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Little Princess Elisa

Harvest Moon
von

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Prolog

Prolog
 

Verärgert stampfte Elisa mit ihrem Fuß auf. Bereits das zweite Mal an diesem Morgen wurde sie von ihrem Vater Cannon ignoriert. Obwohl man sagen muss, dass verärgert nicht ganz das richtige Wort war, um ihre Gemütsstimmung zu beschreiben. Sie war viel eher wütend. Jawohl, wütend!
 

Jeden Morgen bekam Elisa von ihrem Vater zu hören, wie hübsch sie doch wäre und das sie seine persönliche kleine Prinzessin wäre. Das kleine Mädchen freute sich jedes Mal aufs Neue über soviel Lob und Aufmerksamkeit und hielt sich, wahrscheinlich aufgrund dessen, auch für etwas ganz Besonderes.

Als Erklärung ist hier wohl angebracht, dass Elisa gerade mal unschuldige sechs Jahre alt war. Sie hat strahlend blaue Augen und besitzt langes, welliges blondes Haar, die ihr den halben Rücken runter hingen. Mittlerweile gehörte es zu ihrem morgendlichen Ritual, dass sie ihre Haare mindestens zwanzig Minuten lang bürstete, um ihnen einen natürlichen Glanz und Geschmeidigkeit zu verleihen. Zudem band Elisa immer eine Schleife in ihr Haar, die passend war zu ihrem jeweiligen Kleid, welches sie ebenfalls jeden Tag anzog. Die kleine Prinzessin verabscheute Hosen und besaß ausschließlich Kleider und Strumpfhosen und natürlich die dazu passenden niedlichen Schleifen.
 

Man kann sagen, dass Elisa bereits in ihren kindlichen Jahren wusste, wie sie die Herzen und Aufmerksamkeit der Erwachsenen für sich gewinnen konnte. Diese wiederum taten dem Mädchen diesen Gefallen und sparten auch niemals mit ungenügendem Lob oder mangelnder Aufmerksamkeit.
 

Deswegen, war Elisa alles andere als froh darüber, dass ihr eigener Vater ihr nicht die Aufmerksamkeit an diesem Morgen entgegenbrachte, an dem meine Geschichte begann, die sie ihrer Ansicht nach auch verdiente. Wenn man bedenkt, wie viel Zeit sie in ihre sorgfältig überlegte Auswahl an Kleidern und passender Frisur steckte.
 

Immer noch wütend darüber, dass ihr Vater ununterbrochen am Telefon hing, anstatt seine Prinzessin zu bewundern, marschierte die kleine Diva ohne zu frühstücken aus dem Haus. Sie dachte sich, wenn sie schon nicht die nötigen Worte von ihrem Vater zu hören bekommen würde, hatte sie beschlossen, zu ihrer Lieblingsnachbarin Mirabelle rüber zu gehen. Sie hatte bisher nie an Lob, gegenüber Elisas Person betreffend, gespart, und dort würde sie nun auch hingegen.
 

Jedoch, hatte sie auch bei Mirabelle, an diesem traurigen Morgen, kein Glück. In Mirabelles Tierwarengeschäft herrschte Hochbetrieb. Es war Ende des Monats und die Besitzerin hatte beschlossen Inventur zu machen und den gesamten Laden wieder auf Vordermann zu bringen, bezüglich Staub wischen und ähnlichen Tätigkeiten. Vor jedem Regal standen entweder sie oder ihre wenigen Angestellten, die Mirabelle beschäftigte. Peinlich genau, listeten sie den aktuellen Bestand auf und führten zudem gleichzeitig Notizen, was demnächst wieder bestellt werden müsste. Die sonst ruhige, geduldige und liebevolle, korpulente Tierliebhaberin, lief zwischendurch wie ein aufgescheuchtes Huhn umher und checkte nebenbei ihre Finanzen, wie viel Gewinn oder Verlust, sie im letzten Quartal gemacht hatten.

Erneut wandte sich Elisa enttäuscht zum Gehen und zugleich musste sie sich eingestehen, dass ihre Hoffnung, selbstgebackene Kekse von Mirabelle zu bekommen, sich soeben in Luft aufgelöst hatte.

Inzwischen bekam das kleine Mädchen nämlich Hunger.
 

Den ganzen Vormittag spazierte Elisa durch die Straßen in ihrer Nachbarschaft und versuchte jemanden zu finden, der ihr bestätigte, wie unglaublich hübsch sie heute wieder aussah. Dummerweise, war ihr Hunger mittlerweile so groß geworden, dass sie seit ungefähr einer guten Stunde planlos durch die Gegend irrte ohne wirklich zu wissen, wohin ihre kleinen Füße sie gerade trugen.

Als, sie plötzlich über einen Stein stolperte und kurz vor Schreck und Schmerz aufschrie, stellte sie fest, dass sie sich auf einer wunderschönen bunten Blumenwiese befand. Der Anblick raubte ihr kurzzeitig den Atem. Blumen liebte das kleine Mädchen, neben ihren zahlreichen Kleidern, über alles. In Sekunden schnelle war ihr knurrender Magen und die fehlende Aufmerksamkeit an diesem Morgen vergessen. Lachend lief sie über die Wiese und bewunderte all die schönen Blumen, die in verschiedenen Farben miteinander konkurrierten. Elisa ließ sich, in der Mitte der Wiese, auf den Boden fallen und pflückte soviele kleine Gänseblümchen, dass sie einen Blumenkranz daraus flochten konnte.
 

Sie summte dabei und bekam gar nicht mit, dass sie von mehreren Augenpaaren aus dem Gras heraus beobachtet wurde. Diese Augen, oder besser gesagt, diese kleinen Wesen, waren so klein, dass man kaum in der Lage war, diese mit bloßem Auge zu erfassen. Leise schlichen sie sich an Elisa heran und sahen mit großer Neugierde dabei zu, wie das blonde Mädchen ihren Blumenkranz vollendete.
 

Ich erwähne an dieser Stelle, dass dies nur Vermutungen von mir sind, evtl. sogar Einbildungen. Ich erinnere mich noch, dass ich ein kleines blondes Mädchen sah, das friedlich vor sich her singend, auf einer herrlichen Blumenwiese saß und einen Kranz aus Gänseblümchen geflochten hatte. Allerdings, muss etwas Sonderbares an diesem sonnigen Frühlingstag passiert sein. Denn alles, was danach geschah, war mit dem logischen Denken des Menschen nicht richtig zu erklären.
 

Was ich euch diesbezüglich gestehen sollte, auch ich habe diese Wesen, die sich Elisa näherten, nicht richtig wahrnehmen können. Sie sind unfassbar schnell und flink, zudem so winzig klein, dass man lediglich eine Art Funke erkennen kann. Wenn überhaupt, und wenn man in der Lage ist, seine Umgebung auch für unwichtigere Dinge zu betrachten. Des Weiteren vermute ich, dass diese Wesen Flügel besitzen müssen. Dies ist auch der Grund, warum ich sie aus reiner Naivität heraus als Feen bezeichne, obwohl dies wahrscheinlich auch nicht das richtige Wort für diese Wesen ist. Doch wir Menschen neigen nun mal dazu, alles einen Namen zu geben, um jede Kleinigkeit benennen zu können und um anderen etwas deutlicher zu machen.
 

So oder so, fahren wir nun fort mit meiner Erzählung. Elisa war so in Gedanken versunken, dass die Feen inzwischen so nah an sie herangekommen waren, dass sie ihr orangenes Kleid berühren konnten. Auch ihr Blumenkranz war in der Zeit fertig geworden. Mit Schwung stand Elisa auf und setzte sich den Blumenkranz auf den Kopf. Die Feen erschreckten sich durch diese plötzliche Bewegung und wichen ein wenig von ihr zurück. Das kleine Mädchen strahlte über das ganze Gesicht und vollführte vor den Augen der kleinen Wesen einen Tanz. Lachend und gleichzeitig singend, drehte sie sich im Kreis, sodass ihr Kleid sich aufbauschte und fließend mit ihr bewegte. Davon waren die Feen so beeindruckt, ein so lustiges Mädchen auf ihrer Wiese zu haben, die soviel anders war als sie selber, dass sie sich langsam aus dem Gras erhoben und begannen, sich ebenfalls kreisend, um Elisa herum zu fliegen, dass das Mädchen sie nicht bemerkte. Zudem war sie zu sehr in ihre eigenen Gedanken vertieft. Ich vermute, dass sie nur ein Flackern vor ihrem Auge erkennen konnte. Wahrscheinlich hielt sie diese für die Strahlen der Sonne, die auf dem Boden oder in der Luft reflektierten.

Weil Elisa eben so abgelenkt von sich selber war, konnte sie nicht mitkriegen, wie die Feen ebenfalls ein Lied sangen.
 

Und wieder muss ich erwähnen, dass ich dieses nur vermute. Doch irgendetwas mussten die Feen getan haben, denn Elisa war für einen kurzen Moment in strahlendes Licht getaucht, das wie eine zylinderartige Säule um sie herum vom Boden bis in den Himmel ragte. Deswegen, gehe ich stark davon aus, dass dies etwas mit den Feen zu tun haben musste. So schnell, wie das blendende Licht aufgetaucht war, desto schnell war es wieder verschwunden.
 

Und Elisa?
 

Das unbeschwerte Mädchen hüpfte weiterhin auf der Stelle und sang nichts ahnend ihr Lied.

Der bunte Blumentisch

Kapitel 1
 

Der bunte Blumentisch
 

Seltsame Dinge sollten in der nächsten Zeit geschehen. Vorab muss ich erwähnen, dass diese mysteriösen Geschehnisse in einem kleinen ruhigen Dorf aufgetreten waren. Wie viele Einwohner dieses ländliche Idyll beherbergte, kann ich nicht sagen, weil mich Zahlen bisher nie interessiert hatten. Außerdem könnte ich sie mir sowieso nicht merken, selbst wenn ich mir noch so viel Mühe dabei geben würde.

Zurück zu den Ereignissen. Es lag nahe, dass diese unerklärlichen Begebenheiten erst dann anfingen aufzutreten, nachdem Elisa auf der wunderschönen Blumenwiese von diesem hellen Licht umgeben war. Nach wie vor, bin ich mir ziemlich sicher, dass die von mir genannten Feen dafür verantwortlich waren, denn eine andere Erklärung konnte ich nie finden. Außerdem, fand Elisa diese Blumenwiese niemals wieder…
 

Im Haus von Cannon ging alles seinen gewohnten Gang. Es war bereits Ende Frühling, die Sonne schien immer häufiger, weswegen man spürte, dass es immer wärmer wurde und der Sommer sich allmählich ankündigte.

Cannon, der Vater von Elisa, war ein großer, muskulöser Mann, der ein breites Kreuz besaß, weswegen er auch bedrohlich und furchteinflößend wirkte. Für seine Größe, hatte er allerdings erstaunlich kurze Beine, so dass es an ein Wunder grenzte, dass diese dazu in der Lage waren, sein Geweicht zu tragen, bzw. vorwärts zu bewegen. Seine Muskeln besaß er, aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit, die er als Handwerker, Tischler, Schreiner usw. ausübte. Er hatte ein unglaubliches Geschick für Holz und sämtliche anderer Materialien, dass er viele Häuser, Möbel und noch vieles mehr in dieser Richtung, im Laufe seines Lebens gebaut und angefertigt hatte. Darunter zählte auch sein eigenes Heim, sowie die befindliche Ausstattung darin. Viele halten ihn für grob, was aufgrund seines Äußeren zurück zuführen ist. Er wirkt oft mies gelaunt, ist aber im Grunde genommen ein sensibler und feinfühliger Mann, der immer mit anpackt, wenn es Probleme gibt und für seine Freunde immer ein offenes Ohr hat. Daher mögen ihn die Bewohner des Dorfes, weil sie wissen, dass sie sich auf ihn verlassen können und er hervorragende Arbeit leistet. Kaum einer, besitzt nicht mindestens ein Möbelstück, was von ihm persönlich hergestellt wurden ist.

Auch ich, habe mir von ihm einen Kleiderschrank anfertigen lassen. Ich kann euch versichern, dass ich diese Investition bis heute nicht bereue.
 

Cannon war gerade dabei gewesen, einen Esstisch zu lackieren, als seine Tochter in die Werkstatt gelaufen kam.

„Papi?“

„Ja, mein Schätzchen?“

„Wie findest du mein neues Kleid? Ist es nicht schön? Oma hat es mir mit der Post geschickt, die soeben ankam.“

Vergnügt drehte sich Elisa im Kreis, sodass ihr neues rotes Kleid, welches mit gelben Blumen am Kragen und Rocksaum verziert war, sich fließend um ihre Beine und Hüpfte bewegte. Selbstverständlich sah der Vater von seiner Arbeit auf.

„Du siehst wunderschön aus, mein Schatz. Ein Glück, dass du nach deiner Mutter kommst.“

Ach, stimmt ja! Vielleicht hattet ihr euch schon gefragt, wie es sein kann, dass ein proportional unförmiger Mann, wie Cannon, eine so bildschöne Tochter, wie Elisa haben kann.

Die Antwort ist ganz einfach: das blonde Mädchen besitzt die ausgeprägten Merkmale ihrer Mutter. Elisa hat ihre langen blonden Haare von ihrer Mutter geerbt, sowie ihre strahlend blauen Augen. Zudem war ihre Mutter sehr modebewusst und trug ebenfalls ausschließlich Kleider mit dazugehörigen Accessoires. Leider kann ich euch nicht erzählen, wie zwei so unterschiedliche Menschen zueinander gefunden haben. Ich möchte Cannons Privatsphäre akzeptieren, weil ihm der Verlust seiner geliebten schönen Frau immer noch sehr nahe geht.

Seine Frau war direkt nach Elisas Geburt ums Leben gekommen. Die Ärzte hatten vor Ort ihr bestmögliches getan, um sie am Leben zu erhalten, jedoch vergeblich. Aufgrund der Geburt, hatte sie sehr viel Blut verloren, weswegen alle Mühe vergebens war.
 

Nichtsdestotrotz, ist aus Elisa ein glückliches und unbeschwertes Mädchen geworden, die von ihrem Vater über die Maßen geliebt wird. Außerdem, kann ich euch versichern, dass Cannon nach wie vor dieselben Gefühle für seine verstorbene Frau hegt, wie damals als sie geheiratet hatten. Diese Liebe ist noch nicht in ihm erloschen.

Von daher, möchte ich euch bitten, ihn nicht zu bedrängen und ihn nach seiner Frau auszufragen, solltet ihr ihm mal begegnen.
 

Mit einem Lachen im Gesicht setzte Cannon seine Arbeit fort. Nur, wer genau hinsah, konnte erkennen, dass eine tiefe Trauer in seinen Augen zu lesen war. Trotzdem bereitete es ihm, jedes Mal aufs Neue unglaubliche Freude, seine kleine Tochter so ausgelassen und fröhlich zu erleben. Vielleicht war das der Grund, weswegen er ihr nichts ausschlagen konnte, überlegte er sich in diesem Moment. Sie war und ist nun mal, seine kleine Prinzessin.
 

„Du, Papa?“, unterbrach Elisa für einen kurzen Moment ihren Gesang.

„Was gibt es denn noch, mein Schatz?“, fragte der große Mann ohne seine Arbeit erneut zu unterbrechen.

