Mein ist die Dunkelheit von MariLuna ================================================================================ Kapitel 23: XXIII. Kapitel -------------------------- Tak-tak-tak. Nicht sehr schnell, aber dafür sehr energisch schneidet das Messer durch die Möhre. Mit Grausen sieht Ashiya dabei zu, wie die scharfe Klinge das Gemüse zerteilt, immer dicht an Urushiharas Fingerspitzen vorbei. Alles in ihm schreit ihm zu, ihm das Messer fortzunehmen, doch er bringt es aus irgend einem Grunde nicht über sich. Er hat nicht wirklich damit gerechnet, dass er ihm ohne zu Zögern in der Küche helfen würde. Nicht jetzt, wo jeder vom Verlust seines Augenlichts weiß. Und nicht nach dem, was passiert ist. Wenn sich Urushihara auf der Couch ausgestreckt und ein Nickerchen gehalten hätte, wäre das nur zu verständlich gewesen.   Unwillkürlich erinnert er sich an das allererste Mal, wo Urushihara ihm beim Gemüseputzen half.   „Du willst was?“ rutschte es Ashiya sofort heraus, als der in seinen Augen chronisch faule Urushihara am Frühstückstisch plötzlich verkündete, er werde ihm heute in der Küche helfen. Noch im selben Atemzug verwünschte sich Ashiya für seine spontane Reaktion. „Ja, natürlich, gerne“, beeilte er sich daher sofort zu versichern. „Ich freue mich, dass du endlich bereit bist, deinen Anteil in diesem Haushalt zu leisten.“ Auch Mao war voll des Lobes, grinste und wuschelte Urushihara in einer freundschaftlichen Geste durchs Haar. Urushihara zuckte zusammen, als habe er ihn geschlagen, doch damals achtete keiner von ihnen darauf.   Wir waren wirklich Idioten.   Als er dann drei Stunden später neben ihm an dem bodennahen Tisch saß und seine erste Gurke schnitt, musste sich Ashiya sehr zurückhalten. Es dauerte viel zu lange und die Stücke wurden alles andere als gleichmäßig. „Du hältst das Messer völlig falsch. Das ist keine Axt, mit der du Knochen spaltest. Wenn du zuviel Druck ausübst, gibt es Kerben im Holzbrett und das Messer wird stumpf. Und versuch um Sataniels Willen, die Stücke etwas schmaler zu schneiden. Ja, so ist es schon besser. Und wenn du fertig bist, füll die Stücke in die Schüssel.“   Ashiya erinnert sich noch, wie sehr er sich darüber aufregte, dass Urushihara mit seinen Händen ständig auf dem Tisch herumtastete und das Gemüse erst von allen Seiten betatschte, bevor er es zu schneiden begann. Er glaubt sich zu erinnern, ihn sogar deswegen getadelt zu haben. Mehrmals.   Ich bin so ein Idiot.   Plötzlich hält Urushihara inne und hebt den Kopf. Als ihn der Blick aus diesen blinden, violetten Augen trifft, muss er einmal hart schlucken. „Ashiya, ich spüre, dass du mich anstarrst." Der fühlt sich ertappt. „Nur, weil ich darauf warte, dass du dir in den Finger schneidest", rutscht es ihm schnippisch heraus. Und sofort tut es ihm leid, doch um Urushiharas Lippen zuckt ein kleines Lächeln. Er starrt ihn weiterhin an, während sich das Messer schon wieder bewegt. Tak. Tak. „Ich habe mir wirklich schon Sorgen gemacht", erklärt er dabei. Tak. „Schön, dass du immer noch du selber bist." Ashiya runzelt die Stirn. „Willst du damit sagen, ich sei zu nett zu dir gewesen?" Dabei hatte er ihm doch nur ein heißes Bad eingelassen, ihm neue Kleidung herausgelegt und war dann wieder in die Küche zurückgekehrt. Oder meint er das mit der Skibrille und dass er ihn vom Rodeln fortgeholt hat, bei dem er sich offensichtlich nicht wohl fühlte? Urushihara gibt nur ein zustimmendes „hm" von sich und senkt dann wieder den Blick auf das Schneidebrett, als könne er noch sehen. Oder wüsste, wie unangenehm sein starrer Blick ist. Ashiyas Stirnrunzeln vertieft sich. „Ich habe dir gestern versprochen, mich zu bessern. Nichts und niemand wird mich davon abhalten, meine Fehler wieder gut zu machen. Und wenn es dir nun unangenehm ist, weil ich nett zu dir bin, tja, dann tut es mir leid für dich, aber damit musst du jetzt leben.