadurch halbwegs.

Voller Bewunderung beobachtete Maike ihn und kam nicht umhin, ihn ein wenig darum zu beneiden. Bei ihren Haaren wäre das nicht so leicht.

„Oh Gott“, entfuhr es ihr leise, als sie erschrocken feststellte, dass sie aktuell mit Sicherheit große Ähnlichkeit mit einem aufgeplatzten Sofakissen hatte.

Hastig zupfte sie an ihren Haaren umher und stand auf, um schnellstmöglich in ihre eigene Kabine zu gehen.

„Hey, immer sachte!“

Drew hob in beschwichtigender Geste die Hände, doch sein amüsierter Gesichtsausdruck sprach für sich. In ihrer Eile hatte seine Rivalin ihn ganz schön angerempelt - nur um dann festzustellen, dass sie so nicht an ihm vorbei kam.

„Was ist denn los?“

„Mann, Drew, lass mich einfach durch“, schimpfte Maike und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. „So muss mich eigentlich niemand zu Gesicht bekommen.“

Drew musste sich ein Grinsen verkneifen. Er hatte irgendwie mehr Selbstbewusstsein von ihr erwartet - und er für seinen Teil fand sie auch mit zerzausten Haaren hinreißend. Natürlich würde er ihr das aber niemals so sagen.

Er beschloss, ihre Geduld noch ein bisschen auf die Probe zu stellen, und machte sich noch ein wenig breiter. Neugierig beugte er sich etwas herab, bis er mit ihrem Gesicht auf einer Höhe war, und sah ihr dann in die Augen.

Mit grimmiger Miene und geröteten Wangen wandte sie den Blick ab. Ihr war natürlich mehr als bewusst, dass er das mit Absicht tat, und das trieb sie zur Weißglut.

Sein Blick schien auf einen Punkt über ihren Augen zu fallen.

„Oh mein Gott“, stieß er aus, „was ist denn das?!“

Maike schnappte nach Luft und versuchte, mit ihren Händen ihr Gesicht zu verdecken. Was hatte sie da? Hatte sie etwa über Nacht einen riesigen Pickel bekommen? Der Horror!

Mit vollem Körpereinsatz schaffte sie es, sich an ihm vorbei zu drängen.

Drew lachte. „Das war nur ein Witz! Tut mir Leid!“

Ohne weiter darüber nachzudenken legte er seine Arme um sie und hielt sie so davon ab, zur Tür zu gelangen.

„Da ist gar nichts. Keine Ahnung worum du dir Sorgen machst, du siehst genau so gut aus wie sonst auch.“

Doch Maike hörte davon schon nichts mehr und nun wurde auch Drew schlagartig bewusst, dass sie komplett in ihrer Bewegung eingefroren war.

Er stieß einen leisen Fluch aus und ließ sie sofort los.

Einen Sekundenbruchteil dauerte es noch, dann hatte Maike sich wieder gefangen und stürmte aus der Kabine.

Verzweifelt raufte Drew sich die Haare. Er hätte vorher darüber nachdenken müssen! Wie konnte er bloß so ein riesiger Idiot sein?

Dabei war alles so wunderbar gelaufen. Selbst als er sie geärgert hatte war alles noch im Rahmen gewesen. Und dann musste er sie ja unbedingt festhalten.

Er erinnerte sich daran, wie sie ihm von ihrer Hilflosigkeit erzählt hatte. Von ihrer Angst, als sie sich nicht hatte wehren können.

„Ich bin so, so, so ein Vollidiot!“, murmelte er an sich selbst gerichtet.

Das musste er dringend wieder gerade biegen.
 

Maike hatte die Tür hinter sich abgeschlossen, sich mit den Rücken daran gelehnt und sank nun erschöpft daran herab. Die Erholung, die sie vor ein paar Minuten noch verspürt hatte, war damit wohl hinfällig.

Noch immer schlug das Herz ihr bis zum Hals.

Gleichzeitig fing sie aber auch schon an, sich fürchterliche Vorwürfe zu machen.

„Ich hab total überreagiert“, stellte sie tonlos fest.

Es war doch nur Drew gewesen.

Nur Drew!

Immerhin gehörte er zu den Personen, denen sie am meisten vertraute.

Außerdem war es ihm sofort aufgefallen und er hatte sie los gelassen. Sie konnte doch nicht von ihm erwarten, dass er permanent auf der Hut war in ihrer Gegenwart nichts „Falsches“ zu machen.

Davon mal ganz ab... wünschte sie sich doch Nähe zu ihm.

Sie seufzte und rappelte sich auf. Vor ihrem kleinen Spiegel betrachtete sie aufmerksam ihre Stirn. Alles in Ordnung.

„Was für ein schlechter Witz, Drew“, murmelte sie und ließ sich auf ihr Bett fallen.

Luxio sprang zu ihr aufs Bett und sah seine Trainerin fragend an.

Mit einem verzweifelten Lächeln streichelte Maike ihm über den Kopf.

„Alles gut. Ich habe nur Mist gebaut. Aber das wird schon wieder.“

Ob es sie nun verstand oder nicht, es machte auf alle Fälle einen beruhigten Eindruck und schmiegte sich an sie.

Gedanklich ging Maike die Situation noch einmal durch und kam zu dem Schluss, dass es einfach eine unglückliche Verkettung von Umständen gewesen war. Zum Einen hatte sie eh schon „fliehen“ wollen, ein Bedürfnis, welches sie in Drews Nähe sonst ganz und gar nicht empfand. Zum Anderen hatte sie überhaupt nicht damit gerechnet, dass er sie plötzlich festhalten würde, und war davon vollkommen überrumpelt gewesen. Und ohne dass sie es hätte kontrollieren können war sie in Gedanken wieder bei den Bewahrern gewesen.

Was sie nicht wissen konnte war, dass er sich gerade genau so den Kopf darüber zerbrach wie er auf sie zugehen sollte wie sie es andersherum tat.

„Mist“, fluchte sie und stand auf, Luxio auf dem Arm. Es nützte nichts.

Nachdem sie das Elektropokemon abgesetzt hatte, schlüpfte sie in ihre Klamotten und machte sich fertig. Danach ging sie zum Frühstück. Wie erwartet war Drew schon da und als er sie bemerkte, warf er ihr einen verunsicherten Blick zu.

Maike war überrascht, wie sehr dieser Blick sie traf. Der Drew, den sie kannte, war selten verunsichert. Er strotzte nur vor Selbstbewusstsein und wusste auch mit den schwierigsten und unangenehmsten Situationen souverän umzugehen.

Der Drew jetzt war dagegen ein Anderer.

Aber wie konnte sie ihm das schon verübeln?

Sie schluckte ihre eigene Unsicherheit herunter und setzte sich mit ihrem Frühstück zu ihm an den Tisch.

Noch ein paar Sekunden herrschte unangenehmes Schweigen, dann gab Drew sich einen Ruck.

„Es tut mir Leid“, sagte er frei heraus und sah sie direkt an. In seinem Blick lag zwar immer noch Unsicherheit, doch gleichzeitig auch Entschlossenheit.

Maike schüttelte hastig den Kopf.

„Nein, mir tut es Leid! Du hast nichts falsch gemacht.“

Drew lachte kurz auf. Es klang beinahe verbittert.

„Natürlich habe ich das“, widersprach er. „Aber es wird nicht noch mal passieren.“

Maikes Blick sank auf ihr Essen. Was würde nicht noch einmal passieren? Dass er sie fest hielt?

Bei Arceus, dabei wollte sie doch nichts mehr, als bei ihm sein, von ihm berührt werden, und ja, auch von ihm fest gehalten werden!

Sie spürte, wie sie bei diesen Gedanken leicht errötete und sah wieder zu ihm auf.

„Ich will nicht, dass du dich deshalb von mir entfernst“, erwiderte sie und war selbst überrascht, wie fest und sicher ihre Stimme klang.

Drews Anspannung schien sich zu lösen und ein warmes Lächeln ersetzte den ernsten Ausdruck von vorher.

„Das werde ich nicht“, beruhigte er sie. „Ich werde bloß etwas vorsichtiger sein.“

Sie setzte dazu an zu widersprechen, doch er ließ es nicht zu.

„Nein, sag jetzt nicht, dass ich das nicht muss. Bitte. Wenn es hilft, wenn ich nur ein bisschen vorsichtiger bin, dann ist das wichtig für mich.“

Sie seufzte und lächelte ihn schließlich dankbar an. Ihr war klar, dass seine Rücksichtnahme keine Selbstverständlichkeit war und dass sie wahrscheinlich aktuell mehr anstrengend war als alles andere.

„Na gut“, gab sie klein bei, „aber nur, wenn wir das Thema jetzt abhaken. Und wenn du dir deine schlechten Witze am Morgen sparst.“

„Abgemacht. Aber heißt das, dass ich dich die kommenden Tage immer direkt nach dem Aufwachen sehen darf?“

Er grinste sie verschmitzt an und sofort errötete sie wieder.

„Also, wenn... wenn es dir keine gar zu großen Umstände macht...“

„Definitiv nicht“, antwortete er ein kleines bisschen zu schnell und sie lächelte verlegen.

