Mein ist die Dunkelheit von MariLuna ================================================================================ Kapitel 20: XX. Kapitel -----------------------     Ein Hauch von Kälte weckt ihn, geisterhaften, frostigen Spinnenfingern gleich streicht sie über sein Gesicht. Es dauert eine Weile, bis sich sein Bewusstsein aus der warmen, sicheren Wärme kämpft, in der es sich verloren hat und die zu verlassen es sich weigert. Auf dem Weg an die Oberfläche wachen weitere Sinne auf. Zuerst ist da der Geruch von Holz und Erde, dann folgen die Geräusche: das Knarren von Bäumen, das Pfeifen des Windes im Gehölz und das Knacken von Ästen, die sich unter der Last des Schnees beugen. Schnee. Er liegt seltsam verdreht, halb auf der Seite, halb auf dem Bauch, und seine Finger melden ihm weiche, kalte Nässe – genau wie seine linke Gesichtshälfte. Er blinzelt langsam und starrt in die Schwärze, während sein Gehirn versucht, all das schwerfällig zu einem Bild zusammen zu fügen. Dann trifft es ihn mit voller Wucht. Nein. Nein! Entsetzt reißt er die Augen auf, krallt seine Finger in den Schnee und sammelt all seine verbliebene Kraft. Mühsam stemmt er seinen Oberkörper in die Höhe, bis er eine annähernd sitzende Position erreicht hat und zieht die Luft in tiefen, schnellen Atemzügen in seine Lungen. Nein! Das kann nicht wahr sein. Ich bin nicht hier. Ich bin in Sicherheit. Ich bin bei Mao, Alciel und Alas, bei Chiho und Emi. Doch jeder Atemzug schmeckt nach Kälte und Schnee und beweist ihm so das Gegenteil. Über das mit jeder Sekunde heftiger werdende Pochen seines Herzens kann er zwar nichts hören, aber … verzweifelt krallt er seine Finger in den Schnee … sein Tastsinn belügt ihn nicht. Und das Gewicht seines gefütterten Parkas drückt ihn fast wieder zu Boden. Nein. Panisch schnappt er nach Luft, doch es fühlt sich so an, als wäre sein Brustkorb plötzlich viel zu klein für seine Lunge. Und während er verzweifelt nach Atem ringt und ihm die Tränen aus den Augen fließen, krampft sich sein Herz in der bitteren Erkenntnis zusammen, dass alles – dass er gefunden und mit Nettigkeiten überschüttet wurde, dass all die Wärme und Nähe und Liebe, die ihm entgegengebracht wurde, dass Maos Küsse und seine Umarmungen – dass all das nur ein Traum war.     Mao wird durch eine heftige Bewegung neben sich aus seinem Schlaf gerissen und erwacht vollends, als Urushihara mit einem erstickten Schrei in die Höhe fährt. „Lucifer!“ Ohne richtig darüber nachzudenken, setzt sich Mao auf und schlingt beide Arme um ihn. Aus dessen Kehle kommt nur ein ersticktes Wimmern und dann krallen sich seine Finger so fest in Maos Pyjama, dass die Nähte bedrohlich knirschen. Er atmet so schnell und hektisch, dass er sich regelrecht daran verschluckt. Und während er sich hustend und nach Luft ringend noch fester an Mao klammert, murmelt dieser beruhigende Worte und streichelt ihm tröstend durch das verschwitzte Haar. „Sch, ruhig, ganz ruhig. Lucifer. Es war nur ein Alptraum. Es ist alles gut. Alles ist gut...“ „Mylord?“ Ashiya, der von dem Schrei ebenfalls aufgewacht ist, setzt sich auf und blinzelt ihn verschlafen an. „Schon gut. Ich hab alles im Griff.“ Mao schenkt ihm ein beruhigendes Lächeln. „Schlaf ruhig weiter.“ Ashiya mustert sie einen Moment schweigend, dann streckt er zögernd einen Arm aus und reibt Urushihara in zuerst nur sehr unbeholfenen, doch zunehmend immer sicherer werdenden, kreisförmigen Bewegungen den Rücken. Allmählich beruhigt sich Urushiharas Atmung. „J-jacobu.