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ITE, MISSA EST!

DIEM NOCTEMQVE
von

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NOCTV

Zäh kroch Nebel über die Vesle. So dicht, dass die Bäume und Büsche von ihren Ufern verschwanden, dass sich die Sterne in ihrem stumpfen Wasser verloren und dass ihr mélodieuses Plätschern unter der Brücke verstummte. Oft stand Jehan an ihrem Ufer und genoss ihre friedliche Stimmung. Manchmal schien der Mond so voll und hell, dass er sein Gesicht in ihr erkannte: die großen Augen, die gerade Nase und die schmalen Lippen; die pâle und weiße Haut, die scharfen Zähne … sein ganzes inhumaines Aussehen. Gewöhnlich verbrachte er wunderbare Stunden an der Vesle, spazierte flussauf- und flussabwärts und lauschte dabei ihrem nassen Gesang. Nicht in dieser Nacht. Au contraire, heute Nacht war alles stumm und grau, triste und wehmütig. Der Nebel war angefüllt mit Einsamkeit und Sehnsucht. Jehan war zum Weinen zu Mute. Er vermisste das glückliche Lachen seiner Brüder. Er sehnte sich nach den herzlichen Armen seines Vaters. Er schmachtete nach den lieblichen Worten Jésus-Christ. Hier stand er ganz allein.

Der Nebel nistete tief in seiner Kleidung. Der Umhang schützte nicht vor den Böen, die in der Feuchte kalt an seinem Körper zerrten. Trotzdem zog er ihn enger um sich und hauchte in seine Hände. Er wünschte, es würde ihn wärmen. J'en doute … Der frühe Winter war eine ungemütliche Jahreszeit. Jehan wandte sich um, aber auch die Stadt ertrank im Nebel: lautlos und farblos. Wäre er die letzte créature auf Erden, würde er nicht einmal das mehr sehen. Dann schritt er los, in die graue Wand aus klammem Nebel hinein und folgte seiner Erinnerung die Rue Libergier hinunter. Erst als er fast unter ihr stand, sah er das fahle Licht der Straßenlaterne. Selbst der Geruch des verbranntes Fettes durchdrang den Nebel nicht. Erst seit wenigen Jahren wachten Laternen auch über diese Straße. Jetzt war ihr Licht nur ein kleiner, blasser cercle über seinem Kopf, kaum der Rede wert. In klaren Nächten jedoch strahlte die Laterne wie un petit soleil über die Straße. Jehan löste sich von ihrem schmächtigen Anblick und folgte weiter dem Straßenverlauf.

Ein tiefer Donner rollte durch die Stadt. War es bereits so spät? Jehan eilte über den Gehsteig, dem durchdringenden Glockenläuten entgegen. Die ersten Töne dieser mélodie sacrée waren tief und mahnend, sie riefen nach verdienter Hingabe. Jehan bekreuzigte sich im Stoßgebet und stob und hastete über die unebenen Steine zu seinen Füßen. Er durfte nicht zu spät kommen. Vite, vite, vite. Fast stolperte er. Das tiefe, herrliche Läuten der Glocken lotste ihn zielsicher und exact durch den Nebel. Er musste nicht seine Hand vor Augen sehen, um seinen Ohren und seinem gläubigen Herzen zu folgen. Zu den verkündenden Glockenschlägen traten die hellen Stimmen der trois archanges hinzu: Michel, Raphaël, Gabriel. Ihre klaren Stimmen stachen wie frisch geschliffene Schwerter in seinen Leib, ließen seinen Verstand in ihrer révélation divine taumeln. Sie erwarteten ihn!

Schnell, immer schneller trugen ihn seine Füße, bis sie seiner Eile nicht mehr Herr wurden. Er schwebte vom Boden fort, lief in der Luft und flog über den Nebel hinweg immer Richtung cathédrale. Aus dem gräulichen Nebel ragte der Chor von Notre-Dame auf. Ihr Strebepfeiler, Bögen und Fialen stachen wie ein fantastique Gebirge in den vollmondlichen Himmel. Auf jeder Spitze der kleinen Türmchen thronte ein Kreuz. Jedes dieser Kreuze war ihm heilig. In stoischer Ruhe wartete die cathédrale auf ihre Gläubigen. Auf ihn, Jehan. Der Mond erhellte das Dach, doch die wundervollen und prächtigen Fenster lagen im nächtlichen Dunkel. Er flog an der nördlichen Fensterrose vorbei und erhaschte nur das warme Glitzern zahlreicher Kerzen im Innern. All die herrlichen statues, plastiques und figures an der Außenwand, die das Jüngste Gericht und le Beau Dieu zeigten, verschwanden in der Nacht. Er wusste, dass sie dort waren. Er wusste, dass sie die Bibel und die Geschichten der Heiligen und das ganze Wissen der Welt bekannten. Leider war er une creatúre de la nuit und würde die vortreffliche Kunst und das herausragende Handwerk nur im Schein einer Kerze oder einer Öllampe erahnen können. Seine Augen waren ihrer Weisheit nicht würdig. Au contraire, sein Blick war eine Schande. Er war eine abomination und entehrte das Sonnenlicht.

Das Glockenspiel war eine cascade der entzückendsten und brillantesten Töne; ein Wunder, dass die Glocken von Menschenhand stammten. Das Lied klang wie von göttlichen Händen gespielt. Jehan stand vor dem portail, der Nebel verschluckte die imposante Rose und die triomphalen Spitzbögen. Alles im Zeichen der Sainte Vierge Marie. Jehan bekreuzigte sich erneut: S'il vous plaît sauvez-moi. Das portail stand weit offen, lud jeden Gläubigen und jeden bekennenden Christen ein diesem Gottesdienst beizuwohnen. Jehan atmete tief die feuchtklamme Luft ein, dann betrat er die cathédrale.

