Mein ist die Dunkelheit von MariLuna ================================================================================ Kapitel 26: XXVI. Kapitel -------------------------     Es ist dunkel und kalt. Er kann die Dunkelheit spüren, sie kriecht noch tiefer in seine Knochen als die Kälte. Er liegt noch genauso da, wie er eingeschlafen ist - auf der Seite zusammengerollt wie ein Sushi. Aber das unter ihm ist nicht mehr das weiche Polster der Couch. Es ist kalt und hart. Und es riecht nach Wasser. Schnee. Oh. Nein. Entsetzt will er sich in die Höhe stemmen, nur, um festzustellen, dass er keinen einzigen Muskel rühren kann. Panik steigt in ihm auf. Sein Puls rast und sein Herzschlag dröhnt ihm in den Ohren und er versucht es, er versucht es wirklich, aber er kann sich einfach nicht bewegen. Er hört das Knacken der Äste über sich und das dumpfe „plop“ mit dem nasse Schneeklumpen aus den Wipfeln herniederfallen und er spürt die eisigkalten Finger des Windes über sich hinwegstreichen. Das ist nicht real. „Hmmmm....Das stimmt.“ In seinem Inneren krümmt sich etwas zusammen, als er diese Stimme hört. Gabriel. „Das, was Mao da veranstaltet, das ist nicht real. Wenn Mao es ernst meinte, hätte er schon längst mit Chiho geredet. Er spielt nur mit dir. Und das weißt du.“ Er versucht, diese sonore, einschmeichelnde Stimme und das Gift, das sie ihm Silbe für Silbe in die Ohren tröpfelt, auszublenden. Verzweifelt konzentriert er sich auf seine Haupthand, versucht, sie aus dem Schnee zu heben. Eigentlich würde ihm schon ein Fingerzucken genügen. Nur ein klitzekleines. Aber er ist immer noch wie gelähmt. „Seit wann kämpft dein Dämonenkönig nicht mehr um etwas, was er unbedingt haben will, hmmm? Es sei denn natürlich, er will es doch nicht sooooo unbedingt haben.“ Als Urushihara diese Worte hört, stockt er für einen Moment, doch dann verdoppelt er seine Bemühungen. Er spürt, wie ihm vor Anstrengung der Schweiß auf die Stirn tritt. Nur ein Finger. Nur ein klitzekleines bißchen. Komm schon, verdammt! „Hmmmm … aber wer will schon etwas so etwas total Nutzloses wie dich? Nicht einmal deine Eltern wollten dich, nicht wahr? Nicht um deiner selbst Willen. Und jetzt, wo du blind und noch nutzloser bist als jemals zuvor ...“ Gabriel gluckst leise und bricht dann in ein hämisches Gelächter aus. Plötzlich hat er wieder Verbindung zu seinem Körper. Blitzschnell schließen sich seine Finger um den Schnee und dann schleudert er alles, was er greifen kann in Richtung dieses gemeinen Lachens. „Verpiss dich! Das weiß ich alles selbst!“ Wutentbrannt schießt er in die Höhe, verliert das Gleichgewicht und...   „Autsch.“ Der Aufprall nimmt ihm den Atem. Einen Herzschlag lang liegt er einfach nur da und blinzelt in die übliche Schwärze. Wo ... ist er? Es riecht nach Essen, nach Reis, Gemüse und Fleisch – ein vertrauter Geruch, doch darunter liegt noch etwas anders. Er zieht die Luft tief durch seine Nase und versucht, den fremden Duft zu identifizieren. Holz? Ist das Holz? Der Boden unter seinem Rücken ist sonderbar warm. Aber vor allem hart. Das sind nicht die Tatami-Matten dieses Lochs, das er zur Zeit sein Zuhause nennt. Hastig tastet er mit den Händen neben sich über den Fußboden. Warm. Hart. Glatt. Wo bin ich? Was ist das hier? In zunehmender Panik rollt er sich auf die Knie und tastet hektisch alles um sich herum ab. Seine Finger melden ihm glattes, an einigen Stellen aber auch unebenes Material. Und ist das... stirnrunzelnd fährt er mit seinen Fingernägeln einen haarfeinen Spalt entlang. Ist das etwa eine Holzdiele? Parkett? Wir haben kein Parkett in unserer Wohnung. Hastig tastet er sich weiter, während er gleichzeitig auf seine Umgebung lauscht. Ganz gedämpft glaubt er Stimmen zu hören – eindeutig eine männliche und eine weibliche und sie klingen sehr aufgeregt - aber er kann kein Wort verstehen, es scheint, als befinde sich eine dicke Wand zwischen ihnen. Doch anstatt ihn zu beruhigen, nähren diese Stimmen seine Panik nur noch. Und dann wird er von einem Hustenanfall geschüttelt und jetzt bekommt er wirklich keine Luft mehr. Verzweifelt ringt er nach Atem. Plötzlich hört er Wasserrauschen wie von einer Toilettenspülung, gefolgt vom Klicken einer Tür. Eine ihm nur allzu wohl bekannte Stimme murmelt etwas von wegen „warum lernt hier niemand, neue Klopapierrollen aufzuhängen?“ vor sich hin und ihm schießen die Tränen der Erleichterung in die Augen. „Alciel“, stößt er in der Sprache der Dämonen hervor. „Bist du das?