Mein ist die Dunkelheit von MariLuna ================================================================================ Kapitel 33: XXXIII. Kapitel ---------------------------     Gut gelaunt führt Mao Urushihara die Treppe hinab. Er weiß, er muss das nicht tun, sein General ist mehr als fähig genug, seinen Weg ohne seine Hilfe zu finden, aber Urushihara hat sich freiwillig bei ihm untergehakt. Mao kann sich gut vorstellen, dass es ihm manchmal einfach nur zu anstrengend wird und ist einfach nur unendlich froh darüber, dass Urushihara ihm jetzt so viel Vertrauen schenkt, dass er sich jede altkluge Bemerkung einfach spart und diese wenigen Augenblicke einfach nur genießt. Als Ashiya sie kommen hört, eilt er aus der Küche zur Treppe um sie mit einem freundlichen „Guten Morgen" zu empfangen. Mao entgeht nicht der prüfende Blick, mit dem Ashiya Urushihara von oben bis unten mustert. Das Ergebnis scheint zu seiner Zufriedenheit auszufallen, denn um seine Mundwinkel zuckt ein kleines Lächeln. „Es ist so still“, meint Urushihara plötzlich stirnrunzelnd. „Niemand hier außer Ashiya“, erklärt Mao und wendet sich dann verwundert an Ashiya: „Schlafen die Mädchen etwa noch?“ „Ich habe sie gebeten, uns allein zu lassen.“ „Ah, schade“, seufzt Urushihara. „Ich wollte mich bei Alas doch noch wegen Okto bedanken.“ „Ich war so frei, mich bei ihr in deinem Namen zu bedanken“, erwidert Ashiya schmunzelnd und bedeutet ihnen mit einer Geste, zum Esstisch zu gehen, der, wie Mao feststellt, schon reichlich für zwei gedeckt ist. „Emi hat sich den Autoschlüssel geschnappt und gesagt, sie würde mit Alas-Ramus und Chiho einen Abstecher ins Dorf machen. Dort wird wohl eine Fahrt mit dem Pferdeschlitten angeboten. Bei der Gelegenheit wollen sie auch gleich Vorräte besorgen. Ich habe frisches Gemüse und Rindfleisch bestellt. Heute Abend gibt es dann Shabu Shabu.“ „Ein gemeinsames Fondue?“ Unwillkürlich leuchten Maos Augen auf. „Das klingt super.“ Urushihara an seinem Arm runzelt leicht die Stirn. Ein Fondue bedeutet immer, dass sich alle gemeinsam von einer großen Schüssel, die mitten auf dem Tisch steht, bedienen und das stellt ihn natürlich vor große Schwierigkeiten. Es ist, als hätte Mao seine Gedanken gelesen. „Hey, Lucifer, cor meum“, übermütig drückt er seinen Oberarm, „das wird ein richtig romantisches Abendessen, wo ich dich nur mit den besten Stückchen füttern werde. Hm... meinst du, Alas-Ramus wird mir das gestatten? Bisher hatte doch sie immer das Vergnügen.“ „Das musst du sie schon selber fragen“, murmelt Urushihara, der wirklich nicht weiß, ob er darüber nun lachen oder weinen soll. Letztendlich entscheidet er sich für ein schiefes Lächeln. „Vor allem sind wir jetzt für ein paar Stunden unter uns“, erklärt Ashiya, rückt erst Urushihara und dann Mao den Stuhl zurecht und nimmt dann, sobald die beiden sitzen, auf einem Stuhl ihnen gegenüber Platz. „Wir müssen reden.“ Unwillkürlich ächzt Urushihara auf, wofür er sich von Ashiya einen scharfen Blick einfängt. Den er zwar nicht sehen, aber aus irgend einem Grund deutlich spüren kann. „Du dachtest doch nicht etwa, dass wir das vergessen?“ „Ehrlich gesagt, habe ich es gehofft.“ Ashiya schnalzt nur tadelnd mit der Zunge, füllt zwei Schälchen mit Miso-Suppe und reicht erst Urushihara eines und dann seinem König das andere. Ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, stellt er Urushiharas derart vor ihn, dass das glatte Porzellan seine linke Hand berührt, so dass er nicht lange nach seinem Essen tasten muss. Den dazugehörigen Löffel drückt er ihm in die andere. Urushihara blinzelt verdutzt. „Esst“, befiehlt Ashiya. „Danach reden wir.“ „Jawohl, mein General“, flachst Mao und salutiert. Und dann ist eine ganze Zeitlang nichts anderes zu hören als das Klappern von Stäbchen und einem Löffel auf Porzellan und Kau- und Schluckgeräusche. Ashiya verschränkt die Hände vor sich auf der Tischplatte und betrachtet sie zufrieden. Er könnte sich an diese friedliche, familiäre Atmosphäre wirklich gewöhnen. Wer weiß, wenn er es geschickt anstellt und mehr Geduld und Nachsicht zeigt, wenn er Urushihara zukünftig höflich und behutsam aufweckt und nicht mehr mit einem aggressiven Hämmern mit der Faust gegen die Tür, wird ein gemeinsames Frühstück zu dritt vielleicht bald zur täglichen Routine. Obwohl sich jetzt auch die Frage stellt, ob Urushihara nach diesem Kurzurlaub je wieder in seinem Wandschrank schläft. Irgendwie glaubt er nicht, dass sein König das zulassen wird. Nachdenklich lässt Ashiya seinen Blick auf Mao ruhen. Er wirkt nicht nur glücklich, sondern auch erleichtert, als wäre eine riesengroße Last von seinen Schultern genommen worden und in seinen Augen liegt ein wahres Strahlen, wann immer er Urushihara ansieht. Ashiya nickt sich selbst entschlossen zu. Er wird sich dieser neuen Aufgabe mit aller Kraft stellen und das Glück seines Königs beschützen. Und das beinhaltet jetzt eben auch, den Finger in die Wunde zu legen. Er wartet geduldig, bis die beiden aufgegessen haben und gießt ihnen allen eine Tasse grünen Tee ein, wobei er mit Urushiharas genauso verfährt wie vorher mit der Miso-Suppe. Dann räuspert er sich einmal hörbar, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Lasst uns jetzt reden“, beginnt er und bemüht sich dabei um einen freundlichen, aber auch strengen Tonfall. Einen Tonfall, der ihnen von Anfang an klar macht, dass er es todernst meint und keine Ausflüchte gelten lässt. Da kommt der Iron-Scorpion-Häuptling in ihm durch. Und tatsächlich richten sich sowohl Mao wie auch Urushihara unwillkürlich in ihrem Stuhl etwas gerader auf. Ashiya öffnet den Mund, sieht jedoch gerade noch rechtzeitig die nervöse Anspannung in Urushiharas Miene und ändert sofort seine Strategie. Das neue Vertrauen zwischen ihnen ist einer zarte Pflanze, die er nicht niedertrampeln sollte, indem er seine Fehler wiederholt. „Ich mache mir große Sorgen um dich, Lucifer“, beginnt er das Gespräch, indem er sich erstmal selbst öffnet. „Ich weiß, dass ich in den letzten Monaten oft genug den Eindruck erweckt habe, als wärst du mir egal, aber das stimmt nicht. Es schmerzt mich, dich leiden zu sehen.“ Jetzt kann er nicht mehr an sich halten. Er lehnt sich über den Tisch und berührt Urushihara sanft am Handgelenk. „Vielleicht hilft es, vielleicht auch nicht, aber es kann auf alle Fälle nicht schaden, wenn du uns von deinen Träumen erzählst.“ Bei der unerwarteten Berührung zuckt Urushihara kurz zusammen, aber er zieht seine Hand nicht fort. Nervös beißt er sich auf die Unterlippe. Natürlich hat er dieses Gespräch schon seit Stunden erwartet und man könnte meinen, er hätte genug Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten, aber Ashiyas Freundlichkeit zieht ihm mal wieder glatt den Boden unter den Füßen fort. „Eigentlich ist es immer wieder ein einziger Traum, der sich ständig wiederholt. Mit kleinen Abweichungen, aber im Grunde immer gleich. Ich träume, dass ich immer noch dort bin. Im Wald. Im Schnee. Und es fühlt sich sehr echt an. Eigentlich fühlt es sich jedes Mal echter an.