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Daylight against twilight

von

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At first sight

Teil I

Broken things
 


 


 

At first sight
 

Nothing left for me to say

I turn into darkness

There is no one to hold me or save me

It’s time for me to walk away

The music makes me sad
 

Die Türen des Flughafens von Tokio öffnen sich. Kalte Luft strömte den Menschen entgegen, die kurz innehielten, ihre Jacken enger um sich schlangen und dann hinaus traten. Niemand konnte genau sagen, welche Jahreszeit gerade herrschte, denn für den Herbst war es erstaunlich kühl und für den Winter erstaunlich mild. Eines jedoch war klar: Der Sommer war definitiv vorbei.

Das Mädchen mit dem welligen blonden Haar wurde kaum beachtet. Einige Blicke streiften sie, verharrten jedoch nie und suchten bereits nach einem Augenzwinkern weiter, nach interessanteren, fremdartiger aussehenden Gesichtern. Denn sie war weder das eine, noch das andere.

Das Mädchen blieb stehen. In der einen Hand hielt sie eine schwarze Sporttasche, in der anderen eine abgewetzte Lederjacke. Obwohl draußen nicht mehr als zehn Grad herrschten, trug sie sommerliche Kleidung, welche sie kaum warm halten würde. Alles an ihr war schwarz und bleich, und als sie die getönte Sonnenbrille abnahm, kamen rotgeränderte Augen zum Vorschein. Der Schlafmangel sprach Bände.

Sie hatte auf dem vierzehnstündigen Flug von New York nach Tokio kaum Schlaf bekommen und hauptsächlich auf ihrem Laptop gearbeitet. Viel war dabei nicht herausgekommen, aber immerhin war es eine Ablenkung gewesen. Dafür würde sie in den nächsten Tagen nicht viel von haben.

Die Blondine trat hinaus aus dem Gebäude. Unwillkürlich zuckte sie zusammen, als die kalte Luft sie traf und begann zu zittern. Eilig zog sie ihre Jacke an. Es half jedoch nicht viel. Deshalb blickte sie sich um, auf der Suche nach einem Taxi. Ein dunkelhäutiger Mann, der gerade in einigen Metern entfernt eine Zigarre rauchte, fing ihren suchenden Blick auf. Er stieß sich lässig von der Motorhaube seines gelben Gefährts ab und schlenderte auf sie zu.

„Suchen sie ein Taxi, Miss?“, fragte er in einem gebrochenen Englisch. Das Mädchen seufzte erleichtert auf; wenigstens hatte er gleich erkannt, dass sie keine Japanerin war. Denn ihr Japanisch beschränkte sich auf einen Wortschatz von etwa fünfzig Wörtern, wenn überhaupt.

„Ja, bitte.“ Sie rieb ihre fröstelnden Hände und hopste von einem Bein aufs andere. Mit jeder verdammten Minute wurde es kälter.

Der Taxifahrer sah ihr an, wie unangenehm es ihr war, in der Kälte auszuharren. Er griff nach ihrem Gepäck, doch sie wehrte dankend ab. „Danke, aber dass nehm ich mit nach vorn. Es ist nicht schwer.“ Der Mann zuckte lediglich mit den Achseln und nahm hinter dem Lenkrad Platz. Sie stieg hinten ein.

Sofort breitete sich eine wohlige Wärme aus. Der Fahrer hatte die Heizung angestellt und nun, wo sein Gast langsam anfing aufzutauen, fragte er nach dem Ziel. „Wo solls denn hingehen?“

Die Blondine kramte aus ihrer Jackentasche einen kleinen Zettel hervor, den sie mit zusammengekniffenen Augen entzifferte. Ihre Lippen formten angestrengt die Wörter.

„Ähm, ins… Saku… Sakurahotel.“ Der Fahrer nickte und fuhr los.

Die Fahrt dauerte vielleicht eine Viertelstunde. Viel zu kurz, nach der Meinung des Mädchens. Sie hätte gern mehr Zeit in dem warmen Auto verbracht. Denn in diesem Hotel befand sich jemand, dem sie auf die eine Art so schnell als möglich gegenübertreten wollte, auf die andere Art jedoch hatte sie Angst davor, ihm zu begegnen. Während der gesamten Fahrt sprach sie kein Wort. Stattdessen starrte sie gedankenverloren aus dem Fenster auf das dämmrige Tokio. Die Ortszeit betrug 19:45.

Als das Taxi vor dem erleuchtetem Hotel hielt, stieß das Mädchen einen lautlosen Seufzer aus. Sie griff nach ihrer Tasche. „Wie viel macht das?“, fragte sie mit leiser Stimme.

„Zehn fünfzig“, der Fahrer beobachtete das Mädchen verholen. Ihr Gesicht kam ihm merkwürdig bekannt vor.

„Nehmen sie auch Dollarscheine? Ich hatte noch keine Zeit, zu wechseln.“ Etwas beschämt reichte sie ihm zwanzig Dollar, lehnte jedoch kopfschüttelnd ab, als er ihr das Restgeld geben wollte. Erstaunt zog er eine Augenbraue hoch. So viel Trinkgeld hatte er noch erhalten, geschweige denn auf einer Fahrt.

Und dann fiel ihm ein, woher er das Mädchen kannte. Seine Augen weiteten sich. „Entschuldigen sie! Sie sind doch Cherry, oder? Die berühmte amerikanische Sängerin aus New York?“ Sie lächelte und nickte. Freudig schlug er mit der Hand aufs Lenkrad. „Unglaublich! Wissen Sie, meine zwölfjährige Tochter ist ein Riesenfan von Ihnen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir ein Autogramm für sie mitzugeben?“

Cherry nickte, zog eine der vielen Autogrammkarten aus einer der Seitentaschen ihres Gepäcks hervor und einen schwarzen Edding. Fragend blickte sie den Mann an. „Wie heißt ihre Tochter denn?“

„Midori Hideki.“

Konzentriert schrieb Cherry den Namen auf die Autogrammkarte und reichte diese dann dem Mann mit einem freundlichen Lächeln. Dann fiel ihr die neue CD ein, von denen sie drei Exemplare mit sich rum schleppte und zog eine davon heraus. Auch diese begann sie zu unterschreiben, jedoch weitaus sorgfältiger. Nicht, weil es besser aussah, sondern einfach, um die Zeit der Begegnung noch ein wenig hinauszuzögern.

Der Mann beobachtete sie aufmerksam. Ihm fiel auf, wie betont langsam sie vorging; was auch immer sie in dem Hotel erwartete – sonderlich erpicht darauf, es hinter sich zubringen, war sie nicht. Und weil ihm das blasse, ganz in Schwarz gekleidete Mädchen Leid tat, half er ihr.

„Was hat Sie denn nach Japan verschlagen?“

Sie schaute auf. Für einen Augenblick schien sie etwas verwirrt angesichts dieser recht persönlichen Frage, doch dann fing sie sich wieder. Das Lächeln kehrte zurück auf ihr Gesicht. Es war ein seltsames Lächeln; es erreichte ihre Augen nicht, die ausdruckslos blieben und das Lächeln an sich wirkte traurig.

Beinah so, als setze sie es nur auf, um ihre wahren Gefühle dahinter zu verstecken.

„Ich bin in familiären Angelegenheiten hier“, damit reichte sie ihm die CD. Sie zog die Jacke enger um sich und öffnete ohne weiteres Zögern die Tür. Sie schenkte dem Fahrer einen letzten freundlichen Blick. Dann ging sie mit großen Schritten, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzudrehen, auf das Hotel zu.
 

Cherry blieb in der Lobby des Hotels stehen. Tief durchatmend blickte sie sich um, während sie ihre Tasche auf dem blank polierten Boden abstellte. In der Lobby standen gemütliche, gleichzeitg jedoch auch modern aussehende Sessel und saubere Glastische, auf denen man selbst mit einer Lupe kein einziges Staubkorn entdecken würde. In der Luft lag der Geruch von schwerem Parfüm und Reinigungsmitteln, der sie leicht würgen ließ. Sie hasste aufdringliches Parfüm, ebenso Raumerfrischer oder Raumdüfte. Auf den Tischen standen dickbauchige Vasen mit Rosen in allen möglichen Farben.

Die Blondine entdeckte einen übellaunigen Portier, der die Gäste mit einem aufgezwungen Lächeln begrüßte und ein Zimmermädchen, das mit einem leisen Summen einen Tisch abwischte. Die Gäste schenkten ihr keinen zweiten Blick. Alle trugen sie teuer aussehende Anzüge oder Abendkleider; einige trugen mit wichtiger Miene Aktentaschen mit sich herum und ein Mann mit Dreitagebart saß, ganz in der Nähe der Eingangstüren, an einem Glastisch und tippte gedankenversunken auf seinen Computertasten herum.

Sie unterschied sich ganz offensichtlich von den anderen. Es fiel ihr daran auf, wie unsicher sie sich mit einem Mal fühlte. Was tat sie hier überhaupt? Setzte sich einfach, drei Stunden nach der Todesnachricht ihrer Mutter, in den nächsten Flug nach Tokio. Zuvor telefonierte sie mit dem Vorgesetzten ihrer Mutter, mit einem Kollegen, nur, um die aktuelle Adresse dieses Mannes herauszubekommen. Dann packte sie das Nötigste ein und jetzt befand sie sich in einem mit Luxus überladenen Hotel.

Und mit keinem Plan im Gepäck. Nur mit der Gewissheit, dass er ihr Antworten liefern konnte.

Er. L, der weltbeste Detektiv.

Diesen Namen hatte ihre Mutter ihr in ihren letzten Sekunden gesagt. Nach dem Telefonat mit dem FBI und dem Vorgesetzten hatte ihre Mutter mit diesem L als letztes zusammengearbeitet. Sie hatte jemanden beschatten sollen. Das war alles, was man Cherry erzählt hatte. Es hatte sie schon einiges an Zeit und Geduld gekostet, die Adresse von L herauszubekommen. Und sie hatte dem FBI versprechen müssen, diese sofort nach ihrer Ankunft im Hotel „Sakura“ zu vernichten.

Cherry hatte nie viel mit dem Beruf ihrer Mutter anfangen können. Bereits, als sie geboren worden war, hatte ihre Mutter für den Geheimdienst gearbeitet und hatte, nach einem Jahr Pause, diesen auch weiterhin behalten. Sie hatte niemals darüber nachgedacht, sich einen Job zu suchen, der ihr mehr Zeit mit ihrer Tochter zusprach. Ihren Vater kannte Cherry nicht. Sie hatte ihn auch, nach den Erzählungen ihrer Mutter, nie kennen lernen wollen.

Manchmal war ihre Mutter erst spät in der Nacht Nachhause gekommen, manchmal war sie ganze Tage oder sogar Wochen fortgewesen. Bis zu ihrem zehnten Lebensjahr hatte ein Au-pair Mädchen auf Cherry aufgepasst, für sie gekocht, mit ihr gespielt und mit ihr Hausaufgaben gemacht. Dann, mit zehn, hatte Cherry darauf bestanden, von nun an für sich selbst zu sorgen. Sie hatte demnach früh gelernt, für sich selbst verantwortlich zu sein.

Freunde hatte sie nie gehabt. In der Schule war sie immer die Außenseiterin gewesen, das Mädchen „mit den bescheuerten Macken und der bekloppten Mutter“. Sie hatte sich oft geprügelt und war bestimmt von mindestens zehn Schulen geflogen. Irgendwann, als sie mit dem Zählen aufgehört hatte, hatte ihre Mutter sie in eine teure Privatschule gesteckt. Dort hatte sie dann zwar ihren Abschluss geschafft, aber mit den Hänseleien ihrer Mitschüler hatte sie dennoch leben müssen.

Und irgendwann hatte Cherry begriffen, dass sie anders als alle anderen war. Im Gegensatz zu ihren Mitschülern hatte sie die Gesellschaft von anderen Menschen nie gebraucht oder gar haben wollen. Lieber blieb sie für sich, saß still an ihrem Tisch und malte. Sie begann, ihre Umgebung stumm zu beobachten. Das hatte sich nicht geändert; während die Mädchen mit Jungs ausgingen, sich schminkten und sich über den neusten Klatsch und Tratsch austauschten, verbrachte Cherry ihre Freizeit in ihrem Zimmer oder in Parks. Dort beobachtete sie die Menschen. Sie konnte in den meisten Leuten lesen wie in einem offenen Buch. Deshalb wusste sie meist bereits nach den ersten Minuten, was ihr Gegenüber dachte oder von ihr hielt. Meist waren das keine angenehmen Dinge, aber ihr war es gleichgültig. Sie hatte nur soviel mit Menschen zutun, wie es nötig war.

Und irgendwann, mit sechzehn, hatte sie an diesem Casting teilgenommen. Es war etwas Kleines gewesen, mit kaum nennenswerten Einschaltquoten, aber gerade das hatte sie gereizt. Denn die Musik liebte sie, seit sie denken konnte. Sie hatte sich das Klavier spielen selbst beigebracht und sobald sie lesen und schreiben konnte, hatte sie ihre eigenen Songtexte geschrieben. In der Schule war sie immer nur mittelmäßig gewesen; das Lernen hatte ihr nie wirklich Freude bereitet, doch das Singen war etwas Unglaubliches für Cherry.

Sie hatte das Casting gewonnen. Und dann, Fall auf Fall, hatte ihre Kariere begonnen. Ihr Manager, ein alteingesessener Amerikaner, hatte sich ihrer angenommen und bereits die erste Single war ein voller Erfolg gewesen. Sie produzierte ein komplettes Album, ging auf Tour und die Fangemeinde wuchs stetig an. Ihre zweite Single stand innerhalb weniger Tage nach dem Erscheinen bereits auf Platz 2 der Charts und die Nachfrage wurde größer.

Woran das lag, konnte niemand sich wirklich erklären. Cherry jedoch hatte es schnell durchschaut: Es war ihre Andersartigkeit. Zuvor hatte sie ihr das Leben erschwert, nun jedoch, wo sie im Mittelpunkt stand, räumte diese Eigenart ihr die letzten Steine aus dem Weg. Denn eben diese Andersartigkeit faszinierte ihr Publikum. Sie wirkte geheimnisvoll und kaum erreichbar; sie war ein Mysterium, das jeder gerne lösen würde.

Sie legte sich ihren Künstlernamen zu, Cherry, und lebte ein Leben, welches sie zuvor nie gekannt hatte.

Dennoch war sie immer sie selbst geblieben. Sie gab nur wenig Interwies und es gab kaum Einblicke in ihr privates Leben jenseits des Starrummels; Cherry trennte ihre Arbeit und ihr Leben strikt voneinander. Niemand konnte genauere Informationen über sie abgeben, da sie ihre Persönlichkeit und alles, was damit zutun hatte, im Dunkeln ließ. Selbst ihr richtiger Name war nicht bekannt.

Ihre Mutter hatte das Ganze zuerst mit Argwohn beobachtet, doch als sie erkannt hatte, wie gut ihre Tochter alles unter Kontrolle hatte, beruhigte sie sich. Und nun hatte sie auch kein schlechtes Gewissen mehr, wenn sie für längere Zeit in irgendwelche Ermittlungen verstrickt war, denn auch ihre Tochter hatte kaum noch Zeit. Dennoch blieb ihr Verhältnis zueinander stets ohne Probleme. Ihre Mutter war für Cherry die beste Freundin und Vertraute; alles ihre Songs bekam sie als Erste zuhören.

Und dann war sie gestorben.

Die Nachricht hatte Cherry den Boden unter den Füßen weggezogen. Ihre starke, selbstbewusste Mutter sollte tot sein. Einfach so, ohne Vorwarnung. Man hatte ihr zu Anfang gesagt, dass dieser Fall sie womöglich ihr Leben kosten würde, doch sie hatte nichts darauf gegeben. Und Cherry hatte sie, wie eigentlich immer, nichts erzählt. Denn auch ihre Mutter hatte Arbeit und Privates strikt voneinander getrennt. In vielerlei Hinsichten waren sie einander sehr ähnlich gewesen.

Deshalb stand Cherry nun hier, inmitten einer Großstadt in einem Land, dessen Sitten und Gebräuche ihr ebenso fremd waren wie die Sprache. Dennoch konnte sie keinen Rückzieher mehr machen. Sie war bereits so weit gekommen.

Cherry strafte entschlossen ihre Schultern, nahm ihre Tasche und steuerte den Empfangtresen an. Die kleine Japanerin mit der dezenten Schminke begrüßte sie herzlich.

„Konichiwa!“ Nur leider auf Japanisch.

„Guten Tag“, begrüßte Cherry sie nervös und – natürlich – auf Englisch. Sofort breitete sich ein verständnisvolles Lächeln auf dem Gesicht der Dame aus. Sie verbeugte sich leicht, bevor die Blondine noch etwas hinzufügen konnte. Etwas verwirrt starrte sie ihr Gegenüber an, bis ihr einfiel, dass die Japaner allgemein als überaus höflich bezeichnet wurden. Sofort kehrte die Anspannung zurück.

„Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“ Die Stimme der Dame war angenehm ruhig. Dennoch war Cherry nervös. Sie hasste es, mit völlig fremden Leuten zu sprechen und selbst, wenn es sich nur um wenige Minuten handelte. Den Smalltalk beherrschte sie nicht. Insgeheim fragte Cherry sich, wie erst sein würde, wenn sie L gegenüberstand.

„Ähm… ja. Ich suche nach dem Zimmer 301. Könnten Sie mir sagen, ob dieses zurzeit gebucht ist?“ Selbst in ihren Ohren klang diese Frage seltsam. Und auch die Empfangsdame stutzte. „Warum wollen Sie das wissen?“

Mist. Jetzt musste sie schnellstens eine gute Erklärung aus dem Ärmel schütteln. Eine glaubhafte, am besten. „Äh, ja… wissen Sie…“ Gott, was für ein sinnloses Gestammel. Sie machte sich gleich verdächtig.

„Ja?“, hakte die Dame mit gerunzelter Stirn nach. Cherry begann, an den Händen zu schwitzen. Plötzlich schien ihr die vorher noch so sehnlich herbeigesehnte Wärme schwül und stickig.

Und dann erschien in ihrem Kopf die Erklärung. „Nun ja, eigentlich ist es mir etwas peinlich… aber ich habe mich mit meinem Freund gestritten und der hat sich dann ins erstbeste Flugzeug gesetzt, welches nach Tokio ging. Ich wollte gern mit ihm sprechen, aber da er mich bestimmt nicht sehen will, wollte ich ihn ohne Ankündigung besuchen. Um ihn zurück nach Hause zuholen. Verstehen Sie?“ Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung nickte die Dame und ihre misstrauische Miene wich. „Ich hab bloß noch diese Hotelreservierung gefunden, so wie sein Reiseziel. Deshalb – könnten Sie wohl kurz anrufen, damit ich weiß, ob er auch wirklich da ist? Nur sagen Sie ihm bitte nicht, dass ich es bin“, fügte Cherry eilig hinzu.