„Okay. Danke.“

Drew räusperte sich und wechselte das Thema.

„Also, wie vertreiben wir uns heute die Zeit?“, fragte er sie und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.

Nachdenklich biss sie in ihr Brot. Es gab wirklich nicht viel zu tun auf diesem Schiff, aber drei Tage würden sie noch unterwegs sein.

„Machen wir heute nicht einen Zwischenstopp auf dieser einen Insel?“, überlegte sie. „Wie hieß sie noch?“

„Caldena“, antwortete Drew auf ihre Frage und nickte. „Stimmt, das hätte ich beinahe vergessen.“

„Dann lass uns dort die Insel anschauen. Drei Stunden haben wir, oder?“

Drew nickte erneut. „Richtig, wir warten dort auf Passagiere eines anderen Schiffes. Gut, das klingt nicht verkehrt.“

Er hatte gelesen, dass Caldena zwar nur ein paar hundert Einwohner hatte, dafür waren die Flora und Fauna einzigartig. Die Pokémon dort unterschieden sich von ihren Verwandten auf dem Festland zwar nicht auf so extreme Weise wie beispielsweise die Alola-Formen, doch wiesen sie oft ganz einzigartige Farben auf, waren deutlich größer oder kleiner, oder hatten sonst bestimmte besondere Eigenschaften wie spezielle Attacken oder Fähigkeiten. Dafür war die Zahl der Arten natürlich auch begrenzt.

Auch die Landschaft konnte sich sehen lassen.

Von zerklüfteten Steilküsten auf einer Seite der Insel, über dichte Wälder und verzweigte Höhlensysteme bis hin zu weiten Stränden auf der anderen Seite.

Nicht zuletzt waren da die Mythen und Geschichten der Einwohner. Derartige Dinge weckten stets Drews Interesse.

Drei Stunden waren bei Weitem zu wenig, aber ein paar interessante Orte würden sie bestimmt abklappern können.

Nach dem Frühstück dauerte es nicht mehr lange, bis das Schiff im kleinen Hafen von Caldena anlegte.

Es gab nur zwei weitere große Anlegestellen, dafür eine unzählige Menge an kleinen Fischerbooten. Man musste sich nicht erst belesen um zu erkennen, womit sich die Einwohner hier überwiegend ihren Lebensunterhalt verdienten.

Die Menschen am Hafen waren alle überaus freundlich und fröhlich. Wahrscheinlich trug der aufblühende Tourismus den größten Teil dazu bei, dass die Stadt auf der Insel wuchs und die Einwohnerzahl stetig zunahm.

Nichts desto trotz war es eine kleine, beinahe schon niedliche Stadt. Es gab lediglich eine Handvoll Cafés und Restaurants und zwei Souvenir-Läden.

Mit vor Begeisterung funkelnden Augen lief Maike durch die kleinen verwinkelten Gassen und bewunderte die bunten Gebäude und Menschen.

Drew seinerseits konnte es nicht verhindern, dass sein Blick immer wieder auf sie fiel.

Sie wirkte so sorglos und glücklich hier. Als wäre sie nicht erst vor kurzem völlig aufgelöst aus seiner Schlafkabine geflüchtet.

„Wow!“, stieß sie voller Bewunderung aus, als sie am höchsten Punkt der Stadt angekommen waren. Von hier aus hatte man einen großartigen Blick über einen weiten Teil der Landschaft.

„Sieh dir den riesigen, dichten Urwald an, Drew! Und dort hinten, was ist das?“

Sie deutete auf eine Felswand, an der man aus der Ferne undeutlich ein paar Formen und einen Eingang zu einer Höhle entdecken konnte.

„Ich denke, das ist die Höhle, um die sich hier auf der Insel viele Mythen ranken. Nach dem, was ich gelesen habe, wurde dort früher das Pokémon Bronzong verehrt.“

„Bronzong?“, fragte Maike verblüfft. „Warum wurde es denn verehrt?“

„Laut Legenden war diese Insel anfangs ein trister, karger Ort, an dem kaum etwas wuchs. Als die Ureinwohner dieser Insel schließlich Bronzong begegneten, sorgte es für Regen und reiche Ernten und durch sein Wirken entstand erst der Urwald, den wir hier sehen.“

„Wahnsinn, woher weißt du das alles?“

Drew zuckte mit den Schultern. „Ich habe mich halt belesen, als ich gehört habe, dass wir hier einen Zwischenstopp machen. Könnte dir manchmal auch nicht schaden.“

Maike schnaubte genervt.

Plötzlich zuckten beide Koordinatoren mitsamt ihrer Pokémon erschrocken zusammen, als hinter ihnen eine Stimme erklang.

„Auch heute noch wird Bronzong hier verehrt“, sprach eine alte, buckelige Frau mit unzähligen Falten in ihrem wettergegerbten aber freundlichen Gesicht.

„Die Höhle ist frei zugänglich und wird von Reisenden gern besucht. Sie ist nur eine halbe Stunde entfernt, wenn ihr den direkten Weg durch den Wald nehmt.“

Dann trat ein Glitzern in die Augen der Alten und sie öffnete eine kleine Kiste mit vielen verschiedenen Schmuckstücken und Anhängern aus Steinen.

„Und wenn das junge Paar möchte, dann kann es für eine kleine Spende einen Glücksbringer erwerben. Hergestellt aus Steinen, die aus dieser Höhle selbst kommen! Ich habe die Glücksbringer in Form von Anhängern, Armbändern, Ketten und Ohrringen im Angebot. Nur 7 Pokedollar für die Ohrringe, je 10 Pokedollar für den Rest!“

Sie hielt den Beiden ihre Kiste förmlich unter die Nase und sah sie erwartungsvoll an.

„Wir sind kein...“, begann Maike überrumpelt, wurde aber sogleich von Drew unterbrochen.

„Einen Anhänger, bitte.“

Die Alte lächelte zufrieden und zeigte Drew ein paar, aus denen er sich einen aussuchte.

„Gute Wahl“, meinte sie grinsend. „Das macht 10 Pokedollar, bitte.“

Der Koordinator bezahlte und nahm den Anhänger entgegen.

„Dann wünsche ich euch viel Spaß“, sprach die Alte. „Und haltet euch an die gekennzeichneten Wege, wenn ihr die Höhle betretet. Sonst könnte es gefährlich werden.“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging mit kleinen schnellen Schritten davon.

Maike sah Drew mit hochgezogener Augenbraue an. „Du lässt dir aber auch alles aufschwatzen, oder?“

Er lächelte und reichte ihr den Anhänger.

„Der ist übrigens für dich, du undankbares Ding.“

Etwas überrumpelt sah sie ihn an und griff danach.

„Was? Aber warum?“

„Ich dachte, dass etwas Glück wohl nicht schaden kann“, meinte er. „Außerdem passt er zu deinen Augen.“

Sie errötete und betrachtete den Anhänger. Er war aus einem funkelnden, blauen Stein und hatte in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrer Augenfarbe.

„Danke, Drew!“

Das Lächeln, das sie ihm schenkte, ließ sein Herz für einen Moment schneller schlagen.

„Nicht der Rede wert. Also, was meinst du? Wollen wir uns die Höhle ansehen?“

Maike nickte begeistert und auch ihr Luxio schien ganz aufgeregt.

„Unbedingt! Wenn es nur eine halbe Stunde dauert haben wir noch mehr als genug Zeit!“

Also machten sich die beiden Koordinatoren auf den Weg, der eigentlich mehr eine Art Trampelpfad durch den dichten Urwald darstellte.

Dann und wann sahen sie verschiedene Pokémon durch den Wald huschen, ansonsten passierte jedoch nichts weiter Spannendes, sodass sie einfach die Eindrücke ihrer Umgebung genießen konnten. Das Rauschen der Blätter im Wind, der Gesang von Plaudagei und das stetige vor sich hin Plätschern eines kleinen Baches. Auch Luxio und Roserade, die ihre Trainer außerhalb ihrer Pokebälle begleiteten, genossen in einvernehmlicher Stille den Spaziergang.

Schließlich erreichten sie die Felswand und den Eingang zur Höhle. Nun war es unschwer zu erkennen, was die Gebilde im Stein darstellen sollten. Vor vielen vielen Jahren hatte dort jemand die Form von Bronzong eingemeißelt.

Ehrfürchtig sah Maike daran hinauf und fragte sich, wie die Menschen damals es wohl geschafft hatten, etwas so formgenau und riesig in eine Felswand zu hauen.

„Wahnsinn“, murmelte sie, doch als sie realisierte dass Drew schon auf dem Weg in die Höhle war folgte sie ihm mit schnellen Schritten.

„Absol“, sprach Drew und rief das Unlicht-Pokémon aus seinem Ball. „Setz Blitz ein!“

Die Höhle wurde zwar spärlich durch Fackeln beleuchtet, doch nachdem Absol Blitz eingesetzt hatte konnte man viel besser sehen.

