Zum Inhalt der Seite

Kryptonit

Jeder Held hat eine Schwäche
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Helden

Hier haben wir also das erste Kapitel von Kryptonit :) Die Kapitel werden abwechselnd aus Anjos und Christians Sicht geschrieben. Ich hoffe, dass es euch gefällt und ich freue mich wie immer über euer Feedback!

Liebe Grüße :)

______________________
 

Mein Leben ist ziemlich monoton. Es ist nicht so, als würde nicht jeden Tag etwas Neues passieren, aber die Art der Geschehnisse ist eigentlich immer die gleiche. Es beginnt mit einem Weckerklingeln, mit einem hastigen Frühstück und der täglichen Panik, in die Schule gehen zu müssen. Wenn ich nicht so nah an meinem Abitur wäre, dann hätte ich wohlmöglich alles hingeworfen und wäre in ein fremdes Land ausgewandert. Irgendwohin, wo es keine Menschen gibt, die mir jeden Tag das Leben zur Hölle machen können.

Wenn ich dann geduscht und meinem Vater einen schönen Tag gewünscht habe, gehe ich zu Fuß zur Schule, um die Zeit der Ankunft so lang wie möglich herauszuzögern. Je näher ich der Schule komme, desto schwerer werden meine Schritte. Als würden meine Füße in den Gehweg einsinken.
 

Manch einer mag sich fragen, wieso ein Achtzehnjähriger Angst vor der Schule hat. Ich bin nicht schlecht in der Schule, aber auch nicht überragend. Mein bestes Fach ist Kunst. Und weil ich im Kunst- Leistungskurs nur Mädchen habe, ist es das angenehmste Fach. Leider Gottes kann man nicht jeden Tag sechs Schulstunden Kunst haben, sonst wäre mein Leben vielleicht ein wenig angenehmer. Mädchen sind nämlich irgendwie… netter als Jungs. Vor allem dann, wenn die Jungs vermuten, dass man schwul ist. Dann fühlen sie sich bedrängt und gefährdet und tun alles, um sich von dem vermeintlich Schwulen zu distanzieren. Sie gehen sogar soweit, den Schwulen in Besenschränke zu sperren, ihm Kaugummis auf den Stuhl zu kleben oder Dinge an die Tafel zu schreiben wie ›Anjo ist eine Schwuchtel‹.
 

Ja, ich bin Anjo und ich rede hier gerade von mir. Die männliche Hälfte meines Jahrgangs scheint geschlossen davon überzeugt zu sein, dass ich schwul bin. Dummerweise habe ich mich in diesen Schlamassel selbst hinein geritten. Benni, ein Kerl aus meinem Jahrgang, hat mich reingelegt. Er kam das eine Mal nach dem Sportunterricht zu mir, als alle anderen schon gegangen sind und dann hat er so getan, als wäre er an mir interessiert. Und ich hab nicht verstanden, dass er sich nur lustig über mich macht. Und prompt bin ich drauf angesprungen und rot geworden und hab rumgestottert. Das hat er als Beweis gewertet und es überhall rumposaunt. Allerdings so, dass alle denken, ich hätte ihn angebaggert. Benni ist derjenige, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, mich zu demütigen. Er ist der Anführer von denen, die den Tag für verschwendet halten, wenn sie mich nicht mindestens drei Mal fertig gemacht haben.
 

Auch heute fühlt sich mein Magen an wie ein tonnenschwerer Stein, als das Schulgebäude in Sicht kommt. Es ist ein hübscher Backsteinbau mit hohen Fenstern und Bäumen ringsum. Für mich ist es die Hölle.

Schüler strömen hinein und ich schließe mich der Masse an. Manchmal wünsche ich mir einfach in der Menge zu versinken. Die schwere Holztür ist eigentlich sehr hübsch. Aber auf mich wirkt sie bedrohlich und einschüchternd.

Die ersten beiden Stunden habe ich Politik. Immerhin, Benni ist nicht in meinem Politikkurs. Dafür habe ich ihn in den nächsten beiden Stunden Bio direkt gegenüber in der Hufeisensitzordnung…
 

Und das allerschlimmste am heutigen Tag ist der Sportunterricht. Ich kann Sport nicht ausstehen und der Sport mag mich auch nicht. Aber das ist noch nicht das schlimmste daran. Sport mit vorher und nachher umziehen in der Umkleide. Jungs, die schlecht in Sport sind, sind uncool. Wenn sie dann auch noch schwul sind, dann ist sowieso Hopfen und Malz verloren. Ich will eigentlich gar nicht daran denken, was passiert, wenn ich nachher in die Umkleide komme.