Die Empfangsdame nickte verständnisvoll. „Natürlich, keine Sorge.“ Und schon griff sie nach dem Telefon, drückte kurz eine Taste und lauschte dann. Es dauerte eine Weile, bis anscheinend jemand abnahm. Sofort säuselte die Japanerin los.

„Guten Tag, Rezeption Hotel „Sakura“. Herr Ryuzaki, ich wollte Ihnen nur ausrichten, dass Besuch für Sie da ist. … nein. Keinerlei Waffen.“ Cherry stutzte. Keinerlei Waffen? Was sollte das denn nun bitte heißen? Man hatte sie doch gar nicht auf Waffenbesitz hin überprüft – überhaupt, sie war nicht überprüft worden. Oder war es etwa elektronisch geschehen, so dass sie es gar nicht erst mitbekommen hatte? Möglich wäre es.

„Nun gut, also schicke ich Ihnen den Besuch nach oben. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Herr Ryuzaki? …“ Sie lauschte stumm, griff eilig nach einem Zettel und begann etwas aufzuschreiben. Währenddessen nickte und lächelte sie in einem fort. Cherry fragte sich, wie sie es schaffte, immer so glücklich und zugleich so autoritär auszusehen. Sie selbst sah meist immer erschöpft und unfreundlich aus.

„Gut, also frische Erdbeeren. Und den Kühlschrank füllen wir natürlich ebenfalls auf, keine Sorge. Die Erdbeeren mit Sahne? …gut. Ich hab zu danken und einen schönen Abend wünsche ich, Herr Ryuzaki.“ Damit legte sie auf. Cherry wartete ungeduldig ab, bis sich die Dame ihr wieder zuwandte.

„Sie können nach oben, Zimmer 301.“ Mit der Hand deutete sie hinter den Tresen. „Nehmen Sie den Aufzug. Zehnter Stock.“

„Danke.“

Sie lächelte der Dame ein letztes Mal zu, bevor sie in die angewiesene Richtung ging. Sie verdrängte ihre aufkommenden Gedanken, zwang die Idee, einfach wieder umzudrehen und Nachhause zurückzufliegen, in die Knie und betrat den wartenden Aufzug. Mit zitternden Fingern drückte sie den Knopf, auf dem unübersehbar „Zehnter Stock“ stand, und die Aufzugstüren schlossen sich.

Während der Aufzug lautlos nach oben glitt, versuchte Cherry ihre aufkommende Panik unter Kontrolle zu bringen. Es schien aussichtslos. Ihre Knie fühlten sich an wie Pudding, sie schwitzte und fror zugleich und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Es war ein Gefühl, als würde man jeden Moment seinem Henker gegenübertreten. Cherry versuchte, das Ganze herunterzuspielen. Sie würde L lediglich einen kurzen Besuch abstatten, um mehr Informationen zu dem Tod ihrer Mutter zu erhalten; vielleicht würde sie ihn über den Fall ausfragen und dann würde sie wieder verschwinden. Eine Sache von höchsten zwei Stunden, nicht länger. Danach konnte sie wieder verschwinden.

Der Aufzug hielt. Die Türen glitten auf.

Cherry trat auf den Gang hinaus; ihre Schritte wurden von dem Teppich unter ihren Füßen gedämpft. Auf den Zimmertüren stand, in goldenen Lettern, die jeweilige Nummer. Cherry ging langsam, aber entschlossen, den Gang hinunter, während die Türen sich hinter ihr schlossen. Ihre Augen suchten nach der Nummer 301.

298, 299, 300… da war sie. Zimmer 301.

Sie verharrte. Aus dem Zimmer drangen gedämpfte Stimmen, doch sie konnte nicht genau verstehen, worüber gesprochen wurde. Also waren noch weitere Menschen anwesend. Innerlich stöhnte Cherry auf – ein Fremder war schon mehr als genug, aber noch weitere? Ihr Entschluss, es so schnell wie möglich hinter sich zubringen, wuchs mit jeder Sekunde.

Sie holte ein letztes Mal tief Luft, packte ihre Tasche fester und klopfte. Dann trat sie, ohne eine Aufforderung abzuwarten, ein.
 

Die Stimmen verstummten.

Das war das Erste, was Cherry auffiel. Als Nächstes musterte sie den Raum genauer.

Sie befand sich in einem schmalen Flur, von dem zwei Türen abgingen. Eine der Türen stand offen und zeigte eine kleine, aber hochmoderne Küche mit allem möglichen Schnickschnack. Doch sie schien nicht allzu oft benutzt worden zu sein, da nirgends Krümel oder Abfälle herumlagen. Cherry fragte sich, was eine Küche brachte, wenn man sie nicht benutzte.

Die andere Tür war geschlossen; sie vermutete dahinter ein Schlafzimmer. Langsam trat sie einige Schritte in den Raum hinein und schloss leise die Tür hinter sich. Als sie den Blick hob, entdeckte sie vor sich ein Wohnzimmer. Sie betrat es, sorgsam darauf bedacht, ihr Pokerface keine einzige Sekunde fallenzulassen.

Das Zimmer war groß, beinah fast doppelt so groß wie ihr Wohnzimmer zu Hause. Es war in einem frischen Ockerton gestrichen und auf dem hellbraunen Parkett lag ein dunkelgrüner, weicher Teppich. Cherry zählte drei Sessel, zwei Sofas und einen Hocker, die alle um einen mittelgroßen Tisch mit Glasplatte drapiert waren. Wenn man zum Fenster hinausblickte, hatte man einen fantastischen Ausblick auf ganz Tokio. Auf dem Fensterbrett standen Blumen, eine weiße Rose und duftende Jasminzweige.

Nun richtete Cherry ihre Aufmerksamkeit auf die sechs Männer, die auf den Sitzgelegenheiten Platz genommen hatten und sie nun, zum Teil misstrauisch, zum Teil jedoch auch einfach verblüfft, musterten. Sie waren unterschiedlichen Alters, sahen jedoch alle aus wie Japaner. Sie trugen Anzüge und wirkten wie frisch vom Dienst.

Bis auf ihn.

Ihr Blick glitt zu dem Mann auf dem Sessel. Er saß nicht, er hockte regelrecht da und starrte sie aus großen, tiefschwarzen Augen eindringlich an. Die Sitzhaltung sah nicht gemütlich aus, was ihn aber nicht sonderlich zu stören schien. Seine ebenfalls schwarzen Haare waren wirr und sahen aus, als schenke er ihnen nicht viel Beachtung. Er war blass, unnatürlich blass, genauso wie Cherry selbst. Seine Kleidung bestand aus einem weißen Longshirt, einer etwas zu groß aussehenden Jeans und er trug keine Schuhe, sondern war barfuss. Er besaß keine Auffälligkeiten, weder Schmuck noch Piercing, noch Tattoo.

Sein eindringlicher Blick ging Cherry durch Mark und Bein. Sie schätzte, dass er kaum älter war als sie, etwa zwanzig bis Mitte Zwanzig. Dennoch schüchterte er sie regelrecht ein, obwohl er bisher noch kein einziges Wort gesagt hatte. Und, seltsamerweise, kam er ihr vertraut vor, wie ein lang verschollener Bekannter. Woher kannte sie ihn? Sie war sich sicher, ihn noch nie zuvor gesehen zu haben.

Und dann, unerwartet, begann ihr Handy zu klingeln. Es war die Melodie und die ihr daraufhin in den Kopf kommenden Worte, die sie erinnern ließen.
 

„Deep inside in your black eyes

There I can see emotions

Did you know them?

I’m the only one who can see that your heart is fragile

That there is something

Something, what you don’t want to believe

I can see it”
 

Cherrys Herzschlag beschleunigte sich. Ihr Atem kam nur noch stoßweise und sie fühlte sich, als ob sie jeden Moment in Ohnmacht fallen würde. Der Raum drehte sich, ihr war schwindelig. Mit weit aufgerissenen Augen stolperte sie einige Schritte rückwärts. Den Schwarzhaarigen behielt sie dabei immer im Blick.

„N -nein…“, stotterte sie ängstlich. „Das ist… unmöglich!“ Ihr Handy klingelte fröhlich weiter. Es konnte sie jedoch nicht aus ihrer Panik befreien.

Mit einem lautlosen Geräusch fiel die Sporttasche zu Boden.

Einer der Männer erhob sich, sein Körper war sichtlich angespannt. Vorsichtig trat er um den Tisch herum und blickte das verschreckte Mädchen an. Sagen tat er nichts, dass erledigte einer seiner Kollegen. „Was ist mit Ihnen?“

Cherry schluckte. Das Einzige, was ihr einfiel, war der Traum. Der Traum, in dem sie diesen Mann gesehen hatte. Eine Verwechslung war ausgeschlossen; er war so markant, dass es ihn bestimmt nur einmal auf der ganzen Welt gab.

Nach einigen Sekunden kam ihr ein weiterer Gedanke. „Watari…“ Sie sprach den Namen mit einem fragenden Unterton aus, der sich an den Schwarzhaarigen richtete. Der riss seine Augen noch weiter auf, was nun wirklich absonderlich aussah. Hinter ihm, unbemerkt von Cherry, stand ein alter, grauhaariger Mann. Dieser trat bei der Erwähnung nach vorne, in ihr Sichtfeld und blickte das Mädchen mit Verblüffung und Erstaunen an.

„Watari?“ Als der Grauhaarige sie bei der Erwähnung des Namens ansah, begriff Cherry. Nicht der Mann in dem Sessel hieß so, sondern der alte Herr hinter ihm. Aber was hatte das zu bedeuten? Und, warum zum Teufel, kam ihr dieser Name nur so verdammt bekannt vor?

Was für ein Spiel wurde gespielt und warum konnte sie die Regeln einfach nicht durchschauen?

Plötzlich begann sie zu zittern. Die Erkenntnis ergriff sie mit scharfen Klauen, flüsterte ihr die Worte ihrer Mutter ins Ohr. Die einzigen Worte, die sie jemals über L gesagt hatte.

„Niemand kennt Ls richtigen Namen oder sein Aussehen; er ist ein einziges Mysterium. Aber wenn er an die Öffentlichkeit tritt, benutzt er einen Vermittlungsmann für das Austauschen von Informationen mit der Polizei. Dieser Mann ist stets verkleidet. Er verfügt ebenfalls über einen Decknamen: Watari.“

Cherry begriff endlich, wer der Schwarzhaarige war. Er war der, nach dem sie gesucht hatte.

L blickte sie an.
 

Lost
 

Nothing left for me to say

I turn into darkness

There is no one to hold me or save me

It’s time for me to walk away

The music makes me sad
 

I hold your photo in my hands

Snowflakes still fall down…
 

I’m lost

There is no longer you and I

Now there is only me

Alone in the despair

Don’t know how to live or how to go on

Wherever you are, in this moment

Give me a sign

That you are alright
 

Because I’m lost…
 

Walking in the snow

It feels strange

Live still goes on, although you’re not here

By my side

I wish I could cry
 

I hold your photo in my hands

Snowflakes still fall down…
 

I’m lost

There is no longer you and I

Now there is only me

Alone in the despair

Don’t know how to live or how to go on

Wherever you are, in this moment

Give me a sign

That you are alright
 

Because I’m lost…
 

No flowers on your grave

The cold snow covers you up

But the sun can’t warm my face

You are far away
 

I’m lost

There is no longer you and I

Now there is only me

Alone in the despair

Don’t know how to live or how to feel

Wherever you are, in this moment

Give me a sign

That you are alright
 

Because I’m lost…

Are you right?

Are you right?
 

Real

Is just a word

Real

Is like the hope in our hearts

Real

Is something in which I doubt hard

Real

Is more than a situation

R-E-A-L
 

Cherry wusste nicht, wo sie war. Alles um sie herum war dunkel, in dichte Finsternis gehüllt. War es Nacht? Sie versuchte, durch die Dunkelheit auszubrechen, aber selbst, als sie die Augen auf hatte, änderte sich nichts. Dunkelheit.

Plötzlich vernahm sie noch andere Dinge. Ein nasses, kaltes Objekt in Nähe ihrer Stirn, dumpfe Kopfschmerzen und das leise beständige Tippen einer Tastatur. Es durchdrang den Nebel in ihrem Kopf, aber es fiel ihr schwer, sich darauf zu konzentrieren. Am liebsten hätte sie einfach nur geschlafen. Aber das Tippen ließ es nicht zu.

Wo war sie überhaupt und was war eigentlich los? Angestrengt versuchte sie, die Dunkelheit weg zublinzeln, aber nichts geschah. Ein frustrierter Seufzer verließ ihren Mund. Das Tippen verstummte und die Stille war noch unangenehmer als die Kopfschmerzen. Cherry spannte sich an. Sie befand sich in einer ihr unbekannten Umgebung, mit höllischen Schmerzen und einer weiteren Person im Raum. Sämtliche Alarmglocken schrillten, als sie das kaum hörbare Quietschen hörte, was von einem Polstersessel stammte.

Schritte näherten sich. Cherry versuchte zu orten, von welcher Seite sie sich näherten. Von links. Ihre linke Faust spannte sich an und als sie merkte, dass der Unbekannte direkt neben ihr stand, wartete sie ab. Sie versuchte, ihren Atem unter Kontrolle zubringen. Es war schwer, aber sie merkte, dass sie ruhiger wurde.

Cherry wartete einige Sekunden lang ab, wiegte ihren Gegner in Sicherheit. Nur, um dann, wie von einer Tarantel gestochen, von der Unterlage aufzuspringen und auf dem Boden aufzukommen. Dann würde sie demjenigen, der vor ihr stand, die Faust ins Gesicht schlagen und erst dann würde sie ihn in aller Ruhe identifizieren.

Das war der Plan. Eigentlich.

Denn als die Blondine aufsprang, wurde ihr schwindelig und etwas fiel von ihrem Gesicht, landete mit einem ekligen Klatschen vor ihren Füßen. Helles Licht flutete ihre Augen, die sie unwillkürlich zusammenkniff. Dadurch sah sie nun jedoch nicht mehr den Unbekannten, nur einen etwas schemenhaften Schatten vor ihr. Cherry taumelte und knallte schließlich hart auf den Untergrund, mit dem Gesicht voran. Ein dumpfer Schmerzenslaut kam aus ihrem Mund.

Innerlich verfluchte sie sich, als sie über sich ein spöttisches Schnauben vernahm. Der Fremde hatte ihren lachhaften Angriff unbeschadet überstanden – ganz im Gegensatz zu ihr selbst. Als Cherry Blut schmeckte, musste sie beinah würgen. Zum Glück hatte sie im Fallen ihr Gesicht reflexartig mit den Armen geschützt, wodurch es nicht allzu viel abbekommen hatte. Dennoch spürte sie Schmerzen an der Unterlippe, ganz zu schweigen von ihren Kopfschmerzen, die nun einem gewaltigen Donner glichen.

Vorsichtig richtete die Blondine sich auf. Mit der Hand tastete sie ihre Unterlippe ab, nur um festzustellen, dass sie aufgeplatzt war und blutete. Das Blut in ihrem Mund rührte daher, dass sie sich aus Versehen auf die Innenseite ihrer Wange gebissen hatte. Ihr Blick fiel auf einen nassen Waschlappen. Das war also das mysteriöse Objekt gewesen, dass auf ihrer Stirn gelegen hatte. Jetzt wurde Cherry klar, dass man keineswegs versucht hatte, sie zu entführen oder gar zu töten, sondern nur ihre Kopfschmerzen hatte lindern wollen.

Ein peinlicher Gedanke nahm in ihrem Kopf Gestalt an. Ohne sich zu dem Fremden umzudrehen, fragte sie: „Bin ich zufälligerweise vor Kurzem in Ohnmacht gefallen?“

Zuerst erhielt sie einige Minuten lang keine Antwort. Cherry fragte sich, ob der Kerl, wer auch immer er war, überhaupt ihre Sprache sprach oder zumindest verstand. Wieder tauchte die Frage auf, wo sie sich eigentlich befand. Langsam ging sie ihre letzten Erinnerungen durch. Sie fiel nicht oft in Ohnmacht, aber wenn es dann einmal passierte, wusste sie lange Zeit gerade einmal ihren Namen und ihren Wohnort, mehr aber auch nicht. In dieser Situation, wo man an einem völlig fremden Ort aufwachte und noch einen zum Sterben peinlichen Auftritt hinlegte, fiel es ihr besonders schwer, Ordnung in ihrem Kopf reinzubringen.

Plötzlich erstarrte sie. Cherry erinnerte sich an das letzte Telefonat mit ihrer ermordeten Mutter, ihren Flug nach Tokio, an die Suche nach dem richtigen Hotel und... an das Zusammentreffen. Das Zusammentreffen mit L.

Langsam erhob sie sich. Sie taumelte leicht und stützte sich an dem Glastisch ab, bis sie aufrecht dastand und sich nur noch umzudrehen brauchte, um ihm ins Gesicht blicken zu können.

Aber etwas ließ sie zögern. Die junge Sängerin konnte nicht sagen, was genau dieses Gefühl in ihr auslöste, aber es gefiel ihr nicht. Es erinnerte sie einfach zu sehr daran, dass sie trotz all dem Ruhm und dem damit verbundenen Selbstbewusstsein nicht allem gewachsen war. Auch, wenn sie sich nichts mehr wünschte.

Warum drehe ich mich nicht einfach um? Er ist schließlich ein stinknormaler Mensch!

In Gedanken war alles viel einfacher als in der Realität. Genauso gut könnte sie auch aus dem Zimmer gehen, das Taxi zum Flughafen nehmen und auf den nächsten Rückflug nach New York warten.

Aber dann wirst du nie erfahren, wie, durch wen und vor allem, warum deine Mutter starb. Wenn du damit leben kannst...

Nein, konnte sie nicht und genau diese Tatsache ließ sie einknicken. Widerwillig und auf alles, wirklich alles gefasst, drehte sie sich um.

Aber vor ihr stand einfach nur der schwarzhaarige junge Mann mit den seltsamen Augen, der sie beobachtete. Er zeigte keine Gefühlsregung, irgendetwas, was Cherry verraten hätte, was er in diesem Moment dachte. Stattdessen blieb er stumm. Sie fühlte sich von oben bis unten taxiert, was ihr gar nicht gefiel. Woher nahm der Kerl sich das Recht, sie wie ein Stück Fleisch abzuwägen, ob sie auch wirklich genießbar war?

„Ja.“ Cherry war für einen Moment verblüfft. L blickte sie weiter ruhig an und nichts deutete daraufhin, dass er gerade tatsächlich etwas gesagt hatte. Ihre grauen Augen wanderten unwillkürlich zu seinen Lippen. Sie waren schmal und sehr bleich, beinah so bleich wie seine Haut.