“ Er holt einmal tief Luft und ballt unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Einen Herzschlag lang ist er im Inneren Widerstreit mit sich selbst, aber dann legt ihm Mao aufmunternd eine Hand auf Knie und er gibt sich geschlagen. „Aber ich bin nicht alleine. Gabriel ist auch da.“ „Gabriel?“ entfährt es Mao unwillkürlich und seiner Stimme ist der Abscheu deutlich anzuhören. „Warum ausgerechnet Gabriel?“ „Weil...“   „Lucifer.“ Beim Klang dieser Stimme wirbelte er erschrocken herum. Sein Plan war wasserdicht, niemand sollte hier sein! Warnend streckte er den rechten Arm nach dem Erzengel aus, der plötzlich vor ihm aufgetaucht war, während seine Linke das magische Portal, seine Rettung, seinen Fluchtweg, mit leichten, kreisenden Bewegungen, weiter öffnete. „Wenn du mich aufhalten willst, kommst du zu spät, Gabriel.“ Lichtblitze reiner magischer Energie tanzten von seinem Herzen über seinen Oberkörper und dann über seinen rechten Arm hinunter in seine Finger, deren Kuppen in einem gefährlichen Violett zu leuchten begannen. Eine falsche Bewegung und er würde eine seiner Energiekugeln auf Gabriel schleudern. Sie würde ihn nicht töten, aber sie konnte großen Schaden anrichten. Und Unsterbliche konnten genauso viel Schmerz empfinden wie jedes andere Lebewesen auch. Sekundenlang starrte Gabriel ihn einfach nur aus seinen weinroten Augen an, dann faltete er seine mächtigen, schneeweißen Schwingen hinter sich zusammen und strich sich eine störende, silberne Haarsträhne zurück hinters Ohr. „Ich bin enttäuscht von dir, Lucifer. Du hättest mir wenigstens Tschüß sagen können.“ „Tschüß!“ zischte ihm Lucifer entgegen. Gabriel seufzte einmal tief auf. Es klang … resigniert. Und in seiner sonst so fröhlichen Miene lag plötzlich eine unerwartete Traurigkeit. „Sie befürchtet schon seit einiger Zeit, dass du so etwas planst und befahl mir, wenn es soweit ist, solle ich dich aufhalten, aber weißt du was? Ich spare mir die Mühe. Du willst gehen? Dann geh. Vielleicht bist du bei den Dämonen wirklich glücklicher. Also werde ich mich einfach umdrehen und gehen und wenn sie mich fragt, habe ich wie immer nichts gesehen.“ Und genau das tat er dann.   Urushihara schüttelt den Kopf, um diese Erinnerung zu verscheuchen. „Wenn ich raten sollte, würde ich sagen, Gabriel repräsentiert in meinen Alpträumen sowohl meine Ängste wie auch meine Hoffnungen. Außerdem … er ist ein arroganter Bastard, aber er hat mich nie angelogen.“ Seine letzten Worte lassen sowohl Mao wie auch Ashiya einmal hart schlucken, denn das ist nichts, was sie von sich behaupten können. Ashiya benötigt ein paar Sekunden, um sich zu sammeln und nutzt die Gelegenheit, um einen großen Schluck von seinem Tee zu nehmen, während Mao eine Entschuldigung wispert und in einer demütigen Geste seine Stirn gegen Urushiharas Schulter sinken lässt. „Welche Ängste?“ hakt Ashiya nach. „Und welche Hoffnungen?