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Fragile Feelings

♡ Red × ℕ ♡
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Vielen Dank an Celine, die den Prolog von Rechtschreibfehlern gesäubert hat. Komplett anzeigen

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Prolog

Als er den Kopf zum weißgrauen Himmel über ihm hob und die zahlreichen Schneeflocken wie kleine Kirschblüten auf sein Gesicht fielen, musste der junge Mann, der inmitten der trostlosen Schneelandschaft stand, unweigerlich schmunzeln.
 

Seine Körperwärme, die die kleinen Perlen sofort zum Schmelzen brachten, sorgte dafür, dass es aussehen musste, als wären es seine eigenen Tränen, die seine Wangen hinunterliefen. Es war ein amüsanter Gedanke, da er sich bis zu diesem Augenblick schon lange nicht mehr gefragt hatte, ob er überhaupt noch dazu in der Lage wäre zu weinen. Vielleicht waren die Schneeflocken das einzige, das noch dafür sorgen könnte, dass je wieder Tränen seine Wangen hinunterlaufen würden. Worüber sollte er auch traurig sein? Es gab nichts, was solch schwächliche Gefühle in ihm jemals wieder hätte auslösen können.
 

'Weine ich wegen dir, Green?'
 

Der schwarzhaarige Mann schüttelte bei diesem absurden Gedanken sofort den Kopf. Green, das war der Name seines besten Freundes gewesen, als er noch in Alabastia gewohnt hatte. Doch sie hatten sich seit Jahren nicht mehr gesehen, also warum sollte es Trauer in ihm auslösen, an ihn zu denken? Trauer war kein Gefühlszustand, den er noch hätte empfinden können, denn das stürmische Wetter auf dem Berg mit den heftigen Schneestürmen und kalten Eisschichten auf den ohnehin harten Felsen des Berges ließ auch all seine Gefühle erfrieren und er verschwand keine unnötige Zeit mehr damit, an seinen ehemaligen Freund zu denken. Wann immer diese unerwünschten Erinnerungen an gemeinsame Tage zurückkehrten und es dem Schwarzhaarigen fast vorkam, als würde er Heimweh empfinden, beschloss er, noch härter zu trainieren und seine eigenen Gefühle noch mehr unter seiner enormen Stärke zu begraben.
 

Als seine Haut durch den Sturm fast komplett mit fallendem Schnee bedeckt war und sich ausgelöst durch den Nebel vor ihm eine anscheinend unendliche Schneelandschaft erstreckte, hatte er fast das Gefühl, er würde die Umrisse einer Person vor sich sehen. Er schüttelte den Kopf, als er für einen Augenblick annahm, er würde jemanden vor sich sehen. Als würde er Green vor sich sehen. Der Schnee trieb inzwischen schon Spiele mit seinem Verstand und ob er es nun wollte oder nicht, anscheinend empfand er wirklich etwas so Armseliges wie Heimweh. Anscheinend sehnte er sich nach den sorglosen Tagen, als Green und er noch unerfahrene Pokémon-Trainer gewesen waren, die gerade zu ihrer Reise durch Kanto aufgebrochen waren und noch nicht geahnt hatten, wie die Dinge sich in der Zukunft entwickeln würden.
 

Damals war Red noch ein anderer Mensch gewesen. Er war mit dem naiven Traum aufgebrochen, der stärkste Trainer von Kanto zu werden und dabei auch noch ein spannendes, lustiges Abenteuer zusammen mit seinen Pokémon-Freunden zu erleben. Er hatte sich damals erhofft, dass er von allen als stärkster Trainer bewundert werden würde und Green ebenfalls endlich zu ihm aufsehen würde. Wenn er genau darüber nachdachte, hatte er schon oft festgestellt, dass er vor allem für Green den Weg gegangen war, der ihn letztendlich auf diesen Berg geführt hatte.
 

Green hatte Red immer verachtet. Selbst als sie noch junge Trainer gewesen waren und Red sich lieber mit den erfreulichen Seiten einer Pokémon-Reise hatte beschäftigen wollen, war ihm Green bei jeder Gelegenheit in die Quere gekommen und hatte sich zu Reds selbsternannten Rivalen gemacht. Aus dieser kindlichen Eifersucht war schon bald bitterer Ernst geworden. Je stärker sie geworden waren und je weiter ihre Reise vorrangeschritten war, umso härter waren ihre Kämpfe geworden und umso mehr hatten beide bemerkt, dass sie nicht nur Rivalen waren. Es war, als wollten sie sich gegenseitig zerstören.
 

Red hatte nie verstanden, woher der plötzliche Hass ihm gegenüber kam und warum Green, der einst sein bester Freund gewesen war, ihm auf einmal nichts sehnlicher als die totale Niederlage wünschte. Er hatte fast das Gefühl, Green würde nur davon angetrieben werden, Red besiegen zu wollen. Wann immer er auf ihn traf, verkündete Green stolz, dass er ihn nun endlich vernichten würde. Auch wenn Greens Versuche, Red zu schlagen, immer vergeblich waren und Red durch die Liebe und Zuneigung zu seinem Pokémon-Team seinem Rivalen immer ein Stück voraus war, gab Green niemals auf. Erst Jahre der Einsamkeit getrennt von Green verhalfen ihm zu der Einsicht, dass Green vermutlich immer nur gewollt hatte, dass Red endlich sehen würde, dass er auch stark war. Hatte Green vermutlich nur Reds Anerkennung gewollt? Hatte er ihn deshalb immer und immer wieder herausgefordert? Red war naiv genug gewesen, es als Hass zu interpretieren.
 

Red musste sich eingestehen, dass egal, was Greens Beweggründe gewesen waren, Red zu seinem ewigen Rivalen zu erklären, er bewusst oder unbewusst dazu beigetragen hatte, dass Red selbst immer stärker geworden war, und letztendlich war Green das gewesen, was Red immer angetrieben und ihm zu dem Champion der Kanto-Region gemacht hatten, den nun alle als eine Legende kannten.
 

Red war überrascht, als er, obwohl er so lange in Gedanken gewesen war, immer noch die Silhouette vor sich sah und er sich langsam zu fragen begann, ob wirklich eine Person sich durch den hohen Schnee auf ihn zu bewegte.
 

'Vielleicht ein Herausforderer?'
 

Red erinnerte sich zurück, wie Lyra ihn vor einigen Monaten herausgefordert hatte, und er musste unweigerlich grinsen. Es war fast armselig, dass die Zeit hier auf dem Berg so langsam verstrich, dass es ihm vorkam, als wäre Lyra das letzte Mal vor Jahren bei ihm gewesen. Sein Leben war wirklich einsam und er konnte von Glück reden, noch nicht den Verstand verloren zu haben. Aber sein hartes Training half ihm dabei, nicht verrückt zu werden und seine Ziele niemals aus den Augen zu verlieren, wenn der Schnee auch noch so hoch lag und er um sich herum nichts weiter als eine weiße, unendliche Fläche wahrnahm. Alles, was er vor sich sah, war die Farbe Weiß und...
 

'Grün?'
 

Red konnte seinen Augen nicht trauen, als wirklich ein junger Mann auf ihn zukam und ein paar Meter vor ihm stehen blieb, um Red mit leerem Blick anzustarren. Red wusste nicht, ob der Mann wirklich ihn ansah oder einfach durch ihn hindurch sah. Seine Augen sahen so nichtssagend aus, anders als die aller Herausforderer, die bis jetzt zu ihm gekommen waren. Bis jetzt hatte er bei jedem von ihnen diese strahlenden Funken, ausgelöst durch Hoffnung und Ehrgeiz, in ihren Augen glitzern gesehen, doch dieser Mann, der ihm nun gegenüber stand, schien Red nicht einmal richtig wahrzunehmen. Als wäre Red Existenz völlig unbedeutend und als würde er nicht vorhaben, ihm, dem berüchtigsten Champion der Geschichte von Kanto, auch nur den geringsten Hauch von Respekt entgegenzubringen.
 

»Du weißt, wer vor dir steht?«, wollte Red sagen, doch er beschloss, weiterhin zu schweigen und darauf zu warten, was der Mann zu ihm zu sagen hatte.
 

Red konnte nicht abstreiten, dass dies eine völlig neue, interessante Situation für ihn war. Auf diesem Berg sollte man über alle neuen Situation glücklich sein, denn es passierte an einem so düsteren Ort wie diesem eigentlich nie etwas Unerwartetes, zumindest nicht im positiven Sinne. Der Mann, der eine ganze Weile schweigend vor ihm gestanden und mit leerem Blick an Red vorbei gestarrt hatte, sah diesem nun endlich in die Augen. Sein Blick war leer, als würde er nicht realisieren, was gerade geschah.
 

»Endlich habe ich dich gefunden«, brachte er mit letzter Kraft hervor. Red konnte es nicht glauben, was dieser fremde Mann gesagt hatte. »Kennen wir uns?«, fragte Red irritiert und sah ihn noch immer mit ernsten Blick an. Reds Verwirrung wurde noch dadurch verstärkt, als der Mann in den darauffolgenden Sekunden ohne eine Vorwarnung einfach vor ihm zusammenbrach.

Kapitel 01

Wie schon so lange Zeit verlief in Ns Leben nichts mehr so, wie er es einst geplant hatte. Sein Leben nach einem festgelegten Plan zu gestalten war für ihn inzwischen unmöglich geworden und er geriet, seit er auf seine Reise aufgebrochen war, immer wieder in unerwartete Situationen. Aber dieses Mal war es extremer als sonst. Er konnte es kaum glauben, als er, zunächst orientierungslos und verwirrt darüber, wie er in diese Situation geraten war, in einer Art Höhle aufwachte.
 

»Mein Kopf... Was ist nur passiert?«, fragte er sich selbst und rieb sich an seinem schmerzenden Hinterkopf. So weit war es also schon gekommen. So viel Kontrolle über sein Leben hatte er bereits verloren. Es war für N eine nur schwer hinzunehmende Tatsache, dass es anscheinend nun sogar schon vorkam, dass er an einem ihm völlig unbekannten Ort aufwachte. Als König von Team Plasma wäre ihm so etwas niemals passiert, doch sein Leben hatte sich geändert. Er war schon lange kein König mehr und sein Leben verlief schon lange nicht mehr so, wie er es am liebsten gewollt hätte.
 

Noch merkwürdiger kam ihm vor, dass die Erinnerungen an das, was zuvor geschehen war, verschwommen und undeutlich waren. Außerhalb der Höhle schien ein Schneesturm zu wüten und dieser schien wohl auch seine Erinnerung zu vernebeln. Doch wieso war er in einer Höhle in einem so verschneiten Gebiet? Wieso schmerzte sein Hinterkopf, als hätte ihn jemand geschlagen? Die Unwissenheit darüber, sich nicht daran zu erinnern, wie er in diese merkwürdige Situation geraten war, machte ihn wütend. Es ärgerte ihn, dass er die Kontrolle über sein eigenes Leben verloren hatte. Er wollte sofort herausfinden, aus welchem Grund er sich an diesem mysteriösen Ort befand.
 

Auch, wenn die Situation ungewöhnlich war, konnte er sich trotz seines schlechten Zustands nur mithilfe seines gesunden Menschenverstands zusammenpuzzeln, was abgelaufen sein könnte. N war anscheinend in einen Schneesturm geraten und dadurch bewusstlos geworden. Er fragte sich zunächst, ob er es selbst bis in die Höhle geschafft hatte, bevor er durch die Kälte und vor Anstrengung anscheinend ohnmächtig geworden und zusammengebrochen war, oder ob ihn jemand gefunden hatte. Aber dieser Ort sah nicht aus, als würde hier jemand auch nur ansatzweise dauerhaft leben könnte. Als N sich aufsetzte und mit verschlafenem Blick aus dem Eingang der kleinen Höhle sah, merkte er, dass kilometerweit um ihn herum nur Eis und Schnee waren. Wer sollte an so einem Ort leben und ihm geholfen haben?
 