„Was?“, fragte sie verwirrt. Er steckte seine Hände in die Taschen seiner Jeans, die ihm definitiv viel zu groß war; sie schlabberte wie ein Sack um seine dünne Gestalt. „Was haben Sie gerade gesagt?“

„Ich habe >Ja< gesagt.“

„Und worauf bezog sich dieses >Ja?<“ Musste sie diesem Typen tatsächlich jedes Wort aus der Nase ziehen? Cherry spürte, wie sie ungeduldig wurde. Sie hasste es, wenn Menschen unendliche Zeit benötigten, um auf eine einfache Frage mit einer einfachen Antwort einzugehen.

L sah sie an. „Das bezog sich auf deine Frage, ob du in Ohnmacht gefallen bist.“ Damit schien die Sache für ihn erledigt. Cherry jedoch wurde nur wütender. Dieser Kerl sprang mit ihr um, wie noch nie jemand mit ihr umgesprungen war und das schrie geradezu nach einer Änderung.

„Hey, wer hat dir erlaubt, mich zu duzen? Schließlich kenn ich dich grad mal drei Minuten!“

Wenigstens sprach er Englisch. Ein großer Vorteil, aber scheinbar auch der einzige. Seine Manieren ließen zu Wünschen übrig. „Und wer bist du überhaupt? Weißt du, vernünftige Menschen stellen sich nämlich vor, wenn sie jemandem begegnen.“

Er beachtete sie gar nicht. Stattdessen ging er zu einem Sessel, auf dem ein silberner Laptop abgestellt worden war. Er nahm den kleinen Computer hoch, hockte sich in dieser merkwürdigen Sitzhaltung auf den Sessel, welche sie auch schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen gesehen hatte, und legte das Gerät auf seinen Knien ab.

„Zu deiner ersten Frage: Du duzt mich schließlich auch, wie du wohl selbst feststellen musst. Zweitens kennen wir uns, dein unerwartetes Eintreten in ein Treffen mitgezählt, exakt zehn Minuten und vierundzwanzig Sekunden. Drittens hast auch du dich bisher nicht vorgestellt, was momentan das dringendere Problem darstellt, da du meinen Namen bereits kennst.“

Während er mit ihr sprach, lag sein Blick auf dem PC-Bildschirm und er tippte flink auf der Tastatur herum. In keiner Sekunde hob er den Blick, um sie anzusehen. Seine Stimme klang, trotz der teilweise spöttischen Worte, gleichgültig, als teilte er ihr bloß die Wetterlage mit. Und das regte Cherry mehr auf als alles andere.

Zornig stapfte sie auf den Sessel zu. Wenn man sie später fragen sollte, warum sie nun genau das tat, was sie jetzt tat, würde sie die Antwort nicht kennen. Nur, dass sein betont emotionsloses Auftreten sie zur Weißglut brachte. Cherry trat vor ihn, griff mit einer Hand nach dem Laptop und klappte mit einem hörbaren Knurren den Bildschirm zu. L, der noch seine Finger auf der Tastatur liegen hatte, zuckte leicht zusammen, als diese eingeklemmt wurden. Dennoch zeigte er keine Mimik. Wortlos sah er zu dem Mädchen auf, während er vorsichtig seine Finger hervorzog. Dieses musterte ihn.

„Jetzt hör mir mal zu, Junge: Mein Name lautet Cherry.“ Sie machte eine Pause, um ihm Zeit zugeben, damit er endlich verstand, mit wem er es hier zu tun hatte. Aber L blickte sie nur an, ohne zu blinzeln. Der ist echt gruselig! „Ich bin hier, weil meine Mum vor exakt vier Tagen gestorben ist – um genauer zu sagen: Sie ist ermordet worden!“

„Was habe ich damit zu tun?“

„Das kann ich dir sagen! Meine Mum arbeitete als amerikanische FBI-Agentin und erhielt vor einigen Tagen den Auftrag, nach Tokio zufliegen und hier irgendwelche Typen zu beschatten. Bei ihrem letzten Anruf musste ich miterleben, wie sie... wie sie...“, sie konnte nicht weitersprechen. Der Schmerz über den Verlust war noch zu frisch.

Ein dicker Kloß entstand in Cherrys Hals. Vergeblich versuchte sie, ihn hinunterzuschlucken. Trotzdem tat sie alles, um nicht vor diesem Idioten in Tränen auszubrechen. Diese Schwäche würde sie sich nicht geben, niemals. Obwohl sie in diesem Moment nichts lieber getan hätte. Sich einfach auf dem Sofa zu einer Kugel zusammenzurollen, alles andere auszusperren und einfach nur zu weinen, bis all der Kummer aus ihr hinaus geflossen war. Ihre Mutter war gerade mal vier Tage tot und man wollte ihr nicht einmal die Leiche überlassen, um sie anständig unter die Erde bringen zu können. Sie hatte sie seit dem Tod kein einziges Mal gesehen, verdammt nochmal!

In ihrem Kummer versunken, bemerkte Cherry nicht, wie L sich langsam erhob. Den Laptop stellte er auf den Glastisch. Erst, als er wieder sprach, zuckte sie zusammen und kehrte in die Wirklichkeit zurück.„Wie hieß deine Mutter?“

Cherry schluckte. „Warum willst du das wissen?“, fragte sie leise.

L stieß einen Atemzug aus, der beinah wie ein Seufzen klang. „Damit ich nachsehen kann, ob ich sie in den Akten habe und ob ich etwas mit dem Fall zu tun habe.“ Obwohl er das Gesicht in keiner Sekunde verzog, wusste Cherry instinktiv, dass er log.

„Du weißt bereits, dass du etwas damit zu tun hast, nicht?“ Erstaunt sah er sie an, scheinbar über ihre schnelle Erkenntnis, dass er sie angelogen hatte. Doch er entgegnete nichts, sondern wartete nur ab.

Cherry fügte sich. „Hitch“, erwiderte sie. Sie war so müde. „Melissa Hitch.“

L klappte den Laptop wieder auf und tippte wie wild auf der Tastatur herum. Cherry ließ sich währenddessen auf die Couch sinken, die dem Sessel direkt gegenüber lag. Erschöpft lehnte sie sich zurück. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen, denn der Jetlag machte sich bemerkbar. Zudem hatte sie seit dem Tod ihrer Mutter nur wenige Stunden geschlafen. Die Albträume kamen mit Regelmäßigkeit, jede Nacht, sobald sie bloß die Augen schloss. Schlaftabletten halfen nichts, sie machten alles bloß noch schlimmer. Denn dann konnte sie nicht mehr aufwachen und aus den Albträumen fliehen.

„Watari!“ Ls Stimme klang zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, halbwegs freundlich. Der alte Mann mit dem Anzug trat ins Zimmer. Er nickte Cherry höflich zu und sie erwiderte seine Begrüßung, wenn auch etwas lustlos. Dann wandte er sich L zu. „Sie haben nach mir gerufen, Ryuzaki?“

„Kontaktieren sie den Polizeichef Takimura. Ich brauche Informationen über die FBI-Agentin Melissa Hitch. Er soll mir ihre Akte an die vorhandene Mailadresse schicken.“

„Natürlich, ich rufe ihn an.“ Damit verbeugte Watari sich und verließ das Zimmer.

Cherry riskierte einen schnellen Blick zu L, der über den Laptop gebeugt war, und schloss die Augen. Vielleicht konnte sie ein paar Minuten entspannen und neue Kräfte sammeln für das, was ihr noch bevorstand...

„Du bist müde.“

Erschrocken riss das Mädchen die Augen wieder auf. L sah sie an. Seufzend richtete sie sich wieder auf. Dann schüttelte sie den Kopf. Leugnen war zwecklos, er würde sie sowieso durchschauen. Außerdem war dieses Versteckspiel auf Dauer zu anstrengend.

„Ich habe einen vierzehn stündigen Flug hinter mir. Natürlich ist man dann müde – jedenfalls normale Menschen.“ Sie musterte seine tiefen Augenringe. „Aber du scheinst auch nicht allzu viel Schlaf bekommen zuhaben.“

Er gab ihr keine Antwort. Langsam frustrierte dieser Kerl Cherry. Er stellte tausend Fragen, doch sobald sie selbst eine stellte, wich er ihr aus. Auf Dauer würde das nicht gutgehen. Aber sie hatte ohnehin nicht vor, lange zubleiben. Sobald der nächste Flug nach New York ging, würde sie wieder nach Hause gehen.

Gelangweilt musterte sie ihre Fingernägel. Sie waren schwarz unter den Rändern und angeekelt ließ Cherry sie wieder aus den Augen.

Watari betrat den Raum, in der Hand ein Telefon. Er reichte es L, der es zwischen zwei Fingerspitzen nahm und einige Zentimeter vom Ohr entfernt hielt. Fassungslos musterte Cherry diese Haltung. Es schien beinah so, als ekle L sich vor dem Mobiltelefon.

„Ja?“ Für einen Augenblick schwieg der Detektiv. Leise stellte Watari vor Cherry auf die Tischplatte einen Becher. Sie schnupperte. Frischer Kaffeeduft drang in ihre Nase und ein erleichtertes Aufseufzen kam aus ihrem Mund. Dankbar sah sie Watari an, der ihr ein freundliches Lächeln schenkte. Cherry bemerkte, dass seine Augen recht sanft aussahen. Er erinnerte sie an einen alten Opa.

Während sie das koffeinhaltige Getränk in kleinen Schlucken genoss, lauschte sie dem Telefongespräch von L.

„Hier spricht L. Es geht um eine der von mir angeforderten Agenten aus Amerika. Ihr Name lautet Melissa Hitch.“ Einige Sekunden verstrichen. „Ich möchte ihre Akte.“ Nun entstand am Ende des Hörers eine lange Pause, bis eine männliche Stimme herum druckste. Cherry konnte keine Worte verstehen, aber Ls Mundwinkel verzogen sich ein minimales Stück nach unten.

„Ich brauche Informationen... gut, wenn Sie mir diese auch am Telefon liefern können, dann fangen Sie an, Polizeichef Takimura.“

Nun verstrichen einige Sekunden. Cherry fragte sich, warum L eigentlich Englisch sprach, wo er doch scheinbar mit dem japanischen Polizeichef sprach. Erst, als als sie Watari ansah, der neben dem Sessel von L stand, begriff sie. Watari warf ihr einen Blick zu und zwinkerte. L sprach Englisch, damit sie alles verstehen konnte! Ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit durchströmte sie für den seltsamen Kauz. Vielleicht war er doch nicht so ein unhöflicher Flegel, wie sie anfangs gedacht hatte.

L sprach wieder und Cherry konzentrierte sich. „Wen hat Mrs Hitch beschattet?“ Ein Augenblick verstrich. „Aha. Gut. Sonst irgendwelche Auffälligkeiten?“ Plötzlich runzelte er die Stirn. Cherry merkte auf. „Sie hat Mr Penber einen Tag lang ersetzt? Und auf wen war dieser angesetzt?“

L schwieg nun lange Zeit; am anderen Ende redete der Polizeichef auf Japanisch, was Cherry nicht verstehen konnte. Schließlich sagte L: „Danke, Herr Takimura, Sie haben mir sehr geholfen. Auf Wiederhören.“ und legte mit diesen Worten auf.

Danach reichte er Watari mit spitzen Fingern das Handy. Der nahm es an sich und steckte es in die Hosentasche. Nun schwieg L lange Zeit, während Cherry mit jeder Sekunde, die verstrich, immer unruhiger wurde. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus.

„Und? Was hast du rausbekommen?“, platzte sie ungeduldig heraus.
 

L schwieg. Cherry zappelte herum und erst, als sie drauf und dran war, L den leeren Kaffeebecher an den Kopf zuwerfen, öffnete er den Mund.

„Deine Mutter kam, zusammen mit zwölf weiteren Agenten, in Tokio an. Danach wurde sie auf die zu beschattende Person zugeteilt, für die ich ihre Fähigkeiten ausreichend erachtete. Es handelte sich dabei um einen Polizist, der im Zivildienst eingesetzt wurde. Es ging alles gut. Sie sammelte viele Informationen, die bewiesen, dass es sich dabei nicht um den Gesuchten handelte.“

Cherry runzelte die Stirn. „Von welchem Gesuchten sprichst du?“ L überging ihre Frage.

„Aber dann hat sie einen anderen Agenten für vierundzwanzig Stunden ersetzt, den Agenten Raye Penber. Und dann, genau zwei Tage später, wurden alle zwölf FBI-Agenten gleichzeitig ermordet.“

Er verstummte und Cherry war erschrocken und ungläubig zugleich. Nachdem sie ihre Gedanken sortiert hatte, stellte sie die erste Frage, die ihr in den Sinn kam.

„Woher weißt du, dass sie alle... ermordet worden sind? Woran starben sie denn?“

„An einem Herzstillstand“, erwiderte der Schwarzhaarige ruhig. Cherry starrte ihn an.

„Willst du mich verarschen?“

L verzog kaum sichtbar das Gesicht. „Nein.“

„Aber... was ist denn an einem Herzstillstand Mord?“, Cherry verstand die Welt nicht mehr. Aber L schien sie tatsächlich nicht reinlegen zu wollen. Er seufzte nur kaum hörbar und erhob sich. Er ging zu dem Flachbildfernseher und schaltete ihn ein.

Das Bild eines ernst drein blickenden Nachrichtensprechers erschien. Im Hintergrund war das Bild eines Gebäudes zusehen, darunter stand in englischen Buchstaben „Zehn weitere Häftlinge ermordet aufgefunden“. Es war anscheinend ein amerikanischer Nachrichtensender. Überrascht beugte Cherry sich vor, um besser verstehen zu können, wovon dort gesprochen wurde.

„... heute Morgen sind in dem Gefängnis südöstlich von der Hauptstadt Tokio zehn weitere Häftlinge tot aufgefunden worden. Alle zehn starben, laut eines Polizeisprechers, an Herzstillstand. Dies ist bereits die fünfzehnte Tat von KIRA in dieser Woche. Laut Polizei ist man bisher keinen einzigen Schritt weiter als zuvor, was in der Bevölkerung zu Entsetzen und Angst führt. Gleichzeitig steigt jedoch der Ausruf, dass KIRA die Kriminellen ihrer gerechten Strafe zuführt und dass diese Welt bald eine bessere sein wird. Zu Gast im Studio ist nun der Psychologe...“ L schaltete den Fernseher wieder aus.

Stille breitete sich aus. Cherry war zu entsetzt über das, was sie gerade erfahren hatte. Da draußen lief ein Massenmörder von einem entsetzlichen Ausmaß frei herum, der alle Kriminellen hinrichtete und sich nun auch an Unschuldige heranmachte. Und die Bevölkerung schien ihm auch noch Recht zugeben, die Aussage des Sprechers einbeziehend. Und genau dieser Mann hatte, dass begriff die Sängerin nun, auch ihre Mutter auf dem Gewissen.

Cherry sah L an. „Er war es, oder? Dieser... KIRA?“ Sie hob die Hand, noch bevor L Zeit hatte, ihr zu antworten. „Sei bitte ehrlich.“

„Ja, es war allem Anschein nach KIRA. Die Vorgehensweise stimmt mit denen, die uns bekannt sind, vollständig überein.“

„Warum hat er sie ermordet - die Agenten, meine ich?“

„Weil sie ihm vermutlich im Weg waren, nehme ich an, und weil sie vielleicht sogar etwas über seine wahre Identität herausgefunden haben. Sie wurden ihm wohl zu gefährlich, darum musste er sie beseitigen.“ Watari reichte L eine Tasse und eine kleine Schüssel mit Zucker. L dankte ihm mit einem beiläufigen Nicken.

Cherry begann langsam, alles zu verstehen. Nun machte alles mehr und mehr einen Sinn.

„Also jagst du diesen KIRA. Um ihn hinter Gitter zubringen.“ Sie wartete seine Antwort gar nicht erst ab, sondern sprach einfach weiter. „Aber wie soll er ihm völlig fremde Menschen ermorden? Befand sich überhaupt jemand in der Nähe der Agenten, zu ihrem Todeszeitpunkt?“

L ließ unzählige Zuckerwürfel in seine Tasse fallen. Cherry beobachtete ihn skeptisch, sagte aber nichts. Sollte er seinen Kaffee oder Tee doch trinken, wie er wollte.

„Das ist nichts, was für dich von Bedeutung ist. Du wolltest lediglich wissen, wie und von wem deine Mutter ermordet worden ist.“ Er deutete mit der freien Hand, die keinen Zuckerwürfel hielt, auf die Tür. „Unten warten Taxis, ansonsten kannst du auch die Info bitten, dir eines zurufen. Und eines noch: Du bist mir nie begegnet.“

Damit schien für den Detektiv das Gespräch beendet und er wandte seine Aufmerksamkeit wieder seiner Tasse zu. Watari verharrte ebenfalls an Ort und Stelle, jedoch schien er, im Gegensatz zu L, deutlich zu spüren, dass Cherry keinesfalls vorhatte, nun zu gehen.

Im Gegenteil: Sie wollte unter allen Umständen bleiben. Dieser Kerl hatte ihre Mutter kaltherzig ermordet und würde vermutlich nicht zögern, noch weitere Unschuldige zu ermorden. Vielleicht war sogar L selbst der Nächste, wer wusste dass schon? Und außerdem versprach diese Angelegenheit überaus interessant und abenteuerlustig zu werden.

Doch das waren nicht ihre Hauptgründe. Nein, sie wollte dabei helfen, dieses Schwein für immer und ewig wegzusperren. Sie wollte KIRA in die Augen blicken, wenn sie ihm selbstgefällig ins Gesicht spukte.

Cherry wollte ihre Mutter rächen.

Wie festgenagelt blieb sie sitzen. Einige Minuten lang gelang es L, sie gekonnt zu ignorieren, doch dann wandte er sich ihr wieder zu. „Ist noch etwas?“

„Ich bleibe hier“, sagte sie ruhig. Watari zog hörbar die Luft ein. „Ich werde dir dabei helfen,

KIRA dingfest zu machen. Er hat meine Mutter getötet und das wird er mir büßen. Mit seinem eigenen Leben und seiner Freiheit.“

L stellte mit einem hörbaren Klacken seine Tasse ab. Dabei verschüttete er etwas von der Flüssigkeit auf dem Glas. Watari holte schnell einen Lappen und machte sich ans Aufwischen, während er jedoch sorgfältig das Gespräch belauschte.

„Das wirst du nicht tun.“

„Ach, und warum nicht, wenn ich fragen darf?“

„Weil es zu gefährlich ist. Jeder, der gegen ihn agiert, muss um sein Leben fürchten. War deine Mutter kein abschreckendes Beispiel dafür? Ich habe dir bereits zuviel erzählt.“

Wütend schlug Cherry mit der Faust auf den Tisch, so dass es klirrte. Watari zuckte zusammen, L blieb jedoch vollkommen gelassen sitzen. Bei ihm schienen sämtliche Gefühlsregungen abzuprallen wie an einer Wand.