Politik verläuft relativ ruhig. Ich werde lediglich mit Papierkügelchen beworfen. An so etwas habe ich mich schon gewöhnt und ich schaffe es, das zu ignorieren. Schwieriger ist es dann in Bio. Kaum komme ich rein, fliegt mir ein durchnässter Schwamm entgegen. Natürlich genau in den Schritt. Ich starre hinunter auf meine nasse Hose, die aussieht, als hätte ich eine akute Blasenschwäche. Mein Herz hat sich versteinert und hängt schwer in meiner Brust. Die Jungs grölen und reißen ihre Witze. Ich wende mich ab und schiebe mich an der Wand entlang auf meinen Platz zu, wo ich mich hinsetze und versuche so zu tun, als wäre ich gar nicht da. Wie immer gelingt mir das nicht.
 

»Na, hast du dir in Hose gemacht?«, stichelt Thomas. Einer von Bennis Kumpels.

»Sollen wir dir ’ne Windel besorgen?«, höhnt Benni. Erneut dröhnendes Gelächter. Ich starre einfach zur Tür und hoffe, dass unsere Lehrerin bald kommt. Die meisten im Kurs schwatzen und achten gar nicht auf Bennis Leute. Und schon gar nicht achten sie auf mich. Die feuchte Jeans fühlt sich unangenehm auf meiner Haut an, aber ich kann ja doch nichts dagegen machen. Während ich die Tür anstarre, kommt Lilli rein. Lilli sieht aus wie ein Leuchtfeuer, weil sie pinke Haare hat. Sie hebt den Schwamm auf und legt ihn in die Halterung an der Tafel, dann setzt sie sich auf ihren Platz neben Benni. Lilli ist die Einzige, die alle Kurse mit mir hat. Sie ist wirklich gut in Kunst und auch in Sport. Ich glaube sie hat irgendwann mal erzählt, dass sie Leichtathletik im Verein macht. Lilli ist mit niemandem im Jahrgang befreundet. Es wirkt immer so, als fände sie die Leute langweilig oder einfach nur blöd, mit denen sie hier zur Schule geht. Ich kann das irgendwie verstehen. Aber sie steht da drüber. Es stört sie nicht, dass sie hier niemanden hat. Weil sie selbstbewusst genug ist. Ich dagegen habe überhaupt kein Fünkchen Selbstbewusstsein.
 

Und dann kommt endlich Frau Niehoff rein und beendet das Gegröle über meine durchnässte Hose. Benni lässt es sich nicht nehmen, mich ebenfalls mit Papierkügelchen zu bewerfen. Lilli findet das scheinbar extrem nervig, denn irgendwann rammt sie Benni mit aller Kraft den Ellbogen in die Seite, sodass er erstickt aufjault und sie zornig anschaut. Ich starre konzentriert nach vorne und tue so, als würde ich nichts sehen und nicht hören. Am besten ich versinke im Boden.

»Herr Wehrmann, wären Sie so freundlich jetzt endlich Ihren Schnabel zu halten?«, herrscht Frau Niehoff Benni an, der Lilli halblaut zischend anschnauzt. Er schnaubt angefressen und verschränkt die Arme vor der Brust. Insgeheim hoffe ich, dass ihm die Rippen ordentlich wehtun.
 

In der großen Pause verkrieche ich mich in eine entlegene Ecke auf dem Schulhof, um wenigstens zwanzig Minuten meine Ruhe zu haben. Ich esse mein Pausenbrot und ignoriere meine Bauchschmerzen angesichts der unangenehmen Vorstellung, gleich Sportunterricht zu haben. Ich glaube, vorm Sportunterricht habe ich am meisten Angst. Und wirklich Angst. Panik. Ich fühl mich in meinem verkorksten Leben ohnehin schon so allein gelassen und dann auch noch Sportunterricht mit einer Meute Kerle, die es alle auf mich abgesehen haben. Im Sportunterricht kann man sich nicht verstecken. Und es stehen keine Tische und Stühle zwischen mir und den Jungs. Kein Lehrer hat die ganze Zeit eine geordnet sitzende Klasse im Auge. Im Sportunterricht kann alles passieren. Es war schon oft genug der Fall, dass mich die Jungs mit Bällen beworfen oder mich im Volleyballnetz eingewickelt haben, ohne dass Herr Schneider es mitbekommen hätte.
 

