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Das Leben Hält Manche Überraschungen Bereit

von

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Niemals hätte ich an diesem sonnigen Morgen gedacht, ich könnte auf mein Schicksal treffen. Immer hatte ich geglaubt, bei uns wäre alles in Ordnung und ich hätte ein wundervolles Heim, eine glückliche Familie, nette Kinder, eine liebe Frau. Wir hatten gearbeitet, uns ein kleines Reich geschaffen, indem wir zufrieden zusammen leben könnten. Dachte ich. Doch dann traf mich ein Blitz.
 

Wir beginnen aber wohl doch besser am Anfang. Mein Name ist Morten Hallstedt, 32 Jahre alt und ich arbeitete als Lehrer mit den Hauptfächern Sport und Deutsch an einer Grundschule im Nachbarort. Meine Frau war einige Jahre älter als ich und ebenfalls dort Lehrerin. Wir kannten uns schon, als sie noch auf mich aufgepasst hatte und mein Babysitter war. Ganz langsam ergab es sich, dass wir zusammenkamen, heirateten und schließlich zwei Jungen, Zwillinge, bekamen. Wir wohnten in einem Endhaus in einer Sackgasse, die direkt in ein Feld und anschließend in einen Wald mit einem kleinen See darin führte.
 

Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass mir irgendetwas in meinem Leben fehlen könnte. Gut, überschwängliche Gefühle waren nicht so meine Sache, noch nie gewesen - dachte ich - deshalb war es wohl normal, dass der Sex mit meiner Frau Carola nur sehr selten vorkam. Sie selbst hatte wenig bis gar keine Lust darauf und so war mir das auch ganz Recht. Unsere Überraschung war riesig, als wir feststellten, dass sie schwanger war.
 

Nachdem die Kinder geboren waren, mieteten wir auf Erbpacht ein Haus mit großem Garten; fanden durch Zufall beide einen Arbeitsplatz an der gleichen Schule; sehr schnell eine nette Tagesmutter für unsere Söhne; zielten darauf ab, dieses Haus irgendwann einmal unser eigen nennen zu können und vermissten nichts. Gut, wir hatten beide ein eigenes Schlafzimmer, da ich nach Carolas Ansicht schnarchte. Schon lange war ich mir sicher, dass das eine Ausrede war. Doch da es mich nicht störte und sie noch viel weniger, machte es uns beiden nichts aus. Wir hatten uns zu unserer Zufriedenheit eingerichtet und das war es.
 

Gerade hatte ein neues Schuljahr begonnen, ich stand an der Abtrennung zum Sekretariat, da hörte ich hinter mir eine leise, klare Männerstimme fragen: „Guten Morgen. Bin ich hier richtig in der Grundschule? Ich werde von Direktor Haberlein erwartet. Mein Name ist Justin Sieler und ich bin der neue Referendar.“
 

Ich weiß nicht, wie ich euch das erklären kann, aber nur diese Stimme alleine hatte eine Wirkung auf mich, als wäre ich plötzlich in eine Badewanne voll kochendheißem Wasser getreten. Gleichzeitig war mir eiskalt zumute. Mein Herz begann zu rasen und leichter Schweiß trat mir auf die Stirn. Was passierte hier mit mir? Irgendetwas musste ich heute Morgen nicht vertragen haben. Bestimmt, ganz sicher, das war es. Ich reagierte auf irgendetwas allergisch.
 

Unauffällig und sehr vorsichtig drehte ich mich leicht zur Seite, um diesen Menschen nur aus den Augenwinkeln zu betrachten. Was ich sah, war eigentlich ein ganz normaler junger Mann - Anfang bis Mitte zwanzig – ein Stück kleiner als ich - dunkle, im Nacken längere Haare - ein etwas unordentlicher Seitenscheitel, von dem eine Locke immer wieder abirrte und sich in Richtung Nase davon machte – schlank, aber muskulös gebaut - mit den unglaublich blauesten Augen, die ich jemals bei einem Menschen gesehen hatte – ein schmales, ernstes, bartloses Gesicht mit etwas volleren Lippen, die einen gleich zum Küssen einluden.
 

Es gab in mir einen Ruck, als er mich streifte und ich dachte, mein Herz springt mir aus der Brust. Dann begann ich leicht zu zittern. Voller Bedacht sah ich nach unten auf meine Liste, von der ich gerade nicht mehr wusste, was ich damit sollte oder wollte. Alles in mir war in Aufruhr, ich bibberte, als wäre ich fünfzehn Jahre alt und gerade dem Mädchen meines Lebens begegnet. Doch hier, neben mir, stand ein junger Mann, keine Frau. Was für ein Gefühlstumult.
 

Wie konnte das sein? Ein paar Räume weiter stand meine Frau in einem der Klassenräume und bereitete sich auf den heutigen Tag vor und mir schlotterten hier die Knie wegen eines mir total fremden Menschen, zumal einem jungen Mann. Mit mir konnte doch definitiv etwas nicht stimmen. Ich war sicherlich plötzlich krank geworden, hatte mir eine Grippe eingefangen. Bestimmt war es eine Sommergrippe, die sollte ja manchmal komische Symptome zeigen.
 

Ohne die Leute im Sekretariat eines weiteren Blickes zu würdigen, stürmte ich durch die Tür und aus dem Raum, eilte, so schnell es gerade noch vertretbar war, auf die Turnhalle zu, wo mich eine Klasse von Erstklässlern schon erwartete. Dass Herr Haberlein hinter mir herrief, hörte ich nicht, ebenso wenig wie ich mitbekam, dass mir Justin Sieler gefolgt war und gleich nach mir durch die Tür der Turnhalle trat.
 

