Mein ist die Dunkelheit von MariLuna ================================================================================ Kapitel 21: XXI. Kapitel ------------------------     Es ist noch früh am Morgen, aber sowohl Wetterbericht wie auch ein Blick aus dem Fenster versprechen blauen Himmel und viel Sonne. Normalerweise ist Emi ein Morgenmuffel, doch sie erwachte heute mit Alas-Ramus in ihren Armen, die sich zufrieden an sie kuschelte. Irgendwann des Nachts muss sich die Kleine aus ihrem Bett in ihres geschlichen haben – obwohl sie wirklich langsam alleine schlafen sollte. Emi weiß, dass es ein Fehler ist – das steht in allen Erziehungsratgebern – aber sie brachte es nicht übers Herz, Alas dafür zu rügen. Soll die Kleine doch ruhig einmal verwöhnt werden – sie haben schließlich Ferien. Und verwöhnt wird sie, in der Tat. Sonst würde sie ja nicht hier um sieben Uhr morgens in der Küche stehen – zusammen mit Ashiya, um Gottes Willen! - und Pfannkuchen zum Frühstück machen, während ihre Ziehtochter mit ihrem Malbuch am Esstisch sitzt. Und nie hätte sie gedacht, dass sie sich mit dem Dämonengeneral so gut versteht. Nicht gut genug, dass er auf ihre neugierigen Fragen zufriedenstellende Antworten gibt, aber wenigstens herrscht zwischen ihnen respektvoller Waffenstillstand. Es ist ruhig, beinahe friedlich. Nun, jedenfalls bis eine heisere Stimme aus dem Obergeschoß ertönt. „Nein! Lass mich in Ruhe, Mao!“ Emi und Ashiya werfen sich einen beunruhigten Blick zu und eilen aus dem Küchenbereich. Alas rutscht von ihrem Stuhl und rennt ihnen neugierig hinterher. Oben auf dem Treppenabsatz steht Urushihara und hält einen irritierten Mao mit ausgestrecktem Arm auf Abstand. Emi blinzelt überrascht. Beinahe hätte sie ihn ohne sein übliches Outfit gar nicht erkannt. Es ist wirklich irritierend, ihn wieder in einem von Maos kuscheligen Hoodies zu sehen. „Hör auf, mich wie ein Kleinkind zu behandeln, Jacobu! Ich bin kein verdammter Invalide, der Betreuung braucht!“ „Lucifer...“ Mao scheint irritiert, aber gleichzeitig auch leicht amüsiert zu sein. Und Emi kann es ihm nicht verübeln, sie muss sich selbst ein Schmunzeln verbeißen, denn Urushiharas Temperamentsausbrüche sind immer eine herrliche Show (mal ganz davon abgesehen, dass sie ihn nicht ausstehen kann, ist dies auch mit ein Grund, wieso sie ihn so gerne piesackt). Außerdem beweist ihnen Urushihara hier gerade eindrucksvoll, dass noch sehr viel Leben in ihm steckt. „Du musst mir nicht bei jedem Handgriff helfen, verdammt nochmal!“ faucht er seinen König an. „Ich bin sehr wohl imstande, selbst eine Treppe hinunter zu gehen. Ich habe mich jetzt fast fünf Wochen ganz gut alleine durchgeschlagen, ich brauche dich nicht!“ Urushihara hält inne und schöpft nach Luft. Das laute Reden fällt ihm schwer, sein Hals kratzt und er muss aufpassen, dass ihm die Stimme nicht versagt oder sein Satz von einem Hustenanfall unterbrochen wird. Er wird immer laut, wenn er sich aufregt, obwohl er weiß, dass das bei Mao überhaupt nichts bringt. Er ist wirklich nicht undankbar, er genießt es, in einem warmen Bett dicht an Mao gekuschelt aufzuwachen und wie ein Prinz umsorgt zu werden, aber alles hat seine Grenzen. Er kann sich verdammt nochmal selbständig anziehen, selbständig auf die Toilette und duschen gehen und er braucht garantiert niemanden, der ihn die Treppe hinuntergeleitet. Das gestern war ein absoluter Ausnahmefall und je eher Mao das begreift, desto besser. „Ich weiß deine Hilfe zu schätzen, aber was zuviel ist, ist zuviel.“ „Lucifer...