„Was ist das für eine hässliche Farbe, die du für den Tisch benutzt?“, wollte Elisa wissen und verzog ein wenig angewidert ihr Gesicht dabei.

„Diese Farbe nennt man Ocker, mein Schatz. Der Kunde hatte ausdrücklich diese Farbe gewünscht.“

„Das glaube ich nicht. Niemand kann unter so einer großen Geschmacksverirrung leiden.“, entrüstete sich das kleine Mädchen.

„Aber Schätzchen, auf die Wünsche unserer Kunden muss ich schon eingehen, damit er hinterher, wenn er die Ware kauft, vollauf zufrieden ist. Schließlich hat jeder seinen eigenen persönlichen Geschmack und Vorstellungen, wie es bei sich zu Hause aussehen soll. Und man möchte sich im eigenen Heim besonders wohlfühlen. Außerdem, ist die Farbe nicht ganz so grässlich, wie du sie darstellst.“, erklärte der Handwerker ruhig seiner Tochter.

„Gefällt dir denn diese Farbe, Papi?“

„Nun ja, es gibt gewiss schönere, aber wie gesagt…“

„Also, ist es nicht deine Lieblingsfarbe?“, bohrte Elisa nach.

„Das hat damit nichts zu tun. Ich halte mich lediglich an die Wünsche des Kunden.“, antwortete, der inzwischen leicht genervte Vater geduldig.

„Trotzdem kannst du sie nicht leiden.“

„Elisa, bitte, das hat überhaupt nichts…“
 

„Würdest du nicht lieber eine andere Farbe benutzen?“, unterbrach das kleine Mädchen ihren Vater erneut.

„Schätzchen…“

„Ich habe eine Idee.“ Plötzlich und ganz aufgeregt, hüpfte Elisa ein paar Mal auf der Stelle und bekam leuchtende Augen. „Was würdest du davon halten, den Tisch bunt zu bemalen mit allen Blumen dieser Welt darauf, die es gibt?“

„Elisa, jetzt ist aber genug. Dieser Tisch ist für den Bürgermeister. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er einen Blumentisch haben möchte.“

„Warum denn nicht? Hast du ihn etwa gefragt?“

Mittlerweile ziemlich genervt, rollte Cannon mit seinen Augen. Dennoch versuchte er sich nichts anmerken zu lassen und antwortete weiterhin geduldig.

„Nein, natürlich nicht.“
 

Diese Unterhaltung strengte ihn immer mehr an. „Willst du nicht nach draußen gehen und spielen, mein Schatz?“, wagte der verzweifelte Mann seine Tochter endlich loszuwerden. Mag er sie noch so sehr lieben, was er auch tut, irgendwann brauchte er aber auch wieder seine Ruhe. Gerade bei der Arbeit.

„Nö, jetzt nicht. Kannst du den Bürgermeister nicht fragen, ob er nicht doch lieber einen bunten und schönen Tisch haben will?“

Elisa gab echt nicht auf. Hatte sie sich erstmal etwas in den Kopf gesetzt, versuchte sie es mit allen Mitteln zu bekommen. Aus Erfahrung wusste sie, dass es meistens funktionierte, wenn sie ihren Vater lange genug bedrängte. Relativ selten gelang es ihr nicht. Allerdings, war dies dann der Fall, wenn es ihr mit einem Mal zu langweilig wurde und sie das Interesse an einer Sache verlor.

Cannon antwortete nicht sofort darauf. Fürs erste, musste er tief Luft holen, bevor er in der Lage war auf diese Frage zu reagieren. Denn unnötig anschreien, wollte er seine Tochter auch wieder nicht.
 

Jedoch, geschah dann etwas, damit hätte der große Mann im Leben nicht gerechnet. Nebenbei bemerkt, ich auch nicht. Er, der pragmatisch veranlagt war, konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was sich unmittelbar vor seinen Augen abspielte. Der letzte Satz seiner Tochter hing noch in seinen Gedanken, bevor dies passierte.

„Ich wünsche mir, dass du den Tisch bunt anmalst mit allen Blumen dieser Welt darauf.“
 

Gesagt, getan. Anders konnte man es nicht beschreiben. Automatisch stand Cannon auf, holte sämtliche bunte Farben aus seinem Regal an der Wand, die er besaß und begann den fast fertig lackierten Tisch neu zu bemalen. Dabei könnt ihr euch sicher vorstellen, dass sich Cannon die gesamte Zeit über fragte, was er da eigentlich tat. Im Grunde genommen, wollte er das gar nicht tun, dennoch tat er es. Was war nur mit ihm los?
 

Jetzt kommen wieder die kleinen Wesen ins Spiel, von denen ich euch bereits erzählt hatte. In diesem Moment waren sie nicht in Cannons Werkstatt, aber ich vermute, dass dies etwas mit dem goldenen Licht zu tun hatte, welches Elisa für einen kurzen Moment auf der Wiese umgeben hatte, als die Feen um sie herum flogen und gesungen hatten. Die Feen müssen ihr eine Art Gabe verliehen oder übertragen haben. Zumindest finde ich es schon recht merkwürdig, dass unmittelbar, nachdem Elisa ihren Wunsch geäußert hatte, ihr Vater anfing, diesen auch in die Tat um zu setzten, obwohl ihr wisst, dass er sich partout weigerte und es seiner Tochter ausführlich erklärt hatte, warum es nicht ging.
 

Ununterbrochen bemalte Cannon den Tisch für den Bürgermeister. Jegliche Farbe trug er fein säuberlich auf und malte an einigen Stellen Blumen auf. Diese Prozedur dauerte gut sechs Stunden. Nachdem der Handwerker fertig war, starrte er ungläubig auf sein vollendetes Werk. Fassungslos stand er davor mit hängenden Schultern und versuchte zu begreifen, was er die letzten Stunden getan hatte. Elisa war, kurz nachdem sie gesehen hatte, dass ihr Vater nun bereit war, ihrer Bitte nachzukommen, mit einem zufriedenen Grinsen aus der Werkstatt und in ihr Zimmer gegangen. Vergnügt hatte sie dort mit ihren Puppen gespielt. Als es nun aber Zeit fürs Abendessen wurde, tauchte Elisa wieder an der Tür zur Werkstatt auf.

„Papa? Ich habe Hunger. Wann gibt es… Oh!“

Entzückt starrte das blonde Mädchen den bunten Tisch an. „Oh, Papa! Der ist aber schön!“
 

Langsam hob Cannon seinen Kopf und sah seine Tochter immer noch perplex an.

„Ja…ein wirklich schöner Tisch.“

Guten Morgen

Kapitel 2
 

Guten Morgen
 

Chen war ein langjähriger Freund von Cannon. Beide hatten sich im örtlichen Krankenhaus auf der Entbindungsstation kennengelernt. Ihre jeweiligen Ehefrauen

lagen gleichzeitig in den Wehen in nebeneinandergelegten Zimmern im Kreissaal.

Die zwei Ehemänner saßen vor der Verbindungstür auf Sitzbänken und warteten darauf, dass ihre Frauen jede Minuten zu ihnen stoßen würden.
 

Im Laufe der Wartezeit kamen Chen und Cannon ins Gespräch. Sie merkten bald, dass dies der Beginn einer langen und guten Freundschaft werden würde. Denn, wie ich bereits erwähnt hatte, starb Cannons Frau kurz nach der Geburt, während Chen einen gesunden Sohn geschenkt bekam und seine Frau wohlauf war. Die entstandene Familie stand in den nächsten Jahren Cannon mit Rat und Tat zur Seite. Weil Elisa eine Mutter fehlte, übernahm Chens Frau Maron gerne diese Rolle. Der Handwerker war ihnen so dankbar, dass es dadurch für ihn leichter war den Tod seiner Frau zu verkraften und letztendlich auch zu akzeptieren. Er hatte verstanden, dass er nun für Elisa da sein und sie versorgen musste. Zum Erstaunen aller, die sich Sorgen um Cannon gemacht hatten, ob er dieser Aufgabe auch gewachsen sei, stellte sich heraus, dass er ein liebevoller und verantwortungsbewusster Vater wurde. Elisa fehlte es, mit Ausnahme der Mutter, daher an nichts.
 

Aus diesem Grund verbrachte Elisa viel Zeit bei Chen und seiner Frau und deren kleinen Sohn Charlie.

Charlie ist ein genauso lebhafter und quirliger Junge wie Elisa. Beide verbindet eine typische Jungen-Mädchen Freundschaft. Sie streiten viel miteinander, können gleichzeitig kaum bzw. selten ohne den anderen. Ich denke, dass ich nicht extra erwähnen muss, dass das kleine Mädchen oft als Gewinnerin aus einem Streit hervor geht. Das ist naheliegend, denn Elisa ist ein Mädchen und hat die natürliche Begabung unschuldig zu wirken. Außerdem weiß sie genau, wie sie die Herzen ihrer Mitmenschen gewinnt. Dagegen wird von Charlie verlangt, dass er sich gegenüber eine Dame, in diesem Fall noch sehr jungen Dame, wie ein Gentleman benimmt. So nachdem Motto: Eine Frau (hier auf ein Mädchen bezogen) schlägt man nicht (hier auf Ärgern bezogen). Demnach soll der kleine Junge, als ein beispielhaftes Vorbild fungieren, was er selbstverständlich als ungerecht empfindet, denn er ist der einzige, der erkennt, dass Elisa nicht so unschuldig ist, wie sie sich immer darstellt. Leider stößt er diesbezüglich bei den Erwachsenen auf taube Ohren.
 

Es war ein sonniger Frühlingstag. An sämtlichen Bäumen wuchsen erneut die Blätter,

die ankündigten, demnächst in herrlichen grün gekleidet zu sein. Auf den Wiesen und Straßen wuchs allmählich frisches Gras und kleine Blumen durchbrachen die Erdoberfläche. Alles erwachte aus seinem jährlichen Winterschlaf, auch die Bewohner der kleinen Stadt.
 

Chen war einer, der ersten, der einen Fuß vor die Tür setzte, um seinen Lebensmittelladen zu eröffnen. Er war gerade dabei, die Schlösser an den Jalousien der Vordertür des Ladens zu öffnen als eine helle Mädchenstimme hinter ihm erklang.

„Guten Morgen, Onkel Chen.“

Keineswegs überrascht drehte sich Chen zu Elisa um. „Guten Morgen, Elisa.“, begrüßte er sie. „ Du bist aber früh auf, heute. Oder hat dein Vater dich vor die Tür gesetzt?“, fragte Chen, um das kleine Mädchen ein wenig zu necken. Natürlich wusste er, das sein bester Freund dies niemals tun würde, dafür war er viel zu sehr mit seiner Vaterrolle verbunden.
 

„ Quatsch!“, entrüstete sich auch sofort das aufgebrachte Mädchen und blähte ihre kleinen Wangen auf. „Nie und nimmer! Mein Papi hat mich ganz doll lieb!“
 

„Beruhige dich doch, Elisa. Ich mache doch bloß Spaß. Tut mir leid, wenn ich dich gekränkt habe.“, beschwichtigte Chen sie. So einen Ausbruch hatte er nicht gewollt. Einige Sekunden lang, starrte Elisa Chen noch verärgert an, bis sie schließlich lächelte.

„Ich weiß, wie du das eben wieder gut machen kannst.“
 

Erstaunt riss Chen seine Augen auf. Wieder einmal musste er sich eingestehen, dass man bei dem kleinen blonden Mädchen nie weiß, welche Stimmung bei ihr gerade vorherrscht, bzw. wie lange diese anhält. Von jetzt auf gleich, kann diese sich nämlich sprunghaft ändern. Meistens mit einer hundert achtzig Grad Drehung.
 

„Wie denn, meine Kleine?“, fragte der Lebensmittelhändler neugierig nach.

„Ganz einfach.“, erhob Elisa ihre Stimme vorfreudig an.

„Indem du mir sagst, lieber Onkel, wie dir mein neues Kleid gefällt.“
 

Chen musste innerlich kurz auflachen. Das war mal wieder typisch Elisa. Ihr zuliebe, tat er diesen Gefallen.

„ Das Kleid steht dir wirklich ausgezeichnet, Elisa. Auch die pinke Schleife passt hervorragend zu deinen blauen Augen.“

„Oh!“

Mit solch einem fantastischen Lob hatte das blonde Mädchen nicht gerechnet. Vor Verlegenheit liefen ihre Wangen rosa an, passend zu ihrem neuen Kleid.

„Du bist der beste, Onkel Chen.“
 

Elisa deutete Chen an, sich zu ihr runter zu bücken. Kaum hatte er das getan, beugte sich das kleine Mädchen vor und küsste ihren Nachbarn auf die Wange.

„Hihi! Dein Bart kitzelt, Onkel Chen.“

Mit diesen Worten lief Elisa an ihm vorbei und öffnete die Tür zu seinem Haus.
 

„Charlie? Charlie, bist du da?“, rief Elisa kurz nachdem sie durch die Haustür getreten war.

„Oh! Guten morgen , Elisa. Hübsch siehst du heute aus.“ Maron kam aus der Küche in den Flur und begrüßte Elisa.

„Guten Morgen, Tante Maron. Vielen Dank, das Kleid und die Schleife sind ganz neu.“ Um ihren Worten, noch mehr Ausdruck zu verleihen, drehte sich

Das kleine Mädchen ein paar Mal um die eigene Achse und lächelte vergnügt dabei.
 

„Schön, dich immer so heiter zu sehen. Charlie ist in seinem Zimmer. Magst du ein paar Kekse mit hinauf nehmen? Ich habe sie gestern Abend noch gebacken.

„Au ja! Liebend gern.“ Elisa strahlte über das ganze Gesicht. Sie liebte Kekse und alle anderen Süßigkeiten über alles. Also, folgte sie Maron in die Küche.

Maron ist eine sehr hübsche Frau. Ihre Figur ist zierlich, an der kein Gramm Fett zu viel ist. Heute trug sie eine blaue Jeans, die ihre langen Beine hervorragend zur Geltung brachte, dazu ein passendes dunkelgrünes Sweatshirt. Die Schwangerschaft hat sie noch schöner und zu einer reiferen Frau werden lassen. Ihre hellbraunen Haare sind zu einem kunstvollen Kranz geflochten, den Elisa mit großen Augen bemerkte.
 

„Du, Tante Maron?“

„Ja, Elisa?“

„Hast du deine Frisur ganz alleine gemacht? Das muss sehr schwer gewesen sein.“, wollte das neugierige Mädchen unbedingt wissen.
 

„Ja, du hast Recht. Dafür bin ich heute Morgen extra früher aufgestanden. Alleine ist es gewiss nicht so einfach und mein Mann ist in solchen Dingen alles andere als eine vernünftige Hilfe. Meine Mutter hatte sie mir beigebracht als ich noch jünger war.“, erklärte Maron freudig.
 

„Kannst du meine Haare auch so flechten?“

„Aber natürlich. Leider habe ich gerade keine Zeit. Ich muss noch einkaufen und dann das Mittagessen zubereiten. Wenn du bis nach dem Mittag bleiben willst, flechte ich dir gerne deine Haare.“

„Ja! Das hört sich toll an! Kann ich jetzt die Kekse mit zu Charlie nehmen?“

„Selbstverständlich.“
 

Während sie sich unterhalten hatten, hatte Maron in der Zwischenzeit einige Kekse auf einen Teller gelegt, den sie nun Elisa reichte. Ein lautes Quieken war daraufhin von Elisa zu hören. Auf den Teller befanden sich drei verschiedene Sorten von Keksen. Schokoladenkekse, Kokoskekse und Zitronenkekse. Dem kleinen Mädchen lief das Wasser bei diesem Anblick im Mund zusammen. Sie bedankte sich überschwänglich bei Maron und eilte danach die Treppe ins obere Stockwerk hinauf zu Charlie.
 

