Zum Inhalt der Seite

Spiegelwelt

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog


 

~*~*~ Es war einmal… ~*~*~
 

In einem weit entfernten Land, da lebt eine Frau, dessen bloßer Anblick Liebende so sehr fesselt, dass sie alles um sich herum vergessen. Sie vergessen zu essen, zu trinken, zu schlafen, ja mit der Zeit vergessen sie sogar ihren Namen und wer sie sind.
 

Doch wieso tut die Frau das? Was hat sie davon, wenn sie dabei zusieht wie sich Liebende selbst zerstören?
 

Ich sag es euch!
 

Es ist genau diese Liebe, worauf Ich es abgesehen habe. Denn diese Liebe, die die Paare einst füreinander empfanden, ist das, was mich am Leben hält. Ohne sie, würde Ich selber Sterben. Und Sterben, das ist genau das, was Ich auf keinen Fall darf. Jetzt noch nicht. Ich habe noch etwas zu erledigen.
 

Ich muss mich rächen.
 

Und zwar an den Männern und Frauen, die mich einst von meiner Liebe trennten. Die zwei Seelen, die zu Einer zusammengeschmolzen waren, auf grausame Art und Weise entzwei gerissen haben, und was meinen Geliebten kurz darauf in den Wahnsinn trieb.
 

Und genau dieses Unrecht, welches uns einst angetan wurde – welches dazu noch vertuscht und zu einer Lüge umgeformt wurde – lasse ich jetzt mit Freuden andere spüren.
 

Denn wenn schon Ich nicht mit dem Mann den Ich liebe vereint sein durfte. Wenn mir verboten war zu Lieben, dann sollen auch alle anderen nicht Lieben dürfen.
 

Das ist doch nur fair!


 

~*~*~ Die Ruhe vor dem Sturm ~*~*~
 

~ Izzy ~

Gerade als ich zur nächsten Seite umblättere, damit ich weiter vorlesen kann, quietscht Max auf und versteckt sich unter seiner Zudecke. Amüsiert beobachte ich ihn dabei, wie er nach kurzem Zögern wieder zaghaft aus seinem Versteck gekrochen kommt. Mit müden Augen schielt er zu mir hoch.
 

„Was ist los?“, frage ich ihn. „Soll ich doch nicht weiterlesen?“
 

Max schüttelt mit dem Kopf. „Doch“, widerspricht er sich selbst, was mich zum Schmunzeln bringt. „Ich bin ja schon Neun, da habe ich keine Angst mehr vor Geistergeschichten.“
 

Ich muss immer noch schmunzeln.
 

Dieser kleine Satz erinnert mich an die Nächte, an denen Jace und ich uns immer, kurz vorm ins Bett gehen, in Alecs Zimmer wohlgemerkt, Gruselgeschichten erzählt haben. Max war zu der Zeit gerade mal vier Jahre alt, dennoch wollte er stets dabei sein und mit zuhören. Dafür schlich er sich sogar heimlich ins Zimmer und versteckte sich unterm Bett, kroch aber immer von dort hervor, sobald er sich in seinem Versteck ängstigte.
 

Max drängt mich dazu weiter zu lesen. Das erste Wort liegt mir auch schon auf der Zunge, als mir ein flüchtiger Blick zum Wecker verrät, dass es bereits viertel vor Mitternacht ist. Also höchste Zeit für meinen kleinen Bruder, um ins Land der Träume abzudriften. Ich nehme das Lesezeichen vom Nachtschränkchen und schließe dann das Buch.
 

„Ich fürchte dass es für heute reicht, Kleiner. Es ist schon spät und du musst morgen fit sein, wenn du nach Idris gehst.“

Max verkriecht sich wieder und schüttelt heftig mit dem Kopf. Wehleidig hebe ich das obere Ende an und stecke meinen eigenen Kopf ebenfalls unter die Decke. Obwohl es dort dunkel ist, entgeht mir sein trauriger Blick nicht.
 

„Komm schon, Max. Es ist doch nur für ein halbes Jahr, oder so. Nur so lange, bis sich die Lage hier bei uns wieder normalisiert hat.“
 

„Aber ich will euch helfen.“
 

„Ich weiß.“ Ich seufze und streichle Max mit meiner freien Hand, die andere hält noch immer das Buch fest umklammert, durch die dunklen Haare.
 

„Doofer Alec!“
 

„Das ist nicht fair, Max“, kommentiere ich seinen kleinen Ausbruch. „Du weißt dass er dich nur beschützen will. Er könnte es nicht ertragen, wenn du auch noch sterben würdest.“
 

Der Tod von Mom und Dad hat Alec gebrochen. Zwar haben auch wir anderen noch dran zu knabbern, doch für Alec ist es am schlimmsten, weil sie in seinen Armen gestorben sind.
 

Das ist jetzt genau ein Monat her.
 

Seit diesem verhängnisvollen Tag macht sich mein großer Bruder unnötige Vorwürfe und kann nachts nicht mehr schlafen, weil ihn grausame Albträume wachhalten. Noch nicht einmal Magnus kann ihm helfen, weder was das einschlafen angeht – er mischt Kräuter unter sein Essen – noch kann er ihm die Angst nehmen, ihn, Jace und mich auch noch zu verlieren.

Das einzige was Alec wenigstens etwas Leben einhaucht, ist die Jagd nach dem Mörder unserer Eltern.
 

Max zieht seine Decke wieder zurück, sodass wir wieder richtig Luft bekommen und kuschelt sich sogleich an seinen Lieblingsteddy. Seine zitternden Hände krallen sich in das weiche Fell. Den Teddy hat er vor drei Jahren von Alec zum Geburtstag geschenkt bekommen.
 

„Beobachten Mom und Dad uns?“, fragt er mich. Ich halte inne, da ich gerade dabei war das Licht zu löschen. Liebevoll hauche ich Max einen Kuss auf die Stirn und streiche eine verirrte Haarsträhne aus seinem Gesicht.
 

„Das tun sie ganz bestimmt“, sage ich so liebevoll es nur geht. Ich spüre dass sich Tränen in meinem rechten Auge bilden, doch ich blinzle sie schnell zurück. Ich muss stark sein. „Sie wachen stets über uns“, füge ich noch hinzu.
 

„Ich vermisse sie“, haucht Max. Ich höre wie er schnauft und umschlinge ihn sofort mit meinen Armen. Ich halte ihn ganz fest.
 

„Das tun wir alle“, flüstere ich und schniefe mit Max um die Wette.
 

Es vergehen gut ein paar Minuten, in denen Max sich von mir umarmen lässt. Dann löst er meine Arme, die fest um seinen Körper geschlungen sind und wischt mir eine herunterkullernde Träne von der Wange. Ich lege meine warme Hand auf seine.
 

„Sie werden doch ein Auge auf Alec haben, wenn er bei seiner Jagd ist, nicht wahr Izzy?“ Ich nicke. Das muss als Antwort reichen, denn zu mehr bin ich gerade nicht fähig.
 

Ich habe Angst um Alec. Es passt einfach nicht zu ihm, dass er sich auf Dämonen stürzt und dabei seine eigene Sicherheit vernachlässigt. Eigentlich ist es doch Jace, der unüberlegt handelt und Alec ist der, der ihm den Rücken stärkt. Doch seit einem Monat ist es genau umgedreht. Jetzt ist Jace derjenige, der auf Alec aufpasst.
 

Ich lege mich zu Max ins Bett, schlinge erneut meine Arme um ihn und schließe dann meine Augen.

Du wirst ihn doch beschützen, oder Jace, denke ich und bete dafür, dass Alec auch nach dieser Nacht, wieder gesund zu uns zurückkehrt.
 


 

„Guten Morgen!“ Schlürfend betrete ich die Küche und lasse mich auf einem der Küchenstühle fallen. Die Nacht war definitiv zu kurz gewesen, kein Wunder also, dass ich mit meinem Kopf auf die Tischplatte knalle.
 

„Morgen!“ Jace gießt Kaffee in eine Tasse und reicht sie mir. Er setzt sich neben mich und streichelt mir beruhigend über den Rücken. „So müde warst du schon lange nicht mehr. Man könnte glatt meinen das du gestern auf Patrouille warst und nicht Alec und ich.“
 

Ich boxe Jace in die Seite und leere dann in einem Zug meine Tasse Kaffee. Die heiße Flüssigkeit läuft meinen Hals runter und wärmt mich von innen. Tut das gut.
 

Seit Tagen ist mir immer so kalt. Dabei dusche ich schon zweimal am Tag, um mich so warmzuhalten, doch hält es nie lange an. Ich habe schon darüber überlegt, ob ich mit Jace oder Magnus darüber reden soll, doch bisher fand ich einfach nie den richtigen Zeitpunkt dafür. Außerdem haben die beiden mit Alec schon genug zu tun, da will ich ihnen nicht auch noch sorgen bereiten. Und wer weiß, vielleicht ist es ja auch nur der Stress und sobald erst einmal wieder Ruhe eingekehrt ist, geht es mir wieder besser. Ich hoffe es.
 

„Ist Magnus bei Alec?“, nuschle ich. Obwohl ich diesmal durchgeschlafen habe – Max ebenfalls – bin ich tot müde. Früher hat mir kurzer Schlaf ja nichts ausgemacht. Da konnte ich mit drei Stunden Schlaf sehr gut auskommen. Es hat sich wirklich vieles bei uns verändert.
 

Jace hebt seinen Kopf und sieht mich eindringlich an. Seine Augenbrauen wandern nach oben.
 

„Alles ok bei dir, Izzy?“, fragt er und legt eine seiner Hände auf meine. Er drückt sie und schaut mir dabei tief in die Augen.
 

„Ja! Es ist alles ok!“, sage ich, doch Jace Blick nach zu urteilen, glaubt er mir nicht. Dennoch entfernt er seine Hand wieder von meiner und erhebt sich von seinem Stuhl. Er lehnt sich an die Küchenzeile an.
 

„Magnus hat es vor gut drei Stunden geschafft, dass sich Alec etwas hingelegt hat und seitdem schläft unser Brüderchen wie ein Baby“, beantwortet Jace endlich meine Frage. „Ich habe vor gut einer halben Stunde bei den beiden reingesehen. Sie liegen engumschlungen beisammen.“ Ein schiefes Lächeln schleicht über Jace Mundwinkel. „So friedlich habe ich Alec schon lange nicht mehr gesehen.“
 

Das freut mich.
 

„Gut!“ Ich stehe auf und gieße mir noch etwas Kaffee in meine Tasse. Dann lehne ich mich neben Jace an die Küchenzeile an. Mit starrem Blick sehe ich nach vorne. „Weißt du schon wann die neue Institutsleitung heute kommt?“ Und um wen es sich überhaupt handelt. Ich habe nämlich keine Ahnung. Seit Mom und Dad tot sind, habe ich mich aber auch nicht wirklich mehr um unseren Job gekümmert, sondern um Max. Einer muss es ja machen.
 

„Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass sie noch vor Max Abreise nach Idris, ankommen sollen. Ach ja, ich habe ein Gerücht aufgeschnappt, welches sich die Schattenweltler erzählen. Demnach soll unsere neue Leitung wohl eine ziemlich große Nummer in Idris sein. Ich hoffe nur, dass sie uns nicht permanent auf die Finger schauen werden.“
 

Und ich hoffe, dass sie Alecs Verhalten verstehen werden. Nicht das sie ihn uns wegnehmen, weil sie in ihm eine Gefahr fürs Institut sehen.
 

Ich will Jace gerade von meiner Angst erzählen, Alec zu verlieren, als ich zwei unterschiedliche, sich nähernde Schritte vernehmen. Auch Jace sind sie nicht entgangen. Irritiert sehen wir uns an.
 

„Sind sie doch schon da?“
 

Ich zucke mit den Achseln und stoße mich von der Küchenzeile ab. Zusammen mit Jace gehe ich raus auf den Flur. Wir hören zwei Stimmen, die sich streiten. Synchron seufzen wir. Natürlich.
 

„Die Pause hat ja nicht lange angehalten“, ächzt Jace und fährt sich durch seine verstrubbelten Haare. „Ich will nur wissen was jetzt wieder ist.“
 

Ich kann es mir denken.
 

„Aber ich will hier bei euch bleiben. Ich kann euch helfen und…“
 

„Vergiss es Max. Du bist noch viel zu jung und ich diskutier jetzt auch nicht weiter mit dir darüber. Du wirst nach Idris gehen, wo du in Sicherheit bist.“
 

Alecs verärgerte Stimme ist kaum zu überhören, genauso wie die von Max.
 

Jace und ich gehen den beiden entgegen. Wir biegen gerade in den Hauptflur ab, als wir die beiden Streithähne auch schon auf uns zulaufen sehen. Sobald Max Jace und mich erblickt, rennt er zu uns. Er wirft sich Jace in die Arme, der ihn augenblicklich hochnimmt.
 

„Sag ihm, dass ich euch helfen kann, Jace“, bettelt Max. Dabei sieht er ihn traurig an und krallt sich an seinem Shirt fest. „Ich will nicht nach Idris. Da ist es langweilig ohne euch.“
 

„Sei vernünftig, Max“, sage ich und streichle ihm über den Kopf. „Wir wollen doch wirklich nur das Beste für dich.“
 

Max strampelt und Jace lässt ihn sofort runter. Er macht auf der Stelle kehrt und rennt den Flur entlang, bis wir ihn nicht mehr sehen. Sein Ihr seid alle so gemein schallt im Gang wieder. Ich seufze einmal laut und will meinem kleinen Bruder auch schon hinterher, um mit ihm noch einmal zu reden, als ich aber von Alec am Arm festgehalten werde.
 

„Lass ihn, Izzy“, sagt er mit fester Stimme. An seinem Gesicht ist deutlich abzulesen, dass er kaum geschlafen hat. Die dunklen Ringe unter seinen Augen bringen diese Tatsache sehr gut zur Geltung. „Wir haben jetzt wichtigeres zu tun. Jocelyn und Valentin Morgenstern kommen gleich an, mitsamt ihren beiden Kindern Clarissa und Sebastian. Wir sollten sie begrüßen gehen. Auch wenn ich darauf keinen Bock habe“, fügt er leise hinzu.
 

Wieder einmal sehen Jace und ich uns an. Dann folgen wir Alec, der sich schon auf den Weg zur Bibliothek gemacht hat.
 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
 

~ Jace ~

Gelangweilt stehe ich an der Lehne von Alecs Stuhl angelehnt, auf dem er sitzt und schaue in die Flammen des Kaminfeuers. Wir warten jetzt schon seit einer guten Stunde darauf, dass unsere neue Institutsleitung ankommt, aber nichts… Sie lassen sich einfach nicht blicken. Und ich hasse es, nichts zu tun.
 

Am liebsten würde ich jetzt im Trainingsraum sein und mit Alec trainieren, oder mit Izzy. Ganz egal wer von beiden. Ich will einfach nur was Anständiges zu tun haben, als nur hier rum zu hocken und darauf zu warten, dass die Morgensterns endlich aufkreuzen. Wie kann man nur so unpünktlich sein. Laut Alec wollten sie nämlich um Punkt 9 Uhr hier aufkreuzen. Und wie gesagt, wir haben es jetzt 9:30 Uhr.
 

Ich fahre mir mit der linken Hand durch meine, nicht blondierten, Haare, was ich die letzte halbe Stunde schon öfters getan habe und seufze laut. Mir ist langweilig.
 

„Wollen wir nicht trainieren gehen?“, frage ich an Alec gewandt und beuge mich näher zu ihm. „Ich habe das sinnlose rumsitzen satt. Die kommen doch heute eh nicht mehr.“
 

„Bist du dir sicher, dass sie heute ankommen wollten, Schatz?“ Magnus, der am großen Tisch sitzt und seine Nase bis eben noch in ein dickes Buch gesteckt hatte, wahrscheinlich ist es wieder ein Wälzer über Magie, blickt nun zu Alec rüber. Die beiden schauen sich tief in die Augen, bis Alec seinen Blick abwendet.
 

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Beziehung der beiden auch nicht mehr das ist, was sie noch vor kurzem war. Vor dem Angriff auf das Institut, da konnten die beiden kaum eine Minute ohne den anderen verbringen und jetzt… jetzt habe ich das Gefühl, dass Alec, Magnus aus dem Weg geht. Gerade deswegen, fand ich das Bild heute früh, als ich die beiden eng umschlungen im Bett liegen sah, ja auch so süß. Natürlich kann ich verstehen das Alec Zeit braucht, doch wieso er Magnus so sehr mit Nichtachtung straft, verstehe ich nicht.
 

„Ich habe Hunger“, höre ich Izzy sagen. Gleichzeitig knurrt mein Magen laut. „Und wie es scheint, bin ich wohl nicht die einzige, hm.“ Sie lacht mich an.
 

„Was haltet ihr davon, wenn wir, außerhalb des Instituts, Frühstücken gehen?“ Außer Kaffee gab es heute ja noch nichts. Und ich fände es schön, wenn wir das Institut mal wieder alle gemeinsam verlassen, ohne dafür auf Patrouille sein zu müssen. Das ausgerechnet ich das sage…
 

„Das ist eine großartige Idee“, pflichtet Magnus mir bei. Er kritzelt etwas auf ein Blatt Papier, was neben seinem Buch liegt und heftet es neben das Portal an die Wand. „Sollten die Morgensterns doch noch aufkreuzen, wissen sie wenigstens wo wir sind“, kommentiert er sein Tun.
 

Ohne auf eine Antwort von Alec abzuwarten, greift Magnus nach seinem Arm und zieht ihn mit sich. Die Proteste, die dieser daraufhin von sich gibt, ignoriert unser Glitzerhexenmeister.
 


 

Die frische Luft tut wirklich gut. Ich habe schon beinahe vergessen, wie sie sich auf meiner Haut anfühlt. Einfach unbeschreiblich.
 

„Hör doch endlich mal auf rumzumeckern, Alec“, sagt Izzy ziemlich erbost. Ich drehe mich nach hinten und beobachte die beiden Geschwister.
 

Alec hat seine Hände in seinem abgenutzten Mantel vergraben und läuft mit einer miesepetrigen Miene neben Izzy her, die, wie sollte es auch anders sein, perfekt gestylt, somit das genaue Gegenteil von Alec ist. Kaum zu glauben das die beiden wirklich Geschwister sind.
 

„So langsam bin ich mit meinem Latein am Ende“, seufzt Magnus neben mir. Ich konzentriere mich wieder auf den Fußweg vor uns.
 

„Das wird schon“, versuche ich ihm Mut zu machen. „Immerhin hast du es heute ja schon mal geschafft, dass er sich wenigstens etwas ausgeruht hat, wenn auch nicht sehr lange. Wir müssen nur Geduld mit ihm haben.“
 

„Ich weiß, aber… Wie bist du eigentlich mit dem Tod deiner Eltern zurechtgekommen?“
 

„Hm! Wenn ich ehrlich sein soll, dann eigentlich ganz gut. Zwar war ich noch recht jung, aber ich habe schon damals verstanden, dass sie ihr Leben gegeben haben, um den Rat zu beschützen. Ich war stolz auf sie, weil sie als Helden gestorben sind. Und Maryse und Robert… Ich weiß nicht was es aus mir gemacht hätte, wenn meine Eltern… wenn sie so wie die beiden gestorben wären.“
 

„Verstehe!“
 

„Lass den Kopf nicht hängen, Magnus. Alec schafft es schon, er ist stark.“
 

„Aber nicht so stark wie du“, flüstert Magnus, dennoch habe ich ihn verstanden. Frustriert schüttle ich den Kopf.
 