“ Zitternd preßt er sich an Maos soliden Körper und drückt sein Gesicht in dessen Schulter. Gierig zieht er Maos vertrauten Geruch in seine Nase und sonnt sich in dessen Wärme. „Du bist es wirklich, nicht wahr?“ Von einer plötzlichen Furcht gepackt, lehnt er sich etwas zurück und tastet mit seinen Fingern über den Körper vor sich, über weichen Flanellstoff und Plastikknöpfe, bis seine Fingerspitzen warme, samtige Haut und weiches Haar erfühlen. Er tastet sich hoch bis zum Gesicht. „Ja, ich bin es“, stimmt Mao ihm leise zu und hält ganz still, als Urushiharas Finger über sein Antlitz tanzen, um die Gesichtszüge, die er jetzt nur noch spüren kann, mit denen in seiner Erinnerung zu vergleichen. Mao mag es normalerweise nicht, wenn man ihm derart im Gesicht herumtatscht, aber Urushiharas Finger sind wie kleine, eifrige Schmetterlinge und jede Berührung hinterlässt ein angenehmes Kribbeln, das ihm bis hinunter in den Magen fährt. Völlig fasziniert starrt Mao in Urushiharas violette Augen, die im schummrigen Licht der Nachttischleuchte geheimnisvoll schimmern und jetzt genauso viele Emotionen wiederspiegeln wie sein Gesicht, so dass man glatt vergessen könnte, dass er eigentlich blind ist. Als Urushiharas Hände auf Maos Wangen zu ruhen kommen, legt dieser unwillkürlich seine Hände in derselben Geste um Urushiharas blasses Gesicht. „Lucifer. Du bist hier. In Sicherheit. In der Blockhütte, bei Ashiya und mir und Alas-chan und Chiho und Emi. Du bist in unserem Zimmer. In einem riesigen Double-King-Size-Bett, in dem wir alle drei Platz haben. Ashiya und ich sind bei dir, Lucifer. Es ist alles gut.“ Er lehnt sich näher, bis er seine Stirn gegen Urushiharas legen kann. „Alles ist gut“ wiederholt er dabei leise. Urushihara holt einmal tief und zitternd Luft. „Ich weiß nicht mehr, was echt ist und was nicht“, gibt er mit kratziger Stimme erschöpft zu. „Soll ich dich kneifen?“ bietet Ashiya, nur halb im Scherz, an. Und tatsächlich hebt er seine Hand in Richtung Urushiharas Kopf, doch anstatt ihn in die Wange zu zwicken, streicht er ihm nur sanft über den Nacken. Wie gedankenlos das war, begreift er erst, als Urushihara bei seiner Berührung erschrocken zusammenzuckt. Ashiya murmelt hastig eine Entschuldigung und zieht sich wieder etwas zurück. „Schon gut", versichert ihm Urushihara leise, „das ist nur so ungewohnt." Mao und Ashiya wechseln einen betretenen Blick. „Aber es ist echt", versichert Mao Urushihara. Seine Gedanken rasen. Womit kann er Urushihara nur überzeugen? Er glaubt uns nicht, weil wir nett zu ihm sind. Aber ich will nicht gemein zu ihm sein. Versonnen mustert er Urushiharas Gesicht und streicht mit den Daumen über dessen breite Wangenknochen. Im Schummerlicht wirkt er noch blasser als sonst und die Schatten um seine Augen noch dunkler. Er sieht aus wie ein Gespenst und die Erschöpfung in seinen hellen Augen bestärkt diesen Eindruck nur noch. Und dann übernimmt Maos Instinkt die Regie. Sein Griff um Urushiharas Wangen verstärkt sich, während er sich zu ihm nach vorne lehnt und seinen Mund kompromißlos auf Urushiharas presst. Es ist ein harter, entschlossener Kuss, der keinen Widerstand duldet. Urushihara gibt einen erstickten Laut von sich und erstarrt. Nicht nur körperlich - auch sein Verstand setzt für ganze drei Herzschläge aus. Selbst wenn er wollte, könnte er gar nicht reagieren. Dieses Zögern lässt Mao kurz an seiner Entscheidung zweifeln, aber dann beginnt Urushihara, den Kuss zu entgegnen - wenn