„Du ermittelst gegen ihn und fürchtest mehr um dein Leben als jeder andere! Du bist ihm ebenbürtig, dass weiß ich. Und dass es gefährlich ist, weiß ich selbst, dass musst du mir nicht extra sagen. Aber jeder riskiert sein Leben; der eine mehr, der andere weniger. Und ich will nicht untätig herumsitzen, während weitere Menschen, die ich vielleicht liebe, sterben!“

„Du willst Rache nehmen. Ein völlig sinnloses und zudem noch riskantes Unterfangen“, warf L ihr vor. „Rache ist ein Gefühl, was hier mehr als unangebracht ist.“

„Sie war meine Mutter!“, schrie Cherry. Mittlerweile war sie laut geworden. L schien sie einfach nicht zu verstehen und wollte es scheinbar auch gar nicht. „Ist es da etwa verwunderlich, dass ich so denke?! Was würdest du denn tun, wenn er deine Mutter ermordet hätte?“

Instinktiv spürte Cherry, dass sie nun zu weit gegangen war. L wurde plötzlich gefährlich ruhig, noch ruhiger als zuvor. Wataris Kopf schnellte nach oben und er fixierte Cherry mit einem tadelnden Blick.

„Ich würde ihr vermutlich keine einzige Träne hinterher weinen.“ Geschockt starrte sie ihn an. Seine Miene war vollkommen ausdruckslos, nur seine rechte Hand war zur Faust geballt. Doch als er merkte, dass Cherry sie anstarrte, löste er sie schnell.

„Es... es tut mir... Leid“, verlegen stotterte sie herum. Die Worte schien so nichtssagend, sie schienen den Schmerz und die Wut, die in Ls Geste gelegen hatte, nicht annähernd zu lindern.

L antwortete nicht, stattdessen nahm er wieder den Laptop an sich.

„Wenn wir zusammenarbeiten, möchte ich dich bitten, dein Temperament in Zukunft zu zügeln.“ Er sah sie nicht an, während er sprach. „Es könnte dich in einige unangenehme Situationen bringen, was ich, wenn möglich, gerne vermeiden will. Ansonsten heiße ich während der Ermittlungen im KIRA-Fall Rue Ryuzaki.“

Damit verstummte er.

Cherry stand wie gelähmt da und wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Hatte er gerade tatsächlich zugestimmt, dass sie mit ihm an dem Fall arbeitete? Sie konnte es kaum fassen. Aber ihr Herz hüpfte wie wild. Er hatte es ihr wirklich erlaubt! Sie wusste gar nicht, wohin mit all der Freude. Endlich konnte sie etwas tun, musste nicht länger die passive Beobachterin spielen!

Watari räusperte sich. Cherry drehte sich zu ihm um. „Meine Liebe, wenn es Ihnen nichts ausmacht, werde ich Ihnen nun zeigen, wo Sie schlafen können und ihr Gepäck unterbringen. Folgen Sie mir bitte.“ Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und Cherry folgte ihm. Sie warf einen letzten Blick auf L.

Zu ihrer Überraschung blickte er ihr ebenfalls hinterher. Innerlich hoffte er, nicht soeben die falsche Entscheidung getroffen zu haben.
 

Real
 

You told me once

You told me twice

That the change is here

But

Tell me one more time

That it’s real
 

I told you once

I told you twice

That I’m alive

But

Tell you one more time

That it’s real
 

Real

Is just a word

Real

Is like the hope in our hearts

Real

Is something in which I doubt hard

Real

Is more than a situation

R-E-A-L
 

You told me once

You told me twice

That nothing is finally

But

Tell me one more time

That it’s real
 

I told you once

I told you twice

That you’re safe

But

Tell you one more time

That it’s real
 

Real

Is just a word

Real

Is like the hope in our hearts

Real

Is something in which I doubt hard

Real

Is more than a situation

R-E-A-L
 

What is real?

Is it real when you feel it?
 

Real

Is just a word

Real

Is like the hope in our hearts

Real

Is something in which I doubt hard

Real

Is more than a situation

R-E-A-L

R-E-A-L

Naomi

III.

Naomi
 

I rise like a phoenix from the ashes

Feel like just born

I’m back and somebody needs me

Standing at the beginning

Looking straight on

I just live my life

Turn my sun on my own

And when I fall down just stand up again

No fear to lose myself again

I rise like a phoenix from the ashes
 

Es war die Stimme von Watari, die das Mädchen weckte. Sie befand sich noch tief in einem undurchdringlichen und traumlosen Schlaf, der sie mit jeder Sekunde erholte, die sie in ihm zubrachte. Umso ärgerlicher war es, als sie auf einmal die Stimme hörte und davon aufwachte. Aber ihre Augen behielt sie geschlossen.

„Miss Cherry.“ Watari war vollkommen ruhig und höflich, vermutlich hatte er sogar angeklopft, bevor er ihr Zimmer betreten hatte. Dennoch war Cherry genervt. Warum störte man sie und ließ sie nicht einfach weiterschlafen? Grummelnd wälzte sie sich auf die andere Seite. Dabei zog sie ihre gemütliche, weiche Bettdecke bis über ihren Kopf. Das Einzige, was Watari jetzt noch sehen konnte, waren ihre lockigen Haare. Der Rest wurde von der himmelblauen Decke vollständig verdeckt.

Der grauhaarige Mann trat ein. Sein Blick schweifte durch den Raum. Auf dem Boden lagen die Kleidungstücke des Mädchens verstreut, kreuz und quer durch den Raum geworfen. Darunter befanden sich nicht nur die, die sie am Tag zuvor getragen hatte; einige Stücke waren scheinbar aus der Reisetasche entnommen worden und einfach, nachdem man sie nicht gebraucht hatte, liegengelassen worden. Zwischen T-Shirts, Röcken und Kleidern lagen zudem drei Paar Schuhe, einige Schals und Handschuhe in auffälligen Farben, sowie Ketten und Ohrringe. Watari seufzte lautlos. Dann begann er damit, sich zum Bett voranzubewegen.

Cherry schlief, der kleine Zwischenfall schien sie nicht sonderlich beeindruckt zu haben. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig, während sie auf der Seite lag und die Knie bis zur Brust angezogen hatte. Watari musterte sie. Ein kleines Lächeln spielte um seine Lippen, als der alte Mann sie betrachtete.

Vorsichtig zog er die Decke herunter, bis zu ihrem Hals. Dann stopfte er sie sorgfältig um das Mädchen herum. Er beschloss, sie noch eine Weile schlafen zulassen, denn scheinbar hatte sie davon in den letzten Tagen nur allzu wenig erhalten. Da war es nur recht und billig, es ihr zu gewähren. Der junge Herr würde ihre Hilfe ohnehin nicht allzu häufig benötigen oder annehmen.

Watari verließ das Zimmer, wobei er die Tür leise hinter sich zu zog.

„Watari!“ Ryuzaki rief nach ihm. Watari vergewisserte sich ein letztes Mal, dass die Schlafzimmertür vollständig geschlossen war; erst dann ging er zu dem jungen Detektiv.
 

Helles Licht flutete ins zuvor so sorgfältig abgedunkelte Zimmer. Bevor Cherry noch irgendetwas tun oder sich nur wundern konnte über die Helligkeit, wurde ihr die Bettdecke entrissen. Sie spürte den kühlen Windzug, scheinbar war das Fenster geöffnet worden. Sie begann zu zittern.

Sie war immer noch müde, aber vor allem wütend. Gerade hatte sie vollkommen erholsam geschlafen und nichts Böses geahnt, in der nächsten Sekunde wurde sie brutal aus dem Schlaf gerissen. Und Cherry war sich sicher, dass derjenige, der das zu verschulden hatte, eine weite Reise machen würde. Wütend richtete sie sich auf, bereit, eine Schimpftirade loszulassen.

Da sah sie L. Er stand direkt vor ihrem Einzelbett mit dem weißen Laken, und hielt ihre Bettdecke in der Hand. Besser gesagt, in den Fingerspitzen – es schien beinah so, als ekle ihn das Stück Stoff an und er wollte es nur so weit berühren als nötig. Seine Miene war ausdruckslos wie immer, und er trug genau dieselben Kleidungsstücke wie am Tag zuvor. Weißes Sweatshirt, eine viel zu große dunkelblaue Jeans und keine Socken oder Schuhe. Die Haare waren verwuschelt, als wäre er gerade eben erst aufgestanden. Aber seine Augenringe ließen diesen Gedanken schnell wieder in der Versenkung versinken.

Cherry starrte ihn an, unfähig, etwas zu sagen. Sie war immer noch im Halbschlaf und kaum in der Lage, irgendeinen vernünftigen Gedanken zu fassen. L schien scheinbar auch nicht vorzuhaben, ihr etwas zu sagen, denn er starrte sie einfach nur an. Seine Augen glitten über ihr Gesicht und dann tiefer, über ihren Körper. Seine riesigen Pandaaugen weiteten sich leicht. Verwundert runzelte Cherry die Stirn und sah erst jetzt an sich herunter.

Und schrie.

„Du Perverser! Du ekliger Spanner! Gib mir sofort die Decke!“

Mit einem Hechtsprung war sie am Ende des Bettes, riss dem verdutzten L die Bettdecke aus der Hand und hielt sie schützend vor ihren Körper. Am Abend zuvor hatte sie sich, nur mit Unterwäsche bekleidet, ins Bett gelegt. In Anbetracht dessen, dass sie keinen Schlafanzug oder ein Nachthemd im Gepäck hatte, war dies die beste Entscheidung gewesen. Scheinbar. Heute rächte sich dieser Gedanke.

Wütend blitzte sie den jungen Mann an. „Was, glaubst du, tust du in meinem Schlafzimmer?“ Sie kochte regelrecht, am liebsten hätte sie ihm etwas an den Kopf geworfen.

L blickte sie gleichgültig an und schien zu überlegen, ob er ihr eine Antwort geben sollte. Scheinbar schien er es in Betracht zuziehen, denn er meinte: „Watari hatte versucht, dich vor zwei Stunden zu wecken. Nun bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es Zeit wird, dass du aufstehst.“

„Und das hast du einfach so beschlossen? Ohne dir vielleicht vorher mal zu überlegen, dass man niemals, und zwar wirklich niemals, unaufgefordert in das Schlafzimmer einer Frau rein platzt? Verdammt, was bist du für ein Perversling?!“

Cherry war wirklich ausgesprochen angepisst, was sie den Detektiv auch spüren ließ. Den schien es aber kaltzulassen, was diese von ihm hielt. Er begann, an seinem Daumen zu nagen. Cherry verdrehte die Augen und erst jetzt entdeckte sie Watari. Der alte Mann stand ebenfalls in ihrem Zimmer und sammelte gerade ihre Kleidung vom Fußboden auf. Diese hatte das Mädchen am Abend zuvor aus ihrer Tasche geräumt, aber da sie bald keine Lust mehr hatte, sie ordentlich in den Schrank zu räumen, hatte sie sie liegenlassen und das Aufräumen auf den nächsten Tag verschoben. Nun lagen sie immer noch auf dem dunkelblauen Teppichboden, der sich so angenehm weich und flauschig unter ihren nackten Füßen anfühlte. Ebenso wie ihr Schmuck, ihre Accessoires, ihre Kosmetikartikel und ihre Schuhe.

Verblüfft beobachtete das Mädchen, wie Watari ihre Sachen auflas, sie einmal kurz ausschüttelte, ordentlich faltete und dann auf den weißen Ohrensessel legte. Ihre Schuhe stapelte er vor ihrem Bett säuberlich auf. Tatsächlich brauchte sie einige Minuten, bis sie begriff, dass er ihre Sachen wegräumte und Ordnung schaffte. Als ihr Blick zu dem kleinen Beistelltischen mit der Glasoberfläche glitt, sah sie die Fläschchen und Döschen, die dort in Reih und Glied standen, nur darauf wartend, dass sie ins Badezimmer geräumt wurden.

„Watari, dass müssen Sie nicht machen! Ich werde selbst aufräumen – sobald ich mich angezogen und diesen Panda aus meinem Zimmer geschafft habe“, fügte sie hinzu, mit einem kurzen Seitenblick zu L hin. Der knabberte weiterhin an seinem Nagel, beobachtete die Situation jedoch aufmerksam.

Watari richtete sich auf, in der Hand eines ihrer Lieblingskleider. Es war ein Sommerkleid mit sehr dünnem, flatterhaften Stoff, welches von schmalen Spagettiträgern gehalten wurde. Die Farben waren ein Schneeweiß, mit schwarzen Blumenmotiven und Ranken, direkt unter der Brust wurde es mit einem breiten Gürtel in Pechschwarz gehalten. Der Mann hielt es mit beiden Händen hoch und betrachtete es lange. Dann reichte er es Cherry, die es verblüfft annahm. „Ähm, danke schön, Watari“, stammelte sie.

Watari verbeugte sich kurz, bevor er sich wieder dem Chaos zu wandte. „Ein sehr schönes Kleid, Miss. Es zeugt von einem hervorragenden Geschmack in Sachen Stil und Design. Nichts anderes hätte ich von Ihnen erwartet.“

Dieses Kompliment kam mehr als überraschend für die blonde Sängerin. Weshalb sie nicht so recht wusste, wie sie nun reagieren sollte. „Danke?“, versuchte sie es schließlich und erntete ein beiläufiges Nicken von dem alten Mann. Cherry beschloss, ihren anfänglichen Satz erneut zu wiederholen. „Watari, Sie müssen wirklich nicht aufräumen. Schließlich ist das nicht Ihre Aufgabe...“

„Nun, Miss, aber die Ihre ist es noch viel weniger. Zudem habe ich momentan sehr viel Zeit, da Ryuzaki meine Dienste kaum in Anspruch nimmt.“

„Aber trotzdem... Ich meine... Bestimmt hat das Hotel einen Zimmerservice, den ich damit beauftragen kann, dieses...“, sie suchte nach dem richtigen Wort, das nicht allzu schlimm klang. „... dieses Tohuwabohu zu beseitigen. Dafür werden Sie nicht bezahlt.“

Watari lächelte, wobei sich seine unzähligen Falten zeigten. Doch es war L, der ihr antwortete.

„Wir nehmen den Zimmerservice nie an, weder in diesem Hotel, noch in einem anderen. Deshalb wirst du Wataris Hilfe entweder annehmen oder ausschlagen. Wobei ich dir zu Ersterem rate. Dieses Chaos wirst du allein nicht in den Griff bekommen, zumal man ja sieht, was ansonsten dabei herauskommt.“ Und damit wandte er sich ab, um das Zimmer zu verlassen. Cherry starrte ihm zornig hinterher. Sie hasste seine spitzen Seitenhiebe, die er scheinbar mit Freuden an sie verteilte, beiläufig, als handle es sich dabei um nichtssagende Bemerkungen. Ja, der Detektiv wurde ihr zunehmend unsympathischer.

Vielleicht sollte sie überlegen, wie sie ihm am unauffälligsten und dennoch schmerzvoll loswurde. Ihr fielen sehr viele Methoden ein. Ertränken, vierteilen, ersticken, erdolchen, erwürgen, erschießen, verbrennen, mit Säure verätzen, vergiften, nach langer Folter verbluten lassen oder...

„Miss Cherry?“, Wataris freundliche Stimme riss sie aus ihren Mordgedanken. Sie riss sich von ihren dunklen Gedanken los. Erst einmal.

„Ja?“

„Ich habe ihr Badezimmer aufgeräumt und ihre Utensilien dort untergebracht. Was möchten Sie zu dem Kleid tragen? Schmuck, Schuhe, Schal, Handschuhe?“

„Watari, hatte ich Ihnen nicht gerade erst gesagt, dass Sie das Aufräumen ruhig mir überlassen können?“ Watari lächelte und Cherry beließ es bei einem Seufzen. Scheinbar brachte alles gute Zureden nichts, um ihn von seinem Vorhaben abzuhalten. Es sollte ihr gleichgültig sein, schließlich musste sie sich so nicht mit dem Ordnung-halten ab ärgern.

Sie schwang ihre Beine aus dem Bett und stand auf, sorgsam darauf bedacht, die Decke vor ihrem Körper zuhalten. Mit leicht schief gelegtem Kopf musterte sie die Schuhe. Watari hatte sie ordentlich und in einer Reihe vor ihrem Bett aufgebaut. Nach einer gründlichen Musterung wollte sie nach den weißen Ballerinas greifen, doch noch bevor sie sich bücken konnte, hatte Watari sie ihr schon in die Hand gedrückt. Sie lächelte ihm dankend zu.

Im Bad hatte Watari tatsächlich alle Kosmetikartikel eingeräumt, inklusive Mascara und Gesichtscreme. Cherry schlüpfte aus der Unterwäsche und stellte sich für zehn Minuten unter die Dusche. Danach fühlte sie sich erfrischt und vor allem wach. Nun konnte sie dem Detektiv gegenübertreten, ohne die Befürchtung zu haben, wie nach einer durchzechten Nacht auszusehen.

Sie trug nur das nötigste Make-up auf, schlüpfte in ihre Schuhe und dann in das Kleid. Zärtlich fuhr sie über den samtweichen Stoff, der sich so ungemein angenehm tragen ließ. Das Kleid weckte viele Erinnerungen an ihre Mutter, denn sie hatte es für ihre Tochter ausgesucht. Cherry trug es immer, wenn sie keine andere Möglichkeit hatte, näher bei ihrer Mutter zu sein. Beispielsweise, wenn sie im Ausland einen Auftritt hatte, ein Fotoshooting oder eine Aufnahme.

Oder wenn ihre Mutter tot war.

Eigentlich hatte Cherry geglaubt, dass es heute besser zu ertragen sein würde. Nun wusste sie, dass ihre Mutter sie nicht freiwillig verlassen und sie nicht im Stich gelassen hatte. Es war nicht ihre Schuld. Es war allein die Schuld von KIRA, dem Massenmörder. Dennoch war da weder Wut noch Ehrgeiz. Das Einzige, was Cherry spürte, war tiefe Trauer. Sie überflutete sie regelrecht, zwang sie in die Knie und zeigte ihr, dass sie nicht einfach über Nacht verschwunden war, wie Cherry es insgeheim gehofft hatte. Stattdessen erschien sie dem Mädchen nun nur noch stärker und intensiver.

Cherry spürte, wie die Tränen über ihre Wangen liefen. Ärgerlich schniefte sie und wischte sie weg. Sie durfte nicht weinen. Nicht jetzt, und nicht hier. Sie musste L beweisen, dass sie es wert war, mit ihm zu arbeiten und durfte nicht bei jeder verdammten Kleinigkeit losheulen. Er war so schon unfreundlich genug zu ihr. Da durfte sie ihm nicht noch Berechtigung für weitere Unfreundlichkeiten liefern, wie das Weinen und Trauern.