Charlie hockte vor seinem Bett auf dem Boden und spielte gerade mit seinen Spielzeugautos. Er besaß ein Dutzend davon. Darunter Polizeiautos, Feuerwehrautos, Krankenwagen und diverse Zivilfahrzeuge. Für seine fahrbaren Spielzeuge hatte der kleine Junge einen Teppich, der mit einer kleinen Stadt versehen war und auf dem genügend Straßen eingezeichnet waren, auf denen er die Autos fahren lassen konnte.
 

Der sechsjährige trug heute eine blaue Hose und eine dunkelblaues T-Shirt auf dem der Junge aus der Zeichentrickserie „Ben10“ abgebildet war. Er liebte unter anderen diese Serie und sah sie sich jeden Tag an. Elisa verzog bei diesem Anblick ein wenig ihr Gesicht. Zudem missfiel ihr auch seine Mütze, auf dem ein leuchtender Sticker von „Pokemon“ draufgeklebt worden war. Warum er immer mit dieser dämlichen Mütze herumlief, wusste Elisa nicht und würde es vermutlich auch nicht verstehen. Sie hatte bereits häufiger versucht, Charlie in Sachen Mode zu beraten und sich von einigen seiner Kleidungsstücke für immer zu verabschieden, weil diese, ihrer Ansicht nach, kein Junge tragen sollte und zudem unmöglich aussahen. Außerdem wollte sie ihn von diesen albernen Zeichentrickserien abbringen, die in ihren Augen nichts mit der Schönheit der Welt zu tun hatten, die sie in ihren Kleidern und Blumen sah.

Bisher jedoch, ohne Erfolg. Charlie weigerte sich stur, irgendeiner Bitte oder Forderung von Elisa nachzukommen. In seinen Augen, war sie eben eine dumme Ziege und, wie sollte es auch anders sein, ein Mädchen, dass ihn jeden Tag aufs Neue nervte.
 

Nachdem Elisa die Zimmertür hinter sich geschlossen hatte, sah Charlie nur kurz auf, ehe er sich wieder seinen Autos widmete.

„Du kannst mir ruhig „Guten Morgen“ sagen, wenn ich dein Zimmer betrete.“, beschwerte sich Elisa sofort bei Charlie und stellte den Teller mit den Keksen auf seinem Tisch ab, der links von ihr an der Wand stand.
 

„Ich habe nicht gehört, dass du mich begrüßt hast.“, konterte der kleine Junge zurück. Kaum hatte Elisa angefangen mit ihm zu sprechen, war Charlie zugleich genervt und reagierte deswegen auch gereizt. Zumal er keine Lust hatte mit Elisa zu spielen. Gestern war sie bereits den ganzen Tag bei ihm gewesen und hatte ihn gezwungen „Vater, Mutter, Kind“ zu spielen. Ein Alptraum für den kleinen Jungen, weil er immer der Vater sein musste. Dementsprechend spielte Elisa immer die Mutter und eine Puppe von ihr war deren gemeinsames Kind. Einmal, hatte das kleine Mädchen Charlie sogar dazu genötigt, der Puppe einen Gute-Nacht-Kuss zu geben. Dieses Erlebnis war für den Jungen so abartig, dass er in der anschließenden Nacht davon geträumt hatte, dass ihn hunderte von Puppen mit langen Haaren und bunten Kleidern, die seltsamerweise alle Ähnlichkeit mit Elisa hatten, verfolgten und ihn unbedingt küssen wollten. Aufgrund dessen, gruselt sich Charlie heute noch vor Elisas Puppen und vermeidet es so gut es geht, diese jemals wieder anzusehen, geschweige denn, berühren zu müssen.
 

Es mag grausam von mir sein, aber jedes Mal, wenn ich daran zurückdenke oder es jemanden erzähle, muss ich grundsätzlich darüber lachen, weil es einfach zu komisch ist. Trotzdem hege ich für den Jungen ein großes Mitgefühl, denn das Mädchen macht ihm manche Tage wahrlich zur Hölle, was ihr euch sicher vorstellen könnt.
 

„Trotzdem.“, antwortete Elisa prompt und wandte sich den leckeren Keksen zu. Genüsslich ließ sie den knusprigen Teig auf ihrer Zunge zergehen. Durch das Kaugeräusch aufmerksam geworden, hob Charlie seinen Kopf und entdeckte die Kekse, die vor Elisa auf SEINEM Tisch lagen.
 

„Hey! Ich will auch Kekse. Futter sie nicht alleine auf!“

„Erst, wenn du „Guten morgen“ sagst.“

„Das ist Erpressung, Elisa!“
 

Hochnäsig drehte sich das kleine Mädchen mit den Teller voll Keksen von Charlie weg, der nun ihren Rücken betrachten konnte. Wütend stand Charlie auf und ließ dabei achtlos seine Autos fallen. Mit schnellen Schritten erreichte er Elisa, blickte ihr auffordernd ins Gesicht und versuchte ihr die Kekse zu entwenden.
 

„Meine Mama hat diese Kekse gebacken. Gestern durfte ich keine davon essen vor dem schlafen gehen. Du hast kein Recht diese Kekse zuerst und alleine zu essen!“, echauffierte sich Charlie.

„Und ob ich das habe!“, entgegnete Elisa und hielt eisern den Teller fest, wobei sie versuchte, sich wieder von Charlie wegzudrehen.

„Lass los, du blöde Ziege!“, fing nun der kleine Junge an zu schimpfen.

„Nein! Du zuerst!“, forderte das blonde Mädchen ihn auf.

„Warum sollte ich? Das ist MEIN zu Hause.“

„Mag sein. Lerne dich aber erstmal richtig zu benehmen.“

„Was soll das jetzt schon wieder heißen?“

„Indem du anfängst, mir „Guten Morgen“ zu sagen, wenn ich dich besuchen komme.“, erklärte Elisa mit Nachdruck. „Außerdem, keine Beleidigungen!“

„Jetzt, stell dich nicht so an. Gib mir die Kekse!“
 

Charlie ließ Elisas Erklärung kalt. Soll sie sich erstmal richtig benehmen, dachte der kleine Junge. Sie soll nicht immer ihren Willen bekommen, schwor er sich noch dazu.
 

Eine Weile ging das Gerangel so weiter. Schließlich verlor Elisa ihre Geduld und schrie fast: „Ich wünsche mir, dass du „Guten Morgen“ zu mir sagst! Dann bekommst du auch die Kekse.“
 

Und wie durch ein Wunder, hörte Charlie auf Elisa.

„Guten Morgen.“
 

Häh? Was war denn nun in mich gefahren, fragte er sich. Das hatte ich doch überhaupt nicht vor.
 

„Na bitte. Es geht doch.“
 

Erfreut über ihren Sieg lächelte das blonde Mädchen und teilte mit Charlie nun liebend gern die selbstgebackenen Kekse seiner Mutter. Doch Charlie stand so neben sich, dass er nicht einmal bemerkte, wie Elisa anfing ihn zu füttern. Er wunderte sich, warum er der Aufforderung so schnell Folge geleistet hatte, ohne dass er es wirklich wollte.

Das Mädchen und der Baron

Kapitel 3
 

Das Mädchen und der Vampir
 

In dem Ort, von dem meine Geschichte handelt, befindet sich weiter abseits vom Rand des Dorfes, eine Mine, die nur zu einem viertel oberirdisch ist. Der Rest, zumindest der Teil, der bisher erforscht wurde, ist unterhalb der Erdoberfläche angelegt. Diese Mine beherbergt viele verschiedene Rohstoffe und Erze. Es soll sogar, Gold in ihr befördert worden sein. Allerdings, ziemlich gering, wenn überhaupt. Gerüchte verbreiten sich in so einem abgeschiedenen kleinen Ort sehr rapide.
 

Der Baron Old Regis ist der Eigentümer dieser wertvollen Mine. Bereits seine Vorfahren lebten in diesem kleinen Teil des Landes. Demnach reicht seine Ahnenreihe extrem weit zurück. Sie waren seit jeher wohlhabend und im Laufe der Jahrzehnte zu immer mehr Reichtum erlangt. Baron Old Regis ist der derzeitige Bewohner, der einzigen Villa im Dorf und selbstverständlich besitzt er das Grundstück, auf dem sein Haus gebaut vor vielen Jahren gebaut wurde. Im Laufe der Zeit musste es restauriert und natürlich renoviert werden, aber der Grundriss und die Innenausstattung blieben im Original erhalten. Weiterhin, kann ich nicht angeben, wie groß sein Besitz ist. Zahlen sind mir nach wie vor fremd. Lasst eure Fantasie an dieser Stelle einfach freien Lauf. Ich meine, alleine fünfzig Zimmer zu bewohnen, ist nicht gerade wenig und zeugt von einem reichen Status.

Der Baron ist ein angesehener Mann in der Welt des Adels. Er kleidet sich stilbewusst, trägt grundsätzlich einen schwarzen Anzug mit einem dazugehörigen schwarzen Umhang, der ihm auf Schritt und Tritt folgt. Des Weiteren, hat er pechschwarzes kurzes Haar, was stets streng nach hinten gekämmt ist, dichte, dunkle Augenbrauen und einen schwarzen Spitzbart. Im Gegensatz dazu, hat Regis saphirblaue Augen, die eine stolze Macht ausstrahlen. Außerdem, ist er permanent blass im Gesicht. Seine Haut ist im Ganzen mehr weiß als alles andere. Sogar im Sommer schafft er es nicht, seine Haut zu bräunen. Aus diesem Grund, entstand das haarsträubende Gerücht, ob Regis wohlmöglich ein Vampir sei. Viele Kinder haben Angst vor ihm, selbst die Erwachsenen gehen ihm zum größten Teil lieber aus dem Weg. Ob jetzt nun, ausschließlich das Gerücht dafür verantwortlich ist, wage ich stark zu bezweifeln. Denn der Baron wäre kein Mann von Welt, der sich von sowas absurden abschrecken lassen würde. Er weiß, dass er der einzige im Umkreis von etlichen Meilen ist, der ein sagenhaftes Vermögen besitzt und trägt dieses durch seine Kleidung, sein Auftreten regelrecht zur Schau.
 

An dieser Stelle möchte ich zusätzlich erwähnen, dass der Baron Vater einer 18 jährigen jungen Frau ist. Sie heißt Sabrina und hat ebenfalls schwarzes Haar, das sie oft offen trägt und ihr bis zur Taille reicht. Zudem trägt sie eine Brille, die ihre blauen Augen verbergen. So gesehen, ist sie eher unscheinbar, dafür aber eine liebevolle junge Frau, die leider extrem schüchtern ist.

Der Reichtum, in den Sabrina hineingeboren wurde, hatte ihr nie sonderlich viel bedeutet. Sie ist ein begnadetes Mathegenie und weiß daher durchaus, was Zahlen aussagen, doch zu ihrem persönlichen Wohlbefinden trägt dies wenig bei. Im Grunde genommen, gar nicht. Sie erfreut sich eher an anderen, natürlichen Dingen, die viele mit Sicherheit unscheinbar, oder sogar belanglos finden würden. Allem voran ihr Vater. Was man nicht mit Geld messen kann, existiert für ihn schlichtweg nicht. Doch ich gehe sehr stark davon aus, dass er seine Tochter über alles liebt und sie ihm wichtiger als sein materieller Besitz ist. Allerdings lässt er seiner Tochter nur wenig Freiraum. In Regis Haus herrschen strenge Regeln, an die sich jeder zu halten hat, ohne Ausnahme. Für Sabrina hat er spezielle Ausgehregeln festgelegt. Nie länger als bis 22 Uhr, obwohl sie schon volljährig ist. Der Umgang mit Gleichaltrigen wird ihr nur mit Leuten gewährt, die ihrem Vater persönlich zusagen und seiner Ansicht nach in sein zu Heim passen würden, die sozusagen seinem Ansehen nicht schaden können.

Daher hat Sabrina kaum Freunde. Sie ist oft allein, liest viel oder geht spazieren und wird nebenbei in die Finanzen der Familie eingeführt. Denn sie würde das ganze Anwesen eines Tages erben. Für die junge Frau sind es keine erfreulichen Aussichten, denn ihr Vater wird ihr einen passenden Mann an ihrer Seite aussuchen.
 

Erneut zeigte sich der Frühling an diesem Tag in seiner herrlichsten Pracht. Um den Häusern herum, und auf den Feldern wurde es zunehmend grüner und bereits viele verschiedene Blumen konnten sich sehen lassen.

Elisa hockte auf einer wunderschönen, verhältnismäßig kleinen Blumenwiese, nahe eines Teichs und pflückte lachend alle Blümchen, die sich in ihrem unmittelbaren Umkreis befanden. Dabei hielt sie immer mal wieder kurz inne und schaute nachdenklich in alle Himmelsrichtungen. Sie hatte fast den ganzen Tag damit zugebracht, die Blumenwiese wieder zu finden, auf der sie vor zwei Wochen gewesen war und ihren Blumenkranz geflochten hatte. Leider vergeblich. Also, hatte sie am Nachmittag ihre Suche aufgegeben und es sich auf dieser Wiese bequem gemacht.

Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie schnell sich kleine Kinder ablenken lassen und ihre Sorgen vergessen.
 

Das blondhaarige Mädchen war so beschäftigt in ihrem Tun, dass sie nicht sofort bemerkte, dass jemand anderes auf der anderen Seite des Teichs aufgetaucht war. Zutiefst betrübt, schaute Sabrina auf die spiegelglatte Wasseroberfläche.

Was in ihr wohl gerade vorgeht? , fragt ihr euch sicher. Sabrina hatte an diesem sonnigen Morgen eine hitzige Auseinandersetzung mit ihrem Vater gehabt. Es ging darum, dass die junge Frau ihren Vater darum bat, auf das kommende Dorffest diesen Samstag gehen zu dürfen. Normalerweise spricht doch nichts dagegen, werdet ihr wohl sagen, allerdings hatte Sabrina zusätzlich darum gebeten in Begleitung eines jungen Mannes hingehen zu dürfen. Denn er hätte sie gefragt.

Stellt euch einen überaus autoritären Vater vor und ihr könnt nachvollziehen, wie er reagiert haben muss. Regis war fuchsteufelswild geworden. Noch dazu handelte es sich, bei dem besagten jungen Mann, um einen gewöhnlichen Farmer, der seine Herkunft nicht leugnen konnte.
 

„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“, tobte der Baron in ohrenbetäubender Lautstärke.

„Aber, Vater, “, versuchte Sabrina ihn zu besänftigen . „Er ist wirklich sehr nett. Außerdem, ich bin schon 18 und…“

„Und du meinst, du kannst alleine Entscheidungen treffen? ICH entscheide in diesem Haus!“

Sabrinas Vater lief inzwischen zur Höchstform auf. „Dieser ´Farmer´“, verächtlicher hätte er das Wort nicht aussprechen können, „arbeitet auf dem Land und schadet dem Ansehen unseres Hauses. Was soll unsere Gesellschaft denken, wenn meine EIGENE Tochter sich mit einem gewöhnlichen BAUERN abgibt?“

„Bitte, Vater, versteh mich doch. Diese Leute sind mir egal. Wenn du ihm doch nur eine einzige Chance geben würdest.“

„Schluss jetzt!“

Schlagartig war seine Tochter verstummt.