“ „Nein, Jacobu, lass mich-“ „Lucifer“, unterbricht Mao ihn ernst, legt ihm beide Hände ums Gesicht und küsst ihn. Urushihara erstarrt geschockt, doch dann entgegnet er den Kuss vorsichtig, nur, um eine weitere Sekunde später wieder zur Besinnung zu kommen. Hastig zieht er seinen Kopf aus Maos Reichweite und schiebt ihn wieder auf Armlänge von sich fort. Er hebt an, Mao scharf zurechtzuweisen, denn das ist unfair, so sollten Diskussionen nicht beendet werden – aber da unterbricht ihn Mao schon: „Sei vorsichtig, meine kleine Kratzbürste, die Treppe ist nur einen Schritt hinter dir.“ Mit diesen Worten packt er ihn vorne am Hoodie und zieht ihn zu sich heran, in seine sichere Umarmung. „Das war alles, was ich dir sagen wollte“, erklärt er, während er ihn behutsam an sich drückt. „Ich streite mich gerne mit dir, aber dann doch lieber an einem sicheren Ort.“ Urushihara schneidet eine Grimasse, sagt aber nichts. Er weiß nicht, ob Mao ihm die Wahrheit sagt oder ob er es nur als Ausrede benutzt, um nicht auf seine Vorwürfe eingehen zu müssen. In stummer, hilfloser Frustration, krallt er seine Finger in Maos Oberarme. Er weiß nicht, ob Mao es durch die dicke Wolle überhaupt spürt und das ärgert ihn nur noch mehr. Er hasst es, blind zu sein! Und er hasst es generell, auf andere vertrauen zu müssen. Denn was macht es schon, wenn er jetzt diese Treppe hinuntergefallen wäre? Es wäre schließlich nicht das erste Mal. Mao hat ja keine Ahnung, wie oft er diese Stiege, die zu ihrem Apartment hinaufführt, hinuntergepurzelt ist. Natürlich weiß Mao es nicht, er hat schließlich sorgsam darauf geachtet, das zu üben, wenn niemand da war – und das schließt ihre neugierige Nachbarin Kamazuki Suzuno mit ein. „Es lag nicht in meiner Absicht, dich zu demütigen, Lucifer.“ Maos sanfte, verständnisvolle Stimme an seinem linken Ohr reißt ihn aus seinen dunklen Gedanken. Liebevoll drückt Mao ihn fester an sich und Urushihara kann gar nicht anders, als seine Wärme gierig in sich aufzusaugen. „Du hast recht: du hast die letzten dreiunddreißig Tage etwas Unglaubliches geleistet, ich mag mir gar nicht vorstellen, wie schwierig es für dich war. Und ich weiß nur zu gut, dass ich dir das Leben durch meine Ignoranz noch zusätzlich erschwert habe.“ Anfangs vorsichtig, doch dann schnell mutiger werdend, krault Mao Urushiharas empfindlichen Nacken, direkt am Haaransatz und als Urushihara regelrecht gegen ihn schmilzt, macht sein Herz einen glücklichen Sprung. „Nichts liegt mir jetzt ferner, als dir deine Selbständigkeit abspenstig zu machen, die du dir so hart erkämpft hast. Und ich verstehe, wie wichtig dir das ist. Ich gelobe dir, ich halte mich in Zukunft zurück, aber bitte erlaube mir, dir zu helfen, zu lernen, dich hier so sicher zu bewegen wie Zuhause.“ „Gegen Hilfe habe ich nichts, ich mag nur keine Bevormundung. Ehrlich, Mao, du musst mir nicht die Klamotten zurecht legen wie Alas-chan. Von deinen anderen Übergriffigkeiten ganz zu schweigen.“ Betroffen beißt sich Mao auf die Unterlippe. „Bitte entschuldige. Du weißt, wie schnell ich mich zu etwas hinreißen lasse.“ Urushihara lächelt schmal. Natürlich weiß er das und das ist auch ein Grund, wieso er ihm schneller verzeihen kann als jedem anderen in dieser Situation. Ein anderer ist schlicht und einfach, dass sein kleiner Wutanfall ihn regelrecht ausgelaugt hat und er jetzt wirklich Frieden und Harmonie bevorzugt. „Ich bin nicht eines deiner Projekte“, warnt er ihn trotzdem noch, um seinen Standpunkt endgültig klar zu stellen. Da irrst du dich. Du bist mein GRÖSSTES Projekt, widerspricht ihm Mao in Gedanken, behält das jedoch wohlweislich für sich. „Du hast die Erlaubnis, mich zu töten, wenn ich wieder übergriffig werde“, verspricht er