Erst, als N sich wieder zurückbeugte und weiter ins Innere der kleinen Höhle sehen wollte, bemerkte er den jungen Mann, der anscheinend die ganze Zeit neben ihm gesessen hatte, und somit hatte sich seine Frage von selbst beantwortet. »Wie lange sind Sie schon hier?«, fragte N geschockt und rückte ein Stück von dem mysteriösen Mann weg. »Und wer sind Sie?« Da N noch nicht genau einschätzen konnte, ob dieser Mann gute oder schlechte Absichten besaß, hielt er es für richtig, zunächst vorsichtig zu sein. N hatte im Laufe seiner Reise auch schon schlechte Erfahrungen mit anderen Menschen gemacht und war deshalb nun vorsichtiger und weniger neugierig als zu Beginn seiner Reise.
 

Red war völlig sprachlos. Dieser merkwürdige grünhaarige Mann war zwar endlich aufgewacht und schien in Ordnung zu sein, doch er schien nicht einmal zu wissen, wer er war. Ob diesem Mann überhaupt klar gewesen war, in was für eine Gefahr er sich begeben hatte, als er den Eingang zum Silberberg betreten hatte? Es entzog sich Reds Verstand, dass an einem Ort, an dem außer ihm niemand lebte, plötzlich dieser Mann aufgetaucht war und dann auch noch völlig zufällig, als hätte er keine Ahnung, dass der Champion der Kanto-Region seit Jahren hier trainierte und lebte. Red hatte den Mann schon, als er ihn aus der Kälte an einen besser abgeschirmten Ort gebracht hatte, genug betrachtet, um festzustellen, dass es sich um einen komischen Kauz handeln musste.
 

Doch er schwieg, da er nicht wusste, was er weiter zu ihm sagen sollte. Vielleicht hatte er aber auch schon so lange keine Konversation geführt, dass ihm die Worte im Hals stecken blieben und es ihm sogar ein wenig unangenehm war, sich mit einem Menschen, der keine Wahnvorstellung war, zu unterhalten. Lyra war der letzte Mensch gewesen, der zuvor bei ihm gewesen war, und selbst ihr war er größtenteils schweigend gegenübergetreten, obwohl die Kleine ein wirklich nettes Mädchen gewesen war, von der Red sogar den Eindruck gehabt hatte, dass sie ein wenig Sympathie für ihn empfunden hatte.
 

»Wer sind Sie? Können Sie nicht sprechen?«, fragte N verwirrt und an seiner Stirn bildeten sich besorgte Falten. Solange dieser schwarzhaarige Mann nichts sagte, konnte er auch nicht einschätzen, ob er sich in Gefahr befand oder nicht. Deshalb wartete er geduldig auf eine Antwort und rührte sich solange nicht, bis der Schwarzhaarige ihm endlich die Antwort auf seine Fragen gab. N wollte endlich wissen, wie er in diese Höhle gekommen war und was es mit diesem mysteriösen Einsiedler auf sich hatte, der trotz der eisigen Kälte nur in einer Jeans, einem schwarzen Shirt und einer knappen Weste vor ihm saß, als würde er die eisige Temperatur gar nicht wahrnehmen.
 

»Ich heiße Red«, antwortete Red knapp. Es war merkwürdig, jemandem seinen Namen zu verraten. Es hatte ihn schon lange niemand mehr danach gefragt, weil ihn ohnehin jeder kannte oder wohl auch deshalb, weil er so gut wie niemandem mehr begegnete und nur noch mit seinen Pokémon zusammenlebte. Einen Menschen um sich herum zu haben war irgendwie angenehm, auch wenn er noch nicht so recht mit der Situation umgehen konnte und hoffte, dass dieser grünhaarige Sonderling ihn nicht zu sehr stressen würde. Doch er hatte irgendwie die Befürchtung, dass dieser Mann ihm noch einige Probleme machen würde, wenn er ihn nicht schnellstens wieder von diesem Berg runterschaffen würde.
 

»Danke, dass Sie mich gerettet haben, Red.« Auch wenn N sich ein wenig vor dem Schwarzhaarigen gruselte und es unheimlich fand, dass ein Mann so ganz allein auf einem verschneiten Berg lebte, versuchte er dennoch sich anzustrengen, nicht seine guten Manieren zu vergessen. »Ich heiße übrigens N«, stellte er sich dann selbst vor. Red schien, trotz seiner Vorliebe für kalte, verschneite Orte, ein netter Mann zu sein und N beschloss, dass es in Ordnung war, ihm gegenüber freundlich zu sein. Zwar schien Red auf diesem Berg zu leben und nicht sehr gesprächig zu sein, doch immerhin hatte er N das Leben gerettet und somit war er ihm irgendwie zu Dank verpflichtet, auch wenn er noch nicht genau wusste, wie er sich revanchieren könnte.
 

»N«, wiederholte Red leise. Das war ein außergewöhnlicher Name, den er zumindest in Kanto noch nicht gehört hatte. Seine Verwunderung führte dazu, dass er den Mann genauer musterte und ihn nun zum ersten Mal richtig ins Gesicht sah. Jetzt wurde Red klar, dass N unmöglich aus Kanto oder gar Johto stammen konnte. Als er N genauer unter die Lupe nahm und ihm deutlich wurde, wie hell seine Haut war, und er die Gesichtszüge des Mannes genauer betrachtete, stellte Red fest, dass N ein Ausländer war und vermutlich aus einer weit entfernten westlichen Region wie Einall stammen musste.
 

»Du bist nicht von hier«, stellte Red trocken fest. »Das erklärt auch, warum du keine Ahnung hast, wer ich bin, nicht wahr?« Nun verstand Red auch, warum N, trotz der Tatsache, dass sonst nur Herausforderer diesen Ort erreichten, trotzdem den Silberberg betreten hatte, auch wenn er noch nicht ganz verstand, warum N überhaupt auf diesen Berg gekommen war. »Warum bist du also hier? Suchst du etwas Bestimmtes, N?«, fragte Red und hoffte, dass N ihm nun keine allzu lange Geschichte darüber erzählen würde, wie er nach Kanto und sogar auf den Silberberg gekommen war. Doch ein wenig interessiert daran, warum ein Mann aus der Nähe von Einall bis nach Kanto gereist war, war er eigentlich schon. Vielleicht, weil er so lange niemandem zum Reden gehabt hatte.
 

N reagierte überrascht auf Reds Frage. All die Erinnerungen, warum er bis nach Kanto gereist war und selbst in an einem so gefährlichen Ort sein Leben aufs Spiel setzte, nur um seine Suche endlich ein Ende zu bereiten, kehrten plötzlich zurück. Er hatte seit dem Zeitpunkt, an dem er sein Bewusstsein wiedererlangt hatte, schon nicht mehr daran gedacht, dass er eigentlich nur an diesen Ort gekommen war, weil er eine für ihn ganz besondere Person suchte. N war auf der Suche nach einem bestimmten Trainer bis nach Kanto gereist, um ihn endlich wiederzufinden.
 

Er hatte nie zu den Menschen gehört, die ihr Schicksal nur dem Zufall überließen. Egal, was auf ihn zugekommen war, er hatte immer alle möglichen Ausgänge einer Situation genauestens analysiert und seine nächsten Schritte bereits geplant. Ein Großteil seines Lebens war genau so verlaufen, wie er es sich vorgestellt hatte, und unangenehme Überraschungen waren etwas, womit N niemals wirklich in seinem Leben konfrontiert worden war.
 

Doch auch seine hervorragende Fähigkeit, sein Leben mithilfe von berechneten Formeln zu meistern, war schon bald an seine Grenzen gestoßen, als N mit seinem neuen Leben außerhalb des Schlosses konfrontiert worden war und er bemerkt hatte, dass sich die Welt außerhalb des kleinen Radius, der ihm bis dahin bekannt gewesen war, sich seinem Verstand entzog. Die Welt um sein Schloss herum war anders, als er sie sich vorgestellt hatte, und komplexer als das, was er aus Büchern gelernt hatte. Er hatte sich fast hilflos gefühlt, als er das erste Mal außerhalb des Schlosses auf sich allein gestellt war und nicht gewusst hatte, was er nun zu tun gehabt hatte.
 

Bis zu dem Tag, an dem er seinen Titel als König gezwungenermaßen verloren hatte, war er immer selbstbewusst genug gewesen, um von sich selbst zu sagen, dass es keine Situation gab, mit der er nicht hätte umgehen können. Immerhin war bis dahin sein ganzes Leben nach seinem Plan gelaufen und er hatte eine ansehnliche Menge an Untergebenen besessen, die ihm immer alles recht gemacht und ihm als König noch mehr das Gefühl gegeben hatten, als gäbe es nichts in seinem Leben, das er nicht hätte meistern können. Selbst wenn es etwas gegeben hatte, das er nicht ausführen hatte können, waren es Untergebene gewesen, die es für ihn erledigt hatten. Sobald die Anforderungen schwieriger geworden waren, hatte es immer noch die sieben Weisen gegeben, die die Aufgaben im Namen Ns erfüllt hatten, und so war er nie selbst in eine Situation gekommen, mit der er nicht hatte umgehen können.
 

Erst, als er auf sich allein gestellt gewesen war und herausgefunden hatte, dass sein Leben bis zu diesem Tag eine einzige Lüge dargestellt hatte, war N bewusst geworden, dass es viele Dinge auf der Welt gab, die er nicht begreifen konnte, und dass es ihm unmöglich war, sein Leben weiterhin so perfekt zu planen, wie er es sich gewünscht hätte. Solange er alleine war, war alles in Ordnung, und selbst mit seinen Pokémon hatte N nie Verständnisprobleme. Pokémon waren so anders als Menschen und auch ein wenig anders als er. Aber solange er mit ihnen zusammen war, fühlte er sich sicher. Es gab viele Pokémon, die er um sich herum hatte, die er noch aus seiner Kindheit kannte, auch wenn er sich kaum noch an die Zeit vor seinem Leben als König erinnern konnte.
 

Doch als er damit begonnen hatte, sich außer nur für Pokémon auch für andere Menschen neben sich selbst zu interessieren und seine bisherige Verachtung ihnen gegenüber vergessen hatte, war Ns Leben kompliziert geworden und egal, wie sehr er versuchte, all seine Probleme mithilfe von Formeln zu lösen, die ihm doch bis jetzt immer alles verraten hatten, stieß er doch schon bald an seine Grenzen. Er hatte gedacht, andere Menschen zu verstehen, würde genau so leicht werden, wie Pokémon zu verstehen. Aber Menschen waren anders als Pokémon und es gab so viel, was er nicht über sie wusste und was er auch nicht in Büchern nachlesen konnte. Es gab viel Selbstverständliches, das er einfach nie hatte lernen können, und nun war es zu spät, all diese versäumten Erfahrungen mit einem Schlag nachzuholen.
 

N musste sich eingestehen, dass von jetzt an eine unerwartete, unkontrollierbare Zeit auf ihn zukommen würde und sich in seinem Leben einiges ändern würde. Auch wenn er sich manchmal gewünscht hätte, wieder der König zu sein, der sein Leben ohne Probleme meisterte, so war ihm die Erkenntnis über die Wahrheit doch wichtiger und so nahm er gerne in Kauf, auf eigenen Beinen stehen zu müssen und Team Plasma den Rücken zu kehren, anstatt sich weiterhin ausnutzen zu lassen. Er hätte zwar auch weiter für G-Cis arbeiten können, doch er hatte sich dafür entschieden, seinen eigenen Weg zu gehen und auch, wenn das Leben als normaler Mensch schwieriger war als das eines Königs, so zog er es doch vor, sein Leben nach seinem eigenen Willen zu gestalten und nicht nach dem seines sogenannten Vaters.
 