„Hast du das Schild am Eingang gesehen?“, fragte Maike ihren Rivalen. „Da stand, dass man sich wirklich an die gekennzeichneten beleuchteten Wege halten soll, weil man sonst Gefahr läuft sich zu verlaufen oder zu verletzen.“

Drew nickte. „Ja, habe ich gelesen. Ich hatte vor mich daran zu halten.“ Dann warf er ihr einen skeptischen Blick zu. „Du etwa nicht?“

„Was? Natürlich!“ Sie lachte. „Ich bin jetzt nicht so versessen darauf, mich hier zu verlaufen.“

Sie folgten dem Weg und konnten verschiedenste alte Malereien an den Höhlenwänden bewundern. Zusätzlich war die Höhle übersät mit blauen Kristallen und Steinen, die im Licht wunderschön funkelten.

Maike griff nach ihrem neuen Anhänger. Er musste aus einem dieser Steine gemacht worden sein.

„Sieh mal“, sagte Drew und sie ging neugierig zu ihm herüber. Er deutete auf ein Bild an der Wand.

„Ah, das sieht so aus, als würde Bronzong dort für den Regen sorgen“, sagte Maike und betrachtete es genauer. Die stilisiert abgebildeten Menschen schienen sich vor dem Pokémon zu verbeugen und es zu verehren, ganz so, wie Drew und die alte Frau es erzählt hatten. Das Bronzong selbst wirkte dabei übertrieben groß.

„Warum ist es so riesig?“, fragte sie, doch Drew zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß nicht. Vielleicht eine Form von Inselgigantismus.“

Eigentlich hätte Maike ihn gerne gefragt was genau das war, doch sie wollte nicht allzu unwissend wirken. Deshalb nickte sie bedächtig und beschloss, stattdessen später das Internet danach zu befragen.

Plötzlich merkte sie, wie etwas an ihrer Gürteltasche zerrte. Noch bevor sie wirklich darauf reagieren konnte, wurde die Tasche mit einem starken Ruck, der den Gürtelverschluss öffnete, von ihr weggezogen.

„Hey!“, rief sie und wirbelte herum. Sie konnte gerade noch so erkennen, wie der Schatten eines Pokémon mitsamt der Tasche davon huschte.

Sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken - in der Tasche waren ihre Pokebälle!

Also rannte sie dem Pokémon nach und achtete nicht auf die Rufe von Drew und Luxio hinter ihr.

Der kleine Dieb war schnell und Maike hatte Schwierigkeiten, ihn nicht aus den Augen zu verlieren.

Zu allem Überfluss hatte sie sich bereits so weit von Drews Absol entfernt, dass sein Blitz hier nichts mehr erhellte, und auch keine Fackeln hingen hier mehr an den Wänden. Als sie um die nächste Ecke bog, schlug ihr absolute Dunkelheit entgegen. Es war, als wäre sie plötzlich im vollkommenen Nichts gelandet.

Erschrocken stolperte sie vorwärts und suchte mit ihren Händen nach irgendetwas, woran sie sich festhalten konnte. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse - von irgendwo her musste noch ansatzweise Licht kommen, sonst hätte sie die eigene Hand vor Augen nicht mehr sehen können.

Ihr wurde klar, dass sie zurück musste. So würde sie niemals an ihre Gürteltasche kommen - stattdessen würde sie sich höchstens verlaufen.

Sobald sie zurück bei Drew war, musste sie sich etwas überlegen.

Sie war gerade dabei sich umzudrehen, als sie spürte, wie der Boden unter ihren Füßen begann nachzugeben.

Noch ehe sie die Chance hatte auch nur zu versuchen, sich in Sicherheit zu bringen, stürzte sie schon hinab.

Zwischenstopp mit Hindernissen

Stöhnend fasste Maike sich an den Kopf und rappelte sich langsam auf.

Sie blinzelte ein paar Mal, rieb sich den Staub aus den Augen, dann sah sie sich um. Erst zeichneten sich nur schemenhafte Umrisse vor ihren Augen ab, doch schließlich wurde das Bild immer klarer.

Sie war nicht allein. Eine große Menge Wuffels hatte sich in diesem Teil der Höhle versammelt.

Das war erst einmal kein großer Grund zur Sorge.

Ganz anders sah das bei dem Wolwerock aus, das sich ihr mit glühend roten Augen bedrohlich näherte.

Ein tiefes Knurren verließ seine Kehle und jagte Maike einen Schauer über den Rücken.

So weit es möglich war, wich sie vor dem Gesteins-Pokémon zurück. Mit dem Rücken an der Wand und angehaltenem Atem sah sie ihm in die Augen.

Was sollte sie tun?

Sie konnte nicht fliehen. Wohin auch? Der einzige Weg, den sie vor sich erkennen konnte, wurde von dem Wolwerock und den Wuffels versperrt. Das Loch, durch das sie gestürzt war, war viel zu hoch über ihr.

Sie nahm wahr, wie sich die Muskeln des Wolwerock anspannten. Und schon setzte es zum Angriff an.

Schützend hob sie die Hände vor ihr Gesicht und kniff die Augen zusammen.

Doch nichts traf sie. Kein plötzlicher Schmerz durchfuhr sie. Nichts.

Stattdessen hörte sie ein entsetztes Aufjaulen und das Bellen und Knurren vieler Wuffels.

Irritiert öffnete sie die Augen wieder und hätte beinahe vor Freude laut geschrien.

Luxio war ihr zur Hilfe geeilt und hatte das Wolwerock angegriffen.

Maikes Freude wich alsbald wieder der Angst. Luxio konnte es niemals alleine mit all diesen Pokémon aufnehmen!

Ganz zu schweigen davon, dass es als Elektro-Pokemon ziemlich im Nachteil war.

Plötzlich begann Luxio zu leuchten und seine Form veränderte sich ganz allmählich.

Es entwickelte sich!

Auch nach all den Jahren als Trainerin und Koordinatorin fand Maike die Entwicklung von Pokemon schlicht und ergreifend faszinierend. Wunderschön. Magisch.

Majestätisch baute sich ihr Luxtra vor den Wuffels und dem Wolwerock auf, kaum dass seine Entwicklung abgeschlossen war. Es mochte noch immer im Nachteil sein, doch es ließ keinen Zweifel daran, dass es sich darum nicht im Geringsten scherte.

An der Stelle, an welcher sie herab gestürzt war, fielen einige weitere Steine herunter, dicht gefolgt von einer Menge Staub und schließlich Drew, Roserade und Absol.

Ihr Rivale kam wesentlich eleganter auf dem Boden auf als sie selbst. Seine grünen Augen verschafften sich hastig einen Überblick über die Situation, bis sie auf Maike fielen. Dank Absols Blitz war dieser Abschnitt der Höhle nun hell erleuchtet und Maike, noch an die Dunkelheit gewöhnt, nahm Drew nur durch halb zusammen gekniffene Augen wahr. Weder hatte sie die Sorge gesehen, die ihm anfangs ins Gesicht geschrieben stand, noch die pure Erleichterung als er sie wohlbehalten erblickte.

„Absol, Roserade, helft Luxtra, und seht zu, dass ihr die Gürteltasche zurück bekommt!“

Er hatte es also bemerkt. Sie war sich nicht sicher gewesen.

Hastig schritt er auf sie zu und kniete sich vor sie, um sie dann eingehend zu betrachten.

„Bist du okay?“, fragte er, während er ihren Kopf ein wenig hin und her drehte, auf der Suche nach etwaigen Verletzungen.

Sie errötete, doch sie ließ es sich gefallen.

„Ja, alles in Ordnung“, antwortete sie. Nun, bis auf ihren dröhnenden Kopf, doch bei ihrer Bruchlandung war das ja auch kein Wunder.

Er begutachtete sie noch weiter, bis Maike irgendwann doch ungeduldig seine Hände weg wischte.

„Ich bin okay, ehrlich! Du kannst es mir auch einfach sagen, wenn du mich antatschen willst.“

„Bitte?!“, rief Drew entrüstet aus und wurde nun seinerseits rot. Doch er wich auch ein Stück zurück. Sofort schossen ihm wieder tausend Gedanken durch den Kopf. Er hatte gar nicht darüber nachgedacht, hatte sich bloß Sorgen gemacht, schließlich war sie ja hier runter gestürzt, doch er hätte vorher bedenken sollen, dass er ihr damit vielleicht wieder zu nahe trat und sie damit verschreckte und am Ende bloß wieder dafür sorgte, dass...

„Entspann dich“, meinte Maike lachend und riss ihn aus seinen Gedanken, ehe er sich komplett darin verrannte. „War bloß ein Witz.“

Perplex starrte er sie an. Hatte sie sich etwa doch den Kopf gestoßen?

Aber er wollte sich nicht beschweren, wenn sie plötzlich alles wieder gelassener nahm. Und um großartig darüber nachzugrübeln blieb im Moment sowieso keine Zeit.

Die beiden Koordinatoren lenkten ihre Aufmerksamkeit schnell wieder auf ihre Pokemon.

Die meisten Wuffels waren durch irgendwelche Gänge geflüchtet, doch jenes mit der Gürteltasche im Maul war von Luxtra in eine Ecke gedrängt worden. Derweil kämpften Roserade und Absol gegen Wolwerock, doch das Gesteins-Pokemon schien nahezu besiegt.