„Alec und ich sind völlig verschieden, das mag stimmen“, erläutere ich. „Ich bin aufgeschlossen und er ist verschlossen. Ich bin stur und dickköpfig und er... gut das ist er manchmal auch. Aber wo ich immer mit dem Kopf voran durch die Wand renne, da denkt Alec halt lieber erst mal nach und versucht die Situation zu erfassen. Und auch was das Dämonenabschlachten angeht, da mag Alec zurückhaltender sein, aber das bedeutet nicht, dass er schwach ist, Magnus. Alec ist einer der stärksten Menschen die ich kenne, gerade weil er so gutmütig und nachdenklich ist. Und das solltest du eigentlich wissen. Ich meine, er hat sich in dich verliebt und das obwohl du ein Schattenweltler bist. Doch das ist ihm egal, denn… du bist… naja eben du. Du weißt schon was ich sagen will.“ Hoffe ich jedenfalls.
 

„Ja. Das weiß ich. Und danke!“ Magnus schenkt mir ein kleines Lächeln.
 

„Lauf nicht so weit weg, Max“, erinnere ich den Kleinen daran, dass er in unserer Nähe bleiben soll. Ich habe nämlich keine Ahnung wo wir hier sind.
 

„Wir sind schon da“, sagt Magnus und zeigt auf eine große Terrasse, auf der haufenweise Menschen sitzen und wild durcheinander reden. Mit großen Augen starrt Max sie an.
 

Kein Wunder, das letzte Mal das er so viele Leute gesehen hat, war bei der Zeremonie von Alec und mir, als wir beide Parabatai wurden.
 

Magnus öffnet die mit Blumen und Gräsern verzierte Glastür und lässt uns einen nach dem anderen eintreten. Kaum das wir alle drin sind, werden wir von den Gästen und vom Personal angestarrt. Kein Zweifel, das liegt an mir und meinem umwerfenden Aussehen. Magnus grinst mich an.
 

„Denk bloß nicht dass das deinetwegen ist“, sagt er und zwinkert mir zu.
 

„Stimmt. Die starren wegen mir“, sagt Izzy und klopft mir auf die Schulter. „Weil ich tausendmal besser aussehe als du, Jace. Kapiere das endlich.“
 

„Von wegen“, gebe ich lachend zurück und folge Magnus und Alec, die eine ganz bestimmt Ecke ansteuern. An einem der hinteren Fensterplätze setzen sie sich. Wir machen es ihnen nach. „Seit ihr öfters hier?“, will ich wissen.
 

„Ab und zu.“ Schmunzelnd sieht Magnus mich an. „Das ist eines meiner Lieblingscafés. Hier gibt es den besten Kirschkuchen der Welt. Hier wird alles noch selbergemacht und nicht bei irgendwelchen Großkonzernen eingekauft.“
 

„Ist bestimmt teuer“, sagt Izzy und sieht sich im Café um.
 

„Die Preise sind natürlich recht stolz, aber gemessen an dem was man hier bekommt, bezahlt es jeder der herkommt gerne. Doch wenn es dich beruhigt, Liebes. Ich lade euch heute mal ein.“
 

„Heißt dass, dass du tatsächlich auch Geld mit dir rumschleppst? Und ich dachte, du schnurrst dich immer überall durch.“

Beide strecken sich gegenseitig die Zunge raus, was Max ein kleines Lächeln aufs Gesicht zaubert. Endlich hat er wieder bessere Laune.
 

Es dauert auch nicht lange und eine recht junge Bedienung kommt, mit Stift und Papier, auf uns drauf zu.
 

„Magnus! Schön dich mal wieder zu sehen. Ich dachte schon du kommst uns gar nicht mehr besuchen“, begrüßt sie unseren persönlichen Hexenmeister als erstes. Danach nickt sie auch uns anderen zu. „Was darf ich euch bringen?“
 

„Ich war in letzter Zeit viel Beschäftigt, Stella. Doch alleine schon wegen deiner bezaubernden Persönlichkeit, würde ich immer wieder kommen.“
 

„Hör auf dich bei mir einzuschleimen, Magnus. Du weißt doch, das zieht bei mir nicht.“
 

„Schade! Doch wo ich dir schon mal ein Kompliment gemacht habe, da bekommen wir doch sicherlich einen Rabatt, oder?“
 

„Jeder darf Träume haben, Magnus. Also… was darf es sein?“
 

„Vier Kaffee und für unseren Kleinen eine heiße Schokolade mit viel Sahne. Und dann noch dreimal das Bauernfrühstück, und zwei leere Teller dazu. Eure Portionen sind immer so groß, da isst man Tage dran.“
 

Diese Stelle schreibt sich alles auf und zieht, mit einem breiten Lächeln im Gesicht, wieder von dannen. Was für eine Show.
 

„Und wieder jemand, der deinem Charme nicht verfallen ist“, kichert Izzy und erntet dafür einen bösen Blick von Magnus. Doch kurz darauf brechen die beiden in lautstarkem Gekicher aus. Max und ich stimmen mit ein, nur Alec nicht. Der starrt aus dem Fenster raus. Ich folge seinem Blick und erstarre.
 

Das Gesicht, welches ich in der Spiegelung des Fensters sehe, ist nicht das seine.


 

~*~*~ Die Familie Morgenstern ~*~*~
 

~ Jace ~

Ich zwinkere einmal kurz und starre dann erneut Alecs Spiegelbild an. Es ist wieder ganz normal. Ausdruckslos, Abwesend und somit mehr als besorgniserregend. Vielleicht sollte ich doch noch einmal mit ihm reden und versuchen herauszufinden, ob er wirklich nicht weiß, was mit Maryse und Robert passiert ist. Denn so wie er sich verhält, glaube ich fast schon, dass er mehr weiß als er uns erzählt hat. Ich wende meinen Blick von Alecs Spiegelbild ab und sehe die anderen, einem nach dem anderen an, doch die verhalten sich völlig normal. Naja. Wahrscheinlich habe ich mir das fremde Gesicht im Fenster auch nur eingebildet. Doch warum habe ich dann solch ein komisches Gefühl im Magen? Ich sollte der Sache auf den Grund gehen. Nur um sicher zu gehen.
 

Unsere Getränke werden uns gebracht, wieder von dieser Stella, weswegen Magnus es sich nicht nehmen lassen kann, noch einmal mit ihr zu flirten. Macht er das extra, um von Alec eine Reaktion zu erzwingen? Wenn ja, dann hat er damit kein Glück, denn Alec verhält sich weiterhin passiv. Ich muss dringend mit ihm reden, denn so geht es wirklich nicht mehr weiter.
 

„Lasst es euch schmecken!“
 

Ich hebe meinen Kopf. Unser Essen steht mittlerweile auf dem Tisch. Na so was. Ich habe gar nicht mitbekommen das sie es uns schon gebracht haben, so abgelenkt war ich.
 

Izzy verteilt etwas von ihm Teller auf einen der beiden leeren und reicht ihn dann Max, der sich sofort auf das Bauernfrühstück stürzt. Stimmt ja, er hat ja heute noch gar nichts gegessen. Wahrscheinlich ist er nur deswegen mitgekommen, weil er so großen Hunger hatte und nicht wollte, dass Izzy daheim bleibt und ihm was kocht. Denn auch wenn sie sonst in fast allem Perfekt ist, Kochen kann sie absolut gar nicht. Doch werden wir den Teufel tun und es ihr sagen. Dafür hängen wir viel zu sehr an unserem Leben.
 

Ich muss schmunzeln als ich daran zurückdenke, wie Izzy, vor ungefähr drei Wochen, mit erhobenen Kochlöffel, auf Max und mich zugestürmt kam, als wir ihr mitteilten, dass sie bei ihrem Schokokuchen, Zucker mit Salz verwechselt habe. Das fand sie gar nicht lustig, weil sie dachte, wir würden sie aufziehen. Sie probierte ihren Kuchen selber und zwang sich ihr Stück runter. Mit verzogenem Mund erklärte sie, dass ihr Kuchen einwandfrei schmeckt und wir uns nicht so haben sollen. Den kompletten Abend verbrachte sie über ihre Kloschüssel gebeugt. Doch zugegeben, dass sie einen Fehler gemacht hatte, hat sie nicht.
 

Izzy sieht mich von der Seite her mit schrägem Kopf an. Ich lächle ihr kurz zu und versichere ihr so, dass es mir gut geht. Zwar entspricht das nicht ganz der Wahrheit, aber besser als ihr selber, Alec und Max, geht es mir auf jeden Fall. Außerdem muss ich für die drei, für meine Familie, stark sein. Wenigstens ich.
 

„Und?“ Mit vollem Mund spricht Magnus uns alle an. „Habe ich zu viel versprochen?“ Er hat sich mit Alec eine Portion geteilt, die er allerdings noch nicht angerührt hat.
 

Max nickt eifrig und greift nach Alecs Teller.
 

„Es ist absolut köstlich“, sagt er und schon verschwindet der nächste Happen in seinem Mund. „So gut habe ich schon lange nicht mehr gegessen.“
 

„Hey!“, beschwert sich Izzy. „Ich koche mindestens genauso gut.“
 

Max und ich tauschen einen schnellen Blick aus, sagen aber nichts zu Izzys Behauptung. Ist besser für uns.
 

„Ich muss zugeben, dass Essen schmeckt wirklich ausgezeichnet“, sage ich, kaum dass ich den ersten Bissen heruntergeschluckt habe. Da muss ich Magnus also wirklich mal Recht geben, was ich selten tue. Doch er gibt mir ja auch kaum einen Grund dazu.
 

Wir beide hatten einen schweren Start gehabt. Am Anfang von seiner Beziehung mit Alec, war ich mehr als skeptisch und das nicht nur weil Magnus ein Schattenweltler ist, sondern weil er so alt ist. Auch wenn man es ihm nicht ansieht. Und dann gibt es ja auch noch das Problem, dass Alec altern wird, und Magnus eben nicht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Magnus noch bei Alec bleiben wird, wenn er alt und grau ist. Falls er überhaupt so alt wird. Bei unserem Job, ist immerhin nicht davon auszugehen, dass wir alt werden. Meine Eltern, sowie Maryse und Robert sind das beste Beispiel. Doch damit will ich mich jetzt nicht befassen. Außerdem werde ich schon dafür sorgen, dass Alec nicht all zu früh stirbt, genauso wie Izzy und Max. Denn egal was auch passieren mag, ich werde auf meine Familie aufpassen – und sie passen auf mich auf.
 

~*~*~*~
 

Kaum das wir aus dem Café raus sind, ertönt Alecs Handy. Er kramt es aus seinem Mantel und nimmt das Telefonat an. Er entfernt sich ein paar Schritte von uns.
 

„Wer mag das wohl sein?“, fragt Izzy, doch da wir auch keine Ahnung haben, können wir nur mit den Achseln zucken. „Die neue Institutsleitung vielleicht?“
 

„Woher sollen die denn Alecs Handynummer haben?“, gebe ich zu bedenken. Die rückt er doch so selten raus. Schon ich musste damals regelrecht betteln sie zu bekommen.
 

Es dauert nicht lange und Alec kommt zu uns zurück.
 

„Was ist?“
 

„Es ist für dich“, sagt er emotionslos und drückt mir dabei sein Handy in die Hand. Alec zuckt zusammen, kaum dass sich unsere Hände beim Übergeben des Handys berührt haben. Er zittert am ganzen Körper und entfernt sich, so schnell es ihm nur möglich ist, wieder von mir.
 

Seit jenem Vorfall meidet er allen möglichen Körperkontakt, selbst beim Training mag er es nicht, wenn ich ihn berühre. Er wird wirklich immer merkwürdiger mit ihm und ich weiß einfach nicht, wie ich ihm helfen soll. Doch fürs erste sollte ich ans Telefon gehen. Ich halte mir also Alecs Handy ans Ohr und sofort schallt mir ein Idiot entgegen.
 

Luke.
 

„Was habe ich verbrochen, dass du mich so betiteln musst?“, will ich wissen. Ich bin mir schließlich keinerlei Schuld bewusst.
 

„Wieso gehst du nicht an dein Handy?“, brüllt er mich weiter an.
 

Mit meiner freien Hand krame ich erst in meiner Jacken- und dann in meiner Hosentasche rum. Es ist nicht da. Ich kratze mir verlegen am Kopf.
 

„Muss ich wohl in meinem Zimmer liegen gelassen haben“, antworte ich. Am anderen Ende der Leitung brummt Luke vor sich hin.
 

„Behaupte du noch einmal, dass man Alec nie erreichen tut. Jedes Mal wenn ich ihn anrufe geht er nämlich ran, im Gegensatz zu einer gewissen anderen Person“, meckert er mich weiterhin an.
 

„Jaja ist gut, ich hab es ja kapiert. Ich bin ein Idiot. Und nun sag schon. Was hast du von mir gewollt? Muss ja äußerst wichtig sein, wenn du deswegen sogar Alec anrufst.“
 

„Zwei meiner Leute sind tot.“ Bitte was? „Und es sieht ganz so aus, als gäbe es da ein Zusammenhang mit den anderen Morden, die es seit gut einem halben Jahr, immer mal wieder, gibt.“
 

Ich werde hellhörig.
 

„Wieso haben wir davon noch nichts gehört?“, will ich von Luke wissen. „Wann wurden sie gefunden? Und von wem?“ Hoffentlich nicht von einem Mundie.
 

„Einer meiner Jungs hat sie vor zwei Stunden gefunden und seitdem versuche ich dich auch schon zu erreichen. Ich möchte, dass ihr die Ermittlungen übernehmt. Euch vertraue ich.“
 

„Wo finden wir die Leichen?“
 

„Bei euch im Institut“, erklärt Luke. „Ich war leider dazu gezwungen den Rat zu informieren. Und die haben darauf bestanden, dass die Leichen von Jocelyn Morgenstern untersucht werden. Ich habe schon mit ihr geredet und sie ist damit einverstanden, dass ihr euch darum kümmert. Ach und ähm… Stimmt es, dass die Morgensterns, Maryse und Robert ersetzen?“ Mitleid schwingt in Lukes Stimme mit.
 

„Ja. Aber Moment Mal. Wenn die Leichen schon im Institut sind, heißt das dann, dass die Morgensterns schon da sind?“ Haben sie es also endlich geschafft, ja. Wurde aber auch Zeit.
 

„Sind sie. Und wenn ich dir einen Rat geben darf, Jace, verärgere sie bitte nicht. In deinem eigenen Interesse. Jocelyn ist zwar nicht ganz so schlimm, aber Valentin dafür umso mehr. Er hat nichts übrig für Ungehorsam und Aufmüpfigkeit kann er schon mal gar nicht leiden. Außerdem ist er ein strenger Lehrer. Solltet ihr also mal Kampftraining mit ihm haben, zeigt euch von eurer besten Seite. So etwas wie Rücksicht nehmen, auf persönliche Wehwehchen zum Beispiel, kennt er nicht. Er ist gnadenlos.“
 

Wow. Scheint ja ein richtig sympathisches Kerlchen zu sein, dieser Valentin.
 

„Woher kennst du ihn?“
 

„Von früher“, ist alles was ich als Antwort erhalte. „Wenn du Zeit hast, dann komm bitte zu mir in die Buchhandlung“, ändert Luke das Thema. „Ich muss dringend mit dir reden.“
 

„Worum geht es?“
 

„Nicht jetzt, Jace. Seht lieber zu das ihr ins Institut zurück kommt.“ Resigniert seufze ich und verabschiede mich dann von Luke.
 

Ich hasse Werwölfe.
 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
 

~ Izzy ~

Magnus und ich betreten die Buchhandlung von Luke, als uns aus heiterem Himmel ein kleines Mädchen anrempelt, sodass wir beide zu Boden fallen. Ich kann gerade so noch das verheulte Gesicht der Kleinen sehen, da ist sie auch schon aus unserem Blickfeld verschwindet. Was ist denn mit der los?
 

Magnus hilft mir beim Aufstehen und sofort reibe ich mir meine vier Buchstaben. Das tat echt weh. Verdammt!
 

„Was war denn mit der los?“, fragt sich Magnus und schließt hinter uns die Tür. „Ich dachte immer man freut sich, wenn man aus einer Buchhandlung herauskommt, weil man wieder was Neues zum Lesen hat.“ Magnus muss es ja wissen. Weil er ja auch freiwillig schon einmal ein Buch angefasst hat, was nichts mit Magie oder so zu tun hat.
 

Ich blicke meinen heutigen Begleiter skeptisch an und betrete richtig die Buchhandlung. Ein aufgebrachter Luke kommt uns entgegen und kaum das er uns gesehen hat, bleibt er abrupt stehen.
 

„Was macht ihr denn hier?“, fragt er Magnus und mich mit überraschender Stimme. Ich dachte er hätte mit Jace ausgemacht das wir kommen. Komisch.
 

„Na du bist mir ja ein Spaßvogel Garroway. Du wolltest doch das wir herkommen.“
 

Nachdem Luke sich wieder gefasst hat, deutet er uns an ihm nach unten zu folgen. Magnus und ich sehen uns an, zucken mit den Achseln und folgen dem New Yorker Rudelführer.
 

„Ich habe eigentlich mit Jace gerechnet und das auch nicht vor morgen, aber wenn ihr schon einmal da seid, dann kann ich auch mit euch beiden darüber reden. Übrigens, das Mädchen das ihr eben gesehen habt...“
 

„Du meinst, die uns über den Haufen gerannt hat“, mischt sich Magnus ein. Daraufhin verpasse ich ihm einen Seitenhieb. „Was?“, will er von mir wissen. Doch darauf antworte ich nicht. Er weiß ganz genau was ich meine. Er soll Luke gefälligst ausreden lassen.
 

„…ist die kleine Schwester eines der Opfer“, beendet Luke seine Erklärung. Auf Magnus Unterbrechung ist er nicht eingegangen.
 

Unten im Keller angekommen, sehen wir eine Frau in Lukes Alter, die mit gesenktem Kopf und Hände vors Gesicht, auf einem Stuhl sitzt und laut schluchzt. Muss wohl die Mutter sein. Luke hockt sich vor sie und versucht sie zu trösten, doch all sein gutes Zureden bringt nichts. Ich kann das verstehen.
 

Als Mom und Dad gestorben sind, da konnten die Ratsmitglieder auch reden was sie wollten. Einzig Jace und Magnus haben es geschafft mich und Max zu beruhigen. Der Tod eines Elternteils ist schon schwer, aber mit einmal beide zu verlieren… das ist nicht einfach zu verkraften. Und dann kam ja auch noch hinzu, dass ich das Gefühl hatte an diesem Tag nicht nur meine Eltern, sondern auch meinen großen Bruder – der apathisch vor sich hinstarrte – verloren zu haben. Ich war einfach nur fertig, weinte Tage- und auch Nächtelang und konnte einfach nicht verstehen, wieso das passieren musste. Wieso das uns passieren musste.
 