Das Klingeln klingt wie der Aufruf, an den Galgen zu treten. Mit hämmerndem Herzen und feuchten Händen mache ich mich auf den Weg zur Umkleide. Ich bin sicher der letzte, weil ich extra lang getrödelt habe. Ich stehe eine halbe Minute vor der Umkleidentür und höre sie drinnen reden und lachen. Mein Magen stülpt sich um, als ich nach der Türklinke greife und… sie nicht herunter drücken kann. Ich probiere es zwei Mal, aber es geht einfach nicht. Mein Herz rutscht mir in die Hose und ich spüre einen dicken Kloß im Hals. Drinnen ist es plötzlich mucksmäuschenstill.

Ich stehe vor der Tür und möchte eigentlich nur noch sterben. Warum muss mir das immer passieren? Ich wollte doch nur so spät kommen, damit alle anderen schon fertig umgezogen sind. Und jetzt haben sie – wie auch immer – die blöde Tür zugesperrt.

»Schwuchteln müssen sich bei den Mädchen umziehen«, höre ich Bennis Stimme von innen poltern und wieder lachen sie.
 

Wenn ich jetzt noch anfange zu heulen, dann kann ich mich auch gleich vor ein fahrendes Auto werfen. Aber ich habe keine Ahnung, was ich machen soll. Ich kann nicht schon wieder schwänzen, ich hab schon so viele Fehlstunden in Sport. Meine Augen huschen hinüber zu der Mädchenumkleide. Ich kann da doch nicht anklopfen. Die würde mich steinigen und dann bin ich plötzlich der Spanner und… wie viel Pech kann ein einziger Mensch eigentlich haben? Das ist seit langem der mieseste Tag in meinem Leben. Und das will schon was heißen, weil eigentlich jeder Tag mies ist. Meine Hose ist immer noch feucht und ich habe mich ein winziges bisschen drauf gefreut, sie endlich loszuwerden. Aber jetzt…?

Ich erwarte meinen frühzeitigen Tod, als ich leise bei den Mädchen anklopfe. Mit gesenktem Kopf stehe ich vor der Tür. Als sie geöffnet wird, will ich am liebsten wegrennen.

»Ähm… hast du dich in der Tür geirrt?«, fragt eine Stimme und ich erkenne Lilli. Ich hebe den Kopf und fange zu allem Übel auch noch an zu stottern.

»Es ist… also… die Jungs haben die Tür von innen… ich komm nicht rein…«

Lilli sieht mich einen Moment lang an, dann schüttelt sie den Kopf.
 

Ich bin mir sicher, dass sie sauer aussieht. Ob sie jetzt sauer auf mich ist, weil ich mich nicht durchsetzen kann? Ich schlucke schwer.

»Mädels, seid ihr angezogen?«, ruft sie zurück in die Kabine. Vielstimmiges Bejahen. Lilli reißt die Tür auf und packt mich am Handgelenk.

»Ist dir das nicht langsam zu viel? Hast du nicht das Bedürfnis, Benni mal so richtig eine reinzuhauen?«, motzt sie mich an, während sie mich durch die Umkleide schleift, an den Mädchen vorbei, die allesamt ziemlich verwirrt aussehen.

»Ja klar… und zwei Sekunden später haben seine Kumpels mich erwürgt«, gebe ich kleinlaut zurück. Sie schnaubt.

»Schon mal was von Stolz gehört?«, will sie wissen, lässt mich los und reißt die Innentür der Jungenkabine auf. Hier und da hört man ein erschrockenes Geräusch. Lilli stapft ungerührt durch die Umkleide, zieht den Besen unter der Türklinke weg, den Benni da hingeschoben hat, um die Klinke zu blockieren und dreht sich um. Benni ist schon umgezogen und starrt zu Lilli. Es sieht aus, als würde sie gleich Funken sprühen und mit dem Besen auf ihn losgehen.
 

»Gehörst du nicht in die andere Umkleide?«, fragt Benni lässig.

»Halt die Schnauze«, pault Lilli ihn an und schmeißt den Besen in die nächstbeste Ecke, »und werd erwachsen. Elendes Weichei!«

Und dann stapft sie an den Jungs und mir vorbei und verschwindet im Eingang zur Halle. Jetzt stehe ich hier. Und die Jungs sehen allesamt ziemlich verblüfft aus. Bennis Augen flackern zu mir herüber und ich möchte auf der Stelle tot umfallen oder unsichtbar werden.

»Na, warst du petzen? Hast dir einen Wachhund angeschafft, oder was?«, fragt er sauer und kommt zu mir herüber. Ich mache automatisch einen Schritt rückwärts und kralle meine Finger in meine Hosenbeine.