Das Läuten der Glocken erstarb augenblicklich. Der Chor der gnädigen Putti mit ihren lieblichen Stimmen echote von den hohen Wänden: „Vater unser, der Du bist in den Himmeln, geheiligt werde Dein Name …“ Ein Meer aus Kerzen illuminierte den Raum. Die Wände mit ihren énormen Fenstern reichte bis hinauf in den Himmel. Die Diener und der Priester schritten selig und feierlich durch das Kirchenschiff, immer dem Kreuz des Altars entgegen. „… zu uns komme Dein Reich; Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden!“ Vor dem Altar fielen sie auf die Knie und küssten den Boden vor Gott. „Unser tägliches Brot gib uns heute; und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern …“ Der Priester küsste den Altar und segnete ihn mit Weihrauch. „… und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel.“ Die ganze cathédrale war eine weihevolle Stimme: „Amen.“

Der Priester breitete seine Arme aus und richtete seine Worte an die Gläubigen: „Beginnen wir die Messe: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Wenn aber der Geist dessen, der Jesus aus den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus Jesus aus den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen seines in euch wohnenden Geistes.“

Jehan schloss die Augen. Fühlte er l'esprit de Dieu in seinem Leib? Fühlte er irgendeinen esprit in sich? Alles, was er spürte, war die Dunkelheit der Nacht und der Hunger nach Blut. „Ich bekenne Dieu, dem Allmächtigen, der seligen, allzeit reinen Vierge Marie, dem Saint Michel Archange, dem Saint Jean-Baptiste, den Saints Apôtres Pierre et Paul, allen Heiligen, und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe. Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken par ma faute, par ma faute, par ma faute grave. Darum bitte ich die selige Vierge Marie, den Saint Michel Archange, den Saint Jean-Baptiste, die Saints Apôtres Pierre et Paul, alle Engel und Heiligen, und euch, Brüder und Schwestern, für mich zu beten bei Seigneur notre Dieu“, sang Jehan leise und voller Reue. Er war das Übel in dieser Welt. Wer kam ihn zu läutern? „Seigneur, prends pitié. Christ, prends pitié. Seigneur, prends pitié.“ Hatte denn niemand erbarmen mit ihm? Er kniete vor dem Altar, seine Stirn berührte den kalten Steinboden. Seine Stimme bebte: „Gloire à Dieu in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen seiner Gnade. Wir loben Dich, wir preisen Dich, wir beten Dich an, wir rühmen Dich und danken Dir, denn groß ist Deine Herrlichkeit: Seigneur Dieu, König des Himmels, Gott und Vater, Herrscher über das All, Herr, eingeborener Sohn, Jésus-Christ. Seigneur Dieu, Lamm Gottes, Sohn des Vaters, Du nimmst hinweg die Sünde der Welt: erbarme Dich unser. Du nimmst hinweg die Sünde der Welt: nimm an unser Gebet. Du sitzest zur Rechten des Vaters: erbarme Dich unser. Denn Du allein bist der Heilige, Du allein der Herr, Du allein der Höchste, Jésus-Christ, mit dem Saint Esprit, zur gloire de Dieu le Père. Amen.“ Unter dem heftigen Gebet erstarb seine Stimme. Scharf zeichneten sich die Knochen seiner Finger unter der blassen Haut ab, so stark betete er. Seine Beine zitterten unter der Demut und Frömmigkeit, die er fühlte.

Erneut sprach der Priester und seine tiefe Stimme erfüllte das ganze Kirchenschiff und jede Nische: „Lasset uns beten: Allmächtiger Gott, Du hast Deinen Sohn als Sieger über den Tod zu Deiner Rechten erhöht. Gib Deinem verstorbenen Dienern hier und heute Anteil an seinem Sieg über die Vergänglichkeit, damit sie Dich, ihren Schöpfer und Erlöser, schauen von Angesicht zu Angesicht. Darum bitten wir durch Jesus Christus.“

„Amen“, wisperte Jehan. Er schmachtete nach Erlösung. Er war tot und doch nicht tot, aber ein victoire war es nicht. Es war ein Verlust seiner Seele. Würde er jemals seinem Schöpfer im Angesicht gegenüberstehen? Er suchte Erlösung, suchte das Heil. In Jésus-Christ fand er Trost.

Die Gläubigen und Jehan setzten sich und folgten den nächsten Worten des Priesters: „Lesung aus dem Buch Jesaja: Und der Herr der Heerscharen wird auf diesem Berg allen Völkern ein Mahl von fetten Speisen bereiten, ein Mahl von alten Weinen, von markigen fetten Speisen, geläuterten alten Weinen. Dann wird er auf diesem Berg die Hülle verschlingen, die das Gesicht aller Völker verhüllt, und die Decke, die über alle Nationen gedeckt ist. Den Tod verschlingt er auf ewig, und der Herr, Herr, wird die Tränen abwischen von jedem Gesicht, und die Schmach seines Volkes wird er von der ganzen Erde hinwegtun. Denn der Herr hat geredet. An jenem Tag wird man sagen: Siehe da, unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns rette! Da ist der Herr, auf den wir hofften! Wir wollen jauchzen und uns freuen in seiner Rettung!“

Jehan wusste: „Le Seigneur est mon berger.“ Diese Erkenntnis sang er mit Hingabe zu Gott.

Der Priester fuhr fort: „Lesung aus den Briefen des Apostel Paulus an die Philipper: Denn unsere Heimat ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Retter erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird und seinem Leib der Herrlichkeit gleichförmig machen wird, nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen.“

Jehan bekreuzigte sich unwillkürlich. Er wünschte so stark, seine Heimat wäre der Himmel. Er wollte nicht diese Schwingen noires in seinem Rücken wissen. Wann käme der Herr zu ihm und machte ihn wieder zu einem seiner Schafe?