„ICH habe hier das Sagen und du tust das, was ich dir sage. Was das Beste für dich ist. Du wirst am Samstag nicht auf das Dorffest gehen, weder alleine noch in Begleitung. Haben wir uns verstanden?“

Drohend schwebte diese Frage im Raum. Sie war viel mehr eine Anordnung, die keinerlei Widerspruch duldete. Sabrinas Antwort war ein einziges Nicken. Tränen sammelten in ihrem Augapfel, die sie mit aller Kraft zurückzuhalten versuchte.

Der Baron wandte sich von seiner Tochter ab und ließ eine verzweifelte junge Frau zurück.
 

Doch jetzt, hier am Teich konnte Sabrina ihren Tränen nicht mehr länger zurückhalten und ließ ihrer Trauer und Enttäuschung freien Lauf. Sie war so in Selbstmitleid versunken, dass sie nicht bemerkte, dass sie immer lauter schluchzte und Elisa von diesem Geräusch aufsah und besorgt zu ihr eilte. Mit den bisher gesammelten Blumen in ihren Händen blieb sie direkt neben Sabrina stehen.
 

„Du meine Güte, Sabrina! Was ist denn passiert?“

Erschrocken fuhr das schwarzhaarige Mädchen zusammen. Hastig nahm sie ihre verschmierte Brille ab, die bis eben noch auf ihrer Nase war, und trocknete mit ihrem rechten Blusenärmel ihr tränenverschmiertes Gesicht.

„Oh, Elisa. Ich habe dich gar nicht bemerkt.“

„Das ist auch kein Wunder. Du musst ziemlich traurig sein. Ich habe dich noch nie weinen gesehen.“

„Ja, heute ist kein guter Tag, weißt du.“

„Aber die Sonne scheint doch. Keine Wolken sind am Himmel. Siehst du.“ Mit einer Hand zeigte Elisa gen Himmel und ließ dabei ihre schönen Blümchen fallen. Sabrina schaute kurz nach oben und fühlte sich prompt erneut den Tränen nahe.

„Sabrina, was hast du?“, besorgt streichelte Elisa ihr über den Arm. „Kann ich dir helfen?“

Die junge Frau schniefte, ehe sie antwortete.

„Das ist lieb von dir, Elisa. Doch, es kann mir niemand helfen. Heute ist kein guter Tag. Ich denke, morgen wird es mir wieder besser gehen.“

„Wenn du meinst.“ Mitfühlend schaute das kleine Mädchen Sabrina ins Gesicht. Irgendwie konnte sie es ihr nicht so recht glauben. Dann kam ihr eine Idee.

„Weißt du, was dich wieder fröhlich machen wird? Am Samstag findet das jährliche Dorffest statt mit tollen Ständen, an denen man Preise gewinnen kann. Und ein Karussell und sogar ein Riesenrad. Lass uns Samstag zusammen dorthin gehen.“

Dummerweise, verdüsterte sich Sabrinas Gesicht erneut. Elisa konnte schließlich nicht wissen, dass das der Grund ihrer momentanen Niedergeschlagenheit war.

„Nein, Elisa. Ich würde gerne, aber…ich kann nicht. Mein Vater will nicht das…“

Abrupt versiegelte Sabrina ihre Lippen. Beinahe hätte sie einem kleinen Mädchen verraten, wie streng ihr Vater zu ihr war, obwohl sie schon erwachsen ist. betrübt schüttelte die junge Frau ihren Kopf. Als ob, ein sechsjähriges Mädchen verstehen würde, warum ihr Vater so streng war und sie selber nichts dagegen tun konnte.

„Dein Vater? Was ist mit ihm?“, wollte Elisa natürlich sofort wissen.

„Nichts…Es ist…Tut mir Leid, Elisa, aber ich muss jetzt gehen. Es war schön dich getroffen zu haben.“

Mit diesen Worten war Sabrina verschwunden und ließ eine verwirrte Elisa zurück. Wie dem auch sei. Elisa wäre nicht sie selbst, wenn sie das eben so einfach vergessen würde. Sie mochte Sabrina und wollte ihr unbedingt helfen. Lange noch, nachdem sie ins Bett gegangen war, überlegte sie, wie sie ihr helfen konnte. Schließlich hatte sie eine Idee. Allerdings, müsste Elisa dafür Sabrinas Vater einen Besuch abstatten und sie wusste genau, dass er unangekündigte Gäste nicht herzlich willkommen hieß. Trotzdem. Es würde kein Weg daran vorbeiführen.
 

Mit schnellem pochendem Herzen, stand Elisa um neun Uhr morgens vor Baron Old Regis Tor, welches die Außenwelt von seinem Anwesen trennte. Ganz schnell sprach sich das kleine Mädchen noch innerlich Mut zu und betätigte schließlich die Klingel, die sich links von ihr befand. Gerade so, konnte sie diese auf Zehenspitzen stehend berühren. Zumindest vermutete Elisa, dass es die Klingel war, zuvor war sie noch nicht einmal hier gewesen. Eine unbekannte, ältere Männerstimme drang ihr durch die Außensprechanlage entgegen.

„Ja, bitte? Mit wem habe ich das Vergnügen?“

„Ich bin es, Elisa. Ich möchte Sabrina und ihren Vater besuchen.“

„Das tut mir Leid. Der Baron pflegt es, um diese Zeit in seinem Büro zu arbeiten und möchte auf keinen Fall dabei gestört werden.“

„Es ist aber dringend.“

„Ich bedaure. Ich kann leider nichts für Sie tun.“

„Wirklich, es ist ganz, ganz, mega wichtig.“, beharrte Elisa.

„Wie schon gesagt. Es geht nicht. Wenn Sie einen Termin per Brief vereinbaren wollen, würde es vielleicht …“

„Das würde aber zu lange dauern. Ich muss den Baron auf der Stelle sprechen. Bitte!“

Zwar wusste Elisa nicht, ob es helfen würde, aber sie begann von einer Sekunde auf die andere zu weinen, was ziemlich echt wirkte, da bei ihr auf Kommando die Tränen kamen.

„Wäh…Ich muss mit dem Baron sprechen. Sonst…schnief…sonst…sonst wird mein Papi ganz doll mit mir schimpfen. Schnief…Ich muss…ihm…schnief…nämlich etwas ausrichten.“

Eine bühnenreife Show, sage ich euch. Auf jeden Fall half sie, denn der Mann auf der Innenseite der Sprechanlage wurde nachsichtig und öffnete Elisa das Tor. Überaus zufrieden, auf ihre schauspielerische Leistung, eilte das kleine Mädchen geschwind durch das Tor und folgte dem gepflasterten Weg geradewegs zur Haustür.

Dort angekommen, wurde sie auch schon von einem älteren Mann im Anzug erwartet.

„Bitte, treten Sie ein gnädiges Fräulein. Allerdings muss ich Ihnen mitteilen, dass mein Herr alles andere als erfreut ist.“

„Ist schon gut. Hauptsache ich kann meinem Vater hinterher berichten, dass ich seine Nachricht überbracht habe. Glauben Sie mir, auch er ist manchmal ganz schön streng.“

Der ältere Mann nickte verständnisvoll. „Ich kann es mir lebhaft vorstellen. Bitte, Miss, folgen Sie mir.“

Elisa war mehr als aufgeregt. Schon lange, hatte sie sich gewünscht, die prächtige Villa auch mal von innen betrachten zu können. Das, was sie sah, verschlug ihr den Atem. Zuerst befand sie sich, in einer großen Vorhalle, die einige Meter hoch war, dass dem kleinen Mädchen vom hochgucken schwindelig dabei wurde. An den Wänden hingen viele Gemälde, die die Vorfahren von Sabrina und ihrem Vater sein mussten. Zumindest teilten sämtliche Personen darauf, eine gewisse Ähnlichkeit miteinander. Bei ihrer kurzen Besichtigung entdeckte sie viele Verzierungen und Malereien an den Wänden. Etliche Vasen und kleinere Statuen thronten jeweils zu ihrer rechten und linken Seite auf einbetonierten Sockeln. Meistens stellten sie Engel dar, aber auch vereinzelte Köpfe, die Elisa nicht kannte waren zu sehen. Der Butler führte sie, einen langen Korridor entlang, der ihrer Ansicht nach, nie enden wollte. Vereinzelt tauchten Türen auf, aber in keine gingen sie hinein.

„Entschuldigung, aber wo ist denn Sabrina?“

„Fräulein Sabrina hält sich im Moment in ihren privaten Räumen auf und erhält gerade Sprachunterricht.“, antwortete der ältere Mann ruhig.

„Was denn für Sprachunterricht und wozu?“, fragte Elisa neugierig nach.

„Heute Vormittag steht Französisch auf dem Bildungsplan. Eine junge Frau ihres Standes muss entsprechend gebildet sein, um in die obere Gesellschaft aufgenommen zu werden.“

„Obere Gesellschaft? Was ist das?“

„Nun, das…Ah. Wir sind da. Hinter dieser Tür befindet sich das Büro meines Herren.“

Abrupt blieben beide stehen. Als der ältere Mann an die Tür klopfte, hielt Elisa gespannt den Atem an. Ein wenig war ihr schon mulmig zumute. Alleine hatte sie dem Baron noch nie gegenüber gestanden.

Wie zu ihrer Bestätigung, ertönte ein gereiztes „Herein“ aus dem Zimmer und Regis angestellter öffnete die Tür.

„Gnädiger Herr, “, wandte sich der ältere Mann augenblicklich an den Baron. „Hier ist ein junges Fräulein, was eine dringende Nachricht ihres Vaters an Sie überbringen muss.“

Langsam sah der Baron von seinen Papieren, mit denen er gerade arbeitete, auf. Regis war über diese Unterbrechung sichtlich nicht froh darüber. Noch dazu, kam sie von einem kleinen Gör, welches er nicht einmal kannte. Er konnte sich auch nicht erinnern, sie jemals zuvor gesehen zu haben. Aber glaubt mir, nach diesem Erlebnis, wusste er ganz genau, wer Elisa ist, und wenn auch nur mit Namen. Denn er traf Entscheidungen, denen hätte er niemals so ohne Weiteres seinen Segen gegeben.
 

Vorsichtig trat Elisa an Regis Schreibtisch und schaute ihn herausfordernd an. Von ihrer anfänglichen Angst war mittlerweile nichts mehr zu merken, immerhin hatte sie eine Mission zu erfüllen.

Also, setzte Elisa ihr bezauberndstes Lächeln auf und begrüßte den übellaunigen Adelsmann.

„Guten Morgen, Sabrinas Papa.“

„Wie bitte?“

Der Baron war wie vom Donner erschlagen. Noch nie hatte ihn jemand so unprofessionell angesprochen. Noch nicht einmal, seine eigene Tochter hätte es gewagt.

„Was erlaubst du dir eigentlich? Weißt du denn nicht, wer ich bin?“

„Aber, natürlich. Sie sind Sabrinas Papa. Übrigens sehen Sie sich beide sehr ähnlich. Doch, Sabrina hätte es schlechter treffen können.“

„WIE???“

Regis Ton erhob sich zunehmend. „Wer bist du unverschämte kleine Göre?“

„Hoppla! Ich hatte mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Elisa, Gannons einzige Tochter. Und sehe ich heute nicht wunderschön aus?“

Das kleine Mädchen drehte sich lächelnd um die eigene Achse, sodass ihr gelber Rock einen weiten Radius um sie herum bildete.

Der Baron starrte das freche Mädchen verdutzt an. Wie konnte sie es wagen, ihn, den angesehensten Mann dieser Gegend, in seinem eigenen Haus so beleidigen?

„Was fällt dir ein? So lasse ich nicht mit mir reden!“

„Hä? Was habe ich denn falsch gemacht?“, fragte Elisa verwirrt nach.

„Das reicht jetzt. Verlass auf der Stelle mein Haus!“

„Nein!“, bestimmte Elisa resolut. „Erst, wenn Sabrina mit mir zum Dorffest gehen darf.“

Nun verstand der Baron gar nichts mehr.

„Was geht dich meine Tochter an? Du bist doch noch grün hinter den Ohren. Außerdem, ist das Dorffest, keine Veranstaltung für eine Dame wie sie.“

„Das ist doch völliger Quatsch!“, widersprach Elisa aufs Neue. „Sabrina ist ein sehr nettes und hübsches Mädchen. Sie hat es sich verdient dorthin zu gehen.“

„Wie kannst du dich dermaßen erdreisten? Verschwinde! Sofort!“

„Nein! Das ist mein Wunsch. Ich wünsche mir, dass Sabrina zum Dorffest am Samstag gehen darf.“
 

Wie bei Charlie und Elisas Vater zuvor, änderte sich Baron Old Regis Verhalten sofort, ohne zu wissen, was er gerade tat.

„In Ordnung. Sabrina darf am Samstag zum Dorffest gehen.“

Verwirrt starrte Regis ins Leere. Während dessen strahlte Elisa über ihr ganzes Gesicht.

„Vielen Dank, Sabrinas Vater.“ Artig vollführte das fröhliche Mädchen vor dem Baron einen kleinen Knicks. „Ich werde es ihr sofort sagen. Ach ja, von nun an wirst du freundlicher zu deinen Nachbarn sein und deiner Tochter jeden Wunsch erfüllen.“

Vergnügt verschwand Elisa aus Regis Büro. Er wiederum blickte weiter ausdruckslos vor sich hin.
 

Über diese eigenartige Begegnung dachte der Baron in den nächsten Tagen oft nach. Zu einer logischen Erklärung kam er nicht. Doch von nun an, gewährte er seiner Tochter viel mehr Freiraum und kontrollierte sie weniger.

Sabrina machte sich Sorgen über das veränderte Verhalten ihres Vaters. Allerdings vergas sie es auch wieder, als sie Samstag, sowohl mit Elisa, als auch mit dem jungen Farmer, auf das Dorffest gehen konnte.

Ein unerwarteter Besuch

Kapitel 4
 

Ein unerwarteter Besuch
 

Gannon war über sein Verhalten in den letzten Tagen alles andere als erfreut. Normalerweise, erledigte er seine Arbeit gewissenhaft ohne jegliche Abweichungen von seinen Aufträgen. Für den Schreiner war es schon immer oberste Regel gewesen, dass der Kunde König ist. Die Wünsche seiner Kunden hatten immer Priorität. Natürlich, wunderte sich Gannon über manche Eigenarten seiner Auftraggeber, und doch, ist er niemals von deren Vorstellungen abgewichen. Außer, in letzter Zeit.

Aus einem unerklärlichen Grund, tat er neuerdings Dinge, die hätte er zuvor nie getan. Seine Tochter war häufiger mit ihm in seiner Werkstatt gewesen und hatte seine Aufmerksamkeit gefordert. Allerdings, kann er ihrer Aufforderung mit ihr zu spielen oder sie zu bewundern, nicht immer nachkommen. Häufig, musste der große Mann seiner aufdringlichen Tochter erklären, dass die Arbeit nicht warten könne. Er habe mit seinen Kunden Termine ausgemacht, an denen die Ware fertig gestellt sein musste. Außerdem, verdiene er so sein Geld, um Elisa und ihn zu ernähren und seiner Prinzessin all die schönen Kleider kaufen zu können.

