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Erzählungen aus Asgard

One-Shots
von

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Die Schlacht

„Nervous, brother?“

„Haha! Have you ever known me to be nervous?“

„Well, there was a time in Nornheim…“

„That was not nervous, brother! That was the rage of battle!“

„Ah, I see.“

„How else could I fought my way through a hundred warriors and bring us out alive?“

„Uhm, as I recall, I was the one who veiled us in smoke to ease our escape…“

„Yeah. Some do battle, others just do tricks…“
 

Mjölnir beschrieb einen hohen Bogen in Volstaggs Richtung und der massige Krieger stolperte zur Seite. Thor wurde kurz durch die schiere Kraft seines Hammers aus dem Gleichgewicht gebracht, fing sich jedoch binnen Augenblicken wieder und stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden, über seinen Freund gebeugt. Volstagg wirkte, als hätte er noch gar nicht begriffen, warum er sich plötzlich im Dreck sitzend befand, doch dann lachte er laut und herzlich auf. Thor fiel in das Lachen ein und reichte ihm seine Hand, um ihm aufzuhelfen. „Ein guter Kampf“, sagte er, „Wer will als nächstes?“

„Ich bitte dich, Thor“, entgegnete Fandral, der es sich auf einer Bank gemütlich gemacht hatte. Auch seine Kleidung stand vor Schmutz. Sie hatten schon den ganzen Vormittag hier verbracht. „Du bist der einzige von uns, der noch stehen kann. Gönn uns eine Pause!“

„Ja, lasst uns etwas essen!“, fügte Volstagg hinzu, woraufhin Fandral die Augen verdrehte und Thor noch einmal laut auflachte. „Was meinst du, Hogun?“, fragte er und wandte sich in die Richtung, wo er den Freund vermutete, aber dort war er nicht. Auch die anderen schienen erst jetzt sein Fehlen zu bemerken. „Wo ist er?“, fragte Fandral.

„Vielleicht in der Halle“, sagte Volstagg, „Lasst uns sehen, ob wir ihn finden.“

Nur widerwillig verließ Thor den Kampfplatz. Es war der erste Tag seit langem, an dem er wieder hier war, und ganz ehrlich, er hatte die Duelle, das Ringen, den Schweiß und den Staub vermisst. Sein Vater hatte ihn in letzter Zeit sehr oft in seiner Nähe haben wollen, da er sich auf einen Odinschlaf vorbereitete und Thor währenddessen seinen Platz einnehmen sollte. In eben diesem Augenblick war sein Bruder bei ihm, um seinerseits Instruktionen entgegenzunehmen. Er würde Thor beratend zur Seite stehen, was diesen sehr beruhigte. Der Magier verstand weitaus mehr von Staatsangelegenheiten, als er.

„Kann der Allvater schon sagen, wie lange er diesmal schlafen wird?“, fragte Fandral, als sie die Halle betraten. Nach der Hitze draußen strömte ihnen hier eine angenehm kühle Luft entgegen, und sie atmeten einmal tief durch.

„Nun, es wird wohl ein paar Tage andauern“, antwortete Thor, „Aber wie lange genau, wusste er noch…“ Er unterbrach sich, als eine Schneewehe ihren Weg versperrte. Sie hatten gar nicht bemerkt, wie sehr die Kälte während ihrer letzten Schritte zugenommen hatte, doch nun beäugten sie ungläubig die kleine Winterlandschaft im Gang vor ihnen. Volstagg nahm eine Hand voll Schnee, nur, um festzustellen, dass er tatsächlich echt war. „Was zum…?“, murmelte er. Doch Thor schüttelte nur lächelnd den Kopf. „Loki?“, sagte er laut, „Wo bist du?“

Daraufhin erklang über ihnen leises Gelächter. Thor blickte auf und sah seinen Bruder auf der Empore stehen, gelassen an der Balustrade lehnend; seine dunkle Gestalt hob sich vor dem Hintergrund der goldenen Wände ab.

„Was soll das?“, fragte Thor und machte eine allumfassende Geste in Richtung des Schnees.

„Kein Scherz, wirklich nicht!“, sagte Loki, „Irgendeines der unterirdischen Aquädukte ist gebrochen. Ich dachte, bevor die halbe Halle überschwemmt wird, sorge ich für etwas Abkühlung.“

„Seit wann nutzt er seine Kräfte, um etwas Nützliches zu tun?“, murmelte Fandral, und von oben wurde ihm mit einem belustigten „Das habe ich gehört!“ geantwortet.

„Komm zu uns“, rief Thor, „Leiste uns Gesellschaft!“

Während sie warteten, ließ er noch einmal den Blick über die kleinen Schneeberge wandern und schüttelte erneut sein Haupt. Er selbst, dachte er, würde nie auf solche Ideen kommen. Fandral beugte sich jetzt auch vor, formte einen Schneeball und warf ihn Volstagg an die Brust, als wolle er ausprobieren, ob das verzauberte Material auch allen normalen Ansprüchen genügte. Dann stand Loki neben Thor und musterte ihn von oben bis unten. „Was hast du gemacht, Bruder, du siehst schrecklich aus“, sagte er, „Und du stinkst.“

„Komm mit mir auf den Kampfplatz und ich werde dich zu Meinesgleichen machen“, entgegnete Thor und legte ihm einen Arm um die Schultern, allein, weil er so schön den Mund verzog, als der feine Stoff seiner Kleidung beschmutzt wurde.

„Zu einem verstaubten, grunzenden Riesen, meinst du? Danke, ich verzichte.“ Sie tauschten noch ein paar Sticheleien aus, während sie zu einem der Säle gingen, wo stets eine mehr oder weniger gut gedeckte Tafel bereitstand. In Asgard hungerte und durstete niemand. Als sie den Saal betraten, erblickten sie nicht ohne Erstaunen Hogun, der es sich auf einer der Bänke bequem gemacht hatte und…aß.

„Du elender Verräter!“, rief Volstagg und hörte sich dabei so ernst an, dass sie ihm seine Worte beinahe geglaubt hätten. „Wann hast du dich weggeschlichen? Und wie kannst du es nur wagen, schon zu essen, während wir uns noch auf dem Kampfplatz verausgabten?“
 

Odins Söhne sahen sich erst am Abend wieder. Thor hatte auch den Rest des Tages mit Kampfübungen verbracht, die ihn herrlich ruhig und ein wenig schläfrig machten, wie es nur körperliche Anstrengung vermochte. Nun hatte er ein Bad genommen und genoss das Gefühl frischer Leinen auf seinem Körper und den Geschmack von Wein auf seiner Zunge.

Ein leises Klopfen kündigte den Besuch seines Bruders an. Eine Seite der Doppeltür schwang ein Stück nach innen und Loki kam herein. In den Armen hielt er einen Stapel Papiere. „Ich wollte mit dir über Vaters Wünsche sprechen.“

Thor wies auf den breiten Fenstersims, wo einige Kissen und Felle lagen, und holte einen zweiten Becher Wein, den er Loki reichte, bevor er sich zu ihm setzte. Sie verharrten eine Weile so, tranken und betrachteten den Himmel, der sich zur Nacht langsam dunkel verfärbte. Es gab keinen Himmelskörper, der alle anderen überstrahlte, wie auf Midgard. Hier änderte sich lediglich die Intensität des Lichtes, die den Tag einteilte. Es war kaum einmal richtig hell in Asgard, die Dämmerung nahm die meiste Zeit ein.

„Nun denn“, sagte Loki schließlich, „Ich nehme an, er hat dir ähnliches aufgetragen, wie mir.“

„Die üblichen Geschäfte“, entgegnete Thor, „Wir kümmern uns um alle Gesuche und gewähren Audienzen. Alle Streitkräfte stehen unter unser beider Gewalt, aber in der Hauswirtschaft hat wie immer Mutter das letzte Wort.“ Sie tauschten ein schelmisches Grinsen. „Nicht, dass ich versessen darauf wäre, die Farbe und Motive neuer Wandteppiche auszuwählen.“ Lokis Mundwinkel wanderten noch ein Stück weiter auseinander.

„Was ist das?“, fragte Thor und deutete auf die Papiere, die nun zwischen ihnen lagen. Augenblicklich wurde Loki wieder ernst. „Vater hat mit dir über Nornheim gesprochen?“, fragte er und nun verdüsterte sich auch Thors Miene.

Zwischen Asgard und Nornheim gab es seit Urgedenken Streitigkeiten um die kleinen Landstreifen des Grenzgebietes. Es gab ein paar Dörfer und Felder, die regelmäßig den Herrn wechselten, je nachdem, wie die Schlacht ausging. Und zu einer Schlacht kam es in den meisten Fällen.

„Es hat wieder Überfälle gegeben“, sagte Thor, „Zu der ungünstigsten Zeit, die man sich denken könnte! Verflucht seien sie!“

„Vielleicht müssen wir nach Nornheim ziehen, während Vater schläft“, sagte Loki und entrollte einige seiner Papiere, die, wie sich herausstellte, Karten der Grenzregion zeigten. „Besser, wir fangen schon jetzt an, einen Schlachtplan auszuarbeiten.“

Es war ein Ernstfall, den sie schon oft spielerisch geprobt hatten. Thor kannte Asgards Truppen in- und auswendig und Loki wusste, wie man sie am besten einsetzte. Sie hatten ungezählte Male zusammen hier oder an anderen Orten gesessen und über die perfekte Aufstellung des Heeres diskutiert.

„Unsere Truppen sind bereit, sofort aufzubrechen, wenn es nötig wird. Dafür hat Vater schon vor einiger Zeit gesorgt.“

„Das ist gut zu wissen. So haben wir eine Sorge weniger.“

„Wie wollen wir vorgehen?“

„Es ist ungünstig, die gesamte Stärke auf die Flügel zu legen. Das Gebiet ist unwegsam, also würde ich vorschlagen, wir konzentrieren unsere Kräfte auf das Zentrum des Heeres... Es ist vor allem wichtig, dass wir sie schnell zurückdrängen. Wir dürfen auf keinen Fall nachgeben!“

„Du erinnerst dich, dass Karnilla Dämonentruppen hält, Loki?“

„Gewiss. Wie viele voll gerüstete Krieger haben wir?“

„Ausreichend, aber ich möchte mich nicht allein auf sie verlassen. Unsere Männer sind allesamt gut ausgebildet und die Heerführer verstehen ihr Geschäft.“

„Sehr gut. Ich habe mir einen Schlachtplan überlegt, doch er wird nur greifen, wenn jeder einzelne Mann auf das Kommando seines Vorgesetzten hört. Glaubst du, das wird funktionieren, Thor?“

Es wurde dunkel, bevor sie zu einem Ende kamen. Der Wein ging zur Neige, ein paar Blätter hatten sich mit Notizen in Lokis enger Handschrift gefüllt und vor einer Weile war ein Diener hereingekommen und hatte reihum Kerzen entzündet. Als Thor sich schließlich zurücklehnte, war er müde, aber zufrieden. Sollte es während ihrer beider Amtszeit Unruhen an der Grenze zu Nornheim geben, waren sie vorbereitet.

Schweigen breitete sich zwischen den Brüdern aus, als jeder seinen eigenen Gedanken nachging. Sie hatten sich mit dem Rücken an die Pfeiler des Fensterbogens gelehnt und betrachteten erneut den endlosen Himmel Asgards, der zu jeder Zeit mit Sternen gesprenkelt war. Auch wenn sie seinen Anblick schon seit ihrer Geburt gewohnt waren, zog er doch die Blicke aller Asen magisch an. Er war eine ständige Ermahnung, dass sie nicht allein waren, sondern dass es viele Welten gab. Sie, die sie darum wussten, trugen eine umso größere Verantwortung.
 

Nur zwei Tage später fiel Odin in seinen Schlaf. Man ordnete seine Glieder, sodass er ausgestreckt auf seiner Lagerstatt lag, von einem goldenen Nebel eingehüllt. Frigga und ihre Zofen wachten die ganze Zeit bei ihm und sorgten dafür, dass es seinem Körper an nichts fehlte.

Ihre Söhne meisterten derweil die Staatsgeschäfte.

Thor legte beinahe festtäglich anmutende Kleidung an, die eigens für solche Geschäfte angefertigt worden war. Er war den steifen Stoff nicht gewöhnt und der reich bestickte Kragen kratze ihn am Hals. Außerdem vermisste er das beruhigende Gewicht seiner Rüstung, die er kaum je ablegte, auf seinen Schultern. Als er sein Spiegelbild kurz in einem Wasserbecken musterte, erkannte er sich kaum wieder: Sein Haar war glatt gebürstet und sein Bart ordentlich gestutzt. Er hatte sich in letzter Zeit wirklich vernachlässigt.

Thor griff nach Mjölnir und machte sich auf den Weg in den Thronsaal. Schon von weitem hörte er das Stimmengewirr der Bittsteller; sie waren wie immer in Scharen gekommen und warteten nun darauf, dass man sie einließ. Als er das erste Mal Odins Platz eingenommen hatte, waren sie noch etwas skeptisch gewesen, doch inzwischen brachten sie ihm das gleiche Vertrauen entgegen, wie seinem Vater.

Er betrat den Saal durch eine Seitentür und bemerkte als erstes seinen Bruder, der bereits neben dem Thron stand und Gungnir, den mächtigen Speer des Allvaters, in den Händen hielt. Erst jetzt, wo das Gefühl verflog, merkte Thor, wie angespannt er gewesen war. Doch der Anblick Lokis, der sich so natürlich in den edlen Gewändern bewegte, beruhigte ihn ungemein. Auf seinen Rat konnte er bauen, denn Loki hatte noch nie falsch entschieden. Jedenfalls noch nie während einer Audienz.

Er blieb auf der anderen Seite des Throns stehen und betrachtete einen Augenblick lang die gepolsterte Sitzfläche. In solchen Momenten wurde ihm klar, was schon seit einer gefühlten Ewigkeit feststand: Dass tatsächlich er es war, der Odin folgen und König von Asgard werden würde. Und Loki –Loki würde weiter neben dem hohen Stuhl stehen und sich zu seinem Ohr hinab beugen, um ihm mit seiner dunklen Stimme Rat zuzuraunen. Dieses Bild vor seinem inneren Auge behagte Thor nicht. Er würde etwas daran ändern, sobald er König war.

„Wir müssen anfangen, Thor.“ Ah, das war die Stimme, die er eben noch in seinen Gedanken gehört hatte. Wie immer klang sein Bruder ganz gelassen, beinahe geschäftlich. Er kam auf ihn zu und hielt ihm Gungnir hin. Thor blickte ehrfurchtsvoll auf den Speer hinab, bevor er Mjölnir neben dem Thron auf ein Polster bettete und ihn an sich nahm. Kurz waren ihrer beider Hände, Thors und Lokis, um den runenverzierten Schaft geschlossen und hielten sein Gewicht gemeinsam. Dann ließ Loki los und trat einen Schritt zurück, als betrachtete er ein Kunstwerk. „Königlich, mein Bruder“, urteilte er; die Worte wurden aber wie immer von einem spitzbübischen Lächeln begleitet, „Sehr würdevoll.“ Thor stieß die Luft aus und grinste ihn schief an. Er fragte sich oft, ob Loki schon genauso lange wusste, wie er, dass er nicht für die Herrschaft Asgards bestimmt war. Vielleicht tat er es schon länger. Für solche Dinge hatte sein Bruder ein ganz anderes Gespür. Aber selbst wenn er es vor ihm gewusst hatte, hatte er sich nie etwas anmerken lassen.