Eine warme Hand legte sich auf meinen Rücken und diese heiter, warme Stimme neben mir ertönte. – Ich wäre fast schreiend an die Decke gegangen, so sehr wurde ich von ihm überrascht. Gerade eben noch konnte ich mich zusammenreißen, aber ich musste sehr blass geworden sein.
 

„Geht es Ihnen nicht gut, Herr Hallstedt? Hatten Sie mich nicht gehört? Direktor Haberlein hat mich hinter Ihnen her geschickt. Ich bin Ihr neuer Referendar, Justin Sieler. Erfreut Sie kennen zu lernen.“
 

Sein Händedruck war ganz normal: eine warme, muskulöse Hand mit schlanken Fingern, an denen kein Ring zu finden war. Leicht gebräunte Haut, als würde dieser Mensch gerade frisch aus dem Urlaub kommen, was wohl auch so stimmen konnte. Schließlich waren erst vor drei Wochen die Sommerferien zu Ende gegangen.
 

„Nein, nein, danke sehr. Es geht mir ausgezeichnet. Vielen Dank. Wollen wir jetzt die Kinder in die Halle schicken?“
 

Gott sei Dank, der Alltag, die Routine hatte mich wieder. Mit langsamen Schritten gingen wir an den Umkleideräumen vorbei, nicht ohne dass ich die Jungs einmal verwarnte, ihre Turnbeutel nicht so durch die Gegend zu pfeffern, da sich sonst leicht jemand verletzen könnte. Den Mädchen rief ich zu, dass die Jungs schon fast fertig waren, um so die Kinder ein wenig anzutreiben.
 

Justin Sieler blieb stets an meiner Seite. Ein leichter Duft seines sommerlichen Aftershaves blies mir in die Nase, als ich mit Schwung die Hallentür öffnete. Wir machten uns daran, aus dem Geräteraum für die Kinder Bälle und Springseile, Matten und zwei kleine Trampolins zu holen. Diese Handreichungen beruhigten mich noch weiter, so dass ich schließlich in der Lage war, offen in Justin Sielers Augen zu blicken.
 

„Ich hoffe, Ihnen gefällt es hier an unserer kleinen Grundschule. Dieses Jahr haben wir leider keine Vorschulklasse, unsere Kinder mussten in den nächstgrößeren Nachbarort ausweichen. Mit nur drei Kindern kann man schließlich keine Klasse bilden, das rechnet sich nicht. Das Kultusministerium würde uns strangulieren, wenn wir für diese wenigen Pimpfe einen Lehrer abstellen würden. Mit unserer Nachbarschule haben wir eine stille Übereinkunft getroffen, dass wir uns gegenseitig aushelfen, wenn es darum geht, wer mehr oder auch mal weniger Schüler hat“, versuchte ich meine Aufgeregtheit weg zu lachen. Was mir irgendwie nicht so richtig gelang.
 

„Interessant zu hören und auch ökonomisch. Hat das Kultusministerium nichts dagegen?“ fragte Justin Sieler.
 

Alleine bei seinem Namen, den ich in Gedanken immer voll aussprach, kribbelte mir der Bauch. Noch bevor ich antworten konnte, stürmten die Erstklässler die Turnhalle und nahmen uns in Beschlag. So ging es während des gesamten weiteren Vormittags. Mittags, nach Beendigung der Stunden, folgte eine Diskussion über einige eilige Änderungen im Stundenplan und das Umlegen von drei meiner Stunden auf andere Tage. Ich war froh, als ich mit meiner Frau in unser Auto, einen Opel Combo, steigen konnte.
 

Gerade, als wir anfahren wollten, klopfte es oben auf unser Autodach. Direktor Haberlein öffnete die Tür an der Fahrerseite, wo zufällig heute ich als Fahrer saß.
 

„Sag mal, kannst du den neuen Referendar mitnehmen? Durch die ganzen Diskussionen hat er seinen Bus verpasst und wie du weißt, fährt der nächste Bus erst in einer Stunde. Seine Wohnung liegt direkt auf eurem Weg, nur zwei Straßen bevor es zu euch ans Ende der Welt geht. Was ist? Geht das?“
 

Ohne mir noch die Chance einer Antwort zu geben, winkte Georg Haberlein schon Justin Sieler zu, er möge doch hier an unser Auto kommen. Gleichzeitig teilte er ihm mit, dass wir ab jetzt eine Fahrgemeinschaft wären. Carola kicherte an meiner Seite und rief unserem Direktor gleich ein „Hast du gut gemacht, aber du kannst es einfach nicht lassen, oder Georg? Wenn es mal einen Tag nicht nach deinem Kopf geht, dann streichen wir den rot im Kalender an.“
 

Sie stieg aus und überließ dem Referendar ihren Platz, räumte noch ein wenig auf dem Rücksitz herum, schob die Kindersitze so weit beiseite, das sie Platz hatte, setzte sich und ich fuhr los. Einfach so, mit dem Duft dieses unglaublichen Aftershaves in der Nase. Justin Sieler entschuldigte sich noch mehrfach, bis Carola ihm mittendrin sagte, dass es kein Problem wäre, wir hätten sowieso die gleiche Strecke.
 

„Wie ich eben auf dem allgemeinen Plan mitbekommen habe, sind Sie morgens ebenfalls wie Morten immer schon für die erste Stunde eingeteilt. Dann machen wir es doch so, dass wir an der Ecke zu ihrer Straße warten und Sie dort morgens aufgabeln und mit zur Schule nehmen. Wir müssen nur ein wenig früher los, da wir unsere Jungs noch zur Tagesmutter bringen. Dienstags, mittwochs und donnerstags sind Sie allerdings alleine mit meinem Mann, denn dann bringe ich die Kinder später weg. Wenn Ihnen das passt, können wir das doch so halten, oder was meinen Sie dazu?“ Wie immer überrumpelte Carola die Menschen genauso gerne, wie Georg Haberlein.
 