In der Zeit, in der N ziellos umhergestreift und Lebenserfahrung gesammelt hatte, indem er endlich versucht hatte, sich den Menschen gegenüber zu öffnen, hatte er eine Menge über sie und auch über sich selbst dazugelernt. Die Erkenntnis, dass er sein ganzes Leben lang manipuliert worden war und den Pokémon-Trainern in vielerlei Hinsicht Unrecht getan hatte, war zwar schmerzhaft gewesen, doch N hatte sich vorgenommen, die Schuld, die er als König von Team Plasma auf sich geladen hatte, wieder gutzumachen, indem er von diesem Tag an seine Denkweise geändert und versucht hatte, von jetzt an den richtigen Weg zu gehen.
 

Doch seinen eigenen Weg zu finden, war gar nicht so leicht, wie er es sich zu Beginn vorgestellt hatte. Er war bisher immer regelrecht von seinem Vater gelenkt worden, und eigene Entscheidungen völlig unabhängig von dem, was Team Plasma ihm vorgesagt hatte, zu treffen, fiel ihm unglaublich schwer. Fast zwei Jahre hatte er sich durch ganz Einall gequält, bereute am Ende seiner Reise jedoch nichts und hatte nun endlich die Einsicht, dass er anderen Menschen vielleicht doch mehr Vertrauen schenken konnte, als er zunächst angenommen hatte. Mit der Zeit hatte N dazugelernt und Erfahrung gesammelt, die ihm dabei half, ein normaleres Leben zu führen, als er es bis jetzt getan hatte.
 

N war schon bald wieder selbstbewusst genug, um die Erinnerungen an die Zeit, in der die anderen Menschen ihn als merkwürdig und gruselig bezeichnet hatten, zu vergessen und ein völlig neuer Mensch zu werden, der auf Menschen zugehen konnte, ohne Vorurteile ihnen gegenüber zu haben und ihre Meinungen zu akzeptieren. Als er endlich gelernt hatte, toleranter gegenüber all den Trainern zu sein, die er immer so gehasst hatte, war er fast ein wenig stolz auf sich selbst gewesen. Er wusste sofort, welcher Person er zeigen wollte, dass er endlich gelernt hatte, einem Menschen Vertrauen entgegenzubringen. Wenn sein Leben doch nur weiterhin nach Plan verlaufen wäre, hätte er es vielleicht sogar in die Tat umsetzen können.
 

Damals, als Ns Weltbild zum ersten Mal zu bröckeln begonnen und er endlich bemerkt hatte, dass sein bisheriges Leben nur eine Art Theaterspiel gewesen war, das ihn dazu bringen sollte, für Team Plasma den Drachen wieder zum Leben zu erwecken und die Rolle des Königs zu übernehmen, hatte ein besonderer Trainer dafür gesorgt, ihn zur Vernunft zu bringen und ihm klar zu machen, dass er sein ganzes Leben lang nur ausgenutzt worden war. Dieser Trainer hatte damals dafür gesorgt, dass N endlich verstehen hatte können, dass G-Cis es nicht so gut mit ihm meinte, wie er vorgegeben hatte, und hatte N dazu gebracht, sich endlich dazu zu überwinden, seine eigene Meinung zu sagen.
 

Der Trainer hatte ihn außerdem wirklich verstanden, obwohl sie sich einige Zeit lang bekämpft hatten und N ihn sogar zu einer Art Gegenspieler ernannt hatte, und er hatte dafür gesorgt, dass Ns Leben sich zum Besseren gewendet hatte. Wenn es auf der ganzen Welt eine Person geben würde, der N am liebsten beweisen würde, dass er sich endlich geändert hatte und die Menschen nicht mehr als abgrundtief böse ansah, dann war es dieser Trainer, und N tat alles dafür, ihn wiederzufinden, auch wenn er dafür durch ganz Einall reisen hatte müssen. N hatte genau gewusst, wenn er nur alle Ecken in Einall abklappern würde und mit der Hilfe seiner Pokémon die komplette Region durchsuchen würde, dann würde er ihn endlich wiedertreffen. Dann würde er sich endlich bei ihm bedanken können, dass aus ihm ein besserer Mensch geworden war.
 

Doch es war nie dazu gekommen. Egal, wie sehr N es sich gewünscht hatte, die Person, die er hatte wiedertreffen wollen, blieb unauffindbar. N war schon bald nichts anderes übriggeblieben, als seine Suche auch auf die anderen Regionen auszuweiten und dort nach dem Trainer, der ihm so wichtig war wie sonst nichts auf der ganzen Welt, zu suchen. N hatte bereits bemerkt, dass ihm nichts anderes übrig blieb. Egal, wie weit er reisen musste, er nahm es in Kauf, denn es gab nichts, was er nach dem Ende von Team Plasma noch besaß. Er hatte nur noch die Hoffnung, diesen Trainer wiederzufinden und sonst nichts mehr.
 

Das Schloss, in dem er sein fast ganzes Leben gelebt hatte, war bereits zu einer Ruine zerfallen und all die Pokémon, die er über die Jahre gerettet hatte, waren nun in der Wildnis und lebten dort in Frieden. Einige hatten vielleicht bereits neue Trainer gefunden, die gut zu ihnen waren. Selbst seinen Drachen hatte N bereits aufgegeben und somit auch seine Rolle als Held an einen neuen Trainer namens Rosy weitergereicht. Somit hatte er sogar, was seine Rolle als Held von Einall anging, einen Schlussstrich gezogen und war frei von jeglicher Verantwortung, auch wenn es ihm schwer gefallen war, seinen Drachen ziehen zu lassen, der nach all den Vorfällen sein einziger verbliebener Freund gewesen war.
 

Es gab, außer diesen Trainer von damals wiederzufinden, keine Aufgabe mehr in Ns Leben und keine Pokémon und Menschen mehr, die auf ihn hätten warten können. Aus diesem Grund hatte er schon bald, nachdem er sich sicher wahr, dass er Einall bereits komplett durchsucht hatte, seine Heimatregion verlassen und war in die benachbarten Regionen gereist, in denen ebenfalls Pokémon-Kämpfe hoch angesehen waren und von denen er vermutete, den Trainer dort wiederfinden zu können. Er war sich sicher, er würde ihn bald wiederfinden.
 

N sah bedrückt zu Boden, als die Erinnerungen an den Grund, weshalb er nach Kanto gekommen war, zurückgekehrt waren. »Ich habe keine Ahnung«, antwortete er auf Reds Frage. Warum sollte er auch einem wildfremden Mann verraten, dass seine Reise ihn nach Kanto geführt hatte, weil er dort die Person vermutete, die er schon so lange Zeit verzweifelt suchte? »Ich habe mich wohl einfach verlaufen«, war die einzige Antwort, die N auf die Schnelle einfiel, und er machte sich nicht weiter Gedanken über die Glaubwürdigkeit dieser Aussage.
 

»Verlaufen, hm?« Red wusste genau, dass der grünhaarige Mann ihm eine Lüge auftischte. N war eindeutig den weiten Weg aus Einall bis nach Kanto gereist und war sicherlich nicht ohne Grund auf so eine lange, gefährliche Reise aufgebrochen. Red war nicht so naiv, dass er eine solch undurchdachte Ausrede einfach so hinnehmen würde. Doch da er den Mann nicht kannte und auch nicht besonders Interesse daran hatte, weshalb er wirklich hier war, wobei dieser es anscheinend sowieso nicht verraten wollte, nahm Red es einfach so hin und stellte keine weiteren Fragen.
 

»Dann werde ich mal dafür sorgen, dass du ohne weitere Verletzungen wieder zurück zur Route 28 kommst«, schlug Red vor. »Dies hier ist definitiv kein Ort, an dem du lange bleiben solltest.« Als N realisierte, dass er noch nicht mal die Hälfte des Berges erkundigt hatte, sprang er auf. »Aber ich bin hier noch nicht fertig!«, protestierte N und Red erschrak fast, da die Stimme des Mannes auf einmal viel lauter und aggressiver war als zuvor. Als N realisierte, dass er sich unangemessen verhielt, schüttelte er den Kopf. »So meinte ich das nicht. Ich wollte sagen, ich habe noch eine Frage«, versuchte er sich herauszureden.
 

»Dann mal raus damit. Eine Frage darfst du mir stellen, danach bringe ich dich zurück zum Eingang des Berges.« Als Red den Kopf hob und N ansah, bemerkte er, dass dieser ihn verzweifelt anstarrte. Dies war der Augenblick, der N die Gewissheit bringen sollte, ob seine Reise endlich zu Ende war oder ob er noch weiter nach dem Trainer, den er so vermisste, suchen musste. »Red... Sind Sie die einzige Person, die hier auf diesem Berg lebt?«, fragte N und Red fühlte sich fast unwohl, als Ns stechender Blick auf ihn fiel und ihn drängte, ihm auf der Stelle zu antworten.
 

Red konnte nicht verstehen, warum, obwohl in Einall so viele Menschen lebten, ausgerechnet dieser Mann zu ihm gekommen war. Und dann auch noch ohne die Absicht, überhaupt gegen ihn zu kämpfen oder wenigstens zu wissen, dass Red der Champion der Kanto-Region war. Es war fast zu kurios, um wahr zu sein, dass so ein unwissender Mann, der anscheinend nicht einmal die Pokémon-Liga absolvieren wollte, eine solche Willenskraft besaß, den Berg zu erklimmen und vor Red zu stehen. Aber Red hatte sich bereits dazu entschlossen, sich nicht weiter zu fragen, weshalb N wirklich so weit gegangen war. Er wollte sich nicht eingestehen, dass er ein wenig Lust verspürte, sich weiter mit ihm zu unterhalten. Er war inzwischen zu stolz. »Ich bin der Einzige«, antwortete Red. »Gehen wir jetzt.«
 

»Hier also auch nicht«, murmelte N leise und stand auf. Er konnte es kaum fassen, dass seine Reise noch immer zu keinem Ende gekommen war. Warum konnte er diesen Trainer, den er sich so sehr bei sich wünschte, nicht endlich finden? Wieso musste diese eine Person, die ausgerechnet ihm so wichtig war, spurlos verschwinden und tauchte einfach nicht mehr auf, auch wenn er bereits zahlreiche Regionen durchsucht hatte? Es war N ein Rätsel, dass jemand, der zuvor so sehr wie niemand sonst auf dieser Welt für ihn da gewesen war und ihn noch vor wenigen Jahren unterstützt hatte, sein komplettes Leben zu ändern, einfach so verschwunden war und niemand wusste, wohin und wieso. Schweigend folgte N dem Schwarzhaarigen, der ebenfalls ausgestanden war und N mit einem kurzen Winken signalisierte, dass er ihm folgen sollte.
 

Red kannte die Höhlensysteme des Silberbergs wie kein anderer. Immerhin hatte er ja auch viele Jahre Zeit gehabt, sie genauestens zu erkunden und auswendig zu lernen. Es gab viele geheime Tunnel, teilweise sogar einige, die nicht einmal von Pokémon bewohnt waren, weshalb Red vermutete, dass er wahrscheinlich der einzige Mensch war, der überhaupt von ihnen wusste. Das Gestein des Berges schützte ein wenig vor den Schneemassen auf der Spitze und Red empfand es als sicherer, N durch die Höhlen zurück zum Eingang zu bringen. Er empfand den Schnee zwar als angenehm und war inzwischen so abgehärtet, dass er fast nicht einmal mehr frieren konnte, wenn der frische Schnee seine Haut berührte, doch N schien etwas empfindlicher zu sein und Red wollte nicht riskieren, dass er noch einmal umkippte.
 