Da ich das Leid der Frau nachvollziehen kann, auch wenn das eigene Kind zu verlieren fast noch schlimmer ist als es meines war – und noch immer ist – gehe ich langsam auf sie drauf zu. Ich lasse mich neben Luke vor sie nieder und greife zaghaft nach ihren Händen und ziehe sie von ihrem Gesicht weg.
 

„Es tut mir leid, was mit ihrer Tochter passiert ist“, bringe ich mit kratziger Stimme hervor und dann umarme ich sie. Ich weiß nicht genau warum ich es mache. Vielleicht, weil das einzige was mir nach dem Tod meiner Eltern wirklich geholfen hatte, die Umarmungen von Max, Jace und Magnus waren. Manchmal, so denke ich zumindest, sagen Taten mehr als tausend Worte.
 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
 

~ Jace ~

Ich schlage die Tür zum Institut hinter mir, Alec und Max zu. Der Weg bis hierher war alles andere als angenehm gewesen, da Alec – wie sollte es anders sein – mal wieder vor sich hin schwieg, dafür aber Max umso mehr redete. Er versuchte mich davon zu überzeugen ihn hier zu behalten. Ich war kurz davor ihm zuzustimmen, denn die Argumente die er vorbrachte, waren gar nicht mal so schlecht. Jetzt wo die Morgenstern hier sind – die ja sowas wie lebende Legenden sein sollen – gibt es wirklich mehr als genug Schutz. Doch mein Verdacht, dass mehr hinter dem Tod von Maryse und Robert steckt, nach dem Eindringen eines noch unbekannten Dämons ins Institut, hat mich Max Flehen dann doch nicht nachgeben lassen. Immerhin waren auch die beiden exzellente Schattenjäger und ein einfacher Dämon, hätte sie niemals töten können. Da muss mehr dahinter stecken. Und bevor ich nicht weiß was wirklich passiert ist, ist es im Institut nicht sicher für Max. Für keinen von uns.
 

Max stampft mit den Füßen und schlägt mit seinen kleinen Händen auf meinem Brustkorb ein. Ich lasse ihn gewähren, denn ich kann seinen Ärger auf uns, vollkommen verstehen. Doch es geht einfach nicht anders. Wenigstens er soll in Sicherheit sein. Es dauert nicht lange, dann ist Max Kraftreserve ausgeschöpft…
 

„Ich hasse euch!“, schluchzt er.
 

„Ich weiß.“
 

…und er hängt quasi in meinen Armen, die ich um seinen kleinen Körper geschlungen habe. Ich blicke zu Alec, der stumm neben mir steht. Eine einzelne Träne kullert seine Wange hinunter, dann rennt er los.
 

Ich fühle mich hilflos.
 

Max ist verletzt und ich weiß, dass er das Gefühl hat, als würden wir ihn abschieben. Als würden wir ihn nicht bei uns haben wollen. Er fühlt sich von uns in Stich und allein gelassen. Es schmerzt ihn so zu sehen, wo er doch eigentlich ein aufgewecktes Kerlchen ist.
 

Auch Izzy ist nicht die, die sie noch vor einem Monat war, als ihre… nein, als unsere Welt noch ok war – zumindest so ok wie sie sein kann, mit all den Dämonen um uns herum. Mir ist natürlich aufgefallen, dass sie kaum mehr als drei Stunden schläft in der Nacht, dass sie stundenlang unter der Dusche steht und immerzu am Frieren ist.
 

Doch am schlimmsten, am schlimmsten geht es Alec. Bei ihm fühle ich Schmerz, Wut und Angst und das alles zur selben Zeit. Natürlich spüren auch Izzy und Max es – wie sollten sie auch nicht, sie sind schließlich seine Geschwister – und doch bin ich froh, dass sie es nicht so spüren, wie ich es tue. Denn wenn sie wüssten wie es wirklich um ihren großen Bruder steht, dann würden sie daran zerbrechen. Es ist ja schon für mich schwer, nicht an Alecs Leid zu Grunde zu gehen.
 

Ich hebe Max auf meine Arme, da er eingeschlafen ist und trage ihn in sein Zimmer. So behutsam wie nur möglich, lege ich ihn in sein Bett und decke ihn bis oben hin zu. Kurz beobachte ich ihn noch, doch dann verlasse ich leise sein Zimmer. Es wird langsam wirklich Zeit, dass ich mich der neuen Institutsleitung vorstelle, auch wenn alles in mir schreit, lieber nach Alec zu sehen.
 

Mit schnellen Schritten betrete ich die Bibliothek und schaue nach, ob ich vielleicht einen der Morgenstern dort antreffe, doch Fehlanzeige. Es ist niemand zu sehen. Gefrustet, darüber dass das Institut so groß ist und ich niemanden finde, mache ich auf der Stelle kehrt und krache mit jemanden zusammen. Ich werde vom Aufprall gut zwei Schritt zurückgeworfen. Allgegenwärtig greife ich mit meiner rechten Hand nach meine Seraphklinge, doch ich hole sie nicht hervor.
 

Ein grünes Augenpaar sieht mich giftig an.
 

„Pass doch auf!“, wird mir sogleich unfreundlich entgegengeschmettert. „Und mach gefälligst deine Augen auf, wenn du hier herumrennst.“
 

„Pass doch selber auf“, kontere ich und nehme eine normale Körperhaltung an, auch wenn alles nach mir danach schreit dem Kerl eine reinzuhauen. Das hier ist immer noch mein zu Hause.
 

Die Mundwinkel meines gegenüber zucken kaum wahrnehmbar und geleichzeitig verschwindet auch das angriffslustige aus seinen Augen.
 

„Sorry!“, entschuldigt er sich bei mir und reicht mir seine Hand. „Du bist bestimmt Jace Wayland. Ich bin Jonathan Christopher Morgenstern, doch du kannst mich Sebastian nennen. Das tun eh alle.“
 

Ich weiß nicht was ich von dem halten soll. Und dementsprechend sehe ich ihn auch an. Skeptisch.
 

„Ja das bin ich“, antworte ich dennoch. Er ist immerhin der Sohn unserer neuen Leitung. Mit dem sollte ich mich gut stellen, auch wenn ich schon jetzt sagen kann, dass wir beide nie Freunde werden. Denn irgendwas stört mich an dem Kerl. „Weißt du wo ich deine Eltern finde“, will ich wissen und gehe in den Flur raus. Je schneller ich sie gefunden und mich vorgestellt habe, desto schneller kann ich mich um Alec kümmern und die Untersuchungen der Morde beginnen.
 

„Meine Mom untersucht noch immer die Leichen, mein Dad ist im Trainingsraum und meine Schwester ist in der Küche“, erklärt er mir, während er, mit den Händen in den Hosentaschen, neben mir herläuft. „Mit wem darf ich dich als erstes Bekanntmachen? Am besten mit meinem Dad. Der hat eh schon nach dir und den Lightwood-Kids gefragt.“
 

Lightwood-Kids!
 

Es gefällt mir nicht, wie er über Alec, Izzy und Max redet – auch wenn er ihre Namen nicht an sich ausgesprochen hat. Aber allein schon das Wort Kids, so als wären sie genau das und nichts anderen für ihn, bringt mich zur Weißglut. Und es bestätigt mein erstes Urteil über ihn. Ich kann den Kerl nicht ab.
 

Ich balle meine rechte Hand zur Faust.
 

In mir brodelt es und zwar so gewaltig, dass ich meine Zähne zusammen beißen muss. Also viel fehlt wirklich nicht mehr, dann haue ich dem eine rein, ganz gleich, wer seine Eltern sind. Niemand redet so voller Spott in der Stimme, über meine Familie.
 

So als würde Sebastian wissen was in mir vorgeht, hält er beschwichtigend seine Hände nach oben.
 

„Ruhig Blut Brauner“, kichert er. Irgendwie erinnert das mich an den einen Kannibalen aus Wrong Turn, der, der auch immer so hinterhältig gekichert hat. „Man, man, man… mit dir ist wohl nicht zu spaßen, was? Aber genau so, hat man mich dich auch beschrieben. Kampflustig, Beschützerich, aber auch Charmant – und wenn du etwas ganz besonders willst – sogar Manipulativ. Du bist mir verdammt ähnlich, weißt du das eigentlich? Auch wenn ich mich freiwillig niemals mit den Lightwoods abgeben würde.“
 

Schön ruhig bleiben, Jace. Wahre die Haltung und lass den einfach labern.
 

„Das so jemand wie dieser Alec sich überhaupt noch Schattenjäger nennen darf, bei seiner Vorliebe für Schattenweltler, ist mir echt schleierhaft. Aber naja. Ich muss mich mit den ja nicht abgeben.“ Das war es jetzt… Was zu viel ist, ist zu viel.
 

Blitzschnell greife ich nach den Schultern von Sebastian und drehe uns beide so, dass er mit dem Rücken an die Wand gepresst wird. Ich drücke ihm – noch nicht allzu fest – meinen angespannten Unterarm gegen die Kehle und knurre ich gefährlich an. Mein Blick ist mörderisch und wäre dieses Arschloch ein Dämon, so verspräche er auch endlose Qualen. Ich bin kurz davor ihm den Kehlkopf einzudrücken, da spüre ich plötzlich eine sanfte Hand, die auf meiner Schulter zum Liegen kommt. Ich drehe meinen Kopf etwas zur Seite und blicke erneut in ein grünes Augenpaar. Doch anders als bei Sebastian, strahlen sie Güte und sehr viel Liebe aus.
 

Mein Herz beginnt wie verrückt zu schlagen.


 

~*~*~ Valentins Trainingsmethoden ~*~*~
 

~ Jace ~

Noch immer bin ich wie gefesselt von den grünen Augen, die mich voller Wärme ansehen. Sie ziehen mich so in ihren Bann, dass ich, wie ferngesteuert, meinen Arm von Sebastians Hals nehme. Ganz langsam lasse ich ihn nach unten sinken, doch da wird er plötzlich ergriffen, von einer kalten und festen Hand. Bevor ich wieder Herr der Lage werden kann, spüre ich auch schon, wie ich ohne große Mühe über einen Rücken und gegen die Wand geschleudert werde, an die ich eben noch Sebastian Morgenstern gedrückt hatte. Luft weicht aus meinen Lungen, die ich durch hastiges schnappen wieder zurück drängen will.
 

„Jonathan nicht“, vernehme ich eine lieblich klingende Stimme. „Ich bitte dich Bruder, lass das.“
 

Ein roter Haarschopf drängt sich in mein Blickfeld, doch leider verschwindet er genauso schnell wieder wie er mir erschienen ist und wird durch Sebastians zorniges Gesicht ersetzt. Seine grünen Augen sprühen funken und er drängt mich dicht an die Wand ran. Mit seinem Gesicht kommt er meinem ganz nahe.
 

„Für heute lasse ich es dir noch einmal durchgehen“, zischt er mir ins Ohr. „Doch beim nächsten Mal lasse ich mich nicht von meiner Schwester davon abbringen dir zu zeigen, wer von uns beiden der Stärkere ist.“
 

Er entfernt sich einen Schritt von mir und das nutze ich sofort aus.
 

Niemand springt so mit mir um, erst recht nicht dieser arrogante Sack. Ich greife also nach seinem Arm, will ihn zurück zu mir ziehen, um gleich einmal klar zu stellen, dass ich keine Angst vor ihm habe und es ihm nur gelungen ist mich zu überrumpeln, weil ich von seiner Schwester abgelenkt war, doch leider ist er wieder schneller als ich. Er lässt seine Hand auf meinen Brustkorb schnellen und drückt mich ohne großen Kraftaufwand nach unten auf den Boden. Dann setzt er sich auf meine Hüften und hält mich unten fest. Ich versuche aufzustehen, oder mich wenigstens gegen ihn zu wehren, doch ich habe keine Chance gegen ihn. Verdammt! Wieso ist der Kerl so stark?
 

„Ich habe dich gewarnt“, zischt er gefährlich und beugt sich zu mir runter.
 

„Du sollst ihn in Ruhe lassen, Jonathan“, versucht seine Schwester mir erneut zu helfen, doch diesmal hört dieser Sack nicht auf sie. Mit seiner freien Hand drückt er sie zur Seite, was ihr einen kleinen Schmerzenslaut entlockt.
 

„Und mir wurde gesagt, dass du derzeit einer der besten jungen Schattenjäger sein sollst. Na, da ist dein Ruf dir wohl weiter voraus als er es in Wahrheit ist, hm. Oder aber…“ Er fasst sich mit der Hand, mit der er seine Schwester eben auf Abstand gehalten hat, an sein Kinn und reibt es widerwertig. Ich strample mit meinen Füßen, doch auch das bringt nicht, „…ich bin besser als ich dachte.“
 

Ich will ihm gerade Antworten, aber eine schneidende Stimme, die völlig überraschend im Gang ertönt, wirft mich völlig aus dem Konzept. Mit Freuden sehe ich, dass es Sebastian genauso ergeht.
 

„Ich will wissen, was das hier werden soll! Jonathan?“
 

Ein letztes Mal noch funkelt er mich wütend an, dann aber steht er von mir auf. Eine zarte Hand wird mir gereicht, die ich helfend annehme und mir von ihr aufhelfen lasse.
 

„Tut mir leid Vater, ich habe mich wohl zu sehr hinreißen lassen Jace zu zeigen, dass er nicht mehr der stärkste hier im Institut ist. Wird nicht wieder vorkommen.“ Oh Gott ich muss gleich kotzen!
 

Wie kann man sich nur so bei seinem eigenen Vater einschleimen? Das ist echt widerlich.
 

„Und was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen“, will Valentin von mir wissen. Ich hebe meinen Blick und sehe ihn zum ersten Mal richtig an.
 

Er ist groß, muskulös und strahlt, genauso wie sein Sohn, etwas Gefährliches aus – die Ähnlichkeit der beiden ist erschreckend. Das einzige was die beiden voneinander unterscheidet sind die Augen. Mit seinen schwarzen Iriden sieht Valentin mich durchdringlich an. Da wartet wohl einer auf eine Antwort.
 

„Ich habe überhaupt nichts zu sagen außer, dass sie ihrem Sohn ein paar Manieren beibringen sollten. Er ziemt sich nämlich nicht für einen Schattenjäger einen anderen, und erst recht nicht eine solch erhabene und alte Familie wie die Lightwoods in den Dreck zu ziehen. Ich werde nicht zulassen, dass er noch einmal so abfällig über meinen Parabatai redet.“ Und damit ist die Unterhaltung für mich beendet.
 

Ich setze mich in Bewegung und will an Valentin und Sebastian vorbeigehen, um nach Alec zu sehen, doch werde ich vom neuen Institutsleiter am Arm festgehalten und wieder zurückgezogen.
 

„Nicht so eilig mein Lieber“, ermahnt er mich. Sein eiserner Griff hält mich von immer gefangen. „Mein Sohn hat es bestimmt nicht so gemeint…“ Und ob er das hat, „also bitte, nimm seine Entschuldigung an.“
 

Missmutig blicke ich zu Valentin hoch.
 

„Das bezweifle ich zwar, aber gut. Und jetzt lassen sie mich bitte los. Ich muss zu Alec und mit ihm unseren Vorgang für die Untersuchung der Morde besprechen.“ Und außerdem halte ich es hier nicht mehr aus. Vor allem nicht in der Gegenwart von diesem Sebastian.
 

Die einzige Morgenstern-Gegenwart die ich akzeptiere, ist die von… von… Verdammt, wie hieß sie doch gleich? Cli…Clo...Clarissa. Genau. Clarissa Morgenstern.
 

„Ich fürchte das müssen sie fürs erste Verschieben“, sagt Valentin, der mich noch immer nicht losgelassen hat. Hat der etwa Angst ich würde ihm davonlaufen? „Meine Frau will mit ihnen reden! Clary…?“
 

„Ja Vater!“
 

„Führe Jace doch bitte zu ihr und dann suche Alexander auf. Ich warte auf ihn in der Waffenkammer!“
 

Was will Valentin denn von Alec? Und wieso soll er ihn ausgerechnet in der Waffenkammer treffen? Er will doch nicht… Nein. Das muss ich verhindern.
 

„Alec geht es momentan nicht so gut, also wenn sie vielleicht…“
 

„Das interessiert mich nicht“, unterbricht Valentin mich. Sein Griff lockert sich endlich und er lässt von mir ab. Seine Tochter Clarissa stellt sich neben mich und zupft etwas schüchtern an meinem Arm.
 

„Lass uns gehen, Jace!“
 

„Alexander ist der Älteste von euch Dreien und das bedeutet, dass er bei Missionen für euch verantwortlich ist“, fährt Valentin weiter fort. „Und nur wenn ich weiß, dass er seinen verantwortungsvollen Posten zu meiner vollsten Zufriedenheit ausführen wird, werde ich euch zusammen auf Dämonenjagd gehen lassen, nicht allein deswegen, weil meine Tochter euch ab heute immer begleiten wird.“ Bitte was?
 

Hastig drehe ich meinen Kopf zu meiner Rechten, wo Clarissa steht und immer noch meinen Arm festhält. Und ein Blick in diese wundervollen Augen reicht mir aus um zu erkennen, dass die Neuigkeit, dass sie ab heute zusammen mit uns auf Patrouillen gehen wird, auch für sie neu ist. Bevor sie, oder auch ich was dazu sagen können, fährt Valentin auch schon mit seiner kleinen Rede fort.
 

„Dennoch werde ich deinen Einwand, bei meinem Training mit ihm, berücksichtigen. Doch sei dir versichert, dass das nur eine Ausnahme ist. Und für die Zukunft, Jace… Ich kann es ganz und gar nicht leiden, wenn man meine Entscheidungen in Frage stellt. Und jetzt geht. Jocelyn wartet bereits auf dich!“
 

Erneut zupft Clarissa an meinem Arm und diesmal leiste ich keinen Widerstand. Ich folge ihr.
 

Auf dem ganzen Weg runter in den Keller, wo sich unsere Pathologie befindet, reden Clarissa und ich kein Wort miteinander. Aber ich werfe ihr immer mal wieder kurze Blicke zu, die sie allerdings nicht mitbekommt. Und ich muss wirklich zugeben, dass einfach alles an ihr wunderschön ist.
 

Ich glaube ich bin ihr jetzt schon verfallen.
 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
 

~ Alec ~

„Sie wollten mich sehen, Mr. Morgenstern?“
 

Ich habe keine Lust! Ich bin unmotiviert! Und ich fühle mich miserabel! Alles in allem, ist es also ein absolut schlechter Zeitpunkt, um ein Training zu absolvieren. Und dann auch noch mit Valentin Morgenstern, dem neuen Institutsleiter.
 

Wieso nur musste uns der Rat schon so schnell wen neues schicken? Mom und Dad sind gerade mal einen Monat tot und die alten Säcke haben nichts Besseres zu tun, als uns wen neues vor die Nase zu setzen. Und dann auch noch ausgerechnet die Morgensterns.
 