„Öffnet die Türen“, sagte Thor in den Raum hinein und das Echo seiner Stimme wurde vom Gemurmel der Leute draußen verschluckt, die sofort verstummten, sobald sie bemerkten, dass die Audienz nun begann. Nacheinander wurden sie eingelassen, manchmal waren es Gruppen, manchmal einzelne Asen oder Vertreter anderer Welten, die den Rat des Allvaters suchten. Die schiere Größe von Odins Halle schüchterte viele von ihnen ein, die noch nie hier gewesen waren. Zuerst versuchte Thor ihnen gut zuzureden, damit sie laut genug sprachen und man ihnen nicht alles aus der Nase ziehen musste. Allerdings waren seine Worte oftmals recht ungeschickt gewählt, was er immer daran merkte, dass die Leute vor ihm zurückzuckten. Es war jedes Mal dasselbe, Vertrauen hin oder her, besonders bei den Fremden. Er musste sich immer wieder daran gewöhnen, mit den Untertanen seines Vaters zu reden –und es war immer eine neue Herausforderung.

Schließlich warf er einen flüchtigen Blick über die Schulter zu seinem Bruder, der sich daraufhin zu seinem Ohr herabbeugte. „Rede du“, sagte er resigniert zu Loki, erntete jedoch nur ein Schnauben. „Du sitzt auf dem Thron. Was meinst du würden die Leute sagen, wenn du andere für dich reden lässt? Das ist hochmütig, Thor.“

„Dann sag mir zumindest, was ich sagen soll!“

„Rede leiser“, sagte Loki, „Hör auf, die armen Leute mit deiner dröhnenden Stimme in Angst und Schrecken zu versetzen. Das wird genügen.“

„Du bist mir heute keine sehr große Hilfe, Bruder…“

„Nun, irgendwann solltest du lernen, allein zurecht zu kommen. Ich werde nicht immer tröstend deine Hand halten können… Überlege doch mal, wie das aussehen würde!“

Thor zog es vor, auf diese kleine Spitzfindigkeit nichts zu erwidern und Loki so zumindest eine Zeit lang seinen Spaß zu verderben. Während sein Bruder nicht im Mindesten so wirkte, als stellte diese Situation in irgendeiner Weise eine Ausnahme für ihn dar, rutschte er bereits hin und her, weil ihm wieder einmal klar geworden war, dass er eigentlich auf den Kampfplatz gehörte und nicht in diese Halle. Es sollte ihm doch erlaubt sein, sich noch ein paar Jahre auszutoben, oder etwa nicht? Dann konnte er sich immer noch mit Staatsdingen befassen. Im Grunde war es ja nicht so schwer. Bis jetzt hatte er heute immer die richtigen Urteile getroffen, denn Loki hatte noch keine Anstalten gemacht, einzugreifen, also musste er ja doch so etwas wie ein natürliches Gespür für diese Dinge haben.

Wenn es sich erst einmal an das viele Stillsitzen gewöhnt hatte, würde er ein guter König sein.

Sie waren beinahe am Schluss angelangt (Es wurde Zeit. Der Himmel verdunkelte sich schon wieder zusehends.), als zwei gehetzt aussehende Bauern vor den Thron traten.

Thor war augenblicklich wachsam. Diese zwei brachten schlechte Nachrichten, das wusste er instinktiv. „Nun, aus welchem Grunde seit ihr hier erschienen?“, fragte er.

In diesem Moment sah er am Rande seines Sichtfelds, wie Lokis Hand den Thron berührte, als wollte er sie eigentlich auf seiner Schulter ablegen. Er war aufs äußerste Angespannt und sein Körper strahlte leichte magische Energie ab. Die feinen Haare auf Thors Unterarm stellten sich auf, als diese geladene Aura ihn berührte. Loki sandte ihm eine stumme Warnung.

„Herr, wir kommen von der Grenze zu Nornheim“, begann der erste und sofort war ihre Unruhe in konkrete Gedanken gekleidet. Thor hielt sich gerade so davon ab, Loki einen vielsagenden Blick zuzuwerfen und machte stattdessen eine Handbewegung, damit der Ase fortfuhr.

„In letzter Zeit hat es oftmals Überfälle gegeben. Ich meine, öfter als sonst, Herr, und nun haben ein paar Dämonen es sogar gewagt, die Grenze weit zu überschreiten. Seitdem sind es immer mehr geworden. Wir befürchten, dass ein Angriff bevorsteht.“

„Karnilla.“ Der Name der Magierin verließ Thors Kehle wie ein Grollen. Für einen Moment war er stumm vor Zorn. Woher hatte sie bloß von Odins Schlaf gewusst? Oder hatte sie es nicht gewusst, sondern einfach nur Glück?

In diesen wenigen Momenten, da er von seinen Gefühlen überwältigt wurde, hatte Loki entschieden, zum ersten Mal an diesem Tag einzuschreiten. „Wir danken euch für eure Botschaft“, sagte er und seine Stimme holte Thor wieder in die Gegenwart zurück, „Schlaft heute unter Odins Dach und stärkt euch; dann brecht morgen so schnell wie möglich auf und überbringt die Nachricht an eure Familien, dass Thor Odinssohn ein Heer aufstellt und den Dämonen entgegenzieht.“

„Mein Bruder spricht Wahrheit!“, sagte Thor nun und stand auf, „Thor Odinssohn wird euch nicht eurem Schicksal überlassen!“ Grimmig und entschlossen blickte er auf die beiden Unglücksboten hinab. Er spürte die Präsenz Lokis an seiner Seite und las Ehrfurcht in den Augen seiner Untertanen. Auf diese mussten sie wirken wie zwei lebendige Statuen, groß und mächtig, unbezwingbar in der Einheit, die sie bildeten.

Die beiden Landwirte verbeugten sich tief und zogen sich hastig zurück; sie hatten die Halle noch gar nicht verlassen, als Thor bereits weitere Befehle gab: Er ließ die restlichen Audienzen vertagen und die Heerführer in seine Gemächer bestellen. Sie mussten jetzt schnell handeln.

Dann wandte er sich noch einmal um. „Wir sollten Mutter den Speer übergeben“, entschied er, „Ich werde mit Mjölnir kämpfen. Wirst du ihn ihr bringen und ihr alles erklären? Und dann komm auch zu mir. Ich brauche dich jetzt am meisten.“ Es fiel ihm leicht, dies zu sagen. Er hatte es schon oft getan. Doch anders als sonst antwortete Loki ihm nicht mit einem spöttischen Lächeln, sondern mit vollkommener Aufrichtigkeit.

„Das werde ich“, sagte er.
 

Ein paar Tage später saßen sie an Odins Bettstatt, Frigga in ihrer Mitte, ihrer beider Hände haltend. Sie wirkte betrübt. Und doch war sie stolz, zwei Söhne zu haben, die in der Schlacht zu größten Ehren gelangen würden. Stumm nahmen sie Abschied vom Allvater, Thor mit grimmiger Miene; Lokis Gesicht gab seine Gedanken nicht Preis. Jeder hielten sie die Mutter einige Augenblicke lang in den Armen und vernahmen ihre geflüsterten Worte, die sie ermahnten, zu ihr zurückzukehren, noch größer, als sie es schon waren. „Bring ihn mir zurück“, raunte sie jedem von ihnen zu, „Sorge dafür, dass dein Bruder zu mir zurückkommt.“

Als sie die vertrauten Gemächer verließen, versuchte Thor, den Blick seines Bruders zu erhaschen. Es war umso vieles leichter, an seiner Seite in den Kampf zu reiten, als allein. Loki war ein Stück Familie, das immer bei ihm sein würde.

„Wie seltsam“, murmelte er schließlich, „Wir wissen genau, es wird nur ein kleines Gemetzel werden im Vergleich zu den Schlachten, die Vater schlug, doch…“

„Ich weiß“, unterbrach Loki ihn, „Der Tod steht hinter jeder Ecke, selbst für uns, die wir doch so stark sind. Du vergisst, dass unsere Feinde ebenfalls Asen sind, auch wenn sie es selbst vielleicht leugnen.“

„So etwas vergesse ich nicht“, sagte Thor, „Aber in solchen Momenten, wenn ich Mutters trauriges Gesicht sehe, denke ich manchmal, wie sinnlos diese Kämpfe doch sind.“ Der Tod war etwas Seltsames für die Asen. Sie waren stark, ja, und konnten viele Jahrhunderte alt werden, doch besonders auf dem Schlachtfeld kam der Tod sehr schnell. Sie waren nicht unsterblich, so einfach war das.

Loki blieb stehen. Thor ging noch ein paar Schritte, bevor er es bemerkte. Als er sich umdrehte, erblickte er die spöttisch-erstaunte Miene seines Bruders. „Was ist?“

„Thor, ich mache mir Sorgen“, sagte Loki, „Solltest du endlich vernünftig werden? Oder hast du nur bereits den ersten Schwips des Tages?“

Augenblicklich waren Thors Bedenken in den Hintergrund getreten. Eine gute Herausforderung ließ ihn immer alle Sorgen vergessen; und herausfordernd war Lokis Blick. Und der Tod… der Tod konnte ihm, dem Odinssohn, doch nichts anhaben, im Gegenteil: War er nicht sein Freund? Er spürte die Aufregung vor dem nahen Gefecht und ließ seine Muskeln spielen, bereit für einen kleinen Vorkampf. „Du kannst dir dann Sorgen machen, Bruder, wenn du es nicht unterlässt, mich so zu verspotten“, sagte er und lächelte böse.

„Sorgen? Worum? Dass du in deinem Delirium über deine eigenen Füße fällst, dir etwas brichst und ich deinen massigen Körper dann auf deine Lagerstatt schleppen darf?“, entgegnete Loki. Mit einer schnellen Bewegung haschte Thor nach ihm, bekam aber nur ein paar grüne Funken zu fassen, die bei seinem Griff auseinander stoben. Im gleichen Moment erklang das Lachen seines Bruders hinter ihm.

„Bei meinem Helm, Thor“, sagte er, „Ich werde dir an dem Tag ein Fass des besten Weins Asgards spendieren, an dem du nicht auf diesen Trick hereinfällst!“

Thor schlang einen Arm um seine Schultern, was etwas kompliziert war, da sie beide ihre Rüstungen mir den ausladenden Umhängen trugen. „Behalte deinen Helm lieber auf dem Kopf“, sagte er, „Denn den brauchen wir auch in Zukunft noch in Gänze. Und außerdem kann ich dich so im Getümmel viel besser erkennen.“ Ihre Blicke wanderten automatisch zum betreffenden Gegenstand in Lokis Händen. „Außer dir ist niemand so blöd, sich als Kuh auszugeben!“

Mit einer flüchtigen Bewegung schüttelte Loki Thors Arm ab. „Fängst du schon wieder damit an?“, fragte er milde, doch Thor spürte, dass diese Milde nur oberflächlich war und machte sich bereit für eine schnelle Flucht. „Ich weiß überhaupt nicht, warum du gerupftes Huhn dich so aufspielst“, fügte Loki hinzu.

„Nun, mein Lieber, ein gerupftes Huhn kann immerhin nicht an den Hörnern gepackt werden…“

Lokis Fluch erwischte ihn, obwohl er sofort lossprintete. Das prickelnde Gefühl auf seinem Hintern hielt noch eine Zeit lang an.
 

Es war ein trostloses Gebiet, um das Asgard und Nornheim sich stritten. Die wenigen Bauern, die darin lebten, konnten sich mit dem, was sie der dürren Erde abrangen, gerade so selbst versorgen. Doch ihre Heimat lag an einem strategisch sehr günstigen Punkt zwischen den beiden Ländern, denn wer es kontrollierte war auch im Besitz eines Ausläufers des großen Gebirges von Asgard. Von diesen Erhebungen aus konnte man in beide Richtungen meilenweit über das flache Land sehen. Man konnte den Nachbarn (den Feind?) im Auge behalten und Feldzüge planen wie auf einem Spielbrett. Asgard war es gelungen, seine Herrschaft über dieses Gebiet seit langer Zeit zu halten –Odins Söhne waren noch Kinder gewesen, als zum letzten Mal an dieser Stelle gekämpft worden war– doch nun war Nornheim scheinbar erneut erstarkt.

„Wo bleibt er?“, murmelte Fandral und spähte in den Himmel -sie alle spähten in den Himmel, Thor, Sif, Volstagg, Hogun. „Ich habe es gesagt, Thor, Karnilla ist eine Magierin, die zieht ihn doch an wie Scheiße die Fliegen, ich hab’s gesagt, trau keinem von der Sorte- “

„Er kommt“, sagte Hogun, der von allen die schärfsten Augen hatte. Tatsächlich war ein kleiner schwarzer Punkt am Himmel erschienen, der sich schnell vergrößerte. Einige Herzschläge später erkannten sie, dass es tatsächlich der Adler war. Er machte einen Schlenker über ihren Köpfen und stürzte sich auf sie herab. Seine Konturen lösten sich auf und es waren Lokis Stiefel, die die Erde berührten.

„Warum hat das so lange gedauert?“, fragte Sif sofort und Loki hob die Hände. „Ihre Späher haben mich gesehen und wollten mich vom Himmel holen. Sie haben verdammt gute Bogenschützen.“

„Feiglinge“, schnaubte Thor. In Asgards war es verpönt, den Bogen zu etwas anderem zu benutzen, als zur Jagd. „Nun gut. Was gibt es noch zu berichten?“

„Das Heer ist gut organisiert“, sagte Loki, „Wenn auch etwas kleiner, als das unsere. Wie gesagt, sie haben eine ganze Reihe Bogenschützen, ansonsten eine große Anzahl von Dämonenkriegern, die sie im Zentrum ihrer Ordnung aufgestellt haben. Außerdem habe ich ein paar Sturmriesen gesehen.“ Daraufhin blickten sie ihn entgeistert an. Wie waren Sturmriesen nach Asgard gelangt?

„Karnilla muss den Bifröst umgangen haben“, mutmaßte Fandral, „Diese Hexe.“

„Nun, aber das können wir jetzt und hier nicht ändern“, sagte Thor, „Sturmriesen hin oder her, wir wissen, wie man Ungeheuer fällt.“ Er unterstrich seine Aussage, indem er Mjölnir gefährlich kreisen ließ und übte sich dann erneut in brodelndem Schweigen.

Nach einer Weile fragte Sif: „Was ist mit Karnilla, Loki?“

„Ist auf Nornkeep geblieben.“ Daraufhin konnte Volstagg sich einen überheblichen Blick auf Fandral nicht verkneifen. „So viel zu Scheiße und Fliegen“, raunte er ihm zu.