»So wie die sich benimmt, geht sie auch eher als Kerl durch«, höhnt Benni, »ist ja dann genau das richtige für dich. So ein Mannsweib!«
 

Dann geht er an mir vorbei, nicht ohne mich mit seiner Schulter heftig zu stoßen, sodass ich gegen die Wand stolpere. Nach und nach leert sich die Umkleide und ich trete schließlich ein, um mich umzuziehen. Kann dieser Tag noch schlimmer werden? Fast kann ich es mir nicht vorstellen. Aber auf dem Weg nach Hause wird mir klar, dass es in meinem Leben immer noch ein bisschen schlimmer geht.

Der Sportunterricht selbst ist zwar ganz ok – auch wenn ich Handball furchtbar finde und mehr als einmal einen Ball in den Rücken bekomme. Ich ziehe mich einfach auf dem Klo um und verschwinde dann so schnell ich kann.
 

Aber leider war das wohl nicht schnell genug. Zwischen Heinrich- und Karlstraße sehe ich mich plötzlich Benni und zwei seiner Freunde gegenüber. Ich hasse mein Leben. Warum…? Und warum müssen sie sich jetzt vor mir aufbauen wie drei Kleiderschränke? Warum bin ich so klein und schmächtig und wieso kann ich sie nicht einfach anmotzen, dass sie mich in Frieden lassen sollen? Weil ich keinen Stolz habe, wie Lilli gesagt hat? Weil ich mich selbst nicht mag? Weil mein Ego praktisch nonexistent ist? Ich kriege Panik. Der Versuch, die Straßenseite zu wechseln, schlägt fehl. Weil Richard mich am Arm festhält und zurückzieht. Danach wischt er sich demonstrativ die Hand an seiner Hose ab und verzieht das Gesicht.

»Ich muss dringend duschen. Jetzt hab ich die Schwuchtel aus Versehen angefasst«, meint er. Benni grinst. Ich hasse sein schiefes Grinsen. Es sagt deutlich, dass er mich für Dreck hält. Für weniger als Dreck.

»Wir hätten Handschuhe mitnehmen sollen«, pflichtet Christopher ihm bei. Was soll das heißen? Handschuhe? Weil sie mich nicht direkt berühren wollen? Die wollen mich doch jetzt nicht etwa verprügeln, weil ich vorhin wirklich durch die Mädchenumkleide gegangen bin…? Aber es sieht ganz so aus, denn als nächstes spüre ich eine harte Häuserwand in meinem Nacken und eine unnachgiebige Hand an meinem Kragen.
 

»Du hättest einfach draußen bleiben sollen«, sagt Benni in diesem elenden Plauderton. Ich winde mich leicht in seinem Griff und ernte prompt ein heftiges Drücken an die kalte Steinwand hinter mir. Meine Augenwinkel brennen. Ich will jetzt nicht heulen. Wieso ist meine Kehle so trocken? Warum kann ich nicht einfach sagen, dass er mich loslassen soll.

»Wir haben echt keinen Bock drauf, von dir angegafft zu werden, wenn wir uns umziehen«, meint Richard.

»Ja… wir haben dir doch gesagt, dass Schwuchteln nicht in die Männerumkleide gehören«, fügt Christopher hinzu.

»Ach so?«, höre ich eine Stimme hinter Benni. Ich kenne die Stimme nicht. Und ich will einfach nur noch sterben.

Benni lässt meinen Kragen los und ich sacke zusammen, weil meine Knie sich wie Pudding anfühlen.
 

»Was willst du denn?«, fragt er abschätzend. Ich wage es nicht mal, meinen Kopf zu heben.

»Eigentlich würde ich dir jetzt gern eine rein schlagen«, meint der Fremde in einem beiläufigen Ton.

»Und wieso, wenn ich fragen darf? Unser Gespräch geht dich jawohl nichts an«, sagt Christopher großspurig.

»Ich fühl mich immer so angesprochen, wenn jemand schlecht über Homosexuelle redet, weißt du«, fährt der Fremde fort, »oder wenn man das Wort Schwuchtel benutzt.«

»Das interessiert uns einen Scheißdreck. Und jetzt verpiss dich«, knurrt Richard. Der Fremde lacht leise.

»Hey, Kleiner«, sagt er dann und ich verstehe erst gar nicht, dass er mich damit meint. Ich hebe den Kopf und sehe auf zu einem jungen Mann mit zerzausten Haaren und einem schiefen Grinsen. Er trägt ein weißes Shirt und ist um einiges größer als Benni und seine Freunde.
 