Vor ein paar Jahren habe ich von Mom mal erfahren, dass sie und Dad eine gemeinsame Vergangenheit mit den beiden Morgensterns haben. Und nachdem was sie mir so alles erzählt hat, sind sie nicht im Guten auseinander gegangen. Gerade darum verstehe ich nicht, wieso es ausgerechnet sie sind, die sie ersetzen. Aber vermutlich sollte ich einfach mal abwarten wie sie so sind. Es ist ja nicht nur einmal erst vorgekommen, dass Mom bei irgendwas vollkommen übertrieben hat. Obwohl… Wenn ich mir den großen und recht muskulösen Mann vor mir so ansehe, dann glaube ich schon, dass Mom mit dem was sie über ihn gesagt hat, auch Recht hatte. Er sieht nämlich wirklich nicht sehr nett und verständnisvoll aus. Vielmehr macht er auf mich den Eindruck, dass er streng und absolut skrupellos ist. Und genau das, kann ich im Moment wirklich nicht gebrauchen.
 

„Das wurde aber auch Zeit, Alexander.“
 

Ich heiße Alec, will ich ihm entgegenschmettern, doch ich lasse es lieber. Denn der Blick mit dem Valentin Morgenstern mich gerade ansieht, verspricht nichts Gutes. Überhaupt nichts Gutes.
 

„Verzeihen Sie! Es wird nicht wieder vorkommen!“ Naja. Vielleicht aber auch doch. So wie ich derzeit drauf bin, kann ich eigentlich für nichts garantieren.
 

Sein strenger und nicht durchschaubarer Blick liegt auf mir. Ich bin völlig unfähig mich zu bewegen und so lasse ich geschehen, dass er mich wie ein lauernder ein verletztes Tier, umrundet und begutachtet.
 

Ich hasse ihn jetzt schon.
 

„Ich will, dass sie zusammen mit meinem Sohn eine Trainingsstunde absolvieren, Alexander. Denn in den zukünftigen Missionen, werden sie sich stets abwechseln, was die Führung des Teams angeht“, haucht er in mein Ohr. Er steht hinter mir, was bei mir eine Gänsehaut verursacht.
 

So nah war ich seit Moms und Dads tot niemanden mehr. Und es gefällt mir überhaupt nicht.
 

Ich entferne mich zwei Schritte von Valentin und konzentriere mich stattdessen auf seinen Sohn, der mit verschränkten Armen an einem der Waffenschränke angelehnt steht und mich stumm mustert.
 

Die Ähnlichkeit zu seinem Vater ist erstaunlich. Man könnte glatt meinen, dass sie ein und dieselbe Person wären, nur dass er halt gut zwanzig Jahre jünger ist. Die Gänsehaut, die meinen Körper überzog, seit Valentin mir so nah war, klingt nicht ab. Im Gegenteil…
 

„Ich werde weder eingreifen, noch euch vorschreiben mit welchen Waffen ihr kämpft“, fährt Valentin fort. „Mit diesem kleinen Training will ich einerseits herausfinden wie gut du bist…“
 

„Oder schlecht“, wirft Valentins Sohn gehässig ein. Er grinst mich diabolisch an. Ich erwidere seinen Blick, auch wenn meiner keinerlei Gefühlsregung zeigt.
 

„…und auf der anderen Seite, was ich dir noch alles beibringen muss. Doch so wie ich deine Eltern kenne… wird letzteres wohl überwiegen. Maryse und Robert waren ja noch nie die größten Kämpfer.“ Das hat er jetzt nicht gesagt.
 

Ich balle meine Hände zu Fäusten und beiße meine Zähne zusammen. Niemand redet so mit meinen Eltern und kommt ungestraft davon.
 

Ohne großartig nachzudenken, greife ich nach einem der Messer, die auf dem Tisch neben mir herumliegen und werfe es in Valentins Richtung. Es fliegt durch die Luft und streift kurz darauf dessen Wange. Es entsteht ein kleiner Schnitt, aus dem ein erster Blutstropfen fließt. Mit einem Finger fährt Valentin die Wunde nach und besieht sich dann sein eigenes Blut.
 

„Zumindest brauche ich dir nicht mehr beizubringen wie man mit Messern umgeht – Gut!“, ist alles, was er zu meinem Angriff auf ihn zu sagen hat.
 

Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie sein Sohn sich vom Waffenschrank entfernt und nach einer Partisane greift, die an der Wand hängt. Er reißt sie von der Verankerung und schmeißt sie mir zu. Und kaum das ich sie gefangen habe, schnellt er auch schon auf mich zu.
 

Mit unglaublicher Kraft drischt er auf mich ein, sodass ich nichts weiter tun kann, als zu parieren – damit er mich nicht trifft.
 

Ich weiß nicht wie lange das so weitergeht, aber es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Ich bin so gut wie am Ende. Meine Kraft verlässt mich und meine Beine geben immer mehr nach. Mein rechtes Knie berührt den Boden und erste Schweißperlen tropfen auf eben dieses. Meine Hände, die die Partisane über meinen Kopf festhalten, zittern und geben ebenfalls langsam nach.
 

Schwerfällig schnappe ich nach Luft und sehe nach oben, in das grinsende Gesicht von Valentins Sohn.
 

„So schwach wie du bist“, grinst er mich heimtückisch an und blitzschnell – ich habe es nicht kommen sehen – tritt er mit seinem rechten Fuß, meinen linken zur Seite, sodass ich unter ächzen zu Boden gehe. Er lässt seine Seraphklinge nach unten schnellen und bohrt sie in den Ärmel meiner Trainingsmontur. Mit meinem freien Arm will ich sie herausziehen, doch gekonnt verhindert er, Valentins Sohn – dessen Namen ich vergessen habe – dies, indem er einen seiner Füße auf ihn stellt. Er beugt sich zu mir runter, und flüstert mir ins Ohr: „Ich kann nicht verstehen wieso Jace ausgerechnet dich als seinen Parabatai ausgewählt hat.“
 

Knurrend versuche ich mich dieser Nähe zu entziehen, die ich einfach nicht ertragen kann. Mein Herz schlägt wie verrückt in meiner Brust – ich habe das Gefühl es springt gleich heraus – und das führt dazu, dass jetzt nicht mehr nur meine Arme, sondern mein kompletter Körper zu zittern beginnt.
 

Ich halte es nicht aus.
 

„Das reicht, Jonathan“, höre ich Valentins gelangweilte Stimme. „Lass ihn aufstehen!“
 

Jonathan – endlich weiß ich wie er heißt – geht von mir runter und sieht nun von oben auf mich herab. Schwerfällig komme auch ich auf die Beine – sie zittern und ich habe das Gefühl, als würde ich sofort wieder zu Boden gehen, doch ich reiße mich zusammen. Ich gehe zwei-drei Schritte und stütze mich mit meiner rechten Hand an einer Wand ab. Noch immer habe ich Probleme beim Atmen.
 

„Er ist sowas von schwach, Dad!“, sagt Jonathan und lacht dabei gehässig. „Und ihm willst du das Leben meiner Schwester anvertrauen? Also ich an deiner Stelle würde…“
 

„Du bist aber nicht an meiner Stelle, Jonathan“, unterbricht Valentin seinen Sohn. Schadenfreude macht sich in mir breit. Und das ist ein gutes… ein gutes… Wie nennt man das nochmal? Ich weiß es nicht. Aber das stört mich auch nicht. Aber sollte es das nicht eigentlich? „Und jetzt macht euch beide bereit! Es geht gleich weiter!“
 

So langsam legt sich meine Atemnot wieder und ich mache mich bereit. Bereit für eine zweite Runde.
 

Ich bin fix und fertig! Ich kann mich kaum mehr auf den Beinen halten. Und so wie mich Jonathan ansieht, weiß er das auch, denn das grinsen welches sein Gesicht ziert, will einfach nicht verschwinden. Erneut greift er nach der Partisane, die auf dem Boden, vor seinen Füßen liegt und schmeißt sie mir wieder entgegen.
 

Wie auch schon vorhin fange ich sie auf. Doch diesmal bin ich derjenige, der zuerst angreift.
 

Ich stürme auf Jonathan drauf zu, doch kurz vor ihm weiche ich aus und drehe mich so, dass er nun mit dem Rück zu mir steht. Ich schlage zu, doch leider Gottes schafft es Jonathan meinem Angriff auszuweichen, sodass er nun hinter mir auftaucht. Er nimmt mich in den Schwitzkasten und drückt mir seiner Seraphklinge gegen den Hals. Wieder ist es ihm gelungen mich zu schlagen. Und das ärgert mich gewaltig.
 

„Und wieder versagt!“, lacht Jonathan, doch er lässt mich nicht los. Reicht es ihm denn nicht?
 

Ich höre Valentin näher kommen und schon schiebt sich sein weißblonder Haarschopf in mein Blickfeld. Ich stehe also eingekesselt und noch dazu völlig hilflos, zwischen zwei Morgensterns.
 

„Wir werden in der Tat noch einige Zeit mit Training verbringen müssen. Ich wusste ja das du nicht allzu gut bist…“
 

„War zu erwarten von jemanden, der noch nie einen Dämon getötet hat“, mischt sich wieder einmal Jonathan ein. Was hat der Kerl nur gegen mich?
 

„Da du ja so viel weißt, weißt du mit Sicherheit auch, dass ich die meiste Zeit Jace und Izzy den Rücken decke“, zische ich, was Jonathan allerdings dazu veranlasst, mir seine Klinge fester gegen den Hals zu drücken. Ich röchle und versuche ihn mir vom Hals zu halten. Ironie lässt grüßen.
 

„…doch für so schlecht hätte ich dich dennoch nicht gehalten“, fährt Valentin ungeniert fort. „Das heißt dann wohl, dass mein Sohn fürs erste die Missionen leiten wird und wir zwei… sehr viel Zeit fürs Training investieren müssen. So schlecht wie du bist, werde ich dich jedenfalls nicht nach draußen lassen.“
 

Valentin gibt seinem Sohn ein stummes Zeichen, woraufhin er mich sofort loslässt. Wieder einmal schnappe ich nach Luft. Ich könnte mich selber… Ich meine ich wusste ja das ich niemals an Jace heranreichen werde, aber das ich es nicht mal schaffe mehr als fünf Minuten gegen diesen Jonathan standzuhalten, das ist kein gutes… und wieder suche ich nach dem richtigen Wort. Wieso kann ich mich nicht mehr daran erinnern und wieso… wieso fühle ich mich so…
 

„Erteilen wir ihm eine weitere Lektion, Dad?“, erklingt die belustigte Stimme von Jonathan. Er kickt die Partisane mit seinen Füßen von sich und greift gleichzeitig nach einem Messer. Ich folge jedem seiner Handlungen und stelle fest, dass es jenes Messer ist, welches ich vorhin nach Valentin geworfen hatte – Blut klebt an der Spitze der Klinge.
 

„Also gut. ich gebe dir eine letzte Chance, Alexander“, sagt Valentin.
 

„Mein Name ist Alec“, korrigiere ich Valentin nun doch und stürze mich, ohne eine Waffe in der Hand zu halten, auf Jonathan. Mir ist klar dass ich keine Chance gegen ihn haben werde, aber ich will mir hinterher nicht nachsagen lassen, ich wäre ein Feigling. Denn genau das ist es, was zumindest Jonathan von mir denkt.
 

Dem werde ich es zeigen!
 

~*~*~*~
 

Ich schlage meine Augen auf und staune nicht schlecht, als ich mich in der Krankenstation wiederfinde. Was ist passiert?
 

Ich kann mich an nichts erinnern.
 

„Na endlich!“ Jace. Er beugt sich über mich und strahlt mich aus seinen goldenen Augen an. Am liebsten würde ich diesen Blick erwidern, aber ich weiß nicht wie das geht. Ich fühle absolut nichts im Moment. So richtig fühle ich seit Moms und Dads Tod nichts mehr. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, Alec.“ Kaum ausgesprochen, verändert sich sein Blick von, ich nehme an besorgt, zu wütend. Ja! Diesen Blick kenne ich. Das ist es, was ich… Ich schüttle meinen Kopf und frage:
 

„Was… Was ist passiert?“ Ich will mich nicht an dieses eine Wort klammern, welches ich nicht mehr auszusprechen vermag. Welches mir einfach nicht mehr geläufig ist. Es ist besser für mich, wenn ich meine Gedanken in eine andere Richtung lenke. Außerdem will ich wissen wieso ich hier bin. Das letzte woran ich mich erinnere ist, dass mich auf Jonathan stürzte. Was danach passiert ist, weiß ich nicht.
 

Eine Welle des Schmerzes jagt durch meinen Körper und ich kneife aufkeuchend meine Augen zu. Ich kann mich nicht daran erinnern, schon einmal solch einen Schmerz gespürt zu haben.
 

Jace nimmt sich einen Stuhl an mein Bett und setzt sich rücklings auf diesen. Seine Arme stütz er auf die Lehne. Dann sieht er zu mir runter. Er holt kräftig Luft.
 

„Ich war zusammen mit Clary bei Jocelyn. Wir haben uns die beiden Leichen angesehen, als ich aus heiterem Himmel einen unsäglichen Schmerz in meiner Brust spürte. Mir war sofort klar, dass du verletzt sein musst und so rannte ich los. Von Valentin selber wusste ich ja, dass du in der Waffenkammer sein müsstest, immerhin wollte er dich dort treffen. Und als ich dann endlich dort ankam – es kam mir wie eine Ewigkeit vor, vor allem wegen der Schmerzen sie sich durch meinen Körper fraßen – da sah ich Sebastian. Er stand über dich gebeugt und lachte hämisch, während er ein Messer in deine rechte Schulter versenkte. Ehrlich man, nie habe ich gesehen, wie jemand der kein Dämon ist, solche Freude daran hatte einen wehrlosen zu quälen. Ich meine, du warst ja nicht mal bei Bewusstsein.“ Jace schüttelt den Kopf und holt noch einmal Luft. Dann hebt er seine rechte Hand und fährt damit durch meine Haare. Sofort zucke ich zusammen und rucke etwas von deiner liebevollen Berührung fort. In deinen Augen sehe ich, dass dich das verletzt. Doch ich kann nicht anders.
 

Es tut mir so leid!


 

~*~*~ Erster Verdacht ~*~*~
 

~ Izzy ~

„Ich danke dir, Izzy!“ Lukes Hand auf meiner Schulter fühlt sich warm an. Ich lege meine auf seine, drehe meinen Kopf zu ihm und schenke ihn dann ein ehrliches Lächeln.
 

Es tut mir gut anderen zu helfen, denn irgendwie hilft auch mir mit meiner Trauer umzugehen. Immerhin weiß ich sehr gut wie man sich fühlt, wenn man sich alleingelassen fühlt.
 

„Ich freue mich wenn ich ihr etwas helfen konnte“, erwidere ich und blicke auf die schlafende Person vor mir. „Auch wenn das den Verlust der Tochter nicht ausgleicht.“
 

„Sei nicht so bescheiden, Izzy. Du hast ihr wirklich sehr geholfen. Na komm. Lassen wir sie schlafen und gehen nach oben in mein Geschäft.“ Luke setzt sich in Bewegung und ich folge ihm wortlos. Hoffentlich hat Magnus keine Kunden von Luke vergrault, falls welche in dessen Abwesenheit im Laden waren. Sein Auftreten kann für manche immerhin… sehr exotisch sein – sagen wir es mal so.
 

Ich kann mich noch sehr gut an unser erstes Aufeinandertreffen erinnern. Jace, Alec und ich betraten seine Wohnung, in der er eine seiner Weltbekannten Feiern abhielt – Offiziell natürlich. Wir waren nicht zum Spaß dort, was ich äußerst schade fand, denn ich hatte schon zuvor, viel von den Exklusivpartys des Hexenmeisters gehört. Aber naja. Nephilim wie wir, hätten niemals eine Einladung erhalten, zumindest nicht als Gäste.
 

Wir betraten die Wohnung von Magnus, Obersten Hexenmeister von Brooklyn, in der sich Werwölfe, Vampire und Hexenmeister mit Trinks, Snacks und lauter Musik versammelt haben, um miteinander Spaß zu haben. Am verblüffendsten war, dass es keinen Streit zwischen Vampiren und Werwölfen gab, die sich ja eigentlich aufs Blut nicht ausstehen können. Doch trotz des recht gesitteten Miteinander, sollten wir für Ordnung sorgen, nicht zuletzt, weil unter den Vampiren, ein paar Anführer anderer Clans waren und der Gastgeber sowie der Rat so zu verhindern versuchten, dann ein Blutbad veranstaltet wird. Denn der Hass auf andere Vampirclans ist fast größer, als der gegen Werwölfe – wie Paradox.
 

Wir verschafften uns einen ersten Überblick und dann kam er – Magnus Bane. Jace und mir fiel die Kinnlade nach unten. Wir hatten zwar schon viel über ihn gehört – wer hat das auch nicht – aber mit einem, von oben bis unten mit Glitter übersäten Hexenmeister, hatten wir dennoch nicht gerechnet. Und dann sah der Kerl auch noch so unverschämt heiß aus. Schwarzer Anzug mit weißem Hemd drunter, dessen obere vier Knöpfe offen standen, sodass man einen wunderbaren Blick auf seinen Brustkorb werfen konnte. Er sah einfach zum Anbeißen aus. Und hätte ich die Blicke nicht gesehen, mit denen er Alec den ganzen Abend versehen hatte, dann hätte ich ihn definitiv angegraben. Ach was soll ich sagen – ich habe einfach was übrig, für die Bösen Jungs. Und dazu zählt Magnus auf alle Fälle.
 

„Du hast merkwürdige Kunden“, plappert Magnus fröhlich. Er hält ein Buch in der Hand, auf dem ein Känguru, ein Pinguin und ein junger Mann abgebildet sind. „Ich kann nicht verstehen wie man sowas lesen kann.“
 

Luke reißt Magnus das Buch aus der Hand und stellt es zurück ins Schaufenster.
 

„Ich mag es. Irgendwie erinnert mich das Känguru an dich. Vorlaut, muss immer das letzte Wort haben und ist für jede Schandtat zu haben. Außerdem bezahlt es nicht gerne, und schnurrt sich lieber überall durch. Ich glaube ich brauche nicht weiter zu reden, oder?“
 

„Nein!“
 

„Gut! Und jetzt lasst uns bitte zum Grund unseres Treffens kommen“, fährt Luke fort, schließt seinen Laden ab und dreht das Geschlossen Schild nach außen. Dann führt er uns zu einer kleinen Leseecke, wo wir uns auf die dortigen Stühle setzen. „Das ist jetzt das fünfte Paar, welches so ermordet wurde. Nachdem das mit Maryse und Robert war, hatte ich eine gemeinsame Verbindung feststellen können und...“ Luke sieht mich an. Und irgendwas an seinem Blick lässt mich innerlich zittern.
 