„Schluss damit!“, sagte Thor und hatte augenblicklich die Aufmerksamkeit aller. Er mochte gerne raufen, trinken und lachen, doch wenn es zur Schlacht kam, offenbarten sich Thors wahre Fähigkeiten als großer Krieger, der er war. Er duldete keine Abschweifungen. Er duldete keine Sticheleien, keinen Streit zwischen seinen Männern. Auf dem Schlachtfeld wusste keiner besser, was zu tun war, als er, und er war sich dieser Verantwortung vollends bewusst. Ihrer aller Leben lagen in seiner Hand und genau deswegen wurde jede Missachtung seiner Befehle von ihm persönlich in aller Strenge bestraft.

Mit wenigen Worten wies er seinen besten Kämpfern ihre Plätze an der Frontlinie zu. An sie sollten die Truppen sich halten, damit kein Chaos entstand. Er selbst würde ihre stärksten Truppen, das Zentrum ihres Heeres, anführen und mit ein bisschen Glück und viel mehr Kampfeswillen eine ordentliche Schneise schlagen, sodass der Rest nur noch von beiden Seiten aufgerieben oder zurückgedrängt werden musste.

„Loki“, sagte er schließlich, „Deine Augen brauche ich über mir.“ Sein Bruder nickte nur und schwang sich im nächsten Augenblick wieder als Adler in die Luft.
 

Asen kämpften zu Fuß. Es gab keine Pferde, es gab keine weitreichenden Geschütze, nur die einzelnen Krieger, ihre prächtigen Rüstungen und ihre großen Waffen. Jede dieser Waffen war einzigartig, hatte einen Namen, geheim oder nicht, und war genau für den Krieger bestimmt, der sie hielt. Im Grunde kämpfte jeder allein, doch mit seinen ausgezeichneten Heerführern gelang es Thor, eine gewisse Ordnung beizubehalten; auch dann noch, als die Fronten aufeinander prallten und alles im Chaos zu versinken schien.

Es gab Dinge, die immer gleich blieben, egal, ob es sich um eine große Schlacht oder ein kleines Gemetzel handelte: Das Blut, natürlich, die Schreie und der Staub. Das langsame Ermüden der Arme, doch das war ein Gefühl, das Thor kannte und ignorieren konnte. Auch er war ein Einzelkämpfer. Begleitet von den Kampfschreien seiner Männer stürzte er sich ins Getümmel, schlug wild um sich und spürte, wie sein Blut mit jedem Schlag stärker kochte. Er hatte Spaß. Das hier war seine Arbeit. Und er verrichtete seine Arbeit mit grimmiger Freude. Die Asen aus Nornheim und ihre dämonischen Verbündeten waren würdige Gegner. Sie machten es ihnen nicht leicht, aber langsam schlugen sich die asgardischen Truppen einen Weg durch ihr Heer.

Der Schrei eines Greifvogels, der die Geräusche der Schlacht durchschnitt, ließ Thor innehalten. Er zog sich ein paar Schritte zurück, ließ sich von seinen Männern abschirmen und streckte den Arm aus. Wenige Augenblicke später landete der Adler darauf, grub seine Krallen leicht in Thors Rüstung.

„Die linke Flanke ist geschwächt“, sagte Loki, „Sif ist in Schwierigkeiten. Und Fandral wird auf der anderen Seite abgedrängt.“

„Schick die Reserve zu Fandral“, sagte Thor, „Wir hier werden uns zu Sif durchschlagen.“

„Aye.“ Der Adler spreizte seine Flügel ein wenig und Thor gab ihm Schwung, als er sich abstieß. Er sah ihm nicht nach, sondern hob Mjölnir und beschwor einen mächtigen Blitz, der mit einem Schlag alle Feinde in seiner näheren Umgebung auslöschte. In den wenigen Augenblicken der Ruhe danach brüllte er den Befehl zum Richtungswechsel über das Feld. Nun stürmten sie nach links, in der Hoffnung, einige der Truppen Karnillas einzukesseln und so zu Sif zu gelangen.

Es wurde schwierig. Immer wieder wurden sie in eine andere Richtung gedrängt, weiter zwischen die Reihen ihrer Feinde. Thor schlug wild um sich. Er war schon längst im Blutrausch, ermahnte sich, auf seine Männer zu achten, doch es fiel ihm immer schwerer. Auf einem Schlachtfeld konnte man leicht die Orientierung verlieren. Waren sie schon zu weit von ihrem Ziel abgewichen? Wie viele seiner Krieger waren noch hinter ihm? Flüchtige Blicke konnten ihm keine Antwort auf diese Fragen geben. Das vergossene Blut machte alle gleich. Er erkannte seine Feinde an der Art, wie sie auf ihn zustürmten, nicht an ihrem Aussehen. Und was waren das überhaupt für dämonische Kämpfer? Starben sie, wenn er sie niederschlug? Sie ließen sich zurückdrängen, ja. Die meisten schlug er mit einem mächtigen Streich nieder. Mjölnir verrichtete grausame Arbeit. Gute Arbeit. Dafür war er geboren worden: Asgard zu beschützen. Asgard in den Krieg zu führen. Asgards Ruhm zu mehren.

Seine Bewegungen waren fließend, geübt. Mjölnir war wie die Verlängerung seines Armes. Der Hammer gehörte zu seinem Körper. Über ihren Köpfen hatte sich längst ein Gewitter zusammengebraut, und Thor ließ noch einige Blitze einschlagen. Er musste einfach weiterkämpfen, bis die eigenen Truppen wieder zu sehen waren. An Taktik war nicht mehr zu denken. Ein Schritt nach dem anderen. Wenn er erst einmal Sif erreicht hatte, würden sie Seite an Seite den kläglichen Rest von Karnillas Heer zurückdrängen.

„Thor!“

Zwischen all den blutroten Gesichtern, den erdverkrusteten Harnischen tauchten Lokis Grün und Gold auf. „Was machst du? Du bist eingeschlossen worden! Wir müssen zurück zum Heer!“ Schon während er das sagte, wurde er ebenfalls von allen Seiten bedrängt und schleuderte seinen Gegnern in einer ausholenden Bewegung einen Feuerball entgegen.

„Welche Richtung?“, brüllte Thor und Loki war sogleich an seiner Seite und deutete voraus. Gemeinsam schlugen sie sich durch das feindliche Heer. Hinter sich hörte Thor das stetige Sirren von Lokis Flüchen. Manchmal sah er im Augenwinkel, wie ein Krieger von einem gut gezielten Dolch gefällt wurde.

Odins Söhne traf man selten gemeinsam auf den Kampfplätzen Asgards an. Während Thor sich beinahe ständig dort aufhielt, zog Loki es vor, für sich zu bleiben, wenn er seine wenigen Übungsstunden verrichtete. Daher waren unter den Asen beträchtliche Zweifel entstanden, ob die Brüder überhaupt gemeinsam Schlachten schlagen konnten. Unter dem Befehl des Allvaters erwiesen sich beide als gute Heerführer, auch wenn Odin seinen Ältesten immer besonders im Auge behalten musste, da dieser schnell die Schlachtordnung vergaß und einfach drauf losstürmte. Was Thor an Heldenmut zu viel hatte, fehlte Loki jedoch beinahe gänzlich. Er folgte den Befehlen seines Vaters nur unwillig, wollte ihn jedes Mal von einer anderen Strategie überzeugen, die wenig ehrenhaft und eher hinterhältig war, was Odin natürlich nicht gefiel.

In dieser Situation jedoch, auf sich allein gestellt inmitten des Getümmels, bemerkten ihre Feinde mit Schrecken, dass die Prinzen Asgards zu zweit noch viel mächtiger waren, als einzeln. Als hätten sie nie etwas anderes im Leben getan, als gemeinsam zu kämpfen. Während Thor ihnen weit ausholend den Weg bahnte, hielt Loki ihm den Rücken frei. Ob der Blonde es bemerkte, wenn sein Bruder ihn von Lanzenstößen und Pfeilen schützte, war nicht zu sagen. Er war vollends auf das konzentriert, was vor ihm lag, auch wenn sich die Sicht nicht verändern wollte. Feinde um Feinde stürmten auf sie ein. Die schiere Masse ihrer Gegner wurde ihnen zum Verhängnis.

Mjölnir dellte dutzende Schädel ein, doch es schien nicht genug. Irgendwann konnte er nicht mehr vorangehen, sondern musste stehend kämpfen. Er spürte Lokis Rücken an seinem. Sie waren eingekreist.

„Weißt du, Bruder, manchmal hasse ich dich“, sagte Loki.

Thor grinste, doch es war kein ehrliches Grinsen. Diese Situation war brenzlig und er wusste nicht, ob er sie beide hier herausbringen konnte. Seine göttliche Macht in allen Ehren, doch sie waren immer noch zu zweit und ihre Gegner zahlreicher, als er es jemals gesehen hatte. Die Angst stach ihm in den Bauch, umso deutlicher, weil auch Lokis Stimme nicht halb so selbstbewusst geklungen hatte, wie er es gewohnt war.

„Es gibt keinen anderen Weg; wir müssen uns durchschlagen“, sagte Thor.

„Ich weiß.“

„Es sei denn, du fliegst einfach davon…“

„Mach dich nicht lächerlich!“, sagte Loki, „Wenn du hier verreckst, bringt Vater mich sowieso um.“ Er erwähnte nicht, dass seine Kräfte ebenfalls schon stark nachgelassen hatten. Asen wie sie mussten selten Schlachten schlagen, die so lange andauerten. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte Loki sich wahrscheinlich nicht mehr in den Adler verwandeln können.

„Halt mir den Rücken frei.“ Thor stürzte erneut nach vorn, schlug um sich, ließ Mjölnir das Blut trinken. Er musste sie hier irgendwie rausbringen. Vielleicht hatte Loki ihn mit seinen letzten Worten beruhigen wollen; Tatsache war aber, dass es ihm lieber gewesen wäre, sein Bruder hätte sich selbst in Sicherheit gebracht. Wenn ihm etwas zustieß, war es allein seine, Thors Schuld, denn sein Blutrausch hatte sie erst in diese Situation gebracht. Er war der Ältere…Er hatte die Verantwortung.

Diese Gedanken ließen seine Streiche nur noch stärker werden. Er ließ Blitze durch die Reihen seiner Feinde fahren und schlug eine schmale Schneise, auf der Loki ihm folgen konnte, ohne allzu sehr bedrängt zu werden. Thor spürte kalte und heiße Windstöße, roch verbranntes Fleisch und Frost, je nachdem, was Loki seinen Gegnern entgegenschleuderte.

Doch dann fiel ein Schatten auf sie und die Schreie verstummten. Thor hielt inne, genau wie alle anderen in ihrer Umgebung. Alarmierte Blicke wurden ausgetauscht und ihre Feinde zogen sich langsam zurück, machten Platz. Bald standen Odins Söhne in einem Ring und blickten auf einen Durchgang, der zu dem Schatten führte, welcher sich weit über ihre Köpfe hob, nicht zu erkennen in dem aufgewirbelten Dreck. Sie würden das, was auf sie zukam, nicht umgehen können. Thor konnte es in den Gesichtern der Nornenkrieger lesen. In ihnen stand eine Mischung aus ihrer eigenen Angst und Blutlust. Loki hinter ihm fluchte verhalten, und erst jetzt bemerkte Thor, wie sehr sie beide außer Atem waren.

In diesem Moment schälte sich die Gestalt des Sturmriesen aus dem Dunst. Er war staubig wie sie alle, doch seine Arme waren bis zu den Ellenbogen blutrot. Seine Beine waren blutverschmiert…und sein Mund, der umgeben war von einem struppigen Bart, in dem Dinge hingen, von denen Thor gar nicht wissen wollte, was sie waren. Nervös ließ er Mjölnir durch die Luft kreisen und sagte das erste, das ihm ganz instinktiv einfiel: „Bleib hinter mir, Loki.“ Es war absurd. Wollte er seinen Bruder damit beruhigen? Oder vielleicht sich selbst? Dies waren die Worte, die er immer gesagt hatte, wenn sie beide in Schwierigkeiten steckten. Wenn der Allvater mit ihnen geschimpft hatte. Wenn sie auf der Jagd nach einem der vielen wilden Geschöpfen der neun Welten waren. Wenn sie den Bifröst betraten. Wann immer es brenzlig wurde: Bleib hinter mir, Loki.

Natürlich blieb er nicht dort. Das tat er nie. Der Sturmriese sah stumpfsinnig auf die beiden Prinzen hinab, die ihm Seite an Seite entgegentraten, als wolle er abschätzen, wie viel Kraft er für seinen Schlag brauchen würde. Dann hob er eine seiner mächtigen Fäuste.

Thors Blitz traf ihn in genau diesem Moment. Der Riese taumelte zurück, ruderte mit den Armen, um sein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Loki schoss vor, sprang ihm auf den Rücken und rammte ihm von hinten einen Dolch ins Auge. Der Riese brüllte vor Schmerz und schlug wild um sich, doch der Magier war schon verschwunden. Thor ließ Mjölnir auf seine Knie krachen und brach ihm mit einem Streich beide Beine. Er fiel. Noch mehr Gebrüll. Und als die Nornenkrieger erkannten, dass ihr Riese beinahe besiegt war, begannen auch sie wieder die Asen zu bedrängen. Thor sprang auf den Körper des Riesen, um ihm den letzten Stoß zu geben und um der Menge zu entkommen. Sein Hammer zertrümmerte den mächtigen Schädel, doch Thor scherte sich nicht um das Blut, von dem er bedeckt wurde. Mit weit aufgerissenen Augen sah er sich um. Wo war Loki? Er hatte ihn aus den Augen verloren, als auch alle anderen Krieger wieder den Kampf aufgenommen hatten. Sein Bruder war nirgends zu sehen. Thor spürte Panik in sich aufsteigen.

Und dann kam der Rauch. Dichter, dunkler Rauch, der sie einhüllte und alle Kämpfe in ihrer Umgebung ersterben ließ. Auch Thor ließ verblüfft seinen Hammer sinken. Dann spürte er, wie sich eine Hand um seinen Unterarm schloss. „Komm schon!“, zischte Loki ihm zu und zog ihn hinter sich her, während um sie herum Schreie der orientierungslosen Krieger laut wurden. Thor hatte keine Zeit, sich über Lokis Unversehrtheit zu freuen. Halb blind stolperte er hinter ihm her, rempelte zu allen Seiten Männer an und war schon wieder verschwunden, bevor sie fahrige Streiche in seine Richtung ausführten.

„Warst du das?“, fragte er verwirrt, „Loki, ist das dein Werk?“

„Sei still, Bruder!“, wurde ihm entgegnet und das Ziehen an seinem Arm verstärkte sich.

Während alle anderen umhertaumelten, panisch rufend, die Arme tastend ausgestreckt, kamen sie immer schneller voran. Doch irgendwann lichtete sich der Staub und die Konturen wurden wieder klarer. Außerhalb der Wolke wurde noch gekämpft: Das Klirren der Waffen war wieder lauter geworden.