Hoch über sein Haupt hielt der Priester das Evangelium, damit jeder Gläubige es sehen konnte. Begleitet von zwei Dienern schritt er langsam zum Altar, sie sangen: „Lob Dir, Christus, König und Erlöser! Dann wird der König zu denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, Gesegnete meines Vaters, erbt das Reich, das euch bereitet ist von Grundlegung der Welt an! Lob Dir, Christus, König und Erlöser!“ Der Priester legte das Evangelium auf den Altar und segnete es mit Weihrauch: „Der Herr sei mit euch.“

Jehan antwortete fiebrig: „Et avec ton esprit.“

Noch immer flankierten die Diener das Evangelium, die Kerzen flackerten. Salbungsvoll sprach der Priester: „Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas: Und es geschah bald darauf, dass er in eine Stadt ging, genannt Nain, und seine Jünger und eine große Volksmenge gingen mit ihm. Als er sich aber dem Tor der Stadt näherte, siehe, da wurde ein Toter herausgetragen, der einzige Sohn seiner Mutter, und sie war eine Witwe; und eine zahlreiche Volksmenge aus der Stadt war mit ihr. Und als der Herr sie sah, wurde er innerlich bewegt über sie und sprach zu ihr: Weine nicht! Und er trat hinzu und rührte die Bahre an, die Träger aber standen still; und er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf! Und der Tote setzte sich auf und fing an zu reden; und er gab ihn seiner Mutter. Alle aber ergriff Furcht; und sie verherrlichten Gott und sprachen: Ein großer Prophet ist unter uns erweckt worden, und Gott hat sein Volk besucht. Und diese Rede über ihn ging hinaus in ganz Judäa und in der ganzen Umgegend.“ Wieder hob der Priester das nun aufgeschlagene Evangelium hoch über sein Haupt und mit eben so langsamen Schritten brachte er es zurück an seinen Platz. „Evangelium unseres Herrn Jesus Christus.“

Ergriffen sah Jehan der kleinen Prozession zu. Die Worte bewegten ihn: Jésus-Christ erretete vom Tod, machte lebendig, was nicht mehr sein sollte. Sein Erbarmen und seine Großzügigkeit waren unermesslich. Vielleicht war auch er, Jehan, einer von diesen Erretteten? Er faltete seine Hände und betete über die predigenden Worte des Priesters hinweg. „Ich glaube an Dieu, den Vater, den Allmächtigen; und an Jésus-Christ, seinen Sohn, den Einziggeborenen, unseren Seigneur, der geboren ist aus l'Esprit-Saint und la Vierge Marie, der unter Ponce Pilate gekreuzigt und begraben wurde, am dritten Tag auferstand von den Toten, aufstieg in den Himmel, zur Rechten des Vaters sitzt, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten; und an l'Esprit Saint, l'Eglise, sainte, le pardon der Sünden, des Fleisches résurrection. Amen.“

Als Jehan wieder aufsah, stand der Priester wieder am Altar und sprach bereits die Fürbitten: „Zu Jesus Christus, der die Macht des Todes überwunden hat, beten wir: Gib allen Gläubigen Anteil am Erbe der Heiligen, die im Lichte sind.“

Eilig stand Jehan auf und antwortete laut: „Seigneur, écoute notre prière.“

„Führe alle Menschen zum ewigen Heil. Wandle Angst in Hoffnung und Traurigkeit in Freude. Schenke den Verstorbenen die ewige Heimat im Himmel. Allmächtiger Vater, lass alle Deine Güte erfahren, die Du als Deine Kinder angenommen hast, durch Christus, unseren Herrn.“

Jehan rief: „Amen!“ Die Worte des Priesters sprachen direkt zu seinem Herzen. Sie erfüllten ihn mit heißer Inbrunst, mit unerschütterlichem Glauben, mit federleichter Zuversicht. Gott würde ihn erhören! Gebannt sah er den bedachten Bewegungen zu, wie der Priester den Altar vorbereitete, Brot und Wein aufrichtete. Erst hob der Priester das Brot hoch, gen Kreuz und betete. Die Hostie leuchtete im glücklichen Licht der Kerzen. Dann hob der Priester den Kelch mit dem Wein empor, gen Kreuz und betete. Das Gold und die Kostbarkeiten des Kelches glitzerten friedvoll im Licht der Kerzen. Tief sog Jehan die kalte Luft der Kirche ein, während der Altar, der Priester und er, die Gläubigen, mit Weihrauch gesegnet wurden. Würde es ihn ausfüllen, wäre er endlich Gott näher, nur einen kleinen Schritt näher.

Mit ausgestreckten Händen stand der Priester hinter dem Altar: „Lasset uns beten: Herr, unser Gott, nimm die Gaben an, die wir darbringen für Deine Diener und für alle, die in Christus entschlafen sind. Befreie durch dieses einzigartige Opfer unsere Verstorbenen aus den Fesseln des Todes und schenke ihnen das unvergängliche Leben. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Der Herr sei mit euch.“

„Et avec ton esprit!“ Jehan stand vor dem Altar, sah den heiligen Schein in den Augen des Priesters. Er war Jésus-Christ! Die erschrockene Stille in der cathédrale war ihm Bestätigung für diese Erkenntnis. Sein Herr stand vor ihm, brach mit ihm das Brot, teilte mit ihm den Wein, opferte sich für ihn – noch einmal. Er fiel vor dem Altar auf die Knie, küsste den Boden zu Füßen des Priesters, zu Füßen Jésus-Christ, zu Füßen seines Gottes. „Saint, Saint, Saint le Seigneur, Herr aller Mächte und Gewalten. Erfüllt sind Himmel und Erde von Deiner Herrlichkeit. Hosanna in der Höhe. Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Seigneur. Hosanna in der Höhe“, sang er in den Staub der Cathédrale Notre-Dame de Reims. Ehrfurcht ergriff ihn.

Der Priester schritt vom Altar zurück, sein Gesicht in Schrecken verzerrt. In seinen weit aufgerissenen Augen spiegelte sich Jehans weißes Antlitz. Er griff nach dem Kreuz, das er um seinen Hals trug, und hielt sich daran fest. „Teu … fel“, keuchte er.

„Diable? Mon Dieu!“, erschrak Jehan und blickte sich um. Die Gläubigen drängten sich dem Ausgang entgegen, versuchten aus der cathédrale zu flüchten. Wo war der dia… War er ihr diable? Aber sie sollten ihn gar nicht sehen. Doch, er war dieser diable, une creatúre de la nuit. Die Gläubigen flüchteten vor ihm.