Nach einer kleinen Weile des Schweigens, in der sich meine Sinne einfach nicht an diesen Mann an meiner Seite gewöhnen konnten, meinte sie: „Jetzt holen wir aber erst die beiden Racker ab. Jan und Jens haben bestimmt ihre Tagesmutter schon wieder ein paar Nerven gekostet. Sie sind sehr aufgeweckt und immer bereit, neue Dinge zu erkunden.“
 

Ihre Stimme klang mütterlich stolz und auch ich konnte mich eines Anflugs von Stolz nicht erwehren. Unsere Jungs waren schon zwei Fälle für sich, zwei richtige Schelme. Immer neugierig, immer auf der Suche nach neuen Fragen, neuen Erlebnissen, neuen Taten. Und das lief ganz sicher nicht besonders sauber ab. Gleich würden sie auch wieder aussehen, als hätten sie den ganzen Morgen über in einer Schweinesuhle gebuddelt.
 

Der Stolz auf unsere Kinder verflog aber schnell wieder. Mein Magen machte mir gerade Probleme. Morgen war Mittwoch. Der erste Morgen, an dem ich neben Justin Sieler sitzen würde. Ich nahm mir fest vor, gleich, wenn wir nach Hause kamen, eine extra Ration an Vitamin- und Mineralstofftabletten zu nehmen. Das müsste doch wirken und dieses Kribbeln, das ich in der Nase und im Magen hatte, verschwinden lassen.
 

Wir kamen bei Uschi, unserer Tagesmutter an, Carola stieg aus dem Wagen und schon stürmten unsere beiden Wildfänge auf sie zu. Natürlich hatten sie sofort entdeckt, dass wir sie heute nicht alleine abholen kamen. Während der Prozedur des Einsteigens kamen immer wieder Fragen von den beiden Rackern.
 

„Ist das auch ein Lehrer?“

„Geht der in eure Schule?“

„Kommt der jetzt immer mit?“

„Spielt der mit uns?“

„Kann er mit zum Mittagessen kommen?“
 

Tausend und eine Frage. Doch endlich hatten meine Frau und ich es geschafft, die Kindersitze so zurecht zu rücken, dass sich zwischen ihnen noch genügend Platz für Carola fand. Was die beiden zu neuen Fragen anstiftete. Ihr Mund stand bis zur Ecke, an der wir Justin Sieler hinauslassen mussten, nicht mehr still. Carola machte noch einmal klar, dass ich morgen früh pünktlich hier warten würde, um ihn mit zur Schule zu nehmen. Ein letztes Winken von ihm in Richtung der Kinder und ich fuhr weiter. - Sehr erleichtert.
 

„Ein netter Mensch oder was meinst du, Morten? Ein bisschen ruhig vielleicht. Aber das legt sich sicherlich in der nächsten Zeit, wenn er etwas auftaut“, erklärte Carola ruhig und überlegt.
 

Dann beschäftigte sie sich weiter mit den Kindern. Unser Haus war schnell erreicht und ich blieb noch still einen kurzen Moment im Auto sitzen, grübelte darüber nach, was zum Teufel heute geschehen war und warum ich so vollkommen unnormal auf einen anderen Mann reagierte. Kopfschüttelnd sah ich blicklos durch die Frontscheibe. Das passte alles so gar nicht zu mir.

* * *
 

Die nächsten Tage und Wochen wurden nicht besser. Im Gegenteil, es ging mir immer schlechter. Meine Konzentration ließ nach, sobald Justin Sieler in meine Nähe kam. Mir wurde regelrecht schlecht, wenn er morgens neben mir ins Auto stieg und sein frischer Duft meine Nase erreichte. Sobald er neben mir stand, begannen meine Hände fahrig nach irgendwelchen vollkommen unnötigen Unterlagen, Stiften, Ordnern oder sonst etwas zu suchen und immer wieder ertappte ich mich dabei, dass meine Blicke seiner Gestalt folgten, egal wo er sich aufhielt. Für mich wurde es ein Leichtes, ihn überall zu finden. Ich fühlte regelrecht, wo er sich befand.
 

Unsere Gespräche morgens, wenn wir alleine auf dem Weg zur Schule waren, wurden persönlicher. Ich erfuhr von ihm, dass er nur noch eine verwitwete Mutter hatte, dass sie und sein Vater noch vor seinem Kindergartenalter angefangen hatten Geld für sein Studium zur Seite zu legen, anzusparen, mit sicheren Anlagen diese geringen Beträge weiter gut anzulegen, damit das Ersparte auch möglichst hohe Erträge einbrachte.
 

Justin erzählte viel von seiner Mutter, aber nie von einer Freundin oder einer ehemaligen Freundin. Von seinen Streichen mit seinen Freunden erzählte er, von seinem kleinen Hund, der früh verstorben war, ihm aber über den Tod seines Vaters geholfen hatte. Nur nie über Frauen oder Mädchen.
 

'Fast wie bei mir früher', dachte ich bei mir. 'Mich hatten auch alle immer verwundert angesehen, warum ich kein Mädchen hatte. Bis Carola eines Abends meinte, sie könnte doch meine Freundin spielen. Von da an waren wir zusammen. Waren ein Paar. Irgendwie. Früher war es mir nie komisch vorgekommen, dass ich außer für Carola für keine Frau überhaupt ein Interesse hatte. Für gut gebaute Sportler schon eher, besonders Schwimmer hatten es mir angetan. Von ihnen konnte man auch am meisten Körper sehen. Aber mehr, als ihren Körper bewundern, war damals auch nicht.'
 