Dummerweise, akzeptierte Elisa die Erklärung ihres Vaters nicht all zu oft. Sehr zum Leidwesen des alleinerziehenden Vaters.

Doch Elisa hatte schon immer eine besondere Begabung besessen, ihren Willen am Ende doch noch zu bekommen. Gannon konnte noch nie einen Wunsch, der von seiner Tochter geäußert wurde, abschlagen. Bisher, konnte er aber, die Erfüllung des Wunsches auf einen anderen Zeitpunkt verlegen. Und jetzt, tat er es, unmittelbar nach Aufforderung seiner Tochter. Er spielte mit ihr, wenn sie es wünschte. Er bürstete ihr Haar, wenn sie es wünschte. Er bemalte die angefangenen Möbelstücke kunterbunt, wenn seine Tochter es wünschte, obwohl es gegen den eigentlichen Auftrag war.

Deswegen, fragte sich der verwirrte Vater nur zu recht, was eigentlich mit ihm los war. Er spürte in solchen Momenten genau, dass es nicht richtig ist, was er da tat. Das, er einfach seine Arbeit stehen und liegen lässt oder sie komplett umändert. Entweder stimmte mit ihm etwas gewaltig nicht oder mit Elisa. Aber was sollte nicht stimmen? Gannon konnte es sich bei Weitem nicht erklären. Trotzdem, war ihm aufgefallen, dass er solche Eigenarten immer dann betrieb, wenn seine Tochter bei ihm war. Das konnte kein Zufall sein.
 

Schließlich ging es nicht nur Gannon so. Auch andere im Dorf sahen sich mit ähnlichen Problemen konfrontiert.

Charlie, Elisas Sandkastenfreund, spielte nur noch das mit Elisa, was sie vorschlug. Auf Charlies Proteste ging sie gar nicht erst ein. Sie wünschte es sich, also gab Charlie nach. Mittlerweile, ging es soweit, dass er sich beinahe wünschte, Elisa an manchen Tagen gar nicht erst zu Gesicht zu bekommen. Leider, wurde er nur selten erhört. Nämlich dann, wenn das kleine Mädchen andere Pläne hatte. An solchen Tagen atmete Charlie erleichtert auf.
 

Mirabelle lief Elisa ebenfalls in die Arme. Nach einem gestressten Tag beim Arzt, wollte Mirabelle nur noch nach Hause und auf dem Sofa ihre Füße hochlegen. Julia, ihre Tochter, war so freundlich gewesen und hatte ihr Tee zubereitet und sich bereit erklärt den Laden, an diesem Nachmittag alleine zu führen.

Doch, Elisa kam zu Besuch und machte Mirabelles Plan zunichte. Normalerweise, freute sie sich immer, wenn das kleine aufgeweckte Mädchen zu Besuch kam, aber an diesem Tag war es keine gute Idee gewesen. Nach permanentem Quengeln, gab Mirabelle, aus einem unerklärlichen Grund, Elisas Wunsch nach und spielte mit ihr im Haus verstecken. Ihr könnt euch vorstellen, dass Mirabelle an diesem Abend halbtot ins Bett fiel. Noch dazu, wusste sie nicht, wie es dazu gekommen war. Selbst ihrer Tochter konnte sie es nicht erklären, die besorgt um sie war.
 

Der Baron Old Regis ließ sich seit Elisas Besuch kaum noch außer Haus blicken. Immer, wenn er mit Sabrina sprach und sie eine Bitte an ihn hatte, erlaubte er es ihr. Seit dem Dorffest, hatte sich Sabrina ein paar Mal wieder mit dem jungen Farmer getroffen. Die junge Frau freute sich ungemein und hatte, aufgrund der positiven Entwicklung mit dem jungen Mann, aufgehört, sich über das komische Benehmen ihrer Vaters Gedanken zu machen. Man musste bedenken, dass dies absolut gegen Regis Einstellung sprach. Jedoch, war der Baron zum ersten Mal in seinem Leben ratlos. Er dachte oft, an den seltsamen Besuch dieser frechen Göre zurück. Allerdings, konnte er sich keinen Reim darauf machen, was im Grunde vorgefallen war. Für ihn, war sie ein dummes Kind gewesen, das keinerlei Manieren besaß. So unverschämt, wie sie ihm gegenüber aufgetreten war, daran wollte Regis gar nicht mehr denken. Trotzdem, wanderten seine Gedanken immer wieder zu dieser mysteriösen Begegnung. Denn eins wusste er mit Sicherheit, dass etwas faul an diesem Kind war.
 

Ich könnte euch noch viel mehr solcher mysteriösen Umstände beschreiben, wie Regis sie bezeichnete. Nichtsdestotrotz, muss die Geschichte weitergehen.

Wie dem auch sei, ich kann euch versichern, dass es noch sehr turbulent werden wird. Zumindest, habe ich es so empfunden, nachdem ich die nächsten Ereignisse erfahren hatte, und ich denke, dass sie euch ebenfalls unterhalten werden.
 

Das nächste Ereignis ereilte sich, nachdem der Baron, nach langen inneren Kämpfen, Elisas Vater Gannon einen Besuch abstattete. Selbstverständlich, war der Baron alles andere als begeistert, einen Mann aufzusuchen, der weit unter ihm stand. Seine Abneigung gegenüber seinem eigenen Verhalten war ihm deutlich anzumerken. Inzwischen wusste Regis, dass Gannon ein Schreiner war. Anhand seiner Unterlagen musste er sogar feststellen, dass er selbst einen Tisch aus Mahagoni besitzt, der von Gannon angefertigt worden war. Dieser Tisch steht bei ihm in der Bibliothek, in der er und Sabrina oft ihre freie Zeit verbringen. Diese Tatsache überraschte ihn. Für einen kurzen Moment hatte Regis, so etwas wie Respekt für den Schreiner empfunden. Denn dieses Möbelstück war unter einigen anderen sein ganzer Stolz. Es zeugte, ebenso wie seine anderen Besitztümer, von Reichtum, Stil und oberer Stellung. Dieser kurze Sinneswandel verflog sehr rasch wieder.

Jetzt, musste der Baron, erst mal mit diesem begabten (anders konnte der Adelsmann, es auch nicht benennen) Schreiner über seine merkwürdige Tochter reden, bevor er weiter unnötige Zeit mit solchen Gedanken verschwendete.
 

Gannon war über Regis Besuch sehr überrascht gewesen. Nachdem er dem Baron die Tür geöffnet hatte und er erkannte, wen er da vor sich hatte, verschlug es ihm erstmal die Sprache. Seine Kinnlade reichte ihm fast bis zu den Knien, so erstaunt war er. Wie nicht anders zu erwarten war, stellte der Baron fest, missbilligte er diese Mimik ungemein. Können die „Gewöhnlichen“ nicht anders, fragte sich Regis im Stillen, als sich andauernd so respektlos und unvorteilhaft zu benehmen?

Nun ja, eine andere Wahl hatte er jetzt nicht mehr, wenn er mehr über seine Tochter erfahren möchte.

Also, bat Gannon seinen überraschten Besucher in sein Haus und schloss die Tür hinter ihnen. Gleich darauf, führte der Schreiner seinen Gast ins Wohnzimmer und beeilte sich, Kaffee zuzubereiten.

„Lieber wäre mir eine Tasse Tee.“, äußerte Regis seine Bitte.

„Sicher. Ja. Tee habe ich auch.“, antwortete Gannon und stolperte unbeholfen in Richtung Küche.

Während Gannon in der Küche mit Geschirr hantierte, sah sich der Baron neugierig im Wohnzimmer um. Das er neugierig war, konnte er nicht einmal vor sich selber geheim halten, denn er prahlte gerne vor den sogenannten „Gewöhnlichen“ mit seinem Reichtum, wie ich es im vorigen Kapitel bereits erwähnt hatte.

In diesem Fall, musste er sich jedoch ein klein wenig eingestehen, dass die Einrichtung nicht unbedingt schlecht war. Sicher, man konnte es kaum mit seinem Besitz vergleichen, und doch strahlte dieses kleine Haus eine Wärme aus, dass man schnell den Eindruck vermittelt bekommt, dass man sich hier wohlfühlen kann. Es war zwar, für Regis persönliches Empfinden, zu einfach, aber dennoch geschmackvoll. Ein Sofa mit zwei dazu passenden Sesseln, jeweils links und rechts davon platziert, standen um einen sehr schönen rustikalen Tisch, der, so vermutete Regis, ebenfalls von Gannon eigenhändig geschreinert worden war. Baron Old Regis musste auch dieses Mal zugeben, dass dieser grob wirkende Mann ein unglaubliches Geschick besaß, was er, aufgrund seiner großen „Prangen“ niemals vermutet hätte.

Mitten in diesen Überlegungen hinein, trat Gannon mit einem Tablett zurück ins Wohnzimmer und stellte es ordentlich auf den Tisch ab.

„Setzen Sie sich ähm…Sir?“

Wie verhält man sich einem Adelsmann gegenüber? Gannon wusste es nicht. Selbst ich bin mir nicht ganz sicher. Immerhin, kann man diesbezüglich festhalten, dass der große Mann sich Mühe gab. Nicht wie seine Tochter, die kein Blatt vor den Mund nahm.

In der ersten Viertelstunde herrschte unsicheres Schweigen. Elisas Vater begann bereits zu schwitzen, so unwohl war ihm, gerade weil der Baron noch kein weiteres Wort gesprochen hatte.

Was ist wohl der Grund seines Besuchs? , fragte sich der große Mann. Dabei betrachtete er seinen Gast etwas genauer. In seinem Anzug wirkt er wie von einer anderen Welt. Wie viel Geld er wohl besitzt? Und warum zum Teufel, sitzt er so steif? Sollte ich mich auch so aufsetzen?

Gannon wollte gerade seine Überlegung in die Tat umsetzen, als Regis endlich zu sprechen begann.

„Sagen Sie, wie alt ist ihre Tochter?“

Verdutzt starrte der Angesprochene, seinen Gegenüber an. Damit hatte er nun überhaupt nicht gerechnet. Was interessierte ihn auch, meine Tochter?

„Ja, also, Sir…Elisa, also meine Tochter ist sechs Jahre alt. Aber, warum fragen Sie?“

„Wieso ich frage? Wissen Sie denn nicht, dass ihre Tochter, mir vor zwei Wochen einen Besuch abgestattet hat?“, fragte der Baron leicht irritiert zurück.

„Ähm…nein. Davon weiß ich nichts. Was wollte sie denn von Ihnen? Wenn meine Tochter Sie belästigt haben sollte, tut es mir Leid und ich komme für jeden Schaden auf, den sie angerichtet hat.“

Gannon wollte auf Nummer sicher gehen. Schließlich wusste er nicht, was der Baron von ihm wollte und was Elisa angestellt hat. Hoffentlich, nichts Schlimmes, doch der Schreiner machte sich keine all zu großen Hoffnungen. Immerhin, kannte er seine eigene Tochter recht gut und in letzter Zeit war sie sonderbarer als sonst gewesen.

„Keine Sorge, bei mir ist nichts Wertvolles in Mitleidenschaft gezogen wurden.“, beruhigte Regis den besorgten Vater. „Allerdings, wurde mir nicht ersichtlich, was sie eigentlich von mir wollte. Ihr Besuch ergab für mich keinerlei Sinn. Ich hatte gehofft, Sie könnten mich aufklären.“

„Was ist denn genau passiert? Weswegen hatte meine Tochter Sie aufgesucht?“

„Nun ja, “, der Baron nahm erstmal einen Schluck von seinem Tee, bevor er weiter sprach. „Ihre Tochter bat mich, warum auch immer, meiner Tochter, Sabrina, die Erlaubnis zu erteilen, sie auf das letzte Dorffest begleiten zu können. Dabei kannte ich Ihre Tochter bis zu dem Zeitpunkt gar nicht.“

Erneut trank Regis von seinem Tee. Gannon wiederum, blickte verwirrter drein als zuvor. Er verstand nach wie vor nur Bahnhof.

„Ähm…und weiter?“, hackte er vorsichtig nach. Irgendetwas, musste schließlich noch geschehen sein. Ansonsten wäre Regis gar nicht hier. Dessen war sich Gannon sicher.

„Nun, das war´s. Allerdings, geschah nach ihrem Besuch etwas Seltsames.“

„Etwas Seltsames? Was meinen Sie?“ Inzwischen wurde es dem Schreiner mulmig in der Magengegend. Er mochte schon gar nicht mehr seinen Kaffee weiter trinken.

„Nun, wie soll es benennen. Ich gehe davon aus, dass Sie wissen werden, “, zum ersten Mal schaute der Baron seinen Gegenüber in die Augen, „das ich ein angesehener Mann in dieser Gegend bin und eine gewisse Stellung beziehe. Selbstverständlich auch meine Tochter. Sämtliche Entscheidungen, die ich treffe, haben ihren Grund. Immerhin, geht es um die Zukunft und auch um das Ansehen der Familie.“

Gannon nickte. Der Schweiß tropfte ihm, mittlerweile von der Stirn. Angestrengt versuchte er das Erzählte nachvollziehen zu können.

Ruhig redete der Baron weiter.

„Ihre Tochter äußerte einen Wunsch und aus irgendeinem Grund erfüllte ich ihn, obwohl es gegen meine Prinzipien ist.“

„Moment Mal, wovon reden Sie nun schon wieder?“, fragte Gannon dazwischen.

„Der genaue Wortlaut war „Ich wünsche mir, dass Sabrina zum Dorffest am Samstag gehen darf“ oder so ähnlich.“

Prompt fiel Gannon erneut seine Kinnlade runter. Konnte das alles wahr sein? Hat sogar der Baron in unserem kleinen Dorf denselben Verdacht wie ich?

Der Adelsmann wurde allmählich ungeduldig. Diese einfachen Leute sagen ihm einfach nicht zu. Für ihn kristallisierte sich mal wieder ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden in diesem Gespräch heraus. Ist dieser Klotz so schwer von Begriff?

„Ich warte.“, sprach Regis ungeduldig in die anhaltende Stille. Noch dazu, konnte er Gannons Anblick nicht mehr ertragen, wie er weiterhin ihn mit unvorstellbar offenem Mund anstarrte. Es war ihm eindeutig zu wider.

Der Baron war kurz vorm explodieren, als Gannon endlich das Wort wieder an ihn richtete.

„Verzeihen Sie, Sir. Ich war eben etwas überwältigt. Also ist auch Ihnen etwas Mysteriöses an meiner Tochter aufgefallen. Gott sei Dank!“

„Wie jetzt?“

Jetzt war der Baron verwirrt und einige Sekunden sprachlos, während Elisas Vater erleichtert ausatmete.

„Würden Sie es mir bitte erklären!“, forderte Old Regis Gannon auf.

„Aber klar.“, räusperte sich der Angesprochene.

„Es ist so, dass selbst mir ungewöhnliche Dinge in letzter Zeit widerfahren sind. Komischerweise immer dann, wenn man Tochter in dem Moment anwesend war.“

Rasch erzählte der Schreiner seine seltsamen Handlungen, die er aufgrund von Elisas Wünschen getan hatte.