ihm, was Urushihara nur ein kleines Lachen entlockt, das fast in einem Hustenanfall endet. „Der Spruch ist sowas von ausgelutscht“, bringt er schließlich hervor, als er wieder genug Atem hat. „Richtig“, stimmt Mao ihm grinsend zu. Die Worte „dann steht es dir frei, mich zu töten“, hat er zu jedem seiner dämonischen Generäle gesagt, um sie davon zu überzeugen, ihm zu folgen. Etwas anderes als sein Leben hatte er als kleiner Goblin nicht anzubieten und wenn einer seiner überlebenden Generäle vor ihn träte, um diese Schuld einzufordern, würde er sie ohne mit der Wimper zu zucken einlösen. Aber das hier ist etwas völlig anderes. Das hier hat etwas Besseres verdient. „Gut. Wie wär's damit: wenn ich dir wieder zu übergriffig werde, sind Ashiya und ich vierundzwanzig Stunden lang deine willigen Sklaven.“ „Oi, Mylord!“ kommt er protestierend vom unteren Ende der Treppe her. „Haltet mich da gefälligst heraus!“ Urushihara gluckst leise und Mao kann jetzt wirklich nicht mehr widerstehen. Behutsam legt er seine Finger unter Urushiharas Kinn und hebt seinen Kopf etwas an, damit er ihn besser küssen kann. Kaum haben seine Lippen Urushiharas berührt, schmilzt dieser förmlich in diesen Kuss hinein. Daran könnte er sich wirklich gewöhnen. Maos Lippen sind weich und warm, sein Zungenspiel sanft und fordernd zugleich und das ist genau dieser Hauch von Dominanz, der sein Herz sehnsüchtig erbeben lässt. Es ist gut. Es ist fast zu gut, um wahr zu sein. Und vielleicht ist es das auch nicht. Aber verdammt noch mal, wenn das eine Halluzination ist, dann muss alles andere auch eine sein und vielleicht liegt er sterbend im Schnee, aber dann ist das hier der beste Todeskampf, den er sich wünschen kann. Begeistert stürzt er sich nur noch tiefer in diesen Kuss hinein, schlingt Mao die Arme um den Nacken und heißt die Schmetterlinge in seinem Magen willkommen. Ich befürchte, ich verliebe mich gerade, schießt es ihm durch den Sinn. Aber das ist okay, oder? Wenn das hier nur eine Halluzination ist, dann schadet es nichts, wenn ich mich einfach mitreißen lasse. Plötzlich ist das Trappeln kleiner Füße auf hölzernen Stufen zu hören, begleitet von einem wilden „Yaaaaay!“ Überglücklich wirft Alas-Ramus ihre Arme um die Knie der beiden Männer und drückt sich an sie wie ein kleiner Welpe. Trotz ihres Überschwangs ist sie erstaunlich vorsichtig und achtet darauf, keinen der zwei aus dem Gleichgewicht zu bringen. „Papa küsst Lucifer! Ich will auch! Ich will auch!“ Lachend lösen sich die beiden voneinander und Mao hebt sie schnell hoch und hält sie so, dass sie ihre kleinen Ärmchen um Urushiharas Hals schlingen kann. Sie drückt dem ehemaligen Erzengel gerade einen dicken Schmatzer auf die Wange, als Emi zu ihnen die Treppe hinaufstapft. „Alas-chan“, rügt sie die Kleine sanft, „was habe ich dir gesagt? Du sollst doch auf Treppen nicht rennen.“ „Ja, Mama“, zwitschert Alas-Ramus zurück. „Entschuldige, Mama.“ „So, und nun komm und lass die beiden Idioten in Ruhe. Es gibt Frühstück.“ Vielsagend streckt sie die Arme aus und gehorsam wechselt das Kleinkind zu ihr hinüber. „Und ihr beide habt verdammtes Glück, dass Chiho das nicht gesehen hat“, meint Emi vorwurfsvoll zu Mao und Urushihara, bevor sie mit ihrer Ziehtochter wieder hinunter ins Erdgeschoß geht. Stirnrunzelnd sieht Mao ihr nach, setzt aber schnell ein fröhliches Lächeln auf, als Alas ihm über Emis Schulter hinweg vergnügt zuwinkt. Er winkt mit seiner freien Hand zurück, die andere liegt um Urushiharas Taille. Und dann bemerkt er, dass dieser wie Espenlaub zittert. „Was ist los?