Loki hielt inne. Er atmete schwer, und erst jetzt sah Thor die vielen kleinen Wunden, die seinen Körper bedeckten. Es war seltsam und beunruhigend, seinen Bruder, den Inbegriff von Sauberkeit und Gepflegtheit, so blutverschmiert zu sehen. „Du bist verletzt, Bruder…“, murmelte er, doch Loki machte eine ungeduldige Geste. „Sieh‘ in den Spiegel, du Ochse!“ Er schaffte es nicht, so laut zu werden, wie er es beabsichtigt hatte. „Ich kann den Rauch nicht länger beschwören. Du musst uns hier rausbringen.“

„Zeig mir die Richtung“, sagte Thor bestimmt und hob Mjölnir, „Und bleib hinter mir, Loki.“

So kamen sie wieder zu ihren eigenen Truppen. Sif und die Glorreichen Drei hatten inzwischen exzellente Arbeit geleistet und das Heer zusammengehalten. So gelang es ihnen, ihre Gegner zurückzudrängen, bis auf der anderen Seite der Befehl zum Rückzug gegeben wurde. Das alles ging an Thor vorüber wie in einem Rausch. Er kämpfte, wo man ihn brauchte und befahl, was er für richtig hielt und irgendwann war es vorbei. Keine Gegner mehr, die es zu erschlagen galt. Sein blutgetränkter Hammer lag still in seiner Hand. Beinahe fassungslos betrachtete er Mjölnir, sah dann auf und ließ den Blick über das sich leerende Schlachtfeld schweifen. Da waren Sif, Fandral, Volstagg und Hogun, alle außer Atem, die sich stumm ansahen und zu versuchen schienen, sich wieder in die Gewalt zu bekommen. Vielleicht kämpften sie auch mit der Erschöpfung.

Und dort war Loki, der sich schwer auf sein Schwert stützte, mit dem er sich zuletzt mehr schlecht als recht geschlagen hatte. Thor beobachtete, wie sein Bruder ebenfalls alles betrachtete: Das weite Feld. Die vielen Leichen. Das Blut.

Dann trafen sich ihre Blicke und Thor wusste, dass ihm die Erleichterung ins Gesicht geschrieben stand. Erleichterung darüber, dass sie es beide aus dieser Hölle geschafft hatten. Lokis Mundwinkel zuckten. „Du guckst wie ein Huhn, das im Begriff ist, ein Ei zu legen“, sagte er. Ungläubig starrte Thor ihn an. Und Loki fing an zu lachen. Es war ein befreiendes Lachen, als wäre ihm ein mächtiger Stein vom Herzen gefallen. Während Sif und die Glorreichen Drei ihn beäugten, als hätte er den Verstand verloren, ging Thor auf seinen Bruder zu und zog ihn in seine Arme.

Bei den Neun, nie war er glücklicher darüber gewesen, dies tun zu können! Obwohl er Lokis Unbehagen spürte, hielt er ihn fest, presste sein Gesicht in das dunkle Haar und schloss die Augen.

Ich bringe ihn dir zurück, Mutter, dachte er, Wohlauf und unversehrt. Ich schwöre, ich werde ihn immer zu dir zurückbringen.

Der Vetter

„Balder ist wieder da“, verkündete Loki, als er den Raum der Heilung betrat, in dem die Glorreichen Drei, Lady Sif und Thor es sich gemütlich gemacht hatten.

„Herrjeh!“, rief Fandral aus, „Sagt bloß, er kann jetzt auch noch hellsehen!“ Er saß mit dem Rücken zu Loki und wies mit dem Daumen über die Schulter auf ihn. Loki sparte sich eine Erwiderung, verwandelte Fandrals Wein jedoch mit einer unauffälligen Handbewegung in einen Haufen kleiner schwarzer Käfer.

Thors Reaktion auf seine Nachricht war von ganz anderer Art: Er war sofort aufgesprungen und blickte seinen Bruder erwartungsvoll an: „Wann ist er zurückgekommen? Und wann können wir ihn sehen?“ Er erntete einen strengen Blick von Sif, der ihn daran erinnerte, dass selbst Balder es nicht zu schätzen wusste, wenn kurz nach seiner Ankunft schon die Tür seines Gemachs aus den Angeln gehoben wurde, weil ein übereifriger Donnergott nach Abenteuergeschichten gierte. Thor räusperte sich und setzte sich wieder hin. Loki, für den mal wieder kein Platz war, blieb stehen und verschränkte die Arme. „Heimdall hat Vater von Balders Ankunft unterrichtet, als ich gerade bei ihm war. Es sieht so aus, als würde heute noch ein größeres Gelage zu Ehren des wiedergekehrten Helden stattfinden.“

„Wunderbar!“, sagte Volstagg.

„Oh ja, das ist es“, erwiderte Loki, doch sein Tonfall strafte seine Worte Lügen, „Du wirst dich sicherlich in Walhalla wähnen. Mal wieder. – Nun gut. Wir sehen uns heute Abend, Bruder.“ Thor nickte nur und sah schon wieder kreuzunglücklich aus, was wohl daran lag, dass das Verhältnis zwischen seinen Freunden und Loki einmal mehr schlecht war, seit sie ihn erneut solange aufgezogen hatten, bis er ihnen einen Streich spielte, der alle ihre Taten in den Schatten stellte. Während er den Raum verließ, sah der Magier aus den Augenwinkeln, wie Fandral sich zu seinem Becher beugte und grinste zufrieden in sich hinein. Kurz darauf erklangen Laute puren Ekels hinter ihm und er hörte, wie jemand seinen Namen rief. Er stellte sich taub.

„Du meine Güte. Was hast du dieses Mal angestellt, hm?“

Loki hielt inne und wandte sich nach rechts. Halb rechnete er damit, dass Sigyn ihn wieder verfolgt hatte, um ihm ein paar Minuten seiner wirklich kostbaren Zeit zu stehlen. Aber es war nicht die junge, verspielte Asin, die ihn aufhielt. Viel schlimmer.

„Amora“, grüßte er kühl. Wenn sie sich dazu herabließ, mit jemandem wie ihm zu reden, der den ihr unwürdigen Rang eines Prinzen von Asgard besaß, musste sie ernsthafte Ambitionen haben. Und Loki konnte sich schon denken, um was es ging.

Amora löste sich von der Wand, an der sie sich geräkelt hatte, und hakte sich bei ihm unter, wie es Sigyn auch immer tat. Loki fragte sich besorgt, ob seine Gewänder vielleicht aus einem besonders weichen Stoff bestanden, der Frauen dazu verleitete, ihn permanent anzufassen. Oder er war ohne es zu bemerken einem Welpen ähnlicher geworden. Jedenfalls wurde es immer schwieriger, die Leute auf Abstand zu halten. Er sollte in nächster Zeit wieder etwas mehr Unheil stiften. Während seiner jüngsten Studien hatte er kaum Zeit für so etwas (ausgenommen natürlich notwendige Racheaktionen gegen Thors Freunde), und so hatte er seinen ganz besonderen Ruf wohl vernachlässigt.

„Mir ist etwas über dich zu Ohren gekommen“, sagte Amora in diesem Moment.

„Na?“

„Stimmt es, dass du eine der alten Schriftrollen der Magie entschlüsseln konntest?“

Nun, es war klar gewesen, dass es ihr darum ging. Wenn er jetzt den Kopf drehen und sie ansehen würde, hätte er mit Sicherheit einen prächtigen Blick auf ihre Brüste. Man hatte immer einen prächtigen Blick auf Amoras Brüste, wenn sie etwas von einem wollte.

„Was, wenn dem so wäre?“, fragte er und augenblicklich überschlug sie sich: „Oh Loki, du weißt doch, ich bin deine ergebene Schülerin! Und bist du nicht auch mein Schüler? Ich habe dich in die Grundprinzipien der Wassermagie eingeweiht, erinnerst du dich?“

Ja, tat er. Aber das war schon ein paar Jahrhunderte her, also beschloss er, dass dieser Gefallen schon längst verjährt war.

„Nun“, sagte er deswegen, „Ich muss dich enttäuschen. Ich habe den Spruch noch nicht vollständig entschlüsseln können. Du wirst verstehen, dass es unverantwortlich wäre, jetzt schon darüber zu sprechen, wo noch nicht einmal ganz klar ist, worum es eigentlich geht.“ Das war gelogen.

„Aber ich könnte dir behilflich sein!“, sagte sie eifrig, „Wir beide sind die talentiertesten Magier Asgards! Wenn wir uns zusammentun haben wir die Rolle schneller entschlüsselt als Thor Mjölnir zu sich rufen kann!“

„Amora.“ Er schlug einen Ton an, den er sich schon als Bengel bei seinen Lehrern abgehört hatte. „Du magst zwar eine talentierte Magierin sein, doch seien wir einmal ehrlich: Was Sprachen angeht, bin ich versierter als du. Und wir reden hier von einem sehr seltenen Dialekt unserer Sprache, der mehrere Jahrtausende alt und überdies nicht sehr weit verbreitet ist. Glaub mir, meine Liebe, dabei kannst du mir nicht helfen – auch wenn ich dein Angebot zu schätzen weiß.“

„Ich sehe schon, Loki, wir kommen auf keinen grünen Zweig!“, stieß sie theatralisch hervor. Sie beide hatten die Angewohnheit, immer überschwänglicher zu werden, wenn sie miteinander sprachen, weil jeder Dialog ein gegenseitiges Sich-ausstechen und Um-den-Finger-wickeln war. „Nun gut, aber ich kann es nicht ändern. Versprich mir, dass du mir eine Nachricht zukommen lässt, sobald du neue Erkenntnisse gewonnen hast. Bei mir wirst du Anerkennung finden, die dir ansonsten nicht zuteil wird“, schloss sie und gab sich jede Mühe, ihre Worte zweideutig klingen zu lassen. Bei der bloßen Vorstellung stellten sich Lokis Nackenhaare auf. Nein Danke, er verführte lieber selbst, als sich verführen zu lassen.
 

Der Rest seines Tages verlief ereignislos. Er verbrachte ihn über der erwähnten Pergamentrolle gebeugt, zog andere Schriftstücke zu Rate und korrigierte seine Fehler bei der Übersetzung. Seine Arbeit lag in den letzten Zügen. Er hatte nicht das gefunden, was er erhofft hatte – eigentlich war es etwas vollkommen anderes gewesen, so verblüffend, dass er wohl ein paar Minuten einfach dagesessen und gelacht hatte, als er es erkannte. Aber er hatte keinesfalls vor, jemandem von dieser Erkenntnis zu berichten. Nein, mit diesem Stück Pergament würde er noch viel Spaß haben, bis er ihr Geheimnis jemandem eröffnete.

Das Licht schwand zusehends. Er wartete nicht, bis jemand kam und die Kerzen anzündete, sondern beschloss, es für heute dabei zu belassen. Als er durch die stillen Korridore des Palastes zu seinen Gemächern ging, kam er an denen Balders vorbei. Die Tür war angelehnt und drinnen schob jemand eine Kiste über den Boden. Bei den Neun, wie lange hatte er keinen Fuß mehr in diese Räume gesetzt! Balder war eine halbe Ewigkeit fort gewesen. Er war durch alle Welten gestreift, auf der Suche nach Herausforderungen… und dem Sinn seiner Existenz. Odins Söhne waren noch viel, viel jünger gewesen, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatten.

Loki überlegte nicht lange, bevor er handelte. In einer geschmeidigen Bewegung veränderte sich sein Körper, schrumpfte in sich zusammen und wurde schwarz wie die Nacht. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann strich ein sehniger Kater um die Ecke und verschwand in Balders Gemach.
 

Er blieb nicht lange unbemerkt. Kaum hatte er den Blick einmal schweifen lassen, erklang Balders tiefe, ruhige Stimme, die ihn an Heimdall erinnerte, auch wenn sie nicht die gleiche samtige Färbung hatte. „Na, kleiner Mäusefänger? Bist du mein Begrüßungskomitee?“ Zwei große, kräftige Hände schlossen sich um seinen Bauch und hoben ihn hoch. Balder setzte ihn auf seinen Schoß, und endlich konnte er das Gesicht seines Vetters sehen. Balder war gealtert. Nicht auf alarmierende Weise, doch deutlich erkennbar. Seine Abenteuer standen ihm ins Gesicht geschrieben. Die kleinen, dunklen Augen waren von mehr Fältchen umgeben und seine Haut war tief gebräunt und wettergegerbt. Durch sein beinahe schwarzes Haar zogen sich ausgeblichene rötlich-blonde Strähnen. Das einzige, was wirklich so geblieben war, wie Loki es kannte, war die Doppelreihe gerader, weißer Zähne, die Balder immer zeigte, wenn er lachte. So auch jetzt.

Der hünenhafte Ase musterte den Kater auf seinen Knien aufmerksam. „Sieh einer an“, brummte er, „Mir scheint, ich kenne diese Augen irgendwoher.“

Innerlich seufzte Loki. Er sprang zurück auf den Boden und stand augenblicklich als Mann vor seinem Vetter, der begeistert applaudierte. Loki verbeugte sich linkisch. Dann schlossen sie sich in die Arme. „Du bist gewachsen, mein Prinz“, stellte Balder fest, „Wo steckt dein Bruder? Ihr seid nicht mehr so unzertrennlich, wie einst, hm? Herrjeh. War ich wirklich so lange fort?“

„Thor wird es mir übel nehmen, wenn er erfährt, dass ich dich vor ihm gesehen habe“, entgegnete Loki, „Du wirst ihn mit einer Geschichte friedlich stimmen müssen.“

„Oh, keine Sorge. Wenn es etwas gibt, von dem ich genug besitze, dann sind es Geschichten“, sagte Balder, doch Loki entging der bittere Ton in seiner Stimme nicht. Er entschied, es schweigend hinzunehmen. Anders als sein Bruder wusste er, wie unangenehm es war, wenn jemand immer und immer weiter mit Fragen in einer Wunde bohrte, die noch nicht so weit verheilt war, dass sie keine Beschwerden mehr verursachte. Dieses Bohren schien Thors Spezialität zu sein, denn er konnte sehr hartnäckig, geradezu stur werden, wenn er Lokis Launen ergründen wollte.

Balder erhob sich. „Nun“, sagte er, „Ich werde heute Abend noch zur Genüge von mir erzählen müssen. Da du schon einmal hier bist, wie wäre es, wenn du mir erzählst, wie es euch hier in Asgard ergangen ist?“ Also machte Loki es sich auf einem gepolsterten Stuhl am Fenster bequem und erstattete Bericht, während Balder im Zimmer umherging und seine Truhen auspackte. Er erzählte ihm von dem langen Winter, in dem Eisriesen bis an die Tore Asgards gelangt waren und zurück geschlagen werden mussten. Es war Thors erste Heldentat für seine Heimat gewesen, und am Abend darauf hatte er sich das erste Mal besinnungslos gesoffen. Loki würde mit Sicherheit nie vergessen, wie er seinen Bruder am nächsten Morgen noch immer an der Tafel sitzend vorgefunden hatte, freilich tief schlafend, den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt. Thor hatte sich an nichts erinnern können, und vielleicht war das auch besser so.