„Sie sehen, Sir, auch ich kann es mir beim besten Willen nicht erklären, was los ist. Mein Kopf sagt mir immer wieder, dass ich es eigentlich nicht tun will, aber aus irgendwelchem Grund tue ich es dann doch. Ein wenig unheimlich ist das schon.“, gab der besorgte Vater zu und kratzte sich dabei nachdenklich am Kopf. Was für Regis ziemlich komisch aussah, einen großen breiten Kerl wie Gannon beim nachdenken zu beobachten. Zumindest beim Versuch.

„Vielleicht sollte man die Nachbarn befragen, ob Ihnen ebenfalls etwas Sonderbares an Elisa aufgefallen ist.“, sprach Gannon schließlich seine Gedanken laut aus.

Auch das überraschte den Baron. Darauf war er noch gar nicht gekommen, aber es war eine gute und vernünftige Idee, das musste er schon zugeben.

„Das hört sich gut an. Ich werde mit dabei sein. Am Besten wir fangen morgen damit an. Sagen wir um 15 Uhr, dann habe ich meine Besprechungen hinter mir.“

„Wie? Sofort? Wir beide?“
 

Man musste zugeben, dass dies schon ein skurriler Gedanke war, dass ein einfacher Schreiner und ein Adelsmann gemeinsam durch die Straßen ziehen würden und Leute interviewen wollen. Diese Überlegung muss auch gerade Regis durch den Kopf gegangen sein, aber wahrscheinlich war es so die beste Lösung seines Problems. Im Gegensatz zu ihm, kannte Gannon die Leute im Dorf. Bestimmt vertrauten sie ihm und würden eher über ihre Erlebnisse sprechen, als wenn er alleine von Tür zu Tür stolzieren würde. Zwar passte es dem Baron nicht, aber es ganz allein diesem einfachen Handwerker zu überlassen wollte er auch wieder nicht. Immerhin wusste er nicht, ob er sich auf ihn verlassen könnte. Außerdem, wirkte Gannon für ihn, als wäre er nicht gerade der hellste Mensch auf Erden.

Nein, so jemanden wollte er, die Angelegenheit garantiert nicht alleine überlassen. So schnell wie möglich, wollte Regis erfahren, was diese kleine Göre mit ihm angestellt hatte. Damit alles wieder so werden konnte, wie es vorher gewesen war.

Unbedingt.

Ein ungleiches Duo

Kapitel 5
 

Ein ungleiches Duo
 

Ausnahmslos jeder Dorfbewohner war am Ende des letzten Tages erstaunt gewesen, nachdem sie erfahren hatten, was an jenem Tag geschehen war. Bis spät in die Nacht spekulierten diejenigen, die nicht müde wurden, die Ereignisse des Tages bis ins kleinste Detail genau durch, um am Ende festzustellen, dass sie im Prinzip keine Ahnung hatten, was das ganze bedeuten sollte. Also, ging man letzten Endes ins Bett, in der Hoffnung, dass sie am nächsten Tag eine Erklärung kriegen würden.
 

Vielleicht, erst mal der Reihe nach. Am gestrigen Tag, hatte der Baron Old Regis dem Schreiner, Gannon, einen unerwarteten Besuch abgestattet. Er ging zu ihm, um herauszufinden, was es mit seiner vorlauten Tochter auf sich hatte und warum sie ihn besucht hatte. Jedoch, musste der Baron im Laufe des Gesprächs feststellen, dass der kompakte Mann ebenfalls nicht den leisesten Schimmer hatte.

Nach längerem hin und her, hatten beide beschlossen, in der Nachbarschaft nach brauchbaren Antworten zu suchen, was mit Elisa zusammenhing.
 

Bei den ersten drei Häusern in Gannons unmittelbarer Nachbarschaft hatten die Herren kein Glück. Jede Familie sagte aus, dass Elisa sie weder besuchen, noch dass sie ihnen auf der Straße über den Weg gelaufen war. Ein wenig frustriert zogen sie weiter. Doch auch beim nächsten Haus konnten sie nichts in Erfahrung bringen.

Regis verlor allmählich die Geduld, obwohl sie erst seit einer halben Stunde unterwegs waren. Ich erwähne, dass sie mit Regis Auto von Haus zu Haus fuhren. Der Baron hatte sich geweigert, sich zu Fuß auf den Weg zu machen, was er inzwischen bereute. Es stellte sich nämlich heraus, dass sein Begleiter Angst vor Autofahrten hatte, selbst wenn Regis noch so langsam fuhr. Wie ein aufgeregtes Nervenbündel krallte sich Gannon an seinem Sitz fest und schrie jedes Mal panisch auf, wenn Regis auf die Bremse trat oder abbiegen musste.

Als nun, Gannon, zu allem Überfluss nach seiner „Mami“ rief, verlor Regis endgültig seinen Geduldsfaden.

„Jetzt reißen Sie sich aber mal zusammen! Sie sind doch kein kleines Kind mehr!“, brüllte der Baron ihn von der Seite an. Allerdings, machte er dabei den Fehler, seinen Kopf von der Straße abzuwenden, was in Gannon zu einer Kurzschlussrektion führte. Rasch ergriff der große Mann nun selbst das Steuer, riss rückartig daran, was aufgrund seiner gewaltigen Kraft zur Folge hatte, dass er das Steuer mal eben aus seiner Verankerung riss. Dies geschah so schnell, dass Regis kaum nachvollziehen konnte, was vor ihm passierte, als sie auch schon gegen einen Laternenpfahl krachten.

Zum Glück, war der Baron in einem gemäßigten Tempo gefahren, sodass zwar der Airbag aufging und die Stoßstange eine tiefe Delle hatte, aber ansonsten nichts weiter Schlimmes passierte. Der Laternenpfahl stand nach wie vor unversehrt an Ort und Stelle. Regungslos blieb Gannon hinterm Airbag sitzen, dankte dem lieben Herrn, dass er noch gerade so am Leben war und verfluchte gleichzeitig die Metallindustrie und allgemein die Industrialisierung. Sollten die doch alle zum Teufel gehen!

Während dessen kochte der Baron über. Seine Gesichtsfarbe nahm ein intensives rot an und seine Nasenflügel bebten bedrohlich. Kurzerhand, zog er sein Klappmesser aus der Manteltasche und stach ein Loch in den Airbag. Dasselbe auch auf Gannons Seite. Als dies erledigt war, sprang Regis aus seinem demolierten Auto und wütete verbal auf den Handwerker ein.

„Sie! Sie OBERTROTTEL! Haben Sie noch alle Tassen im Schrank? Was ist nur in Sie gefahren? Sie durften allein schon froh sein in MEINEM Auto mitfarhren zu dürfen. Das ist ein Privileg!“

„Ein PRIVILEG?“

Augenblicklich fuhr auch Gannon zur Hochtour auf.

„Was für einen Müll faseln Sie denn da? Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich AUTOFAHREN nicht leiden kann!“, rechtfertigte er sich ebenfalls recht lautstark. Beide standen sich gegenüber, bloß das Auto zwischen ihnen bildete eine Schutzmauer vor den jeweiligen anderen. Denn ich befürchte, dass sie sich sonst die Köpfe eingeschlagen hätten. Diese Situation alleine, gab schon ein skurriles Bild ab. Regis war so klein, dass sein Auto seine Statur fast überragte und Gannon selber war so groß, dass er locker das Auto überragte.

„Eben! Sie sagten NICHT LEIDEN kann! Nicht, dass Sie völlig durchdrehen!“, wetterte Regis weiter.

„Das ist doch dasselbe!“, brüllte Gannon zurück.

„Nein! Sie inkompetenter Blödmann!“

„Halten Sie die Klappe! Von Ihnen muss ich mir nichts sagen lassen. Sie, der sich nie im Dorf blicken lässt.“

„Das hat auch seinen Grund. Mit solchen niederen Menschen WIE DU einer bist, muss ich mich nicht abgeben. Das habe ich nicht nötig!“

Sprachlos und atemlos starrte Gannon den kleinen Baron an. Hatte er eben richtig gehört?

„Niedere Menschen…“

Traurig schüttelte der große Mann seinen Kopf.

„So denken Sie von uns. Und was ist mit ihrem Haus indem sie wohnen? Wer hat das gebaut?“
 

Verwirrt hielt Regis in seiner Schimpftirade inne. Für einige Sekunden war nur noch das Atmen der beiden Kontrahenten zu hören. Ein Windzug wehte über die Männer hinweg, sodass der Umhang vom Baron flatterte.

„Was wollen Sie mir damit sagen?“, fragte schließlich Baron Old Regis und starrte ärgerlich den Handwerker an.

„Können Sie sich das nicht denken?“ Resigniert schüttelte Gannon seinen Kopf.

„Sie sind gebildet und wurden in eine wohlhabende Familie hineingeboren.Wahrscheinlich wurde von Ihnen nie verlangt an das Wohl seiner Mitmenschen zu denken. Ich kann mich aber irren. Meine geliebte verstorbene Frau hat mir einmal von ihrer Familie erzählt, dass sie sehr einflussreich wäre und ein hohes Ansehen genieße. Gerade weil sie sich, um das Wohlergehen ihrer Mitmenschen sorgen machen und sich gegenseitig helfen und unterstützen.“

„Worauf wollen Sie hinaus? Drücken Sie sich einmal klar aus.“, drängelte Regis ungeduldig. Eine Belehrung von einem einfachen Handwerker wollte er sich nicht anhören. So etwas, hatte er einfach nicht nötig und stand zudem unter seiner Würde.

Gannon seufzte.

„Wie Sie wollen. Meine Frau war eine entfernte Kusine von Ihnen, Regis. Aufgrund dessen, hatte ich bisher hohe Achtung vor Ihnen gehabt. Außerdem, hatte meine Frau mich darum gebeten, nicht zu streng über Sie zu urteilen, dass nämlich auch Sie im Grunde genommen ein fürsorglicher und warmherziger Mensch wären. Allerdings, erkenne ich nichts davon. Seitdem Sie mein Haus betreten haben, verachten Sie mich. Sie missbilligen meine Stellung in der Gesellschaft, aber ich habe meine Frau sehr geliebt und tu es auch noch heute. Und…Euer Haus, verehrter Baron, dass haben einst meine Vorfahren erbaut.“
 

Nach dieser kurzen Ansprache drehte Gannon dem Baron seinen Rücken zu und entfernte sich von seinem Auto, dass er nur allzu gerne tat. Von seiner geliebten Frau zu sprechen, kostete Gannon viel Willenskraft nicht vor diesem Aristokraten in Selbstmitleid zu verfallen. Denn dieser Verlust, schmerzte ihn noch immer, als wäre der Tod seiner Frau, erst gestern gewesen. Nur ihr zuliebe, hatte der große Mann nie wirklich schlechte oder sogar böse Gedanken gegenüber den Baron gehegt, aber heute hatte sich sein Bild von ihm geändert.
 

Und Regis?
 

Der Baron stand, zum ersten Mal in seinem Leben, sprachlos da und schaute Gannon solange hinterher, bis er außer Sichtweise war. Des Weiteren, dachte er, ebenfalls zum ersten Mal, über die Aussage eines einfachen Mannes nach. Diese Tatsache machte Regis unfassbar wütend, aber zugleich auch traurig. Denn, zum ersten Mal hatte er Schuldgefühle und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte.

Blaues Blut

Kapitel 6
 

Blaues Blut
 

Zwei Tage waren nach dem Streit zwischen Gannon und Old Regis vergangen. Ihr könnt euch denken, dass die Bewohner des Dorfes keine Erklärung für diese mysteriöse Begebenheit bekommen hatten und konnten selbst durch Gannon nichts in Erfahrung bringen. Der betrübte Schreiner hüllte sich in Schweigen und wurde von Stunde zu Stunde nur noch trauriger. Niemand konnte sich einen Reim darauf machen.
 

Was war zwischen Gannon und dem Baron nur vorgefallen? Und warum wurde Gannon danach so traurig?

Fragen über Fragen schwebten in der Luft und keiner konnte sie beantworten. Denn diejenigen, über denen man sich Gedanken machte, blieben stumm oder ließen sich gar nicht erst wieder im Dorf blicken.

Natürlich, machte sich auch Elisa Sorgen um ihren Vater, aber selbst sie blieb, trotz ihrer Hartnäckigkeit, erfolglos. Es tat ihr auch selber Leid, ihren Vater so zu sehen und weiterhin zu bedrängen. Doch auch, ihre Aufmunterungsversuche schlugen fehl.
 

Gannon dachte, seit seiner harten Konfrontation mit Regis, nun noch intensiver an seine verstorbene Frau, als jemals zuvor. Sie fehlte ihm unendlich. Er stand morgens auf, bereitete für seine Tochter das Frühstück vor, aß selber fast nichts, was sehr ungewöhnlich war, denn Gannon war ein Vielfraß, der nie eine einzige Mahlzeit ausließ, und verschwand dann für den Rest des Tages in seiner Werkstatt. Monoton verrichtete er seine Arbeit, jedoch ohne freudige Emotion. Zu allem Überfluss, weinte sich der große Mann die letzten zwei Nächte in den Schlaf, nachdem er seit der Beerdigung seiner Frau geschworen hatte, nie wieder in seinem Leben eine weitere Träne zu vergießen. Seiner Tochter zuliebe.
 

Ja, seine Tochter. Elisa, die ihm die schönsten Momente in seinem Leben beschert hatte, aber auch die schwersten und sorgenvollsten. War Elisa krank, wich Gannon keine Sekunde von ihrer Seite und hielt die ganze Zeit ihre kleine zarte Hand, während sie unruhig im Bett schlief. Lachte Elisa, lachte auch Gannon, denn seine Tochter sah einfach zu süss aus, wenn sie es mal wieder geschafft hatte, sich mit Spaghettisoße zu bekleckern. In solchen Momenten, schwappte das Herz des großen Vaters über vor Glück. Einen fröhlicheren Mann gab es dann nicht. Für ihn war Elisa das absolut wichtigste im Leben, sollte nun was mit ihr nicht stimmen oder Peng. Gannon liebte seine Tochter über alles, möge kommen, was da wolle. Selbst der Baron, konnte ihm das nicht so einfach ausreden.
 

Warum hatte er sich überhaupt auf diese Idee eingelassen? Was hätte denn dabei herauskommen sollen?

Diese Fragen hatte er sich oft in letzter Zeit gestellt. Im Grunde genommen, hatte sich für ihn nichts verändert. Elisa war wie immer, auch wenn er sich diese seltsamen Ereignisse oder besser gesagt , seine Handlungen, wenn seine Tochter bei ihm war und was von ihm forderte, nicht erklären konnte. Doch, auch hier, musste man festhalten, dass niemand zu Schaden gekommen war. Der Handwerker hatte den Fehler mit dem Blumentisch wieder korrigiert, bevor die bestellte Ware abgeholt wurden war. Es kostete ihn zwar, doppelte Arbeitszeit, aber er hatte es getan. Damit war für ihn der Fall erledigt gewesen.

Jedoch, musste dieser Baron auftauchen und ihn Zweifel in seine Gedanken sähen. Es hatte ihn einfach überrascht, den Adelsmann höchstpersönlich vor seiner Haustür zu sehen. Das musste es gewesen sein. Denn eine andere Erklärung fand er nicht. Bisher hatte der große Vater immer seine Tochter vor alles und jedem verteidigt, wenn sich Nachbarn über sie beschwert hatten.
 