Durch mein In-mich-gehen war es ruhig im Auto geworden. Plötzlich sprachen wir beide gleichzeitig.
 

„Wie lange seid ihr beide schon zusammen, du und deine Frau?“ fragte Justin.
 

Wir hatten uns vor Wochen schon darauf geeinigt, dass wir uns duzten. Fast alle im Kollegium sprachen sich mit Vornamen an, warum nicht auch wir?
 

„Lass mal rechnen, das müssen jetzt so etwa, hm, ja, etwa 14 Jahre sein. Warum fragst du?“ Ich drehte kurz meinen Kopf zur Seite, verlor aber die Straße nicht aus den Augen.
 

„Hm, nichts. Ich war nur neugierig. Das ist eine ganz schön lange Zeit“, antwortete Justin.
 

„Ja, wenn ich das so bedenke, hast du sicherlich Recht. Sie war schon längst im Studium, als ich gerade an mein Abitur dachte. Wir kennen uns schon ewig. Ganz früher hat sie auf mich aufgepasst. Es hat sich einfach so ergeben...“ meine Stimme versiegte.
 

Ich wollte mir gerade nicht eingestehen, welche Erkenntnis mich traf. Doch dann schob ich all die unsinnigen Gedanken schnell wieder beiseite. Was nicht sein konnte, war auch nicht so. Erst, wenn ich sagte, es war so, dann war es so.
 

„Dann kennt ihr euch bestimmt in- und auswendig. Beneidenswert. Die beiden Jungen sind auch süß, so aufgeweckt und neugierig. Euch geht es offensichtlich sehr gut in eurer Beziehung...“ jetzt war es Justins Stimme, die an Volumen verlor.
 

„Ach, wer kann das schon sagen“, äußerte ich leichthin, zuckte aber doch zusammen.
 

Innerlich war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob wir eine gute Beziehung führten. Wir sprachen über die Kinder, die Schule, andere Eltern, Sport. Früher über die Wohnung, dann das Haus, ob wir genug Geld hatten. Nie, irgendwie nie über uns. In Gedanken ging ich die Jahre zurück. Ich konnte mich nicht daran erinnern, ob ich jemals zu Carola gesagt hatte, „Ich liebe dich“. Beim besten Willen, ich glaubte nicht. Nie.
 

Diese Erkenntnis ließ mich zusammenzucken und eine Flut der unterschiedlichsten Gefühle überrollte mich. Das konnte doch nicht sein. Ich musste es doch bestimmt vor unserer Hochzeit einmal gesagt haben. Aber nein, nichts. Alles blieb leer und schwarz in meinem Kopf. Als wäre mir mein Gehirn davongeflogen, so steuerte ich den Wagen bis an die mir schon zu gut bekannte Straßenecke.
 

„Du, Morten“, zögerte Justin. „Ich, hm, ich dachte mir, weil ich doch immer von euch im Auto mitgenommen werde… Hm… Was hältst du davon, wenn wir uns heute - oder sogar gleich - bei mir in der Wohnung auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen treffen. Du, hm, kommst einfach mit zu mir. Ich habe gestern gebacken.“
 

Von der Seite sah ich, wie ihm ein leichtes Rot in die Wangen stieg und ich musste schmunzeln.
 

„Cool. Ich kann leider gar nicht kochen oder backen. Das macht Carola. Aber dafür bin ich ein guter Handwerker, kann so ziemlich alles reparieren, wenn ich mir die Zeit dafür nehme. Klar komme ich zu dir, wenn du mich mit solch einer Verlockung bittest“, war meine spontane Erwiderung.
 

„Ja, und? Kommst du nun heute mit hoch? Oder doch lieber an einem anderen Tag?“
 

Justins Blick war ruhig, als er mich ansah. Ganz hinten in seinen Augen konnte ich ein warmes Glänzen sehen, das mich tief innen berührte. Unwillkürlich nickte ich und so parkte ich nicht sehr viel später vor dem Haus, in dem er eine Einliegerwohnung gemietet hatte.
 

„Herein in die gute Stube“, meinte Justin und öffnete schwungvoll die Haustür.
 

Etwas zu schwungvoll für die kleine silberne Glocke, die ihm direkt vor die Füße fiel.
 

„Oh, Mist. Dabei habe ich sie doch erst gestern wieder festgemacht“, brummelte er.
 

„Lass mich mal sehen. Ich sagte doch, ich kann so ziemlich alles reparieren.“
 

Ich nahm ihm die Glocke aus der Hand. Nachdem ich sie eingehend betrachtet hatte, fragte ich Justin, wo er sie denn genau hinhängen wollte. Als er mir die Stelle zeigte, musste ich mir das Lachen verkneifen.
 

„Dort kannst du besser ein Gummiband anbringen. Die Glocke würde immer wieder herunterfallen“, war mein fachmännischer Rat.
 

Enttäuscht sah Justin auf meine Hand. Dann seufzte er tief und nahm mir die Glocke aus der Hand.
 