“ Über Urushiharas Miene huscht ein dunkler Schatten, doch er hat sich schnell wieder unter Kontrolle. „Was wohl? Dass ich immer noch dort liege und dass nichts hiervon -“ er macht eine weit ausholende Geste, die sowohl sie wie auch den ganzen Raum mit einschließt, „- wirklich echt ist. Denn mal ehrlich: ich kann euch nicht sehen. Ich sehe eure Mimik und eure Gestik nicht. Wie soll ich da bitteschön erkennen, ob ihr mich nicht anlügt?“ Mao und Ashiya wechseln einen betroffenen Blick. Das alles ist nichts Neues, aber es schmerzt dennoch immer wieder, es so deutlich zu hören und zu erkennen, wieviel Vertrauen sie durch ihr gedankenloses Verhalten verspielt haben. Urshihara zögert einen Moment. Bei seinen letzten Worten hat sich Maos Hand auf seinem Knie merklich verkrampft und aus irgend einem Grunde verärgert ihn das. Er wollte dieses Gespräch nicht, es ist nicht seine Schuld, wenn ihnen nicht gefällt, was er ihnen sagt. Und plötzlich glaubt er Gabriels Stimme zu hören, ein weiteres Echo einer uralten, fast vergessenen Erinnerung. „Die Wahrheit ist eine mächtige Waffe, Lucifer. Anders als ein Schwert nutzt sie sich niemals ab. Aber sie schlägt tiefere Wunden als das Schwert, und wenn du sie klug zu nutzen weißt, verrät dir die Reaktion deines Gegenübers auf diese Wunde alles über ihn, was du wissen musst.“ Urushihara holt einmal tief Luft. „Am Ende dieser Träume bietet mir Gabriel immer eine Rückkehr in den Himmel an und ich stimme zu.“ Mao zuckt zusammen, als hätte er ihn geschlagen. „Was zur Hölle-? Lucifer!“ Hart packt er ihn am Oberarm und kann sich nur mit viel Mühe davon abhalten, ihn durchzuschütteln. Der Gedanke, dass Lucifer freiwillig in den Himmel zurückkehrt, nagt an ihm, seit er seinen General an der Seite von Olba Meyer sah. Der Deal zwischen dem Pfaffen und Lucifer hielt nicht lange, aber nur, weil er, Ashiya und Emi sie besiegten. „Schon wieder? Warum lässt du dich immer wieder auf so etwas ein? Was ist nur los mit dir? Willst du wirklich zurück?“ Seine Gedanken rasen und eiskalte Furcht greift nach seinem Herzen. Nein, das kann nicht sein. Er wird das verhindern. Er will ihn nicht verlieren, nicht jetzt! „Du kannst nicht gehen. Nicht jetzt. Und wenn du doch gehst, dann komme ich mit. Hah! Ich wollte denen sowieso schon lange mal so richtig den Marsch blasen.“ Wow. Urushiharas Augen weiten sich überrascht. Diese Reaktion übertrifft wirklich all seine Erwartungen. „Lucifer“, plötzlich fühlt er sich von Maos starken Armen umfangen und an dessen warmen Körper gedrückt. Dezenter, heimeliger Vanilleduft umhüllt ihn. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll oder wie ich dich überzeugen kann, dass dies hier echt ist, dass dies hier kein Todestraum ist und es tut mir leid, denn es ist unsere Schuld, dass du uns nicht mehr vertraust, aber ich werde dich nie wieder im Stich lassen. Ich weiß nicht, was genau du im Himmel suchst, aber eines weiß ich mit Sicherheit: es ist nichts, was ich dir nicht auch geben kann, denn te amo, cor meum. Te amo. Te amo. Te amo. Te amo.“ Zunehmend verzweifelter drückt er ihn an sich. Ashiya beobachtet die beiden genau, und als er sieht, wie Urushihara sein Gesicht in Maos Fleecehoodie versteckt, um seine Tränen zu verbergen und dabei regelrecht in seine Umarmung hineinschmilzt, nickt er einmal zufrieden. Dieses Gespräch ist nicht optimal gelaufen und es wurden nicht alle Fragen beantwortet, doch Urushihara sieht aus, als wäre ihm ein großer Felsbrocken von der Seele gefallen und von daher genügt ihm das fürs Erste.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)