Dann die Schlacht, in die sein Bruder sie an Odins statt geführt hatte. Das kurze Gemetzel gegen Nornheim. Doch er kam nicht sehr weit mit seinem Bericht, denn auf einmal merkte er, dass Balder eigentümlich still geworden war. „Was ist los?“, fragte er. Der Hüne winkte ab. „Nichts, Loki, ich habe mich nur…an eine alte Geschichte erinnert.“

Das war gelogen. Wusste Balder nicht, dass er so etwas auf Anhieb erkannte? – Nein, fiel ihm ein, natürlich wusste er es nicht. Loki war nicht halb so verschlagen gewesen wie heute, als er gegangen war. Und, wenn man es genau nahm, nicht einmal halb so mächtig.

„Du erzählst die ganze Zeit von Thor und seinen Taten“, sagte Balder, offensichtlich bemüht, das Thema zu wechseln, „Ich weiß, dass du ihn sehr bewunderst. Oder zumindest hast du das als Kind.“ Er warf ihm einen forschenden Blick zu. „Aber sag, was ist mit dir selbst? Was tust du? Es hat nicht den Anschein, als würdest du deine Tage auf dem Kampfplatz verbringen. Und diese kleine Vorstellung von geradeeben war sehr aufschlussreich.“ Er hielt kurz inne, um ihn noch einmal von oben bis unten zu mustern. „Es ist doch Magie, nicht wahr?“ Wie viele Krieger Asgards stand er der Magie skeptisch gegenüber. Man genoss die kleinen Tricks, ja, aber stellte sich lieber nicht vor, was sonst noch alles mit Magie getan werden konnte. Außerdem waren die größten Magier Frauen. Karnilla zum Beispiel. Amora. In dieser Welt stellte Loki als Gestaltwandler eine groteske Ausnahme dar.

Loki spürte den kurzen Stich der Enttäuschung. Er hatte keine Lust, Balder von sich zu erzählen. Nicht nur, weil er sich so gern der Kunst hingab, die sein Vetter nicht verstehen wollte. Er würde schon noch früh genug von seinen Untaten zu hören bekommen; spätestens dann, wenn er Sif fragte, warum ihr Haar jetzt schwarz war.

„Balder, ich versichere dir“, sagte er schließlich kryptisch, „Die Magie ist nicht bloß schlecht. Ohne meine Hilfe wäre Thor schon mindestens dreimal verreckt. Auf verschiedene, unschöne Weisen.“
 

Balder, so stellte sich heraus, hatte trotz seines beträchtlich gewachsenen Repertoires an Geschichten keine große Lust, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Man bedrängte ihn gleich zu Beginn des Gelages von allen Seiten und er wirke, als wäre ihm alles andere als wohl in seiner Haut. Dann ließ Odin seine mächtige Faust auf den Tisch krachen und gebot den Wissbegierigen zu schweigen, bevor er Balder an seine Seite beorderte und in ein Gespräch verwickelte. Seine Söhne saßen ihnen gegenüber, konnten wegen des Lärms jedoch nichts verstehen. Da Thors Freunde heute ein gutes Stück von ihm entfernt platziert worden waren, war er ungewöhnlich ruhig und verlegte sich darauf, seinen kleinen Bruder unter den Tisch zu trinken. Das gelang ihm natürlich nicht; Loki verwandelte jeden zweiten seiner eigenen Becher Met heimlich in Wasser. So wurde Thor schneller betrunken, als ihm lieb sein konnte. Als sich die Tafelrunde langsam auflöste und einige Asen aufstanden, um durch die Halle zu gehen und mit anderen ins Gespräch zu kommen, lallte er bereits deutlich.

„Ach, es ist eine Schande!“, sagte er zu Loki und hätte sie beinahe hintenüber kippen lassen, weil er sich schwer auf die Schulter seines Bruders stützte, „Balder zieht eine Miene wie drei Tage Regenwetter. Was mag ihm nur wiederfahren sein, frag ich mich, ich meine, er sollte froh sein, so viele Abenteuer erlebt zu haben, ich meine… was ich sagen will, ist… Jeder wäre glücklich darüber!“

„Er wird schon irgendwann den Mund aufmachen“, entgegnete Loki gelangweilt und schob Thor von sich weg. Der Blonde hielt sich an der Tischplatte fest und machte eine Geste, um noch mehr Met zu bekommen. Im gleichen Moment legte jemand eine Hand auf Lokis Schulter. „Mein Prinz, gewährt mir Unterschlupf.“ Kaum waren die Worte ausgesprochen, hatte sich Amora zwischen die Odinssöhne auf die Bank gedrängt.

„Vor wem fliehst du, Schönste?“, fragte Thor sofort, dem es nie entging, wenn eine Frau sich in seiner Nähe aufhielt.

„Fandral.“ Amora verdrehte vielsagend die Augen. „Über was reden die hohen Herren?“

„Balders Schweigen“, entgegnete Loki kühl. Amora warf dem Erwähnten einen flüchtigen Blick zu. „Ja, etwas scheint ihm auf seiner Reise die Sprache verschlagen zu haben. Wenn du mich fragst, mein Lieber…“ Mit diesen Worten bedeutete sie Loki, sich zu ihr zu beugen, damit sie ihn sein Ohr sprechen konnte. „Von Magier zu Magier: Du kennst Karnilla?“

„Natürlich.“

„Nun, gib Acht: Balder weilte eine Zeit lang auf Nornkeep.“

Loki konnte nicht verhindern, dass seine Augenbrauen in die Höhe schossen. „Interessant.“

„Nicht wahr? Sie ist eine Schöhnheit. Es ist nur natürlich, dass Balder ihr verfallen ist.“

„Wie du meinst“, sagte Loki, „Woher hast du diese Informationen?“

Amora hob einen Zeigefinger. „Nicht so voreilig, süßer Prinz. Wie wäre es mit einem Handel? Eine Antwort auf deine Frage gegen eine Antwort auf meine Frage von heute Nachmittag: Was hat es mit der Schriftrolle auf sich?“

„Oh“, machte Loki und spielte Bedauern, „Wenn das so ist, muss mein Wissensdurst wohl erlöschen.“

„Schade.“ Sie machte eine Handbewegung in der Luft, als wollte sie etwas formen. Es erschienen ein paar Dunstfetzen, die sich kurz darauf zusammenballten und einen Becher formten, den sie ergriff. „Du weißt, ich ziehe es vor, meine eigenen Trinkgefäße zu benutzen“, erläuterte sie und setzte den Becher an die Lippen. Dann hielt sie ihn Loki hin, doch der lehnte mit einer dankenden Kopfbewegung ab. Eine der obersten unausgesprochenen Regeln der Magier lautete, niemals von einem anderen Magier einen Becher anzunehmen. Amora hob nur die Schultern und stellte das Gefäß auf die Tafel. Sie holte Luft, um etwas zu sagen, doch da schnitt Thor ihr das Wort ab: „Oh, Liebes, ist das etwa Met?“ Und griff nach dem Becher. Amoras Augen weiteten sich vor Schreck und Loki rief „Thor, nicht!“, doch da war es schon zu spät: Thor stürzte den Inhalt des Bechers mit einem Zug hinunter. Sogleich nahm seine Miene einen abwesenden, aber zufriedenen Ausdruck an.

„Bei den Neun!“, stieß Amora hervor.

„Was war in dem Becher?“, fragte Loki. Ihm war von Anfang an klar gewesen, dass es sich nicht um Met gehandelt hatte. Selbst dass Amora aus dem Gefäß getrunken hatte, war kein Grund, ihr zu vertrauen. Die meisten Magier wussten, wie sie sich vor ihren eigenen Zaubern schützten. Vermutlich hatte sie ihn mit Hilfe eines Trankes dazu bringen wollen, ihr das Geheimnis der Schriftrolle zu enthüllen.

„Ein…ein Wahrheitstrank“, antwortete sie zögerlich.

„Bei Odins mächtiger Lanze!“, sagte Loki laut, realisierte im Bruchteil eines Augenblicks, was er ausgesprochen hatte, schüttelte diesen Gedanken sofort wieder ab und sprang auf, um an Thors Arm zu zerren. „Komm, Bruderherz, der Abend war lang genug, ich bringe dich in deine Gemächer!“

Thor trug sein Herz eigentlich immer auf der Zunge. Aber ein Wahrheitstrank konnte diesen Zustand noch viel schlimmer machen. Thor musste aus der Halle geschafft werden, bevor er irgendetwas Peinliches ausplauderte.

„Aber Bruder!“, rief der Blonde, „Du bist noch nüchtern! Ich will dich einmal betrunken sehen, komm schon, einmal!“

„Beizeiten, Thor, beizeiten!“ Loki legte sich einen der massigen Arme um die Schultern, „Ich verspreche es!“

„Du hältst deine Versprechen nie!“ Thor hörte sich an wie ein beleidigter Bengel.

„Dieses Mal schon, ich schwöre! Nun komm!“

„Loki, du bist die schlimmste Matrone Asgards, weißt du das?!“

„Halt den Mund, Thor!“, fauchte er zurück. Innerlich verfluchte er Amora aufs Fürchterlichste. Inzwischen hatten sie die Aufmerksam der halben Tafel auf sich gezogen und ob Thors Beleidigungen erklang das erste Gelächter. Wunderbar.

„Kommt, ich helfe euch.“ Balder erschien auf Thors anderer Seite und griff ebenfalls nach dessen Arm. „Bringen wir ihn lieber ins Bett.“
 

„Was ist passiert?“, fragte der Krieger, sobald sie den Saal verlassen hatten. Loki fasste das Geschehene kurz zusammen. Ihm entging nicht, wie Balder bei der Erwähnung des Trankes missbilligend den Mund verzog und fügte hinzu: „Es war ein Versehen! Normalerweise wird Thor nicht mit hineingezogen, wenn ich mich mit Amora messe.“

„Glaub mir, das ist auch besser so. Manchmal habe ich das Gefühl, ihr Magier habt nur Unheil im Sinn. So etwas sollte unter euch bleiben!“

Loki biss sich auf die Unterlippe und sagte nichts. Er war enttäuscht von Balder. Es stimmte, er war immer für Untaten zu haben und liebte es, Asgard im Chaos versinken zu lassen. Doch er sah nicht ein, dass Balder ihm deswegen, und nur deswegen, auf einmal mit so großer Skepsis entgegentrat.

„Du darfst Loki nicht verurteilen, Balder“, meldete sich Thor wieder zu Wort. Er lallte noch immer ein wenig, und der Trank musste ihn auch körperlich geschwächt haben, denn er ließ sich mehr tragen als dass er selbst lief. „Er ist ein guter Kerl. Ein bisschen verrückt manchmal, aber du müsstest ihn sehen, wenn er neue Sprüche lernt, das ist faszinierend!“

Loki runzelte die Stirn. „Thor, woher weißt du…?“

„Ich beobachte dich“, sagte Thor und grinste ihn an wie ein kleiner Junge, „Wenn man auf die Eiche im Garten klettert kann man genau in dein Zimmer sehen!“

„Ich bitte dich, Bruder, halt den Mund“, stieß Loki zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er schwor sich, den Ast, auf dem Thor zu sitzen pflegte, beizeiten ausfindig zu machen und anzusägen. Niemand sollte es wagen, einem Magier beim Erlernen seiner Kunst zuzusehen!

„Du kannst mir nicht einfach den Mund verbieten, ich bin der Ältere von uns!“

„Jaja.“ Und dann würde er sich bei Amora angemessen für den vermaledeiten Wahrheitstrank revanchieren.

Als sie vor den Türen zu Thors Gemächern standen, murmelte Loki einen kurzen Spruch und die beiden Flügel schwangen sanft nach innen. Einige weitere Worte entzündeten reihum die Kerzen und den Kamin. Balder reagierte leider gar nicht darauf.

„Würdest du mir einen Gefallen tun?“, fragte Loki ihn, als sie Thor auf sein Bett gesetzt hatten, wo er mit einem verzückten Lächeln die Beine von sich streckte. Balder nickte.

„Lass bitte nach Sigyn schicken. Sag nicht, warum, aber sag, dass ich sie brauche.“ Als der Hüne gegangen war, setzte er sich neben Thor. „Nun, Bruder.“

Von Thor kam ein leises, wissendes Lachen. „Ich wusste es“, sagte er.

„Was?“

„Sigyn.“ Der Blonde hob die Hand und pikste Loki mit dem Zeigefinger in die Brust. „Du und Sigyn. Ihr beide. Ich wusste es.“

„Beim Barte unseres Vaters, Thor…“ Entnervt legte Loki eine Hand an die Stirn.

„Wie ist sie?“, fragte Thor, „Sag schon. Ihr macht es doch, oder? Ich bin neidisch, Bruder. Sie hat wundervolle Brüste…“

Loki schwieg. Thor stichelte noch eine ganze Weile weiter, kichernd wie ein Mädchen, doch dann erkannte er wohl, dass er nichts aus dem anderen rausbringen konnte und unterließ es. Unbehagliche Stille breitete sich im Raum aus und Loki registrierte verwirrt, dass es ihm normalerweise nichts ausmachte, einfach neben seinem Bruder zu sitzen und nichts zu sagen. Heute war es anders, als stünde etwas zwischen ihnen, und ihn befiel der Verdacht, dass dieses Etwas aus ein paar fiesen Streichen und falsch platzierten Worten bestehen könnte. Resigniert schloss Loki die Augen. War denn im Moment die ganze Welt gegen ihn? Eine leise Stimme in seinem Kopf äußerte sofort darauf die Vermutung, dass er sich daran gewöhnen sollte, weil er es ganz sicher irgendwann schaffen würde, mehr als eine Welt gegen sich aufzubringen.

„Loki, es tut mir leid, dass Sif und die Glorreichen Drei so schlecht auf dich zu sprechen sind.“ Thors Worte rissen ihn aus seinen Gedanken und er blinzelte verwirrt. „Wie?“

„Ich weiß, dass ihr euch nicht sonderlich mögt“, fuhr Thor fort und sah ihn aus weit geöffneten Augen an, „Ich habe versucht, ihnen zu erklären, dass du nichts Böses im Schilde führst und dass sie ziemlich oft selbst Schuld daran sind, wenn du ihnen Streiche spielst. Aber du kennst sie ja. Sie sind stur.“

„Nicht sturer als ich selbst“, sagte Loki, der spürte, wie etwas in ihm unter Thors Blick verdammt weich zu werden begann. Er rührte ihn, dass sein Bruder trotz allem immer nur das Gute in ihm sah. Dabei wusste er inzwischen selbst, dass er dafür auf Dauer einfach nicht geschaffen war. Seine Affinität zum Unheil würde sie beide wahrscheinlich irgendwann ins Verderben stürzen. Und während Loki schon jetzt darauf vorbereitet war, würde es Thor wie ein Schlag ins Gesicht vorkommen.