„Schade. Dabei hatte ich das in Asien gesehen. An deren Türen hängt auch immer eine kleine Glocke, die jeden mit ihrem zarten Klang unaufdringlich willkommen heißt. Das hat mir so gefallen, dass ich das auch gerne für mich haben wollte.“
 

Ich legte eine Hand auf seine Schulter, drehte ihn wieder zu mir hin, nahm ihm die Glocke ab und meinte sanft:
 

„Bring mir doch bitte einen Zollstock und einen Hammer, wenn du das im Haus hast. Ansonsten hole ich alles, was ich brauche schnell von Zuhause. Lass mich mal ein wenig nachdenken, aber ich meine, ich bekomme das hin. Gib mir ein wenig Zeit.“
 

In Justins Gesicht ging die Sonne auf. Er strahlte, als hätte ich ihn vor seinen ersten, hell erleuchteten Weihnachtsbaum gestellt. Schnell nickte er begeistert, ging in seine Küche und kam mit dem Gewünschten und einem breiten Lächeln auf dem Gesicht zurück.
 

„Ok, dann tüftele du und ich mache inzwischen den Kaffeetisch fertig. Magst du lieber Marmor- oder Herrenkuchen? Den schneide ich dann für uns auf. Den anderen nehme ich morgen mit zur Schule.“
 

Justins Blick war fragend geworden und mir lief ein eisiger und doch heißer Schauer über den Rücken. Mich würde im Augenblick niemand vermissen. Carola war mit den Jungs zu ihren Eltern gefahren und würde erst heute Abend wieder zurück sein. Es kam mir gerade vor, als würden wir etwas Verbotenes machen, obwohl wir ganz normal hier in Justins Flur standen.
 

Aber auch Justin musste die gleiche Idee angeflogen sein, denn wie bei mir färbten sich seine Wangen ein wenig rot. Schnell drehte er sich um und ging in seine Küche zurück. Kurz darauf vernahm ich das Geräusch von laufendem Wasser, Schubladen, die auf und zu gemacht wurden, Porzellan, das leicht aneinander schlug.
 

Ich riss mich aus dieser leicht unwirklichen Starre heraus und machte mich an meine Überlegungen. Nicht lange danach betrachtete ich das Ergebnis. In meiner Aktentasche führte ich immer ein paar schmale Klappleisten mit, damit meine Hände beschäftigt waren, wenn es mal nichts zu tun oder zu korrigieren gab. An einem schon an dieser Stelle vorhandenen Doppelhaken, den ich herauszog, brachte ich mit wenigen Handgriffen eine der Leisten in einem passenden Winkel oberhalb der Tür an. Dann drückte ich das zweite Stück der Klappleiste umgedreht wieder an, drehte einen der Haken am Ende der zweiten Leiste ein, fertig. Soeben hing ich das Glöckchen daran, als Justin rief, dass der Kaffee durchgelaufen wäre.
 

Zufrieden schaute ich mir das Ganze an, öffnete die Haustür und es erklang ein feines, zartes Bimmeln, das sofort Justin auf den Platz rief.
 

„Mann, das ging aber schnell. Gut sieht das aus. Ich hätte das Glöckchen jeden Tag wieder am Haken befestigt und mich täglich darüber geärgert, dass es mir bei jedem Öffnen der Tür entgegen fällt. So sieht das sogar professionell aus“, machte er mir ein Kompliment.
 

Ich wehrte ab, fühlte mich aber doch mehr als nur ein wenig geschmeichelt. Zusammen gingen wir in seinen Wohnraum hinüber, wo er schon den Tisch liebevoll gedeckt hatte. Sogar ein kleiner Strauß Gartenblumen stand dort und vervollkommnete alles. Es sah sehr häuslich aus, sehr einladend. Noch nicht einmal Carola bekam das so hin. Sie war eher die „schmeiß schnell was in die Pfanne, ich hab Hunger“ Köchin und nicht eine, die sich lange Gedanken über die nächste Mahlzeit machte. Und genauso deckte sie auch unseren Tisch. Nett, aber normal.
 

Ich zuckte zusammen, als ich mich bei diesen Gedanken ertappte. Carola war eine liebe Person, aber niemand konnte sagen, dass sie nicht ihren Anteil an Ungeduld mit sich herumtrug. Und diese Ungeduld hatte ich ihr angekreidet. Und Justin hochgelobt. Zum Glück nur innerlich. Trotzdem fühlte ich mich, als hätte ich Carola verraten.
 

* * *
 

Dieser Kaffeebesuch blieb nicht der einzige. Wir hatten immer etwas zu erzählen, immer fiel uns etwas ein, ein Thema, ein Bild, ein Musikstück, der Wald vor der Tür, die Schule, früher, irgendetwas. Mittlerweile freute ich mich auf die Tage, an denen ich alleine mit Justin zur Schule fuhr. Jeden Morgen machte ich mich sorgfältiger zurecht, hatte mir ebenfalls verschiedene Sorten Aftershave besorgt, damit ich austesten konnte, was mir am besten gefiel. - Oder wohl doch eher Justin.
 

So langsam fiel es auch Carola auf, dass ich mich nicht so richtig unter Kontrolle hatte, doch sie sagte nichts, beobachtete mich nur. Wenn sie nicht bei mir war, musste ich mich deutlich am Riemen reißen, um nicht dem Schatten von Justin Sieler zu folgen. Ich fühlte mich wie ein Stalker, kam aber nicht dagegen an.
 

Es erschien mir so, als würden die unabsichtlichen Berührungen immer zahlreicher. Hier mal ein Vorbeistreifen an meinem Rücken; da mal eine Berührung des Unterarms; sein Arm glitt über meinen Bauch; ein Anlehnen oder über meine Schulter sehen, wobei er sich auf meiner aufstützte, wenn ich an einem Pult oder im Sekretariat an einem leeren Schreibtisch saß. Immer wieder ein nah aneinander vorübergehen, wenn wir uns in den Fluren begegneten, wir durch einen Türrahmen traten, zusammen an der Tafel standen. Inzwischen konnte ich das nicht mehr für reine Imagination oder für unabsichtlich halten. Mein Kopf und meine Gefühle wurden immer konfuser. Ich war doch mit meiner Frau zusammen...
 