N konnte noch immer nicht nachvollziehen, dass ein Mann wie Red anscheinend wirklich auf diesem Berg lebte. N hatte mehr als ein Drittel seines Lebens im Schloss verbracht und es dort immer schön warm und angenehm gehabt. Auch die Dekorationen des Schlosses waren das genaue Gegenteil des kargen Berges gewesen und N wusste genau, dass er es an einem so tristen, unglaublich kalten Ort niemals hätte aushalten können. Als Red sich umdrehte, um zu kontrollieren, ob der Mann ihm immer noch problemlos folgen konnte oder ob Red ihm vielleicht zu schnell ging, merkte er, dass N sich anscheinend unwohl fühlte. Anscheinend war N auch innerhalb des Berges zu kalt und er folgte Red mit verschränkten Armen, um sich ein wenig vor der Kälte zu schützen, auch wenn es nicht viel brachte. »Wenn wenigstens Pokémon hier leben würden«, murmelte N.
 

Red war überrascht, als er N hinter sich murmeln hörte. »Du irrst dich«, antwortete er. »Der Silberberg ist bekannt für die unglaublich starken Pokémon, die hier leben. Bist du etwa hierhergekommen, ohne das zu wissen? Hast du keine Pokémon bei dir?« N nickte. »Ich habe keine Pokémon mehr«, antwortete er und Red blieb erschrocken stehen. Normalerweise war noch niemand ohne ein Pokémon-Team bis hierher gekommen und Red konnte es kaum fassen, dass N es überhaupt ohne Pokémon bis auf die Spitze des Berges geschafft hatte. Im Inneren des Berges lebten viele gefährliche Pokémon, die schon allein Grund genug waren, warum nicht viele sich auf den Berg trauten oder Red niemals erreichten, auch wenn sie einigermaßen stark waren. Dass N ohne ein einziges Pokémon hierhergekommen war, war einfach unglaublich.
 

»Was ist los? Ist es so ungewöhnlich, jemanden zu treffen, der keine Pokémon einsperrt?«, fragte N und bereute es fast, dass seine Frage so provokativ klang. Er wollte die Trainer nicht dafür kritisieren, dass sie Pokébälle nutzten und hatte inzwischen auch nichts mehr gegen Pokémon-Kämpfe, solange die Pokémon ebenfalls damit einverstanden waren. Manchmal war es einfach schwierig für ihn, sich einzugestehen, dass all seine alten Wertvorstellungen völlig übertrieben und teilweise falsch waren. Als Red ihn fassungslos ansah, hielt sich N schnell seine Hände vor sein Gesicht. »Tut mir leid, das war nicht so gemeint«, entschuldigte er sich. »Ich halte nur nicht so viel von Pokébällen.«
 

»Ist schon in Ordnung«, antwortete Red. »Ich nämlich auch nicht.« N war bereits zuvor aufgefallen, dass Red unter der Rückseite seiner Weste eine Art Buckel verborgen hatte. Als Red dann mit seiner Hand über seinen Rücken streichelte, begann sich die Auswölbung zu bewegen. »Pi...! « Ein kleines Pikachu streckte seinen Kopf aus Reds Weste und N sah das kleine Mauspokémon erstaunt an. »Ein Pikachu?«, fragte N überrascht, und als das Pokémon den Mann sah, quetschte es sich komplett durch das kleine Loch an Reds Hals und kam aus der Weste gesprungen. »Pika!«, quietschte es freudig und sprang N in den Arm, der es überrascht auffing und liebevoll an sich drückte und lachte. »Wie niedlich!«, freute sich N und Red beobachtete, wie N das Pokémon begeistert ansah und anscheinend völlig beindruckt davon war, dass Red ein solches Pokémon bei sich getragen hatte, ohne dass er es bis jetzt gemerkt hatte.
 

»Du bist also kein Pokémon-Trainer«, stellte Red fest und N schüttelte den Kopf. »Nein, nicht mehr. Aber ich liebe Pokémon!«, erklärte er und ließ das Pikachu auf seiner Schulter Platz nehmen. Red war überrascht, dass Pikachu dem Mann sofort so viel Vertrauen entgegenbrachte. Es war ungewöhnlich, dass ein Mensch hierher kam, und sonst waren es immer Herausforderer gewesen, gegen die Pikachu hatte kämpfen müssen. Anscheinend spürte es sofort, dass N kein Feind war, und als Red sah, dass sich sein Lieblingspokémon so gut mit dem Mann verstand und wie vorsichtig er es berührte und streichelte, hatte er das Gefühl, als könne er N vielleicht vertrauen. Nichtsdestotrotz wollte er ihn zurück zum Eingang des Berges bringen. Red verstand nicht, warum ein fremder Mann auf einmal so sympathisch auf ihn wirkte. Er musste schnell verschwinden.
 

»Komm jetzt. Du kannst Pikachu auf deiner Schulter behalten. Vielleicht kommen wir ohne Zwischenfälle bis zum Eingang. Ich habe keine Lust, auf wilde Pokémon zu treffen, während du bei mir bist«, meinte Red und drehte sich sofort um, um weiterzugehen. N verstand nicht genau, was Red damit sagen wollte, doch er freute sich noch immer über das Pikachu. Diese Rasse existierte in Einall nicht und es machte ihn glücklich, dass das Pokémon einfach auf seiner Schulter Platz genommen hatte und ihn anscheinend zu mögen schien.
 

Red wollte nicht riskieren, dass N, obwohl er ihn nicht kannte und er ihm eigentlich egal sein sollte, noch weiter in Schwierigkeiten geraten würde. Red hatte nur Pikachu bei sich und die anderen Pokémon in seinem Nachtlager gelassen, weil er wusste, dass Pikachus Stärke ausreichte, um ihn zu beschützen. Doch nun, da sie zu zweit waren, wusste Red nicht genau, ob N nicht verletzt werden würde, wenn sie auf ein Rudel wilder Pokémon stoßen würden. Aus diesem Grund verschnellerte er sein Tempo und hoffte, dass sie keinen Pokémon begegnen würden. Da er sich allerdings sicher war, dass am Eingang der Höhle viele Pokémon lauerten, die zwar kleiner, aber doch sehr zahlreich waren, beschloss er, einen Umweg zu seinem Lager zu gehen und ein paar weitere Pokémon zu holen.
 

»Du wirst noch etwas hierbleiben müssen«, erklärte Red, ohne sich umzudrehen. »Ich muss ein wenig Verstärkung holen, da du keine Pokémon bei dir hast.« »Das ist nicht nötig, ich kann auch ein wenig Verstärkung holen«, meinte N und Red ignorierte, was der Mann gesagt hatte. N schien gar nicht zu verstehen, wie gefährlich dieser Berg in Wirklichkeit war. »Das ist gar kein Problem. Wenn du willst, dann hole ich ein paar Pokémon«, schlug N noch einmal vor, doch Red ignorierte ihn weiterhin, da er nicht verstand, wieso N die Wanderung durch den Berg so auf die leichte Schulter nahm. Immerhin wurde ihm schon in seinem Heimatdorf Alabastia früh beigebracht, dass es sogar gefährlich war, dort ohne Pokémon das Dorf zu verlassen. »Wir sind gleich bei meinem Lager. Dort warten meine anderen Pokémon«, erklärte Red und verschnellerte sein Tempo noch ein wenig, da das Lager nur noch um einer Ecke lag.
 

N konnte seinen Augen nicht trauen, als die beiden Männer plötzlich in einem Bereich ankamen, der durch ein paar Ritzen in den Felswänden mit Sonnenlicht beleuchtet wurde. An den Wänden lief viel Wasser aus einigen Spalten und somit war der Boden teilweise mit Pfützen bedeckt. Doch in der Mitte des fast viereckigen Höhlenbereichs war der Boden so erhöht, dass er trocken geblieben und in der Mitte ein Zelt aufgestellt worden war. Um das Zelt herum schien eine Feuerstelle zu sein und ein paar Pokémon spielten im Wasser um das Lager herum. N war überrascht, wie sehr sich dieser Ort von der Spitze des Berges unterschied.
 

»Ich habe diesen Bereich nur durch Zufall gefunden. Hier leben anscheinend nicht einmal Pokémon, deswegen habe ich hier mein Nachtlager aufgeschlagen«, erklärte Red und begab sich in die Mitte zu seinen Pokémon. »Hier lasse ich meine Pokémon zurück, wenn sie nicht mit zum Training kommen.« »Dieser Ort ist ziemlich beeindruckend«, stellte N fest und sein Blick wanderte über ein Pokémon nach dem anderen. Es waren fast ausschließlich Rassen, die er noch nie zuvor gesehen hatte und die die in Einall nicht existierten. »Und du lebst hier also ganz alleine mit deinen Pokémon...«
 

Red bemerkte, dass N sehr nachdenklich wurde und beschloss deshalb, ihn nicht länger hierzubehalten. Er gab seinem Turtok ein Signal. Das Pokémon nickte ihm zu und stapfte von der Erhöhung in der Mitte auf die beiden Männer zu. »Turtok, du wirst uns zum Eingang des Silberbergs begleiten«, erklärte Red und das Pokémon nickte erneut, dann gab es ein Brummen von sich. »Ich weiß, der Weg ist sehr schwer, aber wir müssen ihn nach draußen bringen.« Red zeigte auf N, der daraufhin rot wurde. Er wollte dem Turtok wirklich keine Umstände bereiten. Doch als das Pokémon bemerkte, dass es sozusagen Bodyguard für N spielen sollte, verstand es, stapfte an den beiden Männern vorbei und die beiden folgten ihm. Pikachu nahm währenddessen Platz auf der Schulter von Red.
 

Als diesem auffiel, dass N auf den Rest des Weges sehr bedrückt wirkte, entschloss er sich, ein wenig Interesse zu zeigen, und auch wenn er es sich noch immer nicht wirklich eingestehen wollte, dass er wirklich gerne mehr mit N gesprochen hätte und sich wirklich wohl in der Nähe eines anderen Menschen fühlte, wollte er doch nun ein kleines Gespräch mit N anfangen. Unruhig zupfte Red, während sie Richtung Ausgang gingen, an seiner Mütze und wusste nicht so recht, wie er ein Gespräch beginnen sollte. Er war schon so lange in dieser Einsamkeit gewesen und hatte sich nicht mehr mit anderen Menschen unterhalten. Wie sollte er nur die richtigen Worte finden? Er musste sich eingestehen, dass auch, wenn er vielleicht cool wirkte, er innerlich völlig aufgewühlt war. Und dabei war dieser Mann sogar nur irgendein wildfremder Typ.
 

Natürlich war Red nicht verpflichtet, ein Gespräch mit N zu führen, doch dies war vielleicht eine einmalige Gelegenheit und er empfand langsam wirklich Sympathie für den grünhaarigen Mann, so wollte er gerne ein wenig über ihn wissen, bevor er wieder gehen würde. Vielleicht war es Verzweiflung, weil er schon so lange allein gewesen war, denn N war eben doch nur ein Fremder und Red verstand selbst nicht, warum es ihm plötzlich so wichtig war, wenigstens ein kurzes Gespräch mit ihm zu führen, bevor er wieder verschwunden war. Irgendetwas schien N auf dem Herzen zu liegen und Red konnte ihn hinter sich ab und zu seufzen hören, weshalb ihm klar wurde, dass dies die perfekte Gelegenheit wäre, ein Gespräch zu beginnen. Er müsste den Mann nur fragen, was mit ihm nicht stimmte und N würde von alleine anfangen zu reden. Red sehnte sich fast danach, mal wieder einfach einem anderen Menschen zuhören zu können. Warum konnte N nicht von sich aus ein wenig reden, während sie auf dem Weg zum Ausgang waren?
 

