Mein ist die Dunkelheit von MariLuna ================================================================================ Kapitel 36: XXXVI. Kapitel --------------------------     Es ist ruhig. Sehr ruhig. Es gibt keine nennenswerten Geräusche außer dem gelegentlichen Knarren und Knacken der Holzbalken, aus denen diese Hütte besteht. Das und die leisen Atemzüge seiner beiden Generäle. Und natürlich sein eigener Atem. Ab und an ist auch das Rascheln von Stoff zu hören oder das Knarzen der Matratze, wenn sich einer von ihnen bewegt, aber ansonsten – eine ruhige, friedliche Stille. Er war sich bisher gar nicht bewußt, wie laut es in der Stadt immer ist. Aber nicht einmal in seiner Heimat war es je so still wie jetzt. Aus halbgeschlossenen Augen beobachtet Mao, wie sich das Licht im Zimmer verändert, sobald das Schneetreiben draußen nachlässt und sich der Halbmond aus seiner Deckung wagt. Es wird um eine Nuance heller. Mao hat noch nie darüber nachgedacht und war sich dessen nie bewußt wie wunderschön solch kleine, unwichtigen Details sein können. Unwillkürlich streichelt Mao mit den Fingerspitzen über den winzigen Streifen nackter Haut zwischen Urushiharas Oberteil und seiner Hose. Alles in ihm giert danach, seine Hand noch weiter unter diesen Stoff zu schummeln und all diese warme, samtweiche Haut zu liebkosen, doch er hält sich zurück. Urushihara braucht seinen Schlaf. Küssen, Streicheln und Sex ist wunderbar, aber wenn er ihn einfach nur in den Armen halten kann so wie jetzt, wenn er sich im Schlaf vertrauensvoll an ihn kuschelt, und alles so friedlich und einfach nur warm ist, dann ist Mao mehr als zufrieden. Neben ihm gibt Ashiya ein kleines Schnaufen von sich und dreht sich auf die andere Seite. Mao lächelt, als er daran denkt, wie seine Rechte Hand die Zimmertür abgeschlossen und den Schlüssel auf den zwei Meter hohen Schrank gelegt hat, außer Reichweite für den gerade mal einen Meter fünfundfünfzig großen Urushihara. Ehrlich gesagt, hätte er selbst es vergessen. Aber nicht so Ashiya. Emis Idee mit dem „Aneinanderketten“ hat er dagegen verworfen, denn trotz aller Frotzelei über dieses Thema, sträubt sich alles in ihm dagegen, seinen freiheitsliebenden General irgendwo anzubinden. Nicht einmal, wenn es sich dabei nur um Maos Handgelenk handelt. Es fühlt sich einfach falsch an. „Te amo, cor meum“, wispert er in diesen dunklen Raum hinein. Als habe er ihn gehört, schmiegt sich Urushihara enger an seine Seite und Mao hätte vor Behaglichkeit beinahe aufgeschnurrt. Er ist glücklich. Einfach nur glücklich. Für ihn ist das ein völlig neues Gefühl. Er kennt die Zufriedenheit, aber Zufriedenheit ist kein Glück. Glück reicht tiefer, es wärmt von innen und genauso fühlt er sich jetzt. Langsam fallen ihm die Augen zu und er gleitet in den Schlaf.   Im Traum befindet er sich wieder in seinem Hauptquartier und sie stehen vor dem alles entscheidenden Großangriff.   Er war voller Elan, in seinen Adern brauste das Blut nur so und jede Zelle seines Seins gierte endlich danach, dass dieses Vorgeplänkel endlich in den entscheidenden, letzten Kampf überging, den er, davon war er felsenfest überzeugt, triumphal gewinnen würde. Ein letztes Mal hatte er seine vier Generäle versammelt, und wenn er sich so umsah, erkannte er in ihren Blicken dasselbe hungrige Feuer wie es ihm heute aus seinen eigenen Augen aus dem Spiegel entgegenfunkelt hatte. Er hatte einen Plan. Und der war narrensicher. Und so wies er seinen Generälen je einen Teil von Ente Isla zu, den sie mit ihren Truppen erobern sollten. Der letzte, den er seinen Platz zuwies, war Lucifer. Der runzelte die Stirn, als er hörte, wo sein König ihn hinschickte. „Der Westen? Da sammelt sich die Kirche hinter der Heldin.“ Satan nickte grinsend. „Eben deshalb. Du lenkst sie ab, während wir den Rest einnehmen.“ Lucifers Stirnrunzeln vertiefte sich und er schüttelte seine Flügel aus, als müsse er einen unangenehmen Gedanken abschütteln. „Und warum ich?“ wollte er dann angespannt wissen. Satan glaubte aus seinem Tonfall beginnende Gehorsamsverweigerung herauszuhören und antwortete daher schärfer als beabsichtigt: „Wer eignet sich besser dazu die Kirche und ihre Marionette zu vernichten als ein gefallener Engel wie du?“ Alciel neben ihm kicherte leise und auch Adramelech und Malacoda glucksten spöttisch, als er Lucifer so nannte. Dessen rabenschwarze Federn sträubten sich für alle sichtbar, doch nur für eine Sekunde, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. „Verstanden, Mao-sama“, erklärte er dann in einem Tonfall, der Satan zögern ließ. Wären sie unter sich gewesen, hätte er vielleicht nachgehakt, so aber wandte er sich wieder seinen anderen Generälen zu.   