Parallel dazu begannen in mir Überlegungen aufzusteigen, die ich nie vorher angestellt hatte. Mein Körper brannte, wenn ich an Justin dachte. Und gar erst in seinen Sportsachen - der Sabber lief mir regelrecht am Kinn herab, wenn ich daran dachte. Es war noch warm genug, um nicht in den längeren Jogginghosen in der Turnhalle herum zu springen. Dieser schlanke, sehnige junge Mann machte in seiner kurzen Sporthose eine sehr gute Figur oder ließ, wenn er sich bewegte, viel von seiner Haut sehen, wenn er mit den Kindern Völkerball oder ähnliches spielte. Wenn sich wieder einmal sein kurzes Shirt etwas verzog oder über den Bach nach oben rutschte, wenn er einen Wurf machte oder zeigte, zitterten mir die Knie. Das alles war für mich unverständlich.
 

Mir hatte es nie etwas ausgemacht, wenn Carola und ich wochenlang keinen Sex hatten. Es reichte uns, dass wir uns freundschaftlich nah waren, wir uns verstanden, da musste es nicht unbedingt zu heißem Sex kommen. Ich konnte mir meine Frau auch gar nicht in einer geilen Sexszene vor Augen führen oder mir auf sie meinen Schwanz wichsen. Alleine die Vorstellung von Carola, die sich wild unter mir wand, brachte einen Schauder über meinen Rücken.
 

Käme es aber zu Justin Sieler, dann hatte ich ihn in den letzten Wochen in so ziemlich allen Situationen überfallen, befriedigt, mich befriedigen lassen, die ich mir nur mit ihm zusammenträumen konnte. Aber nur in der Phantasie - leider. Alleine das vom Sport leicht erhitzte Gesicht Justins vor meinen Augen genügte, um meine Hose auszubeulen. Das war so langsam kein Spaß mehr, auch keine wilde Träumerei. Bei mir ging es schon an die Substanz - und bei Justin, wie ich es sah, auch.
 

Während der letzten Fahrten war er immer stiller geworden, zog sich immer mehr in sich zurück. Seine Referendarzeit war bald abgelaufen. Wo seine nächste stattfand, stand noch in den Sternen. Die Vorstellung, Justin Sieler in Kürze nicht mehr zu sehen, ihn nicht mehr neben mir zu spüren, zu riechen, machte mich kirre. Ich gestand mir endlich ein, dass ich mich wohl in diesen jungen Mann verliebt hatte. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte mich dieses Gefühl erwischt und ich war alles andere als glücklich darüber.

* * *
 

Vor Justins letztem Wochenende fasste ich mir ein Herz und jetzt, Freitagmittag, als Carola gerade aus dem Auto gestiegen war und die Kinder bei Uschi abholte, drehte ich mich zu Justin um, sah ihn einen Augenblick lang an und hörte ich mich sagen:
 

„Justin, das ist jetzt kein schlechter Scherz und die Situation ist gerade total beschissen. Trotzdem möchte ich dir sagen, dass ich mich in dich verliebt habe. Ich würde gerne weiter mit dir darüber sprechen, natürlich ohne Carola und die Kinder. Wenn es dir recht ist, kann ich etwas später zu dir kommen? Bitte, Justin.“
 

Neben mir im Sitz sah ich Justin zitternd seine Hände ineinander schlingen und sie hin und her winden. Ich hatte mich selbst mit meinem plötzlichen Geständnis überrascht, dass ich doch so gar nicht preisgeben wollte. Schon erst recht nicht unter solchen Umständen. Jetzt war es aber geschehen. Die Worte waren aus meinem Mund geschlüpft und ich konnte sie nicht mehr zurückholen.
 

Justin drehte sich zu mir um, um mir eine Antwort zu geben, da pochten auch schon kleine Fäuste gegen seine Fensterscheibe. Es war keine Zeit mehr, sich ausführlich zu unterhalten oder auf Justins Antwort zu warten. Sein Nicken musste mir genügen. So sprang ich aus dem Auto, schnappte mir Jan (Warum ich die Zwillinge schon immer auseinander halten konnte, wusste ich auch nicht, doch es war schon so, seit sie auf der Welt waren.) und bugsierte ihn auf seinen Kindersitz. Wir waren alle eingestiegen und kurz darauf hielten wir auch schon an Justins Ecke. Gerade als er nach seinem Ausstieg die Tür zuschlagen wollte, rief ich ihm hinterher:
 

„Nicht vergessen, um 19:00 Uhr heute Abend.“
 

Meine Stimme klang dabei selbst in meinen Ohren drängend. Das Nicken seines Kopfes, sein eiliger sich entfernender Schritt, mein Anfahren des Wagens, Carolas Frage, was ich denn noch heute Abend bei Justin Sieler machen wollte und der Ausbruch eines kleinen Kinderweltkriegs auf der Rückbank unseres Autos ließen mir keine Zeit für eine vernünftige Antwort. Jedes Wort würde in diesem Chaos untergehen und so schwieg ich, froh, gerade nichts sagen zu müssen.
 

An unserem Haus angekommen, stürmten unsere kreischenden Jungen quer über den Rasen in Richtung auf den Schuppen im hinteren Teil des Gartens zu und stürzten sich auf die davor befindliche Sandkiste. Der Kinderweltkrieg Teil unendlich ging in die nächste Runde. Carola sah mich verwundert von der Seite an, sagte aber nichts, schnappte sich ihre Tasche und einen Ordner aus dem Kofferraum und ließ mir den Vortritt, um die Haustür für sie zu öffnen.
 