Es dauert noch zehn weitere Sekunden, bis ich feststelle, dass der Typ mir seine Hand hinhält. Ich starre darauf, dann strecke ich zögernd meine zitternden Finger aus und lasse mich hochziehen. Fast rechne ich damit, dass er mich wieder fallen lässt. Vielleicht ist das alles inszeniert und das ist eigentlich auch einer von Bennis Freunden.

»Alter, ich hab gesagt du sollst dich verziehen!«, herrscht Benni ihn an, aber da hat der Kerl Benni schon am Kragen gepackt, so wie Benni mich vorher. Nur, dass Benni jetzt ein paar Zentimeter über dem Boden hängt und erschrocken nach Luft schnappt.

»Sei froh, dass ich dir nicht deinen Schädel zu Brei haue«, knurrt der Fremde und sieht wirklich ziemlich bedrohlich aus.

Dann lässt er Benni los, der sich an den Hals fährt und den Unbekannten wütend anstarrt. Der lässt sich jedoch nicht beeindrucken. Er sieht so muskulös aus, als würde er viel Sport machen. Und als könnte er alle Drei auf einmal zu Matsch verarbeiten.
 

Und dann sieht er mich an und ich zucke unweigerlich zusammen, was ihn dazu bringt, erstaunt die Brauen hochzuziehen.

»Kommst du jetzt, oder was?«, fragt er, schiebt seine Hände in die Hosentaschen und setzt seinen Weg fort. Ich folge ihm mit wackeligen Beinen, ohne einen Blick zurück zu werfen. Morgen kriege ich das alles wieder, da bin ich mir sicher. Ob ich nun was für diese Einmischung kann, oder nicht. Ich bin ja ohnehin an allem Schuld.

»Du solltest dich nicht so unterbuttern lassen«, meint der Fremde und wirft mir einen Seitenblick zu.

»Wenn man so groß ist, kann man leicht daher reden«, platzt es bitter aus mir heraus. Der unbekannte Retter lacht.

»Hat nichts mit körperlicher Größe zu tun, Kleiner. Sondern mit innerer Größe«, sagt er und folgt mir, als ich abbiege.
 

Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Ich hab nun mal keine innere Größe. Woher auch?

»Wie heißt du?«, frage ich und sehe ihn unsicher von der Seite her an.

»Christian«, gibt er zurück, »und du?«

»Anjo«, sage ich leise.

»Ungewöhnlicher Name«, sagt er und mustert mich von der Seite. Hier und da schauen zwischen den Wolken Teile des blauen Himmels hervor.

»Das ist auch das einzige, was an mir ungewöhnlich ist«, murmele ich niedergeschlagen. Ich hab das Gefühl, immer noch zu zittern. Wenn sie mich heute nicht verprügeln konnten, dann machen sie es sicher morgen. Oder übermorgen. Oder nächste Woche.

»Und dein Selbstbewusstsein ist so winzig, weil du schwul bist?«, will Christian wissen und sieht ziemlich lässig aus, wie er die Hände in den Hosentaschen stecken hat. Der hatte sicher nie Probleme mit Mobbing.
 

»Keine Ahnung«, sage ich mit zittriger Stimme. Ich sehe Christian von der Seite an. Unter dem Shirt zeichnen sich deutlich seine Muskeln ab. Er hat einen Kapuzenpulli um die Hüfte geschlungen. Wahrscheinlich kann er das einfach nicht verstehen, wie es ist, wenn man kein Selbstbewusstsein hat.

»Die meisten Leute wollen einen in eine Schublade stecken. Deswegen sind sie unsicher, wenn sie nicht genau wissen, woran sie sind. Also schadet es nicht, herum zu posaunen, dass man schwul ist«, sagt er und hält schließlich vor einem weißen Mehrfamilienhaus.

»Ich wohne hier«, erklärt er und kramt nach seinem Schlüssel.

»Danke… für vorhin«, sage ich und denke über seine Worte nach. Das Zittern will nicht verschwinden und der Wind macht es auch nicht besser. Heute Morgen schien noch die Sonne, deswegen habe ich keine Jacke mitgenommen. Ich starre auf den Fußboden. Christian sagt nichts zu meinem Dank. Stattdessen spüre ich, wie sich warmer Stoff um meinen Körper legt. Christian hat mir seinen Kapuzenpulli umgehängt.
 

Ich sehe mit hämmerndem Herzen zu ihm auf. Er grinst breit und zwinkert.