„Was ist los?“, will ich von ihm wissen. „Du musst wirklich keine Rücksicht auf mich nehmen, Luke. Mom und Dad sind tot, ja, aber ich komme damit klar.“ Lüge. „Wirklich!“, sage ich mit Nachdruck. Ich sehe Magnus und Luke mit erhobenen Hauptes an. Und das, obwohl mir innerlich zum Heulen zu Mute ist. Doch ist kann es mir nicht erlauben jedes Mal einen Zusammenbruch zu erleiden, wenn meine Eltern erwähnt werden. Wie soll ich so denn ihren Mörder aufspüren? Eben – Gar nicht und genau deswegen, darf ich mir meine Trauer nicht ansehen lassen. Ich bin immerhin eine Schattenjägerin und da ist nun mal der Tod ein ständiger Begleiter.
 

„Diese Verbindung gefällt mir gar nicht“, fährt er Luke ohne Umschweife fort. Dankend lächle ich und höre ihm zusammen mit Magnus interessiert weiter zu. „Wisst ihr…“ Er macht eine kurze Pause um sich zu sammeln, „wir waren früher alle Freunde, sozusagen – abgesehen von Brian und Silvana, wie die ins Bild passen sollen weiß ich noch nicht –, aber die ersten beiden Opfer Tristan und Oriana, dann Hanna und Erika, deine Eltern, Maryse und Robert und zu guter Letzt…“
 

„Warte mal kurz“, unterbricht Magnus, Luke. „Das dritte Opfer war doch aber ein Hexenmeister und dessen Mundie-Freundin, oder?“ Luke und ich nicken. „Komm schon Luke, willst du wirklich behaupten, dass Valentin sich mit einem Schattenweltler angefreundet hat? Das ist unmöglich. Du weißt selber wie sehr er uns hasst. Und dann ausgerechnet so jemand wie Quentin. Der hat schon immer Null Respekt vor den Schattenjägern gehabt, was seinem jungen Alter zu verschulden war. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“
 

„Aber genau deswegen ja, Magnus“, sagt Luke mit fester Stimme. „Du weißt dass Valentin sich immer unsichere und missverstandene Schattenjäger, sowie Außenseiter gesucht hat, die sich für ihn später als sehr hilfreich herausstellen würden. Er brauchte niemanden der ihn und seine Bitten – Befehle – in Frage stellt. Nur Marionetten, die er nach seinen Vorgaben formen konnte. Demnach waren sowohl wir, als auch Quentin, perfekt. Wir taten einfach alles für ihn.“
 

„Moment mal. Warte mal kurz“, stammle ich. „Valentin und meine Eltern waren… Freunde?“
 

„Das dachten sie zumindest. Genauso wie der Rest… und ich. Genaugenommen dachte ich immer, dass Valentin mein bester Freund sei. Aber das stimmte nicht und das sollte ich Jahre später, schmerzhaft erfahren.“
 

„Was ist passiert?“ frage ich mitfühlend.
 

So habe ich Luke ja noch nie gesehen. So zerbrechlich und… verletzlich.
 

„Ich habe mich in Jocelyn verliebt, doch die… die war mit Valentin zusammen. Und das ich was mit seiner Freundin hatte, passte ihm gar nicht. Er…“ Luke macht eine Pause. Er steht auf und keine Sekunde später, ist in der Wand neben ihm, eine kleine Kuhle. Er hat mit seiner Faust ein Loch in die Wand geschlagen.
 

Verunsichert sehen Magnus und ich uns an. Und gerade als Magnus Luke fragen will was mit ihm los ist – was für ein Gedanke ihm gerade kam – klingelt mein Handy. Es ist Jace.
 

Ich gehe ran.
 

„Was gibt es?“, frage ich, lasse Luke dabei aber nicht aus den Augen. Der läuft wie ein wilder Tiger – pardon Werwolf – auf und ab. Ich frage mich echt was jetzt noch erschreckendes kommen soll, nach der Information, dass meine Eltern mit Valentin Morgenstern befreundet waren.
 

„Du musst sofort ins Institut zurückkommen, Izzy. Und bringe Magnus mit. Es geht um Alec.“ Ich fühle mich, als wenn mein Herz stehenbleibt.
 

Dieser eine Satz: Es geht um Alec, der löst etwas in mir aus, was mich paralysiert. Ich bin unfähig mich zu bewegen. Unfähig einen klaren Gedanken zu fassen und unfähig zum Atmen.
 

Alec ist verletzt!
 

Alec ist tot!
 

Ich habe jetzt auch noch meinen großen Bruder verloren!
 

Nein! Das kann nicht sein! Jace hätte doch gesagt wenn… wenn es so wäre. Oder?
 

Sanft wird mir das Handy aus der Hand genommen. Wie aus weiter Ferne vernehme ich Stimmen – Luke und Magnus. Dann wird alles um mich herum dunkel und ich sacke zusammen.
 

~*~*~*~
 

„Izzy!“
 

„Izzy!“
 

Immer und immer wieder höre ich jemanden nach mir schreien. Ist es Magnus? Jace? Alec? Ich kenne die Stimme, dennoch weiß ich nicht wer mich bei meinem Spitznamen ruft.
 

„Izzy!“ Da… Da ist sie wieder. Diese sanfte, besorgt klingende Stimme. „Izzy!“
 

„Warum wacht sie nicht auf?“
 

„Sie ist total übermüdet, Jace. Wer weiß wann Isabelle das letzte Mal, ca. acht Stunden am Stück durchgeschlafen hat.“
 

„Also ist es nur Übermüdung, ja?“
 

„Das, und die Sorge um Alec. Wir müssen unbedingt mit ihm reden, so kann das jedenfalls nicht mehr weitergehen.“
 

Magnus und Jace also. Ihre Stimmen sind es, die ich abwechselnd höre. Sie machen sich sorgen um mich. Ich muss aufwachen. Ich muss ihnen zeigen dass es mir gut geht. Dass sie sich um mich nicht sorgen müssen.
 

Krampfhaft versuche ich meine Augen zu öffnen. Erst das rechte, dann das linke. Sie sind schwer, doch nach mehrmaligem versuchen schaffe ich es. Sie sind offen und ich blicke in zwei erleichterte Gesichter.
 

„Es-ist-alles-ok!“
 

„Nein! Aber das ist ok!“ Magnus.
 

„Ruh dich noch etwas aus, Izzy!“ Jace. Er streichelt meine Wange.
 

„Ich werde bei ihr bleiben und auf sie aufpassen!“ Doch wer ist das?
 

Ich drehe meinen Kopf etwas nach links. Dort steht ein rothaariges Mädchen, schätzungsweise in meinem Alter und lächelt mich sanft an. Ihre grünen Augen strahlen Güte aus und so schließe ich beruhigend wieder meine Augen.
 

Schlafen! Ja. Das hört sich gut an.
 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
 

~ Clary ~

Mit wachem Auge wache ich über Isabelle Lightwood. Diese kleine Pause hier, kann sie wirklich sehr gut gebrauchen, vor allem wenn es stimmt, das sie pro Nacht, weniger als drei Stunden schläft und das seit dem Tod ihrer Eltern. Ich kann nur sagen, dass mir die ganze Familie Lightwood unendlich leidtun. Ich will mir gar nicht ausmalen jemanden aus meiner Familie zu verlieren – nicht mal Jonathan.
 

Ich frage mich echt was in letzter Zeit mit ihm los ist. Dass er so auf Alexander losgegangen ist, ist mir einfach unbegreiflich, genauso wie Dad nur daneben stehen und zusehen konnte. Dabei hat Jace ihn extra noch darum gebeten nicht zu Hard zu seinem Bruder zu sein. Und Dad… der hat ihn glatt angelogen. Eigentlich hätte mir das sofort klar sein müssen. Immerhin ist er Niemand, der andere mit Samthandschuhe anfasst, egal was sie gerade durchmachen.
 

Die Tür zur Krankenstation geht lautstark auf. Ich brauche nicht hochzuschauen um zu wissen, dass es Jonathan ist, der mit schweren Schritten an das Krankenbett tritt, vor dem ich sitze. Herablassend blickt er auf die blasse, schwarzhaarige Gestalt.
 

„Noch ein schwacher Lightwood!“, sagt er gehässig und legt mir eine seiner großen, schweren Hände auf die Schulter. „Ernsthaft, besteht die ganze Familie nur aus Schwächlingen?“
 

„Hör auf!“, fahre ich meinen Bruder an. Wie kann er nur so über sie reden, wo er sie doch gar nicht kennt? So kenne ich ihn nicht.
 

Zu mir ist er stets hilfsbereit, zuvorkommend und charmant. Er trainiert sogar mit mir und macht mich stärker, hat zusätzlich stets ein Auge auf mich und passt auf mich auf. Sicher, zu den Kids in der Akademie war er immer streng, vor allem beim Training, aber dennoch… er war stets gerecht. Wieso also ist er jetzt so zu den Lightwoods? Gibt es irgendetwas, was man mir nicht erzählt hat? Eine Verbindung?
 

Doch selbst wenn… das ist noch lange kein Grund so herablassend auf jemanden zu schauen, der verletzt ist und vor gerade mal einem Monat, seine Eltern verlor.
 

„Dabei hörte ich in Idris, dass Isabelle eine der besten jungen Schattenjägerinnen ist“, fährt er gefühllos fort. „Man sollte alle drei verb…“
 

Ich schlage Jonathans Hand von meiner Schulter und stehe ruckartig auf. Mit zornigem Gesicht – das kommt nicht sehr häufig vor – verpasse ich ihm eine saftige Ohrfeige. Sofort reißt er seine Augen auf und macht sich bereit zurückzuschlagen, als ein dunkles Räuspern ihn davon abhält.
 

„Ich hoffe du wolltest nicht gerade deine Schwester schlagen, mein Sohn“, Dads Stimme hört sich gefährlich an. Gemeinsam drehen wir uns ihm zu. „Was machst du überhaupt hier? Sagte ich dir nicht, dass du weiter trainieren sollst, Jonathan?“
 

„Ich wollte nur nach Clary sehen, Vater“, begründet er sein hier bei mir sein.
 

„Es interessiert mich nicht was du wolltest, Jonathan. Tue einfach was ich von dir verlange und was dich betrifft, Clarissa…“ Augenblicklich trifft sein eindringlicher Blick mich. „Hilf deiner Mutter bei der Untersuchung der Leichen. Die ersten beiden Opfer sind eben reingekommen.“ Mit diesen Worten dreht er sich um und verlässt auch schon wieder die Krankenstation. Und ich dachte, er will nach Isabelle schauen. Das wäre ja eigentlich seine Aufgabe, so als Leiter dieses Instituts. Aber vermutlich lässt er solche Sachen Mom erledigen. Typisch Dad.
 

„Na dann gehe ich mal“, sagt Jonathan, vergräbt seine Hände in seinen Hosentaschen und verlässt, nicht ohne Isabelle einen letzten missbilligen Blick zuzuwerfen, ebenfalls die Krankenstation.
 

Ich seufze erleichtert auf.
 

Seit wir hier sind, verhalten die beiden sich so komisch. Ich kann mir einfach nicht helfen, aber ich glaube, dass das an den Lightwoods liegt, auch wenn ich ihnen nicht die Schuld geben will.
 

Ich schiebe den Stuhl, auf dem ich bis eben saß, zurück an seinen Platz. Mit dem Vorsatz herauszufinden was zwischen meinem Vater und Robert und Maryse Lightwood vorgefallen ist, verlasse auch ich die Krankenstation.
 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
 

~ Jace ~

„Was mag das wohl bedeuten?“
 

„Ich habe keine Ahnung, Jace, aber wir werden Luke bei Gelegenheit noch einmal drauf ansprechen. Am besten gleich heute Abend. Er weiß definitiv wieso eure Eltern ermordet wurden.“ Magnus erhebt sich und streift seinen Mantel glatt. „Und die anderen“, fügt er rasch hinzu.
 

„Alles hängt mit Valentin zusammen“, widerhole ich Magnus Worte vom Beginn unserer Unterhaltung. Wir sind in mein Zimmer gegangen, nachdem Alec uns nicht in seines gelassen hat. „Und ausgerechnet den setzt man uns vor“, knirsche ich mit den Zähnen.
 

„Tust du mir einen Gefallen, Jace.“
 

„Klar. Ich tue alles… Nun ja, fast alles zumindest.“ Es gibt gewisse Dinge, die ich niemals machen würde.
 

„Gib bitte weder Valentin noch Jonathan, einen Grund, Alec noch einmal so zu verletzen“, die letzten Worte hat er kaum herausbekommen und das macht mir Angst. So kenn ich Magnus nicht.
 

Seit ich ihn kenne, hat er stets die Haltung bewahrt und war so etwas wie unser Fels in der Brandung, vor allem für Alec. Ihn jetzt so zu sehen, so flehend, tut mir in der Seele weh.
 

Ich überbrücke die wenigen Meter die uns voneinander trennen, und umarme unseren Glitter-Hexenmeister. Unter normalen Umständen würde ein Jace Herondale, Jace Lightwood, das niemals tun, doch das hier ist kein normaler Umstand. Das hier ist ein Gottverdammter Notfall.
 

„Darauf kannst du dich verlassen“, sage ich und drücke ihn noch ein wenig fester an mich. Ich höre Magnus Stark Luft holen, dann trennt er meine Hände von seinem Rücken.
 

„Ich werde dich dran erinnern“, sagt Magnus und fängt sich dann auch sofort wieder. Selbstbewusst steht er somit vor mir. Und genau so will ich ihn haben.
 

„Mach das. Und ähm… noch etwas Magnus. Sollte es dieser miese, schleimige und hinterhältige Mistkerl erneut wagen, Alec zu verletzen, bringe ich ihn eigenhändig um.“
 

Und das ist ein Versprechen!
 

~*~*~*~
 

„Sie wollten mich sprechen?“
 

Wie ein gehorsamer Krieger, stehe ich in unserer hauseigenen Pathologie und beobachte Jocelyn Morgenstern dabei, wie sie die Leiche es Hexenmeisters Quentin sowieso untersucht. Seinen Nachnamen weiß ich nicht, bin mir aber auch nicht sicher, ob er überhaupt einen hat. Jeder ihrer Handgriffe sitzt, mit der sie das Gehirn des jungen Mannes in eine Schale legt und sie dann ihrer Tochter reicht, die sie beiseite packt.
 

„Ja danke.“ Sie sieht sich kurz um. „Wo ist Magnus Bane?“
 

„Bei Alec“, sage ich kurz und knapp. Und mit dieser Antwort scheint sie zufrieden zu sein.
 

„Nun. Ich habe ein interessantes Detail herausgefunden, was uns aber leider Gottes weitere Rätsel aufgibt“, sagt Jocelyn und sieht mich dabei an. Mit demselben Blick, mit dem mich Clarissa vor wenigen Stunden angesehen hat, als wir gemeinsam Alec auf die Krankenstation gebracht haben. Das bedeutet also, das Jocelyn irgendwas herausgefunden hat, was uns, also Izzy, Alec, Max, Magnus und mich, schockieren wird. Na super!
 

„Sagen sie mir einfach was es ist“, seufze ich und fahre mir einmal durch die blonden Haare. „Egal was es ist.“
 

Jocelyn wäscht sich die Hände und gemeinsam begeben wir uns an den großen runden Tisch, der inmitten der Pathologie steht und auf dem etliches ekelerregendes Material der Obduktion rumliegt. Mein Magen knurrt laut.
 

„Ups!“, entfährt es mir. Wie peinlich.
 

Kopfschüttelnd und leicht amüsiert über mich, kramt Jocelyn die Bilder, von den beiden letzten Opfern, die Clarissa wohl gemacht haben muss, während ihre Mutter die Leichen aufgeschnitten und untersucht hat, hervor. Silvana Johnson und Brian Clambert. Hoffentlich knurrt mein Magen nicht wieder – bei dem Anblick der sich uns dreien bietet, wäre das alles andere als nur Peinlich… es wäre gestört. Ich meine wer bitte schön bekommt bei offenen Gedärmen und so, Appetit? Nur Menschen die nicht ganz normal sind – Psychopathen, wie zum Beispiel Jonathan.
 

Mit wieder ernster Miene, schiebt sie mir die Bilder mit der wohl tödlichen Wunde zu. Ich sehe sie mir ganz genau an.
 

„Seit ihr euch sicher“, frage ich erschrocken, wegen dem, was mir gerade klar geworden ist. Jocelyn und Clarissa nicken synchron. „Und bei den anderen?“ ich lasse mir selber eine kleine Pause. „Bei Robert und Maryse?“
 

Sofort holt Clarissa die dazugehörigen Bilder hervor und reicht sie mir.
 

„Es tut mir leid“, sagt sie dabei und sieht mich mitleidig an.
 

Ich reiße ihr die Bilder regelrecht aus der Hand und sehe sie mir an. Ich lasse kein einziges Detail weg, auch wenn mich die Bilder alles andere als kalt lassen. Ich muss es einfach wissen.
 

„Sieh dir die Wunden in aller Ruhe an, Jace, auch wenn es schmerzt. Und egal wie unwirklich dir das vorkommen mag. Sieh sie dir genau an. Dann die der anderen, und du wirst es erkennen. Es ist kein Einzelfall. Jeder der Toten… die Frauen, die Männer, alles sind sie auf die gleiche Art und Weise ermordet wurden.“
 

Ruckartig hebe ich meinen Kopf. Sehe Clarissa und ihre Mutter mit offen stehendem Mund an. Das kann doch alles nicht wahr sein. Dann lasse ich die Bilder fallen und renne.
 

Renne die Stufen nach oben. Renne an der Krankenstation vorbei. Renne dabei Izzy beinahe um den Haufe, die sich beschwert. Doch ich bleibe nicht stehen um mich zu entschuldigen und zu erklären. Das muss ich auch nicht, denn ich weiß, dass sie mir folgen wird.
 

Ich renne immer weiter, bis ich vor Alecs Tür ankomme. Sofort reiße ich die Tür auf. Ich höre Geräusche aus dem Bad und stürme ohne nachzudenken rein. Im Türrahmen bleibe ich einen Moment stehen und beobachte. Alec sitzt in ungemütlicher Haltung in seiner Dusche. Er liegt in Magnus Armen und weint, fest an dessen Brust gedrückt.
 

Ich sollte jetzt gehen.
 

Ich sollte die beiden alleine lassen.
 

Ich sollte…
 

Hinter mir höre ich Izzy stark die Luft anhalten. Sie ist wohl geschockt von dem Bild vor uns. Sie drängt sich an mir vorbei und endlich kommt wieder Leben in meine Glieder. Ich stoße sie unsanft zur Seite – erneut – und hocke mich statt ihrer vor Alec und Magnus. Dann reiße ich ihn, meinen besten Freund, meinen Parabatai, meinen Bruder, grob an mich, sodass sich unsere Nasenspitze beinahe berühren. Geschockt von meinem Verhalten, blicken Magnus und Izzy einfach nur auf uns. Auf mich und Alec.
 

„Bitte sag mir dass das nicht wahr ist, Alec“, schreie ich ihn an. „Sag mir, dass das verdammt noch einmal nicht wahr ist.“
 

Meine Stimme wird immer brüchiger, je öfter ich meine Worte wiederhole. Keiner sagt ein Wort, nachdem nun auch ich, auf dem Boden kalten Duschboden sitze, von oben bis unten nass vom Wasser, das auf uns drei niederprasselt.
 