Unvermittelt kommen und gehen die verschiedensten Erinnerungen, während Maos Unterbewusstsein versucht, ihm eine wichtige Botschaft zu schicken.   Mao erwischte Ashiya, wie er den Topf mit Ramen, den ihnen gerade ihre Nachbarin vorbeigebracht hatte, mißtrauisch musterte. „Ashiya, komm schon, die Sache ist einen Monat her. Du glaubst doch nicht wirklich, dass Suzuno das Essen, das sie uns schenkt, immer noch mit heiliger Energie vergiftet?“ Ashiya schnitt nur eine Grimasse. „Mylord, ich wage es, Euch daran zu erinnern, dass ich wochenlang an Magenproblemen litt.“ „Ich esse es gerne“, rief Urushihara ohne von seinem Laptop aufzusehen. Vielsagend streckte er die Hand aus, bereit, die Schüssel für sich zu deklarieren. Ashiya warf ihm einen finsteren Blick zu und murmelte etwas von „verdammter Gefallener“, bevor er sich dazu entschied, die Schüssel doch auf den Tisch zu stellen.     „Wir brauchen dich bei diesem Kampf.“ Auffordernd reichte Suzuno seinem General eine kleine Flasche und dieser trank die konzentrierte heilige Energie ohne zu zögern.   Mao war nicht dabei, als dies geschah, er kämpfte gerade an einer anderen Front, aber in seinem Traum mischt sich Fantasie mit Wirklichkeit und er wird Zeuge, wie sich diese so wunderschönen rabenschwarzen Schwingen in ein strahlendes Weiß verwandeln. Und er hasst es. Er hasst es bis aufs Blut.   Ein Wort, und die lästige Gruppe Engel verschwand gehorsam. Verdutzt starrte Mao seinen General an. Dieser zuckte nur mit den Schultern. „Engelshierarchie. Ich bin ein Erzengel, schon vergessen?“   Plötzlich wird er von einem strahlend weißem Licht geblendet. Er blinzelt angestrengt. Es dauert lange, bis sich seine tränenden Augen daran gewöhnt haben, aber dann schiebt sich eine kleine, warme Hand in seine. „Papa.“ „Alas-chan?“ erstaunt senkt er den Kopf. „Was machst du hier?“ Sie sagt nichts und starrt nur nach vorne. Er folgt ihrem Blick. Das blendende Licht ist auf einen handtellergroßen Fleck zusammengeschrumpft, aus dessen Zentrum sich allmählich das Abbild einer kleinen Flasche herauskristallisiert. Unwillkürlich stockt Mao der Atem. Ihm sträuben sich die Nackenhaare und er weicht instinktiv einen kleinen Schritt zurück. Heilige Energie! „Papa.“ Er dreht sich nach der Stimme um und da steht Alas-chan und sieht aus großen, violetten Augen zu ihm auf. Sie streckt die Hand nach ihm aus und er ergreift sie sofort. In dem Moment, wo sich ihre Finger berühren, wo ihre kleine Hand ganz in seiner verschwindet, beginnt es, Federn zu regnen. Flauschige, strahlendweiße Federn. Die Federn eines Engels. Automatisch fischt er mit seiner freien Hand eine davon aus der Luft und noch während er sie voller Ehrfurcht betrachtet, verändert sie ihre Farbe. Aus dem blendenden Weiß wird ein liebliches schwanenweiß und dann kann er zusehen, wie sie sich langsam erneut verfärbt – als würde sie sich langsam damit vollsaugen – zu einem wunderschönen, geheimnisvoll schimmernden Rabenschwarz.   In diesem Moment öffnet Mao die Augen und ist sofort hellwach. Jetzt weiß er, was er zu tun hat.   -Papa.- -Alas-chan?- Er ist nicht wirklich darüber erstaunt, die Stimme seiner Ziehtochter in seinem Kopf zu hören. Es gab eine Zeit, da waren sie miteinander verbunden, da war sie in seinem Kopf – buchstäblich – es ist nur natürlich, dass diese alte Verbindung noch existiert. -Hatten wir beide denselben Traum, Alas-chan?- -Ich glaube schon, Papa.- Nachdenklich nagt Mao ans einer Unterlippe herum. Geradezu überdeutlich spürt er Urushiharas Körper dicht an seinem und schlingt unwillkürlich seinen Arm noch fester um dessen Taille. -Ich kann das nicht von dir verlangen, Alas-chan...- -Er ist MEIN Lucifer, Papa.- Und plötzlich verändert sich ihre Gedankenstimme. Jetzt klingt sie unangenehm erwachsen: -Cur non ego ipse cogito?- Warum habe ich nicht selbst daran gedacht? -Nein, Alas-chan, nicht. Du bist noch ein Kind. Das ist nicht deine Aufgabe.- Sie schweigt einen Moment. -Fürwahr- erwidert sie dann immer noch mit dieser Erwachsenenstimme. Es ist das uralte Wesen in ihr, wird ihm plötzlich klar. -Dieses Gehirn ist noch zu jung. Aber das, was ich tun kann, werde ich tun.- Er spürt, wie sie sich aus seinem Geist zurückzieht. -Warte.- Tatsächlich kommt sie noch einmal zurück. Sie sagt nichts, aber er kann ihren fragenden, neugierigen Blick spüren. Es ist ein unheimliches Gefühl, bei dem er eine Gänsehaut bekommt. Obwohl sich seine Gedanken regelrecht überschlagen, will ihm jetzt nicht einfallen, wieso er sie bat, zu warten. Ihr Amüsement weht durch seinen Geist wie eine laue Sommerbrise. -Schlaf-, befiehlt sie ihm dann und gibt ihm damit von seiner eigenen Medizin zu kosten. Und während er in einen traumlosen, tiefen Schlaf fällt, öffnet ein kleines Mädchen im Zimmer unter ihm die Augen.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)