»Kopf hoch, Anjo«, sagt er, dann ist er plötzlich weg. Und ich stehe da und starre auf die geschlossene Tür wie ein Reh ins Licht des heranrasenden Autos. Der Stoff um meine Schultern fühlt sich wunderbar warm und weich an. Mein Herz hämmert.

Christian…

Unweigerlich denke ich an die Comics, die ich gern zeichne und lese und in denen Helden die Welt retten. Ich habe nie geahnt oder daran geglaubt, dass es solche Helden wirklich gibt. Aber gerade wurde ich eines Besseren belehrt. Ich ziehe den Pulli behutsam an und sehe hoch zum Himmel. Jetzt geht es mir ein kleines bisschen besser.



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu diesem Kapitel (23)
[1] [2] [3]
/ 3

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2010-05-04T09:17:40+00:00 04.05.2010 11:17
Benni ist das totale Arschloch....man, da wurde man schon beim Lesen agressiv und hätte dem am liebsten eine rein gehauen!
Und Anjo tut einem so unendlich leid, man hat wirklich mit ihm mitgefühlt. Und daran, dass du geschrieben hast, das die Mitschüler -und auch die Lehrer- dieses Schickanieren nicht beachten, hast du wunderbar die heutige Gesellschaft dargestellt. Ätzend so ein Verhalten!
Aber Chris war ja echt cool :D Wirklich wie ein Held und als er Anjo am Ende seinen Pullover gegeben hat...das war echt sehr süß >.<
Ich bin schon auf die nächsten Kapitel gespannt :)

glg
Moe_
Von: abgemeldet
2010-05-04T07:53:59+00:00 04.05.2010 09:53
Das war echt toll :D!
Gott, ich L I E B E Christian *Q*! Ich wusste ja immer schon, dass er großartig und alles ist, aber jetzt habe ich den Beweis :)!

>>Er ist der der Anführer von denen, die den Tag für verschwendet halten [...]<<
Ein "der" zuviel :).

>>Ich starrte einfach zur Tür und hoffe, dass unsere Lehrerin bald kommt.<<
Hier hat sich ein Zeitfehler reingeschlichen.

>>Ich starre konzentriert nach vorne und tue so, als würde ich nichts sehen und nicht hören [...]<<
Hier würde ich mich für eins von beiden entscheiden. Dann klingt es symmetrischer.

>>Und es stehen keine Tische und Stühlen zwischen mir und den Jungs.<<
Das "n" am Ende ist überflüssig.

>>Mein herz rutscht mir in die Hose und ich spüre einen dicken Kloß im Hals.<<
"Herz" muss groß :)!

>>Ich starrte darauf, dann strecke ich [...]<<
Noch ein Zeitfehler.

So, das waren alle Dinge, die mir aufgefallen sind.
Abgesehen davon ist dir das Kapitel wirklich gut gelungen. Man kann sich gut in Anjo hinein versetzen und leidet wirklich mit ihm mit. Er tut mir echt unheimlich Leid. Selbstbewusstsein kommt nicht von irgendwoher geflogen, das muss sich entwickeln. Es ist ein Prozess und der ist nicht einfach und außerdem an die Zeit gebunden. Lilli und Christian hatten diese Zeit und wohl auch die Gelegenheiten dazu. Anjo offenbar nicht. Und was Benni angeht, da sage ich - mit all meinem pädagogischen Verstand^^ -, dass der vermutlich fast so wenig Selbstbewusstsein hat wie Anjo. Sonst hätte er diese Scheißaktionen nicht nötig o0.

Lilli ist mir im Moment irgendwie noch zu schroff. Also, mir persönlich würde es gar nix bringen, wenn ich kurz vorm Heulen bin und mich noch jemand anherrscht, ob ich denn keinen Stolz hätte. Sie ist zwar tough, aber offenbar nicht allzu einfühlsam. Allerdings kenne ich sie ja fast noch gar nicht^^.
Aber Christians Reaktion hat mir trotzdem sehr viel besser gefallen. Wie ein Ritter war er plötzlich zur Stelle und ich finde, du hast ihn toll beschrieben. Er wirkte irgendwie viel reifer als Anjo und seine Misshandler. Er war cool, er war locker, aber auch erwachsen genug, um nicht mit Fäusten auf Jüngere loszugehen. Da bemerkt man gleich, dass er Student ist und außerdem weiß, was sich gehört^^. Er kam echt total sexy rüber, ich hatte Herzklopfen ;).
Und ich mochte echt, was er zu Anjo gesagt hat, um ihn aufzubauen. Das waren keine Vorwürfe, das war Trost. Er bringt Anjo zum Nachdenken und macht ihm Mut, stärker zu werden. Das ist richtig heldenhaft *Q*!
Und das mit dem Pullover... Unheimlich süß :). Kein Wunder, dass Anjo grad total geflasht ist. Das würde wohl jedem so gehen. Mir geht es auf jeden Fall so :). Wenn Marek nicht aufpasst, läuft Christian ihm den 1. Platz in meiner Meine-Lieblinge-Aus-Mi's-Eigenen-Serien-Rangliste ab^^.