Nach Minutenlangem schweigen, höre ich plötzlich Alecs Stimme. Ich habe schon gar nicht mehr damit gerechnet.
 

„Du… du weißt… du weißt es“, stammelt er hilflos und sieht mich aus seinen blauen und traurigen Augen an. Wann habe ich ihn wohl das letzte Mal glücklich gesehen? Es ist schon so lange her, ich weiß es nicht mehr.
 

„Also ist es wirklich wahr“, hauche ich und sacke in mich zusammen. Izzy, die mittlerweile neben mir hockt, hält die Luft an.
 

„Es… es tut mir leid“, schnieft Alec. Ich hebe meinen Kopf, sehe ihm tief in die Augen und schlinge dann, auch wenn ich weiß dass er das nicht mehr mag, meine Arme um ihn. Halte ihn ganz dolle fest.
 

„Nein mir tut es leid“, hauche ich und verstärke meinen Druck um seinen schmalen, zitternden und eiskalten Körper – Magnus hätte das Wasser ruhig warm zaubern können, wenn die beiden hier schon unter der laufenden Dusche sitzen mussten. „Mir tut es leid, dass ich nicht bei dir war.“
 

Das du mit ansehen musstest wie…


 

~*~*~ erschreckende Wahrheit ~*~*~
 

~ Alec ~

Wie verrückt klopfe ich gegen die unsichtbare Mauer, die mich daran hindert, zu meinen Eltern zu rennen.
 

Ich schreie laut nach Moms Namen, aber sie scheint mich nicht wirklich wahrzunehmen. Sie sieht mir mit ausdrucksloser Miene in die Augen, doch so richtig erfassen tut sie mich nicht. Es ist, als wenn sie mich nicht sehen, aber dennoch meine Stimme hören kann. Sie taumelt zwei Schritte Rückwerts, schüttelt dann ihren Kopf und widmet sich wieder Dad.
 

Ich schreie nun auch seinen Namen. Schreie das er was tun soll, aber alles was er macht ist, wie paralysiert vor Mom zu hocken und zu ihr auf zu sehen.
 

Was passiert hier nur gerade.
 

Erneut schlage ich gegen diese unsichtbare Mauer. Aber sie gibt einfach nicht nach. Sie lässt mich nicht durch zu meinen Eltern.
 

Mom entfernt sich etwas von Dad. Sie läuft zu dem komischen Artefakt, welches wir für den Rat beschaffen sollten und bückt sich zu ihrer Seraphklinge. Sie hatte sie vorhin beim Kampf gegen einem Vampir verloren. Sie hebt sie schließlich wieder auf und dreht sie in ihrer Hand mehrmals hin und her. Sie sieht ihr Schwert an, als hätte sie es noch nie gesehen. Die gezackte Klinge ist Moms Markenzeichen, damit markiert sie ihre Dämonen. Ich weiß nicht warum, aber seit neustem will der Rat das so. Warum das so ist? Ich habe keine Ahnung.
 

„Mom!“, schreie ich immer und immer wieder. Meine Arme tun mir mittlerweile weh und auch so, bekomme ich das Gefühl immer schwächer zu werden.
 

Ich versuche jetzt bestimmt schon seit gut einer Stunde zu Mom und Dad zu kommen. Seit die beiden diesen merkwürdigen Raum betreten haben – die Wände sind mit mir unbekannten Runen verziert und anderen Symbolen, die ich ebenfalls nicht kenne – verhalten sie sich so komisch. Es ist, als wenn sie nicht mehr sie selber sind. Und das ist beunruhigend. Genauso wie die Tatsache, dass ich die anderen nicht kontaktieren kann.
 

Meine Knie knicken ein und ich komme mit einem dumpfen Schrei auf dem kalten Steinboden auf. Mein Blick ist noch immer auf Mom geheftet.
 

Meine Augen weiten sich. Ich versuche mich irgendwie wieder aufzurichten, doch ich habe keine Kraft dazu. Mom steht nun wieder vor Dad. Mit erhobener Klinge.
 

Ich klopfe wieder und wieder gegen die unsichtbare Mauer.
 

„Mom! Tue das nicht! Mom!“, doch sie hört mich nicht. „Mom!“
 

Der Schrei den ich mit voller Inbrunst herausschreie ist Ohrenbetäubend. Ich nehme ihn klar und deutlich wahr, so als wäre es nicht meiner. Doch das ist er.
 

Mom lässt die Klinge niedersausen.
 

„Neiiiiiin!“
 

Und sie trifft ihr Ziel. Mitten ins Herz.
 

Dads Körper fällt nach hinten und bleibt dort regungslos liegen. Ein letztes Mal noch zucken seine Gliedmaßen, dann ist alles ruhig. Bis auf mein Schrei. Doch auch der verstummt – mit der Zeit.
 

Ich versuche Luft zu holen. Ich schnappe nach ihr, immer und immer wieder, doch es bringt nichts. Mir ist, als bliebe mir die Luft weg.
 

Das darf doch alles nicht wahr sein.
 

Das kann nicht wahr sein.
 

Tränen laufen mir die Wangen runter und ich sehe alles verschwommen. Dads toter Körper brennt sich tief in mein Gedächtnis ein. Ich kann es nicht begreifen.
 

Wieso nur hat sie das getan.
 

Ich schaue zu Mom. Sie steht noch immer vor Dads toten Körper. Schaut zu ihm runter. Auch in ihren Augen stehen tränen, tränen, die sich jetzt einen Weg nach draußen suchen. Mom fällt auf die Knie und dreht ihren Kopf in meine Richtung. Wieder begegnen sich unsere Blicke und diesmal glaube ich, dass sie mich sehr wohl sieht. Ihre Lippen formen Wörter, doch ich kann sie nicht verstehen. Dann nickt sie mir zu – und lächelt dabei.
 

Ich schüttle mit dem Kopf. Nein! Tue das nicht.
 

Doch sie tut es.
 

Mom umfasst ihr Schwert mit beiden Händen. Dann lächelt sie mich an und lässt die Klinge ein letztes Mal nach unten sausen. Sie bohrt sich tief in ihr eigenes Herz.
 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
 

~ Clary ~

„Wie kann das nur möglich sein?“
 

Ich kann mir einfach nicht vorstellen das Maryse Lightwood erst ihren eigenen Mann und dann sich selber umgebracht hat. Zwar kannte ich sie nicht persönlich, aber ich habe schon viel von ihr gehört. Von Mom und auch von einigen anderen Ratsmitgliedern und alle haben sie mir dasselbe versichert: Maryse Lightwood war eine gute Schattenjägerin und eine ausgezeichnete Mutter, die ihre Kinder über alles liebte. Sie nahm ja sogar ein fremdes Kind auf – Jace – und zog es wie ihr eigenes auf. Manche behaupteten sogar mal, dass sie ihn mehr bevorzugte als ihren eigenen Sohn – als Alec. Doch das stimmt nicht – nicht nach Moms Erzählung. Und ich glaube ich weiß auch wieso es manche so vorkam, als wenn es so gewesen wäre, das Maryse Jace mehr mochte.
 

Jace ist ein großartiger Kämpfer, ohne Zweifel. Er ist furchtlos, kampflustig und bereit sein Leben zu geben, um jene zu beschützen die er liebt – das habe ich selber gesehen, als er Jonathan angegriffen hatte, weil mein Bruder beinahe Alec getötete hatte. Jace ist ein guter Soldat und Maryse wusste das. Alle wussten und wissen das auch noch heute. Und Alec… er ist eben anders. Von den beiden ist er der mitfühlende Bruder, der, der nachdenkt bevor er handelt. Und damit konnte Maryse halt nicht so gut umgehen. Keiner kann das, denn wir Nephilim sind Krieger und keine Denker – so will uns der Rat haben.
 

„Wir müssen mit Alec reden“, sagt meine Mom und steht von ihrem Stuhl auf. „Er ist dabei gewesen, als Maryse und Robert gestorben sind. Er weiß etwas, auch wenn er das nicht zugeben mag.“
 

Mom ist gerade dabei die Pathologie zu verlassen, als ich sie aufhalte.
 

„Sollten wir Alec, Jace und die anderen nicht erst einmal alleine lassen? Jetzt wo Jace weiß das es Maryse war die…“ Ich mache eine Pause. Die Wahrheit ist noch immer so unglaubwürdig, doch die Beweise sind eindeutig. „Ich glaube er muss es selber erst einmal verdauen. Außerdem glaube ich kaum dass du etwas aus Alec herausbekommst. Wenn ihn jemand zum Reden bringt, dann ist es seine Familie. Apropos Familie… ähm, sollte Max nicht schon längst in Idris sein?“
 

„Ja. Doch wir haben es verschoben“, sagt Mom und kommt wieder zurück. Sie setzt sich wieder auf ihren Stuhl und dreht ihn in meine Richtung. „Seit wir hier sind ist eine Menge geschehen und ich dachte mir, wenn er schon weg muss, dann sollte sich seine Familie von ihm verabschieden können. Morgen Abend aber ist es soweit.“
 

Sie nimmt sich wieder die Bilder zur Hand die ich gemacht habe und sieht sie sich erneut an. Also ich kann das nicht. Natürlich habe ich schon viele solcher Bilder gesehen und das auch in Natura, aber hier ist es irgendwie was anderes. Diesmal bin ich richtig mit involviert, schließlich soll ich mithelfen diesen Fall aufzuklären. Und das ist was vollkommen anderes, als wenn ich nur Fakten sammeln soll, so wie sonst immer.
 

„Es gibt einfach keine Anzeichen für irgendeine Art der Manipulation. Keine Magierückstände, kein Gift oder Toxin – Nichts. Es ist, als wenn die Frauen das wirklich alles von sich aus taten. Doch das kann ich mir nicht vorstellen. Das kann einfach kein Zufall sein.“
 

„Irgendwas übersehen wir bestimmt. Vielleicht sollten wir noch einmal von vorne anfangen und gezielt nach einer Erklärung suchen? Ich meine, bei der ersten Obduktion haben wir nur versucht herauszufinden welcher Dämon die Opfer ermordet haben kann, doch nun da wir wissen das es keiner war – also zumindest nicht selber – sollten wir noch einmal neu anfangen.“ Oder?
 

Ich sehe meine Mom eindringlich an. Sie schient über meinen Vorschlag nachzudenken. Sie nickt und steht sofort wieder auf.
 

„Du hast Recht. Doch diesmal mache ich es alleine. Gehe du bitte zu Jace und versuche ihn dazu zu bringen, dass er, mit dir zusammen, mit Alec redet. Vielleicht kann euch auch Magnus helfen, sollte Alec zu sehr unter Schock stehen und sich deshalb nicht erinnern können. Hexenmeister sind bekannt dafür, dass sie verdrängte Erinnerungen hervorholen können. Ein Versuch wäre es alle Male wert.“ Dann dreht sie sich um und geht in die Kühlkammer.
 

Mit einem tiefen Seufzer verlasse ich die Pathologie und mache mich auf den Weg zu Alec ins Zimmer. Ich bin mir sicher, dass Jace dort ist.
 

~*~*~*~
 

Ich fühle mich alles andere als Wohl, einfach bei den beiden reinzuplatzen. Immerhin kenne ich sie nicht wirklich und dann kommt noch hinzu, dass sie weder auf meinen Vater und auf Jonathan alles andere als gut zu sprechen sind. Was ist, wenn sie nicht mit mir reden wollen, weil sie denken ich bin wie die beiden? Eigentlich sollte es mir ja egal sein was sie von mir halten, aber aus irgendeinen Grund tut es das nicht. Und der Grund heißt Jace.
 

Ich kann nicht leugnen dass ich ihn heiß finde. Er ist ein super lustig – hat man mir erzählt – und sieht einfach nur umwerfend aus. Ich mag Jungs wie ihn, die ganz genau wissen was sie wollen. Und Jace ist ganz klar so jemand. Hoffentlich werden sie mich akzeptieren. Denn wenn nicht, dann dürfte unsere Zusammenarbeit alles andere als leicht werden.
 

Zaghaft klopfe ich an die Tür an. Ich bin schon gewillt wieder zu gehen, als mir dann doch endlich mal geöffnet wird. Es ist Isabelle.
 

„Hey!“, begrüße ich sie. Ich strecke ihr meine Hand hin. „Ich bin Clary.“
 

Erst jetzt fällt mir auf das ihre Augen ziemlich verheult aussieht. Und auch sonst, macht sie nicht gerade den Eindruck, als ginge es ihr besonders gut – eher total beschissen. Und so fühle ich mich mehr als unwohl. Ich habe Mom doch gesagt, dass das keine gute Idee ist, jetzt mit ihnen zu reden.
 

„Was willst du?“, fragt mich Isabelle. Ihre Stimme ist dünn und kaum verständlich gewesen.
 

„Ähm… mit Alec reden“, stottere ich. Oh Gott. Seit wann bin ich nur so unsicher.
 

„Das ist jetzt wirklich keine gute Idee“, sagt sie und schließt vor meiner Nase wieder die Tür.
 

„Ähm… Ja.“ Das war sowas von klar.
 

Ich bleibe noch eine Minute vor der wieder verschlossenen Tür stehen und mache auf dem Absatz kehrt. Und gerade als ich an Jace Tür vorbeikomme, wird die von Alec wieder geöffnet. Sofort drehe ich mich wieder um.
 

Jace steht vor mir und mustert mich.
 

„Komm rein, aber… sei bitte leise“, bittet er mich und lässt mir dann den Vortritt. Ich betrete Alecs Zimmer.
 

Isabelle und Magnus sitzen auf Alecs Bett, in dem er selber liegt, unter einen Haufen Decken begraben. Abwechselnd fahren sie ihm über den Kopf und streicheln ihn. Jace setzt sich neben das Bett auf den Boden und ich folge seinem Beispiel.
 

Eine ganze Zeit lang herrscht Totenstille, bis Magnus das Wort an mich richtet.
 

„Was willst du von uns?“, fragt er, ohne seinen Blick von Alec zu nehmen. Die beiden sind einfach süß zusammen.
 

Lange habe ich schon davon geträumt jemanden an meiner Seite zu haben, der mich abgöttisch liebt. Der mich auf Händen trägt und mir einfach jeden Wunsch von den Lippen abliest. Jemand, der stets an meiner Seite ist und auf den ich mich hundertprozentisch verlassen kann. Und wenn ich Alec und Magnus, oder auch alle vier so beobachte und sehe wie lieb sie miteinander umgehen, dann hoffe ich inständig, dass ich auch so jemanden finden werde. Aber vielleicht habe ich ihn auch schon gefunden.
 

„Meine Mom obduziert noch einmal alle zehn Opfer. Wir hoffen dass sie vielleicht doch ein Anzeichen auf Fremdeinwirkung findet. Irgendetwas das uns erklärt wieso…“ Ich blicke einen nach den anderen an – bis auf Alec, da ich sein Gesicht unter den vielen Decken nicht erkennen kann – und alleine an ihren Blicken erkenne ich, dass es sinnlos ist das unvermeidliche auszusprechen. Sie alle wissen auch so was ich sagen will. „Sie bat mich mit Alec zu reden und so herauszufinden, was er weiß.“
 

Kaum ausgesprochen fährt Isabelle mich an.
 

„Auf gar keinen Fall.“ Sie schüttelt den Kopf. „Wenn er mit jemanden redet, dann mit einem von uns, aber nicht mit dir. Was denkt sich deine Mutter dabei, dass ausgerechnet einer von euch…“
 

„Beruhige dich, Isabelle!“ Jace legt ihr eine Hand auf die Schulter und drückt sie ganz leicht. Augenblicklich beruhigt Isabelle sich wieder.
 

„Sorry!“, nuschelt sie und widmet sich wieder ihrem Bruder.
 

Da ich nicht sicher bin ob sie mich gemeint hat oder nicht, sage ich nichts dazu.
 

„Ich glaube was Izzy sagen wollte ist, dass es jetzt noch zu früh ist. Uns ist selbstverständlich klar das der Fall schnell aufgeklärt werden muss, aber du warst eben nicht dabei Clarissa...“
 

„Clary“, unterbreche ich Jace. Er zieht eine Augenbraue hoch. „Ihr könnt mich alle Clary nennen. Ich mag meinen vollen Namen nicht so wirklich, weißt du“, erkläre ich.
 

Jace nickt mir lächelnd zu.
 

„Ok. Also dann Clary.“
 

Wir beiden sehen uns tief in die Augen. Ich schmelze dahin. Innerlich seufze ich und schmachte vor mich hin. Er ist einfach nur perfekt.
 

„Ich möchte eure kleine Turtelei wirklich nur ungern unterbrechen, aber wolltest du Clary nicht was Wichtiges sagen, Jace“, unterbricht uns Magnus. Ertappt laufe ich rot an. Wie peinlich.
 

„Ja. Stimmt. Also wie gesagt, hält keiner von uns das für eine gute Idee. Alec ist eben, nachdem er uns erzählt hat was passiert ist, zusammengebrochen. Und auch wir anderen haben noch sehr an der Wahrheit zu knabbern. Keiner von uns kann glauben das Maryse das wirklich getan haben soll, aber Alec würde uns diesbezüglich niemals anlügen. Darüber hinaus bestätigen ja auch die Bilder die deine Mom und du mir gezeigt haben, dass alles was Alec sagt auch wahr ist.“
 

„Das mag ja alles stimmen, Jace. Und darüber hinaus, hat auch niemand behauptet, dass Alec lügt, aber… Ihr müsst zugeben, dass es wichtig ist, zu erfahren wieso das passiert ist. Weder meine Mom noch ich, glauben das Maryse und all die anderen Frauen, ihre Männer, bzw. Erika, Hanna, getötet haben. Und Alec ist nun mal der einzige der Zeuge einer solchen Tat gewesen ist. Er muss einfach irgendwas wissen.“ Und es tut mir ja selber leid ihn drängen zu müssen. Ginge es nach mir, würde ich ihm jede Zeit der Welt geben.
 

„Heute werden wir jedenfalls nichts mehr aus Alec herausbekommen“, sagt Magnus und gibt mir mit einem deutlichen Blick zu verstehen, dass ich jetzt besser gehen sollte.
 

Nur zögerlich stehe ich auf.
 

„Ich werde dich nach draußen begleiten“, sagt Jace und erhebt sich ebenfalls, nicht aber, ohne Alec vorher noch einmal anzusehen – zumindest das was er von ihm sieht. „Ich muss mit deiner Mutter über ihre alten Freunde reden“, fügt er schnell noch hinzu.
 

Wir verlassen gemeinsam Alecs Zimmer und machen uns auf den Weg in die Pathologie.
 

„Wartet auf mich“, hören wir Isabelle rufen. Wir bleiben stehen und drehen uns um. Sie kommt auf uns zugelaufen. „Ich komme auch mit. Mich würde nämlich auch interessieren was deine Mom dazu zu sagen hat“, sagt sie, einen misstrauischen Blick auf mich werfend. „Lukes Worte haben mich neugierig gemacht.“ Mit diesen Worten läuft Isabella an mir vorbei. Jace folgt ihr.
 