Aber er hatte Jésus-Christ erkannt! Das Opfer von Brot und Wein, von Leib und Blut würde ihnen allen zu Teil werden. Jehan erhob wieder seine Stimme: „Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde du monde, erbarme dich unser. Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde du monde, erbarme dich unser. Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde du monde, gib uns Deinen Frieden.“ Er sprang über den Altar hinweg und packte den Priester am Arm. Sie mussten die Messe weiterführen, sonst würden sie niemals Erlösung erlangen. Tief schlug er seine langen säbelgleichen Zähne in den Hals des Priesters und sein Blut floss über den Altar. Es war das Blut Jésus-Christ. Mit den scharfen Krallen seiner Hände löste Jehan das Fleich vom Arm des Priesters und hielt es feierlich hoch. Es war der Leib Jèsus-Christ. „Notre Père, der Du bist in den Himmeln, geheiligt werde Dein Name; zu uns komme Dein Reich; Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden! Unser tägliches Brot gib uns heute; und pardonne-nous unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern; und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von du mal. Amen.“ Jehans Stimme erfüllte das ganze Kirchenschiff. Wo waren die himmlischen Putti, um ihrem Gott zu huldigen?

Mit seiner Zunge fing er das Blut des Priesters auf und trank davon. „Wir erwarten den Retter, le Seigneur Jésus-Christ …“ Mit seinen Zähnen teilte er das Fleisch des Priesters und aß davon. „… der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes.“ Mit horreur ließ er den toten Priester loß, der leblos in die Lache seines eigenen Blutes fiel. „Non, non, non …“, flehte er und Tränen rannen über seine Wangen. Jehan wandte sich zum hohen Kreuz um, warf die Hände in die Höhe und doch, der gekreuzigte Jésus-Christ dort droben blieb unbewegt. Laut klagend fiel er auf seine Knie, küsste den blutigen Boden vor dem Altar, zu Füßen seines Gottes. „Barmherziger Dieu, ich habe das sacrifices dargebracht, das Du in Gnaden annimmst. Erbarme Dich ma mort. Du hast mich in der Taufe als Dein Kind angenommen; schenke mir in der Freude des Himmels das verheißende Erbe. Darum bitte ich durch Jésus-Christ, mon Seigneur.“

Wieder war er der Sünde des Blutes verfallen. Mit aller Kraft glaubte er an die Erlösung und son Dieu, Jésus-Christ, doch einem vampire war dies nicht gestattet und es würde immer ein verdrehter Glauben sein. Jésus-Christ würde ihm niemals erscheinen und mit ihm das Brot brechen oder sein Blut teilen. Er war keines seiner geliebten Schafe mehr.

Non, non, non!

EXSPECTANTES TEMPVS

Danach flüchtete Jehan aus Reims. Er konnte nicht bleiben, wo er solch ein fürchterliches Blutbad angerichtet hatte. Ausgerechnet in einer Kirche. Wieder. Er hatte so stark gebetet … Er betete weiterhin stark, betete um Erlösung und betete für Stärke, nicht noch eines Priesters Blut zu vergießen. So ging Jehan nach Lille, nach Amiens, nach Rouen, nach Chartres und er liebte die Kirche in Chartres. Wenn er vor den strahlenden, predigenden Fenstern stand, glaubte er, wieder vor Jesus Christus zu stehen und seine herzerwärmenden Worte zu hören. Bald blutete auch hier ein Priester vor dem Altar. So ging Jehan nach Orléans, nach Tours, nach Cluny, nach Lyon, nach Avignon, nach Montpeller, nach La Rochelle, nach Mont-St-Michel. Der Krieg brach aus.

Jehan flüchtete vor den blutenden Priestern und vor dem Krieg, welcher hundert Jahre andauern sollte. Bald war sein Name Yannaki, denn er ging nach Byzanz und blieb in Konstantinopel. Zumindest versuchte er es und entsagte dem Blut so gut er konnte, bis der Schwarze Tod über das Land hereinbrach. Offenbar zürnte Gott nicht nur ihm und seinem sündigen Dasein, dem Yannaki zu entfliehen versuchte, sondern er zürnte dem ganzen Menschengeschlecht. Der Schwarze Tod machte ganz Europa und den Mittelmeerraum unbesiedelbar, selbst für ein Nachtgeschöpf wie ihn. Yannaki verließ Byzanz und verließ die ihm bekannte Welt. Er ließ das Abendland hinter sich und zog am Morgenland, wo er einst mit Jesus Christus das Brot gebrochen und das Herz geteilt hatte, weit vorbei.

Sein neuer Name war Yauhan und der Tempel von Angkor öffnete ihm die Augen. Glauben und Frieden waren so vielfältig und einzigartig wie ein Mensch zum anderen. Niemals würde er dem Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geiste abschwören, aber er lernte Geduld. Gottes Wege waren für Menschen – und Vampire in seinem Fall – schwer zu erkennen, um Erlösung zu erlangen, müsste er viel beten und lange warten. Dann war er ein guter Christ. Yauhan wartete und betete, verlor sich in der Schönheit des Angkor'schen Gotteshauses. Bis er wieder Priester tötete. Die Thais fielen ein.

Yauhan, besser Johannes, flüchtete zurück nach Europa. Unauffällig zog er durch das Heilige Römische Reich, erkundete die Kirchen in Stralsund, in Lübeck, in Magdeburg, in Münster, in Limburg, in Ulm, in Regensburg und natürlich auch in Köln. Er musste immer weiter ziehen, weiter beten, weiter warten. Wann erhörte Jesus Christus endlich sein flehendes Herz? In Wittenberg erschreckte Johannes einen Professor, der hart und unerbittlich die Kirche angriff. Das konnte er nicht stehen lassen und fast hätte ihn ein Tintenfass erschlagen.

Hätte er ihn bloß bis zum Tode erschreckt, wir er später feststellte und deutsche Lande fluchtartig verließ. Welch ein gräßlicher Krieg im Namen von Macht und falschem Glauben. Jesus Christus predigte Frieden, hörten sie seine Worte nicht? In dem neuen Land nannte er sich John, John Beloved. Amerika war ein Land so weit wie die Hoffnung hell. Hier schöpfte auch er wieder Hoffnung und Zuversicht, das Warten zermürbte ihn. Er betete gegen die Sünde des Blutes, aber sein Fleisch war schwach. Das war keine Entschuldigung, also betete er stärker. Er wartete auf die Erlösung, auf das Erbarmen seines Herrn Jesus Christus, wartete Jahr um Jahr, Dekade um Dekade, Jahrhundert um Jahrhundert, mehr als ein Millenium lang … und er wartete noch immer, als das neue Land die Fesseln der alten Welt abwarf. Es war jetzt unabhängig und John betete noch immer.