„Eure Streitigkeiten sollen nicht zwischen uns stehen“, sagte der Blonde jetzt, „Aber ich will auch nicht zwischen ihnen und dir entscheiden müssen, Bruder. Das wäre nicht gerecht.“

„Thor“, entgegnete Loki, „Ich verstehe nicht, warum ich als der Jüngere von uns immer der bin, der dir die Weisheiten des Lebens unterbreiten muss. Nun hör zu und lerne deine Lektion“ Er hob den Zeigefinger. „Nimm dir nicht immer alles zu Herzen. Wenn die Lady Sif oder deine Glorreichen Krieger sich mit mir streiten –ignoriere es. Wir führen keine erbitterte Fehde. Es ist mehr ein… Kräftemessen. Lehn dich zurück und genieße es, denn ganz ehrlich: In Asgard gibt es selten so gute Duelle zu sehen, wie solche, in denen ein talentierter Magier wie ich einer bin, involviert ist.“ Er fand, er hatte das Schiff ganz gut in den Hafen gebracht. Thor musste das auch denken, denn plötzlich stürzte er sich auf ihn und zog ihn in eine stürmische Umarmung, die Loki mit einem Schlag in ihre Kindheit zurückkatapultierte. Thor hatte ihn seit Jahrhunderten nicht mehr so kraftvoll an sich gedrückt. Nicht einmal nach der Schlacht gegen Nornheim. Lokis erschrockenes Keuchen wurde an Thors Schulter erstickt.

Verdammter Wahrheitstrank.

„Bruder, du weißt gar nicht, wie das auf mir gelastet hat“, sagte Thor, doch er ließ ihn nicht los, „Ich meine, du weißt Vieles nicht. Ich brauche dich, Loki. Ich wüsste nicht, was ich tun soll, wenn du dich von mir abwandtest, doch mit deinen Untaten erschreckst du mich jedes Mal und ich weiß einfach nicht, was ich davon halten soll. Du wirst mich doch nicht verlassen, oder, Loki? Du musst an meiner Seite bleiben. Ohne dich würde ich es nie schaffen, Asgard zu regieren.“ Im Schutze von Thors Körper weiteten sich Lokis Augen. Normalerweise drückte sich Thors Bruderliebe in Gesten aus, nicht in Worten. Und selbst diese Gesten waren immer seltener geworden, vielleicht aus Anstand oder Männlichkeit oder ähnlich Absurdem. Diese Umarmung und Worte waren beinahe schon zu viel des Guten. Loki hätte nie damit gerechnet, wie sehr er Thor mit seinen Taten, die ja nicht einmal gegen ihn gerichtet waren, wirklich traf. Seltsamerweise verletzte ihn diese Erkenntnis.

Er schob den Blonden von sich weg. „Du darfst an Vielem zweifeln, Bruder“, sagte er, „Seien es meine Fähigkeiten. Sei es mein Verstand. Du wärest nicht der einzige. Doch ich bitte dich, zweifle niemals daran, dass ich dich liebe.“ Auf Thors Gesicht breitete sich pure Erleichterung aus.

„Ich werde dich nicht verlassen“, fuhr Loki fort und meinte jedes Wort ernst. Er hatte schon lange nicht mehr so viel Wahres gesagt. „Wenn du auf Asgards Thron sitzt, bin ich an deiner Seite. Wenn du mich brauchst, bin ich da. Du wirst vielleicht nicht immer glücklich darüber sein…“

„Wie sollte ich?“, unterbrach Thor ihn.

„Es liegt in meiner Natur, anderen Sorgen zu bereiten“, sagte Loki und lächelte müde, „Das müsstest du doch wissen.“ Thor packte ihn bei den Schultern und sah ihn einfach nur an. Es war erschreckend, wie viele Gefühle sich in seinem Gesicht wiederspiegelten. Loki ging auf, dass selbst sein Bruder mehr Gedanken vor der Welt verbarg, als er zeigte. Es schockierte ihn. In seiner Vorstellung war Thor die aufrichtigste Person, die er kannte. Er wollte, er hätte die Wahrheit nie gesehen.
 

In diesem Augenblick kehrte Balder zurück. An seiner Seite war nun tatsächlich Sigyn, die sofort zu den Odinssöhnen trat und Thor besorgt musterte. „Balder sagt, Amora habe ihn vergiftet.“

Loki schloss die Hände um Thors Handgelenke und löste sie sanft von seinen Schultern. Thors Miene zeigte einen deutlichen Wandel: Er lächelte Loki noch einen Augenblick lang befreit und strahlend an und erlaubte sich dann, sich wieder alltäglicheren Dingen zu widmen. In diesem Fall Sigyns Ausschnitt, der sich auf seiner Augenhöhe befand. Als sie seinen Blick bemerkte, richtete sie sich schnell wieder auf. „Meine Güte, was hat sie ihm gegeben?“

„Es war ein Wahrheitstrank“, sagte Loki, „Und er hat genug getrunken, um eine Woche lang so zu bleiben. Du musst mir einige Dinge für ein Gegengift besorgen.“ Sie nickte und er zählte ihr einige Zutaten mit klangvollen Namen auf. Balder, der sich im Hintergrund hielt, blickte immer verständnisloser drein. „Ach, und Sigyn“, fügte Loki hinzu, als sie sich schon zum Gehen wendete, „Sei diskret. Der Allvater muss nicht erfahren, dass sein Sohn ein größeres Problem als einen schweren Kopf hat.“

„Natürlich“, sagte sie, „Soll ich alles in deine Gemächer bringen?“

„Ja. Ich komme nach. Zuerst muss ich irgendwie dafür sorgen, dass Thor keine Dummheiten macht, während wir den Trank brauen.“

„Vielleicht solltest du ihn in Schlaf versetzen?“, schlug sie vor, doch Loki schüttelte den Kopf.

„Ich will ihn nicht zu vielen Zaubern auf einmal aussetzen.“

„Dann gebe ich auf ihn Acht.“ Balder trat wieder vor und blickte ernst auf die drei jungen Asen herab. Instinktiv wollte Loki etwas einwenden, denn er war nicht sonderlich erpicht darauf, dass Thor aus dem Nähkästchen plauderte, während er nicht anwesend war. Doch im Augenblick fiel ihm kein guter Grund dafür ein, warum Balder nicht hierbleiben sollte. Also fügte er sich. „Wenn es Probleme gibt, weißt du, wo ich bin“, sagte er und bedeutete Sigyn mit einem Kopfnicken, dass sie ihm folgen sollte. Bis er durch die Tür schritt, spürte er Balders Blick auf sich.
 

Der nächste Morgen fand einen erfrischten Thor, eine zerzauste Sigyn und einen übernächtigten Loki auf dem Balkon in den Gemächern des Ersteren sitzend wieder. Thor hatte nur noch verschwommene Erinnerungen an die Nacht und zehrte von der belebenden Wirkung des Gegengiftes, das sein Bruder ihm eingeflößt hatte. Sigyn hielt einen Becher in der Hand, der ihr aber jedes Mal zu entgleiten drohte, wenn sie kurz einnickte. Loki hatte die Augen gegen das Licht verschlossen, denn selbst Asgards ewige Dämmerung blendete ihn. Er war es gewohnt, nächtelang durchzuarbeiten, doch nach all den Wochen, die er nun schon mit der geheimnisvollen Schriftrolle verbracht hatte, waren auch seine Kräfte erschöpft. In seinem Schädel pulsierte der Schmerz. Am liebsten würde er in seine Gemächer gehen, alle Vorhänge zuziehen und den Tag im Bett verbringen, aber sie rechneten jeden Moment damit, dass der Allvater sie zu sich rief, damit sie bei irgendeiner Audienz die Einigkeit der Königsfamilie repräsentierten. Sigyn war wahrscheinlich nur deswegen noch hier, weil sie in seiner Nähe sein wollte. Irgendwie rührend, aber auch ziemlich lächerlich…

Eine große Hand legte sich auf seine Schulter und weckte Loki, der erst in diesem Moment bemerkte, dass er kurz eingeschlafen sein musste. Er öffnete die Augen und blickte direkte in Thors Gesicht. Sein Bruder hatte sich über ihn gebeugt und musterte ihn mit leichter Sorge. „Du solltest schlafen.“

„Vater wird uns irgendwann rufen“, entgegnete Loki.

„Dann lasse ich dich wecken. Du würdest sowieso an Vaters Tisch einnicken, wenn du dich jetzt nicht hinlegst.“ Damit hatte er wahrscheinlich nicht einmal Unrecht. Loki warf noch einen Blick in die Runde und bemerkte, dass Sigyn sich in ihrem Sessel zusammengerollt hatte. Jemand, vermutlich Thor, hatte ihr den Becher abgenommen und eine Decke über sie gelegt. Zärtliche Gesten vonseiten seines Bruders? Das war etwas Neues. Endlich nickte Loki zustimmend und erhob sich schwerfällig. Thor folgte ihm bis auf den Gang, ging dann aber in eine andere Richtung davon, vermutlich, um die Glorreichen Drei zu finden. Bevor sich ihre Wege trennten, klopfte er ihm noch einmal aufmunternd auf die Schulter.

Erst beim Anblick seines Bettes ging Loki auf, wie müde er wirklich war. Es kam ihm vor, als hätte er seit Wochen nicht mehr auf diesen Laken gelegen. In der Luft hing noch der leichte Geruch nach dem Trank, den Sigyn und er in einem Nebenraum gebraut hatten. Es war eine der besseren Rezepturen. Normalerweise stanken Tränke fürchterlich.

Was hatte sich Amora nur dabei gedacht, ihm so ein Gift verabreichen zu wollen? Er wäre nie im Leben darauf hereingefallen. Unterschätzten sie ihn alle so sehr? Nun, er bekam kaum Gelegenheit, seine Macht zu demonstrieren. Alles war er tat, war im Grunde nur Spielerei. Doch er hätte nicht erwartet, dass selbst Asgards Magier derartig die Augen vor seinem Können verschlossen. Hatten sie vielleicht selbst keine Ahnung, wie weit man mit solchen Fähigkeiten kam?

Vielleicht spielten sie sich alle gegenseitig etwas vor. Loki gähnte. Wie dem auch sei. Jetzt brauchte er erst einmal Schlaf.
 

Balder und der schwarze Kater maßen sich stumm mit Blicken. Das Tier saß auf dem Fensterbrett und Balder stand mitten im Raum. Nach einer Weile wandte er sich ab und fuhr fort, Kleider in eine Truhe zu legen. „Was willst du damit bezwecken, hm?“, fragte er an den Kater gewandt, „Ja, ich gebe zu, ich bin beeindruckt. Aber du musst verstehen, Loki, dass es unheimlich ist. Du bist unheimlich.“ Er hob noch einmal kurz den Blick, der ungeniert von grünen Katzenaugen erwidert wurde. „Magie ist kein Spielzeug, Junge“, fuhr Balder fort, „Das solltest du wissen. Doch was höre ich von dir? Thor hat mir Vieles erzählt. Du spielst mit deiner Macht. Du weißt wahrscheinlich nicht einmal, was du damit anrichten könntest.

Ich habe immer gehofft, dass du dich irgendwann dafür entscheidest, es deinem Bruder gleichzutun. Ein ehrbarer Krieger zu sein, der offen mit geschmiedeten Waffen kämpft. Ich sage es dir, wie es ist, Loki, alles was du getan hast, hat mich nur misstrauischer gemacht. Was ist aus dem Jungen geworden, den ich hier zurückgelassen habe?“ Der Kater rührte sich nicht und Balder seufzte. „Ich habe so vieles gesehen, das mir Angst macht, und dann komme ich nach Hause und treffe dich und spüre Dunkelheit in dir. So viel Dunkelheit. Wenn ich etwas gelernt habe, dann, dass es ein Schicksal gibt und dass man ihm nicht entkommen kann. Ich frage mich, was ist dein Schicksal, Loki? Was ist dir bestimmt? Und warum fürchte ich mich davor? Ich bete, dass ich mich irre, wirklich.“ Er fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. „Das sollte ich dir vielleicht gar nicht so offen sagen…“

„Mit wem sprichst du, Balder?“

Der Krieger fuhr herum. Im Türrahmen stand Loki, der amüsiert die Augenbrauen gehoben hatte. Verwirrt sah Balder zwischen ihm und dem Kater auf dem Fensterbrett hin und her. Loki folgte seinem Blick. „Ach, hier steckst du!“ Er ging auf den Kater zu und nahm ihn auf den Arm. „Normalerweise kommt er immer zu mir. Aber wie es scheint, ist er mir fremdgegangen.“ Das Tier wand sich und sprang schließlich auf den Boden, wischte um eine Ecke und war verschwunden. „Störrisches Vieh“, kommentierte Loki. Dann sah er zu Balder auf. „Ich habe dir etwas mitgebracht“, sagte er und zog eine Pergamentrolle hervor, „Um dein Fernweh etwas zu lindern. Es ist eine sehr alte Schrift, von der man bisher glaubte, sie sei magisch. Ist sie aber nicht. Tatsächlich verbirgt sich in dieser Rolle die unterhaltsamste erotische Geschichte, die ich seit langem gelesen habe. Sie wird dir gefallen.“

Die Frauen (Humor)

Es hätte wohl nicht weniger Lärm gegeben, wäre eine ganze Horde Schweine durch sein Zimmer gejagt. Allerdings war es nur sein Bruder, der hereinstürmte, ehe die Wachen oder irgendwer auch nur etwas sagen konnten. Die schweren Flügel der Tür krachten links und rechts gegen die Wand und durch das Zimmer fuhr ein kurzer, aber kräftiger Luftstoß, der ein paar Blätter vom Tisch zu Boden flattern ließ. Wahrscheinlich war Thors überschäumender Elan für diese Wettererscheinung in einem überdachten Raum verantwortlich.
 

Loki klappte sein Buch zu und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die der Wind gelöst hatte. Er ersparte sich einen Kommentar und sah seinen Bruder stattdessen herausfordernd an.

„Loki!“ Mit ausgebreiteten Armen kam Thor auf den Diwan zu, auf dem er saß.

„So heiße ich“, entgegnete er, „Was willst du?“

„Brüderchen!“ Ehe Thor noch weitersprechen konnte, sagte er klar und deutlich: „Nein.“
 

Sein Gegenüber klappte den Mund zu und sofort wieder auf. „Aber du weißt doch noch gar nicht, was ich sagen will!“, sagte er und ließ sich neben ihm auf das Polster fallen.

„Natürlich weiß ich das.“ Unbeeindruckt schlug Loki das Buch wieder auf, um anzuzeigen, dass die Konversation für ihn schon beendet war. „Du nennst mich nur ‚Brüderchen‘, wenn es um Frauen geht. Lass mich raten: Groß, blond, Augen wie Sterne und Brüste aus Gold? Und entweder frisch vermählt oder kurz davor oder mit einem Vater gesegnet, der dich an den Ohren vor Odins Thron schleifen würde, würde er dich bei seiner Tochter erwischen.“

„Du kennst mich eben am besten!“, rief Thor aus, der schon wieder seine Freude zurückgewonnen hatte, „Hilfst du mir also?“

„Nein.“
 

„Aber warum nicht?“, donnerte Thor. Um Lokis Konzentration war es danach völlig geschehen. Und nicht nur das: Es sah ganz danach aus, als würde sein Bruder sich in seinen Gemächern häuslich einrichten, bis er endlich nachgab. Thor bediente sich bereits an dem Obst, das vor ihnen auf einem niedrigen Tisch stand, und stopfte sich ein paar Kissen in den Rücken.