Maike rappelte sich auf, klopfte den Staub grob von ihrer Kleidung und eilte an den drei kämpfenden Pokemon vorbei zu ihrem Luxtra. Drew folgte ihr auf den Fersen.

„Du bist also der kleine Dieb“, stellte sie überflüssigerweise fest. Das Wuffels knurrte und bellte.

Maike legte den Kopf leicht schief. Wie konnte etwas dermaßen Niedliches so viel Ärger machen?

Luxtra zeigte sich gänzlich unbeeindruckt von dem Wuffels. Es sorgte bloß dafür, dass es nicht abhauen konnte, und wehrte gelegentlich eine Attacke des kleinen Gesteins-Pokemon ab.

„Okay, das reicht jetzt“, meinte Maike entschieden und schritt an Luxtra vorbei auf das Wuffels zu.

„Her mit meiner Tasche!“

Doch das Wuffels dachte gar nicht daran, klein bei zu geben. Es sträubte sein Fell, knurrte und schnappte nach ihrer Hand, als sie nach der Tasche greifen wollte.

Luxtra knurrte bedrohlich, doch Maike legte ihm beschwichtigend eine Hand an die Schulter.

„Schon okay.“

Hinter den Koordinatoren ging das Wolwerock kampfunfähig zu Boden, wie Maike mit einem schnellen Blick über die Schulter feststellte. Das war gut, so konnte sie sich ganz auf das Wuffels konzentrieren.

Sie ging in die Knie und sah dem wilden Pokemon fest in die Augen.

„Die Tasche bringt dir gar nichts, da ist nichts zu Essen drin“, redete sie mit sanfter aber bestimmter Stimme auf das Pokemon ein. „Ich möchte sie wirklich nur wieder haben. Sie ist mir sehr wichtig. Und wenn du brav bist und mich sie nehmen lässt, dann springt auch ein Leckerlie für dich raus.“

„Ist das dein Ernst?“, wollte Drew amüsiert wissen, doch sie ignorierte ihn geflissentlich.

Ob das Wuffels sie nun verstanden hatte oder einfach nur ihre friedlichen Absichten spürte, es ging auf alle Fälle widerwillig einen Schritt zurück und gab die Gürteltasche frei.

Maike lächelte zufrieden und griff danach.

„Na also, es geht doch.“

Aus einer Tasche ihres Kleides holte sie ein Stück Futter heraus und warf es dem Wuffels hin. Sie hatte für unterwegs immer etwas einstecken.

Das Pokémon stürzte sich gierig darauf, warf ihnen nebenbei aber trotzdem misstrauische Blicke zu.

Maikes Ärger verwandelte sich nun vollends in Mitleid. Scheinbar bekamen die Wuffels hier ziemlich wenig zum Futtern, und das Wolwerock hatte bestimmt bloß sein Rudel beschützen wollen. Sie kam zu dem Entschluss, dass sie ihnen nun, wo sie ihre Gürteltasche wieder hatte, nicht länger böse war.

„Maike, ich unterbreche das hier nur ungern, aber wir müssen los.“

Die Koordinatorin sah zu ihrem Rivalen hoch.

„Wie viel Zeit ist denn noch, bis das Schiff wieder ablegt?“, wollte sie wissen.

„Noch anderthalb Stunden. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir hier auf Anhieb wieder raus finden, deswegen sollten wir uns trotzdem beeilen.“

Maike nickte zustimmend.

„Tut mir leid, es ist meine Schuld, dass wir hier gelandet sind.“

Der Koordinator schüttelte den Kopf.

„Schon in Ordnung. Ich kann verstehen, dass du dem kleinen Dieb folgen musstest.“

Er reichte ihr lächelnd die Hand.

Sie zögerte keine Sekunde, griff danach und ließ sich von ihm hoch helfen.

Mit Hilfe ihrer Pokémon gelangen sie durch das Loch, durch welches sie gestürzt waren, wieder nach oben. Dort angekommen sahen sie sich vorerst planlos um.

„Wir sind definitiv von links gekommen“, begann Maike und blieb zögernd an einer Abzweigung stehen, „aber ab hier bin ich mir nicht mehr ganz sicher.“

Theoretisch müssten sie nur dem Schein der Fackeln folgen, doch davon war an dieser Stelle noch nichts zu entdecken.

Drew seufzte und tippte auf seinem Holo Log umher. Wie erwartet gab es hier keinerlei Empfang.

Plötzlich hörten sie das leise Geräusch von kleinen Pfoten, die über den Höhlenboden tapsten.

Maike wandte sich um und sah das Wuffels von vorher. Vorsorglich griff sie an ihre Gürteltasche.

„Vergiss es, mach das ja nicht noch mal!“, warnte sie das kleine Pokémon, welches sich gänzlich unbeeindruckt zeigte. Es lief einfach an ihnen vorbei, bog an der Abzweigung rechts ab und warf ihnen einen erwartungsvollen Blick zu.

„Wir sollen ihm wohl folgen“, bemerkte Drew. Er steckte sein Holo Log wieder weg und zögerte keine Sekunde. Leicht irritiert folgte Maike ihm.

„Und warum traust du ihm?“, wollte sie von ihrem Rivalen wissen.

Drew zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Einfach so ein Gefühl. Und ich glaube, es hat irgendwie einen Narren an dir gefressen.“

Grinsend warf er ihr einen Blick über die Schulter zu.

„Kann man ihm nicht verübeln.“

Sie errötete, stammelte ein paar undeutliche zusammenhangslose Worte vor sich hin und folgte ihnen dabei auf Schritt und Tritt.

Drews Gefühl erwies sich als richtig, es dauerte kaum mehr als fünf Minuten und sie waren wieder im Eingangsbereich der Höhle angelangt.

Maike kramte das letzte Stück Futter aus ihrer Tasche, hockte sich hin und hielt es dem Wuffels entgegen.

„Hier, nimm! Als Dankeschön für deine Hilfe.“

Leise fügte sie hinzu: „Auch wenn wir überhaupt erst deinetwegen in diese Situation geraten sind.“

Das Wuffels ließ sich nicht zweimal bitten und schnappte gierig das Leckerlie aus ihrer Hand.

„Die gute Nachricht ist, dass wir es locker rechtzeitig zurück schaffen“, begann Drew, der zum Eingang der Höhle gegangen war.

„Und was ist die Schlechte?“, wollte Maike wissen und rappelte sich auf.

Doch er musste gar nicht antworten. Ein Blick genügte, nachdem sie sich umgedreht und aus der Höhle geschaut hatte. Es regnete in Strömen.

Sie seufzte genervt. „Oh, toll. Wir werden also schon wieder nass. Dabei war vorhin weit und breit keine Wolke zu sehen.“

Das schien langsam zur Gewohnheit zu werden bei den Beiden.

Drew grinste sie bloß an und hielt ihr seine Hand hin.

„Nützt alles nichts. Da müssen wir durch. Schaffst du das?“

„Natürlich!“, entgegnete sie empört, auch wenn sie genau wusste, dass er sie nur aufziehen wollte. Als ob so ein bisschen Wasser sie stören würde!

Trotzdem griff sie nach seiner Hand.

Schnell warf sie über die Schulter noch einen Blick auf das Wuffels.

„Mach’s gut!“, rief sie. „Und beklau in Zukunft keine Touristen mehr!“

Mit großen Augen sah das Pokémon sie an und wirkte dabei unendlich traurig. Sie stockte und hielt Drew zurück, als dieser gerade los wollte.

„Warte. Sollen wir es wirklich hier zurück lassen?“

Ihr Rivale warf einen Blick auf das kleine Gesteins-Pokémon und seufzte.

„Nein, sollten wir wahrscheinlich nicht. Zumindest sieht es ganz so aus, als würde es mit wollen.“

Er ging zu dem Wuffels, kniete sich hin und machte seine Jacke ein Stück auf, damit es rein springen konnte. Er würde es tragen, so wie zuvor schon Luxio, und es so auch vor dem Regen schützen.

Luxtra protestierte lautstark, als das Wuffels tatsächlich in Drews Jacke sprang, und der Koordinator lachte.

„Sorry, Luxtra, aber du bist dafür jetzt echt zu groß.“

Nachdem er den Reißverschluss der Jacke zugemacht hatte, begaben sich die zwei Koordinatoren in den strömenden Regen und machten sich mit schnellen Schritten auf in Richtung Hafen.

Dadurch, dass sie sich des Wetters wegen ordentlich beeilten, brauchten sie nur halb so lange wie auf dem Hinweg.

„Lass uns noch mal ins Pokémon Center gehen und das Wuffels durchchecken lassen, das Schiff legt sowieso noch nicht ab“, schlug Maike vor, und Drew nickte zustimmend.

„Ja, gute Idee.“

Das Wuffels steckte seinen Kopf aus Drews Jacke und bellte freudig, als wüsste es ganz genau, dass sie über es redeten.

Im Pokemon Center angekommen warfen ihnen die Einheimischen missmutige Blicke zu.

Irritiert wandte Maike sich an Schwester Joy.