»Also... Was bedrückt dich?«, fragte Red. »Was liegt dir auf dem Herzen, seit wir eben bei meinen Pokémon waren?« Es ärgerte ihn ein wenig, dass er vor N ging und seine Reaktion auf die Frage nicht sehen konnte, denn N antwortete zunächst nichts. Erst als Red sich umdrehte, weil er sichergehen wollte, dass N ihn überhaupt gehört hatte, sah er, wie N seinem Blick auswich und den Kopf schüttelte. »Es ist nur so ironisch. Ich weiß nicht, wieso, aber ich habe das Gefühl, genau das hier hätte auch meine Zukunft sein können«, seufzte er und schien sich unwohl zu fühlen. »Noch vor ein paar Jahren, als ich ein König war, war so ein Leben getrennt von der Zivilisation und nur mit den Pokémon mein größter Traum. Doch dann habe ich bemerkt, dass man Pokémon und Menschen nicht trennen sollte und dass auch ich gerne bei den Menschen lebe.« Als N die Worte ausgesprochen hatte, merkte Red, wie ihm komisch wurde. Er hatte zwar die Hälfte von dem, was er gesagt hatte, nicht verstanden und wusste auch nicht genau, was N damit gemeint hatte, dass er Menschen und Pokémon trennen wollte, aber ihm war sofort bewusst, dass er N sofort stoppen musste, weiterzureden. Er war gerade dabei ein für Red sensibles Thema anzusprechen, über das er lieber nichts weiter hören wollte.
 

»Ich bringe dich jetzt raus und dann kannst du dein gewohntes Leben weiterleben«, lenkte Red hektisch ab und N bemerkte, dass er etwas gesagt hatte, was Red anscheinend berührt hatte. »Red...« , murmelte N und er hatte ein schlechtes Gewissen, da er anscheinend etwas Falsches gesagt hatte. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?« Red nickte schnell, denn er wollte nichts weiter dazu sagen. Er hatte nur gewollt, dass N ihm irgendetwas erzählte. Am liebsten wäre ihm etwas aus seinem Leben oder seiner Vergangenheit gewesen, womit Red sich nicht hätte identifizieren können. Aber wieso musste N ausgerechnet so etwas sagen? Warum musste von den vielen Menschen auf dieser Welt ausgerechnet ein Mann aus Einall zu ihm kommen, wieso musste es ausgerechnet N sein und wieso musste N ausgerechnet dieses Thema ansprechen? Wer zum Teufel war dieser Mann, dass er Red dazu brachte, all die Zweifel, die er so mühevoll verdrängte, wieder in ihm hochkommen zu lassen? Besorgt sah N ihn an, denn er merkte, dass etwas ganz und gar nicht mit ihm stimmte. Dann fragte er: »Mal im Ernst... Sind Sie wirklich zufrieden mit einem Leben hier ganz alleine auf diesem Berg?«
 

Das war genug für Red. N hatte eindeutig eine Grenze überschritten und war zu weit gegangen. »Du denkst also, ich bin nicht zufrieden mit meinem Leben, wie es jetzt ist?« Red begann zu lachen. Es war ein Lachen, das die Unsicherheit, die mit einem Mal in ihm aufkam, überspielen sollte. Er konnte es nicht glauben, was dieser Mann ihn gerade gefragt hatte. Was bildete sich dieser N nur ein? Nicht nur, dass er nicht einmal wusste, dass er den Champion von Kanto vor sich hatte. Nun wurde er sogar so dreist und versuchte auch noch, sich in Reds Leben einzumischen, obwohl dieser eigentlich gar nichts mit ihm hatte zu tun haben wollen. Red hatte N nur gerettet, weil er sonst gestorben wäre, doch er hatte niemals darum gebeten, dass jemals ein Mensch wie N zu ihm kommen würde, und er hatte es außerdem nicht nötig, dass ein solcher Mensch seine Überzeugungen wieder aufs Neue erschütterte. Er konnte nicht fassen, dass die alten Zweifel an seinen Entscheidungen wegen einem Fremden wie N wieder zurückkehrten.
 

Das, was nun in Red aufkam, war Wut. Wut über sein eigenes Versagen, über seine eigenen Entscheidungen und über die Tatsache, dass er sich nur vormachte, dass diese Einsamkeit ihn glücklich und stärker machte. Natürlich waren seine Pokémon durch das harte Training viel besser geworden und sicherlich konnte niemand in Kanto es mehr mit ihm aufnehmen. Doch was brachte es ihm, wenn er ganz alleine lebte und sowieso so gut wie niemand auf diesen Berg kam? Und nun kam ausgerechnet ein Mensch zu ihm und genau dieser Mensch musste mit einer naiven Frage all diese Zweifel wieder zurückholen. »Als du noch ein König warst, wolltest du also genau so ein Leben, wie ich es nun führe«, sagte Red und drehte sich zu N um. Red wusste, dass er nun seinen ganzen Frust und seine Selbstzweifel an N auslassen würde. Er würde N zerstören, dafür, dass er Red zum Zweifeln gebracht hatte. Red war der Champion und niemand hatte das Recht, ihn zum Zweifeln zu bringen. Sich daran festzuhalten, dass der Champion unbesiegbar sein musste und sich von niemandem etwas gefallen lassen sollte, war das Einzige, das ihm überhaupt dabei half, sein Selbstbewusstsein nicht im Laufe der Zeit verloren zu haben. Das war das Einzige, das ihm die Illusion gab, dass alles in Ordnung wäre. Alles, was ihm diese Illusion nehmen würde, musste er sofort vernichten. Sonst würde er derjenige sein, der vernichtet werden würde.
 

Auf einmal war all die Angst vor einem Gespräch mit N verflogen und Red starrte N fordernd an, wartete auf eine Antwort. Doch als er merkte, dass N ihn einfach nur überrascht ansah, fuhr Red selbst fort. »So, du warst also mal ein König aus Einall, was? Deshalb bist du hier in Kanto und hast keine Ahnung vom Leben. Deshalb läufst du einfach hier herum und ich muss mich mit dir abgeben, obwohl du keine Ahnung davon hast, Opfer zu bringen und dich selbst aufzugeben!« Auch wenn Red bewusst war, dass gerade eine wildfremde Person vor ihm stand und er selbst nicht verstand, warum er N solche Vorwürfe machte, von denen er nicht einmal wusste, ob sie überhaupt stimmten, schrie er ihn regelrecht an. Doch er kannte den Mann doch gar nicht, weshalb schrie er ihn also so an? Red erkannte sich selbst fast nicht wieder, doch die Wut brachte ihn dazu. Er ignorierte sogar, dass das kleine Pikachu, das noch immer auf seiner Schulter saß, sich unsicher an ihm festkrallte. Er spürte, dass es Angst hatte. Warum machte N ihn nur plötzlich so wütend? Warum war er plötzlich so unheimlich wütend auf sich selbst?
 

»Ich weiß, was es heißt, Dinge zu opfern, die mir wichtig sind!«, antwortete N fassungslos. Er konnte es nicht fassen, dass dieser Mann vor ihm auf einmal so die Geduld verlor und ihn grundlos anschrie. Doch N wollte sich diese Vorwürfe nicht gefallen lassen. Er war König von Team Plasma gewesen, doch er hatte sich geändert und er war sicherlich nicht verwöhnt und bekam auch nicht immer alles, was er wollte. Sein Leben hatte sich schon längst verändert und Reds Vorwurf schmerzte, da es ihn daran erinnerte, wie er seinen Drachen zum Wohle der Einall-Region aufgegeben hatte und somit das größte Opfer erbracht hatte, das er sich hätte vorstellen können. Als er nur daran dachte, dass sein Drache, der letzte Freund, den er noch gehabt hatte, verschwunden war und er ihn niemals wiedersehen würde, biss er sich auf die Unterlippe.
 

»Ich wollte doch nichts Falsches sagen. Mir kam es nur vor, als wenn ein Leben völlig getrennt von den Menschen auch nicht die richtige Lösung wäre«, murmelte N. Er hatte schon längst eingesehen, dass Pokémon nur an der Seite von Menschen ihr volles Potenzial entfalten konnten und er war froh, dass er sich nicht doch dafür entschieden hatte, die Pokémon von ihnen zu trennen und eine neue Welt zu schaffen. Zum Glück war er davon abgehalten wurden, einen großen Fehler zu begehen, auch wenn er sich bis heute noch nicht dafür bedanken konnte.
 

»Du weißt nicht einmal, wer ich bin. Warum soll ich mir weiter anhören, was du zu sagen hast?« Red schüttelte den Kopf. »Ich kann dich nicht weiter begleiten. Du musst von jetzt an selbst bis nach Hause finden, denn ich ertrage deine Anwesenheit nicht mehr. Das ist nicht gut für mich.« N sah ihn geschockt an, als Red seinen Pokéball hervorholte und sein Turtok zurückrief. Das Pokémon verschwand in dem kleinen Ball. Dann drehte Red sich auf der Stelle um und ging mit schnellen Schritten davon. Ns bloße Anwesenheit brachte ihn dazu, an seinen eigenen Entscheidungen zu zweifeln. Vielleicht war es nicht Ns Schuld und vielleicht war es unfair, ihn allein zu lassen, doch Reds verbliebener Stolz brachte ihn einfach dazu, sich einzureden, dass dies die beste Lösung wäre. Er war immerhin der Champion. Der Champion musste stark und selbstbewusst sein, das war seine Pflicht. Auch wenn Red schon lange selbst nicht mehr stark war, so half ihm doch wenigstens die Rolle als Champion dabei, weiter vor seinen Fehlentscheidungen zu fliehen und sich einzureden, dass er alle Zeit der Welt hatte, bis er sich schließlich seinen Problemen stellen müsste. Er war mal wieder zu schwach und kam mit N nicht zurecht. Er kam nicht damit zurecht, dass N ihn mit seiner Vergangenheit konfrontierte, also musste er fliehen.
 

»Du lässt mich hier?«, fragte N schockiert an und Red ging einfach weiter, ohne auf Ns Worte zu reagieren. N konnte nicht verstehen, was plötzlich in den schwarzhaarigen Mann gefahren war. Er verstand nicht einmal, warum er plötzlich wütend auf ihn zu sein schien, denn es gab nichts, was er falsch gemacht hatte. Zumindest hatte er es nicht bemerkt. Ihm wurde bewusst, dass er sich schon wieder in einer hilflosen Situation befand, die er nicht verstand. Das kleine Pikachu auf Reds Schulter drehte sich noch einmal zu N um und gab von sich ein hilfloses »Pika... Pi...?«. Anscheinend verstand es selbst nicht, was in seinen sonst so ruhigen Trainer gefahren war. N sah Red dabei zu, wie dieser sich immer weiter von ihm entfernte, bis er nicht mehr zu sehen war, und konnte nicht verstehen, was er dieses Mal falsch gemacht hatte. Warum waren Menschen nur so kompliziert? Vermutlich war er derjenige, der mal wieder selbst zu kompliziert war, und nun war er wieder allein und noch keinen Schritt weiter als zuvor.
 