Er ging zurück nach Frankreich, in den Kirchen mit ihren strahlenden Fenstern war er Gott näher. Hoffte er. Jean stand wieder in Notre-Dame de Reims und erschauerte beim Gedanken an jenen Abend, an all das Blut jenes Priesters … Er war eine entsetzliche Scheußlichkeit! Wie viele Priester, Diener Gottes, Mönche und Nonnen hatte er ihr Blut genommen? Manchmal sogar ihr Fleisch im Glauben an Jesus Christus. Wie konnte er den Namen seines geliebten Herrn derart beschmutzen? Pfui!

Jean erschrak vor der Revolution und dem Blut, dass sie auf die Straßen brachte. Er floh vor der Guillotine nach Norden. Sein neuer Name war Shawn und er verstand, wie irische Mönche so lange das christliche Wissen Europas aufrechterhielten, während der Kontinent in Machthunger unterging. Hier war es ruhig, hier war es grün, hier war Gottes schöpfende Hand sichtbar. Ein einsames Kloster auf einer einsamen Klippe war ihm der passende Ort für weiteres Warten und Beten. Hier würde er die Versuchung und die Sünde abschütteln. Bald sah er sie im schwarzen Rauch des neuen Geldes nicht mehr. Die erste Briefmarke war so schwarz wie der Kohlestaub.

Er musste atmen! Als Ivan durchstreifte er die slawischen Lande. So groß und alles durcheinander, wie ganz Europa durcheinander war. Wo war der Glauben und der Frieden hin? Wieso schlachteten sie die Familie ihres Herrn ab? Menschen konnten verdammt grausam sein … Tief in sibirischen Wäldern harrte er aus, hier war niemandes Blut und niemandes Feind. In diesen Wäldern, unter diesen Bäumen, war der Tag gleich dem Abend. Irgendwann verließ Ivan seinen Rückzugsort und sah das Sonnenlicht. Seit fast zwei Jahrtausenden zum ersten Mal wieder. Es raubte ihm den Atem.

Als Yuehan mischte er sich unter die Menschen und wählte das falsche Land. Sie starben, es starben so viele vor Hunger. Er kannte dieses nagende, leere Gefühl in einem und auch seinem Hunger waren Menschen zu Opfern gefallen. Allerdings flehte er um Vergebung. Er flehte nach dem Ende dieser Qualen, doch im Angesicht dieses grassierenden Hungers flehte Yuehan nur noch um Reis und Korn für jeden Menschen.

Als Johan ging er Jahrzehnte später zurück nach Europa, genoss die idyllische schwedische Landschaft. Er sah all diese Flüchtlinge. Der Mensch würde wohl niemals vom Kriege lassen. Kein Gott verlangte nach all diesem Leid, der Herr schenkte Liebe und so sehr Johan seinen Herrn Jesus Christus liebte, so sehr hoffte er auf Frieden unter den Menschen, in all ihrer Vielfalt und Einmaligkeit.

Viele Jahrzehnte später sah Giovan den Halley'schen Kometen am vatikanischen Himmel und jubelte: Endlich segnete der Papst die Liebe und Ehe nach jeder Façon. Ihm fiel eine große Last vom Herzen und er dankte Jesus Christus, dass Familie und Liebe keine Sünde mehr war. Dass ihr Kuss keine Sünde mehr war. Erleichterung pochte in seinem Herzen, er bekreuzigte sich und mit Freude wartete er auf den nächsten Tag: Allerseelen, der Ehrentag der Toten.

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Ein einzelner Tropfen Wasser gab kaum ein hörbares Geräusch von sich. Selbst das goccia-goccia-goccia eines leckenden Wasserhahns ging im Lärm der città eterna unter. Wenn sich allerdings zwei, drei, hunderte und tausende von Tropfen Wasser verbündeten und gemeinsam in das Becken des Fontana di Trevi rauschten, übertönte der Lärm jede persona und jede macchina. Giovan lauschte gern der immensen Kraft, die das Wasser hier verkündete. Es erinnerte ihn an vergangene Zeiten, damals war auch der Glauben solch eine Kraft in der Welt gewesen. Heute, tausende Jahre nach dem morte di Cristo am Kreuze, war von dieser Urgewalt im Menschen kaum noch etwas zu spüren. In den Straßen der città eterna sah und hörte er den vergehenden Glanz der Kirche; genauso wie er den lang vergangenen Glanz der Heiden sah. Hier am Fontana di Trevi war er zu Schau gestellt: der Aberglauben der Romani, wo der Gott des Meeres ebenso ein Gott für Pferde war. Die stobenden Pferde wieherten im hellen Licht der Sonne, ihr weißer Kalkstein und Marmor blendete, der ganze Brunnen mit seiner Palastfassade und der Felslandschaft leuchtete grell. Giovan beschattete seine Augen mit einer Hand und sah die colore nero seiner Haut. Einst war er ebenso weiß wie dieser Brunnen gewesen. Er seufzte.

Zwar saß er gern am Rand des Brunnens und lauschte dem an das Meer erinnernde Rauschen, allerdings durfte er nicht zu spät kommen. Nicht heute. Giovan stand auf und ging den schmalen, schattigen Weg namens Via di Pietra entlang. Seine Schritte waren schnell und die alten Fassaden der Häuser sah er heute nicht an. Roma war eine Stadt der Vergangenheit, also gerade richtig für eine creatura della notte wie ihn, denn er war der Zukunft überdrüssig. Wenn er heute einem Menschen sichtbar wurde, rang sich dieser nicht einmal ein müdes Gähnen ab. Früher, ja früher war er ein terrore della notte gewesen; heute sah er das Sonnenlicht. Hatte er sich verändert oder die Menschen? Er besaß nicht die Einsicht in die Dinge der Welt, um darauf eine Antwort zu finden.