“     Im ersten Moment erstarrt Ashiya vor Schreck, als er diese dünne, verzweifelte Stimme hört. Dass die Worte in seiner Muttersprache gesprochen werden, registriert er zuerst gar nicht, aber dann fällt sein Blick auf das schweratmende Häuflein Elend, das auf dem Boden vor der Couch kniet und mit zerzausten Haaren und tränennassen Gesicht aus seinen blinden Augen in seine Richtung schaut. Er setzt sich schon in Bewegung, bevor sein Gehirn den Anblick richtig registriert hat. „Lucifer.“ Der Name entfleucht ihm ohne dass er genauer darüber nachdenkt. „Was ist passiert?“ Er kniet sich vor ihn hin und streckt den Arm nach ihm aus, aber da sind schon blasse, zierliche Hände, die nach ihm greifen und schmale Finger, die sich hilfesuchend in seinem Wollpullover festkrallen. Instinktiv nimmt Ashiya den zitternden Engel in die Arme und streichelt beruhigend über seinen Rücken. „Sch, alles in Ordnung. Es war nur ein Alptraum.“ Es ist nur geraten, aber in diesem Moment erscheint es ihm als einzig logische Ursache. Offensichtlich zu Tode verängstigt, klammert sich Urushihara an ihm fest. Erst erst Alshiya ihn so beschützend an sich drückte, kehrten die Erinnerungen wieder zurück und diese lähmende Desorientierung verschwand. Trotzdem - noch immer völlig neben sich stehend, saugt er gierig jedes bißchen Wärme und Freundlichkeit auf, die der Iron Scorpion ihm zu geben bereit ist. Und das ist in diesem Moment überraschend viel. Und noch viel erstaunlicher ist, dass es keine Schelte und auch keine bösen Worte gibt, nur Verständnis und Geduld. Das lässt einen Teil von ihm zwar wieder an der Realität zweifeln, aber seine Erleichterung darüber, nicht allein zu sein, überwiegt. Unwillkürlich passt er seine Atmung der Ashiyas an und allmählich beruhigt sich auch sein Herzschlag wieder. Aber je besser es ihm geht, desto peinlicher wird ihm das ganze auch, vor allem seine Panikattacke, und so dauert es nicht lange, und er stemmt seine Hände gegen Ashiyas Brust und schiebt ihn ein paar Zentimeter von sich fort. „Danke. Es geht wieder.“ Es klingt unhöflicher als beabsichtigt, aber anstatt sich deswegen aufzuregen, mustert Ashiya ihn nur eindringlich. Urushihara kann diesen Blick spüren und er verursacht ihm eine Gänsehaut. Und dann zuckt er überrascht zusammen, denn plötzlich sind da warme Finger, die ihm sanft die Nässe von den Wangen wischen. „Willst du darüber reden?“ Ashiyas ungewohnt sanfte Stimme ist der nächste Schock. Es ist diese Freundlichkeit, die Urushihara ernsthaft über dieses Angebot nachdenken läßt, doch dann schüttelt er abwehrend den Kopf. Aber als Ashiya keine Anstalten macht und nur weiterhin dicht vor ihm sitzenbleibt, schweigend und Urushihara immer noch seinen Blick auf sich spürt, bröckelt ein riesiger Stein aus seiner Mauer, die er um sich herum aufgebaut hat. „Für einen Moment wußte ich nicht mehr, wo ich war“, gibt er schließlich leise und mit beschämt gesenktem Kopf zu. Ashiya nickt verständnisvoll, bis ihm wieder einfällt, dass Urushihara es nicht sehen kann. „Ich verstehe“, erklärt er daher laut, zögert und streckt dann eine Hand aus, um ihm das Haar aus dem Gesicht und zurück hinters Ohr zu streichen. Er will seine Miene sehen, für das, was er ihm als nächstes sagt. „Manchmal, obwohl wir jetzt schon über ein Jahr hier leben, wache ich auf und denke im ersten Moment, wir sind noch in unserer Welt. Dann sehe ich mich um und mir fällt alles wieder ein. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es mir erginge, wenn ich in diesen wenigen Augenblicken nichts sehe.“ Er hat nicht damit gerechnet, aber sein Herz macht einen Sprung, als er die Emotionen sieht, die bei seinen Worten über Urushiharas Miene huschen: Überraschung, Dankbarkeit und zu guter Letzt sogar - Hoffnung. „Wenn es etwas gibt, irgend etwas, womit ich dir helfen kann, Lucifer, brauchst du es nur zu sagen.“ Ashiya wartet, läßt seine Worte erst einmal sacken, bevor er weiterspricht: „Du bist nicht allein, Lucifer. Wir haben Fehler gemacht, und ich maße mir nicht an, für Mao-sama und die anderen zu sprechen. Aber was mich betrifft, kann ich dich nur um die Chance bitten, meine Fehler wieder gut zu machen und mir zu vertrauen.“ Urushiharas violette Augen weiten sich erstaunt und der lebendige Glanz in ihnen lässt Ashiya kurz vergessen, dass diese Augen nichts mehr sehen. „Gut“, räuspert er sich, um den plötzlichen Kloß in seiner Kehle wieder loszuwerden. „Wie wäre es, wenn du dich wieder auf die Couch setzt? Wenn ich mich recht erinnere, wolltest du doch Alas-Ramus ein neues Stofftier stricken. Ich geh schnell in die Küche und mache dir einen Kakao und setze mich dann mit einem Buch zu dir, wie klingt das?“ Urushihara öffnet den Mund, als wolle er etwas sagen, überlegt es sich dann aber anders und nickt nur. Denn, ehrlich gesagt, klingt das sehr gut und er will das nicht durch eine vorlaute Bemerkung wieder zerstören.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)