Das helle Licht des Elektropokémon, das die ganze Zeit über auf Reds Schulter gesessen hatte, war schon bald ganz verschwunden und als N plötzlich in völliger Dunkelheit stand, realisierte er, dass Red nicht zurückkehren würde. Panisch suchte er nach einer neuen Lichtquelle und tastete sich an den kalten, nassen Wänden entlang, da er in der völligen Dunkelheit nicht einmal mehr den Weg vor sich sehen konnte. Doch als er nach wenigen Minuten merkte, dass sie bereits tief im Inneren des Berges gewesen sein mussten, als Red fortgegangen war, und dass dieser ihn durch ein Höhlensystem geführt hatte, in dem nur Red sich auskannte, weil es vom eigentlichen Gebiet im Berg, der von Pokémon bewohnt wurde, abgeschnitten war, wurde N bewusst, dass er alleine keine Lichtquelle finden würde. Red hatte ihn in völliger Dunkelheit zurückgelassen.
 

Als Red bereits aus Ns Reichweite war, wurde ihm klar, dass er zu weit gegangen war. Die Wut über sich selbst hatte ihn dazu gebracht, jemandem, der nichts mit seinen Fehlentscheidungen zu tun hatte, die Schuld in die Schuhe zu schieben. Es war wirklich unfair von ihm gewesen, doch es war immer noch schwer für ihn, sich einzugestehen, dass vieles in seinem Leben schiefgelaufen war und auch, wenn er jetzt endlich seinen Traum als stärkster Trainer hatte erfüllen können, fühlte er noch immer diese Leere und er hatte die Erkenntnis, dass er sein eigentliches Ziel völlig aus den Augen verloren hatte. Sich hinter der Fassade des unbesiegbaren Champions zu verstecken, tat ihm gut. Er war im Laufe der Zeit schweigsam und abweisend geworden und hatte allen Herausfordern durch bloße Ablehnung suggeriert, dass er bereits wenn sie nur vor ihm standen schon sehen konnte, dass niemand von ihnen eine Chance gegen ihn hatte. Dass sein wahres Selbst immer weiter in den Hintergrund gerückt war, hatte er bereits gemerkt, doch es gestaltete sich schwieriger als gedacht, die Rolle des Champions aufzugeben und wieder er selbst zu werden. Er war so durcheinander, dass es kein Wunder war, dass er früher oder später einen Wutausbruch bekommen hatte. Doch er bereute es nun, dass jemand, der nichts mit seinen Problemen zu tun hatte, darunter leiden musste. Auch wenn N etwas Taktloses gesagt hatte, hatte Red doch eindeutig überreagiert, auch wenn er es nur getan hatte, um sich selbst zu schützen und nicht an seinen Gewissensbissen kaputtzugehen.
 

Red seufzte und beschloss, dass er N nicht alleine zurücklassen konnte. Zwar hatte der Mann es, wie auch immer er es zusammengebracht hatte, alleine auf den Berg geschafft, doch es war noch immer nicht gewiss, ob dies nicht nur Glück gewesen war. Red war inzwischen bewusst, dass er sich kindisch verhalten und völlig überreagiert hatte. Doch er wollte sich nicht mit noch mehr Schuldgefühlen belasten, indem er noch einen Menschen im Stich ließ. Das hatte er in der Vergangenheit schon oft genug getan, auch wenn er es inzwischen bereute. Inzwischen hatte er sich völlig verändert, auch wenn er es niemandem zeigen konnte. Nun war endlich eine Person zu ihm gekommen, der er beweisen konnte, dass er doch nicht so emotionslos war, wie er sich zuvor gegeben hatte. Vielleicht war endlich die Zeit gekommen, einige Dinge aus der Vergangenheit gutzumachen oder sich endlich wieder zu ändern. So beschloss er, langsam umzudrehen und N wieder einzusammeln, um ihn zum Ausgang der Höhle zu bringen.
 

Als Red den Weg zurückging, sah er schon vom Weiten, dass N sich, wenige Meter von dem Punkt, an dem er ihn zuletzt gesehen hatte, zusammengekauert hatte und am Boden saß. Red hätte sich denken können, dass N nicht weiter vorrangekommen war, denn es gab in der Höhle kein Licht. Da er immer mit seinem Pokémon zusammen war, war ihm das nicht bewusst geworden, doch nun hatte er ein noch größeres schlechtes Gewissen. Wie hatte er den Mann nur in völliger Dunkelheit in diesem Höhlensystem zurücklassen können? Red blieb vor N stehen und wusste nicht genau, was er sagen sollte, denn N reagierte nicht auf ihn, zumindest senkte er seinen Kopf und versteckte sein Gesicht.
 

»Hey«, murmelte Red und beugte sich zu ihm hinunter. »Mach dir keine Sorgen. Ich werde dich zumindest noch bis zum Ausgang bringen, das hatte ich dir immerhin versprochen.« N saß mit angewinkelten Beinen auf dem Boden und drückte sein Gesicht so gegen diese, dass Red sein Gesicht nicht sehen konnte. Aber er konnte schon erahnen, dass es N nicht besonders gut ging und dass Reds Nachricht, ihn dort ganz alleine zurückzulassen, ihn vielleicht doch mehr erschreckt hatte, als sie es sollte. »Ich will nicht betteln müssen«, murmelte Red und wollte sich noch immer nicht eingestehen, dass eine Entschuldigung bei N mehr als angebracht war. Sein verdammter Stolz stand ihm immer noch im Weg und so verhielt er sich N gegenüber so distanziert wie nur möglich. Er wollte sich nicht anmerken lassen, dass er inzwischen zu einem unwürdigen Champion geworden war. Er wollte einfach nur N helfen und gleichzeitig ein Bild eines selbstsicheren, unabhängigen Champions aufrechterhalten. Doch als N noch immer nichts sagte, wurde ihm bewusst, dass er seine Fassade aufgeben musste, wenn er N jetzt noch dazu überreden wollte, ihm wieder Vertrauen zu schenken.
 

Nur langsam hob N seinen Kopf und Red erschrak, als er sah, dass N ein paar Tränen aus den Augen gelaufen waren. »Du kannst ruhig lachen«, meinte N und wischte sich die Tränen schnell weg. »Lach ruhig darüber, dass der ehemalige König die Kontrolle über sein verdammtes Leben verloren hat und nicht mal mit den kleinsten Herausforderungen fertig wird.« »Ich hatte ja keine Ahnung...«, murmelte Red und wusste nicht, was er machen sollte. Er hatte den Mann nicht zum Weinen bringen wollen und jetzt, wo er ihn so am Boden kauernd sah und N seinen Blick beschämt abwendete, weder traurig noch wütend, sondern einfach nur leer aussehend, bereute es Red, dass er N nur wegen seiner eigenen Feigheit so verletzt hatte. Vermutlich hatte N selbst genug Probleme und hatte einfach nur reden wollen. Vermutlich hatte N es selbst nicht so leicht und vielleicht konnte er Red sogar ein wenig verstehen. N schien, obwohl er mit Tränen in den Augen auf dem Boden vor ihm saß, viel stärker zu sein, als Red es war. Zumindest versteckte N seine Gefühle nicht auf eine so armselige Weise, wie er es tat.
 

N saß auf dem Boden, ohne sich große Gedanken zu machen. Er wollte nicht mehr an seine Vergangenheit denken und er wusste nicht, wie es in Zukunft weitergehen sollte. Er war ein König gewesen und jetzt war er nichts mehr, und egal, wie sehr er es sich wünschte, seine Situation ändern zu können. Er war immer noch allein. Es gab niemanden auf der Welt, der es lange mit ihm aushalten konnte. Alle Menschen begannen mit der Zeit, ihn zu hassen, ihn zu verraten oder vor ihm wegzulaufen. Zwar war es froh, dass es Menschen wie Red gab, die nett zu ihm waren, doch Reds Wutausbruch hatte ihm gezeigt, dass auch dieser es nicht lange mit ihm aushalten konnte. Was war es nur, das N immer wieder falsch machte? Er verstand nicht, warum es so schwer war, sich mit anderen Menschen zu verstehen. Die Person, die er eigentlich suchte, hatte er noch immer nicht gefunden und wahrscheinlich würde er sie niemals finden, wenn es so weitergehen würde. Er konnte nur hoffen, nicht ewig allein bleiben zu müssen. Dann würde er vermutlich wirklich unbemerkt und völlig allein in einem Berg wie diesem sterben und niemand würde sich darum kümmern. Er vergrub sein Gesicht wieder in seinen Händen, als er nur daran dachte. Er wollte nicht an so schreckliche Dinge denken, doch nachdem sein Vater ihn verraten hatte und er die Person, die er über alles liebte, nicht mehr wiederfinden konnte, musste er sich Gedanken darüber machen, dass es vielleicht darauf hinauslaufen könnte, dass er einfach nicht dafür geschaffen war, sich mit anderen Menschen zu verstehen.
 

»Schau mich an«, bat Red ihn, weil er nicht weiter mitansehen wollte, dass es N wegen ihm schlecht ging. Immer wenn Red vor seinen Problemen davon lief, musste jemand anderes darunter leiden. Auch, wenn Red nicht wusste, was gerade in Ns Kopf vor sich ging und er eigentlich nichts über ihn wusste, wollte er ihn zumindest wieder lächeln sehen. »Dass ich dir gedroht habe, dich hier zurückzulassen, war falsch. Ich war nur ein wenig aufgebracht, doch ich bin kein Mensch, der es mitansehen könnte, wenn jemand in Schwierigkeiten gerät. Deshalb helfe ich dir!«, erklärte Red und streckte seine Hand aus. »Du kannst mir ruhig vertrauen. Ich bin der stärkste Trainer von Kanto und ich werde dich hier nicht alleine lassen. Ich werde dich ganz sicher hier rausbringen.« N griff zögernd nach Reds Hand und war sich nicht sicher, ob er dem Mann jetzt noch vertrauen konnte, doch er wollte diesen Berg so schnell wie möglich verlassen. Dieser Tag war schon schlimm genug für ihn gewesen. »Ist schon gut«, antwortete N und wendete den Blick ein weiteres Mal ab.
 

Red merkte, dass es damit noch nicht getan war. Anscheinend war wirklich noch eine Entschuldigung bei N fällig. »Ich habe dich die ganze Zeit nur als einen Fremden gesehen. Es kommen nicht oft Menschen hierher, deshalb...«, Red zögerte. Sollte er diesem Mann wirklich mehr über sich verraten? Aber er war es ihm schuldig, denn er musste wiedergutmachen, dass er ihn wegen seiner Feigheit verletzt hatte. »Aus diesem Grund bin ich immer viel zu abweisend zu den Menschen, die überhaupt hierher kommen. Als hätte die eisige Kälte dieses Trainingsgebiet schon auf mich abgefärbt«, gab Red zu. »Es tut mir leid, dass ich dich so schlecht behandelt habe. Aber du hattest Recht.« N sah zu Red auf und wischte sich eine weitere Träne unauffällig zur Seite. »Aber warum sind Sie dann so ausgerastet, wenn ich doch Recht hatte? Warum verlassen Sie diesen Berg nicht, wenn er Ihnen so zu schaffen macht?«, fragte N verwirrt.
 

N war inzwischen klar geworden, dass Red doch kein so gewöhnlicher Einsiedler war, wie er zunächst angenommen hatte. Er hatte Red zuvor nur als einen merkwürdigen Mann gesehen, der auf einem eiskalten Berg lebte und sich dort mit seinen Pokémon anscheinend mehr oder weniger wohl fühlte. Doch ihm wurde nach und nach klar, dass anscheinend viel mehr hinter der mysteriösen Person Red steckte. Er war nicht nur irgendein Trainer, der zufällig hier lebte. Er bezeichnete sich selbst als stärkster Trainer von Kanto, also war er vielleicht sogar eine Berühmtheit? N wusste nichts über Kanto und war ohne Vorkenntnisse in die Region gereist, deshalb sagte er nichts weiter.
 