auch nur sehr zaghaft, als würde er dem Braten noch nicht so ganz trauen. Doch das stört Mao nicht. Er verstärkt den Druck seiner Lippen und zwängt seine Zunge in Urushiharas Mund. Nicht sehr lang, nur sehr kurz, aber genug, um einen Hauch von seinem Geschmack zu erhaschen. Und sofort erwacht ein ganzer Schmetterlingsschwarm in seinen Eingeweiden. Bevor er weich werden kann, beendet er den Kuss wieder. Urushihara wirkt immer noch wie erstarrt und seine Miene ist völlig blank, doch in seine Wangen hat sich eine verräterische Röte geschlichen. Unter seinen halbgeschlossenrn Lidern glimmen seine Iridien wie kostbarer Amethyst und als er die Augen öffnet und Mao direkt anstarrt, könnte man glatt vergessen, dass er blind ist. In Maos Kehle steckt plötzlich ein riesengroßer Kloß. „Wow", lacht er nervös und kratzt sich verlegen den Nacken. „Ich habe fest damit gerechnet, dass du mir eine klebst." Urushiharas einzige Reaktion besteht darin, dass seine feingeschwungenen Augenbrauen ein paar Millimeter in die Höhe rutschen, und das macht Mao zunehmend nervöser. „Ich wollte etwas machen, das du nicht erwartest", rechtfertigt er sich hastig und legt sanft seine rechte Hand an Urushiharas Wange. Aus reiner Gewohnheit sieht er ihm eindringlich in die Augen  und er glaubt zu fühlen, dass Urushihara seinen Blick sehr wohl spürt. „Etwas so Ungewöhnliches, dass es garantiert nicht deinem Unterbewusstsein entsprungen ist und daher nur die Realität sein kann. Was nicht heißt, dass ich es nur deswegen getan habe", versichert Mao schnell. „Oh, nein, ganz bestimmt nicht." Urushiharas Miene ist nichts von seinen Emotionen anzusehen, als er Maos Hand von seiner Wange pflückt. „Ich habe geträumt, ich sei noch draußen im Schnee. Das fühlte sich genauso echt an wie das hier." Mao verschlägt es für einen Moment den Atem, doch er erholt sich schnell wieder von seiner Betroffenheit. „Aber das war ein Alptraum, Lucifer. Das hier allerdings..." in dem verzweifelten Versuch, ihn endlich zu überzeugen, legt er ihm abermals die Hände ums Gesicht, „... ist die verdammte Realität." Als er ihn diesmal küsst, lässt sich Urushihara nicht lange bitten und öffnet bereitwillig seine Lippen. Mao nutzt die Chance sofort und schon bald sind ihre Zungen in einen heftigen, wilden Tanz verstrickt. Ashiya mustert sie kurz mit hochgezogenen Brauen und legt sich dann wieder hin, wobei er ihnen demonstrativ den Rücken zudreht. Er schließt die Augen und versucht, wieder einzuschlafen, doch seine Ohren kann er nicht verschließen. Und so hört er, nach den typischen Geräuschen von sich immer wieder aufeinander pressenden Lippen, schweren Atmen, leisen Seufzen und dem Geräusch von Fingern, die sich in Stoff krallen, leider nur zu gut, wie all das abrupt endet, gefolgt von einem bedeutungsvollem Schweigen. Nach zehn bangen Sekunden Stille hört er Urushiharas leise, aber entschiedene Stimme: „Das reicht, Mao-sama. Ich bin müde." Mao-sama. Ashiya ist sofort wieder hellwach. Er spürt, wie sich die Matratze bewegt und hört das Rascheln von Stoff, als sich die beiden hinter ihm wieder hinlegen. Er wartet noch etwas, bis er es wagt, sich umzudrehen und er hat wirklich Angst vor dem Bild, das sich ihm dann bieten könnte. Doch das, was er sieht, unterscheidet es sich nicht sehr von dem, was er kurz vorm Einschlafen sah. Sein König liegt hinter Urushihara und hält ihn dabei in seinen Armen. Erleichtert dreht sich Ashiya wieder um.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)