Cherry blickte in den Spiegel. Das Mädchen im Spiegel hatte grüne Augen und lockige, blonde Haare. Sie lächelte nicht, sondern war blass und müde, trotz des vielen Schlafes. Vorsichtig versuchte sie, ein Lächeln auf ihre Lippen zu bringen. Es fiel recht ungläubig aus. Cherry seufzte. Dann musste sie eben das mürrische Mädchen spielen.

Was ihr in der Gesellschaft von L vermutlich nicht sonderlich schwerfallen würde.
 

Als Cherry das Wohnzimmer betrat, war sie überrascht. Sie hatte damit gerechnet, L und eventuell noch Watari anzutreffen. Aber in den vielen Sitzmöglichkeiten saßen fünf Männer unterschiedlicher Altersgruppen, alle in Anzügen mit Krawatten.

Verwundert verharrte Cherry auf der Schwelle, unfähig, sich zu rühren. Erst, als L sie zu sich rief, bewegte sie sich. „Cherry. Komm her, ich möchte dir die Ermittler der japanischen Sondereinheit vorstellen.“

Cherry schluckte, doch brav folgte sie der Anweisung von L. Den sie eigentlich gar nicht mehr so nennen durfte, aber sie tat es trotzdem. Als letzten Akt der Rebellion. Sie betrat den Raum, zögerte jedoch, weil sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. Doch L, beziehungsweise Ryuzaki, half ihr.

„Cherry, dies hier ist Soichiro Yagami, der Leiter der Sondereinheit.“ Der Mann, der nun von seinem Sessel aufstand, war älter, Cherry schätzte ihn auf Anfang Fünfzig. Er trug eine Brille, hinter der sich kluge Augen spiegelten und seine schwarzen Haare wurden von einigen grauen Strähnen durchbrochen. Er reichte ihr freundlich die Hand, während er sie auf Japanisch begrüßte. Cherry murmelte ebenfalls eine Begrüßung, jedoch keinesfalls in perfektem Japanisch. Es klang eher wie sinnloses Gelaber.

„Dieser Mann hier ist Shuichi Aizawa.“ Der Mann mit dem schwarzen Afrolook erhob sich ebenfalls, um ihr die Hand zu geben. Jedoch verzichtete er auf eine Begrüßung, was der Blondine nur Recht war. Ihr Japanisch war einfach zu schlecht.

„Kanzo Mogi, ebenfalls Teil der Sondereinheit.“ Der Mann in den mittleren Jahren wirkte sehr ernst und streng, sein Händedruck war fest. Instinktiv hoffte Cherry, dass er ihre schwitzenden Hände nicht bemerkte oder einfach ignorierte.

Der nächste Mann, der sie begrüßte, war ein gutes Stück kleiner als Cherry, und seine Ohren standen waghalsig vom Kopf ab. Doch sein Lächeln war offen und freundlich. Sie erwiderte es. Ryuzaki gab dem sympathischen Kerl einen Namen. „Hirokazu Ukita.“

Der Letzte der Männer war jung, blutjung, wie Cherry erstaunt feststellte. Er trug seine glatten, schwarzen Haare brav und gekämmt, aber dennoch modisch geschnitten. Sein Anzug saß tadellos, und dennoch entdeckte Cherry bei näherem Betrachten, dass seine Krawatte ein wenig schief gebunden war. Es machte ihn verwegen. Seine dunklen Augen leuchteten regelrecht auf, als sie ihm die Hand gab. Er begrüßte sie fröhlich, doch gerade, als Cherry dachte, sie hätte alles überstanden, plapperte er auf sie ein.

Cherry starrte ihn an. Sie verstand kein einziges Wort von dem, was der Mann zu ihr sagte. Verzweifelt versuchte sie, wenigstens bekannte Wörter irgendwie in Zusammenhang zu bringen, aber sie scheiterte kläglich. Jetzt war der Kerl verstummt. Aufmerksam musterte er sie und wartete scheinbar auf eine Antwort.

„Ähhhh...“, Cherry wusste nicht, wie sie sich nun verhalten sollte. Sie konnte natürlich das Japanisch ignorieren und in Englisch sprechen. Aber erstens war das mehr als unhöflich und zweitens wusste sie nicht, ob die Männer Englisch verstanden. Oder überhaupt sprachen. Verzweifelt blickte sie zu Ryuzaki.

Der übersetzte. „Matsuda hat gefragt, ob du jetzt ebenfalls bei den Ermittlungen hilfst.“ Als er Cherrys verwirrten Blick bemerkte, fügte er hinzu: „Tota Matsuda. Der Mann, der dich gerade angesprochen hat.“

„Entschuldige, aber du weißt doch, dass ich kein Japanisch verstehe! Oder überhaupt spreche.“

„Dann sag es ihnen.“ Für den Detektiv war die Sache damit erledigt, für Cherry hingegen nicht. Etwas widerwillig sah sie ihn an, der nur die Augenbrauen hob. Sie seufzte und gab sich geschlagen. Wenn man sie als unhöflich bezeichnen würde, war dieser Detektiv Schuld.

Cherry schenkte Matsuda ein entschuldigendes Lächeln. „Entschuldigen Sie, meine Herren, aber ich spreche leider kein Japanisch, noch verstehe ich es. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich die Unterhaltung gern auf Englisch weiterführen.“

Einer der Männer, es war Aizawa, lachte. Scheinbar war das peinlich berührte Gesicht des Mädchens einfach nur zum Lachen. Cherry bemühte sich, nicht allzu beleidigt auszusehen.

Matsuda lächelte. „Sie kommen mir bekannt vor, Miss.“

„Das ist durchaus möglich.“ Ryuzaki ließ Zuckerwürfel in seinen Kaffee fallen. „Miss Cherry ist in den Staaten recht bekannt und erfreut sich einiger Berühmtheit. Sie wird uns, aber zum Hauptteil mich im KIRA-Fall unterstützen.“

Besser hätte er die Bombe nicht platzen lassen können.

Während Cherry einfach nur hilflos im Raum stand, zog Matsuda scharf die Luft ein. Über sein Gesicht huschte Erkenntnis und seine Augen weiteten sich. Die anderen Ermittler sahen ihn einfach nur verwundert an. Matsuda deutete mit dem Zeigefinger auf das Mädchen.

„Sie sind Cherry!“, seine Stimme zitterte regelrecht vor lauter Ehrfurcht. „Sie sind die berühmteste Sängerin der USA! Mit vier Top-Ten Alben, und insgesamt zehn Singles, die innerhalb weniger Tage Platz Eins in den USA erreichten! Mein Gott, Sie hier! Das ist unglaublich!“ Matsuda kriegte sich gar nicht mehr ein. Immer mehr Informationen spuckte er aus und konnte seine Begeisterung gar nicht bremsen. Cherry hingegen war es einfach nur peinlich. Normalerweise interessierte sie sich nicht für solche Fans. Sie waren stets in ihrem Leben, reisten ihr hinterher und schickten ihr massenweise Liebesbriefe, aber nie hatte sie sie persönlich getroffen. Sie kannte den allgemeinen Hype um ihre Persönlichkeit, um ihre Musik und auch um ihr Privatleben, schließlich lebte sie nun seit vier Jahren damit. Mittlerweile hatte sie gelernt, ihren Beruf anzunehmen, mit allen Höhen und Tiefen.

Warum also war ihr das Ganze jetzt peinlich?

Cherry zog unwillkürlich die Schultern hoch, als sie die Blicke spürte. Es war ihr unangenehm, so gemustert zu werden. Sie hätte Ryuzaki davon abhalten sollen.

Ryuzaki.

Woher wusste er, wer sie war? Gestern Abend hatte sie nichts, aber auch nichts von ihrem Beruf erzählt oder ihn auch nur erwähnt. Sie zweifelte sogar, ihm ihren Namen genannt zu haben. Denn das tat sie nicht, nicht bei Fremden. Nicht in dieser Situation.

Woher also kannte er ihre Identität?

Doch noch bevor sie ihn dazu befragen konnte, unterbrach Yagami Matsudas begeisterte Ausführungen. „Schluss jetzt, Matsuda. Wir sind schließlich nicht hier, um einen Fanclub für Miss Cherry ins Leben zu rufen.“

Matsuda schloss ruckartig seinen Mund, während Ukita leise lachte. Er verstummte jedoch ebenfalls, als der Leiter der Sondereinheit ihm einen scharfen Blick zuwarf. Dann wandte er sich Ryuzaki zu, der, vollkommen unbeeindruckt von dem Trubel, in seiner Kaffeetasse rührte. „Ryuzaki, wir haben etwas Neues im Fall der FBI-Agenten herausgefunden.“ Cherry, die sich gerade auf der Couch neben Aizawa fallen gelassen hatte, horchte auf. Man sprach von den Agenten. Zu denen auch ihre Mutter zählte. Gezählt hatte.

Der junge Mann gab keine Antwort, also sprach Yagami weiter. „Wir haben die Verlobte von einem der zwölf Agenten ausgemacht, Raye Penber. Ihr Name lautete Naomi Misora. Sie lebte hier in Japan, und gehörte früher ebenfalls zum FBI, war eine der Besten.“

Yagami sprach einige Einzelheiten an, während Watari den Laptop auf den Tisch vor Ryuzaki stellte. Darauf erschien das Bild einer hübschen Frau mit langen glatten, pechschwarzen Haaren. Ihre dunklen Augen wirkten klug und aufgeschlossen, sie sprühten selbst auf diesem unbeweglichen Foto vor lauter Tatendrang. Sie trug komplett Schwarz, selbst ihre Lederjacke war schwarz. Aber das Lächeln war fröhlich und jung.

„Cherry?“, Ryuzakis Stimme riss Cherry von dem Bild los. Sie blickte ihn an. Er sah angestrengt auf das Foto, hatte dabei sogar leicht die Stirn gerunzelt. So hatte das Mädchen ihn bisher noch nicht gesehen. Es schien, als ob er versuchte, sich an etwas zu erinnern. „Kommt dir diese Frau bekannt vor?“

Wieder sah sie auf das Bild auf dem Laptop. Irgendwoher kannte sie diese Naomi, aber sie konnte sich nicht erinnern, woher. Unglücklich schüttelte sie den Kopf. „Nein, jedenfalls fällt mir einfach nicht ein, woher.“

Yagami räusperte sich. „Naomi Misora wurde berühmt, als sie 2002 den BB-Mörder von Los Angeles festnahm. Danach hatte sie eine steile Karriere vor sich. Sie gilt als eine der besten FBI-Agenten der letzten zwanzig Jahre.“

„Warum ist sie dann ausgestiegen?“, fragte Cherry.

„Wegen dem Antrag von Raye Penber. Sie hatten vor, dieses Jahr zu heiraten und sie hat für ihn das FBI verlassen, wo sie sich übrigens auch kennenlernten. Penber und sie waren verlobt.“

Cherry nickte. Sie musste ihn wirklich geliebt haben, wenn sie für ihn ihren Job beim FBI aufgegeben hatte. Gerade, wo sie eine Karriere vor sich hatte, die scheinbar nicht so schnell hätte abreißen können.

Trotzdem erklärte das immer noch nicht, warum ihr diese Frau so bekannt vorkam. Aber sie kannte sie von irgendwoher. Bloß fiel ihr nicht ein, woher. Vielleicht hatte es etwas mit dem Beruf ihrer Mutter zu tun gehabt, warum sie sie kannte oder zumindest fest davon ausging, sie zu kennen.

Während Cherry angestrengt am Überlegen war, blickte Ryuzaki vom Bildschirm auf. Seine Augen funkelten leicht im Licht der Deckenbeleuchtung. Watari räumte gerade die Tasse ab, von der der junge Mann gerade einmal ein paar müde Schlucke genommen hatte. Doch der Schwarzhaarige interessierte sich nicht dafür. „Ich erinnere mich“, sagte er ruhig. „Ich hatte mit ihr damals im BB-Fall zu tun. Sie war eine ausgezeichnete Agentin.“

Verblüfft blickten ihn Cherry und die Ermittler an. Bis ihnen einfiel, dass es sie nicht wundern sollte. Ryuzaki war der beste Detektiv der Welt – natürlich hatte er bereits mit einigen Agenten zu tun gehabt, auch mit Naomi Misora. Sie senkten wieder die Blicke, bis auf Matsuda, der scheinbar total beeindruckt war von all den Berühmtheiten um ihn herum.

Aizawa, der sich gerade bei Watari für einen neuen Kaffee bedankte, warf seinem Vorgesetzten einen Blick zu. Cherry bemerkte es und runzelte die Stirn. „Sie haben uns noch nicht alles erzählt.“ Es war keine Frage. Nun wurde sie verblüfft gemustert. Selbst Ryuzakis Aufmerksamkeit hatte sie nun.

Yagami nickte und nahm einen Schluck Kaffee. „Naomi Misora ist seit gestern Mittag spurlos verschwunden.“

Ryuzaki richtete sich ruckartig auf, auch Cherry spannte ihre Muskeln an. „Irgendwelche Abschiedsbriefe oder Ähnliches?“

„Nein, nichts, weder Brief noch öffentliche Aussagen zu Freunden oder Familie. Ihre Spur verliert sich direkt nach dem Tod von Raye Penber.“

Cherry überlegte. Raye und Naomi waren verlobt gewesen und Raye hatte sich in Japan aufgehalten, um verdächtige Personen zu beschatten. Das hatte Ryuzaki ihr bereits gestern Abend erzählt. Vielleicht hatte er etwas Verdächtiges beobachtete, und es dann, weil er sich nicht sicher war oder es für zu unwichtig hielt, um es zu berichten, seiner Verlobten erzählt. Weshalb es dann zuerst Raye erwischt hatte und dann Naomi.

Das Problem war nur...

Cherry teilte ihre Überlegungen mit Ryuzaki und den Ermittlern. „Was wäre, wenn Raye etwas beobachtet hat? Irgendetwas, was von der normalen Beschattung abwich?“

Matsuda, der gerade einen Blick auf Ryuzakis Laptop geworfen hatte, schaute auf. Er sah zwischen seinen Kollegen und dem Detektiv und Cherry hin und her. Wie bei einem Tennisspiel. „Aber hätte er das nicht Ryuzaki mitgeteilt? Oder seinem Vorgesetzten?“ Er blickte fragend in die Runde. „Wer war eigentlich sein Vorgesetzter?“

„Ich, jedenfalls im KIRA-Fall“, erwiderte der junge Detektiv. „Aber Sie haben Recht, Matsuda. Raye hatte strikte Anweisungen, alles Verdächtige umgehend mitzuteilen.“Damit schien das Thema für ihn abgehakt. Aber Cherry wusste instinktiv, dass sie richtig lag. Sie spürte es, und ihr Bauchgefühl hatte bisher noch nie gelogen.

„Aber was, wenn es ihm so unwichtig und banal erschien, dass er es nicht mitteilte?“, beharrte sie. „Und wenn er es stattdessen Naomi mitteilte, weil er ihr vertrauen konnte? Und irgendwo musste er ja mit seinen Erlebnissen abschließen. Und er hat ihr blind vertraut, schließlich waren sie verlobt. Vielleicht hat Naomi sogar etwas darin gesehen, was ihr Verlobter nicht sah.“ Sie merkte, dass die Ermittler nachdachten. Das Mädchen wandte sich zu Ryuzaki, der an seinem Daumennagel knabberte. „Es kann möglich sein, Ryuzaki!“

Dieser überlegte. Als er endlich mit dem Nagel kauen aufhörte, waren fünf Minuten vergangen. Mittlerweile war sich Cherry sicher, dass es so sein musste. Und nun schien auch Ryuzaki zu diesem Schluss gekommen zu sein.

Er rutschte auf seinem Sessel hin und her, um eine bequemere Position zu finden. Obwohl das Mädchen sich fragte, ob das in seiner merkwürdigen Sitzhaltung überhaupt möglich war.

„Erinnerst du dich, was ich gestern über deine Mutter sagte?“, er wandte sich nun direkt an Cherry. „Dass sie für einen Tag Raye Penber ersetzte?“ Cherry nickte. „Vielleicht hat auch deine Mutter etwas beobachtet, was auf deine Vermutungen zutreffen könnte. Dann hat sie es Penber erzählt, der es nicht ernst genommen hat und der wiederum hat es Naomi, seiner Verlobten, erzählt.“

Die anderen Ermittler schalteten sich in das Gespräch ein; vermutlich fragten sie sich, was ihre Mutter mit alldem zu tun hatte. Cherry hörte am Rand, wie aufgeregte Satzfetzen durch den Raum hallten und Watari Kaffee nachfüllte. Aber sie war nicht in der Lage, dem Gespräch aufmerksam zu lauschen. Denn endlich fiel ihr ein, woher sie Naomi Misora kannte. Als Ryuzaki ihre Mutter im Zusammenhang mit Raye Penber erwähnte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

„Ryuzaki!“ Cherrys Stimme klang so aufgeregt und drängend, dass alle anderen Gespräche augenblicklich verstummten. Alle Köpfe wandten sich ihr zu. Doch Cherry achtete nicht darauf. Stattdessen kniete sie sich vor den Laptop und rief das Bild von Raye auf. Ihre Vermutung wurde bestätigt.

„Cherry? Was ist?“, Ryuzakis Stimme gelang nur dumpf zu ihr durch. So gefesselt war sie von der plötzlichen Erinnerung. Sie sah nicht auf, als sie antwortete.

„Sie waren bei uns. Raye Penber und Naomi Misora. Zwei Tage, bevor meine Mutter mit ihnen zusammen nach Tokio aufbrach. Um deinen Auftrag anzunehmen.“ Sie stockte kurz, doch Ryuzaki gab ihr Zeit und drängte nicht. Nach einer Pause sprach sie weiter. „Als ich zwei Tage später mit ihr telefonierte, erwähnte sie etwas. Dass Raye heute nicht gekonnt hätte und sie für ihn eingesprungen sei. Dabei sei ihr etwas Merkwürdiges passiert, eine Busentführung. Dabei jedoch sei der Entführer vollkommen durchgedreht, faselte etwas von „Dämonen“ und schoss auf etwas, was gar nicht da war. Als er dann aus dem Bus sprang, wurde er von einem Auto überfahren.“ Sie blickte zu Ryuzaki auf, der sie ernst anblickte. „Ich habe dem Ganzen keinerlei Bedeutung beigemessen, meine Mum auch nicht. Aber... was ist, wenn das das Seltsame und doch so Banale war? Der Punkt, wonach wir gesucht haben?“

Ryuzaki sah sie ernst an.