“ Urushihara versucht zu lachen, doch es wird schnell ein Husten daraus. Ashiya füllt ein Glas mit Gerstentee und drückt es ihm dann auffordernd in die Hand. Während Urushihara trinkt, reibt er ihm beruhigend über den Rücken. Er nimmt ihm das leere Glas wieder ab und reicht ihm eine neue Karotte, die er zerschnippeln kann. Dann wendet er sich wieder dem Wok zu, in dem schon das andere Gemüse langsam vor sich hingart. Eine Zeitlang sagt keiner von ihnen ein Wort und das einzige Geräusch im Raum ist das Zischen des Gemüses in der Pfanne, das Blubbern der Soße in dem Topf daneben und dieses rhythmische tak-tak-tak, mit dem Urushihara die Karotte zerkleinert. Und dann hustet Urushihara und Ashiya sieht automatisch zu ihm hinüber und im selben Moment hebt Urushihara den Kopf und wirft ihm wieder diesen eindringlichen Blick aus seinen blinden Augen zu. „Ashiya“, sagt er, als er schließlich wieder etwas zu Atem gekommen ist, „könntest du Mao ins Gewissen reden, damit er endlich mit der armen Chiho redet? Alleine packt er das nicht und auf dich hört er.“ „Ich habe kein Recht, unserem König zu befehlen, der reizenden Chiho das Herz zu brechen.“ „Einer der beiden bricht dem anderen früher oder später sowieso das Herz. Und besser er ihr jetzt als später sie ihm.“ Er holt einmal tief und rasselnd Luft und atmet dann wieder aus. „Bitte, Ashiya. Wenn du ihn darum bittest, wird er es tun.“ Ashiya mustert ihn mit hochgezogenen Brauen. Ihm gefallen die Geräusche nicht, die Urushihara beim Atmen macht, denn das klingt doch sehr verdächtig nach einer beginnenden Erkältung. (Nicht Lungenentzündung, oh nein, das bestimmt nicht, das wird er zu verhindern wissen) Aber wenn er daran denkt, wie knapp Urushihara mit dem Leben davonkam, ist so ein bißchen Husten ein sehr geringer Preis. „Ashiya?“ als er keine Antwort von dem blonden General erhält, hakt Urushihara noch einmal nach. „Wenn du ihn darum bittest, wird Mao es noch am gleichen Tag tun. Er hört auf dich.“ Ashiya seufzt und holt eine Flasche Hustensirup aus dem Kühlschrank. „Du setzt sehr großes Vertrauen in meinen Einfluß auf unseren König“, meint er, während er das grünliche Medikament auf einen Esslöffel gießt. Tak. „Ich hasse es, das zuzugeben“, murmelt Urushihara. Tak-tak. „Aber dein Wort hatte bei ihm schon immer mehr Gewicht als meines.“ „Lucifer, mach den Mund auf, ich habe hier einen Löffel Medizin gegen deinen Husten.“ Gehorsam öffnet der Engel den Mund und verzieht kurz darauf angeekelt das Gesicht, als er den Sirup hinunterschluckt. „Ich weiß, das schmeckt scheußlich süß.“ Ashiya reicht ihm ein neues Glas Gerstentee, um den Geschmack zu übertünchen. „Das ist eigentlich ein Kindersaft für Alas-Ramus, falls sie sich erkältet, aber du brauchst es dringender. Und da es für Kleinkinder geeignet ist, wird es dir bestimmt auch nicht schaden.