Red wusste nicht, was er auf Ns Frage, warum er überhaupt auf diesem Berg lebte, antworten sollte. Eigentlich hätte er, wie immer, wenn überhaupt jemand zu ihm kam, geantwortet, dass der Sinn dieses Lebens war, noch stärker zu werden. Doch er war sich inzwischen einfach nicht mehr sicher, ob er dieses Ziel überhaupt noch verfolgte. Er hatte inzwischen das Gefühl, als würde er nicht mehr stärker werden können. Selbst der Schnee konnte ihm nichts mehr anhaben und die Tage verstrichen inzwischen nur noch belanglos. Es gab eigentlich nichts mehr auf diesem Berg, was ihn noch antreiben konnte. Das Einzige, was das Leben auf dem Silberberg bewirkte, war, dass Red belanglos geworden war und dass er fremde Besucher wie N grundlos anschrie und die Schuld daran gab, dass anscheinend dieses lange Training auf dem Berg nicht mehr das war, was es zu Beginn gewesen war.
 

Als N Reds ratlosen Blick bemerkte, wurde ihm, obwohl Red nichts sagte, bewusst, dass es Red deutlich zu schaffen machte, über eine Antwort auf diese simple Frage nachzudenken. Ohne dass Red überhaupt etwas sagen musste, verstand N, dass das Leben, das Red hier führte, doch nicht so gut war, wie dieser es zunächst angenommen hatte. N hatte es bereits geahnt, dass das Leben nur unter Pokémon eine Art Traumvorstellung war. Er kannte dieses Leben selbst aus den Träumen und den schwindenden Erinnerungen an seine Vergangenheit. Als Kind hatte er selbst alleine unter Pokémon gelebt und er war glücklich gewesen. Doch damals war er selbst noch ein halbes Pokémon gewesen und hatte keine Menschen gekannt. Er war nun anders und ein Mensch wie er konnte nicht mehr zurück in ein Leben nur unter Pokémon. Er war nun ein Mensch, wie Red. Und auch Red konnte mit einem Leben in Einsamkeit nicht fertig werden.
 

»Wir sind auf dem Weg zum Ausgang des Berges...«, merkte N an. Auch wenn er Red nicht kannte, hatte er das Gefühl, als wäre es Schicksal gewesen, dass er ihn getroffen hatte und als müsste er ihm irgendwie helfen. Immerhin hatte auch Red ihm geholfen und vielleicht konnte N sich nun doch dankbar zeigen, indem er Red dabei unterstützte, ein Leben, das er anscheinend gar nicht führen wollte, ein wenig umzukrempeln. »Warum verlassen Sie diesen Ort nicht mit mir zusammen?«, schlug N vor und zwang sich zu lächeln, auch wenn es ihm schwer fiel, da er vor kurzem noch geweint hatte und sich ein wenig schwach fühlte durch die Strapazen auf diesem Berg. Er hielt es nicht einmal einen Tag an diesem Ort aus.
 

Red wusste, dass es leichter gesagt als getan war und dass N diesen Vorschlag nur äußerte, weil er Red nicht gut genug kannte, um zu verstehen, warum er diesen Berg nicht früher verlassen hatte, als er das erste Mal festgestellt hatte, dass er mit diesem Leben nicht mehr zufrieden war. »Ich kann nicht«, antwortete Red knapp. Es fiel ihm schwer, nur daran zu denken, deshalb sagte er nichts weiter. Stattdessen sah er N an und lächelte ebenfalls. Es war merkwürdig, denn es gab viele Menschen, die Reds Leben weitaus mehr beeinflusst hatten und die ihm auf seiner Reise als Pokémontrainer immer begleitet hatten. Dennoch hatte er fast das Gefühl, als würde er N auch schon so lange kennen und als wenn es eine Verbindung zwischen ihnen gäbe. Red hatte das Gefühl, als würde er N gern haben, obwohl er keine Ahnung über ihn und sein Leben hatte und er nichts über ihn wusste. Dennoch hatte er ihn gern und es ergab keinen Sinn. Er verstand nicht, warum er das Gefühl nicht loswurde, als würde er N bereits kennen.
 

»Warum habe ich nur das Gefühl, als wenn ich dir vertrauen könnte?«, fragte Red und N zuckte mit den Schultern. »Vielleicht, weil ich ohne schlechte Absichten hier bin«, meinte N, weil er auch nicht genau wusste, warum sie sich auf Anhieb gut zu verstehen schienen. N spürte, dass Red kein böser Mensch war, und auch wenn er die Verwirrung und die Unsicherheit in seinem Herzen spüren konnte, fühlte N, dass auch er keine bösen Absichten besaß und sein Leben einfach nur ordnen musste. »Wenn Sie hierbleiben, wird sich nichts an Ihren Zweifeln ändern«, meinte N. »Aber sollten Sie jemals diesen Ort verlassen, werden Sie vielleicht Ihre Probleme auch endlich lösen können.« Ohne Antwort ging Red neben N weiter, bis sie endlich in den letzten Höhlenbereich vor dem Ausgang angelangt waren.
 

Schon lange hatte Red kein klares Sonnenlicht mehr vom Himmel fallen sehen. All die Jahre war es nur durch Felsspalten in den Berg geraten und hatte die Umgebung schwach erleuchtet. Doch so klar und strahlend hatte er es nie in Erinnerung gehabt. Auf der Spitze des Berges lag immer zu viel Schnee, um die hellen Sonnenstrahlen auch nur wahrnehmen oder von den weißen Schneeflocken unterscheiden zu können. Es brannte fast in seinen Augen, als Red in den Eingang der Höhle schritt und direkt in den Himmel sah. Dennoch blieb er im Eingang der Höhle stehen und wagte es nicht, weiterhinauszugehen. Es hatte einige Stunden in Anspruch genommen und sie waren gegen Ende auf ein paar wenige Pokémon gestoßen, doch nun hatten sie endlich den Ausgang des Berges erreicht. Es war merkwürdig, dass es Red wie eine lange Zeit vorgekommen war, als wären bereits Wochen vergangen und als würde er N schon ewig kennen. Oder als würde er ihn schon einmal in der Vergangenheit getroffen haben.
 

»Vielen Dank für Ihre Hilfe«, bedankte sich N und streckte Red seine Hand entgegen. Dieser sah nur irritiert auf diese. War das etwa eine Geste, mit der man sich in Einall bei anderen Leuten bedankte? Sollte er die Hand nehmen? Doch er lächelte nur und schüttelte den Kopf. »Das war doch nicht der Rede wert.« Er hatte N freiwillig aus dem Berg gebracht, weil er es so gewollt hatte. Es war sein eigener Wille gewesen, dass dieser Mann sein Leben nicht noch mehr durcheinanderbringen und verschwinden sollte. Egal, ob er N nun doch sympathisch fand oder nicht und egal, ob er seine Anwesenheit schätzte oder nicht, ihre gemeinsame Zeit war nun, da N wieder im Freien war, ohnehin beendet und Red war bewusst, dass jegliche Gedanken, die er noch an den grünhaarigen Mann verschwenden würde, sinnlos waren. N würde nun sein gewohntes Leben weiterleben und auch Red würde nun wieder in der Dunkelheit verschwinden. Sicherlich würde N ihn schnell wieder vergessen. Warum hatte Red sich nur so viele Gedanken seinetwegen gemacht? Red war zwar alleine, doch N hatte sicherlich viele Freunde und die Erinnerung an Red würde bald verschwunden sein.
 

»Ich meinte das vorhin übrigens ernst«, begann N und sah verlegen zur Seite. »Sie haben mir heute viel über mich selbst beigebracht. Das war eine ziemlich interessante Erfahrung, auf einen Menschen wie Sie zu treffen, der nur unter Pokémon lebt, wie ich es als Kind getan habe. Aber nun werde ich meine Reise fortsetzen müssen.« Red nickte wortlos und konnte es kaum erwarten, dass N endlich verschwunden war. Er wusste zwar genau, dass er sich nicht wünschte, dass N endlich abhaute, weil er etwas gegen ihn hatte und froh war, seine Pflicht erfüllt zu haben und N in Sicherheit gebracht zu haben; sondern vielmehr, weil er selbst noch immer verwirrt darüber war, dass er N wirklich gern gewonnen hatte. Doch Erfahrungen aus seiner Vergangenheit hatten ihm bereits gezeigt, dass Gefühle nur unnötig und kompliziert waren. Sie machten ihn schwach und Red hatte sein ganzes Leben viel zu hart darauf hingearbeitet, stark zu werden. Er würde es sich jetzt nicht von einem Fremden zerstören lassen. Oder war sein Leben nicht ohnehin schon kaputt?
 

»Ich habe dir vielleicht nicht die Wahrheit gesagt«, murmelte N, als Red nichts weiter sagte und darauf wartete, dass N endlich verschwinden würde. »Die Wahrheit ist, dass ich doch aus einem bestimmten Grund auf dem Berg war. Ich habe nämlich jemanden gesucht«, gab N zu. Red nickte. »Das habe ich doch die ganze Zeit gewusst, N«, antwortete er. Sofort sah ihn N mehr als nur überrascht an. »Aber wie...?« N verstand nicht, wie Red davon hätte wissen können. Er hatte ihm immerhin nichts gesagt und wie hätte er es auch erahnen können? Er hatte ihm seinen Grund für seine Anwesenheit einfach verschwiegen. »Du erinnerst dich nicht daran, weil du dich am Kopf verletzt hast«, antwortete Red, auch wenn er eigentlich nicht weiter mit N hatte sprechen wollen. »Aber es ist etwas passiert, bevor du in der Höhle aufgewacht bist.«
 

»Was?« N sah Red noch immer geschockt an. »Was? Was ist passiert?«, fragte er neugierig und Red merkte, wie er sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. »Tja, das ist mein Geheimnis«, antwortete er und musste letztendlich doch ein wenig lachen, als er Ns Hilflosigkeit bemerkte und es irgendwie witzig fand, dass er nun ein kleines Geheimnis hatte, das N nicht herausfinden konnte. N schien, zumindest was die Ereignisse vor dem Erwachen nach seiner Rettung anging, an einem Gedächtnisverlust zu leiden und Red hatte das Gefühl, dass er ein paar Dinge über N wusste, die dieser wahrscheinlich normalerweise nicht verraten hätte. Nun begann auch N zu lächeln. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie lachen können«, stellte er fest und im gleichen Augenblick wurde Red bewusst, dass er sich wirklich seit Jahren nicht mehr so wohl gefühlt hatte.
 

»Du tust mir nicht gut. Du bringst meine Überzeugungen ins Wanken«, meinte er und wurde rot. Wie konnte er sich nur so vor einem anderen Menschen zeigen? Dass N ihn lachen gesehen hatte, war ihm irgendwie unangenehm. Wahrscheinlich, weil er immer stark und gleichgültig wirken wollte und schon lange keinem anderen Menschen mehr seine wahren Gefühle gezeigt hatte. Er hatte bis jetzt erfolgreich geschafft, sich nicht auf Ns naive Art und seine positive Ausstrahlung einzulassen. Leider war es wohl unmöglich, sich nicht von so einem charismatischen Mann mitreißen zu lassen und so merkte Red, dass N ihn irgendwie mehr verändert hatte, als er zunächst angenommen hatte.
 