„Dann kann es sein, dass das der Grund ist, warum sie und die anderen Agenten sterben mussten. Weil sie KIRA in die Quere kamen.“
 

Phoenix
 

For a long time I couldn’t speak

Suddenly I see the sun rising

I wake up and stand up

Laugh into the new day

When I run out of the streets there stand people

But nobody take care about me

It doesn’t matter
 

I rise like a phoenix from the ashes

Feel like just born

I’m back and somebody needs me

Standing at the beginning

Looking straight on

I just live my life

Turn my sun on my own

And when I fall down just stand up again

No fear to lose myself again

I rise like a phoenix from the ashes
 

They leave me

I forget them

Just close the door like it was never open

Look into the mirror

Inflammable, again and again

They can hate me when they like it
 

I rise like a phoenix from the ashes

Feel like just born

I’m back and somebody needs me

Standing at the beginning

Looking straight on

I just live my life

Turn my sun on my own

And when I fall down just stand up again

No fear to lose myself again

I rise like a phoenix from the ashes
 

My heart began to beat

I see me clear

Run so fast I can

Look out – I’m back!
 

I rise like a phoenix from the ashes

Feel like just born

I’m back and somebody needs me

Standing at the beginning

Looking straight on

I just live my life

Turn my sun on my own

And when I fall down just stand up again

No fear to lose myself again

I rise like a phoenix from the ashes

Snow White

IV.

Snow white
 

When I was a little child

My mother tells me fairytales

From a princess in a tower

From Snow White and the gnomes

And when the storm rages at our windows

I felt safe and sound
 

Cherry sah aus dem Küchenfenster. Die Sonne ging gerade unter, das rötliche Licht tauchte alles in ein sanftes Strahlen. Selbst die so kühl wirkenden Fliesen im Raum wirkten wie feinster Marmor.

Sie beugte sich ein wenig vor und stütze ihre Hände auf dem Fensterbrett ab, um nach draußen blicken zu können. Unter ihr befand sich die Hauptstraße, doch durch die dicken Fensterscheiben drang kein Geräusch, nur ein leises Rauschen wie Meereswellen. Sah man jedoch etwas höher, konnte man in der Ferne die Umrisse von Tokios Metropole erkennen. In dem Abendlicht schimmerte der Himmel von all den Stadtlichtern.

Das Mädchen beobachtete stumm, wie die Sonne langsam hinter dem Horizont versank. In Gedanken war sie noch bei dem Gespräch vor vier Tagen. Die Sondereinheit hatte darauf bestanden, dass man von Cherrys Mutter erzählte, was sie dann auch schließlich getan hatte. Jedoch nur äußerst widerstrebend. Es war allgemeine Verblüffung aufgetaucht, dann hatten die Fragen begonnen. Cherry hatte sich bemüht, alle ausführlich zu beantworten, aber bei einigen hatte sie nur ratlos mit den Schultern zucken können. L hatte dann übernommen, aber bei manchen der Fragen hatte er nur Theorien aufstellen können. Den Ermittlern schien dies aber genügt zu haben.

Erst vor einigen Stunden waren sie dann gegangen. Cherry hatte beobachtete, wie sie respektvoll von Ryuzaki Abschied genommen hatten, was sie sehr erstaunt hatte. Sie waren erfahrene Polizisten, die meisten von ihnen sogar weitaus älter als der Detektiv selbst. Und trotzdem sahen sie ihn als ebenbürtig an, vermutlich sogar als Chef des Falls. Aber statt sich aufzuspielen, blieb er still und distanziert.

Cherry fuhr mit dem Zeigefinger sachte über das kühle Glas. Ryuzaki war ein seltsamer Mann. Sie kannte Menschen, die den Kontakt zu anderen Menschen scheuten und sich davor fürchteten, in die Gesellschaft mit einzubinden. Das Mädchen selbst hatte die Einsamkeit immer vorgezogen, denn sie mochte es nicht, von plappernden und naiven Leuten umgeben zu sein. Aber Ryuzaki schien diese Gründe nicht zu teilen. Bei ihm schien es um etwas gänzlich Anderes zu handeln.

Sie hatte bemerkt, dass er keinem einzigen Ermittler zu nahe gekommen war, weder im geistigen, noch im körperlichen Sinne. Statt sich einander die Hand zur Begrüßung zureichen, wie es üblich war, hatte er sich knapp vorgestellt. Auch beim Abschied hatte er diese Geste nicht angenommen. Zudem hatte er sorgsam darauf geachtete, stets einen gewissen Abstand zu den Ermittlern zu halten. Auch zu ihr, Cherry selbst. Als er ihr das Bild von Naomi auf seinem Laptop gezeigt hatte, hatte er sie nie berührt, sondern immer einen Meter körperlichen Abstand zwischen ihnen eingehalten. Eine Art Grenze. Doch nur er hatte diese Grenze im Blick, denn sie war keine sichtbare. Stattdessen hielt er sie mit seiner Distanziertheit aufrecht.

Cherry wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Es verwunderte sie, doch sie würde ihn nicht darauf ansprechen. Es würde nur wieder zu einer Diskussion führen, die er sowieso gewinnen würde. Er hatte einfach die besseren Argumente, so schwer es dem Mädchen auch fiel, diese Tatsache zu zugeben. Also würde sie so tun, als wäre sein Verhalten vollkommen alltäglich.

In den vergangenen Tagen hatte sie versucht, ihn etwas besser kennenzulernen, war jedoch gescheitert. Er blieb für sich, nur Watari ließ er an sich heran. Cherry hingegen hielt er auf Abstand, als fürchtete er sich regelrecht davor, was passieren würde, wenn er sie zu nahe an sich heran ließ. Nur ab und an, wenn er sich wegen des Falls an sie wandte, sprachen sie miteinander.

Ryuzaki schlief nicht, noch ging er jemals hinaus. Vor zwei Tagen hatten sie das Hotel gewechselt, doch selbst da hatte er sich nur ins wartende Auto gesetzt, das Watari vorgefahren hatte. Sonderlich viel Gepäck hatten die beiden ebenfalls nicht; nur drei Koffer und eben Cherrys Sachen, die sich jedoch ebenfalls nur als spärlich bezeichnen lassen konnten. Das neue Hotel war ebenso exklusiv wie das Vorherige, aber diesmal mit zwei Schlafzimmern. Eines hätte zwar völlig ausgereicht, da der Detektiv ja sowieso nicht schlief, aber Watari hatte darauf bestanden. Cherry war es gleichgültig.

Sie hatte das Gespräch mit ihrem Manager immer wieder aufgeschoben. Zwar hätte sie ihn schon längst informieren sollen, aber irgendwie hatte sie nie wirklich die Kraft dazu aufbringen können. Sie war müde und kraftlos. Statt an den Gesprächen der Ermittler und Ryuzaki teilzunehmen, saß sie nur tonlos in einer Ecke und sah zum Fenster hinaus. Manchmal hörte sie über ihr Handy Musik, aber mehr tat sie nicht.

Ryuzaki versuchte nicht, mit ihr zu reden. Watari hingegen tat sein Bestes, um mit Cherry in Kontakt zu treten. Sie ließ es zu, wenn auch oftmals widerwillig und oft brach sie das Gespräch nach ein paar Minuten wieder ab. Dann ging sie in ihr Zimmer, legte sich auf das Bett und starrte stundenlang die Decke an, bis es dunkel wurde. Ihr Schlaf war unruhig.

Ja, Cherry trauerte weiter um ihre Mutter. Sie wusste, dass es nichts brachte, aber dass war ihr egal. Denn sie fand keinen Draht zu Ryuzaki, obwohl sie gerne einen gefunden hätte. In all den Tagen hatte sie darüber nachgedacht und war zu dem Schluss gelangt, dass sie einander ähnlicher waren, als sie es zu Anfang vermutet hatte. Vielleicht hätte es ihren Schmerz gelindert, mit jemanden darüber zu reden, aber der Einzige, der ihr hätte zuhören können, schottet sich ab.

Also hatte Cherry es letztendlich aufgegeben.

Seufzend wandte sie sich vom Fenster ab und ging wieder hinüber zur Herdplatte. Dort kochte leise ihre Suppe vor sich hin. Etwas Besseres hatte sie in den Schränken nicht gefunden – nun ja, abgesehen von all den verschiedenen Süßigkeiten, die in den Schränken, im Kühlschrank und sogar im Tiefkühler auf den Verzehr warteten. Cherry fragte sich, ob Ryuzaki überhaupt in der Lage, solche immensen Vorräte allein zu vertilgen. Vermutlich bekam er Magenkrämpfe, gefolgt von Übelkeit und Erbrechen.

„Mir soll`s egal sein“, murmelte sie, während sie in der Suppe rührte. Die wollte einfach nicht heiß werden; sie war immer noch lauwarm, wie Cherry mit einem eingetauchten Finger feststellen musste. Fluchend leckte sie diesen ab.

„Kann ich Ihnen behilflich sein, Miss Cherry?“ Unbemerkt von Cherry hatte sich Watari in die Küche begeben. Sie stieß einen kleinen Kiekser aus. Aber schnell hatte sie sich wieder gefangen. Mit einem Lächeln drehte sie sich zu ihm um.

„Nein, vielen Dank. Ich habe nur gerade mit mir selbst geredet.“

„Selbstgespräche zeugen von hartnäckigen Gedanken“, Watari erwiderte ihr Lächeln, wodurch sich einige Fältchen rund um seinen Mund zeigten. Cherry wurde den Gedanken nicht los, dass er womöglich der Einzige war, dem sie hier bedingungslos vertrauen konnte.

Wieder seufzte sie. Die Suppe blubberte leise. „Vermutlich zeigt es eher, dass ich langsam verrückt werde. Was auch kein Wunder ist, gebe ich zu. Vermutlich halten es selbst die Gedanken nicht mehr in meinem Kopf aus.“

Endlich stieg aus dem Topf Dampf. Cherry tauchte wieder den Finger hinein. Etwas wärmer. Das musste reichen, beschloss sie, und suchte nach einer Schüssel. Sie fand sie schließlich in einem der oberen Hängeschränke. Vorsichtig goss sie die Suppe hinein, füllte dann Wasser in den leeren Topf und stellte diesen wieder auf den Herd. Watari beobachtete sie. Er sprach erst wieder, als sie nach einem Löffel suchte.

„Er ist eigentlich ein sehr netter junger Mann, wissen Sie? Nur hat er leider Probleme mit Nähe. Geistiger und körperlicher.“

Erstaunt drehte die Blondine sich zu ihm um. Den Löffel in der Hand, blickte sie ihn an. Sie suchte nach den richtigen Worten, einer klugen Erwiderung, aber alles, was ihr einfiel, war:„Sie meinen Ryuzaki?“

Watari nickte, während er zu ihr trat und ihr vorsichtig die heiße Schüssel abnahm. Verwirrt ließ Cherry es geschehen. „Er hat sich geschworen, sich durch nichts von seiner Arbeit ablenken zulassen. Nicht von anderen Menschen, von Umwelteinflüssen oder eben von Gefühlen jeglicher Art. Er akzeptiert nur mich. Es ist ein großes Wunder, dass er Sie hier duldet, und auch die Ermittler. Das hat er noch nie getan.“

„Also... hat er nichts gegen mich persönlich?“ Die Frage klang kindisch, aber Watari beantwortete sie ernst.

„Nein, es hat absolut nichts mit Ihnen zu tun. Er verhält sich bei allen Menschen so.“

„Bei Ihnen nicht“, rutschte es Cherry raus. Verlegen senkte sie den Blick, als der alte Mann sie ansah. Er schmunzelte.

„Nun“, Watari stellte die Schüssel auf der Theke ab und rückte einen Stuhl zurecht, „ich bin nun schon seit einigen Jahren an der Seite von Ryuzaki. Um genau zu sein, von Anfang an. Diese Vertrauen hat viel Zeit und Geduld benötigt, um heranzureifen. Ryuzaki misstraut den Menschen. Vielleicht wird er es immer tun.“ Er blickte Cherry an und legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. „Wenn Sie dieselbe Geduld aufbringen, wird er mit der Zeit auch Ihnen vertrauen können. Nur geben Sie ihm genügend Zeit. Glauben Sie mir, Miss Cherry: Was Sie als Arroganz und Direktheit abtun, ist in Wirklichkeit nur seine Art, sich vor Schmerzen zu schützen. Diese Hülle wird er ablegen, wenn er merkt, dass Sie ihm nichts Böses wollen.“

Damit wandte er sich ab, um die Küche zu verlassen. Doch Cherrys Worte ließen ihn innehalten. „Watari... Sein wahres Ich... wie ist es?“

Watari lächelte liebevoll, doch da er mit dem Rücken zu dem Mädchen stand, konnte dieses es nicht sehen.

„Es ist einzigartig, Miss. Tief in Ryuzaki steckt ein Mensch, dessen Herz bereits viel Grausamkeit und Brutalität miterleben musste und dadurch gelitten hat. Aber dennoch hat es nichts von dem Tag verloren, als ich ihm zum ersten Mal begegnete. Sie werden es nicht bereuen, Miss Cherry. Niemals.“
 

Cherry grübelte immer noch über Wataris Worte, als sie ein paar Stunden später das Wohnzimmer betrat. Die Suppe hatte, zu ihrem Erstaunen, sogar recht gut geschmeckt. Dennoch hatte sie das Essen nicht wirklich genießen können. Die Worte spukten immer noch in ihrem Kopf herum und ließen sich nicht vertreiben. Sie waren sehr hartnäckig. Obwohl Cherry sich nicht eingestehen wollte, dass sie auch nicht wirklich versucht hatte, sie zu vergessen.

Im Wohnzimmer brannte die kleine Tischlampe. Ansonsten kam das einzige weitere Licht vom Laptop, der auf Ryuzakis Schoß ruhte. Die Vorhänge hatte er vor die Fenster gezogenen. Die Dunkelheit im Zimmer war endgültig, aber nicht unangenehm; man konnte noch die Umrisse der Möbel erkennen. Ryuzaki jedenfalls störte sich nicht an der vollkommen Dunkelheit. Als Cherry den Raum betrat, starrte er hochkonzentriert auf den Bildschirm, während er an seinem Daumennagel knabberte. Eine seiner unzähligen Macken, die das Mädchen auf eine imaginäre Liste in ihrem Kopf setzte.

Er hob nicht den Kopf, doch Cherry wusste auch so, dass er ihre Anwesenheit bereits bemerkt hatte. Stumm setzte sie sich in den Sessel ihm gegenüber, schlug die Beine übereinander und blickte ihn an. Erst jetzt hatte sie die Möglichkeit, ihn gründlich und vor allem unbemerkt zu mustern. Seine Haut war weiß wie Schnee, was Cherry an das deutsche Märchen Schneewittchen denken ließ, mit seinen schwarzen Haaren. Das ließ sie leicht lächeln.

„Warum lächelst du?“ Seine Stimme klang ganz normal. Obwohl Cherry hätte schwören können, dass ein Hauch von Neugier darin lag. Es war das erste Mal seit vier Tagen, dass er wieder das Wort an sie richtete. Cherry freute sich darüber.

Sie ließ sich einen Augenblick lang Zeit für die Antwort. „Ich habe gerade gedacht, dass du mich an ein bekanntes deutsches Märchen erinnerst, dass mir meine Mutter früher immer vorgelesen hat.“

„Früher?“

„Als ich noch kleiner war.“ Ihm schien diese Antwort nicht zu genügen, als holte sie noch etwas weiter aus. „Ich war etwa fünf oder sechs, als ich mir jeden Abend ein Buch aussuchte. Meine Mutter musste damals noch nicht so viel arbeiten, so dass sie noch Zeit dafür fand, jeden Abend nach Hause zu kommen. Dann hat sie mich immer ins Bett gebracht und mir etwas vorgelesen.“ Jetzt sah er sie an. Sie merkte, dass ihre Geschichte ihn interessierte, obwohl sie sich fragte, warum. Bisher hatte sie nicht den Eindruck gehabt, dass ihn solche Kindheitsgeschichten wirklich interessierten.

Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, in Gedanken Wataris Worte wiederholend, und traute sich zu fragen: „Kennst du so etwas nicht?“

Beinah erwartete Cherry, dass der junge Detektiv jetzt sofort wieder dichtmachte. Doch zu ihrem Erstaunen schüttelte er bloß zögerlich mit dem Kopf. Aber dann wechselte er abrupt das Thema. „Was sagst du zu dem Gespräch von heute Mittag?“

„Du meinst das Verschwinden von Naomi?“ Ryuzaki nickte. „Nun, ich bin weiterhin der Meinung, dass das kein Zufall sein kann. Ein paar Tage vorher wird ihr Verlobter von KIRA ermordet, mitsamt allen weiteren Agenten, und dann Naomi. Sie hat etwas herausgefunden, etwas, was in Verbindung zu KIRA steht.“

Unter Ryuzakis wachsamem Blick fühlte sich das Mädchen leicht unwohl. Etwas nervös rutschte sie auf dem Polster herum, bis er ihr eine Antwort gab.

„Ich bin derselben Meinung.“ Als Cherry ihn ansah, mit gerunzelter Stirn, klappte er den Laptop zu. „Ich habe vor, mir morgen die Kameras der Agenten anzusehen. Vielleicht finden wir dort etwas, was uns einen Hinweis darauf gibt, warum Naomi und Raye sterben mussten.“

Cherry versuchte, seinen Worten zu folgen, was gar nicht so leicht war. Aber als sie es dann endlich geschafft hatte, war sie zugleich verblüfft und verwundert.

„Stopp“, sie hob die Hände, wie, um ihn von weiteren Worten abzuhalten. „Was meinst du mit wir? Du bist ein reiner Einzelkämpfer, Ryuzaki. Zudem hast du in den vergangen Tagen kein einziges Mal mit mir geredet, du bist mir regelrecht aus dem Weg gegangen. Warum also plötzlich diese Meinungsänderung?“

Ryuzaki blickte sie an. Seine großen Augen fixierten sie, wie eine Schlange das Kaninchen. Und ebenso wie das Säugetier war es dem Mädchen unmöglich, diesem Blick in irgendeiner Art zu entrinnen.

Als er ihr antwortete, war Cherry noch verblüffter. „Ich habe beschlossen, dass du durchaus in der Lage bist, rational zu denken. Zwar besitzt du ein recht aufbrausendes Temperament, doch ebenso eine gute Schlussfolgerung, die meiner zwar nicht ebenbürtig, aber durchaus erstaunlich ist. Es wäre dumm von uns, sie aufgrund von verschiedenen Charakteren nicht zu nutzen.“

„Also willst du damit sagen, dass wir im Team arbeiten sollen?“

„Du willst KIRA fangen, nicht wahr?“ Diese Frage ließ das Mädchen ein wenig aus dem Konzept schlittern. Doch sie fing sich schnell wieder. „Ja.“

„Das ist auch mein Ziel. Und deshalb können wir auch gemeinsam versuchen, KIRA das Handwerk zu legen. So gesehen - ja, damit will ich ausdrücken, dass wir im Team agieren sollten. Sofern du das willst.“

Cherry musste nicht lange überlegen; eifrig nickte sie. Dann erschien ein sanftes Lächeln auf ihren Lippen. „Also heißt das, du vertraust mir?“

Ryuzaki antwortete ihr nicht. Stattdessen klappte er wieder den Laptop auf und hämmerte wie ein Wilder in die Tasten. Er ignorierte ihre Anwesenheit völlig. Wieder einmal.