Ich muss jetzt noch zwei Texte ausdrucken und lesen. Ich hoffe, du schreibst gaaaaanz schnell weiter. Ich freu mich wie verrückt auf Christians Sicht der Dinge! Und ich hoffe, dass ich Felix mal wieder sehe^^?
Knutsch
<3 <3 <3
Von:  Kampf-Teddy
2010-05-04T00:01:13+00:00 04.05.2010 02:01
oooooh, ich mochte Christian ja nicht so in Spiegelverkehrt^^. Der einzige Charakter mit dem ich irgendwie nicht warm wurde.
Aber hier isser ganz toll.
Der arme Anjo aber leider haben sowohl Lilli (die ich übrigens einfach genial finde) und Christian recht.
Er braucht definitiv mehr Selbstvertrauen und sollte den Prollis mal klar sagen was Sache ist aber das kommt sicher irgendwann.
Erstmal will ich lesen wie Anjo sich in Christian verliebt, sich mit Lilli anfreundet (was ich zumindest hoffe xD) usw.
Wieder mal ne tolle Geschichte von dir die ich ganz sicher aufmerksam verfolgen werde^^.

Mfg der Teddy.
Von:  eden-los
2010-05-03T22:02:00+00:00 04.05.2010 00:02
das war doch mal zucker für die seele. ^^
hach ja ich hab ja schon gesagt... ich mag den anjo.

hoffen wir mal das er unseren superman schnell lahm legt. ^^

;P lg eden
Von: abgemeldet
2010-05-03T20:05:16+00:00 03.05.2010 22:05
Anjo, klingt irgendwie französisch für irgendeine Fleisch- oder Gemüsesorte xD. Tja, ich sehe Christian in einem neuen Licht. Ich mochte ihn in Spiegelverkehrt nicht so wirklich, weil er sich zwischen meine Süßen, Leon und Felix, gedrängt hat. Zwar war er auch nur ein stiller Helfer, aber trotzdem ûu. Das hier hat irgendwie einen viel netteren Charakter.

Eine sehr treffende und stilistisch gelungene Beschreibung eines Umstandes, der auch nach den Gesetzesänderungen von 1994 aktuell ist: die Diskriminierung von Homosexuellen und Bisexuellen. Eine Erinnerung daran, das man als Homo- oder Bisexueller nicht nur mit Angst vor der Abweisung sondern auch vor Diskriminierung leben muss und jede Offenbarung ein Kraftakt sein kann. ^^ Rührend. Bitte schnell weitermachen >.<
Von:  grinsehase
2010-05-03T18:54:12+00:00 03.05.2010 20:54
Ich liebe deine Storys. <3
Bin nach dem ersten Kapitel schon hin und weg. Das sich die Typen so assi verhalten finde ich echt scheiße. Ich kann sowas garnicht verstehen... o.O
Aber ich mag Christian echt gerne. Einfach seine ganze selbstbewusste Art. Und die Geste mit dem Pulli war echt süß :)
Und Anjo weckt in mir irgendwie Beschützerinstinkte ^^

Außerdem liebe ich einfach deinen Schreibstil. Man kann sich richtig in die Personen hineinversetzen. Ich freue mich wirklich schon auf das nächste Kapi :D
Von:  Laniechan
2010-05-03T18:31:40+00:00 03.05.2010 20:31
Hach ja, was man nich so alles vor sich hin träumt, wenn man eine ff von dir liest und gleichzeitig schnulzmusik hört xD (super junior - marry u)
ich find den namen - Anjo - total schön, der hat was.