In der Ferne hörte er das zarte Läute der ersten Glocken. Nach wenigen Schlägen schwoll die melodia sacra zu einem herrlichen Chor an. Der coro degli angeli erreichte jeden Winkel der città eterna, erreichte jedes Ohr und jedes Herz, egal ob auf den Straßen oder in den Häusern. Kurz blieb Giovan stehen und genoss diese musica celestiale. Ihren kraftvollen, reinen Stimmen wollte er antworten. No, er musste den tre arcangeli antworten: Michele, Raffaele, Gabriele. Und er sang ihre Namen. Er sang den Namen Gesù Cristo und seine eigene Stimme gehörte jetzt zum Chor der heiligen Glocken. Er war ein Teil der città santa ed eterna. Bis er zu sich kam und ihm die Töne im Halse stecken blieben. Er kam zu spät.

Eilig nahm er seinen Weg auf der Via di Pietra wieder auf. Er hastete über die alten und unebenen Steinen. Presto, presto, presto! Er konnte nicht ausgerechnet an diesem Tag im Jahr zu spät kommen. Er lief so schnell ihn seine Füße trugen, lief durch die Menschen auf der Straße hindurch. Was Menschen nicht sahen, fühlten sie auch nicht. Wenn doch nur seine Flügel gesund wären, aber die Zeit hatte ihn nicht nur nero gemacht. So verließ er sich auf seine Füße und eilte voran. Er kam zum Ende der Straße und das Pantheon ragte monumentale vor ihm auf. Ein Gebäude so alt, so voller Geschichte und Glauben; große Ehrfurcht ergriff ihn. Giovan bekreuzigte sich unwillkürlich. Wie ein unerschütterlicher Fels ragte das Gebäude hoch, steinerne Wand wohin das Auge sah. Nur ganz oben, direkt unter der wunderbaren Kuppel standen kleine Fenster in der Wand. Er folgte der Rundung nach vorn zum Eingang. Mit einem leichten Sprung hüpfte er über das Mäuerchen, das Platz und Pantheon voneinander trennte. Er lief weiter, an den starken Säulen vorbei, über das Schachbrett des Fußbodens und hinein in den weiten, so weiten Raum. Wie eine geheimnisvolle grotta. Innen war es einfach wunderschön! Antiche Säulen und antiche statue säumten die Rundung der Wand. Viele Gläubige saßen bereits auf den Bänken. Der Altar stand vor einer Nische mit einem wunderbaren angelo. Giovan bekreuzigte sich erneut und setzte sich. Immer saß er vorn.

Ein metallisches Poltern durchfuhr sie alle. Die Gläubigen wandten sich um, aus dem Dunkel der Vorhalle schritten die Diener und der Priester in den hellen Raum der Messe. Der Chor der gnädigen Putti mit ihren lieblichen Stimmen echote von den hohen Wänden: „Vater unser, der Du bist in den Himmeln, geheiligt werde Dein Name …“ Das grelle Licht der Sonne fiel durch das Opaion, die kreisrunde Öffnung in der Kuppel, und verstreute sich in der ganzen Rotonda. Es war, als würden all die statue in den Nischen rings um sie herum mitsingen. Die Diener und der Priester schritten selig und feierlich durch die Rotonda, immer dem Kreuz des Altars entgegen. „… zu uns komme Dein Reich; Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden!“ Vor dem Altar fielen sie auf die Knie und küssten den Boden vor Gott. „Unser tägliches Brot gib uns heute; und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern …“ Der Priester küsste den Altar und segnete ihn mit Weihrauch. „… und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel.“ Die ganze Rotonda war eine weihevolle Stimme: „Amen.“

Der Priester breitete seine Arme aus und richtete seine Worte an die Gläubigen: „Beginnen wir die Messe: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, wird auch Gott ebenso die Entschlafenen durch Jesus mit ihm bringen. Denn wie in Adam alle sterben, so werden auch in Christus alle lebendig gemacht werden.“

Giovan schloss die Augen. Er sehnte sich nach Gesù Cristo, mehr als er fühlen konnte. In Adam war er gestorben und mit Gesù Cristo war er auferstanden. Oder war es der diavolo, der ihm dieses neue, falsche Leben gegeben hatte? „Ich bekenne Dio, dem Allmächtigen, der seligen, allzeit reinen Vergine Maria, dem San Arcangeli Michele, dem San Giovanni Battista, den Santi Apostoli Pietro e Paolo, allen Heiligen, und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe. Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken per colpa mia, per colpa mia, dal mio grande difetto. Darum bitte ich die selige Vergine Maria, den San Arcangeli Michele, den San Giovanni Battista, die Santi Apostoli Pierto e Paolo, alle Engel und Heiligen, und euch, Brüder und Schwestern, für mich zu beten bei Dio, nostro Signore“, sang Giovan leise und voller Reue. War er noch immer das Übel in dieser Welt? Er bat um Buße. „Signore, abbi pietà. Cristo, abbi pietà. Signore, abbi pietà.“ Hatte denn niemand erbarmen mit ihm? Er kniete vor dem Altar, seine Stirn berührte den kalten Steinboden. Seine Stimme bebte: „Gloria a Dio in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen seiner Gnade. Wir loben Dich, wir preisen Dich, wir beten Dich an, wir rühmen Dich und danken Dir, denn groß ist Deine Herrlichkeit: Signore Dio, König des Himmels, Gott und Vater, Herrscher über das All, Herr, eingeborener Sohn, Gesù Cristo. Signore Dio, Lamm Gottes, Sohn des Vaters, Du nimmst hinweg die Sünde der Welt: erbarme Dich unser. Du nimmst hinweg die Sünde der Welt: nimm an unser Gebet. Du sitzest zur Rechten des Vaters: erbarme Dich unser. Denn Du allein bist der Heilige, Du allein der Herr, Du allein der Höchste, Gesù Cristo, mit dem Spirito Santo, zur gloria di Dio Padre. Amen.“ Unter dem heftigen Gebet erstarb seine Stimme. Scharf zeichneten sich die Knochen seiner Finger unter der schwarzen Haut ab, so stark betete er. Seine Beine zitterten unter der Demut und Frömmigkeit, die er fühlte.