Cherry schluckte. Ein harter Kloß steckte in ihrem Hals und in ihren Augen brannte die Erniedrigung, ihm diese Frage gestellt zu haben. Natürlich war abzusehen gewesen, dass er ihr weiterhin nicht traute. Nur nütze es dann nichts, dass sie zusammen arbeiten sollten. Denn wenn er ihr nicht vertraute, würde es nicht funktionieren. Nur warum tat es so weh, dieses Wissen zu kennen?

„Warum weinst du?“, Ryuzakis Stimme riss sie brutal aus ihrem Selbstmitleid.

„Ich weine-“, mit den Fingern strich sie über ihre Wange. Tatsächlich spürte sie etwas Nasses auf ihren Wangen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie angefangen hatte, zu weinen. „Weil du mich verletzt hast.“

Der junge Mann legte den Kopf schräg. „Inwiefern?“

„Indem du mir immer noch nicht traust. Weißt du, es gibt Menschen, denen tut so etwas weh, Ryuzaki.“

Cherry wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie überlegte schon, wie sie unauffällig den Raum verlassen konnte, da hielt sie inne. Denn Ryuzaki tat etwas, womit sie niemals gerechnet hatte. Er klappte den Bildschirm zu, sah sie ernst an und sagte leise: „Ich wollte dich nicht verletzen.“

Cherry hob ruckartig den Kopf, weil sie glaubte, sich verhört zu haben. Aber Ryuzakis ernster Gesichtsausdruck ließ sie nicht zweifeln. Er hatte sich, indirekt natürlich, bei ihr entschuldigt. Und es schien ihm tatsächlich Leid zu tun. Das Mädchen war erstaunt, aber positiv.

Statt ihn also zu beschimpfen, zwang sie ein Lächeln auf ihr Gesicht. Es gelang. „Nein, schon in Ordnung. Ich vergesse immer, dass du kaum Erfahrung mit den Menschen hast. Außerdem kann ich verstehen, dass du mir nicht traust. Ich meine, wir kennen uns gerade einmal vier Tage! In vier Tagen kann sich kein Vertrauen aufbauen. Und da wir nun ja zusammenarbeiten, haben wir massenweise Zeit.“ Sie lächelte ihm zu.

Und für einen Augenblick, nur ein ganz kurzer Moment, glaubte sie, ein Lächeln auf seinen weichen Zügen zu entdeckten. Doch als sie genauer hinsah, war es bereits verschwunden. Vermutlich hatte sie es sich eingebildet.

Bevor sie in ein weiteres Fettnäpfchen treten konnte, wechselte die Blondine das Thema.

„Sag mal, woher wusstest du überhaupt, dass ich Sängerin bin?“

Ryuzaki begann erneut, an seinem Daumennagel zu kauen. „Ich habe im Internet recherchiert. Da stand eine ganze Menge über dich. Ist Cherry tatsächlich nicht dein richtiger Name?“

Cherry schüttelte den Kopf. „Richtig. Ich möchte mein Privatleben aus der Presse heraushalten, auch meinen Freunden und meiner Familie zuliebe. Es reicht, dass schon um mich ein solches Theater gemacht wird. Wenn sie meinen richtigen Namen kennen würden, wäre ich nirgendwo mehr allein. Und ich brauche meine Einsamkeit, um in Ruhe Kraft tanken zu können.“

Ryuzaki nickte nachdenklich. Dann legte er seine Hände auf die Knie. Er schien etwas zu überlegen. Normalerweise würde Cherry ihn nicht stören, aber nun war sie neugierig. „Worüber denkst du nach?“

„Darüber, ob ich dich um etwas bitten kann.“

Ihr Herz tat einen kleinen Hüpfer. Cherry würgte es schnell wieder ab, bevor man ihr ihre Freude anmerken konnte. Sie wollte sich vor Ryuzaki nicht erneut die Blöße geben. Darum nickte sie bloß, denn ihrer Stimme traute sie momentan nicht.

„Würde es dir etwas ausmachen, mir die Geschichte von diese Märchen zu erzählen?“

„Du meinst Schneewittchen?“

Ryuzaki nickte leicht. „Ich kenne es nicht.“

Cherry lachte. „Und alles, was du nicht kennst, willst du kennen. Verstehe. Aber klar, ich erzähle es dir.“
 

Und das tat sie auch. Sie erzählte ihm das Märchen von der wunderschönen Prinzessin Schneewittchen, deren Haut weiß wie Schnee, ihre Lippen rot wie Blut und ihre Haare schwarz wie Ebenholz waren. Sie erzählte von der bösen Stiefmutter und ihrem Zauberspiegel, und davon, wie der gütige Jäger Schneewittchens Leben verschonte und stattdessen das Herz eines Rehs zu der Königin brachte. Cherry erzählte mit leiser Stimme von den sieben Zwergen, bei denen das schöne Mädchen Zuflucht fand, und von den gemeinen Tricks der eifersüchtigen Königin, die Schneewittchen wegen ihrer Schönheit töten wollte. Aber es gelang ihr nicht, da Schneewittchen von dem tugendhaften Ritter gerettet wurde. Und sie beendete die Geschichte damit, wie der Prinz Schneewittchen heiratete und sie ein Leben lang glücklich und zufrieden zusammen lebten.

Während der ganzen Zeit beobachtete sie Ryuzaki, der ihrer Erzählung mit großen Augen und sichtlichem Interesse folgte. Sie musste immer wieder lächeln, weil sie dieses Gesicht kannte. Es erinnerte sie an sich selbst, damals, als sie diese Geschichte ebenfalls zum ersten Mal gehört hatte. Genauso hatte sie damals ihre Mutter angesehen.

Und als sie die Geschichte beendet hatte, stellte Ryuzaki genau dieselbe Frage, die auch sie damals ihrer Mutter gestellt hatte.

„Und sie leben immer noch glücklich und zufrieden, bis das der Tod sie scheidet?“

Und mit genau derselben sanften Stimme wie ihre Mutter sagte Cherry: „Ja, denn wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“
 

Ryuzaki lauschte der leisen Stimme des Mädchens. Bereits nach den ersten paar Sätzen hatte er das Tippen auf der Tastatur aufgegeben, denn die Geschichte war so wunderschön und beruhigend, dass er ihr einfach nur zuhören wollte. Fasziniert lauschte er Cherrys Ausführungen, wie der Jäger Schneewittchen schließlich laufen ließ und knabberte vor lauter Aufregung an seinem Daumennagel, als die böse Königin zum letzten Schlag ausholte. Und er seufzte erleichtert auf, als der Prinz sie rettete und heiratete.

Als er irgendwann zu Cherry hinübersah, bemerkte er, dass sie eingeschlafen war. Vollkommen ruhig schlief sie, zu einer Kugel zusammengerollt, in dem Sessel. Die Füße hinken über der Lehne, doch ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Ryuzaki betrachtete sie eine Weile.

Dann stand er auf, holte eine der Wolldecken aus dem Schlafzimmer hinüber und deckte das Mädchen damit sorgfältig zu. Erst dann setzte er sich wieder in den Sessel. Doch statt seine Arbeit wieder aufzunehmen, beobachtete er Cherry beim Schlafen.

Bis er darüber irgendwann selbst einschlief.
 

Once upon a time
 

When I was a little child

My mother tells me fairytales

From a princess in a tower

From Snow White and the gnomes

And when the storm rages at our windows

I felt safe and sound
 

I was ten years old

The other children hurt me

Because I believe in fairytales and stories

But I didn’t gave it away

In my dreams I’m the princess

And I safe the world
 

It’s Storytime

I am the voice of never, never land

The innocence of dreams from every man

I am the empty grave of Peter Pan

I make the story that you read real

“Once upon a time…”
 

I was sixteen years old

They told me that nothing ever will change

Only fairytales end well

No happy-end for me

No dreams, no words

But the tough hope
 

Now I’m twenty years old

All these years I’ve forget the tales

But there was this apple

Red and innocent

And then I still remember

I want to be a fairytale
 

It’s Storytime

I am the voice of never, never land

The innocence of dreams from every man

I am the empty grave of Peter Pan

I make the story that you read real

“Once upon a time…”
 

I am the voice of never, never land

The innocence of dreams from every man

Searching heaven nor hell
 

It’s Storytime

I am the voice of never, never land

The innocence of dreams from every man

I am the empty grave of Peter Pan

I make the story that you read real

“Once upon a time…”

A nice suprise

V.

A nice suprise
 

A day like thousand others

But still you feel

Something is differently

The air around you

It’s full with breathless excitement

(Can you feel it?)
 

Ryuzaki und Cherry sichteten die Aufzeichnungen, die die FBI-Agenten angelegt hatten. Es war eine ziemlich mühselige Arbeit. Denn die Agenten sprachen keineswegs in einem verständlichen Englisch, sondern benutzten für die einfachsten Sachen wie „Überwachung“ oder „zu überwachende Person“ komplizierte Begriffe. Cherry hätte für jedes dritte Wort, welches in den Berichten auftauchte, ein Wörterbuch benötigt, wäre da nicht Ryuzaki. Er kannte scheinbar alle Fachbegriffe, ließ sich nie beirren und blieb sogar vollkommen ruhig, als Cherry aus einem spontanen Wutanfall heraus alle Zettel durcheinanderbrachte. Später tat es ihr Leid. Zudem hätte sie es gut nachvollziehen können, wenn der junge Detektiv sie dafür des Zimmers verwiesen hätte. Doch er begann nur tonlos, die Zettel wieder so ordentlich zu sortieren, wie er es bereits zuvor getan hatte.

Sie waren nun seit drei oder vier Stunden dabei, und Cherry tat der Rücken weh. Seit drei Stunden saß sie auf dem Teppich, bekam von Ryuzaki Mappen und teilweise lose Zettel gereicht und sortierte diese dann, nach einem kurzen Überfliegen, auf einen der zwölf Stapel. Jeder dieser Stapel stand für einen Agenten. Und während sie sortierte, versuchte sie, nicht allzu oft zu dem Stapel in der Nähe von Ryuzakis rechtem Fuß zu schielen. Der Stapel ihrer Mutter, Melissa Hitch. Manchmal jedoch bemerkte der Schwarzhaarige ihre neugierigen Blicke, doch dann wandte sie ihre Augen stets in eine ungefährlichere Richtung. Wäre die Situation nicht so anstrengend und ermüdend gewesen, sie hätte gelacht.

Während der Arbeit sprachen sie kein Wort; nur ab und an fragte Cherry Ryuzaki etwas und erhielt dann eine Antwort. Diese fiel stets sehr knapp aus. Cherry wünschte, sie könnten ein Gesprächsthema finden, dass die Vertrautheit von dem gestrigen Abend zurückholen würde. Doch ihr fiel keines ein. Also hielt sie ihren Mund, sortierte weiter und versuchte, die pochenden Schmerzen in ihrem Kreuz zu ignorieren.

Irgendwann betrat Watari das Zimmer. In den Händen hielt er zwei Becher, aus denen es verlockend dampfte. Während ihrer Arbeit hatte er sich nicht blicken lassen. Cherry hatte den Verdacht, dass er sich nur hatte drücken wollen.

„Wie wäre es mit Kaffee?“, fragte er höflich. Cherry war sofort Feuer und Flamme; sie riss ihm den Becher regelrecht aus den Händen. „Vorsicht, es ist-“, heiß, hatte er sagen wollen, doch es war bereits zu spät. Cherry verbrannte sich die Fingerspitzen, und nur Wataris beherztem Eingreifen war es zu verdanken, dass der Becher nicht auch noch auf ihre angewinkelten Beine fiel. Einige Spritzer landeten jedoch dennoch auf dem Boden. Jedoch nicht auf dem Stapel Papier, der vor ihr gelegen hatte. Ryuzaki hatte sie geistesgegenwärtig an sich gerissen.

Cherry blickte ihn verschämt an und meinte: „Oops. Sorry, Ryuzaki.“ Er schüttelte den Kopf. Dann betrachtete er den Stapel Papier in seinen Händen, bevor er sich zu Watari um wandte. Er nahm dankend den Kaffee entgegen. Bevor er auch nur fragen konnte, hatte Watari ihm bereits die Schüssel mit dem Würfelzucker zu Füßen gestellt. Ryuzaki nickte ihm zu.

Watari betrachtete Cherry, die, nun etwas schlauer als zuvor, mit vorsichtigem Nippen das Koffein einzog. Ihm entging nicht ihr müder Gesichtsausdruck und ihre leicht fahrigen Bewegungen, als sie den Becher abstellte und sich den Papieren zuwendete.

Der alte Mann blickte Ryuzaki an. „Wenn Sie mich nicht weiter benötigen, dann werde ich nun die Einkäufe erledigen. Besondere Wünsche?“

„Nein, danke, Watari.“, damit schien das Gespräch für Ryuzaki beendet. Doch er bemerkte dennoch den besorgten Gesichtsausdruck von seinem Partner. Er stieß seinen Atem aus, was beinah wie ein Seufzen klang. Aber nur beinah. „Was noch?“

„Nun, ich denke, dass es vielleicht angebracht wäre, wenn Miss Cherry mich begleiten würde. Sie benötigt, nun ja, andere Lebensmittel wie Sie. Außerdem hat sie nicht gerade viele Kleidungsstücke, nur das Nötigste.“

„Sie schlagen also vor, dass Sie sie begleitet, Watari. Um neue Kleidung und andere Dinge für sich zu besorgen.“

Watari lächelte sein freundliches Opa-Lächeln. „Exakt.“

Cherry blickte auf. Die Aussicht, an neue Kleidung, und zeitgleich einmal wieder an die frische Luft und unter Menschen zu kommen, wirkte berauschend. Aber sie fragte sich zugleich, ob Ryuzaki es ihr einfach so erlauben würde. Denn eigentlich war sie nicht für Shoppingtouren hier, sondern, um ihm im KIRA-Fall helfend unter die Arme zu greifen.

Trotzdem kam sie nicht ohnehin, ihm einen hoffnungsvollen Blick zu zuwerfen. Er fing ihn auf. Dann meinte er: „Die Akten sind in ordentlicher Reihenfolge, den Rest kann ich auch alleine sortieren. Geh mit Watari.“

Cherry überlegte, zu protestieren, aber Ryuzaki kam ihr zuvor. Einige Zuckerwürfel in den Kaffeebecher werfend, sagte er: „Außerdem richtest du mehr Schaden an, als dass du hilfst. Vermutlich ist es für alle Beteiligten besser, wenn du etwas Zeitvertreib hast.“

Das Mädchen schnaubte nur. Dann stand sie auf, streckte sich einmal kurz und verzog schmerzerfüllt das Gesicht. Ihr Rücken tat im Stehen noch weitaus mehr weh als im Sitzen. Hoffentlich würde das vergehen, wenn sie sich erst einmal bewegte.

Watari lächelte ihr zu, dann verbeugte er sich vor Ryuzaki. Zusammen mit Cherry verließ er den Raum.
 

Wenige Minuten später saßen die beiden in der schwarzen Limousine. Watari bewegte das Gefährt sicher durch den Stau auf den Straßen, immer in Richtung Innenstadt. Cherry hingegen sah staunend aus dem Fenster.

Tokio war eine riesige Stadt, genauso groß wie New York und nicht weniger imposant. Überall war etwas los. Auf den Straßen fuhren Unmengen von Autos aller Farben und Klassen, Menschen unterschiedlichen Alters liefen fröhlich lachend an den Geschäften vorbei. Diese boten verschiedenste Waren feil; von Elektronik bis hin zu Obst und Gemüse. Das Mädchen sah blinkende Lichter, bunte Farben, lachende Menschen und herrlich verrücktes Treiben. Bisher hatte sie nicht gedacht, dass es irgendwo auf der Welt eine zweite Stadt wie New York gab, doch Tokio schien die kleine Schwester zu sein. Und sie spürte, wie das Lächeln auf ihrem Gesicht breiter und breiter wurde.

Während sie so staunend aus dem Fenster sah, bemerkte sie nicht, wie Watari sie im Rückspiegel beobachtete. Er hatte gewusst, dass ihr ein kleiner Ausflug Spaß bringen würde. In letzter Zeit hatte sie das Hotelzimmer nicht verlassen, und Ryuzaki vergaß immer wieder, dass nicht alle Menschen wie er waren. Ihn störte die Einsamkeit nicht. Cherry hingegen war eine junge Frau, die erst kürzlich ihre Mutter verloren hatte. Sie musste auf andere Gedanken kommen. Und da half nun mal keine Beschäftigung mit dem Mörder ihrer Mutter, sondern nur das Leben um sie herum.

Und das Leuchten und die unverfälschte Freude auf ihrem Gesicht ließ ihn nicht im Zweifel, dass er richtig gehandelt hatte.

Immer noch schmunzelnd, fuhr er in ein Parkhaus. Während die Beiden ausstiegen und Watari abschloss, fragte er: „Waren Sie jemals in Tokio, Miss Cherry?“

Cherry, die gerade stirnrunzelnd ein Schild mit japanischen Schriftzeichen zu entziffern versuchte, drehte sich zu ihm um. „Nein, bisher noch nicht. Ich war in vielen Städten in Amerika, einmal sogar in Deutschland. Aber noch nie im asiatischen Teil dieser Welt. Ich hatte auch, um ehrlich zu sein, bisher kein Interesse daran.“

„Aber nun haben Sie ihre Meinung geändert?“, hakte Watari nach. Er ging auf einen Ausgang zu. Das blonde Mädchen folgte ihm.

„Tokio erinnert mich an New York, meine Heimatstadt. Dort bin ich geboren und aufgewachsen. Es ist zwar noch lang nicht so groß und multikulti wie Amerikas berühmteste Stadt, aber es hat denselben Charme.“ Sie warf Watari ein scheues Lächeln zu. „Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so gut gefällt.“

Watari erwiderte ihr Lächeln, dann betraten sie ein Treppenhaus. Die Wände waren matschgrau, und die Treppenstufen selbst erinnerten an aus Stein gehauene Fassaden. Einen Aufzug gab es scheinbar nicht, als nahmen sie die Treppe. Sie schwiegen, ganze drei Stockwerke lang, doch es störte Cherry nicht. Es war eine angenehme Stille, nicht ein peinliches Schweigen, wie es oft zwischen ihr und Ryuzaki herrschte. Überhaupt, Ryuzaki. Saß er immer noch über den Akten, brütend, was der gemeinsame Faktor war? Oder hatte er es mittlerweile aufgegeben, und saß nun mit Zuckerwürfeln bewaffnet, vor seinem Laptop?