„Hallo Schwester Joy! Können Sie sich das Wuffels einmal ansehen? Wir wollen nur sicher gehen, dass es gesund ist.“

Die Krankenschwester lächelte freundlich und nahm das Wuffels entgegen, das erstaunlich schnell handzahm geworden war. Dann beugte sie sich noch mal zu Maike und Drew vor.

„Wundert euch nicht, die Einwohner sind nicht gut auf die Wuffels und Wolwerock zu sprechen. Sie sehen sie als eine Art Plage, da sie erst durch Reisende auf die Insel gebracht wurden und sich seitdem rasend schnell verbreiten.“ Sanft tätschelte sie dem Pokemon den Kopf. „Dabei sind sie so niedlich und brav und können ja gar nichts dafür.“

„Ah, sie sind also Neozoen“, stellte Drew fest und nickte nachdenklich.

Maike lachte bloß. „Naja, über das ‚brav‘ können wir uns jetzt streiten. Das Kleine hier ist ein ganz schön dreister Dieb.“

Schwester Joy brachte es schnell wieder zurück und bestätigte, dass es dem Wuffels an nichts fehlte. Nur ein bisschen zu dünn war es.

Gemeinsam mit ihren Pokemon betraten die beiden Koordinatoren kurz darauf wieder das Schiff. Das Wetter hatte sich noch nicht gebessert, im Gegenteil, es wurde eine Sturmwarnung herausgegeben und ihre Abreise würde sich auf den nächsten Morgen verschieben, da das andere Schiff den Sturm umfahren musste.

„Okay, was machen wir jetzt?“, fragte Maike gelangweilt, während sie auf dem überdachten Teil des Hauptdecks saßen und dem Regen zusahen.

„Was hältst du von einem kleinen Übungskampf?“, wollte Drew wissen.

Er brauchte keine Sekunde auf die Antwort warten.

„Fantastische Idee!“, rief Maike aus und sprang begeistert auf.

Drew lachte und erhob sich ebenfalls. Es machte ihn glücklich, sie so energiegeladen und motiviert zu sehen.

„Schön, dann wollen wir mal. Einzelkampf?“

Maike nickte, und zeitgleich schickten sie ihre Pokémon aus ihren Bällen. Drew hatte sich für Maskeregen entschieden, während Maike ihr Glaziola in den Kampf schickte.

Ehe sie sich versahen hatten sich die beiden Kämpfenden im Eifer des Gefechts mit ihren Pokémon aus dem Schutz der Überdachung begeben. Doch bei dem hitzigen Kampf, den sie sich lieferten, merkten sie den Regen kaum.

„Glaziola, setz Blizzard ein“, rief Maike Ihrem Eis-Pokémon zu.

Drew reagierte sofort. „Maskeregen, ausweichen und dann Silberhauch!“

Maskeregen schaffte es nicht, dem Blizzard zu entgehen, doch es hielt sich tapfer und griff seinerseits an.

Um die beiden Koordinatoren und ihre Pokémon hatte sich mittlerweile eine Schar schaulustiger Passagiere versammelt, die den Kampf kommentierten und ihren jeweiligen Favoriten zujubelten. Doch auch das bemerkten Drew und Maike kaum, so sehr waren sie auf den Kampf und aufeinander fixiert.

Glaziola wurde von Maskeregens Silberhauch hart getroffen, aber es war zäh und ließ sich so leicht nicht unterkriegen.

Die beiden Pokémon lieferten sich noch einige Minuten einen raschen Schlagabtausch, bis Glaziola mit seinem Eisstrahl ein letztes Mal ins Schwarze traf und Maskeregen kampfunfähig zu Boden ging.

Sofort eilte der grünhaarige Koordinator zu seinem Pokémon und kümmerte sich um dessen Blessuren. Maike gesellte sich zu ihm, nachdem sie Glaziola zurückgerufen hatte.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie und beugte sich herunter.

Drew sah sie kurz an und lächelte. „Ja, alles gut, es ist nur erschöpft. Und wahrscheinlich ein bisschen in seinem Stolz verletzt.“

Er strich dem Pokémon sanft über den Kopf und rief es schließlich zurück.

„Das war ein guter Kampf“, erklang plötzlich eine Stimme hinter den Beiden und sie wandten sich verwundert um.

Dort stand ein junger Mann mit langen grünen Haaren und blaugrauen Augen, welche zur Hälfte vom Schirm einer Mütze verdeckt wurden. Er trug recht viel Schmuck für einen Mann, doch was den Koordinatoren sofort ins Auge fiel war etwas anderes.

„Danke“, meinte Maike zögerlich, „aber sag mal, was machst du denn mit Wuffels?“

Der Mann hatte es hochgehoben und trug es umher - und Wuffels schien das ganz klasse zu finden.

„Oh, entschuldigt!“

Er lächelte freundlich und setzte das Gesteins-Pokémon ab. Währenddessen lichtete sich die kleine Menge an Schaulustigen, denn jetzt, wo der Kampf vorbei war, gab es für sie nichts Spannendes mehr zu sehen. Also sputeten sie sich, wieder ins trockene und warme Innere des Schiffes zu gelangen.

„Es hat mir so voller Begeisterung von euch erzählt. Oder eher von dir.“

Höflich streckte er Maike eine Hand entgegen.

„Ich bin N, schön, euch kennen zu lernen!“

Die Koordinatorin blinzelte ein paar mal irritiert, doch dann lächelte sie ebenfalls und reichte ihm die Hand.

„Hey, ich bin Maike!“

N half ihr hoch und blickte ihr tief in die Augen. So lange, bis es ihr schon unangenehm wurde und sie leicht errötend den Blick abwandte.

Dann nickte er und ließ ihre Hand los, um sie Drew zu reichen.

„Mein Name ist Drew“, stellte der Koordinator sich vor und bemühte sich, einen neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Innerlich fragte er sich, warum zur Hölle dieser Typ Maike zuvor so lange anstarren und ihre Hand halten musste.

„Was meintest du damit, dass Wuffels voller Begeisterung von uns erzählt hat?“, wollte Maike von N wissen.

„Du würdest es nicht verstehen - oder nicht glauben. Sagen wir einfach, dass ich ein Gespür dafür habe, was Pokémon denken.“

Er beugte sich wieder herunter und streichelte das Wuffels.

„Und der kleine Kerl hier findet dich super, weil du ihm was zu Essen gegeben hast, und die meisten anderen Menschen mag er nicht, weil sie gemein zu ihm sind.“

„Oh“, rief Maike aus, „Wahnsinn! Das weißt du? Schwester Joy sagt, dass die Wuffels und Wolwerock hier auf der Insel als Plage betrachtet werden. Ich glaube sie haben große Schwierigkeiten, genug Nahrung zu finden.“

„Wie dem auch sei“, mischte Drew sich ein, „was genau willst du denn von uns?“

Maike stieß ihm mit tadelndem Blick einen Ellenbogen in die Seite und zischte: „Hey, sei doch nicht so unhöflich!“

Abwehrend hob Drew die Hände.

„Will ich nicht sein! Aber wir sind klatschnass, deshalb wollte ich das Gespräch etwas beschleunigen.“

N lachte.

„Drew hat recht, entschuldigt. Ich wollte euch eigentlich auch gar nicht groß stören, mich hat bloß interessiert, wer diese Menschen sind, von denen mein kleiner Freund hier so begeistert ist. Wir sehen uns sicher später noch!“

Mit diesen Worten drehte er sich um und ging hinein, wobei das Wuffels ihm auf Schritt und Tritt folgte und begeistert mit dem Schwanz wedelte.

„Sieht aus, als hätte sich die Frage was wir mit Wuffels machen geklärt“, murmelte Maike und wandte sich dann wieder ihrem Rivalen zu.

„Na los, lass uns auch endlich ins Trockene gehen!“

Gut Ding will Weile haben

Nachdem sich die beiden Koordinatoren abgetrocknet und umgezogen hatten, gingen sie gemeinsam in den Speisesaal des Schiffs. Dank ihres Übungskampfes hatten sie die Zeit bis zum Abendessen gut rum bekommen.

„Sieh mal, da ist N!“, meinte Maike aufgeregt und zeigte auf den grünhaarigen jungen Mann, der alleine an einem Tisch saß. „Setzen wir uns doch zu ihm!“

„Meinetwegen“, antwortete Drew tonlos.

Er brannte jetzt nicht unbedingt darauf, mit dem Kerl zu Abend zu essen, und schon gleich gar nicht, wo Maike seinetwegen völlig aus dem Häuschen zu sein schien. Aber ein wirklich gutes Argument dagegen fiel ihm auch nicht ein. Zumindest keines, das er Maike hätte sagen können. ‚Ne du, lass mal, ich bin gerade eifersüchtig und will lieber mit dir alleine essen‘ käme wahrscheinlich nicht besonders gut an.

Vermutlich wurde es einfach Zeit, dass er die Situation mit ihr endlich klärte. Dann müsste er auch auf niemanden mehr eifersüchtig sein - vorausgesetzt natürlich, dass der Klärungsversuch auch gut lief.