Erneut sprach der Priester und seine tiefe Stimme erfüllte die ganze Rotonda und jede Nische: „Lasset uns beten: Allmächtiger Gott, wir glauben und bekennen, dass Du Deinen Sohn als Ersten von den Toten auferweckt hast. Stärke unsere Hoffnung, dass Du auch unsere Brüder und Schwestern auferwecken wirst zum ewigen Leben. Darum bitten wir durch ihn, Jesus Christus.“

„Amen“, wisperte Giovan. Er schmachtete nach Buße und Erhörung. So lange schon wandelte er auf Erden, tot und doch nicht tot, aber ein vittoria war es nicht. Es war der Verlust seiner Seele. Würde er jemals seinem Schöpfer im Angesicht gegenüberstehen? Er suchte das Heil. In Gesù Cristo fand er Trost.

Die Gläubigen und Giovan setzten sich und folgten den nächsten Worten des Priesters: „Lesung aus dem Buch der Makkabäer: In jenen Tagen veranstaltete Judas, der Makkabäer, eine Sammlung, an der sich alle beteiligten, und schickte etwa zweitausend Silbderdrachmen nach Jerusalem, damit man dort ein Sündopfer darbringe. Damit handelte er sehr schön und edel; denn er dachte an die Auferstehung. Hätte er nicht erwartet, dass die Gefallenen auferstehen werden, wäre es nämlich überflüssig und sinnlos gewesen, für die Toten zu beten. Auch hielt er sich den herrlichen Lohn vor Augen, der für die hinterlegt ist, die in Frömmigkeit sterben. Ein heiliger und frommer Gedanke! Darum ließ er die Toten entsühnen, damit sie von der Sünde befreit werden.“

Giovan wusste: „Dalle profondità a te ho gridato, o Signore.“ Diese Erkenntnis sang er mit Hingabe zu Gott.

Der Priester fuhr fort: „Lesung aus den Briefen des Apostel Paulus an die Thessalonicher: Wir wollen euch aber, Brüder, nicht in Unkenntnis lassen über die Entschlafenen, damit ihr nicht betrübt seid wie die Übrigen, die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, wird auch Gott ebenso die Entschlafenen durch Jesus mit ihm bringen. Denn dies sagen wir euch in einem Wort des Herrn, dass wir, die Lebenden, die übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird beim Befehlsruf, bei der Stimme eines Erzengels und bei dem Schall der Posaune Gottes herabkommen vom Himmel, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit beim Herrn sein. So ermuntert nun einander mit diesen Worten!“

Giovan bekreuzigte sich unwillkürlich. Er wollte so sehr bei seinem Herrn Gesù Cristo sein. Zwar wusste er nicht viel, doch er wusste, wenn der Herr dir eine Prüfung aufgab, so bringe sie zu ende. Also würde er ausharren und weiter warten, hier auf Erden und in diesem ungeheurlichen Zustand, bis sein Herr zufrieden mit ihm war.

Hoch über sein Haupt hielt der Priester das Evangelium, damit jeder Gläubige es sehen konnte. Begleitet von zwei Dienern schritt er langsam zum Altar, sie sangen: „Christus Sieger, Christus König, Christus Herr in Ewigkeit! Jesus sprach zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist; und jeder, der da lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit. Christus Sieger, Christus König, Christus Herr in Ewigkeit!“ Der Priester legte das Evangelium auf den Altar und segnete es mit Weihrauch: „Der Herr sei mit euch.“

Giovan antwortete eifrig: „E con il tuo spirito.“

Noch immer flankierten die Diener das Evangelium, die Kerzen flackerten. Salbungsvoll sprach der Priester: „Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes: Als nun Jesus kam, fand er ihn schon vier Tage in der Gruft liegen. Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien weit; und viele von den Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie über ihren Bruder zu trösten. Marta nun, als sie hörte, dass Jesus komme, ging ihm entgegen. Maria aber saß im Haus. Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben; und jetzt weiß ich, dass, was du von Gott bitten magst, Gott dir geben wird. Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta spricht zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am letzten Tag. Jesus sprach zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist; und jeder, der da lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit. Glaubst du das? Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.“ Wieder hob der Priester das nun aufgeschlagene Evangelium hoch über sein Haupt und mit eben so langsamen Schritten brachte er es zurück an seinen Platz. „Evangelium unseres Herrn Jesus Christus.“

Ergriffen sah Giovan der kleinen Prozession zu. Die Worte bewegten ihn: Gesù Cristo war Leben und Ewigkeit, war Auferstehung und Rettung. Dann war es sein Wille, wie Giovans Dasein nun war, schon so lange war. Er war tot und nicht tot wegen Gesù Cristo, dieser Gedanke war tröstlich. Für seinen geliebten Herrn lebte er in diesem Dasein, egal wie viele hunderte oder tausende Jahre mehr. Er faltete seine Hände und betete über die predigenden Worte des Priesters hinweg. „Ich glaube an Dio, den Vater, den Allmächtigen; und an Gesù Cristo, seinen Sohn, den Einziggeborenen, unseren Signore, der geboren ist dallo Spirito Santo und la Vergine Maria, der unter Ponzio Pilato gekreuzigt und begraben wurde, am dritten Tag auferstand von den Toten, aufstieg in den Himmel, zur Rechten des Vaters sitzt, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten; und an Spirito Santo, la Santa Chiesa, il perdono der Sünden, la risurrezione des Fleisches. Amen.“

Als Giovan wieder aufsah, stand der Priester wieder am Altar und sprach bereits die Fürbitten: „Jesus Christus, der das ewige Leben verheißen hat, bitten wir: Bewahre der Kirche die feste Zuversicht, dass die Toten auferstehen.“

Eilig stand Giovan auf und antwortete laut: „Noi supplichiamo, ascoltaci.“

„Erbarme Dich aller Menschen, damit sie in Dein Reich gelangen, steh den Sterbenden bei, und tröste sie durch Deine Verheißungen. Vergib unseren Verstorbenen ihre Schuld, und schenke ihnen das ewige Leben. Denn Du bist die Auferstehung und das Leben. Dir sei Lob und Ehre in alle Ewigkeit.“