Eigentlich war es egal. Denn bis heute Abend würde sie ihn ohnehin nicht mehr sehen. Und bis dahin würde sie einfach einmal nicht an KIRA, ihre Mutter oder ihren Agenten denken, der vermutlich schon das halbe Studio verwüstet hatte, weil sie sich nicht meldete. Nein, nicht einmal an Ryuzaki würde sie denken.

Wie, um ihr Hilfe bei ihrem Vorhaben zu geben, meinte Watari beiläufig: „Ich denke, dass Ryuzaki sehr gut allein zurechtkommt. Zudem wollten heute auch die anderen Ermittler einmal vorbeischauen. Sie müssen sich also keine Gedanken machen.“

„Woher wissen Sie, dass ich mir Gedanken um ihn mache?“, konterte Cherry. Nur, um im nächsten Moment am liebsten im Boden zu versinken. Mit ihrer Konter hatte sie seinen Verdacht nicht ausgeräumt, sondern noch bestätigt. Aber statt einer Antwort lächelte Watari nur wissend.

Dann waren sie schon in der Innenstadt von Tokio angekommen.

Watari blieb stehen. „Ich werde nun einige Besorgungen machen. Da Sie meine Hilfe vermutlich nicht benötigen, schlage ich vor, dass wir uns trennen. In etwa drei Stunden treffen wir uns hier wieder; sollten Sie Probleme haben, dann wenden Sie sich an die Leute. Die meisten Japaner sprechen Englisch; zwar etwas schwer zu verstehen, aber dennoch sprechen sie es. Ist das für Sie in Ordnung, Miss Cherry?“

Cherry nickte. Doch dann fiel ihr etwas ein. Sie kramte in ihrer roten Umhängetasche nach ihrer Geldbörse und fischte einige Dollarscheine heraus. Etwas betrübt hielt sie diese vor Wataris Gesicht. „Ich habe nur Dollars. Aber damit kann ich hier vermutlich nicht bezahlen. Kann ich das Geld irgendwo hier in der Nähe umtauschen?“

„Nun, das Problem können wir im Handumdrehen lösen.“ Er griff in seine Hosentasche und fischte eine kleine, silberne Karte heraus. Diese überreichte er Cherry, die sie neugierig entgegennahm. Bei genauerem Betrachten stellte es sich als eine Kreditkarte heraus.

„Dies ist eine japanische Kreditkarte. Sie hat kein Limit, sie dürfte für all ihre Ausgaben reichen. Bezahlen Sie damit alles, was Sie benötigen.“

„Aber... aber ich habe selbst Geld!“ Cherry behagte der Gedanke nicht, mit einer Kreditkarte, die nicht ihre eigene war, alles zu bezahlen. Sie hatte damit das Gefühl, auf Ryuzakis Kosten zu leben. Was sie ohnehin schon tat, aber daran dachte sie gerade nicht. „Ich möchte Ihnen wirklich nicht noch mehr als nötig zur Last fallen, Sir. Es genügt vollkommen, wenn Sie mir eine Bank zeigen...“

Watari unterbrach sie. „Es war Ryuzakis Anweisung. Er wollte, dass ich Ihnen diese Kreditkarte zur Verfügung stelle, bis Sie wieder eigenes Geld haben. Bis dahin können Sie sie uneingeschränkt für sämtliche ihrer Ausgaben nutzen, Miss Cherry. Wie bereits gesagt, sie besitzt kein Limit.“

Cherry betrachtete das glänzende Ding mit einer Mischung aus Freude und Misstrauen. Warum sollte Ryuzaki ihr eine Kreditkarte ohne Limit zur Verfügung stellen? Beinah vermutete sie einen Trick dahinter, aber ihr fiel kein guter Grund ein, warum er das tun sollte. Schließlich hatte er selbst gesagt, dass sie ein Team waren, er hatte also keinen Grund, sie in irgendeiner Weise zu bespitzeln oder auszutricksen.

Also zuckte sie mit den Schultern, und tat das Ganze als eine freundliche Geste Ryuzakis ab. Obwohl es ihr schwerfiel. Watari nickte, dann verabschiedete er sich und verschwand in der Menschenmenge.

Cherry machte sich ebenfalls auf den Weg, jedoch nicht, ohne vorher die Kreditkarte in ihre Tasche zustecken und sich ihren Platz genau einzuprägen. Erst dann setzte sie sich in Bewegung.
 

Zwei Stunden später ließ sie sich erschöpft, aber glücklich auf einen Korbstuhl fallen. Dieser stand vor einem himmelblau angestrichenen Eiscafé, zumindest vermutete Cherry das. Genauso gut könnte es auch ein Supermarkt sein, aber die aufgestellten Stühle und Tische ließen Ersteres vermuten. Sie stellte die unzähligen Tüten neben sich ab, dann lehnte sie sich zurück.

Sie hatte nun zwei Stunden lang ununterbrochen eingekauft, bis sie beinah vor lauter Erschöpfung im nächstbesten Kleidungsgeschäft in Ohnmacht gefallen wäre. Also hätte sie kurzerhand beschlossen, dass sie nun genügend Kleidung hatte und hatte sich auf die Suche nach einem Café begeben. Dieses hier hatte ganz passabel ausgesehen.

Müde betrachtete Cherry ihre Füße. Nun tat ihr zwar nicht mehr der Rücken weh, dafür vermutete sie aber, dass sie einige Blasen an den Füßen hatte. Zwar hatte sie extra flache Schuhe angezogen, ihre schwarzen Bikerboots mit den zwei Zentimeter Absätzen, aber trotzdem taten ihr die Füße weh. Ihr war auch warm, obwohl die Luft gerade einmal drei Grad betrug und sie ihr moosgrünes Kleid mit der verspielten Raffung im Dekolletee und der Wickeloptik trug. Darüber hatte sie bloß ihre hellbraune Lederjacke angezogen. Und trotzdem war ihr unangenehm warm.

„Ähm, entschuldigen Sie?“ Unerwartet wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Sie fokussierte ihren Blick. Vor ihr standen zwei Mädchen, beide scheinbar Japanerinnen und etwa in ihrem Alter. Das Mädchen, welches sie angesprochen hatte, war eine große, schlanke Brünette mit auffallend blauen Augen, die wach und klug ihr Gegenüber musterten. Das spärliche Sonnenlicht ließ diese dunkelblau auf schimmern. Sie trug ihre Haare, die ihr offen vermutlich etwa bis zur Hüfte gingen, zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden. Ihre Kleidung bestand aus einem schwarzen Minirock und einem dunkelroten Tubetop, worüber sie noch eine schwarze Steppjacke trug.

Das andere Mädchen stand schräg hinter ihr und sah überallhin, nur nicht direkt in Cherrys Richtung. Sie hatte wunderschöne schwarze Haare, die ihr glatt über die Schultern fielen. Ebenso schön waren ihre schwarzen Augen, die Cherry an die von Ryuzaki denken ließen. Nur wirkten sie nicht wie dunkle Löcher, sondern wie ein sternenloser Nachthimmel im Winter. Ihr Gesicht war blass, aber auch hier war kein unnatürlicher Vergleich zu dem Meisterdetektiv. Bei ihr wirkte es einfach nur gewollt, wie bei einer Porzellanpuppe. Dieser Gedanke wurde von ihrer Größe bestätigt; sie reichte ihrer Begleiterin gerade einmal bis zu den Schultern und auch ihre hohen Wangenknochen und die großen Augen wirkten wie die einer Puppe. Sie trug eine einfache Schuluniform mit Krawatte, Faltenrock und schwarzer Bluse, kombiniert mit schwarzen Kniestrümpfen und Lederschuhen, die so gar nicht mädchenhaft wirkten.

Die Brünette räusperte sich. Cherry riss sich von ihrem Anblick los, und blickte dem Mädchen ins Gesicht. „Ja? Was möchten Sie?“, natürlich sprach sie in Englisch.

Ein Ausdruck von Erstaunen und Neugier huschte über das Gesicht der Schwarzhaarigen, doch noch bevor Cherry genauer hinsehen konnte, war es wieder so ausdruckslos wie zuvor. So langsam beschlich sie der Gedanke, da Ryuzakis weibliches Gegenstück vor sich zu haben. Die Brünette runzelte die Stirn. „Ich wollte fragen“, begann sie in einem grammatikalisch vollkommen einwandfreien Englisch, bei der jedoch ein unüberhörbarer Akzent mitschwang, „ob hier noch zwei Plätze frei sind? Sonst ist nämlich alles besetzt.“

Cherry nickte eilig. „Natürlich, kein Problem.“ Dann begann sie damit, ihre Tüten alle auf einen der drei freien Stühle zu bugsieren, was gar nicht so einfach war. Es waren mehr als sechs Einkaufstaschen, und Cherry mühte sich ab, sie alle auf den Stuhl zu quetschen. Aber immer wieder fiel ihr eine herunter.

Plötzlich war das das schwarzhaarige Mädchen. Sie schnappte sich eine der Tüten und platzierte sie so standfest auf dem Stuhl, dass sie nicht mehr herunterfallen konnte. Cherry warf ihr ein dankbares Lächeln zu. „Vielen Dank.“ Das Mädchen nickte nur, dann wandte sie schnell wieder den Blick ab.

Ihre Freundin hingegen ließ sich in der Zwischenzeit auf dem freien Platz fallen. Mit einem tiefen Seufzen streckte sie ihre ellenlangen Beine unter dem Tisch aus. Cherry runzelte lediglich die Stirn; viele Manieren schien das Mädchen nicht zu besitzen. Diese warf ihrer Freundin nun einen auffordernden Blick zu, denn sie stand immer noch stumm da. „Nun setz dich doch endlich hin, Momoka! Gestanden haben wir schon genug.“ Ihre Stimme war laut und tief, beinah wie die eines Mannes.

Das Mädchen, welches den Namen Momoka trug, folgte der etwas unfreundlichen Aufforderung und setzte sich. Jedoch blieb sie angespannt, als wartete sie nur auf den Augenblick, in dem sie sofort wieder flüchten musste. Sie erinnerte Cherry an ein ängstliches Tier.

Eine Kellnerin kam, um ihre Bestellungen aufzunehmen. Die Brünette hatte bereits in die Karte geblickt, und bestellte nun eine Cola. Momoka bestellte mit leiser Stimme einen heißen Kakao. Die Kellnerin wandte sich mit freundlichem Blick zu Cherry, die von Momoka die Karte überreicht bekam. Sie bedankte sich mit einem Lächeln – doch als ihr Blick auf die Karte fiel, sank ihr Mut. Alle Speisen und Getränke waren in japanischen Schriftzeichen geschrieben. Cherry begann zu schwitzen. Die Zeichen sahen für sie alle so ziemlich gleich aus. Wie Strichmännchen. Wie sollte sie da etwas aussuchen?

Kurzerhand wandte sie sich zu der Kellnerin, die weiterhin ein freundliches Gesicht aufgesetzt hatte. Vermutlich war sie trotzdem von der Kundin genervt, die sich in Japan befand, aber weder Sprache, noch Kultur kannte. „Ähm... einen Kaffee, bitte.“

Damit war die Bestellung für sie erledigt. Insgeheim klopfte sie sich schon auf die Schulter, dass sie sich so gut aus der gefährlichen Situation manövriert hatte, doch die Kellnerin machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Oder war es eher die überholte Freundlichkeit der Japaner?

Die Frau stellte ihr eine Frage. Auf Japanisch. Cherry war schon wieder genervt. Warum verstand denn niemand, dass sie die Sprache nicht beherrschte und deshalb sogar auf Englisch bestellte? Musste sie sich ein Schild um den Hals hängen? Sie wand sich innerlich, äußerlich hingegen versuchte sie, Ruhe zu bewahren. Um Zeit zu schinden, starrte sie erneut in die Karte. Was sollte sie tun? Die Kellnerin ignorieren, den Kopf schütteln oder einfach lachen? Diese Situation kam ihr vor wie ein verdammtes De-ja-Vu, wie damals mit Matsuda. Aber da hatte sie wenigstens Ryuzaki gehabt, der ihr das Ganze übersetzt hatte.

Aber auch diesmal kam ihr jemand zu Hilfe. Jedoch nicht der schwarzhaarige Meisterdetektiv.

Es war die Brünette, die ihr half. Seufzend beugte sie sich zu Cherry vor. „Sie fragt, ob du Milch oder Zucker in deinen Kaffee willst. Sag es mir einfach, dann richte ich es ihr aus.“ Abwartend blickte sie Cherry an, die innerlich gerade in ein Triumphgeheul ausbrach. Doch vollkommen ruhig erwiderte sie: „Milch, kein Zucker. Danke.“

Die Brünette gab es an die Kellnerin weiter, die sich danach endlich trollte. Cherry stieß einen lauten Seufzer aus. Dann wandte sie sich zu ihrer Helferin.

„Danke für Ihre Hilfe. Wirklich, danke schön.“ Das Mädchen winkte bloß ab. Dann lächelte sie sogar, was sie gleich viel freundlicher wirken ließ.

„Kein Problem. Mädchen müssen sich doch gegenseitig helfen.“ Dann reichte sie Cherry über den Tisch die Hand. „Ich bin übrigens Tatsu. Tatsu Hatori. Studentin an der Touou-Unversität, erstes Semester. Ich bin übrigens für Tatsu und du.“

Cherry ergriff die Hand und schüttelte sie. Endlich jemand, der die Begrüßung der Japaner nicht bei einer Amerikanerin einsetzte. Diese Tatsu wurde ihr immer sympathischer. „Cherry. Ich bin aus... privaten Gründen in Japan.“

Tatsu runzelte die Stirn. „Cherry? Bist du Engländerin?“

„Nein, Amerikanerin. Ich komme aus New York.“

Momoka sprach nun zum ersten Mal, seit sie sich gesetzt hatte. „New York? Das klingt aufregend.“ Ihre Stimme war sanft und leise, das komplette Gegenteil zu Tatsu. Als sie Cherrys Blick auffing, wandte sie nicht ihren Blick ab.

Tatsu stieß ihr den Ellbogen in die Rippen. „Los, du unfreundliche Schülerin! Stell dich vor!“

Momoka wurde augenblicklich rot, und sagte: „Momoka Kato, aber die meisten Leute nennen mich Momo.“

„Momo?“, Cherry lachte. „Wie das kleine Mädchen in dem berühmten Buch von Michael Ende?“ Momoka nickte. Dann erinnerte sich die Blondine wieder an ihre vorherige Frage. „Ähm, genau, ich bin Amerikanerin, und stolz darauf. Leider kann ich, wie ihr gerade gesehen habt, kein bisschen Japanisch.“ Sie seufzte gespielt traurig. „Das war mittlerweile schon die dritte peinliche Situation, in die mich dieser Fehler gebracht hat.“

Tatsu lachte laut auf. „Verstehe. Tja, aber wenn man als Touristin nach Tokio kommt und kein Japanisch kann, ist das schon blöd. Das hättest du vorher bedenken sollen.“

„Nun, ich bin keine Touristin. Ich...“, Cherry überlegte. Sie wollte nichts über Ryuzaki und Watari erzählen, und auch nichts über ihre tote Mutter. Nein, sie brauchte eine bessere Ausrede. Dann fiel ihr eine ein. „Ich bin eigentlich aus beruflichen Gründen hier.“

Nun war es Momoka, die aufhorchte. „Aus beruflichen Gründen? Als was arbeitest du denn?“

„Als Sängerin. Ich bin in Amerika recht bekannt und seit ein paar Jahren im Geschäft. Aber ich wollte einmal etwas Neues erleben, und auch wissen, welche Musik die Leute gleichermaßen gerne hören. Deshalb bin ich nach Japan gekommen, um mich hier bekannt zu machen.“

Mittlerweile war die Kellnerin mit ihren Bestellungen gekommen. Tatsu nahm einen großen Schluck von ihrer Cola, bevor sie sich dem Gespräch wieder zu wandte. „Und dafür hast du dir ausgerechnet Tokio ausgesucht?“ Sie klang misstrauisch, aber mit der nächsten Antwort konnte Cherry es ausräumen.

Mit einem Lächeln sagte sie: „Tokio ist wie New York; hier fühle ich mich Zuhause und nicht ganz so fremd.“

Momoka nickte. „Neben New York ist Tokio die größte Stadt in der Welt, mit der größten Bevölkerung.“ Cherry nickte gleichzeitig mit Tatsu. Dann wandte Tatsu sich zu Cherry um. „Sag mal, bist du grad auf Shoppingtour oder was sollen all diese Tüten?“ Sie deutete auf den überladenen Stuhl.

Cherry lachte, dann nickte sie und trank ihren Kaffee. „Ja, aber ich bin schon durch. In einer Stunde treffe ich mich mit... meinem Opa. Er fährt mich zurück nach Hause in mein Hotel.“

Momoka nippte an ihrem Kakao, als Tatsu plötzlich mit der Faust auf den Tisch haute. „Hast du nicht Lust, bis dahin noch mit uns ein wenig zu bummeln? Ich mein, wo wir uns doch schon ein bisschen besser kennen!“

Momoka lächelte erfreut; ihr schien diese Idee ebenfalls zu gefallen. Cherry hingegen zögerte einen Augenblick lang. Aber was machte es schon, wenn sie noch ein bisschen mit den beiden Mädchen abhing? Watari würde sie eh erst in einer Stunde treffen. Außerdem wollte sie noch in einen Süßigkeitenladen, um etwas für Ryuzaki mitzubringen und dann in eine Buchhandlung. Vielleicht gab es ja auch englische Literatur.

Also nickte sie schließlich, stand auf und schnappte sich ihre Tüten.

„Also gut. Dann mal los.“
 

Hero
 

A day like thousand others

But still you feel

Something is differently

The air around you

It’s full with breathless excitement

(Can you feel it?)
 

The time is passing by

Still and unsociable

For the others

But I know – you can see this

The whole world is retain the breath

(Can you hear it?)
 

There’s no holding you back

There’s nothing to keep you here

Any more

Run out to see the miracles

And only a hero like you

Can imagine what will happening next
 

The world is a adventure

At every corner waits one

To jump at your shoulder

You have to stand straight against them

So you can take them with a smile

(Can you hear them laughing?)
 

There’s no holding you back

There’s nothing to keep you here

Any more

Run out to see the miracles

And only a hero like you

Can imagine what will happening next
 

Take your courage and pluck them up

Cause it’s time

To be a little bit

Crazy, happy and spontaneous

(Can you be that?)
 

There’s no holding you back

There’s nothing to keep you here

Any more

Run out to see the miracles

And only a hero like you

Can imagine what will happening next



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