In unserem gemeinsamen Arbeitszimmer angekommen, warfen wir erst einmal unsere Taschen neben unsere Schreibtische, legten Unterlagen, Ordner und was wir sonst noch Wichtiges dabei hatten, oben drauf und stürmten unser jeweiliges Schlafzimmer. Wir warfen uns in unsere Freizeitkluft und Carola machte sich ans Kartoffel schnippeln. Ich stand neben ihr an der Arbeitsplatte und putzte das Gemüse, panierte die kleinen Fischfilets, die es heute geben sollte und stellte anschließend schon mal alles für eine schnelle Senfsoße und eine leichte Sauce fürs Gemüse bereit. Die Eier brodelten im Kocher, alles lief ab, wie ein Uhrwerk.
 

Mittlerweile saßen wir am Tisch in der Küche und putzten zusammen das restliche Gemüse, das gleich in den Dampfgarer gegeben werden sollte. Carola blickte auf und ich konnte ihre Augen eindringlich auf mir spüren. Verlegene Röte schoss mir in die Wangen, obwohl ich mir nichts vorzuwerfen hatte, außer einem Wandel in meinen Gefühlen.
 

„Du hast dich verändert, Morten.“ Da waren sie. Die Worte, die alles Neue einleiten würden. „Irgendwie bist du seit ein paar Wochen anders, gefühlvoller, aufgeschlossener. Was hat diese Veränderung hervor gebracht? Justin Sieler?“
 

Sie verschwendete nie viele Worte, um auf den Punkt zu kommen. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr mit einem stummen Nicken zuzustimmen.
 

Dann hörte ich sie leise sprechen. „Es tut mir leid, dass du jetzt in dieser Beziehung mit mir gefangen bist. Damals wollte ich so unbedingt zu dir gehören, gönnte keiner anderen Frau den Platz an deiner Seite. Schon als ich noch auf dich aufpassen durfte oder musste, wollte ich immer bei dir sein. Dabei wusste ich, dass du keine Mädchen mochtest. Wusste es schon sehr lange.“
 

Mit einem kleinen Lacher beendete sie den nächsten Satz. „Schließlich habe ich lange genug auf dich aufgepasst. Aber du warst, du bist mir so wichtig. Morten, es tut mir leid, aber ich konnte nicht anders.“
 

Sie atmete tief ein. „Was ich dir jetzt sage, ist dir sicher nicht verborgen geblieben. Ich kann mich nicht nach Sex verzehren, trage diese Leidenschaft einfach nicht in mir. Das ist schon so, seit ich als Babysitter einmal von einem der Väter, der unter viel Frust und Alkohol stand, brutal vergewaltigt wurde. Es tut mir leid, dir das ebenfalls erst jetzt zu sagen. Aber – du warst meine Rettung. Meine Eintrittskarte, um von meiner Familie, meinem Umfeld wegzukommen. Bei dir fühlte ich mich immer sicher, immer geborgen.“
 

Erstaunt sah ich auf und blickte direkt in Carolas leicht schwimmende Augen, die ihr einfach überliefen. Meine Hand reichte unwillkürlich zu ihrer herüber, griff nach ihr, hielt sie fest in meiner und streichelte sanft mit einem Finger über ihren Handrücken. Dann stand ich auf und eilte um den Tisch herum, nahm sie fest in meine Arme und hielt sie nur einfach fest. Worte waren gerade überflüssig. Dann nahmen wir wieder Platz.
 

„Du musst dir gar nichts vorwerfen. Ich habe, genau wie du vor dem Altar geschworen, dir treu zu sein“, erwiderte ich leise.
 

„Und das kannst du in deinem Herzen jetzt nicht mehr, stimmt's?“ fragte sie mit kleiner Stimme.
 

Wieder konnte ich nur stumm nicken. Dann sah ich auf und direkt in ihre braunen Augen.
 

„Carola, es ist schade, dass du mir erst jetzt etwas so unendlich Wichtiges und doch so Furchtbares sagen konntest. Doch besser spät als nie. Vielleicht ändert sich auch bei dir etwas mit der Zeit. Aber Carola, es ist irgendwie komisch. Ich liebe dich und gleichzeitig verzehre ich mich nach Justin. Auch, wenn dich das jetzt sehr schmerzen wird, aber so habe ich nie für dich gefühlt. Es tut mir leid, dir damit so weh zu tun, aber die Gefühle, die ich für Justin habe, könnte ich für niemand anderen aufbringen. Auch für keinen anderen Mann. Ich glaube, du hast damals etwas erkannt, das mir erst seit ein paar Wochen Probleme bereitet. Worüber ich grübele und mich verzweifelt im Bett herumwälze.“ Etwas atemlos brach ich ab, da ich doch sehr harte Worte gebraucht hatte.
 

Ich hätte mir keine Sorgen machen brauchen. Carola war Carola und so war ihre Antwort: „Warum fragst du ihn nicht, ob er zu uns ziehen möchte? Falls du so weit überhaupt schon gedacht hast. Ich war ja eigentlich daran schuld, dass du dich nie selbst finden konntest und ich wusste es, als ich mit dir zum Altar schritt. Es ist mir recht und solange es keine andere Frau ist, bin ich bereit, dich mit jedem Mann zu teilen, der dich liebt und der mit unseren Kindern zurechtkommt. Es wäre schön, wenn du darüber nachdenken könntest…“ sie stand auf. „…und die Eier abschüttest. Der Ton des Eierkochers geht mir auf die Nerven.“
 

Carola ging aus der Küche und ließ mich total geschockt und in einem Zustand der totalen Ungläubigkeit zurück. Schlafwandlerisch trat ich an den Küchenschrank, schaltete den Eierkocher aus, goss Wasser auf die Kartoffeln, stellte sie auf die Herdplatte, die ich anschaltete. Dann gab ich etwa einen Viertelliter Brühe in den Dampfgarer und legte das Gemüse auf das Sieb, das etwas später im Garer verschwinden würde. Alle meine Handgriffe tat ich automatisch und mit einer Abwesenheit, die mich verwunderte.
 