“ „Ich weiß nicht, ob ich gerührt oder beleidigt sein soll“, kommt es amüsiert zurück. Dann fällt ihm etwas auf. „Oh, du hast mich bei meinem Namen genannt.“ „Ist mir nur so rausgerutscht“, erwidert Ashiya ausweichend. „Gewöhn dich nicht daran.“ Urushihara grinst nur bis über beide Ohren und Ashiya grinst unwillkürlich zurück. Bis ihm wieder einfällt, dass Urushihara es nicht sehen kann. „Gut“, verspricht er ihm daher schnell. „Ich werde mit unserem König reden. Es ist wirklich nicht fair, wenn sich die liebreizende Chiho-san Hoffnungen macht, während sein Herz doch eindeutig dir gehört.“ Urushihara schweigt einen Moment mit gesenktem Kopf. „Tut es das wirklich?“ will er dann leise wissen. „Und wenn dem so ist, wieso stört es dich dann nicht?“ Seufzend hebt er die Hand mit dem Messer und reibt sich dann mit dem Handrücken über die Stirn. Ashiya bleibt bei diesem Anblick fast das Herz stehen. „Lucifer.“ Mit einem schnellen Schritt ist er bei ihm, nimmt ihm das Messer aus der Hand und gibt dann seinem Impuls nach und umarmt ihn zögernd. Erst als er seine Arme um ihn schließt, wird ihm auf erschreckende Art und Weise klar, wie klein und zierlich Urushihara doch ist – er reicht ihm gerade mal bis zur Brust. „Ich verrate dir jetzt mal etwas und das sage ich nur einmal und das bleibt gefälligst unter uns.“ Er senkt seine Stimme zu einem verlegenen Flüstern. „Mao-sama hat dich schon immer verehrt und bewundert. Und zu meiner großen Schande muss ich gestehen, dass mich das furchtbar verärgerte. Ich fand es beschämend, wie sehr er an einem Herumtreiber wie dir hing, über dessen Herkunft nichts bekannt ist. Und so setzte ich alles daran, dich in seiner Gunst zu überflügeln. Aber es gelang mir nie, weil du immer sein erster General sein wirst, der erste, der seine Pläne für die Dämonenwelt wirklich verstand und ihn unterstützte und das alles, ohne dass er dich zuvor im Kampf besiegen musste. Er überzeugte dich allein durch Worte und seine Hartnäckigkeit und das gab ihm all den Mut und die Kraft, niemals aufzugeben.“ Urushihara lehnt seine Stirn gegen Ashiyas Brust und versinkt in nachdenklichem Schweigen. „Es fühlte sich nie so an“, murmelt er dann. Er klingt erschöpft. Oder traurig. So genau kann Ashiya das nicht auseinanderhalten. Schmerzerfüllt schließt Ashiya die Augen und holt einmal tief Luft. „Ich weiß, und das tut mir unendlich leid“, erwidert er dann leise und drückt ihn einmal zaghaft an sich. „Und genau deshalb stört es mich auch nicht, wenn ihr jetzt romantische Gefühle füreinander hegt, schließlich habe ich versprochen, ein besserer Freund für dich zu sein.“ Er spürt, wie sich Urushiharas Finger bei diesen Worten fester in seinen Wollpullover krallen und drückt ihn daraufhin unwillkürlich noch einmal kurz an sich. Er kann verstehen, wieso sein König Urushihara so gerne in den Armen hält – es fühlt sich erstaunlich gut an. In seinem Inneren breitet sich dieselbe Wärme aus, wie er sie verspürt, wenn Alas-Ramus sich vertrauensvoll an ihn schmiegt. Doch dann räuspert er sich, legt ihm die Hände an die Schultern und schiebt ihn auf halbe Armeslänge von sich. „Und deshalb, Lucifer, mein Freund, bringe ich dich jetzt zur Couch, wo du dich brav hinlegst und ausruhst.“ Urushihara nickt nur stumm. Die Schatten um seine Augen wirken auf einmal wieder viel dunkler, aber vielleicht liegt das auch nur an den Tränen, die in seinen blinden Augen schimmern.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)