„Wer ist Luke?“, frage ich, doch ich erhalte keine Antwort.
 

Mir bleibt also nichts anderes übrig als abzuwarten und ihnen stillschweigend zu folgen.
 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
 

~ Jace ~

Es hat uns ganz schön viel Überzeugungsarbeit gekostet, um Jocelyn endlich dazu zu bringen, uns zu Luke zu begleiten. Sie wollte partout nicht die Pathologie verlassen, aber als Isabelle ihr schließlich sagte, dass sie genauso wie auch Maryse und Robert, alle Opfer, bis auf das Werwolf-Pärchen, kannte, willigte sie schließlich ein. Und so kommt es, dass wir zu viert vor Lukes Buchhandlung stehen und darauf warten, dass uns die Tür geöffnet wird.
 

„Und ihr seid euch wirklich, sicher?“, fragt Jocelyn uns jetzt bestimmt schon das gefühlt hundertste Mal. Und wie auch die Mal davor, ist unsere Antwort dieselbe.
 

„Ja! Laut Luke seid ihr alle Freunde gewesen. Darum verstehe ich nicht, wieso ihr euch nicht an ihn erinnern könnt. Man kann doch nicht seine Freunde vergessen, zumal es bei ihnen und Luke, gerade mal Elf Jahre her ist. Wenn ihr so alt wie Magnus wert, dann könnte ich das ja noch verstehen.“
 

Isabelle hat sich ziemlich in Rage geredet und irgendwie tut mir Jocelyn gerade mehr als Leid, denn sie sieht mehr als irritiert aus. Aber auf der anderen Seite hat Izzy auch Recht. Auch ich kann nicht verstehen wieso Jocelyn nichts mehr von Luke weiß, wo er doch behauptet hat, dass sie sogar ineinander verliebt waren. Irgendwer spielt doch hier ein abgekapertes Spiel mit uns. Und zwar mit uns allen.
 

Gestresst klopfe ich ein weiteres Mal gegen die Türscheibe. Auf unser Klingeln hat Luke ja nicht reagiert. Und endlich… Das Licht im Laden geht an und eine schwarze Silhouette ist zu erkennen. Luke öffnet uns verschlafen die Tür.
 

„Sagt mal spinnt ihr. Habt ihr überhaupt eine Ahnung wie spät es ist?“
 

„Es ist 00:38 Uhr“, sage ich, einen Blick auf mein Handy werfend. Ich habe Magnus versprochen ihn sofort anzurufen, sollte es Neuigkeiten geben. Genau deshalb habe ich es auch griffbereit. Ich habe nämlich keine Lust seinen Ärger abzubekommen. Nicht das er mich in eine Ratte oder sowas verwandelt.
 

„Normale Menschen schlafen um diese Uhrzeit, wisst ihr“, meckert er weiter.
 

„Dir sollte bekannt sein das wir nicht normal sind, Luke. Und du übrigens auch nicht. Lässt du uns nun rein? Es ist wichtig!“
 

Resigniert öffnet er die Tür weit genug, sodass wir alle vier eintreten können. Was wir auch sofort tun. Erst ich, dann Izzy, Clary und zuletzt Jocelyn. Und genau in dem Moment, in dem sie seinen Buchladen betritt und sich ihr und Lukes Blicke kreuzen, entfährt Jocelyn ein spitzer Schrei. Sie hält sich ihre Hände vor den Mund und stolpert ein paar Schritte Rückwerts.
 

„Lu-Lucien“, wispert sie. „Aber wie… wie ist das möglich. Du… du bist doch tot. Ich meine ich… ich habe dich sterben sehen.“
 

„Nein hast du nicht“, sagt Luke ohne zu zögern. Er ist auf der einen Seite überrascht Jocelyn hier zu sehen, aber auf der anderen Seite auch froh. Er muss sie vermisst haben.
 

Nachdem sich Jocelyn wieder beruhigt hat, geht sie zögernd auf Luke drauf zu und schließt ihn schließlich in ihre Arme. Clary sieht zwischen ihrer Mutter und Luke hin und her.
 

~*~*~*~
 

„Wieso nur wusste ich nicht dass du noch am Leben bist, Lucien“, will Jocelyn wissen. Sie sitzt zwischen Luke und Clary auf Lukes Sofa, in dessen Wohnung. Izzy und ich sitzen den drein Gegenüber. Und genauso wie Jocelyn interessiert uns Lukes Antwort brennend. „Wieso hast du dich nicht mehr bei mir gemeldet?“
 

„Ich konnte es nicht“, sagt Luke. „Ich musste mich vor Valentin schützen, immerhin hat er… Jocelyn“, Luke greift nach ihren Händen und umfasst sie mit seinen. „Alles was du damals sahst war, dass ich von einem Werwolf angefallen und gebissen wurde. Das ich tot bin, hat dich Valentin nur Jahrelang glauben lassen. Ich stand ihm im Weg… das, und die Tatsache das wir beide was am Laufen hatten, reichte ihm aus, um mich töten lassen zu wollen.“ Jocelyn schnappt nach Luft und will was erwidern, doch Luke kommt ihr zuvor. „Wir beide Jocelyn… wir sind jetzt die einzigen, die Zeugen von Valentins damaligem Verbrechen sind. Und unserer Mitschuld daran.“
 

„Was für ein Verbrechen“, will ich irritiert wissen. „Und was hat das mit den Morden zu tun.“ Doch Luke ignoriert meine Frage. Er konzentriert sich gerade nur auf Jocelyn.
 

„Die anderen die davon wussten, waren Tristan, Oriana, Quentin, Hanna, Erika, Maryse und Robert. Erinnerst du dich an sie? Sie waren unsere Freunde!“
 

Jocelyn schüttelt den Kopf. Das wird ihr anscheint alles zu viel. Und da ist sie nicht die einzige. Auch für Clary, Izzy und mir, ergibt sich da kein Sinn. Was zum Teufel hat Valentin damals nur getan, dass er jetzt alle Zeugen beseitigen lässt?
 

Ich drehe hier noch durch. Das wird mir einfach viel zu viel und zu mysteriös. Ehrlich mal. Es reicht mir gewaltig, dass wir anscheint alle nur der Spielball von Valentin Morgenstern sind. Ich will endlich wissen was hier los ist und warum Maryse, Robert und all die anderen, sterben mussten.
 

„Erzähl uns was damals passiert ist, Luke!“ Ich will die Wahrheit wissen – und zwar die ganze Wahrheit.


 

~*~*~ Echo aus der Vergangenheit ~*~*~
 

~ Luke ~

„Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob wir auch wirklich das richtige tun, Jocelyn. Ich meine, wieso tut der Rat es nicht selber? Bisher hat er sich dem immer selber angenommen, und es nie jungen Schattenjägern überlassen. Das ergibt ja auch keinen Sinn.“ Und darüber hinaus, will ich es auch nicht tun.
 

Jocelyn und ich gehen zusammen zum ausgemachten Treffpunkt. Dabei laufen wir still nebeneinander her und fühlen uns beide unwohl.
 

Es ist ein komisches Gefühl, ihr so nah zu sein, und sie doch nicht berühren zu können. Nicht berühren zu dürfen. Denn immerhin ist Jocelyn mit meinem besten Freund, meinem Parabatai, verlobt. Und das bedeutet, dass sie für mich tabu ist. Tabu sein sollte. Doch gegen die Liebe ist niemand gefeit – vor allem Jocelyn und ich nicht.
 

Laut Valentin hat unser ‚Kreis‘ diesen wichtigen Auftrag vom Rat bekommen, zu dem wir gerade auf dem Weg sind. Nur Valentin weiß den Grund, warum ausgerechnet wir das tun sollen, doch er will ihn uns nicht mitteilen. Alles was er uns dazu sagte war, dass wir die einzigen sind, die ihn ausführen können. Doch das glaube ich nicht. Da muss mehr dahinter stecken, viel mehr.
 

„Ich vertraue Valentin und das solltest du auch tun, Lucien.“ Jocelyns Stimme ist schneidend, weswegen ich leicht zusammen zucke.
 

Aus irgendeinem Grund mag ich es überhaupt nicht, wenn sie mit solch einem Ton mit mir redet. Vielleicht weil ich es nicht mag wenn sie wütend auf mich ist, oder aber… weil ich es nicht ertragen kann, wenn sie Valentin verteidigt. Dann kommt in mir der Gedanke hoch, dass ich einfach nur ein Ausrutscher für Jocelyn war. Und das sie mich nicht liebt, sondern einzig und alleine Valentin.
 

Ich hole einmal kräftig Luft und bringe Jocelyn dann dazu stehen zu bleiben. Ich halte sie am Arm zurück.
 

„Ich habe nicht gesagt dass ich ihm nicht vertraue, sondern lediglich, dass ich es komisch finde, dass UNS der Rat diesen Auftrag gegeben haben soll. Wieso soll er wollen, dass wir für ihn die Drecksarbeit erledigen. Bisher haben sie es immer selber erledigt. Also frage ich dich: Wieso, Jocelyn?“ Ich verstehe einfach nicht was sie damit bezwecken wollen.
 

Mit weit aufgerissenen Augen sieht Jocelyn mich an. Sofort lasse ich sie los und schließe für einen winzigen Moment meine Augen. Ich öffne sie wieder und blicke wieder in Jocelyns Augen. Tränen haben sich in ihnen gesammelt. Ohne mir Gedanken darüber zu machen dass Valentin uns jederzeit so sehen könnte, schließe ich sie in meine Arme. Und entgegen meiner Erwartungen, drückt sich Jocelyn fest an mich.
 

„Ich muss Valentin einfach vertrauen, Lucien“, flüstert sie an meine Brust gepresst. „Und ich muss auch bei ihm bleiben, egal wie viel ich für dich empfinde. Ich… Wir haben einen gemeinsamen Sohn, Lucien. Ich kann ihn nicht verlassen … Bitte hasse mich deswegen nicht.“
 

Bitte hasse mich deswegen nicht.
 

„Ich hasse dich doch nicht, Jocy. Ich verstehe dass du ihn um Jonathans Willen nicht verlassen kannst. Aber nur weil euch beide was verbindet, heißt das nicht, dass du ihm…
 

„Was trödelt ihr denn so lange herum?“
 

Jocelyn und ich trennen uns blitzschnell und drehen uns dem Störenfried entgegen. Es ist Erika, zusammen mit ihrer Freundin Hanna. Die beiden haben fast dasselbe Problem wie Jocelyn und ich, nur dass es bei den beiden noch etwas komplizierter ist. Immerhin sind sie ein Paar.
 

Glücklich lächelnd – bei uns können sie sein wie sie sind und müssen sich nicht verstellen – kommen sie zu uns geschlendert. Hanna henkelt sich bei mir ein und Erika bei Jocelyn.
 

„Zieht nicht so ein Gesicht, ihr beiden. Wir werden euch bestimmt nicht verpfeifen, oder Erika“, plabbert Hanna fröhlich drauf los.
 

„Wir wären schön doof, täten wir es. Außerdem finden wir…
 

„…passt ihr perfekt zueinander. Ihr seid unser heimliches Lieblingspärchen“, flüstert Hanna mir ins Ohr. Ich laufe sofort Rot an. „Aber verrate es Valentin nicht. Der hat heute sowas von eine Mordslaune. Sogar Quentin hat vorhin den Kopf eingezogen, als unser furchtloser Anführer quer durch den Runenraum brüllte. Dabei hat er sonst immer solch eine große Klappe und kennt das Wort ‚Angst‘ nicht. Aber naja. Mittlerweile hat er ihn ja besser kennengelernt und weiß, dass Valentin auch für einen Hexenmeister gefährlich werden kann. Mit dem legt man sich besser nicht an. Selbst der Rat hat Respekt vor unserem Valli.“
 

Ich pruste los.
 

„Wie hast du Valentin eben genannt? Valli? Nenne ihn blos nicht in seiner Gegenwart so“, sage ich belustigt.
 

Hanna hat für jeden von uns einen Spitznamen, doch für Valentin… das hat sie sich bisher nie getraut. Wer weiß, wie lange sie schon auf die Gelegenheit gewartet hat, ihn mal aussprechen zu können. Ihn uns endlich präsentieren zu können.
 

„Ich bin ja nicht doof“, antwortet Hanna lächelnd und zieht mich immer weiter hinter sich her. Aus dem Augenwinkel sehe ich Jocelyn schmunzeln. Es hat ganz den Anschein, dass es ihr mehr als gut tut, wenn sie mit ihren besten Freunden zusammen ist. Stumm danke ich Hanna und Erika dafür, dass sie immer wo sie auftauchen, für gute Laune sorgen und Jocelyn heute von ihren Sorgen abgelenkt haben. Wenn auch nur für einen kurzen Moment.
 

~*~*~*~
 

„Da seid ihr ja endlich“, begrüßt uns Quentin unfreundlich wie eh und je. Der hat wirklich nur vor Valentin Respekt – das wurmt mich. Zwar habe ich nichts gegen Schattenweltler, solange sie keine Dämonen sind und unschuldige töten, doch dieser Hexenmeister bringt mich manchmal echt…
 

„Lass sie in Ruhe, Quentin“, höre ich Valentin sagen. Seine raue Stimme trieft nur so vor Ungeduld und Mordlust. Und das ist kein gutes Zeichen.
 

„Sind Eizen und Layla schon da“, fragt Hanna. Ich sehe mich im Runenraum um, kann sie aber nicht sehen. Unsere beiden Nesthäkchen kommen mal wieder als letzte an.
 

„Nein!“, beantwortet Valentin ihr ihre Frage und kapselt sich dann, zusammen mit Quentin, von uns anderen ab. Sie tuscheln miteinander.
 

Ich setze mich abseits der anderen auf den kalten Boden und lasse mich langsam nach hinten Fallen. Mit den Armen hinter meinem Kopf verschränkt, starre ich an die Decke. Auch dort sind überall Runen aufgetragen, sowie andere Symbole, die ich nicht kenne. Soviel ich weiß, handelt es sich bei denen um uralte Runen, die heute nicht mehr Verwendung finden, weil kaum mehr einer sie zeichnen kann. Was nicht verwunderlich ist, da sie wirklich mehr als merkwürdig aussehen.
 

„Du bist heute so ruhig, Lucien.“ Ich drehe meinen Kopf nach links. Robert Lightwood steht neben mir und sieht auf mich herab. Von all unseren Freunden, hat er das schlechteste Verhältnis zu Valentin. Ich glaube sogar zu wissen, dass er nur noch wegen Maryse hier ist. Sie vergöttert Valentin. Wieso nur stehen die Frauen auf solche Männer wie ihn… Ich werde es wohl nie verstehen.
 

Robert setzt sich zu mir.
 

„Ich denke nur nach. Kein Grund sich sorgen um mich zu machen, Robert.“
 

Wir schweigen gut eine Minute, bis Robert die Stille zwischen uns bricht.
 

„Du hast Zweifel an dem was wir gleich tun werden, habe ich nicht recht?“
 

„Ja!“, antworte ich wahrheitsgemäß. Es bringt eh nichts zu lügen.
 

„Ich auch!“ Sofort schnellt mein Kopf zur Seite. Ich sehe Robert ungläubig an. Also damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.
 

Robert ist derjenige von uns, der am meisten an den Rat und dessen Gesetze glaubt. Und gerade weil das so ist, dachte ich eigentlich, dass er ohne Skrupel oder zumindest ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, heute hier ist. Das dies scheinbar nicht der Fall ist, lässt mich noch mehr Zweifeln.
 

Ich lasse meinen Blick zum Rest unserer Freunde wandeln. Jocelyn steht zusammen mit Hanna und Erika rechts neben dem Eingang zum Runenraum. Sie unterhalten sich – lachen über irgendetwas. Karina, Oriana und Maryse haben es sich auf dem kleinen Altar, der in der Mitte des Raumes thront bequem gemacht und scheinen sich auch über irgendetwas zu unterhalten, doch bei den drei Damen, scheint es nichts Fröhliches zu sein, im Gegenteil. Maryse Blicke, die sie Robert immer wieder zuwirft, lassen auf was anderes schließen. In deren Ehe scheint es wohl gekracht zu haben. Die letzte dreiergruppe besteht aus Tristan, Lincoln und Tiron. Die drei lehnen etwas von Robert und mir entfernt, an einer der Steinmauern. Sie schweigen, wie fast immer eigentlich. Die größten Redner waren sie ja noch nie. Ich wende mich wieder Robert zu.
 

„Ist bei dir und Maryse alles in Ordnung?“, frage ich nach. Robert und ich waren zwar nie die besten Freunde, aber Freunde sind wir dennoch. Und Freunde müssen zusammenhalten und müssen sich gegenseitig unterstützen. Das ist etwas, was ich mir zumindest immer so gewünscht habe, also das es zwischen Valentin und mir so ist. Immerhin sind wir ja auch Parabatai.
 

Ich weiß noch ganz genau wie froh und auch glücklich ich war, als Valentin mich gefragt hatte, ob ich nicht sein Parabatai werden will. Ich hatte nie viele Freunde gehabt und das dann ausgerechnet er… derjenige, der der beste Kämpfer unserer Generation ist, mich fragt… erschien mir wie ein Traum. Natürlich sagte ich ohne darüber nachzudenken zu müssen, Ja! Ich wollte sein Parabatai sein. Ich wollte mit ihm so tief verbunden sein. Ich wollte einfach das Gefühl, dass ich jemanden wichtig bin. Denn das hieß es doch, oder? Also das Valentin etwas an mir lag und vielleicht immer noch liegt.
 

Als das alles angefangen hatte mit unserem ‚Kreis‘, da war ich eifersüchtig über jeden, den Valentin einlud sich ihm anzuschließen. Ich fühlte mich verraten, doch mit der Zeit hat sich das gelegt. Im Hier und Jetzt bin ich sogar froh, dass wir so eine große Gruppe sind. Denn wir halten alle zusammen. Wir sind wie eine große Familie – und das habe ich mir immer gewünscht.
 

„Ich habe mich informiert“, sagt Robert und setzt sich auf. „Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, dass der Rat diese Aufgabe, die heute uns zufällt, jemals auf einfache Schattenjäger übertragen hatte. Bisher haben sie sich immer selber darum gekümmert. Es ist also nur normal, dass ich das was uns Valentin gesagt hat, hinterfrage.“
 

Gut zu wissen dass es nicht nur mir so geht. Doch was heißt das jetzt, wenn ich nicht mehr der einzige bin, der glaubt, dass wir hier angelogen werden. Das irgendwas anderes vor sich geht. Etwas, von dem wir nichts wissen.
 

Roberts Blick heftet sich an die Gestalt seiner Frau. Sie redet noch immer mit Karina und Oriana.
 

„Sie vertraut ihm mehr, als sie mir vertraut“, vertraut Robert mir schließlich an. „Wenn sich das nicht ändert, Lucien, dann werde ich sie an ihn verlieren. Doch das will ich nicht. Ich liebe sie… und ich liebe unseren heranreifenden Sohn.“
 

Moment Mal! Heißt das…
 

„Maryse ist Schwanger?“ Robert nickt. „Wow! Das ist… Ich freue mich für euch beide und…“ Ich lege Robert eine Hand auf die Schulter, „ihr werdet das zusammen schaffen.“ Ein Kind verbindet.
 