Lilli ist nich unbedingt meine lieblingsfreundin, aber sie ist auf jeden fall besser als benni und seine konsorten...wie ich solche intoleranten typen auf den tod nich ausstehen kann -.-
ich wäre wahrscheinlich auch dazwischengegangen, als sie anjo in der stunde beworfen haben. sowas pubertäres...aber in der klasse scheint ja jeder angst vor benni zu haben, dabei ist der *so klein mit hut* wenn christian kommt! der strahlende held xD wenn der wüsste, was anjo von ihm denkt...tja, aber ich hätt auch gern meinen persönlichen superhelden xD

na, dann bin ja mal auf das nächste kapi gespannt...und auf das von papierherz *gespannt mitverfolg*
Von:  inkheartop
2010-05-03T17:52:32+00:00 03.05.2010 19:52
Haaach. Das ist. Cool. Also, der letzte Teil. Das Zeug davor ist einfach... wie kann es nur Leute geben, die ihr Ego dermaßen an anderen Lebewesen hochziehen müssen? Werde ich nie verstehen.
Die Sache mit dem Schwamm und der Umkleide war ja schon mies, aber die Prügel-"Ihhh-ich-hab-ihn-angefasst"-Situation ist grässlich. Zum Glück gibt es Helden...

Ich glaube, ich mag Anjo. Vielleicht, weil er ein bisschen ist wie ich. Es ist schwer, den Mund aufzumachen, das versteh ich. Aber man sollte es eben doch tun.

Und Christian. Von ihm bekommt man hier ja wirklich mal eine ganz andere Seite zu sehen. Ich frage mich, ob er jemals solche Probleme hatte wie Anjo. O er mit Homophobie und Schubladendenken, dummen Spüchen und darüber hinaus zu kämpfen hatte. Inzwischen interessiert mich wirklich, was für ein Mensch er ist... ob er Schwächen hat auch. In diesem Kapitel war er der Held. Kann Anjo mal ein Held für ihn sein?

LILLI! Was. für. ein. Mädchen. Wow. Sie ist echt wirklichwirklichwirklich cool. Mal abgesehen von der scharfen Haarfarbe hat sie einfach Charakter. Und Kampfgeist und Stärke und Leben in sich drin. Huh. Ich bin hin und weg...

... und sehr gespannt auf das nächste Kapitel.
lG
inkheartop
Von: abgemeldet
2010-05-03T17:16:14+00:00 03.05.2010 19:16
Ich hab mich total gefreut, als ich die ENS bekommen habe, die verkündet hat, dass es mit Kryptonit weitergeht! Vor allem, weil es jetzt "richtig" losgeht. ^^

Ich find Anjo vom Typ her echt knuffig vor, so wie ein süßes kleines Mäuschen. Ist aber auch verständlich warum. Jungs können echt grausam sein, wenn man als schwul gehalten wird und kein Selbstvertrauen hat.
Wird auf jeden Fall sehr spannend zu sehen, wie er sich entwickelt. ^^

Lilli find ich total cool! Vor allem ihre großkotzige Art. XD Sehr witzig war die Stelle an der sie einfach in die Jungsumkleide gelaufen ist. Sehr genial! ^^

Ich hoffe mal Benni und seine Kumpanen kriegen so richtig eins in die Fresse! Muhaha Das haben sie verdient! XD

Bin auf jeden Fall sehr gespannt auf Folgendes!
LG Mikki
Von:  brandzess
2010-05-03T17:02:55+00:00 03.05.2010 19:02
In Spiegelverkehrt fand ich Christian ein bisschen komisch und ein klein wenig Machomäßig aber jetzt liebe ich Christian!
Der arme Anjo, das sind aber auch Arschlöcher! Nur wegen einer Vermutung Anjo so fertig zu machen, als ob die Welt untergeht wenn sie jemanden kennen der schwul ist, ich hasse solche Leute. Auch als die den nicht in die Umkleide gelassen haben in Sport, als ob jeder schwule automatisch auf jeden Kerl scharf ist den er sieht -.-
Er hatte Glück das Christian zufällig vorbei gekommen ist und ihm direkt so ohne weiteres geholfen hat, das zeugt wirklich von Courage sowas zu tun. Ich finde das Christian absolut recht hat Benni und seine Kumpanen gehören verprügelt (gewalt ist bekanntlich ja keine lösung aber verdient hätten sies!)
Aber ich glaub auch das Anjo dafür noch bezahlen wird, auch wenn er nichts dafür kann aber verprügeltn werden sie ihn so oder so.
Und das Ende als Christian Anjo seinen Pullover gegeben hat das war wirklich nett (und irgentwie auch süß auch wenns nicht so gemeint war^^) aber dadurch hat Chris ja irgentwie dafür gesorgt das sie sich wieder sehen damit Anjo den Pulli wieder zurück geben kann =D
Das Kapitel macht wirklich lust auf mehr, hoffentlich schreibst du schnell weiter!
Deine neue Story scheint, wie auch schon deine anderen, interessant zu werden und ich freu mich richtig auf mehr von Anjo und Chris!
Liebe Grüße brandzess


Zurück