Leider, schlug Elisa ab und zu über die Strenge und hinterließ ein gewaltiges Chaos. Er konnte sich noch sehr gut daran erinnern, dass seine Prinzessin, die Vorbereitungen zur Bürgermeisterwahl sabotierte. Sämtliche Dekorationen auf dem Dorfplatz lagen kurz vor der Bekanntgabe mittendrin auf dem Platz oder den Bewohnern im Haar und Kleidung. Das Durcheinander war enorm gewesen. Zu allem Überfluss, stand Elisa mitten im Chaos und lachte darüber.

„Ja, das war lustig. Können wir das noch mal machen?“

Dieser Satz brachte das Fass zum überlaufen. Der neu gewählte Bürgermeister verlangte von Gannon und seiner Tochter, dass sie sich schriftlich bei ihm entschuldigen und Wiedergutmachung geleistet werden sollte.

Dem überforderten Vater war das so peinlich gewesen, dass er keine Wiederworte entgegenbrachte und baute dem Bürgermeister einen kastanienfarbenen Schreibtisch (natürlich kostenlos), an dem er heute noch arbeitete. Geschimpft hatte Gannon mit seinem kleinen Mädchen nicht. Sie war eben noch ein Kind, was sein Erklärungsversuch an diesem besagten Tag war. Außerdem, wie schon öfter von mir erwähnt, konnte er seiner Tochter nie wirklich böse sein. Solange Elisa lachte und glücklich war, war auch er es und daran sollte sich nie etwas ändern.
 

Jawohl, dachte Gannon im Stillen und in seine Gedanken hinein. Daran soll sich nie etwas ändern und wenn jemand etwas anderes behauptet, soll er sich doch zum Teufel scheren. Allem voran, dieser arrogante Baron!
 

Im Gegensatz zum Baron, hatte sich Gannon nach zwei Tagen wieder gefasst und war wieder wie vorher.

Regis saß nach wie vor am Schreibtisch und schaute nachdenklich aus dem Fenster, was er bisher nie getan hatte. In all den Jahren nicht, seitdem er die Firma von seinem Vater übernommen hatte. Für den Baron war es eine eindeutige Schwäche, seinen Gedanken nachzuhängen und zu keinem Ergebnis zu kommen, weswegen er sich fortwährend selber tadelte. Er verbot es seinen Angestellten zu ihm zu kommen, es sei denn, sie brachten ihm die täglichen Mahlzeiten. Selbst seiner Tochter hatte er verboten, ihn in seinem Büro aufzusuchen. Sabrina verstand einfach die Welt nicht mehr. Ihr Vater wurde von Tag zu Tag merkwürdiger. Seitdem Besuch von Elisa, spürte die besorgte Tochter, dass ihr Vater sich verändert hatte. Zuerst, dachte sie, dass es sich zum positiven entwickeln würde. Immerhin, hatte er ihr erlaubt auf das Dorffest zu gehen und in den letzten Tagen sich mit dem jungen Farmer zu treffen. Sabrina war überglücklich und auch erleichtert gewesen, dass ihr Vater endlich nachsichtiger geworden war. Doch inzwischen fragte sie sich, ob es wohlmöglich ihre Schuld war, warum ihr Vater sich so seltsam verhielt. Vielleicht passte ihm diese Entwicklung nach wie vor nicht und er wollte sie damit bestrafen, indem er sich von ihr distanzierte. Verzweifelt lief Sabrina in ihrem Zimmer auf und ab und machte sich bittere Vorwürfe. Sie spürte, dass sie etwas unternehmen musste. Allmählich, bekam sie Angst und sie wollte nicht der Grund für das eigenartige Verhalten ihres Vaters sein.

Also, beschloss sie, trotz des Verbots zu ihrem Vater ins Büro zu gehen und ihn ein für alle mal zur Rede zu stellen.
 

Selbstverständlich zitterte Sabrina am ganzen Körper, als sie sich nach einer halben Stunde endlich traute, die Türklinge zum Büro ihres Vaters zu drücken. Ein letztes Mal atmete sie tief ein, sammelte all ihren Mut zusammen, den sie aufbringen konnte und öffnete sehr zaghaft die Tür.

Millimeter für Millimeter schob sie die Tür ins Innere des Raumes. Als der Spalt zum Türrahmen weit genug war, lugte sie vorsichtig mit ihrem Kopf in den Raum um ihren Vater, wie gewohnt, an seinem Schreibtisch sitzen zu sehen.

Jedoch, konnte sie ihn nicht auf seinem Stuhl hinter seinem Arbeitsplatz sitzen sehen. Verwundert, öffnete Sabrina nun die Zimmertür ganz und erschrak, was sie nun vor sich sah.

Regis lag regungslos auf dem Boden und starrte ohne eine Miene zu verziehen an die Decke über ihn. Seine Hände lagen, wie zu einem Gebet gefaltet, auf seiner Brust. Durch die gleichmäßigen Bewegungen seines Brustkorbes, erkannte Sabrina, dass ihr Vater noch atmete. Vor Erleichterung hockte sich die junge Frau neben ihren Vater und schaute ihm besorgt ins Gesicht.
 

„Vater, ist alles in Ordnung mit dir? Soll ich einen Arzt rufen?“

Behutsam berührte sie seine Schulter und hoffte auf eine Antwort.

Langsam registrierte der Baron, dass er nicht mehr alleine war und suchte mit den Augen den Störenfried. Als er seine Tochter erkannte, erhob er sich mit seinem Oberkörper vom Boden, sodass er sitzen konnte.

„Sabrina? Was tust du denn hier? Habe ich nicht deutlich veranlasst, dass mich keiner in meinem Büro stören soll?“

Es war klar zu spüren, dass der Baron über die Störung seiner Tochter nicht gerade erfreut war.

„Schon…“, antwortete Sabrina kleinlaut. Beschämt senkte sie ihren Blick. Sie kannte ihren Vater zu gut, um zu wissen, dass man ihn recht schnell reizen konnte.

„Bin ich ein so schrecklicher Vater?“

Überrascht hob die junge Frau wieder ihr Gesicht und blickte ihren Vater mit großen Augen an. Der wiederum, schaute nachdenklich auf seine Hände.

„Wie kommst du darauf, Vater?“, wollte Sabrina erfahren.

„Antworte mir!“

Es war kein Befehlston von Regis in dieser Aufforderung gewesen, weswegen Sabrina mittlerweile mit ihrem Latein völlig am Ende war. Was ging bloß in ihrem Vater vor? Sie würde es zu gerne wissen.

„Tja…also…“, stotterte Sabrina erstmal unbeholfen rum. Denn allzu mutig war sie im Moment nicht gerade.

„Also…Du bist nicht schrecklich oder so…Nur manchmal etwas gereizt, vielleicht?“

Der Baron Old Regis seufzte. Seine schlimmsten Befürchtungen haben sich soeben bestätigt. Seine eigene Tochter, die er über alles andere auf der Welt am meisten liebte, hatte Angst vor ihm. Sie traute sich nicht, ihm die Wahrheit zu sagen.

In diesem Augenblick fühlte sich Regis sehr alt und kraftlos. Erschöpft beugte er sein Haupt und fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben den Tränen nahe.

„Ich wusste es. Ich bin ein grauenvoller Vater.“, resignierte er vor sich hin. „Selbst meine eigene Tochter hat Angst vor mir und hält mich für einen gefühlskalten Menschen.“

„Was? Nein, Vater! Das habe ich nicht gesagt.“

„Dennoch hast du es so gemeint, nicht wahr?“

„Nein! Nein, Vater. Ich weiß, du meinst es doch nur gut mit mir.“
 

Hilflos redete Sabrina drauflos, wie sehr sie ihn doch lieb hat, was natürlich stimmte, immerhin war er nun mal ihr Vater.

„Trotzdem traust du dich nicht mir ehrlich auf meine Frage zu antworten.“

Mühsam stand Regis auf und trat hinter seinen Schreibtisch ans Fenster. Die Welt da draußen erschien mit einem so neu, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen, obwohl er seit seiner Geburt hier lebte. In diesem Haus, seiner Villa, war er zur Welt gekommen. In diesen vier Wänden, die ihm so vertraut waren, hatte er alles gelernt, was ihn heute zu einem ansehnlichen Aristokraten gemacht hatte. In der Welt des Adels war er immer willkommen gewesen. Sein Reichtum hatte sich von Jahr zu Jahr vergrößert. All die Jahre war er stolz darauf gewesen, mit dem, was er besaß und was er erreicht hatte. Nie hatte er an seiner Existenz gezweifelt oder an den Menschen zu dem er im Laufe der Zeit geworden war.
 

Doch dann, begegnete er vor zwei Tagen diesem gewöhnlichen Handwerker und sein Weltbild geriet aufgrund seiner Aussage ins Wanken.

Warum wollte er auch unbedingt erfahren, was diese nervige Göre mit ihm angestellt hatte? Seit wann interessierte er sich für Leute aus einem anderen Stand? Die bei weitem nicht seine Kragenweite hatten?

Regis blieb ratlos. Er konnte sich sein Verhalten einfach nicht erklären.
 

„Vater?“

Die Stimme seiner Tochter holte ihn erneut aus seinen trübsinnigen Gedanken. Inzwischen hatte er ganz vergessen, dass sie sich noch mit ihm im selben Raum befand.

„Ja, meine Kleine?“

„Huch! Vater, so hast du mich seit über 10 Jahren nicht mehr genannt.“, rief Sabrina überrascht. „Kann ich dir irgendwie helfen? Du scheinst große Sorgen zu haben.“

„Hm? Tatsächlich. 10 Jahre ist das bereits her? Wie schnell doch die Zeit vergeht.“

Schmunzelnd wandte sich der Baron wieder dem Fenster zu. Für eine Minute dachte er an den Moment zurück, indem er Sabrina zum ersten Mal im Arm gehalten hatte. Das war der schönste Augenblick in seinem Leben gewesen. Tränen der Freude und des Glücks waren über sein Gesicht gelaufen, während er seine kleine Tochter in den Schlaf geschaukelt hatte. Er konnte sich noch so gut daran erinnern, weil seine Frau kurz nach Sabrinas Geburt gestorben war. Seine, bis dahin, geliebte Welt war mit einem Schlag zusammengebrochen. Dieser Verlust war für ihn so schmerzhaft, dass er bis heute noch mit keinem über seine Gefühle von damals gesprochen hatte. Nicht einmal mit seiner Tochter.

Für sie und die Menschen um ihn herum, blieb er standhaft und weigerte sich seinen traurigen Emotionen nachzugeben. Keiner sollte sehen, wie verletzt und einsam sich Regis in Wirklichkeit fühlte. Von diesem Tag an musste der Baron seine Tochter alleine großziehen. Und heute stellte er fest, dass er in einer Weise versagt hatte.
 

„Sabrina?“

„Ja, Vater?“

„Dieses kleine Mädchen, Elisa heißt sie, glaube ich.“

„Ja. Was ist mit ihr?“

„Vor dem Dorffest hatte sie etwas Eigenartiges zu mir gesagt und ihr Vater vor zwei Tagen ebenfalls.“

„Und was war das?“

„Wie soll ich sagen…Dieses Mädchen verlangte von mir, das ich netter zu dir sein sollte und ihr Vater…“

Regis stockte. Irgendwie, war es für ihn immer noch schwer nachzuvollziehen, was er von ihm erfahren hatte.

„Nun ja, du kennst doch, diese Elisa ein wenig. Wusstest du, dass ihre Mutter nicht mehr am Leben ist?“

Zwar wunderte sich Sabrina über das Interesse ihres Vaters für Elisa und ihren Vater, dennoch antwortete sie.

„Ja, Vater. Sie hatte es mir bei unserer ersten Begegnung vor einem Jahr erzählt. Wir waren beide am Fluss gewesen und ich hörte sie weinen. Natürlich, ging ich sofort zu ihr und fragte sie, warum sie denn so traurig sei. Sie erzählte es mir. Außerdem, konnte ich mich sehr gut in ihre Lage hineinversetzen, denn auch sie hat ihre Mutter kurz nach ihrer Geburt verloren…“
 

„Was? Wie bitte?“

Abrupt drehte sich der Baron um. Er konnte nicht glauben, dass Gannon dasselbe durchgemacht hatte, wie er einst, vor 18 Jahren. Das konnte doch kein Zufall sein, oder?

„Gannons Frau starb kurz nach Elisas Geburt?“

„Ähm, ja.“

Perplex guckte Sabrina ihren Vater an. Er schien mit einem Mal noch mehr durcheinander zu sein, als davor schon.

„Vater? Was interessierst du dich für Elisa und ihren Vater? Ist irgendetwas vorgefallen?“

„Nun, das weiß ich auch nicht so genau. Bloß, dass Gannon mir etwas gesagt hatte, was ich vorher nicht gewusst hatte.“

„Was denn?“, harkte Sabrina neugierig nach. Ihr war nicht entgangen, dass ihr Vater, sowohl Elisa, als auch Gannon, beim Vornamen nannte, und das tat er gewöhnlich nie.
 

Regis setzte sich, bevor er anfing seiner Tochter alles zu erzählen. Von Elisas eigenartigem Besuch, ihrem Wunsch und ihrer Bitte, bis hin zu seinem Besuch bei Gannon und deren gemeinsames Vorhaben, welches im Streit endete. Die junge Frau hörte aufmerksam zu.

Als ihr Vater fertig war und sie erwartungsvoll anstarrte, konnte Sabrina nicht anders, als anfangen zu lachen.

„Wie? Du warst mit Gannon zusammen im Auto unterwegs und wolltest bei den Dorfbewohnern etwas über Elisa erfahren? Du bist ja lustig.“

Mittlerweile musste Sabrina so heftig lachen, dass ihr die Bauchmuskeln wehtaten. Anfangs, schaute Regis seine Tochter überrumpelt an. Er fühlte sich nicht ernst genommen und spürte wie ihm die Schamesröte ins Gesicht stieg, als auch er mit einem Mal anfangen musste zu lachen.

Beide lachten solange, bis ihnen die Tränen kamen. Von diesem Lärm überrascht, kamen nach und nach die Bediensteten des Hauses und wollten mit eigenen Augen sehen, was geschehen war. Es bot sich ihnen ein komplett neuer Anblick. Noch nie, hatten sie ihren Herrn so herzlich lachen gesehen, wie in diesem Moment. Umso schöner war es für alle Beteiligten, zu sehen, dass auch der Baron Old Regis zu so einem heiteren Gefühlsausbruch fähig war, und das im Zusammensein seiner Tochter. Denn auch Sabrina hörte man selten unbeschwert lachen, wie in diesem Augenblick.
 

Zum Schluss möchte ich an dieser Stelle noch erwähnen, dass sowohl Vater und Tochter nach langer Zeit wieder, einen schönen Nachmittag zusammen verbrachten. Es wurde vieles gesagt, was viel zu lange unausgesprochen blieb und nun endlich gesagt werden musste. Sabrina berichtete auch von ihren Treffen mit dem jungen Farmer und hoffte, ihn ihrem Vater bei Gelegenheit vorstellen zu können. Zwar war Regis, immer noch nicht sehr erfreut über diese Entwicklung. Schließlich müsst ihr wissen, dass Sabrina Regis einzige Tochter ist und welcher Vater lässt seine eigene Tochter so einfach gehen?