„Hast du nichts Besseres zu tun?“, fragte er routiniert, „Reiten? Jagen? Dich mit deinen glorreichen drei Kämpfern prügeln? Oder nein, warte, der allmonatliche Anstands- und Entschuldigungsbesuch bei Lady Sif steht auch noch aus. Wenn du das nicht bald erledigst, wird sie dich wieder ignorieren. Und dann wirst du wieder unerträglich sein“, fügte er etwas leiser hinzu und blätterte eine Seite um, damit es wenigstens so aussah, als wäre er mit etwas weitaus Wichtigerem beschäftigt. Die Wahrheit war leider, dass er vor Langeweile beinahe einging. Hätte Thor ihn tatsächlich gefragt, ob er Lust auf einen Ausritt oder eine kleine Jagd hätte, er wäre mit Freuden darauf eingegangen.
 

„Loki…“ Thor zog den letzten Vokal seines Namens in eine unerträgliche Länge, sodass er sich beinahe anhörte, wie ein bettelnder Hund. Für einen Asen seiner Ausmaße konnte er einen Welpen verdammt gut imitieren. Pech für ihn, dass Loki nichts für Hunde übrig hatte.

„Nein“, sagte er noch einmal.

„Es geht doch nur um ein kleines Ablenkungsmanöver, damit ich sie aus dem Haus holen kann. Irgendwas, das die Eltern beschäftigt…“ Ah, also war es doch der Vater.

Viel energischer als beim letzten Mal schlug Loki das Buch zu. Als er sprach, sah er nicht seinen Bruder an, sondern das Regal auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes. „Solche Spielerein sind eine bloße Verschwendung meiner Kräfte, Thor, das wäre, als würdest du mit Mjölnir… Ach, ich vergaß. Das tust du ja schon.“ Er stand auf und ging auf das Regal zu.

„Was?“, rief Thor ihm hinterher, „Was mache ich mit Mjölnir?“

„Sinnlos um dich schlagen.“
 

Danach herrschte ein paar Augenblicke Stille. Wenn es um Mjölnir ging, war Thor schnell beleidigt. Wahrscheinlich stopfte er sich gerade hinter Lokis Rücken Weintrauben in den Mund und dachte fiebrig über eine gemeine Erwiderung nach. Ein Seufzen kündigte an, dass er aufgab, und Loki grinste in sich hinein, während er so tat, als suche er nach einem anderen Buch.

„Hör mal, Loki“, sagte Thor schließlich, „Ich weiß wirklich nicht, was ich noch machen soll. Ich bin ihr komplett verfallen und sie würde mich erhören, wenn ihr Vater nicht wäre. Würde ich jemand anderes kennen, der mir helfen kann, ich würde ihn aufsuchen und dich in Ruhe lassen. Aber es gibt niemanden mit deinen Fähigkeiten. Du bist nun einmal ein Meister der Magie, niemand ist dir gewachsen, und ich weiß genau, dass alles, was du tust, gelingen wird –im Gegensatz zu manch anderen Personen in Odins Halle, die sich Magier schimpfen.“
 

Wo Thor Recht hatte… Zu seinem eigenen Erstaunen merkte Loki irgendwann in den folgenden Momenten, dass er bereits darüber nachsann, wie er die Eltern der Maid eine Weile in Schach halten konnte. Sein Bruder hatte es doch tatsächlich geschafft, ihn mit seinen Schmeicheleien einzulullen. Wieder einmal, müsste man sagen.

Aber so schnell gab er nicht nach. Schwungvoll drehte er sich um und sah seinen Bruder quer durch das Zimmer geradeaus an. „Was bekomme ich dafür?“
 


 

„Du hast mich reingelegt“, sagte Loki später und hob zur Bekräftigung seiner Aussage eine Augenbraue.

„Wieso?“, fragte Thor, der neben ihm stand und eine Miene zur Schau trug, als wolle er sich gleich seinen Helm aufsetzen und in die Schlacht reiten.

„Wenn ich gewusst hätte, dass du die Tochter des Hauptmanns der Leibgarde unseres Vaters beglücken willst, hätte ich viel mehr als Gegenleistung verlangt.“

„Mach dir nicht in die Hosen, Brüderchen.“

„Und du fang endlich an, mit etwas anderem zu denken als mit dem, was du in der Hose hast“, entgegnete Loki und musterte noch einmal das große Gebäude, das vor ihnen aufragte und in dem besagte Familie hauste. Er hatte sich auf dem Weg hierher Gedanken gemacht, wie ein Ablenkungsmanöver vonstattengehen konnte, doch musste er alle seine Pläne über den Haufen werfen, als klar wurde, wer genau Thors Auserwählte war. Der Hauptmann war jeden Tag in Odins Halle zugegen und würde Lokis Tricks erkennen, wenn er sie sah. Und Thor hatte sich nicht gerade den besten Tag für sein Schäferstündchen ausgesucht, denn gerade heute war der Mann zu Hause, obwohl er sonst viele Tage und Nächte nicht von Odins Seite wich.

„Willst du nicht bis morgen warten?“, fragte er.

„Seit wann schreckst du vor einer Herausforderung zurück?“, stellte Thor die Gegenfrage und traf damit einen wunden Punkt. Natürlich sagte Loki zu so etwas niemals nein, denn wenn er es tat, durfte er sich weitere Sticheleien anhören, die auf den Nutzen seiner Fähigkeiten abzielten. Er stieß resigniert die Luft aus.
 

„Setz dich da hin“, wies er Thor an und deutete auf eine Steinbank im Schatten der Mauer, „Und halt den Mund. Ich will sehen, was ich tun kann.“

Er begann, im Schatten des Hauses auf und ab zu gehen. Es dunkelte. Die Straßen waren leer. Irgendwann ging drinnen ein Licht an, genau in dem Augenblick, als Loki seine fünfte Idee wieder verwarf. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Thor rhythmisch mit den Fingern auf sein Knie trommelte, doch er wagte nicht, ihn zu stören, da Loki sich sonst einfach umdrehen und wieder gehen würde. Sie hatten so etwas schon öfter getan, als er zählen konnte: Thor verliebte sich Hals über Kopf in ein Mädchen und bettelte Loki an, damit er ihm half, alle Hindernisse auf dem Weg in ihr (oder sein) Schlafzimmer zu umgehen. Sobald die Nacht um war, vergaß Thor das Mädchen wieder und Loki hatte eine Weile Ruhe –es sei denn, die verschmähte Geliebte kam zu ihm und bettelte ihn an, damit er einen Liebeszauber über Thor warf. Natürlich wies er sie jedes Mal ab, doch sein Ruf wurde dadurch nicht besser.

Warum tue ich das?, fragte er sich. Bruderliebe, ach ja. Im Grunde konnte er Thor keinen Wunsch abschlagen. Er würde ihm bis nach Jötunheim folgen, wenn er ihn darum bat.
 

Loki blieb stehen und sah an der glatten Wand hoch. Drinnen hatte sich die Maid bestimmt gerade in ihr Zimmer zurückgezogen und die Eltern waren im Wohnraum. Er musste in eine ganz andere Richtung denken. Das hier war eigentlich eine einfache Angelegenheit, also brauchte er gar keine Komplizierten Intrigen aushecken. Himmel, so grob gestrickt hatte er seit einer halben Ewigkeit nicht mehr denken müssen!

Also gut. Er versuchte sich zu erinnern, welche Streiche er als junger Lehrling gespielt hatte. Da gab es ein paar Sachen, die jeder Magier vollbringen konnte und demzufolge nicht Lokis charakteristische Züge aufweisen würden. Zwar gab es in jedem Haus Schutzzeichen gegen diese leichte Magie, doch meistens waren sie falsch oder ungenau gemalt, sodass man sie umgehen konnte.

Er musste kurz die Augen schließen und den Kopf schütteln, als ihm aufging, wie lange er gebraucht hatte, um auf diese einfache Lösung zu kommen. Dann wischte er alle diese Gedanken beiseite und machte sich bereit, einen kleinen Zauber zu wirken.
 

Einen Moment später brach im Haus ein Tumult aus.

„Was hast du getan?“ Plötzlich stand Thor neben ihm und musterte besorgt das Gebäude, aus dem einige Kreischer drangen. Loki hob nur die Schultern. „Ich lasse es regnen. Jetzt muss irgendwer zu einem der Magier laufen und ihn herholen, damit er es beendet. Und du weißt ja, wie ungern sich die Magier nachts wecken lassen. Du dürftest genug Zeit haben, um…zu tun, was du tun musst.“

Auf Thors Gesicht breitete sich ein Grinsen aus und er schlug Loki kräftig auf die Schulter. „Brüderchen, du bist wahrhaftig der klügste, beste und trickreichste Magier in ganz Asgard, ach was, in allen Welten!“

„Ich wünschte, du würdest das sagen, wenn ich dir mal wieder in einer Schlacht deinen göttlichen Hintern gerettet habe“, murmelte Loki, aber Thor hörte ihn schon nicht mehr. Er war dabei, über Mauervorsprünge und Firste zum Fenster seiner Angebeteten zu klettern.
 


 

Am nächsten Morgen fand Loki bei seinem Spaziergang durch die Gärten eine verstörte, in Tränen aufgelöste Maid auf einer Bank sitzend vor. Seufzend verdrehte er die Augen zum Himmel, doch da hatte sie ihn schon gesehen und musterte ihn mit einem Blick, der dem eines geschlagenen Hundes glich. „Ihr seid der Bruder von Thor“, sagte sie, die Stimme belegt vom Weinen. Loki überlegte, ob er schnell ein paar Falten in seinem Gesicht entstehen lassen sollte, um dann so zu tun, als läge eine Verwechslung vor. Doch dazu stand er schon zu nah bei ihr.
 

„Dein Vater vermisst dich“, sagte er schließlich, „Er ist ganz außer sich vor Sorge.“ Tatsächlich hatte Odin dem Hauptmann einen Tag frei geben müssen, damit er nach seiner Tochter suchen konnte, die am Vorabend während eines magischen Angriffs auf sein Haus verschwunden war.

„Oh!“, machte sie und schlug sich in einer theatralischen Geste die Hände vors Gesicht, „Oh! Ich kann ihm doch nicht unter die Augen treten! Nicht nachdem- ! Himmel, wer weiß, vielleicht bin ich…“ In diesem Moment stutzte sie und sah Loki erneut an, als hätte sie jetzt erst bemerkt, wer er wirklich war. Er zog die Augenbrauen hoch, doch dann dämmerte ihm, was sie wollen könnte. Es war wirklich alles wie immer…
 

„Eine Freundin“, sagte sie, „Aldis… Nun, sie hat mir von Thor erzählt.“ Er schnaubte kurz. Es war klar, was genau Aldis erzählt hatte. „Und sie hat mir auch erzählt, dass Ihr ihr danach geholfen habt…“

Ja, was sollte er auch anderes tun? Ohne sein Eingreifen hätte Thor schon aberdutzende Bastarde in ganz Asgard!

„Das Mittel ist sehr stark“, sagte er, „Es kann dich unfruchtbar machen. Hat diese Aldis dir nicht auch davon erzählt?“

Das Mädchen wurde blass.

„Wie heißt du?“, fragte er.

„Feila…“

„Also gut, Feila. Machen wir nicht allzu viel Wind um die Sache. Du wirst das Mittel kriegen, doch sollte es zu stark für dich sein, gib nicht mir die Schuld. Es ist dein Fehler, dass du jetzt in dieser Situation bist. Also wirst du allein die Konsequenzen tragen. Verstanden?“ Sie nickte, eingeschüchtert von seiner kalten Stimme. „Gut. Und jetzt gehe zurück zu deiner Familie. Ich werde heute Abend hier auf dich warten.“
 


 

„Du wirst mich noch mal an den Rand des Wahnsinns bringen, Bruder“, seufzte Loki. Sie hielten sich in Thors Gemächern auf, die ganz anders gestaltet waren, als seine eigenen: sehr offen und eher karg, wie das Feldlager eines Kriegers, doch trotzdem edel. Keine Bücher oder Vorhänge, dafür reich bestickte Kissen und immer eine Karaffe kostbaren Weins auf dem Tisch. Aus dieser goss Thor ihnen in zwei goldene Becher ein; mit einer beschwichigenden Geste reichte er Loki den Trunk. „Es tut mir leid“, sagte er, „Du kennst mich. Ich kann nicht klar denken in Anwesenheit schöner Frauen.“

„Du solltest wirklich etwas dagegen tun.“ Loki trank und merkte, dass er Thor schon nicht mehr böse war. Das klappte nie lange. Natürlich, er würde noch die Nachwehen der Tat seines Bruders ertragen müssen und Feila das Mittel geben, doch danach war es ausgestanden, oder etwa nicht?
 

In diesem Moment klopfte es nachdrücklich an der Tür. Ehe Thor etwas sagen konnte, trat ein Diener, flankiert von den beiden Türwachen, ein. „Der Allvater bittet seine Söhne zu sich.“

Thor und Loki tauschten einen Blick und Loki musste all seinen Willen aufbringen, um nicht die Hand an die Stirn zu legen.

Während sie dem Diener durch die Gänge folgten, rückte er ein Stück näher zu Thor. „Jetzt bist du dran“, raunte er ihm zu, „uns da heil wieder rauszukriegen.“ Er sah, wie Thor schluckte und sich unwohl bewegte, aber er wusste, in dieser Situation war es besser, wenn er sich heraushielt. Und warum auch nicht? Die ganze Sache war die Idee seines großen Bruders gewesen.
 

Odin hatte seine ganz eigene Art, seine Söhne zu erziehen. Er imponierte ihnen fortwährend mit seiner Macht, sodass sie selbst dann noch grenzenlosen Respekt vor ihm hatten, wenn er sehr liebevoll zu ihnen war. Das Problem war, dass man sich nie sicher sein konnte, wann er explodierte. Er konnte grundlos aus der Haut fahren oder war ganz berechnend damit –überraschend kam es trotzdem jedes Mal.

Heute fing es bedrohlich leise an. Loki hielt sich von Anfang an bedeckt, doch Thor besaß den Mut (oder die Dummheit), die Fragen ihres Vaters provozierend zu beantworten. Und dann passierte es: Mit einem Mal hob Odin die Stimme und schrie Thor geradeaus an. Thor brüllte zurück; und dann begann eine lange Reihe von Beleidigungen, Anschuldigungen und Vorwürfen. Die beiden wussten wahrscheinlich gar nicht, wie ähnlich sie sich dabei sahen. Loki stand stumm zwischen ihnen und ließ den Blick von einem zum anderen wandern. Er fühlte sich fehl am Platz; eigentlich wurde er immer erst dann in die Diskussion involviert, wenn eine der Parteien ein bestätigendes Nicken von ihm sehen wollte. Meistens war das Thor.

Doch heute sollte es anders kommen.
 