In meinem Kopf sprangen die Gedanken herum, wie Kinder in einer Hüpfburg, kreuz und quer durcheinander, sich manchmal anstoßend, manchmal auf das weiche Gummi fallend. Konfusion machte sich immer mehr in mir breit, als die Jungs laut johlend zur Küchentür hereinstürmten und etwas zu Essen verlangten.
 

Das Gemüse verschwand im Garer, ich mixte die Soße dafür zusammen, machte eine schnelle Senfsoße und briet vorsichtig die Fischfilets in einer Pfanne an, während Carola zurückgekommen war und den Jungen beim Tisch decken half. Alles wie immer, alles ganz normal.
 

Nur konnte ich mich nicht dazu bringen, mich zu ihnen an den Tisch zu setzen. Ich entschuldigte mich, eilte in mein Schlafzimmer, schloss die Tür ab und versteckte mich in meinem Bett.
 

Endlich, nach gefühlten Jahren des Nachdenkens, klärten sich meine Gedanken ein wenig. Carola wusste schon lange vor mir, dass ich keine Mädchen mochte, dass ich Jungen oder Männer interessanter fand. Doch sie liebte mich so sehr, dass sie das Risiko einging, mich trotzdem zu heiraten, obwohl ich mich jederzeit in einen Mann hätte verlieben können. Was war dann mit unserem Sexleben? War das dann auch von ihr so gewollt worden? Hatten wir wegen ihrer Vergewaltigung oder wegen ihres schlechten Gewissens so wenig Sex? Antworten würde mir nur Carola geben können, doch das stand gerade nicht zur Diskussion. Ein Blick auf meinen Radiowecker zeigte mir nämlich, dass es höchste Zeit würde, mich zu Justin aufzumachen.
 

Hastig sprang ich unter die Dusche, seifte mich rasend schnell ein, immer darauf achtend, trotz allem gründlich zu sein. Blitzartig suchte ich Kleidungsstücke aus den Schränken, eifrig darauf bedacht, zusammenpassende Farben zu wählen. Zwischendurch blickte ich immer wieder prüfend in den Spiegel um zu sehen, ob meine Frisur auch zu meiner Zufriedenheit lag. Zum guten Schluss strich ich mir doch noch einmal durch die Haare, um sie nicht ganz so ordentlich wirken zu lassen.
 

Überstürzt polterte ich die Treppe ins Erdgeschoss hinunter und rief einen lauten Abschiedsgruß in den hinteren Teil der Wohnung, wo die beiden Jungen durch die Zimmer tobten. Den Schlüssel zu schnappen und mich ins Auto werfen war praktisch eine einzige Bewegung. Oder so kam es mir vor. Ohne weiter darüber nachzudenken, stand ich auch schon vor Justins Tür. Nur - was sollte ich ihm sagen?
 

Mit einem Kopfschlenker fegte ich die schlechten Gedanken weg, öffnete die Wagentür, stieg aus, schloss ab und ging mit weit ausgreifenden Schritten den schmalen Weg auf Justins Haustür zu. Einen kurzen Moment zögerte ich, doch dann drückte ich entschlossen auf die Klingel. Ich musste da jetzt durch. Hoffentlich war Justin auch da. Noch hatte ich mir nicht überlegt, was er mir überhaupt für eine Antwort geben könnte, doch war ich tief innen davon überzeugt, dass er mich in seiner Wohnung und vielleicht in seinem Leben willkommen heißen würde. Irgendwie.
 

Den Knopf der Schelle ein wenig länger haltend hörte ich, wie das Gebimmel durch die Wohnung dröhnte. Nur – kein Justin kam heraus. Langsam stiefelte ich ums Haus, bückte mich und blickte in die Fenster der tieferliegenden Einliegerwohnung, die Justin gerade bewohnte. Alles war dunkel dort drinnen und mein Herz brach.
 

Ich hatte mir wohl doch etwas vorgemacht. Justin würde meine Gefühle nicht erwidern, es würde keine Liebe für mich geben. Nur weiterhin dieser freundschaftliche Zusammenhalt mit Carola. Sex konnte ich mir momentan so gar nicht mit ihr vorstellen und so sackte ich neben dem Blumenbeet vor seinem Schlafzimmerfenster zu Boden und weinte. Die Tränen strömten nur so aus mir heraus, ließen keinen Aufhalten zu. Jeder hätte mich so sehen können, doch mir war alles egal. Die Verzweiflung hatte mich fest im Griff und schüttelte meinen Körper.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Yinyin24
2014-10-13T05:16:50+00:00 13.10.2014 07:16
Eine ungewöhnliche Beziehung war es schon aber ich fand es sehr schön sie zu lesen und darüber nach zu denken. Es ist etwas ganz normales zwei Männern sich heiß und innig lieben. Auch die Frau akzeptiert es und ist mit den Kindern glücklich. Die Liebe der Lehrern kann nichts im Weg stehen. Eine große Familie ist immer am schönsten im Leben. Danke sehr. Lg yinka ♥


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