»Mein Angebot steht übrigens noch«, merkte N an. »Wenn Sie mit mir den Berg wirklich verlassen wollen, dann kommen Sie doch einfach jetzt mit.« Red hatte es fast vergessen, dass N ihn sogar darum gebeten hatte, mit ihm auf Reisen zu gehen. Red schüttelte den Kopf. »N, du bist ein echt netter Kerl. Warum willst du jemanden wie mich bei dir haben?«, fragte Red verwirrt. Er hatte ohnehin schon zu viel von sich preisgegeben und so scheute er sich nun nicht mehr davor, N einfach direkt darauf anzusprechen, warum er sich überhaupt über Reds Anwesenheit freuen würde. »Du musst mich übrigens nicht Siezen«, fügte er noch hinzu, weil ihm langsam unangenehm war, dass N ihm gegenüber so höflich redete, obwohl sie einander doch in sehr kurzer Zeit, wenn auch ungewollt, so private Geheimnisse offenbart hatten. N musste nicht lange nachdenken, denn er wusste genau, weshalb er Red bei sich haben wollte. »Weil ich auch ganz alleine bin«, gab N zu. »Genau wie du.«
 

Red konnte nicht fassen, dass ein so liebenswerter Mann wie N, der selbst die ganze Zeit versucht hatte ihn aufzumuntern und der trotz der Tatsache, dass er ihn zum Weinen gebracht hatte, noch so lieb zu ihm war, wirklich außer ihm niemanden zu kennen schien, und dies traf Red mehr als erwartet. Obwohl sie doch so unterschiedlich waren, hatten sie also Gemeinsamkeiten. Sie gehörten beide nicht wirklich dazu. »Natürlich habe ich viele Menschen kennengelernt, aber irgendwie schaffe ich es nicht, richtige Kontakte zu knüpfen, weil ich einfach nicht richtig wie ein Mensch bin...« N sah traurig zu Boden und Red wurde sofort klar, dass N gerade dabei war, etwas sehr Privates über sich zu erzählen. »Ich bin einfach mehr wie ein Pokémon, und weil auch du... Hmm... Ich... Ich...« N brach ab. Es fiel ihm schwer, noch mehr zu sagen. Er wusste nicht, wie er es ausdrücken sollte.
 

»Ist schon in Ordnung«, meinte Red und signalisierte N, dass er nicht weitersprechen musste. Erleichtert atmete N auf, denn es war ihm schwergefallen, überhaupt darüber zu reden. Jedes Mal, wenn er damit konfrontiert wurde, dass er es einfach nicht schaffte, menschliche Freunde zu finden, erinnerte er sich an die Worte seines Vaters und es schmerzte, dass dieser Recht gehabt hatte. N war wirklich nicht wie ein Mensch, aber er war ja auch kein Pokémon. Er war sich nicht sicher, was er überhaupt war. Zwar hatte er sich geändert und war weltoffener geworden und hatte viele flüchtige Bekanntschaften geschlossen, doch hatte er bis jetzt immer noch keinen Menschen gefunden, der ihn bei seiner Reise begleiten wollte und es schmerzte, dass er nicht einmal kurzfristige Reisepartner finden konnte. Er war einfach doch noch nicht so weit, wie er gedacht hatte.
 

Red hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, ob es vielleicht noch andere gute Gründe geben könnte, den Berg zu verlassen. Bis jetzt hatte er es immer abgelehnt, weil er der Überzeugung war, dass es ihn nicht glücklich machen würde und weil er nur auf dem Berg vor all seinen Problemen fliehen konnte. Er hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, ob es vielleicht auch etwas Gutes haben könnte, endlich wieder nach draußen zu gehen. Es gab einfach nichts Positives, und zu fliehen und sich vor seinen Problemen zu verstecken hatte er immer als die einfachere Lösung angesehen.
 

Doch jetzt fiel ihm auf, dass, wenn auch er nichts Gutes davon erwarten konnte, er vielleicht dadurch mit all den Dingen konfrontiert werden würde, die er all die Zeit so gefürchtet hatte, so könnte er diesen Ort ja vielleicht aus einem anderen Grund verlassen. Vielleicht wäre es richtig, es für jemand anderes zu tun. Als er N so ansah, wie dieser traurig zu Boden blickte und anscheinend niemanden auf dieser Welt mehr hatte, der für ihn da war, hatte Red das Gefühl, dass er gerne die Person wäre, die für ihn da wäre. Auch wenn er N kaum kannte, war es ein angenehmer Gedanke, zu einer wichtigen Person im Leben dieses Mannes zu werden und er wäre ohne Frage nur durch das kleine Opfer, dass er den Berg verlassen müsste, sofort die wichtigste Person für N. Er würde endlich in einer Welt leben können, in der er nicht mit verachtenden Blicken gestraft werden würde. Auch wenn es nur eine kleine Welt wäre, doch es wäre zumindest ein Anfang.
 

Auch wenn er in der Vergangenheit vieles verpatzt hatte und es bestimmt keinen Menschen mehr gab, der ihn vermisste und auf ihn wartete und alle, die ihn bewunderten, ihn nicht wirklich, sondern nur die Legenden über ihn kannten, war dies vielleicht die Gelegenheit, einen Menschen zu schaffen, für den er das Wichtigste sein könnte. Gerade weil N noch nie zuvor von ihm gehört hatte und ihn anscheinend nur für das, was er war, schätzte und nicht für die Erzählungen über ihn und seinen Sieg über den ehemaligen Champion, hatte er die Vermutung, dass N ein wenig anders war als die anderen Menschen, die ihn für seine Fähigkeiten bewunderten. N kümmerte sich wirklich um Red als Mensch und hatte oft genug bereits in nur wenigen Stunden, die sie sich kannten, gezeigt, dass er sich um Red sorgte. Und gleichzeitig war er auch auf Red angewiesen gewesen und hatte ihm bereits eine Menge Vertrauen entgegengebracht.
 

Es war ein verlockender Gedanke und das Gefühl, gebraucht zu werden und jemanden zu beschützen, hatte ihn in den letzten Stunden sehr gut getan. Er konnte es sich gut vorstellen, noch länger so für N da zu sein, und auch wenn es ein großer Schritt war, zu dieser Einsicht zu gelangen und er N einfach zuvor nur loshaben wollte, weil diese Gedanken einfach zu ungewöhnlich waren, freundete er sich langsam mit ihnen an. Natürlich war es eine natürliche Abwehrreaktion gewesen, N als Fremden und als Hindernis zu sehen, doch jetzt, wo er lächelnd vor ihm stand und Red ihn das erste Mal bei Tageslicht sah und merkte, dass er N wirklich gutaussehend fand, konnte er sich sehr gut vorstellen, ihn öfter um sich zu haben. N war anders als er, würde niemals mit ihm im Berg leben wollen und hatte schon nach einem Tag bemerkt, dass das Leben dort zu hart für ihn war, aber vielleicht ging es ja andersrum besser und vielleicht wäre es die richtige Entscheidung für Red, außerhalb des Berges zu leben.
 

»Ich werde darüber nachdenken«, meinte Red. »Wohlmöglich ist es eine ganz gute Idee, mal etwas Neues auszuprobieren. Immerhin war ich doch schon viel zu lange an diesem tristen Ort.« Er war sich noch nicht sicher, wie seine Pokémon darauf reagieren würden, würden sie diesen Ort verlassen und in ein altes gewohntes Leben außerhalb des Trainingsgebiets zurückkehren. Er wollte zunächst mit ihnen darüber reden und ihre Meinung hören, bevor er eine Entscheidung fällen würde. »Komm morgen wieder hierher, dann sage ich dir, wie ich mich entschieden habe. Aber erwarte nicht zu viel.« Dann drehte Red sich um und verschwand wieder im Eingang des Silberbergs, während N stehen blieb und noch immer peinlich berührt in den Eingang starrte, Red dabei beobachtete, wie er mehr und mehr wieder in der Dunkelheit verschwand.



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von:  Rue_Ryuzaki
2013-11-28T18:28:16+00:00 28.11.2013 19:28
Red und N...
Interessante Kombi, die mag ich :)

Ich bin wirklich gespannt wie es hier weiter geht und würde mich auf ein neues Kapi sehr freuen ;)

Gruß, Rue
Von: abgemeldet
2013-11-22T23:01:26+00:00 23.11.2013 00:01
Oki, ich merke gerade, was Du meintest. Bei N's "Vorgeschichte" wiederholt sich der Sinn sehr, dass er verloren wirkt. Aber das ist noch im Rahmen, würd ich behaupten.

Oooooh... Aaaaw.... "Danke, dass SIE mich gerettet haben, Red." ??? Ehrlich?? Ernsthaft?? Aaaw... dieses vornehme Verhalten von N. Soo guuut <3
Und die Innenleben der Charaktere hast Du klasse beschrieben. Man findet sich wirklich gut darin wieder und es zieht sich nicht ein mal in die Länge, da man beim Lesen sich so schön drin verliert und das Kapitel selbst ja auch recht lang ist. Also: Beruhig dich ^^ ist alles top.

:D Red Reaktion auf Ns fehlende Pokémon ist super süß und dann Pikachus Auftritt!!! Aaaah <3

Oooh. Also ich fass meine Gedanken mal zusammen, da ich hier sonst alles einzeln Satz für Satz zuspamme:

Red und N sind... oh Gott. So niedlich. Das hätte ich nicht gedacht. Eigentlich mag ich keine Shippings in der Art, aber es ist einfach wirklich klasse zu lesen, wie sich diese Gegensätze so anziehen. Das LIEBE ich. Wirklich. Und zu sehen, wie Red wohl möglich langsam auftaut durch N's sympathische Art... keine Ahnung. Beim Spiel fand ich ihn nicht so interessant, aber wie Du ihn beschreibst, da will ich den dauernd drücken xD

Das Verhältnis der beiden zueinander ist schön beschrieben. Also dieses "Fremdsein" und dennoch schon viel von einander denken und Respekt haben und so.
Sie sind echt goldig.
ich bin froh, dass ich das gelesen habe. Dankeschön!
Vielleicht magst Du doch mal weiterschreiben? Würde mich freuen, wirklich.

Von: abgemeldet
2013-11-22T22:40:31+00:00 22.11.2013 23:40
Aach so. Deine Charaktere sind nicht beschrieben Q__Q das fehlt mir!
Antwort von: abgemeldet
22.11.2013 23:40
Also Charaktersteckbögen für Leute, die z.B. N nicht kennen oder so.
Von: abgemeldet
2013-11-22T22:39:50+00:00 22.11.2013 23:39
Zum Anfang: Ich sitz da, dachte: "Okay, sie meckert daran herum. Mal gucken was wird."
Und dann les ich die ersten Zeilen und denk mir: "What the..?! Was hat sie?!" xD

Super schön find ich nämlich deine Details. Die hast Du so unglaublich gut drauf. Da kann ich mir echt was von abgucken. Deswegen find ich deine "längeren" Erklärungen, was das betrifft, gerade schöner.
Der Anfang ist wirklich sehr traurig und ich find's schick beschrieben, wie man direkt in diese Szene eintaucht und mit seinen Gefühlen überladen wird. <- das hört sich, so wie ich es sage, vielleicht negativ an, war aber als Kompliment gedacht xD

Das einzige, was ich jetzt zu meckern hätte, wären die Namen. Ich mache dir keinen Vorwurf draus, da dass einfach sehr oft passiert, dass man über bestimmt Leute schreibt und man einfach so mitten drin ist, dass man einfach ihre Namen nutzt um die Situation zu schildern.
Aber falls Du diese Wiederholung vermeiden magst, könntest Du die Trainer ja einzeln umschreiben. Also was weiß ich, der junge attraktive Enkel des Professors xD Oder so was! Haha, das war jetzt natürlich übertrieben, aber Du weißt dadurch, wen ich meine :D

o_O Weswegen N ihn so sucht, will ich jetzt erst mal lesen... Muhihi.



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