“ erschrocken nimmt er ihn in die Arme und reibt beruhigend über seinen Rücken. „Ich bekomme jedes Mal fast einen Herzschlag, wenn jemand so plötzlich auftaucht“, antwortet Urushihara verlegen. Im ersten Moment ist Mao verwirrt, aber dann begreift er. „Oh.“ Sekundenlang stehen sie nur eng umschlungen auf dem Treppenabsatz, jeder in seine eigenen Gedanken versunken, bis Urushiharas leise, heisere Stimme die Stille bricht: „Aber Emi hat recht: Chiho sollte uns nicht so sehen.“ Mao schnaubt einmal. „Ich lasse mir doch nicht vorschreiben, wie und wo ich dich küsse.“ Urushihara hebt den Kopf und Mao läuft es eiskalt den Rücken hinunter, als er in diese violetten Augen sieht. „Uh, das ist unheimlich. Wie kannst du mir so einen vorwurfsvollen Blick zuwerfen, wenn du blind bist?“ Um Urushiharas Lippen zuckt ein verschmitztes Lächeln. „Hat's funktioniert?“ „Ja“, gibt Mao sofort zu und seufzt einmal tief. „Gut, wenn Chiho in Sichtweite ist, halte ich mich zurück. Ein wenig“, schränkt er hastig ein. Denn jetzt, wo sein General anscheinend Gefallen an seinen Zärtlichkeiten gefunden hat, wird er ganz bestimmt nicht mehr damit aufhören. „Weißt du, du kannst auch mit ihr reden“, meint Urushihara trocken, während er sich aus Maos Umarmung löst. Dieser läßt ihn nur widerwillig ziehen, aber auch ihm knurrt er Magen bei dem Duft von frischgebackenen Pfannkuchen, der aus der Küche zu ihnen hinaufweht. Und sein General ist immer noch zu dünn und schwach. Er muss dringend aufgepäppelt werden. „Einen Schritt vor dir ist die Treppe und eine halbe Armlänge links das Geländer. Es sind fünfzehn Stufen“, erklärt er ihm und hält sich nur mühsam zurück, ihm nicht auch körperlich die Hand zu reichen. Fasziniert beobachtet er, wie Urushiharas das Geländer ertastet und dann langsam seine Handfläche darüber gleiten läßt, während er gleichzeitig den ersten Schritt macht. Es wirkt ganz und gar nicht hilflos. Vielleicht etwas zögerlich in den ersten Sekunden, doch nur, bis er das Geländer gefunden hat. Aber hilflos? Nein, ganz und gar nicht. Mao erinnert sich an Urushiharas Schreckhaftigkeit und fragt sich unwillkürlich, wieviel von dieser Selbstsicherheit nur Show ist. Wahrscheinlich mehr als ihnen beiden lieb ist. Schnell schließt er zu ihm auf und gibt sich dabei Mühe, möglichst laut zu sein. Er hört, wie Urushihara leise die Treppenstufen zählt und um ihn nicht durcheinander zu bringen, hält er sich mit allem zurück. Unten angekommen, ist er ein nervliches Wrack, weil er ständig auf der Hut war, jederzeit bereit, ihn beim geringsten Fehltritt aufzufangen. Er fühlt sich wie damals, als Alas-Ramus ihre allererste Treppe hinter sich brachte. Seine Erleichterung ist so groß, dass er all seine guten Vorsätze vergißt und Urushihara an der Hand nimmt. „Du wirst lachen, aber ich hatte tatsächlich vor, mit Chiho zu reden, als klar wurde, dass sie uns begleitet. Ich weiß nur nicht, wie ich ihr das möglichst schonend sagen kann“, nimmt er das vorherige Gespräch wieder auf. „Bei so etwas gibt es nie die richtigen Worte, Mao-sama. Und das weißt du auch.“ „Ich weiß“, murmelt Mao, wird sich plötzlich bewußt, dass er seine Hand hält und lässt sie erschrocken wieder los. Urushihara schnaubt – das in einen kurzen Husten übergeht - verdreht die Augen und streckt ihm dann vielsagend die soeben verschmähte Hand wieder entgegen. „Geleite mich bitte zum Esstisch wie der Gentleman, der du sein willst. Mein Hirn fühlt sich nicht bereit, sich jetzt schon mehr einzuprägen. Ich brauche erst einmal etwas zum Essen. Danach mache ich weiter und du kannst mir gerne dabei helfen.“ Bei diesen Worten strahlt Mao übers ganze Gesicht.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)