Robert nickt mir mit einem zaghaften Lächeln zu und steht dann langsam auf.
 

„Ich danke dir für deine ehrlichen Worte, Lucien. Und keine Sorge, Jocelyn wird schon noch mitbekommen, dass du die bessere Wahl für sie bist.“ Dann entfernt er sich von mir und geht zu seiner Frau. Er nimmt sie etwas abseits und küsst sie.
 

Die Türen zum Runenraum öffnen sich und Eizen und Layla kommen herein. Sie grüßen uns mit einem lauten: Hallo! Valentin kommt zu den beiden und winkt dann den Rest ebenfalls zu sich.
 

Ich erhebe mich und gehe mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, zu meinen Freunden, die sich als Kreis, um Valentin, Quentin, Eizen und Layla, versammelt haben.
 

„Wir haben vom Rat einen wichtigen Auftrag bekommen“, sagt Valentin mit kräftiger Stimme. Er sieht einen nach dem anderen von uns an, und bleibt schließlich an unsere beiden Jüngsten hängen. „Wie ihr beiden wisst“, sagt er nur an die beiden gewandt, „ist das Gesetz hart, aber es ist das Gesetz. Und jeder der gegen dieses verstößt, muss mit den Konsequenzen leben. Und das wichtigste Gesetz für zwei Parabatai ist, dass sie sich nicht lieben dürfen.“
 

Kaum ausgesprochen, zucken Eizen und Layla zusammen und sehen sich geschockt an. Ein ausgetauschter Blick der beiden reicht aus, und sie wollen an Valentin vorbeistürmen, doch der stellt sich ihnen in den Weg. Mit dieser Reaktion der beiden hat er wohl gerechnet. Mit einem stummen Nicken gibt Valentin Quentin einen Befehl, den der Hexenmeister auch sofort ausführt. Er murmelt hastig ein paar Worte und kurz darauf, wird unter Eizen und Layla eine schwarze Rune sichtbar.
 

„Diese Rune stammt aus sehr früher Vorzeit“, erklärt Valentin. „Sie ist eine der ersten schwarzen Runen die erschaffen und irgendwann dann verboten wurden. Ihre Funktion ist einfach. Wer auch immer sich in ihr befindet, kann sie nicht mehr verlassen, solange sie aktiviert ist.“ Valentins Stimme ist ruhig und kalt zugleich. Sie jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken.
 

Ich habe zwar gewusst was unsere Aufgabe ist – jeder von uns hat das, außer natürlich Eizen und Layla – doch das wir um sie zu erfüllen, sogar mit schwarzen Runen arbeiten, damit habe ich nicht gerechnet. Und wenn ich ehrlich bin, dann kommt mir das komisch vor. Zudem bestärkt es mein bereits vorhandenes Gefühl, dass hier irgendwas faul ist.
 

„Was soll das?“, verlangt Eizen von Valentin zu erfahren. „Ich dachte wir sind Freunde?“
 

„Das sind wir auch“, antwortet Quentin. Sein Gesicht ziert ein breites Grinsen. „Und weil wir eure Freunde sind, werden wir euch auch nicht eure Runen nehmen, wie es eigentlich euer Gesetz verlangt…“
 

„Das soll das bedeuten?“
 

Valentin dreht seinen Kopf in meine Richtung. Er sieht mich eindringlich an.
 

„Das sollte dich doch eigentlich freuen, Lucien“, wispert er. „Du hattest doch eh Gewissensbisse wegen unseres Auftrages.“
 

Bevor ich Valentin antworten kann, dreht er sich mir wieder weg. Eine Hand greift nach meiner und drückt sie. Es ist Jocelyn.
 

„Valentin tut es für die beiden“, flüstert sie mir zu. „Er respektiert sie als Schattenjäger und als Freunde. Und genau deswegen will er nicht, dass zwei solch talentierte Nephilim verbannt werden.“
 

„Aber der Rat“, murmle ich. Der Rat weiß von Eizens und Laylas Liebe zueinander. Unser Auftrag lautet… Wie konnte ich nur so Blind sein. „Sie wissen es gar nicht. Nicht wahr, Valentin? … Valentin!“, schreie ich ihn an.
 

„Das kannst du uns nicht antun“, wispert Layla. „Bitte!“, doch Valentin ignoriert sie. Aber ich tue das nicht. Layla hat Recht. Wir können das nicht tun.
 

Ich verlasse den Kreis und mache zwei Schritte auf Valentin drauf zu. Leider komme ich aber nicht weit, weil sich Lincoln zwischen mich und Valentin stellt. Ohne ein Wort zu verlieren drängt er mich wieder zurück in den Kreis und stellt sich dort dicht neben mich, um sofort einschreiten zu können, sollte ich erneut aus dem Kreis auszubrechen versuchen.
 

„Natürlich weiß der Rat nichts hiervon“, beantwortet Valentin mir dann auch endlich mal meine Frage.
 

„Du willst den beiden aber nur helfen, oder?“, mischt sich nun auch Jocelyn mit ein. Sie klingt ein wenig skeptisch und sieht Valentin dabei mit so viel Liebe an, dass ich meinen Blick von ihnen abwenden muss. Ich kann es nicht ertragen sie so zu sehen.
 

„Aber natürlich will ich ihnen helfen“, säuselt Valentin und schafft es doch tatsächlich, sich mal wieder bei Jocelyn einzuschleimen. Sie atmet hörbar aus und nickt Valentin lächelnd zu. „Dann lass uns beginnen.“
 

Wieder gibt Valentin Quentin ein Zeichen, und wieder gehorcht er aufs Wort. Er murmelt erneut ein paar mir unbekannte Worte und eine zweite Rune wird aktiviert. Doch diese ist nicht für Eizen und Layla bestimmt, sondern für uns. Die neue Rune umschließt unseren äußeren Kreis.
 

Quentin reicht Valentin seine linke Hand, die er sofort ergreift. Dann wird sein merkwürdiger Gesang immer und immer lauter. Die Wirkung seines Gesanges lässt nicht lange auf sich warten. Quentin entzieht uns unsere Energie und unsere Kraft. Wir Zehn gehen synchron zu Boden.
 

Es fällt mir immer schwerer meine Augen offen zu halten. Es ist also nicht verwunderlich, dass ich nur noch verschwommen, die Umrisse von Quentin, Valentin, Eizen und Layla erkennen kann.
 

Irgendwas Merkwürdiges geht zwischen den vieren vor sich.
 

Genauso wie wir, hocken Eizen und Layla am Boden, doch im Gegensatz zu uns, scheint Quentins Zauber ihnen Schmerzen zu bereiten. Ich vernehme zwar keine Schmerzenslaute, aber in ihren Gesichtern zeichnet sich das ganze Ausmaß von Quentins Zauber ab.
 

Meine Lider werden immer schwerer und schwerer… dann umschließt mich völlige Dunkelheit.
 

~*~*~*~
 

Als ich meine Augen wieder öffne, liege ich komplett auf dem Boden. Ich stütze mich mit meinen Armen ab und hebe so meinen Oberkörper etwas an. So wie es aussieht, bin ich der einzige, der von uns Zehnen wieder bei Bewusstsein ist. Als erstes suche ich nach Jocelyn. Ich robbe mich zu ihr und überprüfe ihren Puls. Es ist einer vorhanden – zwar ist er nicht sehr stark, aber auch nicht lebensbedrohlich schwach. Es wird ihr bald wieder besser gehen.
 

Als nächstes überprüfe ich den Puls von Maryse, die neben Jocelyn liegt. Ihrer ist sogar noch etwas schwächer als der von Jocelyn, aber auch nicht im kritischen Bereich. Ich atme erleichtert aus. Als nächstes will ich nach Robert sehen, als ich aber von weiter weg, zwei Stimmen vernehme. Es sind die von Valentin und Quentin. Sie streiten.
 

„Was ist schiefgelaufen“, verlangt Valentin von Quentin zu erfahren. Er hört sich nicht sehr glücklich an.
 

„Die Kraft der Zehn hat nicht ausgereicht, um dem Transfer standzuhalten. Es tut mir leid, aber… ich glaube nicht das du dir ihre Kraft so aneignen kannst.“
 

„Dann muss ich mehrere Nephilim finden.“
 

„Selbst wenn du Hundert zusammenbekommen würdest, würde es nicht funktionieren. Es liegt nicht an der Anzahl, sondern an der Kraft eines jeden einzelnen.“
 

„Und wieso haben dann Eizen und Layla sie? Sie sind…“ Valentins Wutausbruch drängt sich in den Hintergrund. Ich blende ihn und Quentin völlig aus. Wichtiger als die beiden ist die Frage, wo Eizen und Layla sind.
 

Ich sehe mich weiter in dem Raum um. Versuche jede noch so kleine Ecke auszuspähen… Da sind sie. Die beiden stehen stumm und bewegungslos auf dem kleinen Altar. Wieso sehe ich sie erst jetzt? Egal. Ich rüttle stark an Jocelyns Schulter und versuche sie so wach zu bekommen. Doch erfolglos. Ich versuche es jetzt bei Robert. Irgendwen von ihnen muss ich wach bekommen, denn alleine brauche ich nicht erst versuchen gegen Valentin und Quentin zu kämpfen. Ich brauche ihre Hilfe!
 

„…haben kann, soll sie auch niemand anderes haben“, dringt wieder Valentins Stimme an mein Ohr. Und seine Worte lassen mich mehr als hellhörig werden.
 

Ich versuche mich vollständig aufzurichten, aber dafür bin ich definitiv noch zu schwach. Was auch immer das für ein Zauber war, den Quentin an uns angewandt hatte, er muss gewaltig gewesen sein. Ich kann nichts machen, bin unfähig meinen Freunden zu Hilfe zu kommen und kann nur zusehen, wie Valentin erhobenen Hauptes an Quentin vorbei und auf Eizen und Layla drauf zu stolziert. Vor den beiden bleibt er stehen.
 

„Sie zu töten wäre nicht sehr vorteilhaft“, sagt Quentin und gesellt sich zu Valentin.
 

Quentin hat Recht. Denn sobald der Rat herausfindet, dass er mit geholfen hat zwei Schattenjäger zu ermorden, werden sie ihn jagen. Jeder von uns wird das. Denn auch wenn er es nicht direkt war, der Rat wird niemals offiziell bekanntgeben, dass Valentin, ihr Wunderkind, derjenige welcher war. Sie werden Quentin als Sündenbock benutzen. Es ist nur natürlich, dass er dem entgehen will.
 

„Ich will sie ja nicht töten“, zischt Valentin. „Ich will dass du ihnen ihre Runen nimmst und dann ihr Gedächtnis löschst. Mach sie unauffindbar für den Rat und auch für euch Hexenmeister. Jeder soll denken dass sie untergetaucht sind. Dass sie ihre Liebe gewählt haben und nicht das Pflichtbewusstsein eines Kriegers, eines Soldaten. Sobald dem Rat das klar wird, werden sie aufhören nach ihnen zu suchen. Dann kann ich sie immer noch töten, sollte mir danach sein.“ Mir wird schlecht. So kenn ich Valentin nicht. So war er früher nie… Er…
 

Die plötzliche Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Doch das war er… Er war schon immer so. Das wird mir jetzt klar.
 

Wie konnte ich nur so Blind sein.
 

„Um das zu bewerkstelligen muss ich allerdings das Siegel brechen“, sagt Quentin. Ich robbe weiter auf die beiden zu. Noch immer haben sie mich nicht mitbekommen. „Du aber solltest dich fernhalten, Valentin. Es sei denn, du willst ebenfalls von dem Zauber getroffen werden.“
 

Diese Aussage belächelt Valentin.
 

„Erledige es“, sagt er dann und stellt sich so vor Eizen und Layla, dass ich sie nicht mehr sehen kann. Alles was ich sehe, ist der Rücken von Valentin.
 

Ich robbe doch wieder zurück. Versuche erneut mein Glück bei Jocelyn und endlich… sie öffnet ihre Augen. Neben ihrem leichten Stöhnen vernehme ich auch noch das von Karina, Lincoln und Tiron. Verwirrt sehen sie sich um.
 

„Kannst du dich aufrichten“, frage ich Jocelyn. Sie versucht es, doch es klappt nicht. Auch Lincoln und die anderen scheitern an ihrem Versuch.
 

Unser aller Konzentration wird von zwei markerschütternden Schreien unterbrochen. Wir drehen unsere Köpfe in die Richtung aus der sie kamen, doch alles was wir sehen, ist Valentins Rücken.
 

„Was passiert dort?“, fragt Jocelyn. Sie hält sich die Ohren zu. „Valentin!“ … Immer und immer wieder ruft sie seinen Namen, doch sie erhält, natürlich, keine Antwort von ihm. Ihr Rufen ist einfach zu leise. „Valentin!“, brüllt sie mit einmal laut, dass sie damit Eizens und Laylas Schrei übertrumpft.
 

Valentin dreht sich zu uns um. Und endlich erhalten wir einen Blick auf unsere beiden Jüngsten. Sie hocken gekrümmt vor Schmerzen noch immer auf dem kleinen Altar. Quentin steht seitlich von ihnen und murmelt weiterhin sein Mantra.
 

Ich sehe sie...
 

Die Runen von Eizen und Layla… Sie alle, sogar die alten und bereits verblassten, werden erneut sichtbar. Aber nur, um danach erneut zu verschwinden – und diesmal wohl für immer.
 

„Tue das nicht, Valentin!“, flehe ich ihn an. Ein weiterer Schrei von Layla ist zu hören – Eizen liegt bewusstlos am Boden – und dieser Schrei, geht mir durch Mark und Bein.
 

Mein Blick wandert zu der kleinen Schwarzhaarigen – zu unserem Nesthäkchen – und bleibt an ihr heften. Layla wird immer schwächer und bricht auch schon neben Eizen zusammen. Ihre Gesichter sind einander zugewandt.
 

Fassungslos über die Skrupellosigkeit von Valentin versuche ich erst einmal Luft zu holen. Ich kann es nicht fassen. Er hat… Ich schaffe es endlich aufzustehen. Zwar bin ich noch etwas wackelig auf den Beinen, aber das hindert mich nicht daran, an Valentin vorbei, zu Eizen und Layla zu gehen. Bei ihnen angekommen lasse ich mich neben sie nieder.
 

Eine erste Träne löst sich aus meinen Augen und tropft auf Eizens Schulter. Sie bewegt sich.
 

Ächzend öffnet Eizen seine Augen. Orientierungslos sieht er sich um, bis sein Blick auf Layla fällt. Mit zitternden Händen streicht er durch ihre Haare, dann ruckt sein Kopf in meine Richtung.
 

„Eizen!“, spreche ich ihn an. Ob er sich an mich erinnert? Ich habe keine Ahnung was alles mit einem Nephilim passiert, dem die Runen genommen wurden. „Bist du…“, weiter komme ich nicht, denn Eizen stößt mich mit solcher Gewalt zu Boden, das mir die Luft wegbleibt.
 

Ich höre jemanden Schreien – Lincoln – dann wieder jemanden – Karina – und dann ist erst einmal Stille.
 

Jocelyn hilft mir aufzustehen. Ich habe nicht mal mitbekommen das sie zu mir gekommen ist. Ich schüttle meinen Kopf, versuche so wieder klar im Kopf zu werden.
 

„Aua!“ Das tat verdammt weh.
 

„Eizen dreht völlig durch“, sagt Jocelyn hastig und lehnt mich mit meinem Oberkörper gegen ihre Schulter. Als ein weiterer Schrei – Tiron – zu hören ist, lässt sie mich aber wieder zu Boden gleiten. Dann rennt sie dem Geschehen entgegen.
 

Mit meinen Augen folge ich ihr. Jocelyn rennt zu dem wütenden Eizen, der Lincolns Seraphklinge gerade aus Tirons Brust zieht. Mutig stellt sie sich ihm entgegen.
 

Ich verstehe nicht wieso Eizen noch eine Seraphklinge benutzen kann, wo er doch seiner Runen beraubt wurde. Das dürfte doch gar nicht möglich sein. Auch Valentin scheint sich diese Frage zu stellen, denn statt einzugreifen und Jocelyn zu unterstützen, steht er seelenruhig neben diesem hässlichen alten Spiegel, der mir jedes Mal wenn ich in ihn blicke, eine Gänsehaut beschert. Mit grüblerischer Miene beobachtet Valentin Eizen stumm.
 

Ich muss ihr helfen.
 

Mühsam kämpfe ich mich hoch und aktiviere meine eigene Seraphklinge. Wenn Valentin schon nicht hilft, dann muss wenigstens ich es tun. Jocelyn pariert Eizens Angriffe, doch lange hält sie ihm nicht mehr stand. Ich renne zu ihr – doch merkwürdigerweise habe ich das Gefühl, dass ich den beiden nicht näher komme. Die Entfernung verringert sich einfach nicht.
 

Jocelyn stürzt zu Boden und sieht mit aufgerissenen Augen zu Eizen hoch. Der hebt Lincolns Waffe und…
 

„Nein!“, höre ich einen verzweifelten Schrei.
 

Es ist mein eigener.
 

Ich renne und renne. Doch egal wie schnell ich renne, ich werde nicht rechtzeitig da sein. Ich werde Jocelyn nicht retten können. Doch ich gebe nicht auf, ich…
 

Ruckartig bleibe ich stehen… und starre auf das Bild, welches sich vor mir abspielt.
 

Aus Eizens Brust ragt die Spitze einer Lanze, Karinas Lanze. Wie in Zeitlupe beobachte ich Eizen dabei, wie er zu Boden geht, zusammen mit Layla, die das andere Ende der Lanze in ihren zitternden Händen hält. Sie hat…
 

Lincolns Seraphklinge rutscht aus Eizens Hand und fällt klirrend zu Boden.
 

„Eizen!“ Aus dem Schluchzen wird Weinen. Aus dem Weinen ein Schrei. Und aus dem Schrei… Laylas ganzer Schmerz ist aus ihm herauszuhören, als sie mit Eizen zusammen auf dem Boden ankommt. Sie presst sich dicht an seinen Rücken und umklammert mit beiden Händen die Spitze der Lanze. „Es tut mir so leid!“, haucht sie.
 

„Lay-la“, presst Eizen mühevoll hervor. Blut sickert aus seiner Wunde am Bauch und vermischt sich mit Laylas Tränen.
 

Unfähig mich zu rühren, stehe ich einfach nur da und starre die beiden Liebenden an. Mit letzter Kraft hebt Eizen seine Hände und legt sie über die von Layla. Zusammen ziehen sie die Lanze ein Stück nach vorne – dann sehen sich mit einem Lächeln auf den Lippen tief in die Augen – und drücken die Lanze wieder zurück.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Tate-Langdon
2016-10-29T17:20:02+00:00 29.10.2016 19:20
Öhm.. noch kein Kommentar? Oo
Also ich bin begeistert und bitte schreib schnell weiter! Ich mag deine Schreibart denn jeden der Charakter erkennt man darin wieder!


Zurück