Trotzdem war ihm auch bewusst, dass seine Eifersucht total übertrieben und fehl am Platze war. Er hatte keinerlei Ansprüche auf irgendetwas und Maike war ein freier Mensch. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte.

„Hey, dürfen wir uns zu dir setzen?“, wandte sich Maike an N, nachdem die beiden Koordinatoren mit ihrem Essen an seinem Tisch angelangt waren.

„Natürlich“, entgegnete er mit einem herzlichen Lächeln.

„Danke!“

Sie verbrachten einige Minuten schweigend und aßen, bis Maike sich wieder zu Wort meldete.

„Darf ich dich etwas fragen?“, wandte sie sich erneut an N.

„Klar, frag nur.“

„Wie funktioniert das? Also, dass du mit den Pokémon redest oder kommunizierst oder was auch immer.“

N grinste.

„Mit so einer Frage habe ich schon gerechnet.“

Dann wurde sein Blick wieder ernst.

„Aber ich kann es dir nicht wirklich erklären, tut mir leid. Ich war schon immer anders und konnte bereits als kleines Kind mit Pokémon sprechen. Es ist nichts, was man lernen kann, zumindest wüsste ich nicht wie.“

„Ach, schade“, meinte Maike mit einem enttäuschten Seufzer.

Im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass N die Beiden in den Nachrichten gesehen, aber erst später wiedererkannt hatte. Außerdem hatte er einst Team Plasma angehört, welches sich in seinen Anschauungen und Zielen wohl sehr mit den Bewahrern ähnelte, um nicht zu sagen glich. N jedoch hatte stets eigene Ziele verfolgt.

Außerdem hatte er Ash kennen gelernt und dank ihm realisiert, dass Pokémon ihr volles Potenzial oft erst durch die Reisen mit ihren Trainern und auch durch die damit verbundenen Kämpfe entfalten konnten. Er war zwar noch immer kein Fan dieser Kämpfe, doch er konnte einen guten, fairen Kampf als solchen anerkennen und akzeptieren, dass seine eigene Weltanschauung nicht zwingend die einzig Richtige sein musste.

Nach dem Abendessen ging Drew zurück in seine Kabine, während Maike sich weiter mit N unterhielt.

Das ließ ihn zwar nicht kalt, aber er ermahnte sich selbst dazu sich nicht gar zu viele Gedanken darüber zu machen. In den letzten Monaten war so viel geschehen, sie hatten so viel gemeinsam erlebt und durchgemacht. Hatten sich einander angenähert und wieder voneinander entfernt. Aber er war sich sicher, dass er Vertrauen in ihre merkwürdige und aktuell undefinierbare Beziehung zueinander haben musste. Und je öfter er darüber nachdachte, desto überzeugter war er davon. Zudem galt nach wie vor, dass Maike ihm in keiner Weise irgendeine Rechenschaft schuldig war.

Diese entspannte Haltung änderte sich, nachdem Maike sich den ganzen Abend über nicht meldete und auch spät Nachts nicht an seine Tür klopfte. Die ganze Nacht lag er wach, in der Erwartung, dass sie jeden Moment vorbei kommen würde, doch nichts dergleichen geschah.

Stattdessen traf er sie am nächsten Morgen am Frühstücksbüffet - zusammen mit N. Und beide sahen sie extrem übernächtigt aus.

Er mahnte sich selbst, jetzt bloß keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, und gesellte sich zu den beiden an den Tisch.

„Guten Morgen“, begrüßte er die Beiden. „Sieht aus, als hättet ihr auch sehr schlecht geschlafen.“

Maike und N warfen einander einen kurzen Blick zu und die Koordinatorin lachte.

„Kann man wohl so sagen, ja. Aber wieso hast du schlecht geschlafen?“

Drew zuckte mit den Schultern und widmete sich seinem Frühstück, und die anderen Beiden taten es ihm gleich.

Kurz nach dem Frühstück legte das Schiff schließlich wieder ab.

Auch später verbrachte Maike viel Zeit mit N und Drew musste sich eingestehen, dass er jetzt wirklich eifersüchtig war. Ja, er fühlte sich regelrecht vernachlässigt, so unsinnig es auch sein mochte.

Als er sie am Abend schließlich wiedersah wirkte sie zwar völlig erschöpft, aber auch glücklich. Und auch in N’s Gesicht stand pure Zufriedenheit geschrieben.

Nachdem das Abendessen eher wortkarg ausgefallen war, gingen die drei jeweils zu ihren Kabinen.

“Drew?”, sprach Maike ihn zaghaft an als sie vor ihren Türen angekommen waren, “darf ich noch mit zu dir?”

Er nickte und schloss seine Tür auf. Mit einem leichten Lächeln bat er sie herein. Er war froh, dass sie gefragt hatte, das machte ihm etwas Mut.

Sie setzte sich auf den Rand des Bettes und konnte sich ein herzhaftes Gähnen nicht mehr verkneifen.

“Hast du denn überhaupt nicht geschlafen letzte Nacht?”, fragte er und sah sie wachsam an.

Sie schüttelte den Kopf ohne seinen Blick zu bemerken.

“Nein, ich habe kein Auge zugetan.”

“Warum bist du dann nicht rüber gekommen?”

“Oh, weil ich bei N war.”

Ihre Antwort versetzte Drew kurz einen Stich. Doch sie hatte so sorglos und schnell geantwortet, als wäre es das Normalste von der Welt.

“Okay”, sprach er zögernd, in der Hoffnung, dass sie noch mehr dazu sagen würde.

Jetzt erst sah sie wieder zu ihm auf, da sie sein Zögern bemerkt hatte, und plötzlich wurden ihre Augen vor Erkenntnis ganz groß.

Er musste ja sonst etwas von ihr denken!

“Also, wir haben die ganze Nacht geredet”, versuchte sie sich hastig zu erklären.

“Mhm.” Drew war eher weniger überzeugt, aber er gab ihr geduldig Zeit.

“Also, ehrlich gesagt... naja. Als er erzählt hat, dass er mit Pokémon reden kann, da ist mir so eine Idee gekommen. Du weißt ja, dass es Lohgock ziemlich schlecht ging, vor allem psychisch schien es immer noch sehr angeschlagen zu sein.”

Drew nickte. Das hatten Lohgock und seine Trainerin wohl gemeinsam.

„Und ich dachte, dass N mir da vielleicht helfen kann. Damit ich besser mit Lohgock reden kann und wir das gemeinsam irgendwie aufarbeiten können oder so. Und ja, wir hatten echt eine Menge aufzuarbeiten. Deshalb war ich die ganze Nacht dort und heute auch noch ziemlich lange. Das war aber eher eine spontane Idee gestern Abend und heute morgen beim Frühstück war ich so müde und erschöpft... ich habe gar nicht kapiert, dass du ja keinerlei Ahnung hattest. Irgendwie habe ich wohl gedacht, ich hätte dir von meiner Idee erzählt, aber jetzt wo ich darüber nachdenke wüsste ich gar nicht wann. Ohje.“

Sie raufte sich die Haare und sah zu Boden. Was musste das seit gestern bloß für missverständliche Signale an Drew gesendet haben!

Sie hörte, wie Drew erleichtert seufzte. Dann kniete er sich vor sie, sodass sie ihn ansehen musste, und lächelte sie an.

„Du musst dich vor mir ja eigentlich gar nicht rechtfertigen. Aber ich bin trotzdem froh, dass ich jetzt weiß was du getrieben hast. Ich habe mir Sorgen gemacht.“

Er zögerte einen Moment, bis er mit einem verlegenen Grinsen hinzufügte: „Und vielleicht war ich auch ein kleines bisschen eifersüchtig.“

Maike errötete leicht und erwiderte das Grinsen.

Er stand wieder auf, streckte sich kurz und setzte sich dann neben sie aufs Bett.

„Und, wie geht es Lohgock jetzt?“, wollte er wissen.

Maike legte nachdenklich den Kopf schief.

„Besser, denke ich. Es ist Wahnsinn, wie N mit ihnen kommuniziert. Das ist echt eine Gabe. Dank ihm verstehe ich jetzt viel besser, wie Lohgock sich fühlt, was es beschäftigt, was ihm Sorgen bereitet. Warum es nachts nicht schlafen kann. Und ich glaube, Lohgock hat es sehr geholfen, sich mir so mitteilen zu können.“

Drew nickte verständnisvoll.

„Das ist gut“, sagte er und sie lächelte.


„Ja, das finde ich auch.“

Für ein paar Sekunden herrschte Schweigen und Drew fragte sich, was er jetzt tun sollte. Er hatte sich fest vorgenommen, endlich ihre Beziehung zueinander anzusprechen, seine Gefühle für sie. Doch jetzt, wo er die Gelegenheit hatte, fehlte ihm der Mut. 
Das konnte doch nicht wahr sein! So hatte er sich doch sonst nie angestellt!

Sein Blick fiel auf seine Hand, mit der er sich auf der Bettkante abstützte. Sie war direkt neben Maikes Hand. Sollte er sie ergreifen? Oder war das zu voreilig?

Er seufzte verzweifelt und Maike warf ihm einen fragenden Blick zu.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte sie.