Der Baron gab zu, vielleicht etwas zu streng mit Sabrina gewesen zu sein, aber immerhin hatte er lediglich ihr Wohlergehen im Sinne gehabt. Die junge Frau war auch keineswegs böse auf ihren Vater. Das könnte sie auch niemals sein, erklärte sie ihm. Denn sie liebte ihren Vater und fand, dass er seine Sache, alleine ohne Frau, sehr gut gemacht hatte.

Selbstverständlich, war Regis stolz darüber, dies von seiner Tochter zu hören und versprach ihr sie in Zukunft, ihre eigenen Entscheidungen treffen zu lassen, solange sie ihn ab und zu um Rat fragen würde.
 

Vater und Tochter fanden also wieder zu einander. Regis wusste auch, wem er das in erster Linie zu verdanken hatte. Ein weiterer Besuch ließ sich demnach nicht mehr aufschieben.

Ende gut, alles gut

Kapitel 7
 

Ende gut, alles gut
 

Überglücklich strahlte Elisa in den Handspiegel, den ihr Maron kurz zuvor gereicht hatte.

„Oh! Vielen, vielen Dank, Tante Maron!“ Lachend drehte das kleine Mädchen ihren Kopf und bestaunte ihre kunstvoll geflochtene Frisur.

„Zusammen mit dem roten Kleid von meiner Oma sehe ich aus, wie eine richtige Prinzessin. Mein Vater sagt das immer zu mir.“

Auch Maron lächelte über das freudige Verhalten des kleinen Mädchens, die sie von erstem Tag an in ihr Herz geschlossen hatte.

„Es freut mich sehr, dass dir die Frisur so gut gefällt. Und dein Vater hat Recht, das Kleid steht dir wirklich ausgezeichnet.“

„Danke, Tante Maron. Ich werde noch ganz rot.“

Was mit Elisa zugleich auch geschah.

„Geht es deinem Vater inzwischen wieder besser? Die letzten Tage schien er ziemlich traurig gewesen zu sein.“, fragte Maron behutsam nach ohne ihre schlimmsten Befürchtungen zu äußern. Sie konnte sich noch sehr gut an den Tag zurückerinnern, an dem Gannons Frau gestorben war. Den Anblick, den er damals bot, soviel Trauer und Verzweiflung, wird sie wohl bis an ihr Lebensende nicht vergessen. Denn genauso, hatte er in letzter Zeit erneut ausgesehen.

Sofort wurde Elisa etwas ernster.

„Ja, ich denke schon.“, begann sie zu erzählen. „Gestern Abend, nach seiner Arbeit kam er aufgeregt in mein Zimmer und fragte mich, ob ich Lust hätte mit ihm einen Kuchen zu backen. Ich habe ja gesagt. Während wir dann in der Küche waren, hat er die ganze Zeit gelacht und gepfiffen.“

„Hm. So wie es sich anhört, scheint er sich wieder ganz der Alte zu sein.“

„Ja, das denke ich auch.“, bestätigte Elisa. „Er wollte mir auch nicht erzählen, was eigentlich los war. Er meinte nur, dass ich mir keine Sorgen machen soll.“

„So wird es auch das Beste sein. Möchtest du nicht rüber zu deinem Vater gehen und ihm mit deinem wunderschönen Aussehen überraschen? Er freut sich bestimmt, wenn er dich so sieht.“

„Au ja.“

Tatenfreudig hüpfte Elisa vom Stuhl. „Aber, Tanta Maron?“

„Ja, meine Kleine?“

„Kannst du noch ein Foto von mir machen?“

Die junge Mutter lächelte.

„Selbstverständlich, kleine Prinzessin.“
 

Der Schreiner staunte nicht schlecht, als der Baron Old Regis, wieder einmal, vor seiner Haustür stand. Nur dieses Mal, in Begleitung seiner Tochter. Dazu fiel Gannons nichts mehr ein. Sein erster Impuls war, dem Baron die Tür vor der Nase zuzuknallen, doch da er seine Tochter mit dabei hatte, hielt sich der große Mann zurück. Vor Sabrina wollte er nicht unhöflich erscheinen. Von seiner Tochter wusste er, dass Regis Tochter ein sehr nettes Mädchen ist. Jetzt, aus der Nähe betrachtet, musste Gannon sogar zugeben, dass sie eine hübsche junge Frau geworden war.

Gerade sie, holte Gannon aus seinen abschweifenden Gedanken.

„Guten Tag, Gannon. Wir hoffen, dass wir Sie nicht bei der Arbeit stören. Doch, mein Vater hat noch etwas mit Ihnen zu besprechen. Wenn Sie also, ein wenig Zeit für uns übrig haben?“

„Wie? Aber ja. Ja, doch. Kommen Sie beide rein.“

In seiner unbeholfenen Art, stieß Gannon mit seinem Kopf gegen die herabhängende Lampe, direkt über dem Hauseingang, als er die Tür weiter öffnete. Schon so oft hatte er sich vorgenommen, eine andere Lampe anzubringen, im letzten Moment dann doch dagegen entschieden. Denn auch diese Lampe gehörte zu den Erinnerungsstücken seiner Frau, weswegen sie weiterhin blieb, wo sie war. Selbst wenn ihn, einige Nachbarn darauf aufmerksam gemacht haben.
 

Regis betrat zögerlich Gannons Haus. Obwohl er wusste, dass dieser Besuch nötig war, war ihm dennoch unbehaglich zumute. Es gehörte definitiv nicht zu seinem Naturell, Fehler einzugestehen und sich bei anderen zu entschuldigen. Jedoch, hatte er in den letzten Tagen vieles getan, was überhaupt nicht zu ihm passte, dass es jetzt auch nicht mehr darauf ankam. Zumindest versuchte er sich das einzureden. Seit seinem Gespräch mit Sabrina, fiel es ihm ein wenig leichter, sich mit dem Gedanken abzufinden, dass er sich verändert hatte, aber es war trotzdem gewiss nicht einfach für ihn. Schließlich hatte ihn seine Sturheit nicht umsonst, zu einem erfolgreicheren Geschäftsmann gemacht, als seine Vorfahren es jemals waren.
 

Da Regis wusste, wo wes zum Wohnzimmer ging, führte er seine Tochter zielsicher dort hin. Wie beim letzten Mal, bot Gannon seinen Gästen Tee oder Kaffee an, wobei er es bewusst mied, den Baron nicht länger als nötig anzusehen. Beide entschieden sich für Tee und der große Gastgeber verschwand für einige Minuten in der Küche.

„Vater?“

Erschrocken fuhr Regis zusammen. Er war in seinen Gedanken so versunken gewesen, als er sich auf die Coach gesetzt hatte, dass er doch glatt vergaß, dass seine Tochter mit anwesend war.

„Hm? Ja?“

Streng sah Sabrina ihren Vater von der Seite an.

„Benimm dich, bitte. Und sei Gannon gegenüber nicht so unfreundlich! Oder hast du bereits vergessen, warum wir hergekommen sind?“

Die junge Frau sprach ungewohnt resolut mit Regis, dass er sich nicht traute dem zu wiedersprechen. Resigniert seufzte er.

„Du hast ja Recht. Ich verspreche dir, dass ich mich bemühen werde.“

Mit dem zuversichtslichem Lächeln, was er aufbringen konnte, blickte er seiner Tochter in die Augen. Sie wiederum, stimmte es sofort zufrieden.

„Das weiß ich doch, Vater.“

In diesem Moment, hörten sie die Haustür aufschlagen und ein kleines aufgeregtes Mädchen kam ins Wohnzimmer gelaufen.

„Papa, Papa! Schau dir an, was Tante Maron…Nanu?“

Als Elisa, den Baron und Sabrina erblickte, blieb sie abrupt stehen.

„Sabrina und ihr Vater. Was macht ihr denn hier?“

Über dieses fehlerhafte Benehmen, drehte Regis seinen Augen gen Zimmerdecke und bereute zugleich hierher gekommen zu sein. Dieses Gör wird sich wohl niemals ändern. Im Gegensatz zum Baron, freute sich Sabrina das kleine Mädchen wiederzusehen.

„Guten Tag, Elisa. Wir freuen uns auch dich zu sehen. Du siehst heute aber verdammt hübsch aus.“

Natürlich hatte daraufhin Elisa ihre Verblüffung über diesen unverhofften Besuch komplett vergessen, als sie das Lob hörte und drehte sich einmal vergnügt im Kreis.

„Findest du wirklich? Das Kleid ist von meiner Oma und die tolle Frisur hat mir Tante Maron gemacht.“

„Es steht dir ausgezeichnet.“

„Danke, Sabrina.“
 

Von der Stimme seiner Tochter angelockt, betrat Gannon das Zimmer.

„Huch, Elisa? Du bist wieder da? Ich dachte, du wolltest mit Charlie spielen.“

„Charlie ist heute den ganzen Tag nicht da. Er übernachtet bei einem Freund. Aber Papa, sag, wie findest du mich?“

Jetzt erst, fiel ihm auf, dass Elisa eine eindrucksvoll geflochtene Frisur hatte. Ein paar gewellte Strähnen fielen ihr nach vorne ins Gesicht, während der Rest mit vielen Spangen an ihrem Hinterkopf zusammengebunden und gesteckt war. Ein überaus zufriedenes Lächeln stahl sich auf Gannons Gesicht.

„Du bist die schönste Prinzessin auf der ganzen Welt, mein kleines Mädchen.“

„Ach, Papa.“

Überschwänglich ließ sich Elisa in die Arme ihres Vaters fallen und schmiegte sich glücklich an ihm. Für den großen Mann war es ein leichtes, seine Tochter auf den Arm zu nehmen und hochzuheben.
 

Verblüfft weiteten sich Regis Augen. Zwar war es ein seltsamer Anblick, der sich ihm bot, ein kleines Mädchen, das in den Armen eines großen Mannes fast verschwand, aber was Regis umso mehr überraschte, war die Tatsache, dass Vater und Tochter, beide zusammen, ein liebevolles Bild der Glückseligkeit ausstrahlten, dass ihn selbst berührte. Auf der Stelle, fühlte der Baron einen Stich in seinem Herzen und wusste ihn nicht genau zu erklären. Doch dann, lehnte sich seine eigene Tochter an seine Schulter und ergriff zärtlich seine Hand, sodass sich ihre Finger ineinander verschränkten.

„Sie sind nicht viel anders, als wir.“
 

Augenblicklich begriff Regis, was seine Tochter ihm damit sagen wollte, und was auch Gannon vor einigen Tagen zu ihm gesagt hatte. Endlich konnte sich der Baron entspannen und schloss Sabrina in seine Arme. Überrollt von soviel Gefühl, fing er unwillkürlich an zu weinen, doch zum ersten Mal schämte er sich für keine seiner Tränen. Sämtliche unterdrückten Gefühle brachen aus ihm heraus. Anfangs sorgte sich Sabrina um ihren Vater, auch Gannon und Elisa rannten sofort zu ihm und erkundigten sich nach seinem Befinden, doch als Regis anfing zu erzählen, verschwand Sabrinas Sorge um ihren Vater und Erleichterung machte sich in ihr breit.

Der Baron redete ohne Pause. Niemand unterbrach ihn. Gannon hatte den Tee längst vergessen, so gerührt war er von seiner Erzählung. Er sprach von seiner Kindheit und Jugend, dass sein Vater ziemlich autoritär gewesen war und immer Spitzenleistung von seinem Sohn forderte und erwartete. Für den Baron war es selbstverständlich gewesen auf seinen eigenen Vater ohne Wiederworte zu hören und hatte es von ihm auch so übernommen. Geld spielte dabei auch eine übergeordnete Rolle. Denn nur wer viel Geld besaß, konnte es im Leben zu etwas bringen und genießt überall hohes Ansehen. Gleichzeitig galt man als immun und erhaben gegenüber anderen.

Als Regis an den Punkt kam, in dem er Gannon beichtete, dass auch er seine Frau kurz nach Sabrinas Geburt verloren hatte, war es auch um Gannons Beherrschung geschehen und beide Männer weinten bitterlich.

Gegenseitig erzählten sie sich nun ihre Gefühle und Ängste und erkannten, dass sie so vieles, trotz unterschiedlicher Herkunft, gemeinsam hatten.
 

Elisa verstand nicht so genau, was eigentlich vor sich ging und wunderte sie über das merkwürdige Verhalten der Erwachsenen. Sogar Sabrina weinte einzelne Tränen, was das kleine Mädchen nicht nachvollziehen konnte.

Am Ende, nachdem alles gesagt worden war, standen beide Männer auf und wollten sich nun als Freunde gegenüber treten. Das war etwas, was Elisa verstand und überaus glücklich und erfreut, äußerte sie ihren letzten Wunsch:
 

„Ich wünsche mir, dass wir von nun an, eine glückliche Familie sein werden.“

Epilog

Epilog
 

Das Leben im kleinen Dorf hatte sich komplett verändert. Der Baron Old Regis ließ sich fast jeden Tag im kleinen Ort blicken und unterstütze zunehmend diejenigen, die weniger Geld zur Verfügung hatten als er. Zusammen mit dem Bürgermeister richtete er eine Sozialhilfestelle ein, die ausnahmslos von seinem Vermögen unterstützt wurde. Dadurch verbesserte sich das Leben für viele Bewohner im Dorf. Die wiederum, kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus, was das neue Verhalten von Regis betraf. Jedoch, hielt die Verwunderung nicht lange an, denn man gewöhnte sich mit der Zeit an alles, und wenn es anfangs noch so sonderbar war.
 

Gannon und Regis wurden die besten Freunde, die es bisher gegeben hatte. Selbstverständlich stritten sie sich viel, aber das machte deren Freundschaft nur umso besonderer und festigte sie umso mehr. Beide wussten, dass sie immer aufeinander zählen konnten. Außerdem, gab der Baron Gannon viele Ratschläge, um als alleinerziehender Vater besser zu recht zu kommen, weswegen Gannon sehr froh war und Regis im Laufe der Jahre immer mehr schätzte.

Natürlich beharrte Regis darauf, dass der Schreiner seine Tochter viel zu sehr verwöhnte und ihr viel zu viel durchgehen ließ, aber Gannon konnte tun, was er wollte, seinen Vorsatz strenger mit seiner Tochter zu sein, warf er jedes Mal von neuem über Bord, wenn Elisa ihn nur anlächelte. Diesem Lächeln konnte er eben nicht widerstehen, egal wie sehr er sich auch bemühte.
 

Ihr wollt wissen, was mit Elisa und ihren Wünschen passiert ist? Nun ja, seit ihrem Wunsch nach Regis und Sabrinas Besuch, als Elisa noch klein war, verlor sie so schnell ihre mysteriöse Gabe, wie sie gekommen war. Ebenso die winzigen feenartigen Wesen wurden von niemandem jemals wieder gesehen.
 

Zwar kann man sich jetzt die Frage stellen, ob man sich alles eingebildet hatte oder ob wirklich alles so geschehen war, doch was würde es schon ändern, wenn man die Antwort wissen würde.

Ich denke nicht, dass die Geschichte dann weniger interessant wäre oder unterhaltsamer. Die Hauptsache ist, dass niemand zu Schaden gekommen war und sich daraus eine tiefe Freundschaft zwischen zwei unvollständigen Familien entwickelt hatte, die bis in die Ewigkeit überdauerte, sodass diese jedem Enkel, Urenkel und Ururenkel weitergegeben wurde, in der Hoffnung, dass diese daraus lernten und etwas Wertvolles für sich ins Leben nehmen konnten.



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