Giovan rief: „Amen!“ Die Worte des Priesters sprachen direkt zu seinem Herzen. Sie erfüllten ihn mit friedlicher Hingabe, mit ehernem Glauben, mit ständiger Zuversicht. Gott würde ihn erhören! Gebannt sah er den bedachten Bewegungen zu, wie der Priester den Altar vorbereitete, Brot und Wein aufrichtete. Erst hob der Priester das Brot hoch, gen Kreuz und betete. Die Hostie leuchtete im glücklichen Licht der Kerzen. Dann hob der Priester den Kelch mit dem Wein empor, gen Kreuz und betete. Das Gold und die Kostbarkeiten des Kelches glitzerten friedvoll im Licht der Kerzen. Tief sog Giovan die kalte Luft des Pantheons ein, während der Altar, der Priester und er, die Gläubigen, mit Weihrauch gesegnet wurden. Würde es ihn ausfüllen, wäre er endlich Gott näher, nur einen kleinen Schritt näher.

Mit ausgestreckten Händen stand der Priester hinter dem Altar: „Lasset uns beten: Herr unser Gott, schau gütig auf unsere Gaben. Nimm Deine Diener und Dienerinnen auf in die Herrlichkeit Deines Sohnes, mit dem auch wir durch das große Sakrament der Liebe verbunden sind. Darum bitten wir durch ihn, Christus, unseren Herrn. Der Herr sei mit euch.“

„E con il tuo spirito!“ Giovan stand vor dem Altar, sah den heiligen Schein des Kelches, des Ziboriums und der anderen heiligen, kostbaren Gefäße der Messer. Das Licht der Sonne spiegelte sich, brachte den heiligen Schein Gesù Cristo in die Rotonda. Der Herr war mit ihnen! Die erschrockene Stille in der Rotonda war ihm Bestätigung für diese Erkenntnis. Sein Herr war mit ihm, brach mit ihm das Brot, teilte mit ihm den Wein, opferte sich für ihn – noch einmal. Er fiel vor dem Altar auf die Knie, küsste den Boden zu Füßen Gesù Cristo, zu Füßen seines Gottes. „Santo, santo, santo il Signore Dio, Herr aller Mächte und Gewalten. Erfüllt sind Himmel und Erde von Deiner Herrlichkeit. Hosanna in der Höhe. Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Signore. Hosanna in der Höhe“, sang er in den Staub des Pantheon a Roma. Ehrfurcht ergriff ihn.

Der Priester schritt vom Altar zurück, sein Gesicht mit Erstaunen gezeichnet. In seinen weit aufgerissenen Augen spiegelte sich Giovans schwarzes Antlitz. Er griff nach dem Kreuz, das er um seinen Hals trug, und hielt sich daran fest. „Bei … Gott“, wisperte er.

„Ja, mit Gott“, nickte Giovan bestätigend und blickte sich um. Die Gläubigen saßen mit größter Verwunderung auf den Bänken, trauten sich keinen Laut zu flüstern. Manch einer bekreuzigte sich. Gott war mit ihnen, mit ihnen allen. Selbst mit ihm, einer creatura della notte … vielmehr creatura del sole.

Gesù Cristo war im Sonnenlicht. Die Rotonda erstrahlte mit ihm. Das Opfer von Brot und Wein, von Leib und Blut ließe sie alle erstrahlen in seinem Geiste. Giovan erhob wieder seine Stimme: „Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde del mondo, erbarme dich unser. Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde del mondo, erbarme dich unser. Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde del mondo, gib uns Deinen Frieden.“ Er sprang über den Altar hinweg und stand an des Priesters Seite. Heute war die Messe, die das Heil der Toten erbat. Tief schlug er seine langen säbelgleichen Zähne in seine Handgelenke, dort wo Gesù Cristo die Nägel hatte spüren müssen. Giovan war dabei gewesen und er hatte das Blut seines Herrn über das Holz des Kreuzes fließen sehen, so wie er nun sein eigenes Blut über das Holz des Altares fließen sah. Mit den scharfen Krallen seiner Hände löste Giovan das Fleisch von seinen Rippen, dort wo Gesù Cristo die Lanze hatte spüren müssen. Giovan war dabei gewesen und er hatte das Loch im Leib seines Herrn gesehen, so wie er nun das Loch in seinem eigenen Leibe sah. „Padre nostro, der Du bist in den Himmeln, geheiligt werde Dein Name; zu uns komme Dein Reich; Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden! Unser tägliches Brot gib uns heute; und rimetti a noi unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern; und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dal male. Amen.“ Giovans Stimme erfüllte das ganze Kirchenschiff. Er hörte die himmlischen Putti, um ihrem Gott zu huldigen. Mit seiner Zunge fing er sein eigenes Blut auf und trank davon. „So spricht Signore Gesù Cristo: Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt …“ Mit seinen Zähnen teilte er sein eigenes Fleisch und aß davon. „… und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.“

Auf seiner Zunge spürte er den heiligen Schein seines Herrn und Gottes. Giovan schloss die Augen, reckte seine Arme dem Opaion entgegen. Alles war gut, er spürte es. Die Toten waren nicht tot, die Sünder waren nicht sündhaft, die Ungläubigen waren nicht ohne Gott. Der Herr liebte sie alle. „Barmherziger Gott, wir haben das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung di Gesù Cristo gefeiert für unsere Brüder und Schwestern. Führe sie vom Tod zum Leben, aus dem Dunkel zum Licht, aus der Bedrängnis in den Frieden. Darum bitten wir durch Gesù Cristo nostro Signore.“

Selbst ein vampiro wie er konnte Buße tun und Gnade finden. Seine Sünden wogen schwer, doch seine Reue war wahrhaftig. Er war eine creatura della notte und doch sah er das Licht. Er spürte das Licht, den heiligen Schein, auf sich und in sich. Endlich ging er mit ihm in den Himmel, nur sein vergossenes Blut blieb hier in der città eterna zurück.

Ti amo Gesú Cristo.


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