Er schüttelte den Kopf. 
„Nein, das ist es nicht. Nur, weißt du, ich... weiß nicht wie ich anfangen soll.“

Sie grinste und klopfte ihm ermutigend auf die Schulter.
“Dass es dir mal die Sprache verschlagen würde hätte ich nicht gedacht“, triezte sie ihn. „Schieß einfach los.“

„Na gut“, meinte er und holte tief Luft. 
Dann sah er ihr fest in die Augen, konnte ihrem Blick aber nicht lange stand halten.

„Die Sache ist die: Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich mit dir umgehen soll - oder eher mit uns. Seit der Sache bei den Bewahrern bin ich sehr verunsichert.“

Er spürte, wie sein Gesicht heiß wurde, und blickte verlegen zu Boden. So ein Verhalten sah ihm echt nicht ähnlich, da hatte seine Rivalin absolut Recht, doch er konnte sich nicht helfen.

„Wie meinst du das?“, hakte Maike nach und er konnte ihren verwirrten Blick deutlich spüren.

Hatte sie wirklich nicht den Hauch einer Ahnung? Er konnte es sich eigentlich kaum vorstellen.

„Naja. Ich denke, du weißt, dass ich dich gern habe. Sehr gerne. Ich meine, als wir dich besucht haben in Blütenburg City, da waren wir... du erinnerst dich bestimmt...“

Sie stieß entnervt die Luft aus und unterbrach ihn ungeduldig.
“Drew, jetzt komm zur Sache! Was ist los? Glaubst du, dass ich dich nicht mehr gern habe?“

„Nein“, antwortete er sofort und rang verzweifelt nach Worten. „Nein, das glaube ich eigentlich nicht! Aber ich mag dich eben auch nicht einfach nur. Da ist mehr, und du weißt das. Da bin ich mir sicher. Wobei ich mir nicht sicher bin ist, was das zwischen uns jetzt ist oder sein soll und wie ich mit dir umgehen soll. Ich möchte dir nicht zu nahe treten, möchte dir Raum und Zeit lassen, um alles zu verarbeiten. Aber ich möchte auch für dich da sein, dir helfen, dich in den Arm nehmen. Ich...“

Er stockte und merkte einmal neu, wie er rot anlief vor Verlegenheit.
“Ich würde gerne... naja, offiziell zu dir gehören. Aber ich weiß nicht, ob du das auch willst. Verstehst du?“

Nachdem einige quälend lange Sekunden Schweigen geherrscht hatte wagte es der Grünhaarige schließlich, zu seiner Rivalin aufzublicken. Überrascht stellte er fest, dass sie Tränen in den Augen hatte, gleichzeitig aber ein leichtes Lächeln auf den Lippen.

War das ein gutes Zeichen?

„Maike?“, sprach er sie zaghaft an.

Ihre Blicke trafen sich und er spürte, dass sie Beide die Luft anhielten.

„Tut mir Leid“, brach sie schließlich das Schweigen und Drews Herz setzte einen Schlag aus.

Das klang ja fast, als würde ihn eine Abfuhr erwarten.

„Ich wollte nicht, dass du dir so sehr den Kopf zerbrichst“, sprach sie weiter und Drew atmete erleichtert auf. 
„Ehrlich. Auch wenn es mir eigentlich hätte klar sein müssen. Danke, dass du es angesprochen hast. Ich hätte mich vermutlich nie getraut. Natürlich mag ich dich auch. Sehr. Ich stehe in letzter Zeit nur so neben mir... und das Letzte was ich will ist, dir eine Last zu sein. Irgendwie habe ich gedacht, dass ich genau das bin. Deshalb bin ich gerade so froh, dass du mich trotzdem noch so gern hast.“

Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das ist Unsinn, du bist keine Last für mich, schlag dir das aus dem Kopf!“

„Ich versuche es“, meinte sie lächelnd.

„Also... ich möchte auch gern... offiziell zu dir gehören“, murmelte sie. Sie war so aufgeregt, dass sie das Gefühl hatte, tausende von Smettbos im Bauch zu haben. Ihr Herz raste und sie wagte nicht, ihn direkt anzusehen.

Wie kindisch, dachte sie bei sich. Warum war sie bloß so nervös? Er hatte doch gerade erst gesagt, dass er das auch wollte. Oder vielleicht war es auch genau das? Vielleicht machte sie die Tatsache so nervös, dass die Sache zwischen ihnen jetzt endlich ernst wurde? Ihre letzte Beziehung war immerhin schon sehr lange her. Und es würden viele neue Situationen auf sie zukommen, mit denen sie Anfangs sicherlich erst einmal überfordert wäre. Trotzdem freute sie sich auch schon unheimlich darauf und konnte es kaum erwarten, all diese Dinge mit ihm zu erleben.

Sie spürte, wie er ihre Hand in seine nahm und wagte es nun endlich, ihn wieder anzusehen.

Seine Wangen waren gerötet und ein glückliches Grinsen stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Seine Hand zitterte ein wenig und sie war froh zu spüren, dass er anscheinend ebenso nervös war wie sie. Das war ja wohl nur fair!

Maike erwiderte sein Grinsen und so saßen sie noch eine Weile in einvernehmlichem Schweigen da.
 

Während Maike in dieser Nacht selig schlief war Drew damit beschäftigt, seinen Gedanken nachzuhängen.

Der Atem seiner Rivalin ging ruhig und gleichmäßig, während ihr Kopf auf seinem Kissen ruhte, und sie sah so friedlich aus. Er wünschte sich von Herzen, dass sie von jetzt an immer so friedlich schlafen könnte.

Kaum zu glauben, dass er vor wenigen Monaten erst Aiden kennen gelernt hatte. Es war gar nicht so lange her, dass er geglaubt hatte sie an ihn verloren zu haben. Wie viel seitdem doch geschehen war.

Auf alle Fälle war das mehr als genug an Aufregung für ein Jahr. Hoffentlich würde ihnen in nächster Zeit etwas Ruhe vergönnt sein.

Zärtlich strich er ihr eine verirrte Strähne aus dem Gesicht.

Hier gehörte sie hin.

Zu ihm.

Mit diesem Gedanken fiel er schließlich auch in den Schlaf - wenn auch nicht weniger unbequem als das letzte mal, als Maike hier gewesen war. Doch das war es wert.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Puh, Leute, ich hoffe, dass ich euch hier nicht allzu starken Tobak gebe o__o ... was soll ich sagen? Ich mag's dramatisch xD Ich würde es noch nicht als Adult einstufen, da bis auf ein paar Schläge (verharmlose ich das hier grad total?) nichts WIRKLICH passiert.
Ich hoffe, ich liege mit dieser Einschätzung nicht falsch. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (115)
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Von:  PrinzessinTsukino
2020-08-31T21:28:43+00:00 31.08.2020 23:28
Awwwwww sooo mega süß und toll!
Ich hab die Story verschlungen!
Ich freue mich auf die Fortsetzung!♡
Von:  Yurippe
2020-05-03T14:04:19+00:00 03.05.2020 16:04
Awwwww, endlich! Ich finde es super, dass du nicht dem Schema verfällst, nach dem die Charaktere durch lauter Missverständnisse lauter unnötige Konflikte heraufbeschwören. (Wobei ich schon gedacht habe, hmmm, jetzt noch N, vielleicht steht Maike nur auf Grünköpfe? XDDDDD)