„Und DU!“ Odin wirbelte auf einmal zu ihm herum und deutete mit dem Finger auf ihn, als wollte er ihn erstechen, „Was hast du dir bloß dabei gedacht? Ich dachte immer, du bist der Klügere von euch beiden! Wieso hältst du deinen dämlichen Bruder nicht davon ab, jede Frau zu rammeln, die er kriegen kann?“

„Vater, ich bin ein Magier“, sagte er, „Ich muss mich ausprobieren. Es war eine gute Gelegenheit, dachte ich. Und warum nicht meinem Bruder eine Freude machen? Du selbst hast ihm schon einmal Mädchen geschickt, nach einer gewonnenen Schlacht.“

„Ja, warum nicht, warum nicht, Loki, das fragst du?! Musste es denn gerade DIESE Frau sein?“

„Aber du musst zugeben, Vater, dass Thor einen guten Geschmack hat.“
 

„Das steht außer Frage, er ist mein Sohn.“ Odin konnte wohl nicht anders, als seinem Ältesten nun doch einen wohlwollenden Blick zuzuwerfen, den dieser dankbar an Loki weitergab. Die Gemüter kochten herunter und Odins wütender Gesichtsausdruck wandelte sich in Nachdenklichkeit. „Nun, aber was ist jetzt zu tun, mein Sohn? Du hast eine Frau entehrt und sie muss dafür entschädigt werden. Sie mit Gold zu bezahlen würde sie an die Stelle einer Hure setzen, aber ich kann sie dir auch nicht geben, Thor, sie ist deiner nicht würdig.“ Nun war es ihr Vater, der sie abwechselnd musterte. „Willst du sie?“, fragte er plötzlich an Loki gewandt, der aus allen Wolken fiel. „Nein“, sagte er steif. Er hatte nicht das geringste Bedürfnis, sich mit irgendeinem Asen so lange herumzuschlagen, ausgenommen natürlich mit seiner Familie.

„Warum nicht?“

„Ich nehme keine Frau, die mein Bruder zugeritten hat“, sagte er und wählte die scharfen Worte mit Absicht. Wenn sein Vater auf solche Ideen kam, musste er von Anfang an hart argumentieren. Tatsächlich hob Odin die Schultern. „Wo du Recht hast…"
 

„Ich kann nicht glauben, wie dumm ihr Männer seid.“ Sie wandten sich geschlossen um und erblickten Frigga, gekleidet in ein goldenes Gewandt, beinahe von derselben Farbe wie ihr Haar, das kunstvoll hochgesteckt war. Sie schritt gemächlich auf sie zu und nahm sich die Zeit, ihre beiden Söhne zur Begrüßung zu küssen, bevor sie weitersprach. „Ich mache sie zu meiner Gesellschafterin, zu einer von meinen Maiden, was meint ihr?“

„Mutter!“ Thor klang überrascht und dankbar zugleich. „Das wäre wunderbar.“

„Es ist nur selbstverständlich, dass ich deinen Fehler bereinige“, sagte Frigga, „Wer weiß, was dem armen Kind widerführe, wenn ihr hier noch weiter eure Ränke schmiedet. Eine Frau scheint für euch außerhalb des Bettes keinen Sinn zu haben, nicht wahr? Vielleicht sollte ich Lady Sif davon erzählen? Sie hat dazu bestimmt auch noch ein Wörtchen zu sagen.“
 


 

Das hatte sie tatsächlich. Sif kam am nächsten Tag in den Raum der Heilung gestürmt, wohin Loki sich zurückgezogen hatte, um zu entspannen. „Wo ist er?“, rief sie, „Dieser aufgeblasene Eber!“

„Thor?“, fragte Loki und richtete sich aus seiner halb-liegenden Position auf, „Ausgeritten mit Fandral, soweit ich weiß.“

„Oh na schön! Dann zuerst zu dir!“ Erneut fand er sich Angesicht zu Angesicht mit einem ausgestreckten Zeigefinger wieder. Sif begann eine lange Tirade, die eine gute Mischung aus denen seiner Eltern darstellte, mit ein wenig mehr Nachdruck auf den Anteilen, in denen es um die Ehre der Frau ging. „Ich kann einfach nicht glauben, dass du ihn ausgerechnet bei so etwas unterstützt, wo du ihn doch normalerweise von allen Dummheiten abhältst!“, schloss sie.

„Das ist nicht ganz richtig“, entgegnete Loki, „Ich verhindere lediglich, dass er sich aus Versehen selbst umbringt. So etwas kann ihm in seinem Alter während des Schäferstündchens aber noch nicht passieren, denke ich.“ Daraufhin sah sie ihn an, als würde sie ihm am Liebsten eine Ohrfeige geben. Er erwiderte den Blick gelassen, denn so eine Situation entstand oft zwischen ihnen und es gab zwei Gründe für Sif, ihm nicht zu nahe zu kommen: Erstens, er war ein Magier. Und zweitens, er war Odins Sohn.

Nachdem sie sich eine Weile angestarrt hatten, stieß sie einen entnervten Laut aus, drehte sich auf dem Absatz um und ging.
 

Doch seine Ruhe sollte Loki an diesem Tag einfach nicht genießen können. Er hatte sich gerade wieder auf den Rücken gelegt, die Arme hinterm Kopf verschränkt und die Augen geschlossen, als er spürte, wie etwas weiches sein Gesicht berührte. Als er aufsah, blickte er in das verschmitzte Gesicht einer jungen Frau, die noch eine Strähne ihres dunklen Haares über ihn hielt. „Sigyn“, sagte er und zog die Augenbrauen zusammen, „Was ist denn jetzt schon wieder?“

„Ich muss mit dir reden.“ Ihre dunkle Stimme klang immer noch ein wenig belustigt und sie kam um den Diwan herum, um sich neben ihn zu setzen. Erneut musste er sich aufrichten, und sie lehnte sich an ihn, sobald er saß. Loki ließ es zu, weil er sie irgendwie mochte, vielleicht, weil sie sich recht ähnlich waren. Er wusste, dass sie ihn anhimmelte, es war eigentlich gar nicht zu übersehen, aber er hielt sie trotz allem gerne auf Abstand, wie er alle auf Abstand hielt. Ihre schmachtenden Blicke waren ihm manchmal nicht ganz geheuer.
 

„Ich brauche deine Hilfe“, sagte Sigyn, „Eines von Friggas Mädchen hat ein Problem…du weißt schon…“

„Ist es Feila?“, fragte er und erntete einen milde erstaunten Blick.

„Also hat sie es doch mit Thor getrieben“, stellte Sigyn fest, „Ja, sie ist es. Sie braucht das Mittel, sagt sie. Dabei kann sie noch gar nicht wissen, ob sie ein Kind erwartet. Dummes Ding.“

„Besser, wir geben es ihr jetzt, bevor irgendwas zu merken ist“, sagte er.

„Aber es ist Gift. Was, wenn es sie unfruchtbar macht?“

„Ich weiß, dass es Gift ist“, entgegnete er, „Ich kenne mich mit diesen Dingen besser aus, als du, meine Liebe. Selbst Feila ist sich dessen bewusst. Wenn sie es will, soll sie es haben.“ Ungeachtet ihres Gewichts, das immer noch an seiner Seite ruhte, stand er auf. „Komm mit.“

„In dein Gemach, Loki?“, fragte Sigyn, während sie hinter ihm herlief, sodass er ihre anzügliche Miene vor seinem inneren Auge sehen konnte. Er wusste, sie stichelte nur, weil sie wusste, dass er nicht mit ihr ins Bett gehen würde. Also grinste er nur in sich hinein.
 

Thor und Sif waren schon von weitem zu hören. Sie standen vor der Tür zu Thors Schlafgemach und schrien sich an. Loki und Sigyn hielten kurz inne, um in den betreffenden Gang hineinzuspähen und sicherzugehen, dass keine Waffen gezückt worden waren. Doch es schien ein rein verbaler Schlagabtausch zu sein; zwar mit sich wiederholenden und plakativen Argumenten, wie Loki bald feststellte, aber nicht besorgniserregend. Vermutlich bereute Thor es im Moment, nicht weiter geritten zu sein. Aber wenn sie sich erst eine Weile angebrüllt hatten, verpuffte der Frust zwischen ihnen meistens sehr schnell wieder.

„Er sollte sie endlich in sein Bett bringen“, murmelte Sigyn, „Danach wäre sie sicher entspannter.“

„Himmel, gib, dass Asgard auch in Zukunft keine anderen Probleme zu lösen haben wird, als die Frage nach dem Wer mit Wem und Wann“, sagte Loki. Sie hob nur die Schultern und hakte sich für das letzte Stück ihres Weges bei ihm ein. Zwei Biegungen weiter befanden sich seine Räumlichkeiten, die an der Rückseite zu denen Thors grenzten. Er und Sif musste ihren Streit wohl dort fortführen, denn durch die Wand hörte man immer noch ihre lauten Stimmen.
 

Sigyn ließ sich auf sein Bett fallen, lag wie hingegossen auf den dunklen Laken, doch Loki besaß die praktische Gabe, so etwas vollkommen ausblenden zu können. Er ging in einen Nebenraum, wo er eine kleine Phiole aus einer Truhe nahm, die mit einer zähen, dunklen Flüssigkeit gefüllt war. Wenn Thor weiterhin so liebessüchtig war, musste er den Trank bald neu brauen oder einfach darauf hoffen, dass es bei den nächsten Mädchen kein so böses Nachspiel haben würde. Aber Loki plante lieber, als auf sein Glück zu vertrauen.
 

Er ging zurück und beugte sich über Sigyn, hielt ihr die Phiole hin. „Bring du es zu ihr.“ Doch anstatt das Fläschchen zu nehmen, griff sie nach seinem Handgelenk und zog ihn zu sich aufs Bett, kichernd wie ein kleines Mädchen. Loki seufzte, ließ jedoch zu, dass sie sich an ihn schmiegte. Er war immer wieder erstaunt, wie weich ihr Körper war, aber es war wirklich mehr Erstaunen, als alles andere. Er betrachtete und berührte sie mit der gleichen Neugier, mit der er als Kind einen Frosch seziert hatte.
 

„Thor weiß gar nicht, was du alles für ihn tust“, sagte Sigyn plötzlich.

„Na und?“, fragte er und ließ spielerisch seine Hand durch ihr dunkles Haar gleiten.

„Es ist ungerecht“, sagte sie, „Er merkt es nicht einmal. Dabei liebst du ihn doch mehr, als alles andere.“

„Stimmt“, sagte er, „Aber trotz allem bin ich mir auch seiner Liebe sicher.“ Da rutschte sie ein Stück von ihm weg, damit sie sich ansehen konnten. Auf ihrem Gesicht lag wieder der belustigt-ungläubige Ausdruck, mit dem sie Loki musterte, wenn sie ihn nicht gerade anschmachtete, und der ihm bei weitem am besten bei ihr gefiel. „Ihr beiden Brüder“, sagte sie, „Ich werde euch niemals verstehen.“ Dann griff sie nach seinem Kinn und zog ihn zu sich, um ihn kurz zu küssen. Loki ließ die Augen geöffnet und wartete geduldig, bis sie sich wieder von ihm löste und aufstand. „Nun, ich muss einen Botengang erledigen“, sagte sie und schwenkte die Phiole, bevor sie das Zimmer verließ. Loki drehte sich auf den Rücken und streckt sich.

Endlich Ruhe.



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Von:  xXGwenStacyXx
2013-10-23T20:09:53+00:00 23.10.2013 22:09
Ich habe jetzt das erste Kapitel durch, und ich muss sagen - du hast einen fantastischen Schreibstil. Deine Wortwahl, deine Formulierungen, das liest sich großartig und ist nicht, wie ich es schon bei vielen FF gesehen habe, so schrecklich modern. Ich meine, hier geht es um Götter, da ist ein allzu moderner Schreibstil einfach fehl am Platz...
Zu den Charakteren muss ich aber leider sagen, ich finde die hast du nicht wirklich gut getroffen. Vor den Ereignissen aus 'Thor' ist Thor einfach ganz anderes als in deiner Geschichte... Er hat keine Kampfstrategie, er stürzt sich einfach drauf los.
Und die Beziehung zwischen ihm und seinem "Bruder", nimms mir nicht übel, aber die war komplett daneben... Versteh mich nicht falsch, es war schön zu lesen, spannend, und angenehm es auch mal aus dieser Perspektive zu sehen, aber in Wahrheit stehen die beiden sich nun mal nicht so nahe, zumindest nicht von Lokis Standpunkt aus. Auch wenn er seinen Bruder mal geliebt hat, er stand immer in seinem Schatten und das hat ihm nach und nach die Kindheit ruiniert. Spätestens in 'Thor' hat man es ja gesehen, und lass dich bitte nicht von Lokis Lügen beirren, man nennt ihn nicht umsonst Silberzunge, er hasst seinen Bruder dafür. Er ist neidisch auf ihn, und er hasst seine Familie dafür, dass sie Thor ihm immer vorgezogen haben. Traurig aber wahr, es ist einfach so
Antwort von:  lady_j
26.10.2013 22:42
Da stimme ich dir vollkommen zu! Seit ich diese Geschichte geschrieben habe, habe ich mich noch viel mehr mit den Charakteren und ihren Hintergründen beschäftigt, sodass ich die ganze Sache nun auch anders sehe. Ich habe mich ein wenig darauf "verlassen", dass erst mit den Ereignissen in "Thor" zwischen den beiden alles den Bach runtergegangen ist und war zu der Zeit auch sehr angetan von dem Gedanken, dass ihre Beziehung davor viel besser war. Im Grunde ist alles viel komplizierter, denke ich, was auch ein Grund ist, warum ich die Thematik nicht mehr in FFs bearbeite.
Ich danke dir auf jeden Fall für deinen Kommentar und vor allem die ehrliche Meinungsäußerung. Überarbeiten lässt sich daraufhin schwerlich etwas, da der ganze Plot von der verzwackten Beziehungskiste getragen wird, aber sollte ich mich noch mal an das Thema herantrauen werde ich da auf jeden Fall dran arbeiten :)
Von:  Tengel
2013-08-08T18:58:15+00:00 08.08.2013 20:58
:D Ja, ich habe mit dem letzten Kapitel angefangen. xD Ich liebe es und hoffe, dass noch mehr Kapitel folgen. Ich finde du hast alle Charaktere wunderbar getroffen, außer das Loki ja eigentlich auch eine männliche Hure ist xD
Von:  Risa
2012-07-30T21:43:05+00:00 30.07.2012 23:43
Ich habe gerade nach einer FF mit Loki als Hauptchara gesucht und bin dabei auf diese hier gestoßen. Mir gefällt dein Schreibstil wirklich sehr sehr gut. Es wäre klasse, wenn es noch weitere Kapitel geben würde. Möchte wissen, wie es mit Loki weiter geht. X3 Ich hab erst vor kurzem 'Thor' gesehen und er ist ein echt toller Chara. Und du hast die Geschichte sprachlich sehr schön beschrieben und umgesetzt. Es liest sich wie ein richtiges Buch. Dein Deutsch ist herrlich... Manchmal fragt man sich ja sonst echt schon, ob die deutsche Sprache verloren geht aber Autoren wie du machen mir Hoffnung! Weiter so!
LG Risa
Von:  Azuela
2012-07-28T21:42:25+00:00 28.07.2012 23:42
ich les mich hier grad so ein bisschen durch die thor-fanfictions, zwei davon haben mir sehr gut gefallen.. und jetzt erst merke ich dass beide von derselben autorin sind^^
du schreibst wirklich super, witzig und doch spannend. teilweise erinnert mich dein stil an terry pratchett, aber nie so fest dass es wie nachahmung wirkt


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