Etwas verwirrt hat mich, dass du zwischendurch zwischen Maikes und Drews Gedanken hin- und herspringst. Das würde ich vielleicht anders aufteilen.
Antwort von:  Auraya
03.05.2020 23:00
Haha danke dir xD dem Schema war ich jetzt ja doch eine ganze Weile treu... wurde langsam mal Zeit xD (und unter uns... ich an Maikes stelle fände N ziemlich schick x‘DD Ich liebe sein Charakter design!)
Ah ich danke dir! Ich versuche, das in den nächsten Kapiteln zu ändern. Merke selbst, dass ich ganz schön aus der Übung (und dem Fluss) raus bin x___x kommt davon, wenn man ewig nichts schreibt außer Kommentare bei Instagram oder Nachrichten bei what’s app xD
Antwort von:  Yurippe
04.05.2020 05:25
Na ja, gerade in dem Alter und in einer solchen Situation ist es sicher schwer, von Anfang an ehrlich zu sein, aber zumindest gab es kein endloses Hin und Her und tausend Rivalen und Missverständnisse, das finde ich super.
Und aus der Übung bin ich auch total, das merke ich immer, wenn ich mal versuche, meine uralte Serie doch noch zu beenden. Ich komme auch kaum dazu, mal länger Deutsch zu nutzen, und man vergisst zwar seine Muttersprache nicht, aber holprig wird die Ausdrucksweise doch ganz schön. >.<
Von:  Lost_Time
2019-08-27T15:03:39+00:00 27.08.2019 17:03
Es ist ein Recht fließender Übergang vom Prolog zum ersten Kapitel. Der Konflikt von Maike bzgl. des Treffens ist süß (die Outfit Frage). Es wird langsam deutlich, dass es bei Drew auch Interesse an Maike gibt. Dadurch kann man vermuten, dass die übliche Situation entsteht, wie man es aus mehreren Romanen her kennt, was aber nicht negativ zu sehen ist. Denn obwohl der Leser weiß, dass die beiden sich mögen, weiß man nicht ob sie es sich noch gestehen werden, es selber merken oder aber sie weiter nebenher leben. Außerdem passieren mit der Grundlage die witzigsten Situationen. ;) Bzw. können sie passieren.
Zwischenzeitlich gab es einige Zeitformsprünge bei den Verben, die jetzt nicht dramatisch war, aber ins Auge fiel. Mich hätte ja auch interessiert in welches Lokal oder Restaurant sie gegangen sind. Also wie es heißt. Es geht wieder etwas schnell. Die Art wie Aiden Drew aus der Reserve lockt, wäre schön als Dialog zu lesen gewesen. Die detaillierte Unterhaltung hätte man dann mit den vorhandenen Sätzen auslaufen lassen können. Oder damit das Maike da nicht mit reden kann.
Die Unterhaltung mit Drew und Maike am nächsten Tag gefällt mir sehr gut. Das fehlte etwas im Prolog oder beim Essen.
Das Raus springen der Pokemon aus den Bällen hätte man beschreiben können, evtl. auch etwas die Pokemon (falls der Leser nun kein Bild vor Augen hat) oder wie Drews Poki auf Maike wirkt. Kennt sie es schon, ist es beeindruckend usw. usw.. Wäre wieder etwas mehr Detail gewesen und hätte dann den Übergang zum allgemein gehaltenen Kampf etwas geschmeidiger gemacht.
Es bahnt sich eine Dreierkombi an, nun wird‘s noch besser. Aiden gefällt mir gut, der nervende Romantikzerstörer. Das Liebesgeständnis kommt teils doch überraschend von Aiden, da man bisher das Gefühl hatte er sei ein Duralcell Häschen Freund. Die Beschreibung des Ortes gefällt mir und hätte ich mir bei einigen anderen Stellen auch gewünscht. Um die Einzigartigkeit der Stadt nochmal deutlich zu machen. Drew hat Dornen an der Rose gelassen? Wtf? Na ob das eine unterschwellige Botschaft war? Essen sie jeden Abend zusammen oder nur an bestimmten? Zuerst wirkt es wie jeden Abend, aber beim letzten Absatz, liest es sich, als wenn es nur an bestimmen wäre. Wieder etwas abgehakt am Ende, wenn gleich es passender ist. Wäre schön zu lesen gewesen, ob Maike es schafft beim Training konzentriert zu bleiben usw.. Oder ich hätte mir mehr Gedanken gewünscht, die Maike sich um das Liebesgeständnis usw. usw. macht. Nun ja dennoch werde ich etwas weiter schmökern in der FF sind ja noch einige Kapitel. XD

Viele Grüße
Lost_Time
Antwort von:  Auraya
28.08.2019 08:40
Danke für deine sehr ausführlichen und kritischen Kommentare! :) es freut mich ehrlich sehr, so etwas zu lesen. Ich würde jetzt gerne sagen „es ist schon etwas älter, mittlerweile mach ich das besser“, aber ich befürchte, dass das nicht der Wahrheit entspricht xD
Tatsächlich habe ich noch nie eine Rose bekommen und mich schon immer gefragt, was zur Hölle eigentlich mit den Dornen ist... deinem Kommentar nach zu urteilen entfernt man die vorher wohl irgendwie... jetzt bin ich schlauer x‘D
Danke auch für all die anderen Hinweise und dass du dir so viel Zeit genommen hast dafür :) man merkt eben doch die Spontanität, die da allgemein dahinter steckt, und dass ich vieles vorher nicht allzu gut durchdacht habe... >o<
Liebe Grüße,
Aura
Von:  Lost_Time
2019-08-27T15:02:55+00:00 27.08.2019 17:02
Du hast eine schöne grobe Einleitung zusammengestellt, damit der Leser einen schnellen Überblick über die aktuelle Situation erhält. Teils empfinde ich es jedoch etwas undetaillier, dass könntest du erweitern, es ist aber nicht zwingend erforderlich da man trotzdem einen guten Überblick bekommt. Die Details würden es nur etwas fließender gestalten. Man wird bereits deutlich auf Maikes Gefühle hingewiesen bezüglich Drew. Man bekommt dadurch neben der Beschreibung noch mal deutlich gemacht in welche Richtung es laufen wird (ob Happy End kann man allerdings noch nicht erahnen). Leugnet aber ihre Gefühle noch. Durch den Auftritt von Aiden wird der Prolog gut aufgelockert und ich als Leser kann in aller Ruhe gedanklich beginnen Maike und Aiden zu shippen.
Was mir fehlt ist ein bisschen vom Smalltalk zu lesen. Das Kapitel geht ein wenig abrupt zu Ende. Es wirkt, als hättest du da keine Idee gehabt, wie es weiter gehen könnte. Auch wenn das abrupte Ende sicherlich beabsichtigt war. Ich hätte dennoch einen kleinen Dialog schön gefunden oder was die Beiden vielleicht gemacht haben bis sie beim Pokemon-Center ankamen (je nachdem wie weit es von der Parkbank entfernt war), evtl. hätten sie ja noch Leute beobachtet oder einem Trainingskampf unter Kindern zugesehen. Wäre vielleicht ein bisschen weniger abrupt gewesen. Ansonsten liest sich der Prolog sehr flüssig, nur der Satz „Es waren einige Monate vergangen, seit sie ihn vor Ranovia City das letzte Mal gesehen hatte.“ hat mich etwas ins Stolpern gebracht, irgendwie las er sich für mich etwas unangenehm, weil er untypisch vom Aufbau ist. Normalerweise lässt man den aktuellen Standort ja weg und sagt, als sie sich das letzte mal sahen, aber das ist Geschmackssache.

Viele Grüße
Lost_Time
Von:  Yurippe
2019-08-18T20:17:13+00:00 18.08.2019 22:17
Oh, jetzt ist auch noch N aufgetaucht! Ich bin echt gespannt, wo das noch Alles hinführen wird.
Von:  Scharae
2019-08-18T17:04:02+00:00 18.08.2019 19:04
Hey! Normalerweise schreibe ich eigentlich keine Kommentare, aber ich hab mir gedacht, dass es langsam mal Zeit wird für eine Rückmeldung. Ich habe deine Geschichte gefunden, nachdem du das letzte Kapitel fertig hattest und hab es sofort durchgelesen! Die Idee ist super und deine Schreibart find ich auch toll. Mach weiter so und hoffentlich dauert das nächste Level nicht allzu lang. Aber selbst wenn, besser lange warten als ein schlechtes Kapitel, oder? Ich kann dir leider keine Tipps zur Rechtschreibung geben, weil ich da selber grottenschlecht drin bin (Ich Wette in diesem Kommentar sind mindestens 5 Rechtschreibfehler). Mach weiter so! GLG Scharae
Antwort von:  Auraya
03.05.2020 11:03
Ich danke dir ganz herzlich für deinen lieben kommentar, ich habe mich riesig gefreut das zu lesen <3
Von:  Yurippe
2019-06-11T11:20:53+00:00 11.06.2019 13:20
Oh je, Maike hat aber auch ein Talent dafür, sich in dumme Situationen zu bringen. Ich dachte, die Geschichte würde sich langsam dem Ende nähern, aber so scheint es ja doch nicht zu sein. Finde ich schön!
Antwort von:  Auraya
17.08.2019 20:23
Sooo viel ist es gar nicht mehr - aber ich bin sehr froh, dass du mir noch immer zur Seite stehst <3
Maike ist ein absoluter Tollpatsch, ja. ^^
Von:  Yurippe
2019-04-21T21:29:57+00:00 21.04.2019 23:29
Momentan schreibst du viel, das finde ich super! <3
Antwort von:  Auraya
06.05.2019 19:38
Hihi Danke, das freut mich :) ich wollte das Tempo eigentlich gern beibehalten, aber nun musst du dich leider doch wieder ein wenig gedulden >_< Überstunden, Arbeit, blank liegende Nerven. HURRA!
Antwort von:  Yurippe
06.05.2019 23:16
Glaub mir, ich verstehe das. Hoffentlich beruhigt sich deine Situation bald!
Von:  Yurippe
2019-04-16T21:24:27+00:00 16.04.2019 23:24
Das war kurz, aber ich bin froh, regelmäßig von dir zu hören!
Schwierige Situation - einerseits ist das Schweigen anstrengend, andererseits stimmt der Zeitpunkt nicht so recht.
Von:  LittleSpace
2019-04-14T15:00:22+00:00 14.04.2019 17:00
Man, man, man, wie geht es jetzt weiter? Drew hat es endlich eingesehen, aber es wäre alles viel zu einfach, wenn es jetzt schon vorbei wäre.

Bestimmt hast du etwas Fieses geplant, nicht? *eine Augenbraue erwartungsvoll heb*
Antwort von:  Auraya
17.04.2019 21:44
Ich? Etwas fieses geplant? Niemaaaaaaaaaals *hust* xD


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